BVwG W270 2170497-1

BVwGW270 2170497-123.1.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W270.2170497.1.00

 

Spruch:

W270 2170497-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Günther GRASSL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: RA Edward W. DAIGNEAULT Solicitor (England) und den Verein SUARA, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die minderjährige XXXX (in Folge: "Beschwerdeführerin"), eine afghanische Staatsangehörige, reiste gemeinsam mit ihren Eltern, ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte durch ihren gesetzlichen Vertreter am 15.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 30.01.2017 wurde die Mutter der Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin zu ihren Fluchtgründen befragt. Sie gab dabei an, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe hätte.

 

3. Mit Bescheid vom 23.08.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan zulässig sei.

 

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass aufgrund der Nichtzuerkennung des Asylstatus an die Eltern im Familienverfahren auch für die Beschwerdeführerin dieser Status nicht in Betracht komme. Eine aktuelle Bedrohung liege nicht vor, weder wurden eine lebensbedrohende Erkrankung noch ein sonstiger Umstand behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis darstellen könnte. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr in eine dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt werden würde. Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung verwies die belangte Behörde insbesondere auf das geringe Alter und die kurze Aufenthaltsdauer in Österreich.

 

4. Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 07.09.2017 fristgerecht erhobene Beschwerde, mit der der Bescheid angefochten wurde. Dabei wurden, unter Verweisen auf Länderberichte, vorwiegend Ausführungen zu dem Fluchtvorbringen der Eltern der Beschwerdeführerin getätigt.

 

5. In der Beschwerdeergänzung vom 06.09.2017 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie als Mädchen kaum Chancen auf Schulbildung hätte, sodass ihr einerseits aus Gründen der ihr drohenden Zwangsheirat (bereits im Kindesalter) und andererseits wegen der geringen Bildungschancen als soziale Gruppe Mädchen der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

 

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 16.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

 

7. Mit Schreiben vom 03.01.2018 wurden der Beschwerdeführerin Ergebnisse weiterer Beweismittel vorgehalten. Dazu nahm sie mit Schriftsatz vom 17.01.2018 Stellung.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person:

 

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX , ist am XXXX im Iran geboren und ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Dari. Sie ist unbescholten und gesund, muss aber eine Eisentherapie machen.

 

Die Beschwerdeführerin ist die leibliche Tochter von XXXX und XXXX . Sie hat den Iran im Jahr 2015 gemeinsam mit ihren Eltern verlassen und hält sich seit Mai 2015 in Österreich auf. Sie stellte vertreten durch ihren Vater am 14.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Die Mutter der Beschwerdeführerin und ihr Vater sind ebenfalls afghanische Staatsangehörige, deren Beschwerden auch beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind und deren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen:

 

Die Eltern der Beschwerdeführerin lernten sich durch die Schwester des Vaters der Beschwerdeführerin kennen.

 

Die Familie der Mutter der Beschwerdeführerin wollte, dass diese einen älteren Mann heiratet. Der Vater der Beschwerdeführerin erschien mehrfach bei der Familie der Mutter der Beschwerdeführerin und hielt um deren Hand an. Allerdings lehnte der Großvater der Beschwerdeführerin eine Eheschließung ab.

 

Die Mutter der Beschwerdeführerin hat ihre Familie in XXXX verlassen und ging mit dem Vater der Beschwerdeführerin nach XXXX , einem anderen Teil der Stadt Kabul. In XXXX wurde der Vater der Beschwerdeführerin von einem Bruder der Mutter der Beschwerdeführerin gesehen, welcher ihn gemeinsam mit anderen Personen angriff und durch Messerstiche verletzte. Im Anschluss wurde der Vater der Beschwerdeführerin im Krankenhaus " XXXX " in Kabul behandelt.

 

Jedenfalls zwanzig Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus haben die Eltern der Beschwerdeführerin Afghanistan verlassen und sind in den Iran ausgereist. Im Iran hatte die Mutter der Beschwerdeführerin noch Kontakt mit ihrer Schwester, welche ihr mitteilte, sie solle nie wieder zurückkommen. Seit jedenfalls fünf Jahren besteht keinerlei Kontakt der Eltern der Beschwerdeführerin zur Familie der Mutter der Beschwerdeführerin.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass gegen die Eltern der Beschwerdeführerin nach dem Angriff und der Messerattacke noch einmal Maßnahmen oder Handlungen, wie insbesondere eine Drohung, in Kabul, im Iran oder in Österreich gesetzt wurden.

 

Nicht festgestellt werden konnte auch irgendeine Verbindung der Familie der Mutter der Beschwerdeführerin zu den Taliban.

 

1.3. Zum Leben in Österreich:

 

Die Beschwerdeführerin lebt bei ihren Eltern zu Hause. Sie besucht nicht den Kindergarten.

 

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

 

1.4.1. Allgemeinen Lage in Afghanistan

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt nach wie vor volatil; immer wieder erschüttern Attentate das Land und treiben regierungsfeindliche Kräfte ihr Unwesen. Die konkrete Beurteilung der Sicherheitslage variiert von Provinz zu Provinz stark. Die Hauptstadt Kabul und mehrere Provinzhauptstädte, darunter auch Herat, stehen jedoch überwiegend unter staatlichem Einfluss und sind vergleichsweise sicher. Die Taliban haben keine größeren Versuche mehr unternommen, Provinzhauptstädte einzunehmen.

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten

Passagen aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017 [in

Folge: "LIB"], welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und 3. "Sicherheitslage").

 

1.4.2. Lage im Herkunftsort der Beschwerdeführerin

 

Die Stadt Kabul ist gleichzeitig die Provinzhauptstadt von Kabul und die Hauptstadt von Afghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt.

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert. Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten fand eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Kabul statt.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: Darüber hinaus wird zu diesem Punkt auf die näheren Ausführungen im LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und Pkt 3.1 "Kabul").

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen. Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 3.2 "Erreichbarkeit - Flugverbindungen").

 

Sicherheitslage

 

Während die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren behält planen Aufständischengruppen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund und führend diese durch: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren.

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an.

 

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizistinnen und Polizisten werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten, also ab der zweiten Jahreshälfte 2017, schrittweise umgesetzt werden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und Pkt 3.1 "Sicherheitslage").

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghaninnen und Afghanen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrerinnen und Rückkehrer im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrerinnen und Rückkehrer existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen. Die meisten Rückkehrer/innen entschlossen sich, sich in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen.

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat. In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zu 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 23 "Rückkehr").

 

Nach Aussagen der afghanischen Regierung hat Kabul grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen und Behörden, wenngleich sich die Situation seit der zweiten Hälfte 2015 verschlechtert hat. Dies aufgrund von Sicherheit, dadurch einem reduzierten Vertrauen von Investoren sowie verringerter Entwicklungshilfe, wobei letzterer Umstand in größeren Verlusten von von solchen Hilfsleistungen abhängigen Haupt- und Hilfstätigkeiten mündete. Ohne Verbindungen ist es schwierig, eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder NGOs zu finden.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: European Asylum Support Office, Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017, diese Quelle bildet einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses, Pkt 2.2.5)

 

Die allgemeine Versorgungslage und allgemeine Infrastruktur ist in Kabul in Summe als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage. Die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit durch einen Mann mit grundlegender Schulund/oder Berufsausbildung ist bei entsprechender Anstrengung als realistisch anzusehen. Für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung gibt es Arbeitsmöglichkeiten. Ein Rückkehrer wird allerdings eine Zeit von 3 bis 6 Monate benötigen um sich zu orientieren und Arbeit zu finden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgenden Quellen: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 23; Auszüge aus dem Gutachten Mag. Karl MAHRINGER, GZ BVwG-160.000/0001-Kammer A/2017 vom 05.03.2017 sowie dieses Gutachtens vom 15.05.2017).

 

1.5.5. Medizinische Versorgung

 

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei.

 

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9 .2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vgl. auch: AA 9 .2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel.

 

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen.

 

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken. Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal.

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar und somit müssen bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst. Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten.

 

Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war vielen Frauen nicht erlaubt alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen, LIB, Pkt. 22 "Medizinische Versorgung")

 

1.4.3. Meldesystem

 

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan.

 

(Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 19.1).

 

1.4.4. Bankensystem

 

Im Finanzsektor bieten in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken Leistungen an. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen.

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten. Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 23 "Rückkehr - Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan").

 

1.4.5 Potentielle Risikoprofile

 

Zur allgemeinen Lage von ethnischen Minderheiten

 

In Afghanistan gibt es mehrere ethnische Minderheiten; die Bevölkerung setzt sich aus 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, etwa 10% Hazara und 9% Usbeken zusammen. Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort "Afghane" wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

 

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Dessen ungeachtet beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen. Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 16 "Ethnische Minderheiten").

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara begleitet eine lange Geschichte der Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung; Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara sind auch gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch hat sich die Situation grundsätzlich verbessert. Hazara sind auch keiner gezielten Diskriminierung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

 

Auch nach den im Beschwerdevorbringen zitierten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in Afghanistan droht ethnischen Minderheiten, wie den Hazara, in Afghanistan teilweise eine schlechte Behandlung. So sind diese gesellschaftlicher Diskriminierung und Misshandlung ausgesetzt. Ihnen droht auch eine schlechte Behandlung durch Taliban (beispielsweise Entführung, Schikanierung, Tötung). Die Hazara haben jedoch seit Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 16.1 "Hazara", sowie Afghanistan vom April 2016 [in Folge: "UNHCR-Richtlinien"], Pkt. III.A.13b "Hazara", beide Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Schiiten

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert. Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen. Es kommt auch immer wieder zu Anschlägen.

 

Nach den im Beschwerdevorbringen zitierten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in Afghanistan droht Angehörigen religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Gefahr durch regierungsfeindliche Kräfte und die Taliban.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 15.1 "Schiiten", sowie UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.5, beide Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Blutrache (Blutfehden), Ehrverletzungen und sunnitisch-schiitische Mischehen

 

Blutrache (Blutfehden)

 

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. Blutrache in ländlichen Gebieten eher üblich, kann jedoch wegen der großen Zahl der vom Land zugewanderten Stadtbewohner auch in Städten vorkommen. Mächtige Familien übten bei einer Ehrverletzung normalerweise Vergeltung, während weniger mächtige und arme Familien in der Regel Verhandlungen und eine Versöhnung durch Älteste oder eine Bestrafung durch die Regierung akzeptierten.

 

Im Licht der oben beschriebenen Bedingungen ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. Bei Anträgen von in Blutfehden verwickelten Personen können sich jedoch mögliche Ausschlusserwägungen ergeben. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch für Familienangehörige, Partner oder von an Blutfehden Beteiligten abhängige Personen ebenfalls aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen.

 

(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: UNHCR-Richtlinien, Pkt 14, ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 vom 23.02.2017 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", Schnellrecherche der Schweizer Flüchtlingshilfe zur "Blutrache und Blutrache" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017, diese Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Ehrverletzungen

 

Neben Blutfehden gebe es noch die Kategorie "Verlust von Ehre" ("namus") infolge eines (wahrgenommenen) Verhaltens der Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen werde und zu ihrer Tötung führe. Bei solchen "Ehrenmorden" würden die Frau (und im Falle gemeinsamen Weglaufens auch der beteiligte Mann) getötet, um die Ehre der Familie wieder herzustellen. Die Tötung eines an einer solchen Ehrverletzung beteiligten Mannes sei nicht Teil eines (Blut)rachezyklus, da Rachehandlungen nicht von Verwandten eines Mannes ausgeführt werden könnten, der zum Zeitpunkt seiner Tötung eine "schändliche" Tat begangen habe.

 

Ehre und Status einer Familie würden durch die Institution der Ehe bestätigt. Offener Widerstand gegen bzw. ein Bruch mit den Normen der Eheschließung, indem man den Ehepartner bzw. die Ehepartnerin ohne Zustimmung der jeweiligen Familien wähle, führe dazu, dass sich die Familien in ihrer Ehre gekränkt fühlen würden und könne verschiedene Reaktionen hervorrufen, die sich sowohl gegen die Frau als auch den Mann richten könnten. Außereheliche Beziehungen würden für alle ethnischen Gruppen ein höchst sensibles Thema darstellen, jedoch hätten Paschtunen eine restriktivere Sicht darauf. Die meisten Fälle würden indes von lokalen Schuras und Dschirgas beigelegt. Hätte ein unverheiratetes Paar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt, wäre das Ergebnis häufig eine Eheschließung zwischen dem Mann und der Frau sei. Die beteiligten Personen würden versuchen, die Angelegenheit privat zu lösen, ohne dass Gerichte oder Vermittlungsgremien beteiligt würden. So werde der entstandene Ehrverlust lokal eingegrenzt. Familien mit hoher Bildung, Familien in Großstädten, Hazara und Tadschiken seien allgemein offen dafür, Lösungen zu finden, häufig auch mithilfe von Vermittlung. Auch wenn die Verhandlungen schwierig seien würden die Parteien in der Regel zu einer Lösung kommen. Es komme selten vor, dass solche Fälle in Gewalt bzw. Mord enden würden.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", welche einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet)

 

Blutrache (Blutfehden), Ehrverletzungen und sunnitisch-schiitische Mischehen

 

Blutrache (Blutfehden)

 

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. Blutrache in ländlichen Gebieten eher üblich, kann jedoch wegen der großen Zahl der vom Land zugewanderten Stadtbewohner auch in Städten vorkommen. Mächtige Familien übten bei einer Ehrverletzung normalerweise Vergeltung, während weniger mächtige und arme Familien in der Regel Verhandlungen und eine Versöhnung durch Älteste oder eine Bestrafung durch die Regierung akzeptierten.

 

Im Licht der oben beschriebenen Bedingungen ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. Bei Anträgen von in Blutfehden verwickelten Personen können sich jedoch mögliche Ausschlusserwägungen ergeben. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch für Familienangehörige, Partner oder von an Blutfehden Beteiligten abhängige Personen ebenfalls aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen.

 

(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: UNHCR-Richtlinien, Pkt 14, ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 vom 23.02.2017 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", Schnellrecherche der Schweizer Flüchtlingshilfe zur "Blutrache und Blutrache" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017, diese Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Ehrverletzungen

 

Neben Blutfehden gebe es noch die Kategorie "Verlust von Ehre" ("namus") infolge eines (wahrgenommenen) Verhaltens der Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen werde und zu ihrer Tötung führe. Bei solchen "Ehrenmorden" würden die Frau (und im Falle gemeinsamen Weglaufens auch der beteiligte Mann) getötet, um die Ehre der Familie wieder herzustellen. Die Tötung eines an einer solchen Ehrverletzung beteiligten Mannes sei nicht Teil eines (Blut)rachezyklus, da Rachehandlungen nicht von Verwandten eines Mannes ausgeführt werden könnten, der zum Zeitpunkt seiner Tötung eine "schändliche" Tat begangen habe.

 

Ehre und Status einer Familie würden durch die Institution der Ehe bestätigt. Offener Widerstand gegen bzw. ein Bruch mit den Normen der Eheschließung, indem man den Ehepartner bzw. die Ehepartnerin ohne Zustimmung der jeweiligen Familien wähle, führe dazu, dass sich die Familien in ihrer Ehre gekränkt fühlen würden und könne verschiedene Reaktionen hervorrufen, die sich sowohl gegen die Frau als auch den Mann richten könnten. Außereheliche Beziehungen würden für alle ethnischen Gruppen ein höchst sensibles Thema darstellen, jedoch hätten Paschtunen eine restriktivere Sicht darauf. Die meisten Fälle würden indes von lokalen Schuras und Dschirgas beigelegt. Hätte ein unverheiratetes Paar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt, wäre das Ergebnis häufig eine Eheschließung zwischen dem Mann und der Frau sei. Die beteiligten Personen würden versuchen, die Angelegenheit privat zu lösen, ohne dass Gerichte oder Vermittlungsgremien beteiligt würden. So werde der entstandene Ehrverlust lokal eingegrenzt. Familien mit hoher Bildung, Familien in Großstädten, Hazara und Tadschiken seien allgemein offen dafür, Lösungen zu finden, häufig auch mithilfe von Vermittlung. Auch wenn die Verhandlungen schwierig seien würden die Parteien in der Regel zu einer Lösung kommen. Es komme selten vor, dass solche Fälle in Gewalt bzw. Mord enden würden.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", welche einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet)

 

Zur Situation von Kindern

 

Versorgungslage für Kinder

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: LIB, Seite 177, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet).

 

Gewalt gegen Kinder

 

Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge in ganz Afghanistan weit verbreitet, wobei die Zahl der gemeldeten Vorfälle steigt. Zu den verbreiteten Formen der Misshandlung zählen körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Aussetzung und generelle Vernachlässigung. Einige Formen der häuslichen Gewalt gegen Kinder finden Berichten zufolge zum vorgeblichen Zweck der Disziplinierung statt. Sexueller Kindesmissbrauch ist Berichten zufolge weiterhin weit verbreitet. Während die meisten Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch, insbesondere solche an Mädchen, Berichten zufolge von Familienangehörigen ausgehen, sind Jungen und Mädchen auch gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt durch regierungsnahe Kräfte, regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und durch zivile Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Jungen niedriger Altersstufen sind weiterhin durch "bacha bazi" gefährdet, einen Brauch, bei dem Jungen von einflussreichen Personen gehalten werden, die sie in weiblicher Kleidung vor einem männlichen Publikum tanzen lassen und sie für sexuelle Zwecke missbrauchen.

 

Straflosigkeit bei sexuellem Kindesmissbrauch stellt Berichten zufolge weiterhin ein Problem dar. Einige Kinder, die aufgrund "moralischer Vergehen" verfolgt wurden, waren vielmehr Überlebende von Missbrauch als Täter jener Vergehen. Berichten zufolge wurden einige Kinder, die Familienangehörige eines Straftäters waren, an dessen Stelle als Vertreter ihrer Familie inhaftiert.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien Afghanistan 2016, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, 77f).

 

Zugang zu Schulbildung

 

Aus Berichten geht hervor, dass der Zugang zu Bildung für Kinder mit erheblichen Problemen verbunden ist. Es wurden Bedenken in Hinblick auf die Tatsache geäußert, dass die offiziellen Statistiken der Regierung zu Schulbesuchen eine deutlich höhere Zahl an Kindern ausweisen, die zur Schule gehen, als in der Realität gegeben ist und dass die Angaben zur Qualität der Bildung ebenfalls nicht der Realität entsprechen. Weiterhin liegt die Anzahl der Mädchen, die die Schule besuchen, deutlich unter der hinsichtlich der Jungen. Das hohe Maß an Unsicherheit ist ein großes Hindernis.

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab, dazu gibt es auch geografische Unterschiede.

 

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten.

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen.

 

(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: LIB, Seite 177, und UNHCR-Richtlinien Afghanistan 2016, Pkt. III.A.10 c), welche beide einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bilden)

 

Kinderarbeit

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen.

 

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14-Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden.

 

Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: LIB, Seite 175 f, und UNHCR Richtlinien Afghanistan 2016, Pkt. III.A.10 a), welche beide einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bilden)

 

Jugendgerichtsbarkeit/Inhaftierungen

 

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Seite 176)

 

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

 

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen.

 

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien, diese bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses, Pkt III.A.1.j und l).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Feststellungen zur Person:

 

Die Feststellungen zu ihrem Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Herkunft, zu der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Eltern der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand beruhen auf den entsprechenden, nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Angaben in der mündlichen Verhandlung, den dort vorgelegten Unterlagen sowie auch einem mit Schriftsatz vom 17.01.2017 vorgelegten Befund der Krankenhaus Oberwart, Ambulanz für Kinder- und Jugendheilkunde, vom 22.11.2017. Auch aus letzterem Befund ergibt sich in Zusammenschau mit dem diesbezüglichen Vorbringen im erwähnten Schriftsatz nicht, dass die Beschwerdeführerin an einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden würde.

 

Die Feststellung zur Unbescholtenheit ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführerin noch nicht das strafmündige Alter erreicht hat.

 

Die Feststellungen zum Asylverfahren ergeben sich aus dem Verfahrensakt.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen

 

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen beruhen auf den Feststellungen des mit heutigem Tage erlassenen Erkenntnisses, Zl. W270 2170488-1.

 

2.3. Feststellungen zum Leben in Österreich:

 

Die Feststellungen zum Leben in Österreich ergeben sich aus der vorgelegten Kindergartenbesuchsbestätigung sowie den nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Aussagen der Eltern der Beschwerdeführerin bei deren Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.5. Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

 

Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan (Pkt 1.4.1), zur Lage im Herkunftsort der Beschwerdeführerin (Pkt 1.4.2.) im Hinblick auf die Erreichbarkeit von Österreich, Sicherheitslage und wirtschaftlicher Lage durch bzw. für Rückkehrer, zum Meldesystem (Pkt 1.4.3), zum Bankensystem (Pkt 1.4.4) stützen sich auf das im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuelle (letzte Überarbeitung im Dezember 2017), nachvollziehbare und schlüssige von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellte Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht schon daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Errichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diese Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb von der Beschwerdeführerin im Verfahren unbestritten.

 

Die Feststellungen zur Lage durch bzw. für Rückkehrer gründen sich auch auf den aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsbericht des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, staatlichem Schutz und Mobilität in Kabul, Mazar-e Sharif, und Herat. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Art. 4 lit a und b der EU-Verordnung Nr 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Der Bericht als solches blieb von der Beschwerdeführerin im Verfahren unbestritten.

 

Die Feststellungen zu den potentiellen Risikoprofilen "Zur allgemeinen Lage von ethnischen Minderheiten" sowie zu "Hazara" gründen auf den unbestritten gebliebenen, schlüssigen und nachvollziehbaren UNHCR-Richtlinien sowie dem im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuellen, von der Staatendokumentation zusammengestellten LIB zu Afghanistan. Die Informationen aus beiden Quellen konnten widerspruchsfrei kombiniert werden. Diese Informationen als solches wurden von der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht bestritten.

 

Die Feststellungen zur "wirtschaftlichen Lage in Kabul", allgemeinen Versorgungslage und allgemeinen Infrastruktur in Kabul ergeben sich neben Informationen aus dem LIB aus einem im Auftrag des BVwG erstellten "Gutachten" (GZ: BVwG-160.000/0001-Kammer A/2017 vom 05.03.2017 samt Aktualisierung vom 05.03.2017) von Mag. Karl MAHRINGER. Dieses erachtet das erkennende Gericht sowohl grundsätzlich als geeignet wie auch fallbezogen für zweckdienlich:

MAHRINGER ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Fachgebiet Afghanistan mit zusätzlicher Spezialisierung im Bereich Flüchtlingswesen und Entwicklungshilfe. Er lebt seit 2009 in Afghanistan und ist unter anderem als "Senior Berater" (Ministry of Commerce and Industry) sowie seit 2014 als CEO der International Emergency Services UAE in den Konfliktregionen MENA, Afghanistan, Somalia und Eritrea tätig. Seine Erhebungsergebnisse zur Lage in Stadt und Provinz Kabul wurden von der Beschwerdeführerin als solches - s. zu den Ausführungen in der nach der mündlichen Verhandlung erstatteten Stellungnahme unten - nicht bestritten.

 

In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin auf einen in der Ausgabe Nr. 3 aus 2017 in der in Deutschland erscheinenden Zeitschrift "Asylmagazin" publizierten Aufsatz von Friederike STAHLMANN hingewiesen. Dieser ist iZm den getroffenen Feststellungen wie folgt zu würdigen:

 

Bis zu einem gewissen Grad können die Ansichten von MAHRINGER und STAHLMANN im Hinblick auf den eingeschränkten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt widerspruchsfrei kombiniert werden: So betont auch MAHRINGER, dass grundsätzlich einer gewissen (mehrmonatigen) Orientierungsphase bedarf. Auch dem "Gutachten" von MAHRINGER ist zu entnehmen, dass Rückkehrer mit Schwierigkeiten bei der Arbeits- und Wohnungssuche konfrontiert sein werden.

 

Mit ihrer - und nur diese ist im gegebenen Zusammenhang zu den Aussagen von STAHLMANN vorgenommen - offenbaren Schlussfolgerungen, nämlich, dass Rückkehrende aus Europa akut in ihrem Überleben gefährdet sind (siehe Pkt III.3 des Aufsatzes), die keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke haben kann STAHLMANN aber die aufgrund der Ausführungen von MAHRINGER - soweit sie in dieser Hinsicht aus widersprechend angesehen werden können - getroffenen Feststellungen nicht widerlegen. Einerseits stützt sich MAHRINGER auf eine aktuelle, vor Ort durchgeführte Recherche. STAHLMANN zieht ihre Schlüsse lediglich aus anderen Berichten und Quellen bis Anfang 2016. Darüber hinaus handelt es sich bei MAHRINGER um einen in Österreich gerichtlich beeideten, länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan. STAHLMANN hingegen ist eine Dissertantin an einem deutschen Forschungsinstitut, mag sie auch zweitweise "Gutachten" für britische Gerichte verfasst haben.

 

Die Beschwerdeführerin tritt auch in Ihrer Stellungnahme vom 17.01.2018 dem "Gutachten" von MAHRINGER entgegen. Damit überzeugen sie das erkennende Gericht jedoch nicht dahingehend, dass die getroffenen Feststellungen zur Versorgungslage, Infrastruktur und die Sicherung existenzieller Lebensbedürfnisse eben nicht getroffen werden könnten:

 

Die erwähnten Auszüge auf den Seiten 11 und 37 des "Gutachtens" sind für die getroffenen Feststellungen nicht weiter von Relevanz.

 

Dass über bestehende Flüchtlingscamps berichtet wird und gleichzeitig ausreichend vorhandener Wohnraum festgestellt wird zeigt außerdem noch keinen "Widerspruch" auf. Auch mit der Meinung, die Situation am Wohnungsmarkt sei nicht ausreichend erhoben worden wird zu den Schlussfolgerungen betreffend die Wohnungssituation noch keine Mangelhaftigkeit aufgezeigt. Überdies werden nähere Feststellungen zur Wohnungssituation gegenständlich gar nicht getroffen.

 

Die Tatsache, dass die Grenze zu Pakistan zeitweise geschlossen ist mag zutreffen, doch ergibt sich daraus ja noch nicht, dass die allgemeine Versorgungslage in Kabul nicht als befriedigend zu bewerten wäre. Zum Beweiswert des Aufsatzes von STAHLMANN im Hinblick auch auf die Versorgungslage können die obigen Würdigungen herangezogen werden.

 

Dass aufbauend auf die Bewertung von MAHRINGER nicht festgestellt werden könnte, dass die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit durch einen Mann mit grundlegender Schulund/ oder Berufsausbildung bei entsprechender Anstrengung als realistisch anzusehen ist und es für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung Arbeitsmöglichkeiten gibt, ist für das erkennende Gericht nicht ersichtlich: So ist für das Gericht mangels näherer Ausführungen nicht erkennbar, warum diese Informationen für die getroffenen Schlussfolgerungen seitens eines Fachmanns zwingend notwendig wären.

 

Soweit auf die Seite 28 des EASO-Berichts hingewiesen wird, so ist festzuhalten, dass sich die von der Beschwerdeführerin genannte Aussage auf eine Reihe von Zeitungsberichten aus dem Jahr 2015 bezieht. Die Erhebungen MAHRINGER sind somit wesentlich aktueller.

 

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auf der erwähnten Seite 28 ebenso - denn es müssen die Informationen immer gesamthaft gelesen und gewürdigt werden - ausgeführt wird, dass es in Kabul generell bessere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt als in den meisten anderen Städten. Schon aus diesem Grund kann aus Sicht des erkennenden Gerichts die Analyse von MAHRINGER übernommen werden.

 

Zu den Aufsätzen von Frederike STAHLMANN, auf welche die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinwies, ist im Hinblick auf die Feststellungen zur Lage in Afghanistan - wobei sich das erkennende Gericht auf das LIB, die UNHCR-Richtlinien sowie einen Bericht von EASO stützte - zu erwägen:

 

Die getroffenen Feststellungen beruhen - zu den Feststellungen betreffend die Lage für Rückkehrer aus Europa siehe bereits oben - durchgehend auf länderkundlichen Informationen, welche aus einem bestimmten, vor allem im Hinblick auf die verwendeten Quellen bzw. überhaupt die Objektivität sicherstellenden Prozess oder von Organisationen stammen, denen man eine derartige Objektivität zuzuerkennen hat: Sei es von der österreichischen Staatendokumentation, sei es von EASO oder seien es die UNHCR-Richtlinien. Bei den Ausführungen von STAHLMANN handelt es sich hingegen um eine persönliche, in der asylfachlichen Literatur geäußerte Meinung. Soweit die von Stahlmann angenommenen Tatsachen von den den zuvor aufgezählten Quellen zu entnehmenden Tatsachen abweichen, so kommt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts den Tatsachen von STAHLMANN schon aus dem genannten Grund einer geringerer Beweiswert zu.

 

Im Übrigen ist zu den Aufsätzen von STAHLMANN auszuführen, dass die Beschwerdeführerin auch nicht näher substantiierte, aus welchen Ausführungen konkret sich Abweichungen von dem LIB, dem Bericht von EASO oder den UNHCR-Richtlinien im Hinblick auf Sachverhaltselemente zur Lage in Afghanistan ergeben sollten.

 

Die Feststellungen zu Blutrache (Blutfehden) gründen auf den UNHCR-Richtlinien sowie der schlüssigen und nachvollziehbaren Schnellrecherche zur "Blutrache und Blutfehde" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017, die Feststellungen zur "Ehrverletzung" gründen auf der erwähnten, nachvollziehbaren und schlüssigen ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1. Die Quellen ließen sich widerspruchsfrei kombinieren und blieben auch von der Beschwerdeführerin unbestritten.

 

Die Feststellungen zur Situation von Kindern beruhen auf dem LIB sowie den UNHCR-Richtlinien, beides schlüssige und nachvollziehbare Quellen, welche sich außerdem im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen widerspruchsfrei kombinieren ließen. Diese Quellen blieben im Verfahren unbestritten.

 

Die Feststellungen zur als "verwestlicht" wahrgenommenen Personen beruhen auf den UNHCR-Richtlinien und blieben unbestritten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Das AsylG sieht keine Senatszuständigkeit vor. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde

 

I. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids

 

3.1. Rechtslage

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Die §§ 3 und 11 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "AsylG 2005"), lauten samt Überschrift:

 

"Status des Asylberechtigten

 

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat."

 

"Innerstaatliche Fluchtalternative

 

§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm Z 11 AsylG 2005 ist "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der EU-Richtlinie 2011/95/EU .

 

Gemäß Art. 9 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2011/95/EU muss eine Handlung um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten,

 

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder

 

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

Als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

 

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

 

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

 

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

 

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

 

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und

 

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) [...]

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) [...]

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.

 

3.2. Zum primären Fluchtvorbringen

 

Als primären Grund für die Flucht haben die Eltern der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihnen bei Rückkehr nach Afghanistan Gefahr drohe, weil der Großvater der Beschwerdeführerin mütterlicherseits mit der Eheschließung der Eltern nicht einverstanden gewesen sei. Der Vater der Beschwerdeführerin sei von den Brüdern der Mutter der Beschwerdeführerin attackiert und verletzt worden. Auch den Kindern drohe deswegen Gefahr.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.09.1998, 98/01/0224).

 

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

 

Die Gefahr der Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

 

Die "Wiederherstellung der verlorenen Familienehre" weist nicht die erforderliche Verknüpfung mit einem Konventionsgrund auf. In so einem Fall ist jedoch nach der oben dargestellten Rechtsprechung zu klären, ob allenfalls der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030).

 

In Fällen, in denen einer Asylwerberin wegen Missachtung der Wertvorstellungen ihrer Familie als weibliches Familienmitglied die Ermordung, vor der sie der Staat nicht schützt, droht, sowohl eine Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur Familie der Verfolger in Betracht kommt (zuletzt etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0153).

 

Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die von einem Beschuldigten bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (VwGH 26.01.1996, 95/02/0289). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz 3.2. mwN).

 

Angewendet auf den gegenständlichen Fall folgt daraus:

 

Im verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren brachten die Eltern der Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe für die Beschwerdeführerin vor, sondern verwiesen auf die eigenen Fluchtgründe und die Gefahr auch für die Kinder.

 

Auch für die Beschwerdeführerin ist fallbezogen auf keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung durch die Familie der Mutter der Beschwerdeführerin zu schließen:

 

Eine Verfolgungshandlung wurde gegenüber der Mutter der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar gesetzt. Aus dem Angriff sowie der Verletzung des Vaters der Beschwerdeführerin kann aber gegenständlich nicht darauf geschlossen werden, dass auch eine die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden Maßnahme gegen andere Mitglieder der Familie der Beschwerdeführerin droht: So hätte die Familie nach der Attacke auf den Vater der Beschwerdeführerin den Aufenthalt der Beschwerdeführerin wohl ebenso herausfinden können - die Mutter der Beschwerdeführerin hielt sich nach der Messerattacke durchaus noch eine gewisse Zeit in Kabul auf - und die von der Mutter der Beschwerdeführerin befürchteten Gewalttaten gegen diese setzen können, eine persönliche Drohung aussprechen können oder den Versuch unternehmen können, die Mutter der Beschwerdeführerin zurückzuholen.

 

So waren keinerlei Drohungen nach der Attacke feststellbar. Aus der Aussage der Schwester der Mutter der Beschwerdeführerin, die Mutter der Beschwerdeführerin solle nicht zurückkehren, ist auch nicht auf eine mögliche maßgebliche Wahrscheinlichkeit weiterer Verfolgungshandlungen auch gegen die Familie der Beschwerdeführerin zu schließen (die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung reicht für die Asylgewährung nicht aus).

 

Viel eher ist vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten Abläufe indiziert, dass die Familie der Mutter der Beschwerdeführerin Gewalt eben nur gegen den Vater der Beschwerdeführerin ausüben wollte. Dies würde jedoch - iSd Erkenntnis Ra 2015/20/0030 - eher dafür sprechen, dass diese Handlungen keinem der in Art. 1 GFK genannten Gründe im Hinblick auf die Mutter der Beschwerdeführerin zugeordnet werden können.

 

Dieses Indiz stützen auch die festgestellten Länderinformationen: So könnte der Entzug vor einer geplanten Hochzeit durch Weglaufen als Ehrverletzung gesehen werden. Allerdings "lösen" Hazara-Familien, und dies noch dazu in Großstädten, typischerweise eine solche Verletzung nicht durch Gewaltanwendung oder gar Ermordung der Tochter, welche sich der Hochzeit entzogen hat, sondern durch andere Instrumente. Auch die abgelehnte Eheschließung lässt nach dieser Berichtslage ohne weitere spezifische, im gegenständlichen Fall jedoch - wie zuvor dargelegt - fehlende Anhaltspunkte keinen zwingenden Schluss zu, dass die Familie der Beschwerdeführerin auch zu Gewalthandlungen gegen die eigene Tochter greifen würde. Überdies würde die Beschwerdeführerin nunmehr als verheiratete Frau mit zwei kleinen Kindern zurückkehren.

 

Selbst wenn man in der Handlung gegenüber dem Vater der Beschwerdeführerin eine Handlung zur Wiederherstellung der Familienehre seitens der Familie der Beschwerdeführerin erblicken sollte, ist gegenständlich nicht auf die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Kabul zu schließen: Der Vater der Beschwerdeführerin wurde bestraft und die Ehrverletzung gesühnt. Die Mutter der Beschwerdeführerin wurde von ihrer Familie verstoßen - zumindest lässt der vollständige Kontaktabbruch seit mehreren Jahren keinen anderen Schluss zu -, weshalb es keinen Grund mehr für eine Verfolgung der Mutter oder des Vaters der Beschwerdeführerin gibt.

 

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es in Afghanistan kein staatliches Meldewesen gibt. Die Beschwerdeführerin könnte mit ihren Angehörigen in der Millionenstadt Kabul problemlos "untertauchen". Die Vorgänge liegen bereits einige Jahre zurück und es gibt - wie zuvor dargelegt - schon über Jahre keinen Kontakt mehr zur Familie. Dabei wäre es nach einer Rückkehr auch keineswegs so, dass sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie der Beschwerdeführerin in der Großstadt Kabul versteckt halten müsste, sich also in ihrem Leben aus Sicherheitsgründen ständig einschränken, müsste.

 

Auch ist aus der festgestellten Tatsache, wonach die Familie der Beschwerdeführerin das Schneidergewerbe ausübt nicht zu schließen, dass diese so reich und einflussreich ist, dass es ihr ohne größte Schwierigkeiten möglich wäre, die Beschwerdeführerin und deren Familie nunmehr in ganz Afghanistan und auch in Kabul ausfindig zu machen oder etwa die Möglichkeit zu haben, jederzeit über deren Wiedereinreise und deren weiteren Verbleib in Afghanistan informiert zu werden.

 

Überdies ist auch den Länderinformationen kein Hinweis zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit einer möglichen "Ehrverletzung" der Mutter der Beschwerdeführerin auch eine Gefährdungslage für deren Kinder bestehen würde.

 

Auch aus dem Vorbringen, man sei den "besonderen Schutzkategorien" Nummer 6 und 8 der UNHCR-Richtlinien zuzuordnen (VHS Seite 32) ergibt sich keine andere Beurteilung:

 

Die Stadt Kabul steht weder unter Kontrolle der Taliban noch sonstiger regierungsfeindlicher Kräfte, konnte irgendeine Verbindung zu dieser oder anderer regierungsfeindlicher Gruppierung seitens der Familie der Mutter der Beschwerdeführerin festgestellt werden, noch ist Kabul ein "ländliches Gebiet". Außerdem würde der Beschwerdeführerin mit ihren Eltern als verheiratetes Paar aus Europa zurückkehren; außer der Familie der Mutter der Beschwerdeführerin wüsste niemand von dem vermeintlichen "Verstoß gegen die sozialen Sitten".

 

Mit dem primären Fluchtvorbringen ihrer Eltern hat die Beschwerdeführerin somit keinen asylrelevanten Grund glaubhaft gemacht.

 

3.3. Sonstige mögliche asylrelevante Gründe

 

Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

Richteten sich Maßnahmen von asylrelevanter Intensität gegen Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (VwGH 05.03.2007, VwGH 5.3.2007, 2006/19/0290).

 

Eine Asylrelevanz im Hinblick auf sonstige Gründe ist gegenständlich nicht ersichtlich:

 

Bei Rückkehr in ihre Heimatstadt Kabul hätte die Beschwerdeführerin jedenfalls - über deren Eltern - eine Existenzgrundlage: Dafür sprechen neben den den Länderinformationen zu entnehmenden allgemeinen wirtschaftlichen Gegebenheiten in Kabul, die möglichen, wenn auch beschränkten Unterstützungsleistungen durch den Bruder des Vaters. Dazu kommt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der staatlichen Rückkehrunterstützung.

 

Ebenso ist den Berichten über die Situation in Kabul nicht zu entnehmen, dass es - unabhängig von Umständen im Einzelfall (siehe dazu die Ausführungen unten unter Pkt 3.4) - dort allgemein zu Verfolgungshandlungen gegen Frauen insgesamt oder bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung kommt.

 

Schließlich droht der Beschwerdeführerin - abgesehen von der nachstehend behandelten angenommenen Lebensweise - auch keine Gefahr bloß aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der "Zurückgekehrten aus dem Westen". Die in den getroffenen Feststellungen enthaltenen UNHCR-Richtlinien gehen hier von Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen aus. Nach den festgestellten Länderinformationen zur Lage in Kabul ist die Situation dort soweit sicher bzw. unter Kontrolle der Regierung, dass mit solchen Angriffen - gedacht eben gezielt auf die Gruppe der Zurückgekehrten - nicht zu rechnen ist. Auch aus den übrigen, festgestellten Länderinformationen ist nicht auf Handlungen oder Maßnahmen zu schließen, welche allein oder bei Gesamtschau die Intensität einer Verfolgung iSd Art. 9 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2011/95/EU erreichen würde. Die mögliche Verfolgung wegen einer Asylantragstellung im Westen blieb im Verfahren unsubstantiiert: Gefragt nach möglichen Gefahren bei einer Rückkehr nach Afghanistan bzw. Kabul hat der Beschwerdeführer dies überhaupt nicht mehr erwähnt. Aus den bereits oben erwähnten Länderinformationen ist - mangels näherer fallbezogener festzustellender Anhaltspunkte - nicht auf eine Gefährdungslage zu schließen.

 

3.4. Zur Situation von Kindern

 

Bei der Beurteilung der Intensität von Verfolgungshandlungen ist auf die Minderjährigkeit eines Asylwerbers Rücksicht zu nehmen (vgl. VwGH 15.03.2016, Ra 2015/17/0180).

 

Bei der Beurteilung der Situation von Kindern in Afghanistan hat mit Bedacht auf ihre Vulnerabilität eine besonders sorgfältige Abwägung zu erfolgen. Aus den Länderinformationen geht hervor, dass Kinder unter gewissen Umständen in Bereichen wie, Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen (vgl. dazu auch die Richtlinien Nr. 8 von UNHCR zu Asylanträgen von Kindern vom 22.12.2009, HCR/GIP/09/08, Rz 18). Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Die Beschwerdeführerin lebt im Familienverband mit ihren Eltern und ihrer Schwester. Bei einer Rückkehr nach Kabul wäre jedenfalls ihre "Existenzgrundlage" durch ihre Eltern gesichert und würde sie nicht der Gefahr der Kinderarbeit unterliegen. In Kabul gibt es auch freien Zugang zur Bildung für Mädchen und werden die Eltern der Beschwerdeführerin, wie bereits in Österreich, ihr schulisches Fortkommen ihren Möglichkeiten entsprechend fördern. Auch findet sich in Bezug auf die Stadt Kabul in den Länderinformationen kein Hinweis, dass Bildungseinrichtungen nicht auch entsprechend erreichbar wären. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Kabul Gewalt ausgesetzt wäre. Laut den Länderinformationen geht Gewalt gegen Mädchen überwiegend von Familienangehörigen aus, es gab jedoch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass die Beschwerdeführerin durch ihre Eltern Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren hat.

 

Die behauptete asylrelevante Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder hat die Beschwerdeführerin somit nicht glaubhaft gemacht.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids war somit abzuweisen.

 

II. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids

 

3.5. Rechtslage

 

§ 8 Abs. 1 bis 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht."

 

3.6. Keine Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten

 

Zunächst ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation durch konkrete, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. etwa zur das Erkenntnis vom 02.08.2000, 98/21/0461, welches noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage erging, aber weiterhin als relevant anzusehen ist). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Vor dem Hintergrund von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt erst betreffend Afghanistan ausgesprochen:

 

Bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 AsylG ist im Einzelfall zu prüfen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung der erwähnten Bestimmung notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Diese Darlegung obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person. Diese hat durch geeignete Beweise gewichtige Gründe für eine Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN und Hinweisen insbesondere auch auf Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR).

 

Notorische Entwicklungen im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, auch wenn sie "bloß" für die Entscheidung nach § 8 AsylG 2005 von Relevanz sind, von Amts wegen berücksichtigt werden (VwGH 29.1.2002, 2001/01/0030).

 

Bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt ist zunächst die Heimatregion des Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen (vgl. VfGH 13.09.2013, U370/2012).

 

Im Allgemeinen hat kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (zuletzt etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105 mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Die Stadt Kabul ist als Heimatort (Heimatregion) der Eltern der Beschwerdeführerin und Zielort für eine Rückkehr geeignet: Kabul ist für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan ist Kabul als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Innerhalb dieser Stadt existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Die afghanische Regierung behält jedoch die Kontrolle über Kabul. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahbereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder Nichtregierungsorganisationen ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul als ausreichend sicher zu bewerten ist. Somit kann nicht geschlossen werden, dass das Ausmaß der Gewalt bereits ein Ausmaß erreicht hat, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch die Beschwerdeführerin tatsächlich und durch ihre bloße Anwesenheit in der Stadt Kabul Opfer eines Gewaltaktes werden würde.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nach den getroffenen Länderfeststellungen keinesfalls, dass die wirtschaftliche Situation für Rückkehrer, schwierig ist. Nach den Feststellungen sind die allgemeine Versorgungslage und die allgemeine Infrastruktur in Kabul in Summe jedoch als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage.

 

So wäre der Vater der Beschwerdeführerin sicherlich in der Lage, nach einer gewissen Orientierungsphase eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und für die Beschwerdeführerin und deren beiden Töchter eine Existenz zu ermöglichen: Er ist jung, gesund und verfügt über eine mehrjährige Berufserfahrung als Tischler. Überdies ist er mit dem Leben und Arbeiten in Kabul bereits vertraut.

 

Für die Anfangszeit besteht - wie festgestellt - auch die Möglichkeit, Rückkehrhilfen zu beziehen. Darüber hinaus könnte - wenngleich nur in sehr geringem Umfang - auch die im Iran lebenden Eltern des Vaters der Beschwerdeführerin diese finanziell unterstützen.

 

Vor diesem Hintergrund ist somit nicht darauf zu schließen, dass es zu Problemen bei der Ernährung der Beschwerdeführerin kommen würde.

 

Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ein Opfer von Gewalt werden würde finden sich gegenständlich nicht. Wie bereits oben ausgeführt kann der bestehende Familienverband sie vor körperlichen Übergriffen, einschließlich sexueller Gewalt, schützen.

 

Auch der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin spricht nicht für deren Verbleib in Österreich: Zwar muss sie im Hinblick auf eine Eisenmangelanämie eine Eisentherapie machen. Aus den festgestellten Informationen zur Situation in Kabul bzw. in Afghanistan überhaupt (siehe oben Pkt. 1.5.5.) ist darauf zu schließen, dass dies - einschließlich der Erhältlichkeit des Eisens - ohne zusätzliche Kosten für die Familie in einer Gesundheitseinrichtung in Kabul möglich wäre.

 

Bei einer Gesamtschau dieser Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Beschwerdeführerin - auch als Kind von Rückkehrern - bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat die Beschwerdeführerin somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13 verletzt wird. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten, von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

III. Zu den Spruchpunkten III und IV des angefochtenen Bescheids

 

3.6. Rechtslage

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

§ 55 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

§ 57 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

 

§ 58 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "BFA-VG") lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "FPG") lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

 

3.7. Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz"

 

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Ein Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz liegt daher nicht vor.

 

3.8. Kein Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung plus" oder auf eine "Aufenthaltsberechtigung"

 

Ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Im seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (vgl. idZ auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch die Erkenntnisse VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354). Außerdem ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe das soeben zitierte Erkenntnis vom 30.07.2015).

 

Ist das Alter eines minderjährigen Beschwerdeführers mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbunden kann davon ausgegangen werden, dass für den minderjährigen Beschwerdeführer der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat - nach der Rechtsprechung des EGMR, welcher dies in seiner Entscheidung vom 26.01.1999, Sarumi, 43.279/98, bei Kindern im Alter von sieben und elf Jahren als gegeben sah - nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. dazu VfGH 20.09.2012, U423/12 u.a.).

 

Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (vgl. etwa etwa das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119 mwN).

 

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 mwN).

 

Für den gegenständlichen Fall folgt daraus:

 

Das erkennende Gericht übersieht zunächst nicht, dass die Beschwerdeführerin keine Bindungen zu Afghanistan aufweist. Eine besondere Integration der Beschwerdeführerin in bzw. soziale Bindung an Österreich war nicht festzustellen.

 

Dem steht gegenüber, dass sie außer ihrer eigenen Familie weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige in Österreich hat. Sie ist mit ihren im Entscheidungszeitpunkt 4 1/2 Jahren auch im anpassungsfähigen Alter. Der Aufenthalt in Österreich beträgt ein wenig mehr als zwei Jahre. Auch wäre es ihr unterstützt durch ihre Eltern im bestehenden Familienverband zumutbar, sich an die Gegebenheiten im Heimatland anzupassen und auch dort neue Kontakte zu knüpfen.

 

Wägt man nun die zuvor dargestellten, für und gegen die Beschwerdeführerin sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander ab, so überwiegt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen eindeutig das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dem privaten Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Verbleib in Österreich. Der durch die Ausweisung des Beschwerdeführers allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

Der Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war der Beschwerdeführerin daher schon von Amts wegen nicht zuzuerkennen.

 

3.10. Frist für die freiwillige Ausreise

 

Die Beschwerdeführerin hat keine besonderen Umstände, die sie bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, vorgebracht. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde daher von der belangten Behörde korrekt festgelegt.

 

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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