BVwG L507 1421079-2

BVwGL507 1421079-26.4.2016

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:L507.1421079.2.00

 

Spruch:

L507 1421079-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2015, Zl. 13-810545507/14054402, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.01.2016, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm

§ 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste am 06.06.2011 illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung des Antrages gab er bei der noch am Tag der Antragstellung durchgeführten Erstbefragung an, er sei Kurde und in der Türkei gäbe es keine Menschenrechte. Er werde als Kurde ab und zu bedroht und habe große Angst, dass ihm in der Türkei etwas passiere, da die Kurden in der Türkei verfolgt werden würden. Wegen dieser Problematik habe er auch große psychische Probleme. "Offiziell" habe er aber mit keinen Sanktionen zu rechnen.

2. Am 28.06.2011 wurde der Beschwerdeführer von einem Organ des Bundesasylamtes einvernommen. Er gab an, dass seine Muttersprache Kurdisch sei, er aber auch Türkisch und ganz wenig Deutsch spreche. Gegen die Einvernahme in der türkischen Sprache habe er nichts einzuwenden und er verstehe den Dolmetscher einwandfrei. Zum Asylvorbringen führte der Beschwerdeführer aus, er sei kurdischer Alevite und habe von 1986 bis 1995 mit seiner Familie in XXXX gelebt. 1995 seien im Heimatdorf XXXX die Häuser niedergebrannt worden. Er habe sich dann mit seiner Familie in Istanbul niedergelassen und sei dort zur Schule gegangen. Schon während der Gymnasialzeit sei ihm bewusst geworden, was den Kurden eigentlich angetan worden sei. Er habe gegen dieses Unrecht ankämpfen wollen und sei zu einem Sympathisanten der DTP geworden. Er habe deren Zeitungen und Zeitschriften gelesen, Broschüren und Mitteilungen verteilt und andere Schulkollegen für diese Tätigkeiten animiert. Der Direktor der Schule habe den Beschwerdeführer fünf Tage vom Unterricht suspendiert und sich bei der Polizei beschwert. Der Beschwerdeführer sei daraufhin festgenommen, vier Tage inhaftiert und gefoltert worden. Nach seiner Freilassung habe er an der Schule seine Aktivitäten fortgesetzt. Dadurch sei er in das Blickfeld der türkischen Behörden geraten.

Seine älteren Brüder seien bereits in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt worden. Nach der Flucht seiner Brüder sei die Familie unter Druck gesetzt worden. Man habe den Vater mitgenommen und misshandelt. Dies habe vor ca. 4 oder 5 Jahren stattgefunden (2006 oder 2007). Als kurdische Aleviten seien sie ständig diskriminiert worden. Hunderte Polizisten hätten im Jahr 2009 den Stadtteil von Istanbul XXXX zerstören wollen und sie seien von den Polizisten angegriffen worden. Bei den Krawallen habe es auf beiden Seiten Verletzte gegeben und ein paar Freunde des Beschwerdeführers seien bei der Flucht festgenommen und Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt ausgesetzt gewesen. Zuletzt habe es am XXXX 2010 einen Angriff auf ein Cem-Haus gegeben, wobei mit Steinen und Gasbomben geworfen worden sei. Dieser Angriff sei offiziell der PKK zugeschrieben worden. Dies habe aber nur der Aufhetzung der alevitischen und sunnitischen Kurden gedient. Am darauffolgenden Tag sei es wieder zu Demonstrationen gekommen, an denen der Beschwerdeführer teilgenommen habe. Es sei dabei wieder zu Krawallen gekommen und der Beschwerdeführer habe kurzzeitig zu seiner Schwester flüchten müssen, wo er eine Zeit lang geblieben sei. Von seinem Bruder habe er erfahren, dass Polizeibeamte bei ihm zu Hause nach dem Beschwerdeführer gefragt hätten. Sie hätten dabei die Familie bedroht und beleidigt. Der Beschwerdeführer habe bemerkt, dass er nun nicht mehr nach Hause zurückkehren könne und er sei somit mit Hilfe eines Schleppers ausgereist. Die Regierung versuche mit allen Mitteln, die Kurden zu unterdrücken. Ein gerichtliches Strafverfahren sei gegen den Beschwerdeführer noch nie eingeleitet worden. Es werde zwar nach dem Beschwerdeführer nicht gefahndet, aber es sei bei ihm zu Hause nachgefragt worden, weshalb er einen Ausweg nur mehr in der Flucht aus der Türkei gesehen habe.

Dem Beschwerdeführer wurden Länderfeststellungen zum Herkunftsland Türkei über die Themen allgemeine Lage, Minderheiten, Rückkehrfragen, Menschenrechte und Rechtsschutz ausgefolgt und ihm die Möglichkeit geboten, dazu binnen einer Frist von 2 Wochen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hat keine Stellungnahme abgegeben mit der Erklärung, dass diese in Deutsch abgefasst seien.

3. Am 25.07.2011 wurde der Beschwerdeführer erneut beim Bundesasylamt einvernommen. Dabei legte der Beschwerdeführer einen Zeitungsausschnitt und eine Haftbestätigung betreffend einen gewissen " XXXX " bzw. " XXXX " vor. Dazu erklärte er, dass es sich bei dem Verhafteten um seinen Onkel mütterlicherseits handle, der bei der PKK gewesen und 1993 erwischt worden sei. Beim Zeitungsausschnitt gehe es um den Sohn des Onkels mütterlicherseits " XXXX ". Dieser sei gefallen. Der Beschwerdeführer könne aber nicht angeben, wann das gewesen sei.

Bei den Krawallen und dem Angriff auf das Cem-Haus habe der Beschwerdeführer aktiv teilgenommen. Sie seien dabei von der Polizei angegriffen worden und sie hätten sich gegen die Angriffe mit Steinen und Knüppeln zur Wehr gesetzt.

4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.08.2011 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 z 13 AsylG abgewiesen (Spruchteil I). Ebenso wurde der Antrag gemäß

§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchteil II) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchteil III).

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde für nicht glaubhaft erachtet. Es sei darin kein fluchtauslösendes Ereignis erkennbar gewesen. Der Beschwerdeführer habe mit der Darstellung von vor Jahren stattgefundenen Ereignissen keine individuelle Verfolgung von ausreichender Intensität glaubhaft gemacht. Es handle sich dabei um Übertreibungen und Verallgemeinerungen. Die gegen den Beschwerdeführer in den Jahren 2002 und 2003 geführten polizeilichen Amtshandlungen hätten keine weiteren Konsequenzen für den Beschwerdeführer nach sich gezogen. Ein gerichtliches Strafverfahren sei gegen ihn nie eingeleitet worden. Es fehle dem Vorbringen, 2002 und 2003 verhaftet worden zu sein, die geforderte Eingriffsintensität und der zeitliche Zusammenhang zur Flucht. Spätere Eingriffe habe der Beschwerdeführer nicht mehr behauptet.

Abschiebungshindernisse seien nicht hervorgekommen. Er spreche die Muttersprache seines Landes, sei 25 Jahr alt, gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig. Die Grundbedürfnisse seien in der Türkei gesichert und er habe außerdem Familienangehörige in der Türkei. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine Familienangehörigen sondern nur weitschichtige Verwandte, zu denen er keinen Kontakt und von denen er auch keine Unterstützung erhalten habe. Die Ausweisung sei daher gerechtfertigt.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde ein. Der Bescheid wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger bzw. fehlender Sachverhaltsfeststellung angefochten. Das Ermittlungsverfahren sei nicht ordnungsgemäß und vollständig geführt worden, es verstoße gegen § 18 AsylG. Die Beweiswürdigung sei fehlerhaft und rechtswidrig. Der Beschwerdeführer sei zu den Einzelheiten seines Fluchtweges nicht näher befragt worden. Die Erstbefragung sei äußert knapp gehalten worden und nicht unter angemessenen Bedingungen geschehen. Er habe keine Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Es handle sich um eine Kurzbefragung und es sei nicht statthaft, dieser ein derart großes Gewicht im Hinblick auf seine Fluchtgründe beizumessen. Er habe immer konkrete gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen geschildert, die eine ausreichende Eingriffsintensität hätten. Durch seine 2002 und 2003 erfolgten Verhaftungen sei der Beschwerdeführer bei den Behörden bereits registriert und stünde er daher unter Beobachtung. Das Ereignis vom XXXX 2010 sei sehr wohl ein fluchtauslösendes Ereignis und er habe lange überlegt und bis zuletzt versucht, in der Heimat zu verbleiben, wobei er sich bei seiner Schwester versteckt habe. Der türkische Staat unterdrücke alle Aktivitäten der Opposition, die zu Gunsten der kurdischen Bevölkerung durchgeführt werden. Die Gefahr der Unterstellung einer nicht erwünschten politischen Gesinnung habe die belangte Behörde nicht beachtet und um die Menschenrechte sei es in der Türkei nicht gut bestellt. Eine unterstellte politische Gesinnung reiche für die Asylrelevanz aus. Bei den von der belangten Behörde bezeichneten "einfachen Maßnahmen der Strafrechtspflege" handle es sich um Unterdrückungsmaßnahmen und Repressionen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit. Probleme und Verfolgungen seiner Freunde und Verwandten könnten auch Auswirkungen auf den Beschwerdeführer selbst haben. Auch seine älteren Brüder seien bereits geflüchtet, was die belangte Behörde nicht beachtet habe. Es sei nicht richtig, dass sein Bruder "offensichtlich ohne größere Probleme" in seiner Heimat leben könne. Die Familie werde bedroht und beleidigt sowie unter Druck gesetzt. Mit den vorgelegten Schriftstücken habe er aufzeigen wollen, welche Repressionen gegenüber seinen Verwandten bereits ergriffen wurden. Er beantrage die persönliche Einvernahme in einer Beschwerdeverhandlung.

6. Mit Schreiben vom 05.02.2013 hat der Asylgerichtshof den Parteien aktuelle Länderfeststellungen über das Herkunftsland Türkei zur Kenntnis gebracht und ihnen Gelegenheit gegeben, binnen Frist von 2 Wochen dazu Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, allfällige Änderungen seiner gesundheitlichen Situation und/oder persönlichen Verhältnissen, insbesondere auch allenfalls vorliegende integrationsfördernde Umstände bekannt zu geben. Das Bundesasylamt hat keine Stellungnahme abgegeben.

7. Mit Verfahrensanordnung vom 15.02.2013 wurde über Antrag des Beschwerdeführers vom 12.02.2013 der "Verein Menschenrechte Österreich" als Rechtsberater zur Seite gestellt. Ebenfalls über Antrag des Beschwerdeführers wurde die Frist zur Abgabe der Stellungnahme bis 22.02.2013 verlängert. Bis zu diesem Datum wurde seitens des Beschwerdeführers keine Stellungnahme abgegeben. Mit neuem Antrag vom 01.03.2013 wurde abermals - mit Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer erst am 27.02.2013 einen Termin zur Rechtsberatung vereinbart habe - um Erstreckung der Frist um weitere 14 Tage ersucht. Zum Entscheidungszeitpunkt war noch immer keine Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Asylgerichtshof eingelangt. Erst mit Eingabe vom 20.03.2013 wurden von seiner Rechtsberaterin eine Kursbestätigung der Caritas Flüchtlings- und Migrantenhilfe über den Besuch eines Kurses "Deutsch als Fremdsprache (Kurs 2)" vom 04.09.2012 bis 12.11.2012 und eine Bestätigung des Berufsförderungsinstitutes Tirol über eine "Deutschqualifizierung" (ohne nähere Ausführung) vom 23.12.2011 und eine Sieger-Urkunde anlässlich der Teilnahme des Beschwerdeführers an einem Fußballturnier am 20.06.2011 vorgelegt. Eine Stellungnahme oder Ausführungen zu den Unterlagen enthält die Eingabe nicht.

8. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 07.05.2013, Zl. E2 421.079-1/2011/16E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG als unbegründet abgewiesen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der Asylgerichtshof die behauptete Bedrohung aufgrund des unplausiblen Vorbringens des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig befinde. Zudem sei es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Türkei in eine ausweglose Lage geraten würde. Die Ausweisung stelle keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

9. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes erwuchs mit 23.05.2013 in Rechtskraft. Nach dem Erhalt dieser negativen Entscheidung reist der Beschwerdeführer in die Schweiz.

10. Am 02.12.2013 wurde dem Übernahmeersuchen der Schweiz gemäß Art 16/1/e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zugestimmt und der Beschwerdeführer am 27.01.2014 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt.

11. Im Zuge der Anhaltung am Flughafen Schwechat gemäß der Verordnung (EG)

Nr. 343/2003 des Rates stellte der Beschwerdeführer am 27.01.2014 erneut einen (gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz.

12. Bei der am 28.01.2014 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er keine neuen Fluchtgründe habe und die alten Gründe noch immer aufrecht seien. Er habe Angst in der Türkei unterdrückt oder verhaftet zu werden. Er sei Sympathisant der Partei BDP.

13. Am 28.05.2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er zusammengefasst vor, dass er als alevitischer Kurde nirgendwo Anerkennung gefunden habe. Mit türkischen Extremisten sei es auch zu Handgreiflichkeiten gekommen. Danach habe er an Demonstrationen teilgenommen, wobei er bei einer dieser Demonstrationen von der türkischen Polizei verhaftet und eine Woche lang in einem Gefängnis mit Schlagstöcken geschlagen und gefoltert worden sei. Der Beschwerdeführer, aber auch sein Vater, seien danach mehrmals von der Polizei mitgenommen und verhört worden. Sein Haus sei gekennzeichnet gewesen und sei er nach jeder Demonstration von der Polizei mitgenommen worden. Es sei von der Polizei versucht worden, sein Haus zu vernichten. Er habe nicht in Ruhe leben können. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei sei er in Gefahr.

14. Mit Bescheid des BFA vom 03.12.2015, Zl. 13-810545507/14054402, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß

§§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das BFA traf darin aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zur allgemeinen Lage in der Türkei.

Das BFA führte zusammengefasst aus, dass dem Beschwerdeführer bezüglich des Fluchtvorbringens die Glaubwürdigkeit versagt werde, zumal die Angaben zum Fluchtgrund widersprüchlich sowie nicht schlüssig gewesen seien.

Es hätten sich auch keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

15. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 03.12.2015 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

16. Der Bescheid des BFA vom 03.12.2015, Zl. 13-810545507/14054402, wurde dem Beschwerdeführer am 09.12.2015 ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellt, wogegen am 10.12.2015 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er glaube, sich nicht deutlich ausgedrückt zu haben. Er sei gegen seinen Willen dazu gebracht worden, seine Familie, seine Verwandten und seine Ausbildung zurück zu lassen, weil er eine kurdisch-alevitische Herkunft habe. Er sei in seiner Heimat diskriminiert worden. Sein Leben sei auf dem Spiel gestanden und wäre er im Falle seiner Rückkehr grenzenloser Grausamkeit, Folter und dem Tod ausgesetzt. Seine bisherigen Aussagen habe er mit bestem Wissen und Ehrlichkeit verfasst und liege die Unschlüssigkeit möglicherweise daran, dass zwischen den Aussagen fünf Jahre liegen würden. Zudem sei er sich nicht sicher, ob die deutsche Übersetzung seiner Aussage mit seiner Aussage übereinstimme.

17. Am 19.01.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, kurdischer Abstammung und alevitischen Glaubens. Er stammt aus XXXX und lebte seit 1995 in Istanbul, wo er bis zur Matura die Schule besuchte. Eine Ausbildung hat der Beschwerdeführer danach nicht absolviert und war er im Textilbetrieb seines Bruders tätig. Seien Militärdienst hat der Beschwerdeführe bereits abgeleistet.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Seine Eltern ein Bruder sowie eine Schwester leben nach wie vor in der Türkei. In Österreich hält sich eine Schwester des Beschwerdeführers sowie mehrere Onkel und Cousins auf. Ein Bruder sowie zwei Schwester leben in der Schweiz.

Der Beschwerdeführer war von ungefähr Mai 2013 bis zu seiner Rücküberstellung nach Österreich durch die schweizerischen Behörden am 27.01.2014 in der Schweiz aufhältig.

Der Beschwerdeführer lebt alleine in einer Pension und finanziert sich seinen Lebensunterhalt durch die Grundversorgung. Er ist nicht berufstätig und verbringt die meiste Zeit zu Hause, wo er fernsieht und Zeitungen liest. Ab und zu besucht er Freunde und spielt Fußball. Der Beschwerdeführe ist an der XXXX inskribiert und nahm dort im Rahmen eins Programmes für Asylwerber an verschiedenen Kursen (Kultur verstehen, Grafiktechniken, wissenschaftliches Arbeiten) teil.

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Deutschkurse und spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache.

Der Beschwerdeführer ist gesund und strafrechtlich unbescholten.

Zur Lage in der Türkei wird festgestellt:

I. Allgemeine politische Lage

1. Überblick

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staatsoberhaupt mit primär repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Ministerpräsident. Die Amtszeit des 2014 erstmals direkt vom Volk gewählten Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben. Die letzte Parlamentswahl am 07.06.2015, die als frei und fair galt, brachte der "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Erdogan rund 41 Prozent der Stimmen. Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen steht die Türkei vermutlich vor Neuwahlen. Damit verfehlte die AKP die für eine Verfassungsänderung notwendige 2/3- bzw. 3/5-Mehrheit (mit anschließendem Referendum). Ein im Oktober 2011 gestarteter Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung gemeinsam mit den anderen im Parlament vertretenen Parteien war bereits im Dezember 2013 gescheitert.

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung durch Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9 (Judikative) festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte "im Namen der türkischen Nation". Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte (HSYK) in Frage gestellt. Der Rat ist u.a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig.

Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Hohen Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Im Februar 2014 wurden im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des HSYK vorgenommen. Sie führen zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenz an den Justizminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Rates ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers wird die Exekutive im HSYK deutlicher zu spüren sein. Seitdem kam es zu Hunderten von Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten.

Im ersten Halbjahr 2015 wurde auch gegen Richter und Staatsanwälte ermittelt, die als mutmaßliche Gülen-Anhänger illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben sollen.

Das Verfassungsgericht (Anayasa Mahkemesi) prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Der Verwaltungsgerichtshof (Danistay) ist Revisionsinstanz der Verwaltungsgerichte. Revisionsinstanz aller Zivil- und Strafgerichte ist der Kassationsgerichtshof (Yargitay). Aufgrund seiner großen Überlastung soll eine Berufungsinstanz eingeführt werden, wenn Infrastruktur und Personal zur Verfügung stehen. Im Bereich der Strafjustiz wurden die 1984 insbesondere für terroristische Straftaten eingerichteten "Staatssicherheitsgerichte" (Devlet Güvenlik Mahkemesi - DGM) 2004 abgeschafft. Die an ihrer Stelle gegründeten "Gerichte für schwere Straftaten mit Sonderbefugnis" wurden nun durch das 5. Justizreformpaket aufgelöst und die laufenden Verfahren ordentlichen Strafgerichten übertragen. Ihre sachliche Zuständigkeit übernehmen fortan neue regionale "Gerichte für schwere Straftaten" (Agir Ceza Mahkemeleri).

2. Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen

Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben

werden, unterliegen jedoch (wie alle Vereine) nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet. Die Vereine sind nach wie vor des Öfteren (Ermittlungs‑) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt, (z.B. kürzliche Anordnung einer unverhältnismäßig hohen Geldstrafe gegen die Menschenrechtsstiftung TIHV wegen angeblicher Verletzung der Sozialabgabepflichten). Viele dieser Verfahren enden mit Freisprüchen.

Im Juni 2012 trat an die Stelle des bisherigen Präsidiums für Menschenrechte eine neue staatliche Menschenrechts-Institution (Insan Haklari Kurumu). Die neue Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Ministerrat (7), Staatspräsidenten (2), Hohen Erziehungsrat (1) und den Vorsitzenden der Anwaltskammern (1) gewählt wurden. Bislang ist sie formell dem Amt des Ministerpräsidenten unterstellt, was Zweifel an ihrer Unabhängigkeit nährt. Seit Juni 2012 verfügt die Türkei auch über das in der Öffentlichkeit bislang kaum bekannte Amt eines Ombudsmanns mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden. Ferner verfügt das Parlament über einen ständigen Ausschuss für Menschenrechte sowie einen Petitionsausschuss, die sich allerdings kaum mit Fragen wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit befassen.

3. Rolle und Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden und des Militärs

Die Polizei untersteht dem Innenministerium und übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Sie hat, wie auch der nationale Geheimdienst MIT (Millî Istihbarat Teskilâti), der sowohl für die Inlands- wie für die Auslandsaufklärung zuständig ist, unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen.

Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Der MIT ist die Institution, die am meisten Einfluss gewinnen konnte. (siehe auch Abschnitt II.1.1.)

Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig, rekrutiert sich aus Wehrpflichtigen und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz.

Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen, die AKPRegierung konnte seit Sommer 2011 bei einer Reihe von Entscheidungen das Primat der Politik unterstreichen. Die türkischen Militärs verstehen sich mehrheitlich weiterhin als Hüter der von Staatsgründer Kemal Atatürk begründeten Traditionen und Grundsätze, besonders des Laizismus und der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus).

II. Asylrelevante Tatsachen

1. Staatliche Repressionen

Es gibt grundsätzlich keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung. Allerdings hat sich im Zuge der zunehmenden politischen Polarisierung und insbesondere wegen des Konflikts zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung und der erneuten Eskalation des Konflikts mit der PKK der Druck auf regierungskritische Kreise deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen (siehe nachfolgende Abschnitte).

1.1. Politische Opposition

Politisch Oppositionelle können sich prinzipiell frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Das letzte Verbot gegen eine politische Partei wurde 2009 gegen die pro-kurdische DTP (Demokratik Toplum Partisi) verhängt, deren Nachfolgepartei BDP (Baris ve Demokrasi Partisi) jedoch spätestens mit Beginn des Dialogprozesses zwischen der Regierung und PKK-Chef Öcalan Ende 2012 als etablierte Partei im türkischen Parlament anerkannt wird. Ende April 2014 traten die BDP-Parlamentsabgeordneten mehrheitlich zur Schwesterpartei HDP (Halklarin Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker) über, die als "Dachpartei" weitere linksgerichtete Organisationen umfasst und über das kurdische Spektrum hinaus weitere Wählerschichten ansprechen soll. Für die Regierung war die HDP Verhandlungspartner im Lösungsprozess.

Die HDP/ BDP ist aufgrund der engen Verbindungen insbesondere ihrer Basis zur PKK (Partiya Karkerên Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistans, auch in Deutschland als ausländische Terrororganisation eingestuft) von der Strafverfolgung gegen deren politische Dachorganisation KCK (Koma Ciwaken Kürdistan, Union der Gemeinschaften Kurdistans) betroffen. In diesem Rahmen wurden seit April 2009 nach Schätzungen unabhängiger Beobachter (u.a. der Europäischen Union) über 2.000 Personen in allen Landesteilen und insbesondere im kurdisch geprägten Südosten verhaftet und z.T. bereits verurteilt, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger der BDP. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Die KCK hat nach Auffassung der türkischen Behörden zum Ziel, von der PKK dominierte quasi-staatliche Parallelstrukturen (z.B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen. Das umfangreichste Verfahren gegen 151 Angeklagte in Diyarbakir hat 2010 begonnen und dauert weiterhin an. Die Vorwürfe beruhen nach Ansicht der Verteidigung zum großen Teil auf illegalen Telefonüberwachungen und nicht stichhaltigen Beweisen. Alle Angeklagten wurden zwischenzeitlich aufgrund der Justizreformpakete aus der Untersuchungshaft entlassen. Bei diversen anderen Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert. Aktuellen Erkenntnissen zufolge befinden sich in diesem Zusammenhang derzeit noch 20 bis 25 Journalisten in Haft.

Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen den ehemaligen politischen Partnern AKP und Gülen-Bewegung zielt die Regierung Davutoglu auf eine Eliminierung paralleler Strukturen der Gülen-Anhänger in der staatlichen Verwaltung ab. Der Schwerpunkt liegt bisher auf dem Polizei und Justizbereich mit massenhaften Versetzungen und umstrittenen Gesetzesvorhaben.

Jüngste Eskalationen sind die Ermittlungen des Hohen Rates für Richter und Staatsanwälte

(HSYK) gegen ca. 100 angeblich in den "Parallelstaat" eingebundene Richter und Staatsanwälte sowie eine Kontroverse über die versuchte Freilassung aus der Untersuchungshaft von 79 seit Dezember 2014 inhaftierten, aber bislang nicht angeklagten Gülen-Anhängern durch ein mutmaßlich von Gülen gesteuertes Gericht. Die Richter, die die Freilassung verfügt hatten, wurden kurz danach durch den HSYK von ihren Ämtern suspendiert. StP Erdogan scheint weiterhin als treibende Kraft hinter den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung zu stehen. Er sprach in diesem Zusammenhang erneut von "Vernichtung". Der enge Erdogan-Vertraute und stellvertretende

Ministerpräsident Akdogan forderte von den Oppositionsparteien Beteiligung am Kampf gegen die Gülen-Bewegung und sprach ebenfalls in drastischen Worten: "Es reiche nicht aus, der Eidechse den Schwanz abzureißen, man müsse den Kopf zerquetschen." Nach einer Welle von Versetzungen sollen Gülen-Anhänger in der Justiz, die bis 2013 von der AKP-Regierung zu Tausenden als Gegengewicht zu der früher von den "Kemalisten" geprägten Justiz eingestellt worden waren, nunmehr gänzlich aus ihren Ämtern entfernt werden. Die mit diesen Vorgängen noch sichtbarer werdende Politisierung der Justiz ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten besorgniserregend.

Diese Entwicklung wird sich negativ auf die bereits jetzt geringe Effektivität der Justiz auswirken, die wegen der überlangen Verfahrensdauer in vielen Prozessen dringend auf mehr qualifizierte Juristen angewiesen ist. Auch das traditionell gering ausgeprägte Vertrauen der Gesellschaft in die Justiz leidet unter der anhaltenden Auseinandersetzung innerhalb der dritten Gewalt.

1.2. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit

Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und

Pressefreiheit, in der Praxis sind diesen Rechten aber Grenzen gesetzt, die zunehmend enger werden. Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind.

In der Praxis werden bei pro-kurdischen oder politischen Versammlungen des linken Spektrums (z.B. marxistisch-leninistisch ausgerichteter Gruppierungen) regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder. Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeiliche Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst. Regierungskritische Demonstrationen nach den "Gezi-Park-Protesten" im Sommer 2013 wurden vielfach aufgelöst.

Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB (kriminelle Vereinigung) durch

den Obersten Strafgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Sie mussten mit einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen.

Mit dem 3. Justizreformpaket wurde die Möglichkeit zu deutlichen Strafmilderungen und Haftaussetzung für Nichtmitglieder einer Terrororganisation geschaffen und mit dem 4. Justizreformpaket die Doppelbestrafung nach ATG und StGB abgeschafft.

Das 2004 novellierte Vereinsgesetz erlaubt die Gründung von Vereinen auf der Grundlage der Zugehörigkeit u. a. zu einer Religion oder Volksgruppe innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Türkisch muss nur noch in der offiziellen Korrespondenz des Vereins mit staatlichen Institutionen benutzt werden. (siehe auch Abschnitt 1.8.).

Die Meinungsfreiheit wird durch die Anwendung verschiedener Gesetze (insbesondere Strafgesetzbuch, Anti-Terror-Gesetz, auch: jüngst in Teilen verabschiedetes Sicherheitspaket) eingeschränkt. Mit den Änderungen im Anti-Terror-Gesetz und Strafgesetzbuch im Rahmen des 4. Justizreformpakets vom 11.04.2013 werden Meinungsdelikte und Veröffentlichungen nur dann noch strafrechtlich verfolgt, wenn sie Gewalt oder Drohungen einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung rechtfertigen, loben oder explizit dazu aufrufen. Durch Änderung des Artikels 250 tStGB ("Loben einer Straftat oder eines Straftäters") können Äußerungen zur PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als "Guerilla"), zum PKK-nahen Fernsehsender ROJ-TV oder zum inhaftierten Abdullah Öcalan ("Verehrter Herr Öcalan") nur noch strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen.

Die Möglichkeit, sich frei im Internet zu äußern, ist in mehrfacher Hinsicht beschränkt. Zunächst wurde durch das Gesetz zur Regulierung von Veröffentlichungen im Internet und zur Bekämpfung der Internetkriminalität" (Gesetz Nr. 5651 vom 04.05.2007) ein rechtlicher Rahmen zur Einschränkung geschaffen. Obwohl nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bereits der Zugang zu mehr ca. 80.000 Internetseiten gesperrt ist, wurde im Zuge der Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung im Februar 2014 ein Gesetz verabschiedet, das der Telekommunikationsbehörde nun auch die Möglichkeit gibt, einzelne Sperrungen (anders als zuvor) vorübergehend ohne richterlichen Beschluss durchzuführen. Im jüngst verabschiedeten Sicherheitspaket enthaltene Regelungen gehen darüber noch hinaus.

Im März 2014 erfolgte auf dieser Grundlage nacheinander die Sperrung von Twitter und YouTube. In beiden Fällen wurde die Entscheidung vor Gericht angefochten und vom zuständigen Gericht (in Teilen) aufgehoben. Die Umsetzung dieses Beschlusses durch die Telekommunikationsbehörde erfolgt(e) allerdings äußerst schleppend. Hinzu kommt, dass führende Regierungsvertreter, allen voran der damalige MP selbst, in öffentlichen Äußerungen deutlich machen, dass die Bedeutung des Internets für die Verwirklichung elementarer Grundrechte der türkischen Bevölkerung nicht gesehen wird.

Im Freedom House Bericht - Freedom on the Net 2014- wird die Türkei als "partly free" bewertet (anders als im Freedom of Press Index der gleichen Organisation, hier wird sie als "not free" eingestuft). Das Internet, vor allem Facebook und Twitter sind in der Türkei ein wesentlicher Bestandteil des politischen öffentlichen Diskurses. Durch die Gezi-Ereignisse wurde es zudem in hohem Maß auch zum Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die Regierung ging gegen Facebook- und Twitter-Nutzer nach den Vorgängen um die Gezi-Proteste vor. Es wurden Dutzende festgenommen, in vielen Fällen Strafverfahren eingeleitet. Da es sich in diesen Fällen nicht um Journalisten, in vielen Fällen nicht einmal um Aktivisten handelt, sondern um "ganz normale" Bürger, wird dieses Vorgehen als eine noch weiter gehende Einschränkung der Meinungsfreiheit auch im Privaten empfunden.

Im Vergleich zur Situation vor 2002 berichtet ein Teil der Presse zwar grundsätzlich frei und

kritisch, insbesondere auch über die Regierung und Menschenrechtsverstöße. Insgesamt betrachtet gibt es aber ein tief reichendes Strukturproblem in der türkischen Medienlandschaft (Medien gehören oft zu größeren Holdings, die auch an staatlichen Ausschreibungen teilnehmen). Dies führt in vielen Fällen zu dem, was die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht 2013 "widespread self-censorship by media owners and journalists" nannte. Hinzu kommt, dass führende türkische Politiker immer wieder Medien, aber auch einzelne Journalisten öffentlich verbal angreifen, sowie eine immer noch instrumentalisierte Verwaltung bzw. Justiz (s. z.B. Steuerverfahren gegen den Unternehmer Aydin Dogan - die Dogan-Medien-Gruppe galt lange Zeit als wichtigste regierungskritische Stimme). In der im Januar 2015 veröffentlichten Rangliste zur Pressefreiheit, dem sogenannten "Press Freedom Index", der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) belegt die Türkei Platz

149 - zum Vergleich: 2014: 154; 2013: Platz 154; 2012: Platz 148,

2009: Platz 122. Ausschlaggebend für die Platzierung ist u.a. die Zahl der inhaftierten Journalisten. RoG gibt an, dass allein seit Beginn des Jahres 2015 drei Journalisten inhaftiert wurden - die Gesamtzahl wird z.B. vom Committee to Protect Journalists mit 7 angegeben (Stand: Dezember 2014), wobei diese Zahl weder klar zu benoch klar zu widerlegen ist. Andere Schätzungen gehen von zum Teil deutlich höheren Zahlen aus.

Die Inhaftierung von Journalisten ist dabei Ausdruck einer verbreiteten Kultur der politisierten Justiz: Missliebige Personen, darunter eben auch Journalisten, werden im Rahmen von Großverfahren (so jüngst gegen die Gülen-Bewegung) mit Anklagen überzogen, ohne dass es eine ernsthafte Möglichkeit gäbe, dagegen vorzugehen. Hier wird trotz aller generellen Verbesserungen nach wie vor oftmals auf Art. 314 (Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation) zurückgegriffen.

Unverhältnismäßig lange Untersuchungshaftzeiten sind dabei nicht selten. In anderen Fällen stützt sich die Justiz v.a. auf Art. 215 ("Loben von Straftaten oder -tätern"), Art. 125 ("Beleidigung"), Art. 285 (Versuch der Beeinflussung der Justiz) oder Art. 288 tStGB (Verletzung der Geheimhaltungspflicht von Ermittlungen). Über die Kurdenthematik wird offen und über die Armenierfrage immer häufiger und kontroverser berichtet. Auch die Möglichkeiten zur Kritik am Militär haben sich deutlich verbessert. Weiterhin werden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte in seiner Entscheidung "Ürper und andere./.Türkei" von 2009 Verstöße der Regierung gegen Art. 10 der EMRK - Meinungsfreiheit - fest und sprach den Klägern Schadensersatz zu. Gegenstand des Verfahrens waren die Schließung verschiedener Zeitungen (Ülkede Özgür Gündem, Gündem, Güncel, Gercek Demokrasi) und die strafrechtliche Verfolgung von Herausgebern oder leitenden Mitarbeitern.

1.3. Minderheiten

Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe (ca. 3.000), die armenisch-apostolische Kirche (ca. 60.000) und die jüdische Gemeinschaft (ca. 27.000 Mitglieder). Nicht umfasst sind z. B. Syrisch-Orthodoxe, Katholiken und Protestanten. Allerdings entschied mit dem 13. Verwaltungsgericht Ankara am 18.06.2013 nun erstmals ein türkisches Gericht, dass auch aramäische (hier: syrisch-orthodoxe) Türken und ihre Zusammenschlüsse von den Rechten des Lausanner Vertrages profitieren können. Konkret ging es um das Recht, eigene Schulen und Kindergärten zu betreiben, die auch Aramäisch unterrichten. [Zur Lage religiöser Minderheiten vgl. auch die Ausführungen zu 1.4.] Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 5 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner). Türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeiten sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Neugeborenen dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden). Der private Gebrauch des Kurdischen (Kurmanci) und der weniger verbreiteten Sprache Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt. Die türkische Regierung hat im Schuljahr 2012/2013 jedoch begonnen, bei ausreichender örtlicher Nachfrage Unterricht in Kurmanci und Zaza als Wahlpflichtfach "Lebendige Sprachen und Mundarten" an staatlichen und religiösen Schulen anzubieten. Viele Familien boykottieren das Wahlpflichtfach jedoch, weil sie Unterricht in Kurdisch gleichberechtigt als Muttersprache mit Türkisch fordern. Zudem steht das Fach in Konkurrenz zu den religiösen Wahlpflichtfächern. Das am 02.03.2014 vom Parlament verabschiedete "Demokratisierungs-Paket" ermöglicht in einem darüber hinausgehenden Schritt muttersprachlichen Unterricht und damit auch Unterricht in kurdischer Sprache an Privatschulen. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist. Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in den Sprachen Kurmanci (Kurdisch) und Zaza. Zudem wurden alle bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in "Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden" aufgehoben.

Der gewalttätige Konflikt zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdisch-nationalistischen Kämpfern der PKK, dem seit 1984 über

35.500 Personen zum Opfer fielen und aufgrund dessen fast 400.000 Menschen ihre Heimatprovinzen im Südosten verließen, ist einem seit Anfang 2013 andauernden Waffenstillstand gewichen. Am 21.03.2013 rief der inhaftierte PKKChef Öcalan in einer auf der zentralen kurdischen Neujahrskundgebung in Diyarbakir verlesenen Grußbotschaft zu einem Waffenstillstand und Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei auf. Während der Waffenstillstand bis dato grundsätzlich andauert, stoppte die PKK den Abzug Anfang September 2013 mit der Begründung, die Regierung habe anders als zugesichert keinerlei substantielle rechtliche Zugeständnisse an die Kurden gemacht. Abgesehen von Kritik nationalistischer Kreise stößt der Lösungsprozess trotzdem weiterhin auf grundsätzliche Zustimmung in der türkischen Öffentlichkeit. Offen waren noch die Frage der Waffenniederlegung durch die PKK sowie die Frage, ob die Regierung zu weitergehenden Zugeständnissen bereit ist. Im Anschluss an das mutmaßlich durch die Terrormiliz ISIS verübte Attentat von Suruç am 20.7.2015 mit 32 Toten kam es allerdings zu einer neuen Eskalationsdynamik, die zu nahezu täglichen Anschlägen und Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und PKK führte. Mit Stand 14.08.2015 führt das türkische Militär Luftschläge gegen PKK-Stellungen im Nordirak und in der Südosttürkei. [Zur Behandlung kurdischer Parteien s.a. Abschnitt II.1.1.]

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, hat bereits in einem Bericht von 2009 auf die schwierige Lage der Roma in der Türkei hingewiesen, deren Zahl Schätzungen zufolge zwischen 500.000 und 5 Millionen liegt. Ungeachtet der schlechten empirischen Datenlage zu den Roma sind erhebliche Diskriminierungen u.a. auf den Gebieten Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen unbestritten. Die türkische Regierung arbeitet derzeit an einem Aktionsplan zur Inklusion von Roma, der im Mai 2015 vorgestellt werden sollte. Es ist derzeit nicht bekannt, wann mit der Beendigung des Berichts zu rechnen sein wird.

1.4. Religionsfreiheit

Die Verfassung sieht die positive und negative Religions- und Gewissensfreiheit vor (Art. 24).

Sie gilt - wie alle Grundrechte - in Verbindung mit Art. 14, der den Missbrauch der Grundrechte regelt (insbesondere "Gefährdung der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, des Laizismus oder der Demokratie"). Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z.B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor. Fälle von Muslimen, die zum Christentum konvertiert sind, sind besonders aus den großen

Städten bekannt. Rechtliche Hindernisse bei Übertritt bestehen nicht, allerdings werden Konvertiten in der Folge oft auch von ihren eigenen Familien ausgegrenzt. Nach wie vor begegnet die große muslimische Mehrheit sowohl der Hinwendung zu einem anderen als dem muslimischen Glauben als auch jeglicher Missionierungstätigkeit mit großem Misstrauen und Intoleranz. Die nach türkischer Lesart nicht vom Lausanner Vertrag erfassten (s.o., Abschnitt 1.3.) religiösen Gemeinschaften, darunter auch römisch-katholische und protestantische Christen, haben keinen eigenen Rechtsstatus. Sie können sich als Verein und, nach umstrittener Auslegung des 2008 verabschiedeten Stiftungsgesetzes, auch in Form einer Stiftung organisieren. Eigentumserwerb und der Abschluss von Verträgen ist nur in den genannten Rechtsformen möglich. Mit schätzungsweise 15-20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Seit dem Parlamentsbeschluss der CHP im Februar 2015 alevitische Gebetsstätten "Cem-Haus" (Cem-Evi) mit Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise der Moscheen gleichzustellen, wurde der Beschluss in mehr als die Hälfte der CHP-Stadtverwaltungen umgesetzt (von insgesamt 230 Stadtverwaltungen). Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser aber als religiöse Stätten an. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang jedoch nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v.a.: Anerkennung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, und Gleichstellung von Cem-Häusern wie Moscheen, Verwendung alevitischer Steuern für Cem-Häuser statt für Moscheen, Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde Diyanet und Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Gewissenskunde"-Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Beendigung einer perzipierten Sunnitisierungspolitik. Die ehemals rund 60.000 kurdisch-stämmigen Yeziden waren in ihren Heimatregionen, insbesondere in den 1980er und 90er-Jahren, aufgrund ihrer Religion Übergriffen muslimischer Nachbarn ausgesetzt, die große Mehrheit ist ausgewandert, viele nach Deutschland. Die überwiegende Mehrheit der Yeziden lebt in den Kreisen Viransehir/Provinz Sanliurfa und Besiri/Provinz Batman. Ihre Anzahl ist nur sehr schwer einzuschätzen; aufgrund belastbarer Untersuchungen beträgt die Mindestanzahl ca. 400 Personen; anderen Quellen zufolge, die nicht empirisch belegt werden können, soll es bis zu 2.000 Yeziden in der Türkei geben. Bei Yeziden kommt es in jüngster Zeit offenbar vermehrt zu Schwierigkeiten mitunter unter Androhung von Gewalt mit politisch gut vernetzten zumeist kurdischen Clans in der Region, wenn sie versuchen, bei Rückkehr in die Türkei in der Vergangenheit zurückgelassenes oder erstmals katastermäßig erfasstes Land als Eigentum registrieren zu lassen oder dieses tatsächlich nutzen zu wollen. Davon sind auch deutsche Yesiden betroffen. Die (kurdisch-geprägten) MR-Vereine behaupten, von diesen

Vorgängen keine Kenntnis zu haben.

1.5. Exilpolitische Aktivitäten

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender

Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen.

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

2. Repressionen Dritter

Es existieren zahlreiche militante religiöse Gruppierungen wie die "Front der Vorkämpfer des Großen Ostens" (IBDA-C) und linksradikale, terroristische Gruppierungen wie die DHKP-C

(Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi - "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front") bzw. die TKP-ML (Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist) oder die linksterroristische MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei). Trotz der andauernden Bedrohung der nationalen Sicherheit durch Teile dieser Gruppierungen kann davon ausgegangen werden, dass sie keine Repressionen gegenüber einer bestimmten Personengruppe wegen ihrer Rasse, Nationalität oder Religion ausüben. Dies gilt in der Regel auch für die umstrittene Einrichtung der Dorfschützer, vom Staat angestellte, bewaffnete Einheimische,

die vor den Übergriffen der PKK im Südosten des Landes schützen sollen (über 80.000 in 22 Provinzen). Die türkische Hizbullah hat seit 2000 keine Gewaltaktionen mehr verübt. Anderes gilt für die PKK (vgl. Ziff. 1.3) und die DHKP-C.

3. Ausweichmöglichkeiten

Die unter Ziffer II. genannten Maßnahmen werden landesweit praktiziert, die Justiz sowie die Sicherheitskräfte haben Zugriff auf das gesamte Staatsgebiet.

III. Menschenrechtslage

1. Schutz der Menschenrechte in der Verfassung

Die Türkei gehört dem Europarat an und ist Partei der Europäischen

Menschenrechtskonvention

von 1950, des 1. Zusatzprotokolls (Grundrecht auf Eigentum) sowie des 6. Zusatzprotokolls

zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, des

11. (obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte), des 13. (uneingeschränkte Aufhebung der Todesstrafe) und des 14. Zusatzprotokolls.

Die Türkei ist weiterhin Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987. Sie gehört neben dem Europarat auch der OSZE an. Für sie gelten die menschenrechtsrelevanten Dokumente dieser Organisationen, vor allem das Kopenhagener Dokument von 1990. Der Europarat ist im Rahmen von Justizprojekten in der Türkei tätig. Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.05.2011).

Die vom türkischen Parlament am 24.11.2011 beschlossene Ratifikation des Übereinkommens kann erst dann zum Inkrafttreten führen, wenn genügend Staaten dem Übereinkommen beigetreten sind.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spielte im Land als Ersatz für die

bislang fehlende Verfassungsbeschwerde eine besonders wichtige Rolle. Mit der Einführung der Individualbeschwerde seit September 2012 beruft sich das Verfassungsgericht noch häufiger auf die EMRK. Der EGMR sieht nunmehr Beschwerden aus der Türkei erst dann als zulässig an, wenn der nationale Rechtsweg einschließlich Individualbeschwerde ausgeschöpft wurde, was zu einer deutlichen Verringerung der Neuverfahren vor dem EMRK führte. Die EMRK ist aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar. EMRK und Rechtsprechung des EGMR werden jedoch bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht ausreichend berücksichtigt. Das türkische Justizministerium bemüht sich gemeinsam mit EU und Europarat auch durch Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte um Abhilfe. Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats mit der Türkei aufgrund nicht umgesetzter Urteile wie Ülke/Türkei (Wehrdienstverweigerung) oder Xenides-Arestis/Türkei (Eigentumsfragen in Nordzypern).

Der Menschenrechtsschutz wird in der Verfassung in Artikel 2 festgeschrieben und in den folgenden Paragraphen konkretisiert. Parteien werden durch Artikel 68 Abs. 4, Abgeordnete durch ihre Eidesformel (Art. 81) auf ihre Einhaltung verpflichtet.

Die Türkei ist Partei folgender VN-Übereinkommen:

Die Türkei ist - trotz ihres Beitritts zur Organisation Islamischer Staaten (OIC) 1969 - nicht Partei der Erklärung der Islamischen Staaten zu Menschenrechten.

2. Folter

Die Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung im

Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden: Beispielhaft genannt seien die Erhöhung der Strafandrohung (Art. 94ff. des tStGB sehen eine Mindeststrafe von drei bis zwölf Jahren Haft für Täter von Folter vor, verschiedene Tat-Qualifizierungen sehen noch höhere Strafen bis hin zu lebenslanger Haft bei Folter mit Todesfolge vor); direkte Anklagen ohne Einverständnis des Vorgesetzten von Folterverdächtigen; Runderlasse an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen; Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und der Möglichkeit, sich dem Prozess zu entziehen; Durchsetzung ärztlicher Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme; Stärkung von Verteidigerrechten.

Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen und einiger Verbesserungen ist es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommt es mit zunehmender Tendenz zu übermäßiger Gewaltanwendung. Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise aufgrund der Art von Verletzungen, dass die Anwendung von Gewalt und Misshandlungen nicht mehr in Polizeistationen, sondern an anderen Orten, u. a. im Freien stattfinden, ohne dass zuverlässige Informationen vorliegen.

Die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- oder Misshandlungsfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2014 gestiegen. Es haben sich insgesamt 787 Personen mit Foltervorwürfen an die Menschenrechtsstiftung TIHV gewandt, von denen laut Stiftung 260 (2013:411, 2012 :548, 2011: 207; 2010: 161, 2009: 252) angaben, dass sie im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden. Die insgesamt hohe Zahl ist nach Angaben des TIHV auf die Haftentlassungen im Rahmen der KCKErmittlungen zurückzuführen.

Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen hat sich nach belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es werden weiterhin allerdings Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischen Drucks.

Ein Problem bei der strafrechtlichen Verfolgung der Täter ist die Nachweisbarkeit von Folter

und Misshandlungen. Die seit Januar 2004 geltende Regelung, dass außer auf Verlangen des Arztes Vollzugsbeamte nicht mehr bei der Untersuchung von Personen in Gewahrsam bzw. Haft anwesend sein dürfen und das Untersuchungsergebnis direkt dem Staatsanwalt versiegelt (ohne Kopie für die Vollzugsbeamten) auszuhändigen ist, wird nicht durchgehend angewandt. Zudem sind medizinische Gutachten nur von staatlich kontrollierten Stellen zugelassen; die Ärztekammer berichtet über Druck auf einzelne Ärzte und Einschüchterungsversuche durch Androhung von Disziplinarverfahren durch das zuständige forensische Institut. Grundsätzlich kann gegen alle Sachverständigengutachten - hierzu zählt auch ein medizinisches Gutachten - Einspruch erhoben werden.

3. Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft.

4. Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen

Willkürliche kurzfristige Festnahmen im Rahmen von - mitunter erlaubten, aber in einigen

Fällen eskalierenden - Demonstrationen oder Trauerzügen kommen verstärkt vor. In großer Zahl war dies auch im Rahmen der landesweiten Gezi-Park-Proteste seit Juni 2013 und bei den Kurdenunruhen im Oktober 2014 der Fall. Sie werden von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt. Festnahmen von Flüchtlingen, die "temporäres Asyl" beantragen (siehe Ziff. III.5.), ergehen regelmäßig ohne schriftliche Begründung; ein Rechtsschutz ist nicht vorgesehen.

In der Türkei gibt es zurzeit 355 Gefängnisse (2013:373; 2011: 377; 2010: 371, 2009:429, 2006: 382), darunter 17 sog. F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terror- oder organisiertem Verbrechen verurteilt wurden. 2014 wurden 14 (2013:10; 2012:14)) neue Haftanstalten geschaffen. In den vergangenen acht Jahren wurden insgesamt 169 Haftanstalten geschlossen. Bis 2015 wurden insgesamt 83 neue Gefängnisse eröffnet.

Die türkischen Gefängnisse waren in den letzten Jahren regelmäßig überfüllt (offizielle Angabe für 2014: 101,57%). Die Regierung bemüht sich jedoch mit ersten Erfolgen um Entlastung, indem einerseits die Kapazität der Haftanstalten auf derzeit 166.006 Personen (2013:141.775; 2011: 121.804; 2010: 114.220) gesteigert und andererseits durch Gesetzesreformen die Verhängung u.a. der Untersuchungshaft in gewissem Umfang zurückgedrängt werden konnte. April 2015 waren nach offiziellen Angaben 168.612 Personen inhaftiert (2012: 125.549; 2011: 127.831; 2010: 120.814, 2009:

116.917). Darunter befinden sich 22.950 Untersuchungshäftlinge (2013: 32.457; 2011: 54.412; 2010: 55.578, 2009: 39.877).

Die Grundausstattung der türkischen Gefängnisse entspricht nach Angaben des türkischen

Justizministeriums den EU-Standards. Auch der Ausschuss des Europarats für die Verhütung der Folter (CPT) bestätigt in seinem 2011 veröffentlichten Bericht, dass die materiellen Bedingungen in den Haftanstalten im Großen und Ganzen adäquat seien (CPT/Inf (2011) 13). Für LGTBIHäftlinge plant die Türkei offenbar die Errichtung eines Sondergefängnisses ("pink prison"), um die Gefangenen dort besser vor Übergriffen zu schützen, wie es heißt.

Die Haftbedingungen sind aufgrund der großen Überbelegung der Haftanstalten jedoch dennoch schwierig. Das CPT empfiehlt die Haftbedingungen dahingehend zu prüfen, dass überall adäquater Zugang zu natürlichem Licht und die Möglichkeit zu täglichem Freiluftsport gewährleistet wird. Der Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) konstatiert darüber hinaus einen Mangel an Gefängnis-Personal (ca. 8.000) und medizinischem Personal. Berichte über mangelnden Zugang zur medizinischen Versorgung von kranken Häftlingen sind demzufolge besorgniserregend.

Im April 2015 bestanden in der Türkei lediglich drei geschlossene Haftanstalten für Kinder

und Jugendliche (Altersgruppe 12-21 Jahre) und zwei sog. Erziehungsanstalten für strafgefangene Kinder, so dass ein großer Teil der insgesamt 2.165 rechtskräftig verurteilten oder in U-Haft befindlichen minderjährigen Personen in Erwachsenen-Haftanstalten untergebracht ist. Soweit wie möglich werden Kinder und Jugendliche dort getrennt von den erwachsenen Häftlingen untergebracht, zumindest die Gemeinschaftseinrichtungen müssen jedoch gemeinsam genutzt werden. Die Erwachsenenhaftanstalten verfügen in der Regel kaum über auf die junge Zielgruppe abgestimmte Bildungs- oder Beschäftigungsmöglichkeiten, in den Jugendhaftanstalten gibt es zumindest teilweise eine recht umfassende Angebotspalette. Vorwürfe von Gewalt und sexueller Misshandlung von jugendlichen Insassen in der (Erwachsenen‑)Haftanstalt Pozanti haben 2012 dazu geführt, dass 199 Minderjährige aus Pozanti in die Jugendhaftanstalt Ankara verlegt und leitende Mitarbeiter von Pozanti in andere Haftanstalten versetzt wurden. Ende Februar 2015 wurde hierzu berichtet, dass die Staatsanwaltschaft für vier kurdische Jugendliche, die auf die sexuellen Übergriffe aufmerksam gemacht haben, wegen Steinewerfens und Beschädigung öffentlicher Einrichtungen bei einer Demonstration lebenslange Haftstrafen beantragt hätte, während die Untersuchungsverfahren gegen die Bediensteten der Haftanstalt allesamt eingestellt worden seien.

Medienberichten zufolge beklagten sich Insassen über unzureichende Betreuung durch Sozialarbeiter und Psychologen in Gefängnissen. Angaben des Justizministeriums zufolge kämen auf 549 Insassen ein Psychologe und auf 986 Häftlinge nur ein Sozialarbeiter.

IV. Rückkehrfragen

1. Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer

1.1. Grundversorgung

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Nach dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 über Ausländer und internationalen Schutz haben auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf.

1.2. Medizinische Versorgung

Das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2013 1.517 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 202.031 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil- Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Saglik Ocagi) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig. War 2013 nach Angaben des Gesundheitsministeriums ein Hausarzt für durchschnittlich 3.621 Personen zuständig, soll dieses Verhältnis bis 2017 auf knapp unter 3.000 pro Arzt gesenkt werden. Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Die landesweite Anzahl von Psychiatern liegt dennoch 2014 bei unter 5 pro 100.000 Einwohnern. (OECD 2014). Insgesamt standen 2011 türkeiweit zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Dem im Oktober 2011 vorgestellten "Aktionsplan für Mentale Gesundheit" zufolge sollen die bestehenden Fachkliniken jedoch zugunsten von regionalen, verstärkt ambulant arbeitenden Einrichtungen bis 2023 geschlossen werden. [Weitere Details zur Behandlung psychischer Erkrankungen siehe Anlage I] Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), Antalya, Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2).

Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben.

2011 bestanden landesweit 29 staatliche Krebszentren (Onkologiestationen in Krankenhäusern), die gegenwärtig mit Palliativstationen versorgt werden. 134 Untersuchungszentren (KETEM) bieten u.a. eine Früherkennung von Krebs an, Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Landesteilen staatliche mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Etwa 13% der Bevölkerung profitiert von diesen Angeboten. Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung.

Zum 01.01.2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Grundlage für das neue Krankenversicherungssystem ist das Gesetz Nr. 5510 über Sozialversicherungen und die Allgemeine Krankenversicherung vom 01.10.2008. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterfallen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei, Ausnahmen gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Für nicht über eine Erwerbstätigkeit in der Türkei sozialversicherte Ausländer ist die Krankenversicherung freiwillig, ein Krankenversicherungsnachweis ist jedoch für die Aufenthaltserlaubnis notwendig.

Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u.a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich.

Die Beitragshöhe von in der Türkei sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen liegt bei 12,5 % des Bruttolohns, wovon 5 % von Arbeitnehmer- und 7,5 % von Arbeitgeberseite beglichen werden.

Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Die Berechnung des Einkommens erfolgt durch die Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität unter Berücksichtigung der sonstigen Vermögenssituation des Antragstellers und der in seinem Haushalt lebenden Angehörigen. Bis Mitte 2014 haben sich rund 12 Millionen Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rd. 8 Millionen von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen.

Bei in der Türkei lebenden Ausländern ist eine Vermögensprüfung nicht möglich, sie zahlen auch bei Arbeitslosigkeit und Bedürftigkeit den Beitrag von zurzeit rund 250 TL/Monat. Lediglich Personen, die unter internationalem Schutz stehen oder einen entsprechenden Antrag gestellt haben, können bei Bedürftigkeit seit dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 kostenlos krankenversichert werden.

Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden

"Grünen Karten" (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger‑)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten.

2. Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18.12.2004 dürfen keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte.

Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei Verwandten,

sonst im Einzelfall ggf. in einem Waisenhaus oder Kinderheim. Über die Rückführung Minderjähriger, die nicht von Familienangehörigen aufgenommen werden, sollten die zuständigen türkischen Behörden wie z. B. das Amt für soziale Dienste rechtzeitig informiert werden. Ferner sei das Innenministerium über die besonderen Umstände jedes Einzelfalles

zu informieren, damit die erforderlichen Vorkehrungen an der Grenze getroffen und die zuständigen Institutionen koordiniert werden könnten. Unter Bezugnahme auf die offizielle Mitteilung kann das Auswärtige Amt über die Deutsche Botschaft Ankara den voraussichtlichen Rückführungstermin sowie die (mit türkischer Übersetzung übermittelten) Informationen an das Türkische Außenministerium mit der Bitte um Prüfung der Betreuung und Unterbringung des Betroffenen in der Türkei weiterleiten. Zwischen der Benachrichtigung des türkischen Außenministeriums und dem Rückführungsdatum sollten mindestens drei Monate liegen.

3. Einreisekontrollen

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen in Deutschland ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde. Bei der Einreise in die Türkei wird keine Kontrolle dahingehend durchgeführt, ob eine Verwandtschaft zu Personen besteht, die im Zusammenhang mit Aktivitäten für die PKK verurteilt worden sind.

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen.

Wenn festgestellt wird, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person ebenfalls in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter mit dem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls. Bei der Befragung durch den Richter ist der Anwalt ebenfalls anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein Anwalt wird hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung vorgenommen. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den Amnestiebestimmungen des 1991 in Kraft getretenen Antiterrorgesetzes Nr. 3713 oder des im Dezember 2000 in Kraft getretenen Gesetzes Nr. 4616 (Gesetz über die bedingte Entlassung, Verfahrenseinstellung und Strafaussetzung zur Bewährung bei Straftaten, die vor dem 23. April 1999 begangen worden sind) profitieren kann oder ob gemäß Art. 102 StGB a. F. (jetzt Art. 66 StGB n. F.) Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen.

Andernfalls fordert der Staatsanwalt von dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem Haftbefehl - der durch den örtlich zuständigen Richter erlassen wird - dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Während der Verhöre - sowohl im Ermittlungs- als auch im Strafverfahren - sind grundsätzlich Kameras eingeschaltet.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den Akt des BFA;

* Einsicht in den Akt des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes zum ersten Asylverfahren;

* mündliche Verhandlung am 19.01.2016;

* Einsicht in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand August 2015);

* Einsicht in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden:

2.2. Zum Verfahrensgang:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner illegalen Einreise ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren.

Dass der Beschwerdeführer mehrere Deutschkurse besucht hat und die deutsche Sprache auf einfachem Niveau spricht, ergibt sich aus den vorgelegten Deutschkursbestätigungen und den Wahrnehmungen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung.

Dass der Beschwerdeführer an der XXXX inskribiert ist und im Wintersemester 2015/2016 Lehrveranstaltungen für Asylwerbende und Asylberechtigte besuchte, geht aus dem Ausweis für Studierende der XXXX und dem Schreiben der XXXX hervor.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsicht ins Strafregister.

Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergibt sich aus den diesbezüglich konstanten und widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers.

2.4. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

2.4.1. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er als Kurde und Angehöriger der alevitischen Religionsgemeinschaft an Demonstrationen für die Rechte der Kurden und Aleviten teilgenommen habe, weshalb er in seiner Heimat angefeindet, ausgegrenzt und von der Polizei festgenommen und gefoltert worden sei.

Der Beschwerdeführer brachte vor dem Bundesasylamt am 28.06.2011 im Rahmen seines ersten Asylverfahrens vor, dass ihm in der Zeit im Gymnasium die Unterdrückung der Kurden bewusst geworden sei, weshalb er begonnen habe sich für die Rechte der Kurden einzusetzen. Als der Direktor das erfahre habe, sei er fünf Tage vom Unterricht suspendiert und nach einer Beschwerde durch den Direktor von der Polizei auch festgenommen, beleidigt, beschimpft und gefoltert worden. Nach vier Tagen sei er freigelassen worden und habe er den Besuch der Schule fortgesetzt.

Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 28.05.2014 vermeinte der Beschwerdeführe jedoch, dass er erst nach dem Gymnasium für eine Woche von der Polizei eingesperrt worden sei. Dies würde bedeuten, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2006 von der Polizei verhaftet worden sei, was den Angaben im ersten Asylverfahren insofern widerspricht, als dass er dort ausführte, während seiner Gymnasialzeit, somit vor dem Jahr 2006, inhaftiert worden zu sein. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren eine Suspendierung mit keinem Wort erwähnt und die Dauer der Anhaltung von vier Tagen auf eine Woche verlängerte.

In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer wiederum vor, dass er bei jeder Teilnahme an einer Aktion in Gewahrsam genommen und mit Gummiknüppeln geschlagen worden sei und entgegnete auf die Frage, wann dies konkret erfolgt sei, "Es ist passiert, woher soll ich wissen, wie oft das passiert ist, ich habe ja nicht mitgezählt. Sie sehen das eh im Fernsehen, wie viele Leute im Osten umkommen."

In der Einvernahme vor dem BFA am 28.05.2014 brachte der Beschwerdeführer erstmals auch vor, dass er von türkischen Radikalen beim Gebet gestört worden sei, weshalb es zu Handgreiflichkeiten gekommen sei. Erst danach habe er an Demonstrationen der Aleviten teilgenommen. Somit stimmen auch die Beweggründe, aufgrund der sich der Beschwerdeführer für die Rechter der Kurden bzw. Aleviten eingesetzt habe, nicht überein. Wie oben bereits dargelegt, schilderte der Beschwerdeführer im ersten Asylverfahren, dass er sich bereits während der Schulzeit für die Kurdenrechte eingesetzt habe und nicht erst nach einem Übergriff auf ihn durch radikale Türken.

Der Beschwerdeführer war aber auch generell nicht in der Lage konkrete Angaben zu seiner Teilnahme an Demonstrationen zu tätigen. Im ersten Asylverfahren (Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28.06.2011) sprach der Beschwerdeführer von Krawallen, einem Angriff auf ein Cem-Haus und dass es nach dem Angriff auf das Cem-Haus zu Protesten gekommen sei. Eine regelmäßige Teilnahme an Demonstrationen erwähnte er jedoch nicht. In der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung sprach er jedoch davon, dass er regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen habe. Befragt nach dem Zeitraum führte er aus, nach dem Gymnasium bis zur Militärdienstzeit und nach der Militärdienstzeit demonstriert zu haben. Die genaue Anzahl, wie oft er an Demonstrationen teilgenommen hat, konnte er jedoch nicht nennen und beschränkte er sich darauf, dass es "mehrere Male" gewesen sei. Der Beschwerdeführer schwankte sohin von einmaligen Protesten nach einem Angriff auf ein Cem-Haus bis hin zu regelmäßigen Teilnahmen an Demonstrationen, dessen Häufigkeit er in weiterer Folge nicht ansatzweise benennen konnte.

Zudem stimmen auch die zeitlichen Ausführungen hinsichtlich des Angriffes auf das Cem-Haus nicht überein. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28.06.2011 (erstes Asylverfahren) vermeinte der Beschwerdeführer, dass dieser Angriff im Dezember 2010 erfolgt sei. In der mündlichen Verhandlung konnte er keinen konkreten Zeitraum mehr nennen und setzte einen Zeitrahmen von 2010 bis 2012 fest, in dem es zu diesem Vorfall gekommen sei.

Neu und erstmals brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren auch vor, dass zwischen 2010 und 2012 versucht worden sei; das Haus der Familie des Beschwerdeführers zu vernichten und, dass das Haus gekennzeichnet gewesen sei.

Der Beschwerdeführer war folglich weder in der Lage die Anzahl sowie die konkrete Dauer der Festnahmen oder polizeilichen Anhaltungen - von Inhaftierungen kann mangels Vorliegens eines gerichtlichen Haftbefehles nicht gesprochen werden - zu nennen, widersprach sich in den Bewegründen für seinen Einsatz im Hinblick auf die Kurden und Aleviten und wechselte immer wieder Passagen seines Fluchtvorbringens aus, indem er eine Suspendierung vom Besuch der Schule mit keinem Wort mehr erwähnte, dafür aber ausführte, dass versucht worden sei, sein Haus bzw. das Haus seiner Familie zu zerstören.

Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorbringen eines Asylwerbers insbesondere nur dann glaubhaft, wenn es konkrete, detaillierte Schilderungen der behaupteten Geschehnisse enthält und frei von Widersprüchen ist. Umgekehrt jedoch indizieren unwahre Angaben in zentralen Punkten oder das Verschweigen wesentlicher Sachverhaltsumstände die Unglaubwürdigkeit, ebenso "gesteigertes Vorbringen", d.h. das Vorbringen gravierender Eingriffe nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, sondern - inhaltlich vom Erstvorbringen abweichend - erst in einem (späteren) Verfahrensstadium, d.h. nachdem sich die asylrechtliche Irrelevanz des Erstvorbringens gezeigt hat (vgl. z.B. VwGH 10.10.1996, 96/20/0361; vgl. auch VwGH 17.06.1993, 92/010776; 30.06.1994, 93/01/1138; 19.05.1994, 94/19/0049; s. dazu auch UBAS 17.06.1998, 201.149/0-II/04/98).

Aufgrund oben dargelegter Widersprüche im Zusammenhang mit dem überaus allgemein gehaltenen Vorbringen des Beschwerdeführers ist sohin von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens auszugehen und stellen die vom Beschwerdeführer in der Einvernahme vom 28.05.2015 und in der mündlichen Verhandlung geschilderten (neuen) Bedrohungsszenarien eine offenkundige Steigerung des Vorbringens dar, aus der zu folgern ist, dass der Beschwerdeführer versucht, neben den bereits im ersten Asylverfahren angegeben Fluchtgründen, neue hinzuzufügen.

Was das vom Beschwerdeführer ebenfalls angeführte Gefühl der "Zweitklassigkeit" sowie nirgends akzeptiert worden zu sein, angeht, ist anzumerken, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, 95/20/0080; 23.05.1995, 94/20/0808), sind hinzunehmen. Unter diesen Aspekt sind auch die vom Beschwerdeführer (überdies nur unsubstantiiert) behaupteten Probleme aufgrund seiner Religionszugehörigkeit unbeachtlich.

Hinsichtlich der kurdischen Abstammung des Beschwerdeführers ist weiters auszuführen, dass sich entsprechend der Länderberichte die Situation für Kurden - abgesehen von den Berichten betreffend das Vorgehen des türkischen Staates gegen Anhänger und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften PKK und deren Nebenorganisationen - derart gestaltet, dass momentan keine aktuellen Berichte über die Lage der Kurden in der Türkei und damit keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer asylrelevanten - sohin auch einer maßgeblichen Intensität erreichenden - Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der Person des Beschwerdeführers haben sollten, wurden von diesem nicht bzw. nicht glaubwürdig vorgebracht.

Der Beschwerdeführer ist weiters Alevite. Aus den herangezogenen Länderberichten ergibt sich jedoch, dass die vorgefallenen Übergriffe auf Aleviten zu keiner Zeit ein solches Ausmaß angenommen und - auch unter Berücksichtigung anderer weniger gravierender Ausschreitungen - eine solche Häufigkeit aufgewiesen haben, dass angesichts der Größe der betroffenen Bevölkerungsgruppe davon auszugehen wäre, Aleviten müssten in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe oder ihnen zuzurechnender Übergriffe anderer Bevölkerungsgruppen rechnen.

Auch in der Beschwerde vermochte der Beschwerdeführer aus den oben dargelegten Erwägungen nicht, eine asylrelevante Verfolgung darzulegen. Wenn der Beschwerdeführer behauptet, dass die Einvernahme vor dem BFA möglicherweise nicht richtig übersetzt worden sei, so ist darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer ausdrücklich die Gelegenheit gegeben wurde, seine Fluchtgründe zu ergänzen und wurde die Richtigkeit der Angaben nach der Rückübersetzung bestätigt. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich Bedenken hinsichtlich der Übersetzung gehabt, so ist nicht ersichtlich, warum er diese nicht dem Referenten zur Kenntnis gebracht hat.

In einer Gesamtschau erstattete der Beschwerdeführer somit kein Vorbringen, aus dem eine asylrelevante Verfolgung seiner Person abgeleitet werden konnte und war es aufgrund obiger Ausführungen sowie vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen daher nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in asylrelevanter Weise gefährdet war oder ist, bzw. dass für den Beschwerdeführer aus sonstigen Gründen tatsächlich eine aktuelle und persönliche asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung bestand oder besteht.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den behördlicherseits erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen wurde nicht in qualifizierter Form entgegengetreten.

Insoweit zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, mangels Asylrelevanz nicht begründet ist.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Eine gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde im gesamten Verfahren nicht glaubhaft gemacht.

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß

§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer verfügt darüber hinaus über eine mehrjährige Schulausbildung und Berufserfahrung in der Textilbranche. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit seiner bislang ausgeübten Tätigkeit oder gegebenenfalls mit anderen Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr auch im Rahmen seines Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteil wird. So gab der Beschwerdeführer selbst an, dass seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester nach wie vor in der Türkei leben. Dem Beschwerdeführer ist es auch zumutbar wieder im Textilbetrieb seines Bruders einer Beschäftigung nachzugehen und so für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Eine lebensbedrohende Erkrankung des Beschwerdeführers oder einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand", welcher ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen könnte, konnte im Verfahren ebenfalls nicht festgestellt werden.

Letztlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in die Türkei nicht substantiiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf ihre individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der Beschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

3.3.3. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 10 AsylG 2005 wird Folgendes normiert:

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der mit "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" betitelte § 55 AsylG 2005 lautet wie folgt:

"§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln, wird wir folgt normiert:

"§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde."

3.4.2. Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

* die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

* das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

* die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

* den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

* die Bindungen zum Heimatstaat,

* die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

* auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567;

21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99;

23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

Nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi

v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR 16.09.2004, Ghiban / BRD; 07.10.2004, Dragan / BRD; 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH 17.03.2005, G 78/04; EGMR 08.04.2008, Nnyazi / GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa die Vortäuschung eines Asylgrundes (vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH 29.09.2007, B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).

Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, B 950/10 sind betreffend der Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjährigen Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.

Es ist weiters als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) - die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.4.4. Übertragbarkeit der Judikatur

Es gibt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinen Grund zu der Annahme, dass oben zitierte Judikatur nicht auf § 9 BFA-VG übertragbar wäre, zumal sich die Beurteilungskriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG betreffend das Vorliegen eines Eingriffes in das Privat- und Familienleben mit denjenigen des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 aF decken.

3.4.5. Der Beschwerdeführer führte aus, dass eine Schwester, mehrere Onkel und Cousins in Österreich leben. Zu seiner Schwester habe er Kontakt, jedoch wohne diese in Vorarlberg und besuche er sie nicht, weil er sich das finanziell nicht leisten könne. Hinsichtlich seiner weiteren Verwandten führte der Beschwerdeführer aus, dass es sich dabei um weiteschichtige Verwandte handle, er diese schon lange nicht mehr gesehen habe und weder ihre Namen noch Adressen kenne. Weitere Verwandte des Beschwerdeführers leben nicht in Österreich.

In Anbetracht dieses Vorbringens kann von einer besonderen Beziehungsintensität zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Schwester sowie seinen weiteren Verwandten nicht ausgegangen werden. Es wurde kein spezielles Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner Schwester oder seiner Onkeln und Cousins vorgebracht, welches eine - im Lichte der Rechtsprechung des EGMR - ausreichende Beziehungsintensität begründen würde und im konkreten Einzelfall auch höher zu bewerten wäre, als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen.

Da somit im gegenständlichen Fall kein schützenswertes Familienleben vorliegt, bleibt zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in dessen Privatleben einhergeht.

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2011 - mit einer beinahe neunmonatigen Unterbrechung (Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Schweiz) - in Österreich auf, lebt von der Grundversorgung und beherrscht trotz der Teilnahme an Deutschkursen die deutsche Sprache nur auf einfachem Niveau.

Soweit er auf sonstige gewöhnliche soziale Kontakte im Bekannten- und Freundeskreis verwies, ist auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Der Beschwerdeführer hat zwar Universitätskurse besucht, vermochte aber sonst keine Gründe, die für eine besondere Integration sprechen würden, vorzubringen. Im gegenständlichen Fall wiegt diese durchaus anerkennenswerten Weiterbildung des Beschwerdeführers jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichtes nicht dermaßen schwer, dass die Abwägungsentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers auszugehen hätte, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich zwar nicht unerheblich, aber auch nicht äußerst lange ist und vor allem auch nicht durchgehend ist. Der Beschwerdeführer ist erst seit seiner Rücküberstellung aus der Schweiz am 27.01.2014 durchgehend in Österreich aufhältig.

Dem gegenüber hält sich der Großteil der Kernfamilie (Eltern und zwei Geschwister) des Beschwerdeführers nach wie vor in der Türkei auf, wo der Beschwerdeführer sein bisheriges Leben verbracht hat und sozialisiert wurde. Es ist daher insbesondere auch vor dem Hintergrund des erst sehr kurzen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich davon auszugehen, dass seine familiären und privaten Beziehungen in der Türkei einer - wenn überhaupt vorhandenen - Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Insbesondere aufgrund der sehr kurzen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären wäre.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Nach der Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers ist dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel auch gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen nicht zu erteilen.

3.4.6. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene Feststellung keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in die Türkei unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht behauptet.

3.4.7. Die in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht

§ 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Diesbezüglich finden sich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift.

3.4.8. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht weiters hervor, dass das erkennende Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe und zum Flüchtlingsbegriff, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben, abgeht.

Darüber hinaus wird zu diesem Thema keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert und liegt in Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides das Schwergewicht zudem auf Fragen der Beweiswürdigung.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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