Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
B e g r ü n d u n g :
Die Minderjährige und die Kindesmutter sind Staatsangehörige der USA; der Kindesvater ist mexikanischer Staatsbürger. Im Jahr 2007 übersiedelten die Eltern mit der Minderjährigen nach Wien. Im Februar 2008 kam es zur Trennung; der Kindesvater hält sich seitdem im Wesentlichen wieder in den Vereinigten Staaten auf.
Ein Antrag des Kindesvaters auf Rückgabe des Kindes nach dem HKÜ wurde rechtskräftig abgewiesen (9 Ob 59/09f).
Mit Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 11. 11. 2009 wurde die Ehe geschieden.
Das Erstgericht entzog dem Kindesvater die Obsorge und übertrug sie der Kindesmutter. Den Obsorgeantrag des Kindesvaters wies es ab. Das Erstgericht räumte dem Vater das Recht ein, zu bestimmten Zeiten telefonischen Kontakt zur Minderjährigen aufzunehmen, weiters ein Weihnachtsbesuchsrecht 2009 in Wien, ein Osterbesuchsrecht 2010 in Wien, ein Sommerferienbesuchsrecht vom 7. 7. 2010 bis 21. 7. 2010 in San Diego, ein Weihnachtsbesuchsrecht 2010 und ein - im Einzelnen näher geregeltes - Ferienbesuchsrecht.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindesvaters nicht Folge und wies den Rekurs der Kindesmutter gegen die Einräumung des Weihnachtsbesuchsrechts 2009 zurück. Im Übrigen gab es dem Rekurs der Kindesmutter teilweise Folge und änderte den Beschluss hinsichtlich des Osterbesuchsrechts 2010 dahin ab, dass dieses vom 26. 3. 2010 bis 5. 4. 2010 eingeräumt wurde. Hinsichtlich des Sommerferienbesuchsrechts und der folgenden Besuchsrechte hob das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichts auf und trug dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig.
In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Kindesvater Nichtigkeit, wesentliche Verfahrensmängel, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Das Erstgericht habe nicht auf eine gütliche Einigung hingewirkt; das Rekursgericht habe sich nicht primär am Kindeswohl orientiert. Es gebe keine Rechtsprechung zu den Fragen, ob die Gefahr einer Kindesentführung durch den Besuchsberechtigten zu einer Einschränkung des Besuchsrechts nach Art 21 HKÜ auf ein Besuchsrecht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes führen könne und ob die gerichtliche Einräumung eines Besuchsrechts nach Art 21 HKÜ am Aufenthaltsort des Vaters bis zur rechtskräftigen (Anerkennung der) Obsorgeentscheidung ausgesetzt werden könne. Außerdem beantragt der Kindesvater ein Gesetzesprüfungsverfahren bezüglich der §§ 177 ff ABGB nach Art 140 Abs 1 B-VG.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
1.1. Österreich ist Vertragsstaat des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. 10. 1961, BGBl 1975/446 (Haager Minderjährigenschutzübereinkommen; MSA). Dieses findet nach seinem Art 13 räumlich-persönlich Anwendung auf alle Minderjährigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat, und zwar auch auf Minderjährige, die nicht Staatsangehörige eines Vertragsstaats sind (stRsp, s 7 Ob 181/98p EFSlg 87.913 mwN; 6 Ob 30/08t ua).
1.2. Nach Art 1 des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes Minderjähriger vom 5. 10. 1961, BGBl 1975/446 (MSA), sind die Behörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat - vorbehaltlich der Bestimmungen der Art 3, 4 und Art 5 Abs 3 - dafür zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen zu treffen. Unter den Begriff der Maßnahmen fallen unter anderem alle Eingriffe in das elterliche Obsorgeverhältnis (2 Ob 117/00w = ZfRV 2000/89 mwN; RIS-Justiz RS0047773). Allerdings macht das MSA in seinem Art 1 die Zuständigkeit der Aufenthaltsbehörden davon abhängig, dass diese „Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen zu treffen“ haben. Unter einer derartigen Schutzmaßnahme sind individuelle staatliche Akte - welcher Art (privater oder öffentlich-rechtlicher Natur) auch immer und unabhängig von ihrer Sachbezeichnung (8 Ob 515/81 EFSlg 39.799 mwN; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.12) - zu verstehen, die den Minderjährigen in seinem Interesse und soweit erforderlich vor den spezifischen mit der Minderjährigkeit verbundenen Gefahren bewahren, wie dies sonst Aufgabe der Eltern ist (Schwimann, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen und seine Anwendung in Österreich, JBl 1976, 233; Allinger, Das Haager Minderjährigenschutzabkommen [1988] 50; Schwind, Internationales Privatrecht [1990] Rz 345; Boric, Internationales Privatrecht und Zivilverfahrensrecht [1999] 71 FN 1; Anzinger in Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht [2000] Rz 5.78; Nademleinsky/Neumayr aaO; LGZ Wien EFSlg 82.018). Voraussetzung ist also ein Gestaltungs- und Regelungscharakter der Schutzmaßnahme; es muss sich um einen schützenden Eingriff oder um eine regelnde Maßnahme mit Gestaltungscharakter zur Wahrung und Förderung des Kindeswohls handeln (Schwimann, Grundriss des internationalen Privatrechts [1993] 238; ders, Internationales Privatrecht² [1999] 130; vgl auch 7 Ob 724/82 IPRE 1/147), zumindest aber um eine gerichtliche Kontrolle der elterlichen Sorge (Verschraegen in Rummel, ABGB³ [2004] § 24 IPRG Rz 9; aA allerdings Heldrich in Palandt, dBGB65 [2006] Anh zu EGBGB [IPR] Rz 14).
1.3. Allerdings ist nach Art 3 MSA ein Gewaltverhältnis, das nach dem innerstaatlichen Recht des Staates, dem der Minderjährige angehört, kraft Gesetzes besteht, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen. Ob ein Gewaltverhältnis besteht, ist nach den Sachnormen des Heimatrechts zu beurteilen (Mottl, Zulässigkeit und Umfang einer Besuchsrechtserweiterung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen, IPRax 1993, 417; 2 Ob 117/00w uva).
1.4. Nach ständiger Rechtsprechung beschränkt Art 3 MSA die Aufenthaltszuständigkeit nach Art 1 MSA nur dann, wenn das Heimatrecht keine Maßnahme zulässt (7 Ob 596/90; 6 Ob 178/06d; Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht [2007] Rz 08.46 mwN).
2.1. Dabei kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob das Recht des Bundesstaates California, wo die Minderjährige nach den Feststellungen der Vorinstanzen „längere Zeit“ lebte, oder das Recht des Bundesstaates Pennsylvania, wo die Minderjährige „zuletzt“ bis zu ihrer Übersiedlung nach Österreich im September 2007 wohnte, heranzuziehen ist, weil das Recht beider Staaten vergleichbare Maßnahmen zulässt.
2.2. Nach Section 3022 des California Family Code kann das Gericht während eines Eheverfahrens oder jederzeit danach eine Entscheidung über die Obsorge für ein minderjähriges Kind treffen, die es für notwendig oder angemessen hält („The court may, during the pendendy of a proceeding [nach der Legaldefinition von Section 3021 leg cit handelt es sich dabei unter anderem um Eheverfahren] or at any time thereafter, make an order for the custody of a child during minority that seems necessary or proper.“) Bei Erlass einer Anordnung nach Kapitel 4 des Family Code ist nach Section 3100 leg cit auch ein angemessenes Besuchsrecht („reasonable visitation rights“) festzusetzen.
2.3. Nach Section 5312 Title 23 Pennsylvania Consolidated Statutes kann das Gericht in allen Eheverfahren und nach deren Abschluss „angemessene teilweise Obsorge- oder Besuchsrechte“ („reasonable partial custody or visitation rights, or both“) festsetzen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht („would be in the best interest of the child“).
3.1. Nach §§ 177, 177a ABGB ist ein Weiterbestehen der gemeinsamen Obsorge nach Scheidung der Eltern gegen den Widerstand eines Elternteils nicht möglich. Gegen diese Bestimmungen bestehen nach bisher ständiger Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken (7 Ob 46/09d; RIS-Justiz RS0117004, RS0120492 [T1]). Außerdem ist eine Partei nach ständiger Rechtsprechung nicht berechtigt, zu begehren, dass der Oberste Gerichtshof beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit stelle (RIS-Justiz RS0058452, RS0053805, RS0054189).
3.2. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Verfassungswidrigkeit der §§ 177, 177a ABGB im Übrigen schon deshalb nicht, weil das Kind und die Kindesmutter in Wien wohnen, während der Kindesvater seinen Wohnsitz in den USA beibehalten will. Bei dieser Sachlage käme aber trotz der modernen Kommunikationstechnologie eine gemeinsame Obsorge nicht in Betracht. Mit dem Hinweis auf die heutzutage zur Verfügung stehenden modernen Kommunikationstechnologien verkennt der Revisionsrekurswerber das Wesen der Obsorge, besteht diese doch nach § 144 ABGB primär in der Pflege und Erziehung des Kindes und erst in zweiter Linie in der Vermögensverwaltung und Vertretung. Pflege und Erziehung können aber über eine Distanz von mehreren tausend Kilometern nicht sinnvoll ausgeübt werden.
3.3. Schon im Hinblick auf diese Besonderheit des vorliegenden Falls erübrigt sich ein Eingehen auf die Deutschland betreffende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. 12. 2009 im Fall Zaunegger gegen Deutschland. Im Übrigen wird im Schrifttum zutreffend auf die Unterschiede zwischen der Gegenstand der zitierten Entscheidung bildenden Rechtslage in Deutschland und derjenigen in Österreich hingewiesen (vgl Stormann, EF-Z 2010/37 [Entscheidungsanmerkung]; Deixler-Hübner, Auswirkung der Entscheidung des EGMR zur Verletzung der Rechte unehelicher Väter auf die österreichische Rechtslage, ÖJZ 2010, 141).
4.1. Soweit der Revisionsrekurswerber das Unterlassen eines Einigungsversuchs geltend macht, behauptet er damit einen erstinstanzlichen Verfahrensmangel, den bereits das Rekursgericht verneint hat. Damit kann dieser Mangel aber nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden. Im Übrigen vermag der Revisionsrekurswerber die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht ausreichend darzutun (vgl RIS-Justiz RS0116369). Zudem ergibt sich aus den Protokollen der vor dem Erstgericht geführten mündlichen Verhandlungen (ON 20 und ON 32), dass ohnedies Vergleichsgespräche geführt und eine einvernehmliche Regelung sowie eine Mediation diskutiert wurden.
4.2. Die nunmehr im Revisionsrekurs geltend gemachten Stoffsammlungsmängel hat der Kindesvater in seinem Rekurs nicht gerügt (RIS-Justiz RS0043111 [T22 und T23]; RS0050037 [T13]), sodass dem Obersten Gerichtshof ein Eingehen auf diese erstmals im Revisionsrekurs erhobenen Argumente verwehrt ist.
4.3. Die behauptete Gehörverletzung liegt nicht vor, fordert der Grundsatz des Parteiengehörs doch lediglich, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihren Standpunkt vorbringen kann (RIS-Justiz RS0006048). Diesbezüglich hat aber schon das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass das Obsorgeverfahren bereits seit über eineinhalb Jahren anhängig ist und der Kindesvater während dieses gesamten Zeitraums Vorbringen zur Obsorgefrage hätte erstatten können. Die Obsorgefrage sei zudem vom Erstgericht noch in Gegenwart der Dolmetscherin angesprochen worden (ON S 94 S 1). Nach Entfernung der Dolmetscherin sei nur mehr die Kindesmutter - und zudem in englischer Sprache - vernommen worden. Inwieweit diese Vorgangsweise Verfahrensrechte des Revisionsrekurswerbers beeinträchtigen könne, ist den Rechtsmittelausführungen nicht zu entnehmen. Im Übrigen wird nach ständiger Rechtsprechung der Mangel des rechtlichen Gehörs im Außerstreitverfahren in erster Instanz behoben, wenn Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs geltend zu machen (RIS-Justiz RS0006057).
5. Die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen ist, hängt allein vom Kindeswohl ab und ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0120492, RS0048632, RS0048969, RS0007010, RS0115719). Berücksichtigt man, dass die Eltern seit zwei Jahren getrennt sind, und dass die Minderjährige seit dieser Zeit bei der Mutter lebt und diese ihre Hauptbezugsperson ist (vgl RIS-Justiz RS0047928 [T10]), ist in der Entscheidung der Vorinstanzen keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
Soweit sich der Revisionsrekurswerber gegen die Entscheidung des Rekursgerichts über das Sommerferienbesuchsrecht wendet, handelt es sich dabei um einen Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts (vgl RIS-Justiz RS0111919, RS0007218, RS0044029, RS0044065), der gemäß § 64 AußStrG absolut unanfechtbar ist, wenn das Rekursgericht den Rekurs nicht ausdrücklich zugelassen hat (RIS-Justiz RS0109580, RS0030814, RS0007219, RS0044098).
Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurswerber somit keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)