European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00231.20M.0720.000
Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist Eigentümer einer mit einem geschlossenen Hof bebauten Liegenschaft. Zu deren Gutsbestand gehören (ua) die Grundstücke .1160/1 im Ausmaß von 171 m2 und 8958 im Ausmaß von 6.292 m2. Das Grundstück 8958 ist bis auf eine Baufläche von 145 m2 landwirtschaftliche Fläche.
[2] Der Beklagte ist Eigentümer des mit einem Haus bebauten Grundstücks .1160/2 mit einer Fläche von 1.937 m².
[3] Die nördliche Grenze des Grundstücks .1160/2 des Beklagten grenzt direkt an die südliche Grenze des Grundstücks .1160/1 des Klägers an. Die beiden Grundstücke sind in diesem Grenzbereich mit Garagen bebaut. Diese Garagen reichen jeweils bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze und sind miteinander verbunden, sodass sie von außen als ein Gebäude mit einem Satteldach wahrgenommen werden. Der Giebel des Dachaufbaus verläuft im Bereich der Grundstücksgrenze.
[4] Das Grundstück 8958 des Klägers grenzt im Osten an das Grundstück .1160/2 des Beklagten an und wird als Wiese landwirtschaftlich genutzt. Nur in dem an den Gebäudeteil des Beklagten angrenzenden Bereich ist dieses ähnlich einer Hoffläche asphaltiert. Dieser asphaltierte Bereich geht nach Süden in einen nicht asphaltierten Feldweg über. Dieser Bereich ist einerseits (nach Westen hin) von dem Gebäude des Beklagten und andererseits (nach Osten hin) von einem böschungsartig ansteigenden, verbuschten Hang begrenzt. Den in diesem Bereich zwischen dem Gebäude des Beklagten und dem Hang verbleibenden Grundstreifen nützt der Kläger als landwirtschaftlichen Zufahrtsweg.
[5] Die Ostseite der Garage des Beklagten deckt sich nicht mit dem Verlauf der östlichen Grenze seines Grundstücks .1160/2 zum Grundstück 8958 des Klägers. Das Gebäude des Beklagten ragt vielmehr in seinem östlichsten Teil auf einer Länge von 7,5 m in das Grundstück des Klägers hinein. Im Bereich des Giebels ragen die Mauer und das Dach der Garage des Beklagten etwa 1,9 m in das Nachbargrundstück des Klägers. Vom Giebel aus 5,5 m entlang der Grenze nach Süden beträgt die Grenzüberschreitung noch etwas über 1 m. Weiter nach Süden nimmt die Grenzüberschreitung sodann stark ab. Insgesamt beansprucht die Garage (samt Vordach) des Beklagten etwa 10 m² des benachbarten Grundstücks des Klägers.
[6] Das Gebäude des Beklagten in seiner heutigen Gestalt wurde in den Jahren 1989/1990 errichtet. In den Jahren 1950 bis 1952 hatten die Rechtsvorgänger der Streitteile in diesem Bereich der Grundstücksgrenze erstmals ein Gebäude errichtet, das in wesentlichen Teilen dem heutigen Gebäude entsprach. Die jeweils als Kuhstall und Stadel verwendeten Gebäude waren miteinander verbunden, der Giebel des gemeinsamen Satteldaches verlief entlang der Grenze der beiden Grundstücke .1160/1 und .1160/2. Dem Kuhstall des Beklagten war ein in einem Abstand von ca 50–70 cm parallel zur ostseitigen Stallmauer verlaufender, betonierter Sickerschacht vorgelagert. Dieser Sickerschacht lag auf dem Grundstück 8958 des Klägers in dem Bereich des heutigen Überbaus. Anfang der 1980iger Jahre nahm der Onkel des Beklagten als dessen Rechtsvorgänger einen Umbau des Stadls vor. Im Zuge dessen wurde innerhalb des Sickerschachtes eine Holzstiege zur Verbindung von Stall und Stadel errichtet.
[7] Ein Hochwasser im Jahr 1987 zerstörte das Gebäude des Beklagten; vom Gebäude des Klägers blieben die Mauern stehen. Mit Unterstützung des Amtes der Tiroler Landesregierung, das die Pläne für den Wiederaufbau kostenlos erstellte, wurden die Gebäude – des Beklagten zur Gänze, jenes des Klägers teilweise – als Garagen neu errichtet. Die Gebäude wurden im Vergleich zu den Altbeständen um etwa 2 m in Richtung Westen verlängert. Außerdem kam es ungewollt zu der heute bestehenden Verschiebung der ostseitigen Mauer des Gebäudes des Beklagten in Richtung des Grundstücks 8958 des Klägers. Dies war nach den Plänen nicht vorgesehen. Dass bei der Bauausführung eine Überbauung der östlichen Grenze des Grundstücks .1160/2 erfolgte, war den damaligen Eigentümern der Grundstücke, dem Kläger und dem Rechtsvorgänger des Beklagten, nicht bewusst. Grund dafür war entweder ein Vermessungsfehler oder das Unterlassen einer Vermessung.
[8] Der Umstand, dass der Wiederaufbau zu einem Grenzüberbau führte, fiel dem Kläger und dem Rechtsvorgänger des Beklagten damals nicht auf. Im Jahr 1991 wurde das Grundstück in den Grenzkataster aufgenommen, ohne dass der Überbau hervorgekommen und die fehlende Übereinstimmung von Natur- und Katastergrenze aufgefallen wäre.
[9] Im Zug von Abrissarbeiten an seinem Gebäude im Jahr 2007 erkannte der Kläger erstmals, dass die ostseitige Mauer des Gebäudes des Beklagten nicht in der früheren Gebäudeflucht, sondern etwa einen Meter weiter in Richtung Osten aufgeführt war und das Gebäude des Beklagten daher in sein Grundstück hineinragte. Eine vom Kläger im Jahr 2012 veranlasste Vermessung erbrachte dann das genaue Ausmaß des Überbaus.
[10] Als der Kläger den Überbau erkannte, war das nachbarschaftliche Verhältnis noch ungetrübt. Der Kläger hat daher den Rückbau nicht gefordert. Erst 2017, nachdem sich das Verhältnis der Streitteile zusehends verschlechtert hatte, entschied sich der Kläger zur Klage. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu den jeweiligen Überlegungen und Motiven des Klägers, hat der Kläger in seiner Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Beweisrüge aus rechtlichen Gründen nicht auseinandergesetzt. Gleiches gilt für die Mängel- und Beweisrüge in Bezug auf die festgestellten Wertverhältnisse.
[11] Der Kläger begehrte, den Beklagten zur Unterlassung von Eingriffen in das Grundstück 8958 und zur Beseitigung des Überbaus zu verpflichten.
[12] Der Beklagte wandte ein, er habe das Grundstück .1160/2 mit Kaufvertrag vom 8. 5. 2007 in den derzeit in der Natur feststellbaren Grenzen und mit der Garage, wie sie an das Grundstück des Klägers grenze, erworben. Wenn das Gebäude des Beklagten geringfügig in das Nachbargrundstück des Klägers rage, so hätten die Rechtsvorgänger des Beklagten die betroffene Fläche bereits vor der Aufnahme der Grundstücke in den Grenzkataster ersessen. Im Übrigen hätte der Kläger von dem behaupteten Überbau und der Bauführung gewusst und den redlichen Rechtsvorgängern des Beklagten die Bauführung nicht zeitgerecht untersagt. Dem Kläger stehe daher lediglich ein Wertersatz nach § 418 ABGB zu. Wenn weder Ersitzung noch Eigentumserwerb nach § 418 ABGB anzunehmen seien, sei dem Beklagten durch schlüssige Vereinbarung eine Dienstbarkeit oder wenigstens ein obligatorisches Recht zur Nutzung des Grundstückstreifens durch Überbau eingeräumt worden. Das Begehren auf Rückbau verstoße außerdem gegen das Schikaneverbot.
[13] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[14] Für die vom Beklagten behauptete Ersitzung der Überbaufläche noch vor Erfassung der Grundstücke im Grenzkataster fehle es für den nach dem Hochwasser errichteten Bestand an der Ersitzungszeit. Der Grenzüberbau sei jedoch in Relation zum Gebäude und zum bebauten Grundstücksteil des Klägers geringfügig. Der Rechtsvorgänger des Beklagten habe daher durch die Bauführung analog § 416 ABGB das originäre Eigentum an der überbauten Fläche erworben. Wäre dieser Eigentumserwerb des Rechtsvorgängers des Beklagten nach § 416 ABGB nicht zu bejahen, wäre das Beseitigungsbegehren des Klägers auch wegen des Verbots der schikanösen Rechtsausübung abzuweisen.
[15] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichts ab und gab der Klage statt.
[16] Die Bauführung teils auf eigenem, teils auf fremdem Grund (Grenzüberbau) werde von der herrschenden Ansicht nach § 418 Satz 3 ABGB gelöst. Voraussetzung für den originären Eigentumserwerb nach dieser Bestimmung sei, dass der Grundeigentümer vom Überbau wisse, er diesen aber vorwerfbar nicht untersagt habe, sich also verschweige, und der Bauführer redlich sei. Der Kläger habe erst im Jahr 2007 erkannt, dass das Gebäude des Beklagten teilweise in sein Grundstück hineinragt. Zum Zeitpunkt der Bauführung habe er somit keine Kenntnis von der Bauführung auf seiner Liegenschaft gehabt. Die Überbauung sei entweder auf einen Vermessungsfehler oder auf das Unterlassen einer Vermessung überhaupt zurückzuführen gewesen, was impliziere, dass die Rechtsvorgänger des Beklagten vor der Bauführung den Grenzverlauf ungeachtet dessen, dass diese an der Grundgrenze erfolgt, nicht ermittelt haben. Dieser Umstand beseitige deren Redlichkeit. Es lägen daher beide Voraussetzungen für einen originären Eigentumserwerb nach § 418 Satz 3 ABGB nicht vor.
[17] Ein Eigentumserwerb selbst eines unredlichen Bauführers in analoger Anwendung des § 416 ABGB komme nur bei einem geringfügigen Eigengrenzüberbau in Betracht. Hier liege jedoch kein Eigengrenzüberbau vor. Bei Inanspruchnahme von 10 m2 sei ein Überbau auch nicht mehr nur geringfügig.
[18] Die auf § 523 ABGB gestützte Klage sei auch kein Rechtsmissbrauch. Bei einem nur geringfügigen Grenzüberbau könne der Schikaneeinwand des Bauführers zwar berechtigt sein, wenn eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliege, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abziele und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund treten. Das Begehren auf Räumung einer vom Nachbarn beanspruchten, 10 m2 großen Grundfläche könne aber nicht als schikanös bezeichnet werden. Ungeachtet dessen, dass die Klage (auch) darauf beruhen möge, dass sich das Verhältnis der Streitteile als Nachbarn im Lauf der Zeit verschlechtert habe, müsse dem Kläger trotz dieser Motivlage zugestanden werden, einen Eigentumseingriff in diesem Ausmaß abzuwehren.
[19] Wenn ein Eigentumseingriff feststehe, sei der Beklagte für den Wegfall der Wiederholungsgefahr behauptungs- und beweispflichtig. Dieser Beweispflicht sei der Beklagte im Hinblick auf die hiezu getroffene Negativfeststellung nicht nachgekommen. Sowohl das Beseitigungs- als auch das Unterlassungsbegehren seien daher berechtigt.
[20] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu. Die Rechtsprechung, wonach die analoge Anwendung des § 416 ABGB nur bei einem „Eigengrenzüberbau“ in Betracht komme, sei noch nicht gesichert.
[21] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich dieRevision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.Erbeantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[22] Der Kläger beantragt in seinerRevisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[23] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[24] 1.1. Nach § 418 Satz 3 ABGB kann der Grundeigentümer nur den gemeinen Wert für den Grund fordern, wenn er von der Bauführung gewusst und sie nicht zugleich dem redlichen Bauführer untersagt hat. Der Bauführer erwirbt also ausnahmsweise kraft Gesetzes durch die Bauführung mit eigenem Material auf fremdem Grund außerbücherliches Eigentum am Bauwerk und der für das Bauwerk und dessen Benützung unentbehrlichen Grundfläche (RIS‑Justiz RS0011104; RS0011092). Die Bestimmungist (auch)auf einen Grenzüberbau anwendbar (8 Ob 11/12v; RS0012742).
[25] 1.2. Erste Voraussetzung für einen Eigentumserwerb nach § 418 Satz 3 ABGB ist die Redlichkeit des Bauführers, die dieser zu beweisen hat (RS0103699 [T4]). Redlicher Bauführer ist, wer im Zeitpunkt der Bauführung aus plausiblen Gründen a) über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Grund irren durfte oder b) aufgrund irgendwelcher Umstände angenommen hat und auch annehmen durfte, dass ihm der Bau vom Eigentümer gestattet worden sei (RS0103699). Zweite Voraussetzung ist, dass der Liegenschaftseigentümer von der Bauführung auf seinem Grund (oder der diesbezüglichen Absicht) weiß, sie aber vorwerfbar – zumindest leicht fahrlässig – nicht untersagt (RS0011074; RS0011088; RS0011121).
[26] 1.3. Ob diese Voraussetzungen des § 418 Satz 3 ABGB erfüllt sind, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und wirft damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0103699 [T5]; RS0011074 [T7]; RS0011088 [T5]).
[27] 1.4. Eine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, die zur Wahrung der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifen wäre, liegt nicht vor.
[28] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der dem Beklagten zuzurechnende Umstand, dass die Rechtsvorgänger des Beklagten trotz der Bauführung an der Grundgrenze auf die Einhaltung des aus den öffentlichen Aufzeichnungen zu entnehmenden Grenzverlaufs und der diesem entsprechenden Baupläne nicht geachtet haben, beseitige deren Redlichkeit, findet in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Deckung (vgl RS0011067; RS0103701). An die Aufmerksamkeit des Bauführers ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an die Aufmerksamkeit desjenigen, in dessen Eigentum durch die Bauführung eingegriffen wird (RS0103699 [T6]).
[29] Der Eigentumserwerb nach § 418 Satz 3 ABGB muss zudem schon daran scheitern, dass dem Kläger dieInanspruchnahme seines Grundstücks durch die Bauführung gerade nicht bekannt war. Dieser außerbücherliche Eigentumserwerb an der Baufläche setzt ja in der Regel voraus, dass der Grundeigentümer vom Bau auf seinem Grund weiß und ihn vorwerfbar dennoch nicht untersagt, sich also verschweigt (3 Ob 216/15h). Das rechtlich entscheidende Moment für den originären Eigentumserwerb ist, dass der Bauführer redlich und der Grundeigentümer insoweit unredlich ist, als er den Bauführer bauen lässt, obwohl er weiß, dass dieser auf fremdem Grund baut und zusieht, wie dem Bauführer aus Unkenntnis dieses Rechts Vermögensnachteile zu erwachsen drohen. Es handelt sich also um eine Sanktion für unredliches Verhalten (2 Ob 94/12f; RS0011074). Erlangt der Grundeigentümer – wie hier – erst Jahre nach Abschluss der Bauführung Kenntnis davon, dass das Bauwerk teils auf seinem Grund gebaut wurde, führt der Umstand, dass er nicht sogleich die Beseitigung des Überbaus fordert, zu keinem Eigentumserwerb des Bauführers nach § 418 Satz 3 ABGB.
[30] 2.1. Kommt § 418 Satz 3 ABGB nicht zur Anwendung, sind nach herrschender Auffassung der Lehre die §§ 415 f ABGB analog anzuwenden. Bei einer nur geringwertigen in Anspruch genommenen Fläche des Nachbarn soll daher analog § 416 ABGB Alleineigentum des Bauführers verbunden mit der entsprechenden Ausgleichspflicht entstehen (statt vieler Müller in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 § 418 ABGB Rz 14 mwN).
[31] 2.2. Der Oberste Gerichtshof ist dieser Auffassung der Lehre nur in Bezug auf Eigengrenzüberbauten gefolgt (4 Ob 266/97i; 10 Ob 18/05b; RS0108464). Für den Fall eines Grenzüberbaus von Liegenschaften, die verschiedenen Eigentümern gehören, lehnte der Oberste Gerichtshof die analoge Anwendung des § 416 ABGB hingegen ausdrücklich ab (6 Ob 167/10t).
[32] 2.3. Das Berufungsgericht ist der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs gefolgt, sah die Rechtsprechung dazu aber nicht als gesichert an und ließ die Revision aus diesem Grund zu. Tatsächlich liegt mit 6 Ob 167/10t erst eine grundlegende Entscheidung zum Grenzüberbau bei Eigentümerverschiedenheitvor. Diese Entscheidung ist zudem in der Lehre auf Kritik gestoßen, insbesondere weil der Oberste Gerichtshof nicht zwischen der vorgelagerten Frage der sachenrechtlichen Zuordnung und der nachgelagerten Frage eines Beseitigungsanspruchs gegen einen unredlichen Bauführer differenziert habe (wiederum statt vieler Müller in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar5 § 418 ABGB Rz 14 mwN).
[33] 2.4. Erklärt das Berufungsgericht die Revision mit konkreter Begründung zutreffend für zulässig, reicht es zwar, wenn der Revisionswerber dieser Begründung beitritt, er muss aber zur maßgeblichen Rechtsfrage inhaltlich Ausführungen erstatten, sich also konkret mit der Entscheidung des Berufungsgerichts juristisch auseinandersetzen (6 Ob 113/20s; RS0102059 [T21]). Diesen Voraussetzungen entspricht die Revision des Beklagten in Bezug auf die Frage der analogen Anwendbarkeit des § 416 ABGB nicht. Der Beklagte bestreitet nicht die Richtigkeit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, sondern deren Anwendbarkeit auf den hier zu beurteilenden Fall. Im Unterschied zu dem der Entscheidung 6 Ob 167/10t zugrunde liegenden Sachverhalt stehe hier nämlich die Schlechtgläubigkeit der Rechtsvorgänger des Beklagten nicht fest. Auf Basis des festgestellten Sachverhalts und den daraus vom Berufungsgericht gezogenen und – wie gezeigt – nicht zu beanstandenden Schlussfolgerungen zur Unredlichkeit der Rechtsvorgänger des Beklagten geht dieses Argument aber von vornherein ins Leere. Angesichts der ausschließlichen Berufung auf diese Behauptung hat der Beklagte die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts genau genommen in keinem Punkt ausgehend von den Urteilsfeststellungen bekämpft (RS0042648 [T4]). Mit der grundsätzlichen Kritik der Lehre an der Entscheidung 6 Ob 167/10t setzt sich der Beklagte mit keinem Wort auseinander. Da die Revision die Rechtsansicht des Berufungsgerichts somit nicht ausreichend konkret bekämpft, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, die Rechtsansicht des Berufungsgerichts dazu unter dem Aspekt der Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage zu überprüfen (RS0102181 [T17]; vgl RS0043654 [T6, T14]).
[34] 3.1. Das Recht des Grundstückseigentümers wird durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt (RS0010395). Rechtsmissbrauch (Schikane) ist nicht erst dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund steht und andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, oder wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Missverhältnis besteht (RS0026265; RS0025230).
[35] 3.2. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei einem geringfügigen Grenzüberbau der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein kann, wenn eine Verhaltensweise des Grundnachbarn vorliegt, die weit überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt (RS0115858).
[36] 3.3. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]).
[37] 3.4. Eine Fehlbeurteilung, die zur Wahrung der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifen wäre, ist dem Berufungsgericht (auch insoweit) nicht unterlaufen.
[38] Der Oberste Gerichtshof hat in der Vergangenheit wiederholt Begehren auf Beseitigung bloß geringfügiger Grenzüberbauten als rechtsmissbräuchlich qualifiziert, deren Gesamtausmaß aber jeweils 5 m² nicht überstieg(9 Ob 32/02z; 8 Ob 39/09g; 3 Ob 216/15h; 5 Ob 165/19d). Es ist zwar richtig, dass es bei der Beurteilung der Geringfügigkeit eines Eigentumseingriffs, die auf das Überwiegender Schädigungsabsicht des Bauführers schließen lässt, keine starre Grenze für das Ausmaß der überbauten Fläche geben kann, es vielmehr auch insoweit auf die konkreten Umstände ankommt. Das ändert aber nichts daran, dass sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Begehren auf Beseitigung eines eine 10 m2 große Grundfläche beanspruchenden Überbaus sei wegen des erheblichen Ausmaßes des Eigentumseingriffs nicht als schikanös anzusehen, damit im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hält.
[39] Im Allgemeinen geben selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil diesem grundsätzlich zugestanden werden kann, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0026205 [T9]; RS0026271 [T26]). Der hier zu beurteilende Grenzüberbau betrifft zwar ein Grundstück im Ausmaß von 6.292 m², das als landwirtschaftliche Fläche genutzt wird. Der Grenzüberbau befindet sich aber gerade in dem Bereich, der als Zufahrt zu diesen landwirtschaftlichen Flächen genutzt und in der Natur durch das Gebäude des Beklagten und den gegenüberliegenden Hang räumlich begrenzt wird. Der Überbau schränkt daher die Nutzung dieser Fläche als Weg ein. Besteht ein begründetes Interesse des Rechtsausübenden, einen seinem Recht entsprechenden Zustand herzustellen, so wird die Rechtsausübung nicht dadurch zu einer missbräuchlichen, dass der sein Recht Ausübende unter anderem auch die Absicht verfolgt, mit der Rechtsausübung dem anderen Schaden zuzufügen (RS0026271).
[40] 4. Macht das Rechtsmittel nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, so ist das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof trotz Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen (RS0102059; RS0048272).
[41] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel des Beklagten nicht zulässig ist. Dieser Schriftsatz diente daher der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, sodass er Anspruch auf Ersatz der darauf entfallenden Kosten hat.
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