BVwG W270 2170897-1

BVwGW270 2170897-117.7.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W270.2170897.1.00

 

Spruch:

W270 2170897-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") stellte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

2. Bei seiner Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.11.2015 gab er befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass er seine Heimat aufgrund der schlechten Sicherheitslage und des Krieges verlassen habe. Es sei ihm außerdem nicht möglich gewesen, eine Ausbildung zu machen.

 

3. Am 12.06.2017 übermittelte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seiner Integration.

 

4. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 26.07.2017 gab der Beschwerdeführer zu den Gründen für seine Asylantragstellung befragt im Wesentlichen zusammengefasst an, dass die Taliban in seinem Ort gewesen wären und ihn ein paar Mal mitgenommen hätten. Sie seien von den Taliban unterrichtet worden und hätten für diese kochen müssen. Außerdem hätten die Taliban ihnen gesagt, dass sie am Krieg teilnehmen müssten. Da der Beschwerdeführer damit nicht einverstanden gewesen sei, sei er auch geschlagen worden. Eines Tages sei der Beschwerdeführer von den Taliban zu einem Berg gebracht und nochmals zur Teilnahme am Krieg aufgefordert worden. Nach Rückkehr in das Heimatdorf des Beschwerdeführers sei er nach Hause gegangen und habe seinem Vater alles erzählt. Dann habe der Beschwerdeführer selbst mit einem Schlepper gesprochen, sein Vater habe ihn finanziell unterstützt. In der Nacht habe er dann das Dorf verlassen und sei geflüchtet.

 

5. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) mit Bescheid vom 24.08.2017 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III. und IV.).

 

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung bezogen auf seinen Heimatstaat Afghanistan nicht glaubhaft machen konnte. Als jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der überdies über ein familiäres Netz in der Heimatprovinz verfüge, sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Herat auch zumutbar.

 

6. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde insbesondere eine unzureichende Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts durch die belangte Behörde moniert und weitere Beweismittel zur Gefahr einer Zwangsrekrutierung sowie zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan sowie der Provinz Herat vorgelegt.

 

7. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

 

8. Am 29.05.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen, einer möglichen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowie seinem Leben in Österreich einvernommen wurde und weitere Urkunden u.a. zur Integration und seinem Gesundheitszustand vorlegte. Von Seiten des erkennenden Gerichtes wurden weitere länderkundliche und sonstige Informationen in das Verfahren eingeführt.

 

9. Mit Parteiengehör vom 19.06.2019, dem Beschwerdeführer zugestellt am 24.06.2019, wurden diesem weitere Länderinformationen betreffend seinen Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.

 

10. Mit Schriftsatz vom 08.07.2019 nahm der Beschwerdeführer zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:

 

1.1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen " XXXX " und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde dort am XXXX in der Provinz Herat, im Distrikt Pashtun Zarghun, im Dorf " XXXX " geboren und ist dort auch aufgewachsen.

 

1.1.1.2. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Neben dieser hat er auch noch Kenntnisse der Sprachen Farsi und Deutsch. Diese Sprachen kann der Beschwerdeführer weder lesen noch schreiben.

 

1.1.2. Volksgruppe und Religion:

 

Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

 

1.1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:

 

1.1.3.1. Die Familie des Beschwerdeführers reiste nach einer Auseinandersetzung aufgrund eines abgelehnten Heiratsantrages zwischen den Brüdern des Beschwerdeführers und dessen Cousin, bei welcher der Cousin verletzt wurde, ungefähr im August bzw. September 2018, in den Iran aus.

 

1.1.3.2. Die Familie des Beschwerdeführers verfügte in Afghanistan über landwirtschaftliche Grundstücke. Diese wurden bei der Ausreise der Familie in den Iran an den Onkel väterlicherseits übergeben.

 

1.1.3.3. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie regelmäßig telefonisch in Kontakt.

 

1.1.4. Ausbildung und Berufserfahrung:

 

1.1.4.1. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan lediglich ein Jahr lang eine Koranschule besucht und diese dann auf eigenen Wunsch verlassen.

 

1.1.4.2. Er arbeitete stattdessen im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Familie.

 

1.1.5. Gesundheitszustand:

 

1.1.5.1. Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung mit Angst und gemischt mit einer depressiven Reaktion.

 

1.1.5.2. Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit aufgrund dieser psychischen Erkrankung sowohl in psychiatrischer, als auch psychotherapeutischer Behandlung. Überdies nimmt er zur Behandlung die Medikamente "Trittico", "Sertralin" und "Artarax" ein.

 

1.1.6. Ausreise aus Afghanistan und Antragstellung in Österreich:

 

Der Beschwerdeführer reiste ungefähr im Oktober 2015 aus Afghanistan aus und stellte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde nicht persönlich von den Taliban bedroht und es wurden auch keine sonstigen Handlungen oder Maßnahmen von Mitgliedern dieser Gruppierung gegen ihn gesetzt. Die Taliban unternahmen gegenüber dem Beschwerdeführer keinen Versuch, diesen unter Einsatz von Zwang für ihren Kampf gegen die afghanische Regierung zu rekrutierten.

 

1.2.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers ein Mitglied der Taliban ist.

 

1.2.3. Die Familie des Beschwerdeführers wurde - insbesondere nicht von den Taliban -bedroht und es wurden auch keine sonstigen Handlungen oder Maßnahmen gegen diese gesetzt.

 

1.2.4. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurde er wegen seiner Nationalität, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung oder seinem Bekenntnis zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen ihn gesetzt.

 

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

 

1.3.1. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich in einer Unterkunft in Salzburg.

 

1.3.2. In Österreich leben weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige des Beschwerdeführers. Er selbst ist ledig.

 

1.3.3. Der Beschwerdeführer hat einen Alphabetisierungskurs sowie einen Deutschsprachkurs für das Sprachniveau A1 besucht. Er ist in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis in deutscher Sprache zu kommunizieren. Der Beschwerdeführer nimmt seit 24.04.2019 am Projekt " XXXX " teil. Bei diesem erlernt der Beschwerdeführer die Inhalte des ersten Lehrjahres des Berufs "Metalltechniker". Ziel des Projekts ist die Vorbereitung des jeweiligen Teilnehmers auf eine erfolgreiche Integration in der Berufswelt, vorzugsweise durch Aufnahme eines regulären Lehrverhältnisses. Davor absolvierte er den Kurs " XXXX " am BFI XXXX . Von 18.03.2019 bis 22.03.2019 die Veranstaltung " XXXX " des WIFI XXXX sowie von 11.03.2019 bis 19.04.2019 die Dialogreihe " XXXX " des XXXX besucht. Von 10.07.2018 bis 12.07.2018 absolvierte der Beschwerdeführer den Kurs " XXXX " beim Arbeiter-Samariter-Bund Österreich.

 

Nicht zuletzt ist der Beschwerdeführer ehrenamtlich für das Magistrat XXXX tätig, zum einen in dem Seniorenwohnhaus XXXX und zum anderen in der Magistratsabteilung XXXX .

 

1.3.4. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball mit Österreichern und auch Afghanen oder er geht spazieren.

 

1.3.5. Seine österreichischen Kontaktpersonen sind " XXXX " und " XXXX " und seine Lehrerin.

 

1.3.6. Sein soziales Umfeld beschreibt den Beschwerdeführer als interessierten, jungen Mann.

 

1.3.7. Er ist in Österreich nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügt er über keine Einstellzusage.

 

1.3.8. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

 

1.4. Zur persönliche Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

Für den Beschwerdeführer besteht die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe zu beziehen:

 

Von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2019 implementiert die Internationale Organisation für Migration (IOM), Landesbüro für Österreich, das Projekt "RESTART II - Reintegrations-unterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran". Das Projekt wird durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert.

 

Im Rahmen des Projekts können Drittstaatsangehörige bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Islamische Republiken Afghanistan und Iran sowie bei ihrer nachhaltigen Reintegration im jeweiligen Herkunftsland unterstützt werden.

 

Das Projekt sieht die Teilnahme von 490 Personen vor. Pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen.

 

Die Maßnahmen, die die Rückkehrer/innen bei ihren Reintegrationsbemühungen unterstützen, werden gemeinsam mit den Teilnehmer/innen erarbeitet und sind auf deren individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt.

 

IOM setzt im Rahmen des Projekts folgende Maßnahmen um:

 

Rückkehrunterstützung

 

* Informationsgespräche vor der Abreise in Österreich;

 

* Möglichkeit der Erhebung der familiären Situation im Rückkehrland im Falle der Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen;

 

* Logistische Organisation der Reise (inklusive Kauf des Flugtickets);

 

* Unterstützung bei der Abreise am Flughafen Wien Schwechat;

 

* Empfang und Unterstützung bei der Ankunft sowie Organisation der Weiterreise zum endgültigen Zielort in Afghanistan und der Islamischen Republik Iran;

 

* Temporäre Unterkunft nach der Ankunft im Rückkehrland.

 

Reintegrationsunterstützung

 

* Beratung der Projektteilnehmer/innen nach der Rückkehr bezüglich ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, ihres Ausbildungs- und beruflichen Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation;

 

* Finanzielle Unterstützung in Form von Bargeld: EUR 500,- für jede/n Projektteilnehmer/in, um die dringendsten Bedürfnisse direkt nach der freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abzudecken;

 

* Unterstützung in Form von Sachleistungen wie

 

* Unterstützung bei Gründung von oder Beteiligung an einem Unternehmen (z.B. Kauf von Ausstattung, Waren);

 

* Aus- und Weiterbildung;

 

* Unterkunft;

 

* Unterstützung für Kinder;

 

* Medizinische Unterstützung

 

* Leitfaden zur Unternehmensgründung und Weitervermittlung zu kostenlosen Business Trainings.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

1.5.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

 

Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

 

Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren.

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.612 registrierten zivilen Opfer (440 Tote und 1.172 Verletzte). Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen.

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen. Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden.

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019 [in Folge: "LIB"], Pkt. 3. "Sicherheitslage")

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Allgemeines

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene:

das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten:

Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

 

(Auszüge aus dem LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

 

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

 

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

 

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")

 

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

 

Im Zeitraum 2011 - 2014 wurde die Verantwortung für die Sicherheitsoperationen in Afghanistan schrittweise auf die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übertragen. Die ANSF setzt sich aus staatlichen Sicherheitskräften zusammen, darunter die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Luftwaffe (AAF), die afghanische Nationalpolizei (ANP), die afghanische lokale Polizei (ALP) und das National Directorate for Security (NDS), welches als Geheimdienst fungiert.

 

Die Wirksamkeit der afghanischen Streitkräfte hängt nach wie vor von der internationalen Unterstützung ab, um die Kontrolle über das Territorium zu sichern und zu behalten und die operative Kapazität zu unterstützen.

 

Die Polizeipräsenz ist auch in den Städten stärker und die Polizeibeamten sind verpflichtet, Richtlinien wie den ANP-Verhaltenskodex und die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt einzuhalten. Die Reaktion der Polizei wird jedoch als unzuverlässig und inkonsistent bezeichnet, die Polizei hat eine schwache Ermittlungskapazität, es fehlt an forensischer Ausbildung und technischem Wissen. Der Polizei wird auch weit verbreitete Korruption, Gönnerschaft und Machtmissbrauch vorgeworfen:

Einzelpersonen in den Institutionen können ihre Machtposition missbrauchen und Erpressung zur Ergänzung ihres niedrigen Einkommens einsetzen. Es kam weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Polizei, und Folter ist bei der Polizei endemisch. Untätigkeit, Inkompetenz, Straffreiheit und Korruption führen zu Leistungsschwächen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], des European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], abrufbar unter:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , abgerufen am 08.07.2019, S. 95f mit Verweis auf weitere Quellen)

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden. Fehlende Regelungen zur Entschädigung von Folteropfern wurden im August 2017 durch ein entsprechendes Addendum ergänzt.

 

Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten. Personen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts festgenommen wurden, werden insbesondere während des ersten Verhörs gefoltert, um Geständnisse zu erhalten.

 

Im Zuge einer Befragung gaben für den Zeitraum 1.1.2015 - 31.12.2016 181 (39%) von 469 befragten Personen an, von den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) gefoltert worden zu sein. Auch 38 (45%) von 85 befragten Kinder gaben an im Berichtszeitraum Opfer von Folter oder Missbräuchen geworden zu sein. Die meisten Misshandlungen fanden unter der Obhut des National Directorate of Security (NDS) und der afghanischen Nationalpolizei statt (ANP).

 

Zwei Jahre nach der Verlautbarung des Nationalplans von 2015 zur Eliminierung der Folter durch die afghanische Regierung, hat diese einige dauerhafte Fortschritte gemacht, insbesondere auf der Gesetzesebene. Zahlreiche im Nationalplan eingegangene Hauptverpflichtungen wurden jedoch nur teilweise verwirklicht

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 6. "Folter und unmenschliche Behandlung durch den afghanischen Staat")

 

Binnenflüchtlinge

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder.

 

Größtenteils stammen IDPs aus unsicheren ländlichen Gebieten und kleinen Städten und suchen relativ bessere Bedingungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten, was zu weiterem Druck auf bereits überlastete Dienstleistungen und Infrastrukturen führt.

 

Die Binnenflüchtlinge leben mehrheitlich in prekären Bedingungen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Ein Großteil ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, für welche es jedoch lediglich einen begrenzten Zugang gibt. Aufgrund des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um den Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 20.

"Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge")

 

1.5.2. Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist HeratStadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken.

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden. Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten.

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat.

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen. Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen. Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat.

 

Die Provinz ist u.a. als ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern.

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

 

Militärische Operationen in Herat

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 3.13. "Herat")

 

Die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen in Herat-Stadt hat sich im Zeitraum 2010-2017 nicht linear entwickelt. Gemäß den Daten der Global Terrorism Database (GTD) und des UCDP Georeferenced Event Dataset (UCDP GED) (detailliertere Beschreibung der Begriffsdefinitionen und Vorgangsweise bei der Datensammlung s. Einzelquellen, Anm.), fanden die meisten Vorfälle im Jahr 2014 (UCDP GED) bzw. 2015 (GTD) statt. 2016 und 2017 ist die Anzahl an erfassten Ereignissen wieder gesunken.

 

Gemäß UCDP GED und GTD lag die Anzahl der Todesopfer bei erfassten sicherheitsrelevanten Vorfällen in Herat-Stadt 2017 höher als in den übrigen erfassten Jahren. Auffällig viele Verletzte gab es gemäß GTD bei Terroranschlägen in Herat-Stadt im Jahr 2015. In diesem Jahr wurden laut GTD über 400 Personen bei erfassten terroristischen Vorfällen verletzt. 2017 erreichte diese Zahl mit 105 Verletzten ebenfalls ein höheres Niveau als in den Jahren 2010-2014 bzw. 2016. ACLED erfasste 2017 89 Todesopfer bei sicherheitsrelevanten Vorfällen in Herat-Stadt; 2018 (bis einschließlich 6.10.) waren es

9.

 

Daten von GTD verdeutlichen, dass Militär, Polizei und Regierungseinrichtungen wie zum Beispiel Behörden und Regierungsgebäude im gesamten Untersuchungszeitraum bedeutsame Angriffsziele für Aufständische waren. 2015 und 2016 fanden vermehrt Anschläge statt, welche Bürger und Privateigentum zum Ziel hatten. 2017 waren religiöse Einrichtungen und Persönlichkeiten häufigstes Angriffsziel der erfassten Anschläge.

 

Gemäß United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) waren unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (improvised explosive devices (IEDs)) in den ersten drei Quartalen des Jahres 2018 Ursache für beinahe die Hälfte der zivilen Opfer konfliktbezogener Gewalt in Afghanistan. Der unvorhersehbare Charakter dieser Art der Anschläge, welche oftmals weit entfernt vom eigentlichen Kampfgeschehen in von Zivilisten bewohnten Gebieten stattfinden, führt gemäß UNAMA dazu, dass gewöhnliche Afghanen in ständiger Angst vor dem nächsten Anschlag leben müssen und beeinträchtigt ihre Möglichkeiten, ein normales Leben zu führen, erheblich.

 

(Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Sicherheitslage Herat-Stadt im Zeitraum 2010-2018" vom 09.11.2018)

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle im Distrikt Herat im Jahr 2019

 

* Am 20. Mai wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Talibankämpfern überfallen und getötet.

 

* Am 16. Mai wurde im Viertel Shadaie der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Talibankämpfern getötet.

 

* Am 19. April wurden bei Explosionen in der Stadt Herat drei Offiziere der Nationalen Sicherheitsdirektion getötet und zwei weitere verwundet. Durchgeführt wurden die Anschläge von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern.

 

* Am 11. Mai 2019 wird berichtet, dass auf der Autobahn zwischen Herat und Kandahar vier Taliban-Kämpfer getötet, zwei verwundet und sechs Minen von afghanischen Polizeikräften entschärft wurden. Ein ident klingender Vorfall ereignete sich den ACLED-Daten zufolge, am 12. April, als wiederum vier Taliban-Kämpfer getötet, zwei weitere verletzt und sechs Minen durch afghanische Streitkräfte in Herat entschärft wurden.

 

* ACLED bestätigte auf Rückfrage, dass es sich bei diesem Vorfall und jenem am 11. Mai 2019 tatsächlich um zwei verschiedene Vorfälle handle.

 

* Am 31. März wurden bei Zusammenstößen im vierten Polizeidistrikt der Stadt Herat zwei afghanische Soldaten getötet und ein Taliban-Kämpfer verwundet.

 

* Am 28. März wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet.

 

* Am 19. März wurde im neunten Polizeibezirk der Stadt Herat bei einer USBV-Explosion ein(e) ZivilistIn getötet und sechs weitere verwundet. Der Anschlag wurde von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern durchgeführt.

 

* Am 19. März 2019 kamen bei einer Bombenexplosion durch Taliban-Kämpfer 2 afghanische Soldaten in Herat ums Leben.

 

* Wie am 12. März berichtet wurde, wurde im Viertel Sheidaie der Stadt Herat ein Soldat von einem Scharfschützen getötet.

 

* Am 11. März wurde im Gebiet Jebraiel Killi des Distrikts Injil bei einem Angriff auf einen Kontrollposten durch Taliban-Kämpfer ein "Arbaki" getötet.

 

* Am 10. März wurden in der Stadt Herat durch die Explosion einer Magnetbombe fünf Menschen verwundet. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag.

 

* Am 9. März wurde in der Stadt Herat ein Stammesältester von zwei nicht identifizierten Bewaffneten erschossen.

 

* Wie am 4. März berichtet wurde, wurde im fünften Polizeibezirk der Stadt Herat ein nicht identifizierter bewaffneter Kämpfer von der afghanischen Polizei getötet.

 

* Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Polizist von nicht identifizierten Bewaffneten getötet. Einer der Angreifer wurde später festgenommen.

 

* Am 23. Februar wurde in der Stadt Herat ein afghanischer Soldat von Taliban-Kämpfern getötet und ein weiterer verwundet.

 

* Ein Zivilist wurde am 16. Februar 2019 von nicht identifizierten bewaffneten Kämpfern in Herat getötet.

 

* Am 30. Januar wurden im Gebiet Spina Ada in der Stadt Herat bei einer Minenexplosion, für die Taliban-Kämpfer verantwortlich waren, zwei afghanische Soldaten getötet und ein weiterer verwundet.

 

* Am 13. Januar wurde berichtet, dass bei einem Angriff im Pul-e-Rangina-Gebiet des sechsten Polizeibezirkes der Stadt Herat ein Taliban-Kämpfer, drei afghanische Polizisten und zwei ZivilistInnen getötet wurden. Während der Zusammenstöße wurde von afghanischen Spezialeinheiten eine Autobombe entschärft.

 

* Am 12. Januar 2019 stürmten Taliban-Kämpfer eine Polizeistation im Pul-e-Rangina-Gebiet des sechsten Polizeibezirks der Stadt Herat. Dabei wurden drei Polizisten, zwei Zivilisten und ein Taliban-Kämpfer getötet, drei weitere Polizisten wurden verwundet.

 

* Am 4. Januar 2019 wurde ein afghanischer Soldat in der Stadt Herat von Taliban-Kämpfern getötet.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem ACCORD-Bericht Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 29.05.2019)

 

Erreichbarkeit

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich ungefähr 18,5 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet. Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen, von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen.

 

Das Befahren der Straßen vom Flughafen in die Stadt Herat bei Tageslicht als allgemein sicher.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit" sowie EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 102)

 

Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers im Jahr 2015

 

Das private Sicherheitsunternehmen Edinburgh International (EI) verwendet regelmäßig die Bezeichnung "geringe Gewalt", um die Situation im ländlichen Herat zu beurteilen, einschließlich "kleiner Zusammenstöße" und "sporadischer IED-Aktivitäten". Insbesondere im Januar 2015 blieb die aufständische Aktivität gering und beschränkte sich hauptsächlich auf aufständische Krisenherde wie Shindand, Adraskan oder Kushke Kohna, wo sich Militante als fähig erwiesen haben, niedere IED- und Kontrollpunktüberfälle auf niedrigem Niveau aufrechtzuerhalten. Im Februar 2015 nahmen die aufständischen Angriffe in Adraskan, Obe und Kushke Kohna wieder zu, und in fast allen Fällen handelte es sich um Überfälle auf Polizeifahrzeuge oder anderes Sicherheitspersonal.

 

EI berichtete, dass Anfang 2015 die bewaffnete Gewalt in den Dörfern um die Hauptstadt herum zunahm, wenn auch nicht unbedingt aufständischen Ursprungs. Ende Februar 2015 berichtete Tolo News über eine Welle der Gewalt in der Stadt Herat in den drei Vormonaten und behauptete, dass in den letzten 45 Tagen 60 Menschen an Waffengewalt gestorben seien, ohne zwischen verbrecherischer und konfliktbezogener Gewalt zu unterscheiden. Im Februar 2015 ging ein mit Sprengstoffen beladenes Fahrrad in der Nähe einer Tankstelle in der Stadt Herat los und verletzte ein Kind. In der Nähe von Herat sprengte sich ein Selbstmordattentäter, der von Sicherheitspersonal verfolgt wurde, bevor er sein Ziel erreichte, und verletzte zwei Zivilisten im Bezirk Injil im April 2015 und eine Straßenbombe tötete im Juli 6 Polizisten in Guzara. In der Stadt Herat wurden im Juli 2015 drei Mädchen beim Schulbesuch mit Säure besprüht und über 90 Schüler wurden krank, nachdem sie im April 2015 angeblich vergiftet worden waren. Im August 2015 erkrankten mehr als 100 Schulkinder nach einem mutmaßlichen Gasangriff auf eine Mädchenschule im Bezirk Injil. Weitere Opfer gezielter Gewalt waren ein prominenter schiitischer Geistlicher im November 2014, ein Stammesältester im August 2015 und ein Zivilangestellter des Ministeriums für Arbeit und Soziales in der Nähe seiner Heimat im Bezirk Injil.

 

Laut AAN-Analyst Fabrizio Foschini hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in anderen Gebieten der Provinz zwar verschlechtert, aber der Bezirk Shindand macht immer noch ein Drittel aller Sicherheitsvorfälle in der Provinz Herat aus. Ein riesiger Bezirk, der größtenteils von Paschtunen bevölkert ist, beherbergt einen strategisch wichtigen Militärflugplatz, der von den Sowjets gebaut und von den USA reaktiviert wurde, vor allem mit Blick auf den Iran. Der Flugplatz wird heute hauptsächlich als Trainingsstätte für afghanische Piloten genutzt. Shindand wird als "historisches Opiumanbaugebiet" bezeichnet. Der Bezirk hat auch zwei wichtige Straßen: die Ringstraße, die Herat mit Kandahar verbindet, von der aus eine Nebenstraße nach Farah führt. Die aktuelle Situation wird von Foschini wie folgt beschrieben: Heutzutage berichten Einheimische, dass sich die Macht der Regierung nur auf das Bezirkszentrum und das Gebiet um den Flugplatz sowie die unmittelbare Umgebung der wenigen Armeeposten in diesem riesigen Bezirk erstreckt. Im Laufe der Jahre schienen die Bemühungen um die Regierungsführung dürftig zu sein, mit einer langen Reihe von mittelmäßigen oder geradezu unehrlichen Beamten, die zu Governors ernannt wurden. Eine weite Fläche des Niemandslandes, in dem sich Aufständische frei bewegen können, verbindet Shindand mit den ruhigen Bezirken Posht-e Rud und Khak-e Safed von Farah im Süden.

 

Regelmäßig versuchten Aufständische in diesem Berichtszeitraum, das Zentrum des Distrikts Shindand zu überrennen: Im November 2014 griffen sie das Bezirksgebäude an, im Dezember 2014 den Bezirksbasar, im Mai 2015 mehrere Wachposten in der Mitte des Bezirks, was zu einer militärischen Großoffensive im Bezirk führte.

Laut Analyst Foschini: viele weitere Bewohner von Shindand nahmen die Straße nach Herat, um nie wieder zurückzukommen. Wer "ein Verwalter, ein Lehrer, ein Beamter oder eine gebildete oder wohlhabende Person" war, wie ein solcher Fachmann aus Shindand erinnerte, fand es immer schwieriger und gefährlicher, im Bezirk zu leben. Militante begannen, jeden, der sich hervortat anzugreifen, mittels Entführungsdrohungen oder mittels Schlägen. Die Menschen erhielten Telefonanrufe mit Drohungen und Zahlungsaufforderungen, bis alle mit Vermögenden gezwungen waren, zu zahlen oder zu gehen. Beispiele aus diesem Berichtszeitraum sind die Ermordung von Shindands Bildungsdirektor, seinem Sohn und einem anderen Mitglied der Bildungsabteilung im Dezember 2014. Einige Tage später berichteten die Polizeieinheiten, dass 20 Aufständische getötet wurden, als sie mehrere Dörfer in Shindand stürmten und alle Schulen der Mädchen verbrannten. APPRO berichtet, dass in Shindand viele Schulen geschlossen wurden. Im Oktober 2014 nannte die EI Obe und Kushke Kohna "feindliche Viertel, in denen es regelmäßig zu Gewalt gegen ANSF und Zivilbevölkerung kommt". Das private Sicherheitsunternehmen zählt den Bezirk regelmäßig zu den Brennpunkten militanter Aktivitäten mit dem höchsten Risiko aller westlichen Bezirke, neben Shindand und Farahs Bala Boluk.

 

Einige Beispiele für aufständische Aktivitäten aus den Medien sind:

Im Mai 2015 wurden zwei ALP-Mitglieder in Kushk-e Kohna getötet. Im Juni 2015 starteten die Aufständischen einen Großangriff auf den Bezirk Kushk-e Kohna und übernahmen die Kontrolle über mehrere Dörfer und Sicherheitsdienste. Im selben Monat wurden 11 Soldaten bei einem Hinterhalt im benachbarten Karuch getötet. Die Schlüsselbezirke Koshan, Chist-e Sharif und Kushk wurden Ende Oktober 2015 laut EI von Militanten angegriffen. Es gab sporadische aufständische Aktivitäten in ChisteSharif. Im Februar 2015 griffen Aufständische einen Polizeiposten an und töteten mehrere Polizisten, und im März 2015 tötete eine Bombe am Straßenrand mehrere Soldaten, die nach Ghor reisten. Im August 2015 zielte eine Bombe am Straßenrand auf ein Armeefahrzeug in Paschtun Zarghun. Ein Soldat wurde getötet und ein anderer verwundet. Im Januar 2015 meldete die EI mehrere Hinterhalte gegen afghanische Grenzpatrouillen im Bezirk Gulran. Im August 2015 wurden bei einem ähnlichen Angriff vier Grenzpolizisten getötet.

 

Kriminalität und Entführung auf den Straßen sind in der Provinz Herat eine große Bedrohung, obwohl es sich laut EI weitgehend um ein südliches Phänomen handelt, das hauptsächlich in Shindand und Adraskan auftritt. Im März 2015 meldete die EI einen Anstieg der gezielten Entführungen in den westlichen Gebieten, was auf eine stärkere taktische Verlagerung hin zu Entführungen und Lösegeldzahlungen hinweist. Bewaffnete Kriminalität war das größte Problem in der Stadt Herat im Dezember 2014, sagte EI. Die EI behauptete im März 2015, dass im vergangenen Jahr in der Stadt Herat 100 Fälle von Entführung wegen Lösegeld, Erpressung und gezielter Ermordung durch Kriminelle stattgefunden haben. Im Juli 2015 galt die Entführung als Lösegeld noch als wachsendes Problem in Herat. Da die Entführung keine ideologischen oder politischen Gründe hat, gehören zu den Opfern die Wohlhabenden: Geschäftsleute, Unternehmer und Politiker. Sie haben in den letzten zehn Jahren gut abgeschnitten, als die Wirtschaft in die Höhe schoss, ironischerweise dank Herats Frieden. Da sich die Polizei zunehmend mit der Bekämpfung von Aufständischen beschäftigt, haben sich Kriminalität und Entführungen zum Nachteil der Wirtschaft verschärft. Die Zunahme der Entführungen führte dazu, dass Präsident Ghani im Juli 2015 den amtierenden Gouverneur der Provinz Herat entließ.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation, Jänner 2016 [in Folge: "EASO-Bericht Sicherheitslage Jänner 2016"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO-COI-Afghanistan_Security_Situation-BZ0416001ENN_FV1.pdf abgerufen am 08.07.2019, Pkt. 2.8.1.)

 

1.5.3. Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

 

Allgemeines

 

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Die Bevölkerung von Balkh ist heterogen, wobei Tadschiken und Paschtunen die größten Gruppen bilden, gefolgt von Usbeken, Hazara, Turkmenen, Arabern und Belutschen. Die Bevölkerung Mazar-e Sharifs wurde im Jahr 2017/2018 auf rund 428.000 geschätzt und zeichnet sich durch ihre ethnische und sprachliche Vielfalt aus.

 

Mazar-e Sharif ist als Wirtschaftszentrum des Nordens bekannt und zieht Wirtschaftsmigranten aus ländlichen Gebieten mit seinen Arbeitsmöglichkeiten und seiner relativen Sicherheit an. Als "regionaler Anziehungspunkt im Norden" nahm die Provinz Balkh Migranten vor allem aus den Nordprovinzen Samangan, Sar-e Pul, Jawzjan und Faryab auf. Laut Daten des IOM hatte die Provinz bis Juni 2018 109 845 Rückkehrer, was die fünftgrößte Zahl unter den afghanischen Provinzen war. Laut einer CSO-Umfrage von 2015 sind etwa 38% der Bevölkerung von Mazar-e Sharif Migranten, die überwiegend aus anderen afghanischen Provinzen stammen und nur 17 % Rückkehrer aus dem Ausland. Laut einer UNHCR-Feldstudie von 2018 war die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und anderen Ländern in Mazar-e Sharif sehr gering. Die meisten derjenigen, die aus dem Iran zurückkehrten, waren Berichten zufolge Studenten, die für einen kurzen Zeitraum zurückkehrten, um die notwendigen Unterlagen zu erhalten, und dann in den Iran zurückkehrten, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Der UNHCR dokumentierte 466 Flüchtlingsrückkehrer in die Provinz Balkh im Jahr 2018.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018" vom [in Folge:

"ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage"], abrufbar unter:

https://www.ecoi.net/en/document/2001546.html#alert , abgerufen am 08.07.2019, S. 6 und 13 und dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicator. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019 [in Folge:

"EASO-Bericht Sozioökonomie"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf , abgerufen am 08.07.2019, Pkt. 1.1.3. und 1.2.3.)

 

Mazar-e Sharif gilt als regionaler Handelsplatz für Nordafghanistan und auch als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif war laut Analyst Foschini relativ stabiler als Herat oder Kabul. Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1 %), gefolgt von Managern/Berufstätigen/Technikern und Kaufleuten (20,9 %). Mazar-e Sharif ist auch eine der Städte in Afghanistan, in denen das Afghanistan New Market Development Project (ANMDP) durchgeführt wird. Das Projekt, das sich auf Herat, Kabul und Jalalabad erstreckt, unterstützt auch kleine und mittlere Unternehmen und Wirtschaftsverbände beim Zugang zu Dienstleistungen der Unternehmensentwicklung. Von seinem Start im Jahr 2013 bis September 2016 umfasste es 145 Organisationen in der Provinz Balkh, darunter eine lokale Pasteurisierungsfabrik in Mazar-e Sharif.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.2.1.)

 

Sicherheit

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 3.5. "Balkh")

 

Die UNAMA dokumentiert in seinem im Februar 2018 erschienenen Jahresbericht für das Jahr 2017 in der Provinz Balkh 129 zivile Opfer (52 Getötete und 77 Verletzte). Dies komme einem Rückgang von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleich. USBVs, Bodeneinsätze und Blindgänger bzw. Landminen seien bezüglich dieser Opferzahlen für die Provinz Balkh die häufigsten Arten von Vorfällen.

 

UNHCR gibt in einem Gespräch vom November 2018 zur Lage in Mazar-e Sharif und der Provinz Balkh an, dass die afghanischen Sicherheitskräfte stark an sogenannten Räumungsoperationen beteiligt seien. Derzeit richte sich die laufende Räumungsaktion gegen die Präsenz der regierungsfeindlichen Elemente in den nahe der Hauptstraße von Mazar-e Sharif liegenden Dörfern, die die einzige Verbindung zwischen der Stadt und den anderen Provinzen sei. Es gebe einen sich ändernden Trend in der üblichen Vorgehensweise der regierungsfeindlichen Elemente. In den Jahren 2016 und 2017 hätten sie diese Gebiete im Frühjahr und Sommer kontrolliert, hätten sich jedoch in der Regel im Winter wieder aus dem Distrikt Chimtal zurückgezogen. Nun würden sie ihr Möglichstes tun, um ihre Präsenz im zuvor dazugewonnenen Gebiet in der Nähe Mazar-e Sharifs beizubehalten. Es werde erwartet, dass es in der nördlichen Region zu einer Zunahme an Militäroperationen von afghanischen Sicherheitskräften und der von der NATO geführten Beratungs- und Unterstützungsmission Resolute Support Mission kommen werde.

 

SIGAR schätzt laut Quartalsbericht vom Oktober 2018 die Stabilität der Distrikte der Provinz Balkh mit Stand 31. Juli 2018 wie folgt ein: Die beiden Distrikte Chahar Bolak und Chimtal seien "umkämpft", alle übrigen befänden sich unter der "Kontrolle der afghanischen Regierung".

 

Für das Jahr 2018 wurden bislang unter anderem folgende Vorfälle dokumentiert: Laut einem Artikel der PAN seien am 24. Mai 2018 in Mazar-e Sharif bei einem Angriff bewaffneter Männer auf einen Polizeikonvoi zwei Personen (darunter ein Gefangener) getötet und sieben weitere Gefangene entführt worden (PAN, 25. Mai 2018); ACLED dokumentiert für diesen Vorfall nur eine getötete Person (ACLED, 12. November 2018). ACLED inkludiert einen weiteren Vorfall vom 22. Juli 2018 in seine Zahlen, bei dem Kämpfer der Taliban einen Polizei-Checkpoint in Mazar-e Sharif überrannt hätten. Dabei seien fünf Polizisten und ein Taliban-Mitglied getötet und neun weitere Polizisten verletzt worden (ACLED, 12. November 2018). PAN berichtet von einem Vorfall vom 1. September 2018, bei dem ein Imam in Mazar-e Sharif von bewaffneten Männern erschossen worden sei.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 205f, 209,

222f)

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif, der 2013 eröffnet wurde, ist auch als Mazar Mawlana Jalaluddin Balkhi International Airport bekannt. Turkish Airlines bietet seit 2013 Direktflüge von und nach Istanbul von Mazar-e Sharif an. Der Flugplan von Kam Air listet 2017 internationale Flüge von Mazar-e Sharif nach Istanbul und Mashhad, entsprechend dem Online-Flugplan. Flüge nach Delhi und Dubai sind ebenfalls gelistet, jedoch mit dem Datum 2015. Im März 2017 führte Kam Air auch einen Dienst zwischen Herat und Mazar-e Sharif als über den Flug RQ-006 aktiv an.

 

Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit" und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.1.3.)

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif liegt 9 Kilometer östlich der Stadt im Distrikt Marmul.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 102).

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Rückkehrer aus anderen Staaten

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt und war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten.

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung.

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird.

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben.

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden.

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können.

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen.

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 23. "Rückkehr")

 

Versorgung mit Lebensmitteln

 

Während die Ernährungslage in Mazar-e Sharif im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS-NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS-NET die Lage als angespannt einstuft. D.h. auch mit humanitärer Hilfe verfügt mindestens einer von fünf Haushalten in einem als angespannt eingestuften Gebiet über eine minimal ausreichende Ernährungslage. Allerdings können grundlegende Ausgaben für andere Güter als Lebensmittel nur auf Kosten zukünftiger Einkommensgrundlagen getätigt werden

 

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, S. 4f und 41ff und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 6.3.)

 

Die Dürre wirkte sich negativ auf die Erträge 2017/2018 von regenwassergespeisten Weizen und die ländlichen Bedingungen aus.

 

(Aktuelle Beobachtung des FEWS-NET zu Besorgnis hervorrufenden Gegenden ("Areas of Concern"): http://fews.net/ , abgerufen am 17.06.2019)

 

Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan aus dem Jahr 2018:

 

1. Wie wirkt sich diese Dürre auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Hinblick auf die Wasserversorgung sowie auf die Versorgung mit Lebensmitteln in den Städten Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und Herat (Hauptstadt der Provinz Herat) aus?

 

Den Quellen ist zu entnehmen, dass es im Umland von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt. Über die Situation in Mazar-e-Sharif selbst wird nicht berichtet. Zur Wasserversorgung in der Provinz Herat konnte ein Bericht gefunden werden, demzufolge Zahlungen an die Wasserversorgungsanstalt in der Höhe von 208 Mio. Afghanis ausstehen. Aufgrund der ausstehenden Zahlungen musste die Wasseranstalt Infrastrukturprojekte verschieben. Über die konkrete Versorgungslage in Herat-Stadt wurde nicht berichtet.

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte in Afghanistan dieses Jahr deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

 

2. Gibt es bedingt durch diese Dürre in den Provinzen Balkh und Herat eine Landflucht in die Provinzhauptstädte?

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass von Mai bis Mitte August rund 12.000 Familien, unter anderem aufgrund der Dürre, aus den Provinzen Badghis und Ghor nach Herat-Stadt geflohen sind. Zur Lage in Mazar-e-Sharif wurde nichts berichtet.

 

3. Falls ja,

 

a. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Möglichkeit der Wohnraumbeschaffung für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Gemäß den Quellen handelt es sich bei den Personen, welche vor der Dürre nach Herat-Stadt geflohen sind, um Personen, die ihren gesamten Besitz verloren haben. Sie leben in behelfsmäßigen Zelten in den armen Gegenden am westlichen Stadtrand von Herat. Über den Wohnungsmarkt, oder auch Versuche dieser Personen, erschwinglichen Wohnraum in Herat-Stadt zu finden, konnten keine Berichte gefunden werden.

 

b. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Der Quelle kann entnommen werden, dass die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt lagen. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

4. Gibt es staatliche oder internationale Hilfsmaßnahmen für die in den Dürregebieten lebenden Personen?

 

Gemäß mehreren Berichten gibt es insbesondere von internationaler Seite Hilfe für die von der Dürre betroffenen Personen. Das Humanitarian Country Team (HCT) der UN hat den Humanitarian Response Plan (HRP) für 2018 aufgrund der anhaltenden Dürre aktualisiert. Dementsprechend benötigt Afghanistan in diesem Jahr rund 547 Mio. Dollar an Hilfsgeldern, wobei Ende Juli rund ein Drittel dieses Plans finanziert war. Bislang hat OCHA an die von der Dürre betroffene Bevölkerung unter anderem Trinkwasser und Nahrungsmittel verteilt. Weiters erhielten Betroffene auch Geld, über welches sie selbst verfügen können. In jenen Zentren, in denen sich von der Dürre Geflohene ansiedelten (Herat-Stadt, Qala-e-Naw und Chaghcharan) wurden unter anderem auch Zelte verteilt.

 

Das World Food Programme (WFP) gab Ende Juli an, über 400.000 Personen in den von der Dürre betroffenen Provinzen Badghis, Faryab, Ghor, Herat und Jowzjan mit Nahrungsmittelsoforthilfe unterstützen zu wollen. Australien sagte eine Zahlung von 3,6 Mio. Dollar an das WFP zu. Auf Betreiben der WHO sind in Herat mobile Gesundheitsteams im Einsatz.

 

Die afghanische Regierung verteilte in Chaghcharan, Provinz Ghor, Getreide an 155.000 Familien.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.09.2018, "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre")

 

In einem im November 2018 geführten Gespräch ergänzt Carter auf die Frage, ob Vertriebene, Rückkehrende und generell mittellose Menschen in Mazar-e Sharif Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser hätten, dass es seines Wissens nach in Mazar-e Sharif keine Ernährungssicherheitsprogramme für längerfristig Vertriebene gebe. Es gebe in Mazar-e Sharif keine Wasserlieferungen mit Lastwagen ("water trucking"), allerdings hätten die Menschen meist Zugang zu Wasser aus Bohrlöchern, was keine sichere Quelle für Trinkwasser sei. Die Wege zu den Bohrlöchern könnten zudem recht lang sein. Zugang zu Trink- und Badewasser sei aber generell gegeben.

 

In einem Gespräch zur Lage in Mazar-e Sharif führt UNHCR im November 2018 an, dass es für neu ankommende Binnenvertriebene eine Art Ernährungssicherungssystem gebe. Abhängig von der konkreten Situation dauere es jedoch manchmal Wochen oder sogar Monate bis Soforthilfe geleistet werde. Abgesehen von UNHCRs Programm für Personen mit besonderen Bedürfnissen ("Persons with Specific Needs", PSN) gebe es von anderen Organisationen kein generelles Programm als Reaktion auf die Bedürfnisse der am meisten vulnerablen RückkehrerInnen. Im Fall von Naturkatastrophen gebe es auch staatliche Hilfe. Sowohl Rückkehrer als auch aus Europa Abgeschobene würden häufig Geld als Unterstützung zur Integration erhalten. In der Regel gebe es aber keine weiterführenden Hilfsprogramme ("follow-up assistance programmes"). Die gewährte Hilfe sollte für die ersten 2 oder 3 Monate nach der Ankunft in Afghanistan reichen.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, Pkt. 2.1.3.)

 

Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif

 

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 besitzt die Mehrheit der Einwohner in Mazar-e Sharif ihre Häuser während 24,5 % ihre Wohnungen mieten. Mehr als die Hälfte der Häuser in der Stadt sind aus Schlamm oder Erde mit Holzbalken gebaut, der Rest aus Kalk mit Ziegeln und Metall, Zement oder anderen Materialien. Die meisten haben Erdboden (70 %) oder Zement (26 %). Die Haushalte in Mazar-e Sharif werden mit Holz, Holzkohle oder Kohle beheizt. Der Strom ist in der Regel in der Stadt verfügbar (93 % der Haushalte haben Zugang). Die meisten Menschen haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), meist in Rohrleitungen oder aus den Brunnen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen. Laut IOM lagen die Mietkosten in Mazar-e Sharif im Jahr 2014 zwischen 150-250 USD für eine Dreizimmerwohnung in einem sicheren Bereich. Der Preis für eine ähnliche Wohnung betrug USD 40.000. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 haben etwa 94 % der Haushalte Zugang zum Handy, 91 % haben einen Fernseher, 51 % einen Kühlschrank, 28 % einen Computer, 20 % haben ein Auto, 20 % Zugang zum Internet.

 

Im Rahmen ihrer Displacement Tracking Matrix veröffentlicht die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Juni 2017 einen Bericht, in dem unter anderem die Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrenden in der Provinz Balkh untersucht wurde. Laut diesem Bericht würden die Mietkosten in der Provinz Balkh 1500 bis 3000 Afghani (umgerechnet 22 bis 45 USD) betragen.

 

In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sog. "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen, die zudem einen wichtigen Treffpunkt und Schauplatz für Sozialisation darstellen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks, Februar 2018 [in Folge: "EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf , abgerufen am 08.07.2019, Pkt. 4.2. und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 9.5. sowie ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 72ff)

 

In Bezug auf den erwähnten seit 2016 bestehenden Mangel an humanitären Hilfsorganisationen, die Unterkünfte für Rückkehrende und Binnenvertriebene zur Verfügung stellen würden, teilte UNHCR in einem Gespräch im November 2018 mit, dass die Hilfe nicht ganz eingestellt worden sei. Man würde nun aber in einem kleineren Umfang arbeiten. UNHCR führe nach wie vor Schutzmaßnahmen durch, die sich an die am stärksten gefährdeten Menschen in der Region richten würden. Diese könnten sich sowohl an neu oder längerfristig Vertriebene und auch an Rückkehrende richten.

 

UNHCR betont, dass es wichtig sei, zwischen der Situation der Rückkehrenden, die an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren, und denen, die zum ersten Mal nach Mazar-e Sharif kommen würden, zu unterscheiden. Diejenigen, die aus Europa zurückkehren würden, hätten große Probleme, eine Unterkunft zu finden. Sie hätten häufig nicht genug Geld, um im Zentrum der Stadt zu leben. Außerdem würden ihnen oft die notwendigen Dokumente fehlen, um Land kaufen zu können. Ein weiteres Problem, sei ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft. Einige Menschen hätten Angst vor den Rückkehrenden, andere würden glauben, die Rückkehrenden seien reich, was sie zu einem gängigen Ziel der Verfolgung mache. Die aus Europa Abgeschobenen seinen außerdem mit Verfolgung durch regierungsfeindliche Netzwerke in Mazar-e Sharif konfrontiert. Es scheine einen großen Unterschied zwischen der Situation von Rückkehrenden aus Pakistan oder dem Iran, die oft in größeren Gruppen ankommen würden, und der von Rückkehrenden aus Europa, die allein kommen würden, zu geben.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 75f)

 

Sanitäre Situation

 

Der Zugang zu Trinkwasser ist oft eine Herausforderung, vor allem in den Slums und Binnenvertriebenen-Siedlungen in Kabul. In Mazar-e Sharif haben die meisten Menschen Zugang zu verbesserten Wasserquellen und verbesserten Sanitäranlagen.

 

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 9.5., und dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 30)

 

Die 2016/17 durchgeführte Erhebung zu den Lebensbedingungen in Afghanistan habe laut der CSO ergeben, dass hinsichtlich der sanitären Grundversorgung 41,1 Prozent der Bevölkerung verbesserte Anlagen nutze, die nicht mit anderen Haushalten geteilt würden, während sich 52,9 Prozent entweder limitierte oder unverbesserte Sanitäranlagen teilweise mit anderen Haushalten teilen würden. Dies würde im Vergleich zur vorangegangen Studie 2013/14 eine starke Verbesserung darstellen. Innerhalb der urbanen Bevölkerung liege der Prozentsatz sogar bei 83,2 Prozent. In Übereinstimmung mit der Definition des gemeinsamen Monitoring Programms für Wasserversorgung und Hygiene (JMP, Joint Monitoring Programme for Water Supply and Sanitation) würden in der ALCS-Erhebung von 2016/17 verbesserte Sanitäranlagen abgedeckte Grubenlatrinen, belüftete verbesserte Latrinen, Toiletten mit Spülung, die an das Kanalnetz, einen Klärtank oder eine Grube angeschlossen sind, und Toilettenhäuschen umfassen.

 

Laut den 2018 von der afghanischen Statistikbehörde (NSIA, früher CSO) veröffentlichten Provinz-Profilen sei jener Bevölkerungsanteil der Provinz Balkh, der Zugang zu verbesserten Sanitäranlagen habe, von 8,2 Prozent im Jahr 2007/08 auf 17,5 Prozent im Jahr 2011/12, auf 22,3 Prozent im Jahr 2013/14 und auf 61,6 Prozent im Jahr 2016/17 gestiegen

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 82f, 90ff)

 

Arbeitsmarkt

 

Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif liegt bei etwa 590.000 Einwohnern und steht angesichts seiner "starken und relativ diversifizierten Volkswirtschaften, einschließlich eines robusten Bau-, Verarbeitungs- und Dienstleistungssektors", "unter erheblichem Urbanisierungsdruck". Die relativ friedliche Situation in der Provinz Balkh im ersten Jahrzehnt nach dem Übergang ermöglichte einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen "Wirtschaftsboom" nach 2004. Die Wirtschaftsleistung von Mazar-e Sharif hat viele Arbeitskräfte aus dem ländlichen Raum, aus benachbarten Bezirken, Provinzen und noch weiter entfernt angezogen. Eine Studie von Samuel Hall aus dem Jahr 2014 zur städtischen Armut ergab, dass die Stadt den mit Abstand größten Anteil an Wirtschaftsmigranten aller fünf Großstädte Afghanistans hatte. Durch die Anbindung an Zentralasien und die vorteilhafte zentrale Lage im Norden Afghanistans ist Mazar-e Sharif ein wichtiges Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist auch ein Industriezentrum mit einer großen Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen und mehreren großen Produktionsunternehmen. Im Vergleich zu anderen Großstädten hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Selbstständigen, gefolgt von Angestellten und Tagelöhnern. Nach Angaben der afghanischen Regierung ist die KMU-Industrie in Mazar-e Sharif gut entwickelt und bietet Qaraqul-Haut, Kunsthandwerk und Teppiche. Auch Bergbau, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse gewinnen an Bedeutung. Die boomende städtische Wirtschaft von Mazar-e Sharif hat vielen Haushalten eine Quelle nichtlandwirtschaftlichen Einkommens gebracht, die jedoch seit etwa 2013 deutlich zurückgegangen ist. Dies ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, vor allem auf den Rückgang der internationalen Finanzströme, der die Beschäftigung auf Militärstützpunkten und im Baugewerbe eingeschränkt hat. So verloren schätzungsweise 7.000 Menschen ihren Arbeitsplatz durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif. Auch hier hat die Unsicherheit aufgrund der politischen Instabilität in der Regierung der Nationalen Einheit die Wirtschaft von Mazar-e Sharif beeinflusst. Geschäftsleute nahmen eine abwartende Haltung ein. Das Geschäftsklima in der Provinz Balkh ist seit der zweiten Jahreshälfte 2015 weitgehend negativ, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsfaktoren Während es keine formalen Wirtschaftsstatistiken gibt, gab es laut Analyst Paul Fishstein klare Indikatoren, dass Bau, Investitionen und Handel in Mazar-e Sharif rückläufig waren, wobei Gelegenheitsarbeiter weniger Arbeit und stagnierende oder niedrigere Löhne fanden. Diejenigen, die zur Gelegenheitsarbeit nach Mazar-e Sharif kommen, sind gegenüber denjenigen, die besser bekannt sind und ihre Netzwerke besser nutzen, um Arbeit zu finden, benachteiligt. Im Jahr 2013 lag die Arbeitslosenquote der Provinzen über dem nationalen Durchschnitt, während die Unterbeschäftigungsquote darunter lag. Laut einer Studie von Mercy Corps und Samuel Hall aus dem Jahr 2011 ist der wichtigste Rekrutierungskanal in Mazar-e Sharif, wie in anderen Städten, das soziale Netzwerk: 85 % der Werktätigen gaben an, durch Freunde oder Familienangehörige rekrutiert worden zu sein, entweder als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer. Nur 7 % der Mitarbeiter gaben an, einen formellen Arbeitsvertrag zu haben. Dies unterstreicht den informellen Charakter der Arbeitsbeziehungen in Afghanistan. Sie bestätigt auch die Annahme, dass es sich bei den meisten Unternehmen um Familienunternehmen handelt, bei denen kein Vertrag als notwendig erachtet wird. Die Gehälter in Mazar-e Sharif liegen nahe am Durchschnitt anderer nördlicher Städte. Laut Afghanistan Rights Monitor: Baseline Report vom April 2016 wird hier einheitlich behauptet, dass der Zugang zur Beschäftigung durch Korruption und Vetternwirtschaft stark beeinträchtigt wird. Bestechung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung, auch wenn ein Kandidat über die erforderlichen Qualifikationen verfügt. Es wird behauptet, dass gewöhnliche Regierungspositionen für bis zu 60.000 Afghanen verkauft werden.

 

Der Zugang zu Beschäftigung für Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif

 

Nach Angaben der IOM arbeiten Binnenvertriebene und Rückkehrer in der Balkh-Provinz meist in der täglichen Lohnarbeit, wenn sie verfügbar ist. Nur wenige von ihnen arbeiten in der Landwirtschaft oder besitzen Vieh. Märkte und kleine Unternehmen in Mazar-e Sharif bieten Beschäftigungsmöglichkeiten, die jedoch oft nur vorübergehend sind. Das durchschnittliche Tageseinkommen für Rückkehrer und Binnenvertriebene liegt zwischen 50 und 100 AFS.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.3.1., der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, S. 33f sowie dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 140ff)

 

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit hoch. So wuchs in den Jahren 2016-2017 die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen.

 

Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

 

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, ungeregelten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Eine lokale Botschaft beschreibt, wie Tagelöhner von der Straße angeworben werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft" sowie dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.1.)

 

In einem Gespräch zur Lage in Mazar-e Sharif führt UNHCR im November 2018 an, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt in Mazar-e Sharif sehr beschränkt sei. Es gebe nur sehr begrenzt formale Arbeitsplätze. Da die Aufnahmegemeinden hier mit den gleichen Problemen konfrontiert seien und den Vorrang beanspruchen würden, sei es für Binnenvertriebene und manche Rückkehrende noch schwieriger, Zugang zu Arbeitsplätzen zu erhalten. Darüber hinaus fehle es Binnenvertriebenen und Rückkehrenden häufig an den notwendigen Fähigkeiten für die Arbeitsplätze, die in den Gebieten, in die sie vertrieben wurden, verfügbar seien. Ganz generell sei der Arbeitsmarkt in einem sehr unzuverlässigen Zustand. An einem Tag verdiene man Geld und am nächsten habe man wiederum keine Arbeit. Im Sommer gebe es in der Regel mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, aber durch die Dürre sei es auch im Sommer des Jahres 2018 in Mazar-e Sharif zu einem erhöhten Druck auf den Arbeitsmarkt gekommen.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht zur Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 143 f)

 

Verdienstmöglichkeiten

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) veröffentlicht im November 2018 einen Datensatz, der neben den monatlichen Nahrungsmittelpreisen in Afghanistan auch den durchschnittlichen Tageslohn von ausgebildeten ("qualified labour") und nicht-ausgebildeten und nicht-landwirtschaftlichen Arbeitskräften ("non-qualified labour, non-agricultural") enthält. Für den Zeitraum von Jänner 2015 bis September 2018 beinhaltet der Datensatz monatliche Informationen für den Markt in Mazar-e Sharif. Den Daten zufolge sei der durchschnittliche Tageslohn einer ausgebildeten Arbeitskraft 2015 bei 618,75 Afghani und zwischen 2016 und 2018 konstant bei 600 Afghani gelegen. Der durchschnittliche Tageslohn einer unausgebildeten, nicht im landwirtschaftlichen Bereich tätigen Arbeitskraft sei 2015 und 2016 bei 246,88 bzw. 247,73 Afghani gelegen, 2017 auf 288,54 Afghani gestiegen und im laufenden Jahr 2018 auf 275,83 Afghani gesunken.

 

Die Höhe des Tageslohns einer ungebildeten Arbeitskraft habe im Jahr 2017 dem Preis für 5,8 kg Brot (oder 7,3 kg Reis oder 13,6 kg Weizen) entsprochen, während man 2018 für einen Tageslohn 5,5 kg Brot (oder 6,4 kg Reis oder 13,8 kg Weizen) kaufen könnte.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 163 f)

 

1.5.4. Meldesystem:

 

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan. Ebenso wenig gibt es "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen, jedoch verfügen die lokalen Gemeinschaften über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 19.1. "Meldewesen").

 

1.5.5. Bankensystem:

 

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, aber nicht alle Afghanen haben ein Bankkonto. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Das Vertrauen der Bevölkerung in Banken und Bankensysteme ist gering.

 

Für diejenigen, welche das Bankensystem nicht nutzen können oder wollen kann Geld durch ein informelles Überweisungssystem überwiesen werden ("Hawala"). Dabei handelt es sich um ein etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Geldüberweisungen, dem die Bevölkerung vertraut. Ein gewisser Prozentsatz der überwiesenen Summe wird als Gebühr einbehalten. Geld kann in alle Teile des Landes überwiesen werden, auch nach und von Nachbarstaaten, wie dem Iran und Pakistan.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.3.)

 

1.5.6. Medizinische Versorgung:

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht, allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Qualität der Kliniken variiert stark, da es praktisch keine Qualitätskontrollen gibt. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die vier häufigsten sind Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Mittlerweile existieren z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Da die Kosten von Behandlung in privaten Kliniken vom Patienten selbst getragen werden müssen ist die Qualität der Behandlungen stark einkommensabhängig.

 

In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 22. "Medizinische Versorgung")

 

Auszüge bzw. Zusammenfassungen aus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation aus den Jahren 2019, 2018 und 2017:

 

Das Medikament Trittico retard 150mg ist in größeren Städten in Afghanistan wie Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat verfügbar. Der Zugang zu diesen Medikamenten bzw. ihren Generika hängt von der Region ab, in der der Patient lebt. Wenn ein Patient in einem ländlichen Gebiet wohnt, ist es aufgrund der Sicherheitssituation und der Transportkosten schwierig in größere Städte zu reisen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Medikamente gegen psychotische Störung und Depression" vom 08.06.2017)

 

1. Sind die Medikamente Cerebokan 80 mg, Pantoprazol 40 mg, Saroten ret 25 mg, Sertra-lin 50 mg derzeit in Kabul bzw. in Mazar-e-Sharif oder Herat erhältlich?

 

Den nachfolgend zitierten Quellen kann entnommen werden, dass Medikamente mit den Wirkstoffen Ginkgo Biloba, Pantoprazol, Amitriptylin und Sertralin in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat erhältlich sind.

 

In Mazar-e Sharif haben die oben genannten Medikamente/Wirkstoffe folgende Kosten:

 

• Pantoprazol 40mg: 150 AFN für 14 Tabletten;

 

• Ginkgo Biloba [Anm.: der in Cerebokan enthaltene Wirkstoff] 40mg:

90 AFN für 30 Tabletten;

 

• Amitriptylin [Anm.: der in Saroten enthaltene Wirkstoff] 25mg: 20 AFN für 10 Tabletten;

 

• Sertralin 100mg: 260 AFN für 20 Tabletten;

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, "Behandlung von Gastritis und Interkostalneuralgie und Kosten von Cerebokan, Patoprazo, Saroten und Setralin" vom 30.01.2018)

 

Nachfolgende Medikamente sind in Afghanistan und insbesondere in den Städten Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat verfügbar:

 

 

Wirkstoff

Verfügbarkeit

Alternative

Verfügbarkeit

Preis

Quelle

Atorvastatin 80 mg (Wirkstoff: Atorvastatin),

Ja

 

 

Pkg. 10 Tbl. 150 AFN (1,76 EUR)

IOM Kabul 10.8.2018

Trittico 150 mg (Wirkstoff: Trazodone)

Ja

 

 

Pkg. 10 Tbl. 120 AFN (1,41 EUR)

IOM Kabul 10.8.2018

Amlodipin 5 mg (Wirkstoff: Amlodipin)

Ja

 

 

Pkg. 10 Tbl. 100 AFN (1,17 EUR)

IOM Kabul 10.8.2018

Seroxat 20 mg (Wirkstoff: Paroxetin)

Ja

 

 

Pkg. 14 Tbl. 400 AFN (4,71 EUR)

IOM Kabul 10.8.2018

Zoldem 10 mg (Wirkstoff: Zolpidem)

Nein

Nein

Nein

 

IOM Kabul 10.8.2018

Quetialam 25 mg (Wirkstoff: Quetiapin)

Ja

 

 

Pkg. 10 Tbl. 150AFN (1,76 EUR)

IOM Kabul 10.8.2018

      

 

Zum Erhalt dieser Medikamente ist die Ausstellung eines Rezepts durch einen Spezialisten erforderlich.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Behandelbarkeit und Therapien nach Schlaganfällen, Behandelbarkeit v. Morbus Binswanger, Demenz u. Bluthochdruck, Verfügbarkeit von Medikamenten" vom 13.08.2018)

 

6. Sind in Afghanistan - insbesondere in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif - die Medika-mente Sertralin und Atarax verfügbar oder gibt es gleichwertige Generika?

 

IOM-Kabul berichtet, dass es die Medikamente Sertralin und Atarax an den genannten Orten gibt. Die Kosten betragen:

 

1. Sertralin 50mg/10tab/200 AFN (EUR 2,28)

 

2. Atarax 25mg/10tab/100AFN (EUR 1,14)

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "IgA-Vaskulitis, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)" vom 25.04.2019)

 

1.5.7. Potentielle Risiken für den Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

Situation betreffend Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban

 

Allgemeines

 

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

 

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 [in Folge: "UNHCR-Richtlinien" abrufbar unter:

http://www.refworld.org/country ,,,,AFG„5b8900109,0.html, abgerufen am 08.07.2019], Pkt. III.A.3.a.)

 

Die Taliban haben keinen Mangel an Freiwilligen bzw. Rekruten und nutzen die Zwangsrekrutierung nur in Ausnahmefällen. So wird beispielsweise berichtet, dass die Taliban versuchen, Personen mit militärischem Hintergrund, wie beispielsweise Mitglieder des ANSF, zu rekrutieren. Die Taliban nutzen auch die Zwangsrekrutierung in Situationen akuten Drucks. Druck und Zwang zur Aufnahme in die Taliban sind nicht immer gewalttätig und werden oft über die Familie, den Klan oder das religiöse Netzwerk ausgeübt, je nach den örtlichen Gegebenheiten. Es kann gesagt werden, dass die Folgen einer Nichtbefolgung im Allgemeinen ernst sind, einschließlich Berichten über Bedrohungen der Familie der angesprochenen Rekruten, schwere Körperverletzungen und Morde.

 

Obwohl die Taliban intern keine Kinder rekrutieren, deuten die verfügbaren Informationen darauf hin, dass die Rekrutierung von Kindern, insbesondere von Jungen nach der Pubertät, erfolgt. Kinder können von aufständischen Gruppen auf vielfältige Weise einer Gehirnwäsche unterzogen werden und können in Madrassas indoktriniert werden, einschließlich der Verbringung nach Pakistan zur Ausbildung.

 

(Zusammenfassung aus EASO, Country of Origin Report: Afghanistan, Recruitment by armed groups, September 2016 [in Folge: "EASO-Bericht Rekrutierung", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Recruitment_German.pdf , abgerufen am 08.07.2019], Pkt. 1.5., 5.2., 5.2.1.2., 5.2.1.3. und 5.2.1.4.).

 

Ausmaß unmittelbaren Zwanges

 

Quellen von Landinfo haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen (Gespräch mit NGO A in Kabul, Mai 2017).

 

Nach Aussagen der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan (UNAMA) ist die Gruppe der Stammesältesten gezielten Tötungen ausgesetzt (UNAMA & OHCHR 2017, S. 64). Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Der Analytiker Borham Osman (berichtet in EASO 2016, S. 24) hat auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfen verweigert haben, verwiesen. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet (NGO A, Kabul, Mai 2017), meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen.

 

Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Nach Osman (zitiert in EASO 2016, S. 24) kann die erweiterte Familie allerdings auch eine Zahlung leisten anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich frei zu kaufen.

 

Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (Gespräch mit einer internationalen Organisation; Gespräch mit einem Thinktank, Gespräch mit einem örtlichen Journalisten April/Mai 2017).

 

Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die Personen dazu bewegt, sich den Taliban anzuschließen. Allerdings gibt es nur sehr begrenzte Informationen über den Einsatz unmittelbarer Gewalt im Zusammenhang mit der Rekrutierung und Mobilisierung unter der Schutzherrschaft der Taliban. In Gesprächen mit Landinfo im Herbst 2010 meinte Giustozzi, dies sei bedingt durch die Tatsache, dass die Taliban im Zusammenhang mit ihrer Expansion noch nicht genötigt waren, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. In dem Artikel Afghanistan: Human Rights and Security Situation aus 2011 trifft er folgende Feststellung:

 

Zwangsrekrutierungen waren bislang noch kein herausragendes Merkmal dieses Konflikts. Die Aufständischen bedienen sich Zwangsrekrutierungen nur sehr vereinzelt, vor allem, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache der Aufständischen nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Giustozzi 2011, S. 6).

 

Die Angaben Giustozzis über im November 2015 erfolgten Zwangsrekrutierungen (Gespräch Oslo) stehen nicht im Widerspruch zu seiner 2011 getätigten Einschätzung. Das relativ eindeutige Bild über Rekrutierungen durch die Taliban deutet darauf hin, dass die Organisation Zwangsrekrutierungen nicht systematisch betreibt und dass Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht werden. Zahlreiche Gesprächspartner von Landinfo in Kabul (April 2016) waren der Ansicht, dass die Taliban keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Eine NGO (April 2016) verwies darauf, dass es sehr einfach sei zu desertieren (Gespräch in Kabul, April 2016). Erklärungen eines nationalen Thinktanks zufolge (April 2016) stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit (s. z.B. Landinfo 2011) entgegen. Eine internationale Organisation (April 2016) verwies auf ein Argument, das seitens Landinfo im Zusammenhang mit einer quellenkritischen Bewertung von Informationen über die Zwangsrekrutierung aufgeworfen worden war: bei den Quellen handle es sich oft um Personen oder Gruppen, die Anschuldigungen betreffend Zwangsrekrutierungen im Eigeninteresse erheben, etwa Personen, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden oder die als Binnenvertriebene (IDPs) anerkannt werden möchten.

 

Die Beantwortung einer Anfrage zur Rekrutierung durch Landinfo im Februar 2012 kommt zu dem Schluss, dass es nur in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban gekommen ist. Die Antwort bezieht sich auf Gespräche, die Landinfo im Oktober 2011 in Kabul geführt hat (Landinfo 2012). Es gibt keine Angaben, die darauf hindeuten, dass sich das Ausmaß von Zwangsrekrutierungen in den vergangenen Jahren erhöht hat. Das geänderte Konfliktschema und die Tatsache, dass die Taliban ihre Truppen professionalisiert haben, bedeuten auch, dass unmittelbare Zwangsrekrutierungen vermutlich sehr gering verbreitet sind. Dies wurde in Gesprächen von Landinfo im April/Mai 2017 in Kabul bestätigt; unmittelbare Zwangsrekrutierungen erfolgen in sehr beschränktem Ausmaß und lediglich in Ausnahmefällen. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Eine Quelle äußerte den Gedanken, dass es "schwierig sei, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden/etwas zu kämpfen".

 

Strukturelle Gegebenheiten

 

Es sind in erster Linie die strukturellen Gegebenheiten, die als eine Form von Zwang in der Rekrutierung durch die Taliban betrachtet werden können. Strukturelle Gegebenheiten können allgemeine kulturelle, religiöse oder soziale Faktoren sein, gepaart mit eingeschränktem Vertrauen in den Staatsbildungsprozess. Traditionsbedingte Verpflichtungen im Zusammenhang mit Stammesgruppen und örtlichen Machtgruppen bedeuten, dass Menschen als Ergebnis von Entscheidungen (Bildung von Allianzen), auf die sie selbst wenig Einfluss haben, Teil der Taliban werden. Lokale Drahtzieher spielen in dem Prozess, wie sich die Taliban in einem Gebiet etablieren und die Kontrolle erlangen, eine zentrale Funktion. Wenn ein zentraler Kommandant bzw. Stammesältester ein Bündnis mit den Taliban eingeht, so geschieht dies vielfach zur Sicherung der Interessen der Gemeinschaft (Hammer & Jensen 2016). Gleichzeitig könnte sich dies, sowohl durch ein geändertes Feindbild als auch hinsichtlich der Mobilisierungserwartungen auf die Zivilbevölkerung in dieser Gegend auswirken. [...]

 

(Auszug aus dem "Landinfo report Afghanistan: Afghanistan:

Rekrutierung durch die Taliban [Afghanistan: Rekruttering til Taliban]", in englischer Fassung abrufbar unter:

https://landinfo.no/asset/3588/1/3588_1.pdf , abgerufen am 08.07.2019, übersetzt von Dipl.-Dolmetscherin Mag.a Michaela Spracklin im Auftrag der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [S. 10, 11, 18, 19])

 

Zur mögliche Verfolgung durch die Taliban

 

Allgemeines zu Taliban-Risikoprofilen

 

Zielpersonen gezielter Tötungen oder Verwundungen durch Aufständische im Jahr 2016 umfassten nach UNAMA auch Stammesälteste, Justizangehörige, zivile Mitarbeiter der Regierung, als Regierungsspione verdächtigte Zivilisten, aber auch Zivilisten, welche sich Anordnungen der Aufständischen verweigerten. 2017 fügte UNAMA zu dieser Liste Zivilisten hinzu, bei welchen angenommen wird, dass sie Werten von regierungsfeindlichen Elementen ablehnend gegenüberstehen.

 

Dr. Antonio Giustozzi fasste die Ziele der Taliban als Einzelne zusammen, welche die Taliban als sich "fehlverhaltend" ansehen. Diese schließen viele der Einzelnen wie von UNAMA zuvor aufgezählt ein und zusätzlich fügt Giustozzi "Einzelne jeder Kategorie, welche von den Taliban als nützlich oder notwendig für deren Kriegserfolg gesehen werden und welche es verweigert haben zu kooperieren" hinzu.

 

Zum Beispiel sind die Taliban dafür bekannt, dass sie die Finger von Personen abschnitten, welche in den Wahlen 2014 teilnahmen und sie verfolgten außerdem Mitarbeiter der Unabhängigen Wahlkommission.

 

Nach dem Gelehrten Neamat Nojumi erstreckt sich die Verfolgung durch die Taliban über diejenigen hinaus, welche für die afghanische Regierung arbeiten. Die Einhaltung der afghanischen Verfassung von jemandem oder eine sozialliberale oder kulturelle Haltung kann eine Person auch ein legitimes Ziel werden lassen. Er erklärte, dass deshalb es die Taliban auch auf jene abgesehen hätten, welche an Wahlen teilnehmen oder welche sich für Frauenrechte einsetzen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017 [in Folge "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure"] abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_conflict.pdf , abgerufen am 08.07.2019, Pkt. 1.2. Einführungsabschnitt).

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Zivilisten zur Strafe und zur Warnung anderer Personen dafür getötet, dass sie die Regierung unterstützten. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen Berichten zufolge auch Drohnachrichten per SMS, über lokale Radiosender ausgestrahlte Mitteilungen, soziale Medien und shab nameha ("nächtliche Drohbriefe") ein, um Zivilisten vor einer Unterstützung der Regierung zu warnen. In Gebieten, in denen die regierungsfeindlichen Kräfte keine öffentliche Unterstützung gewinnen konnten, bedrängen sie Berichten zufolge lokale Gemeinschaften, schüchtern sie ein und verhängen Strafen gegen die örtliche Bevölkerung aufgrund ihrer Unterstützung der Regierung. Zivilisten, denen "Spionage" für die Regierung vorgeworfen wird, werden Berichten zufolge im Rahmen von Schnellverfahren in parallelen und illegalen Justizverfahren verurteilt, die durch die regierungsfeindlichen Kräfte eingerichtet wurden. Die Strafe für derartige vermeintliche "Straftaten" ist in der Regel die Hinrichtung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.1.j)

 

Potentielle Zielpersonen der Taliban / Wichtigkeit für die Taliban

 

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

 

a) Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind; dazu gehören beispielsweise

 

a. Prof. Rabbani;

 

b. der starke Mann von Uruzgan, Jan Mohammad:

 

c. Gen. Daud.

 

b) Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen - alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

 

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

 

d) Personen, von denen angenommen wird, dass sie die Taliban für die Regierung ausspionieren oder Informationen über sie liefern;

 

e) Personen, die gegen die Shari'a (entsprechend der Auslegung der Taliban) und die Regeln der Taliban verstoßen;

 

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

 

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs - praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

 

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

 

i) Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

 

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

 

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

 

Diese Kategorien von Zielpersonen beinhalten eine Reihe von Gruppen, die sich nur schwer genau quantifizieren lassen, aber es dürften mit aller Wahrscheinlichkeit insgesamt mehr als eine Million Menschen sein (die Sicherheitskräfte sind zirka 400.000 bis 450.000 Mann stark, ferner hat die Regierung über 500.000 zivile Mitarbeiter, dazu kommen noch zehntausende von Auftragnehmern).

 

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich "fehlverhalten" die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen.

 

b) Regierungsmitarbeiter und Mitarbeiter westlicher Regierungen: Sie können einer Warnung oder Verurteilung vor Erhalt des letzten Drohbriefes entgehen, wenn sie Abgaben zahlen, Informationen liefern und ihre Kollegen für die Taliban ausspionieren, um deren Aktionen gegen die eigenen Arbeitgeber zu unterstützen oder zur Verbesserung der Organisation der Taliban beizutragen. Bekannte Einzelfälle sind:

 

I. Personal im Bildungswesen: können arbeiten, wenn ihre Bildungsbehörde oder Schule eine Vereinbarung mit den Taliban schließt, die Lehrpläne und Schulbücher ändert, für religiöse Fächer von den Taliban empfohlene Lehrer einstellt und den Taliban die Überwachung der Schule gestattet.

 

II. Personal im Gesundheitswesen: darf arbeiten, wenn es sich bereit erklärt, verletzte Taliban-Mitglieder zu behandeln.

 

  1. c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges: wie
  2. b) oben, sie haben aber auch die Option, zu den Taliban überzulaufen und Absichtserklärungen mit den Taliban zu unterzeichnen (als gesamte Einheit), in denen eine im gemeinsamen Interesse liegende Gegenleistung angeboten wird.

 

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung: wie b) oben

 

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs und im militärischen Zusammenhang stehende Unterstützungsleistungen, einschließlich der Mitarbeiter in den Unterkünften: wie b) oben

 

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung: wie b) oben

 

  1. i) Auftragnehmer, die für talibanfeindliche Länder tätig sind: wie
  2. b)

    oben

 

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten: wie b) oben

 

Die Taliban nennen als ihre wichtigsten Zielpersonen die Offiziere der nationalen Sicherheitsdienste (NDS), Dolmetscher bzw. alle, die für das/mit dem ausländischen Militär und Diplomaten arbeiten. So behaupten die Taliban beispielsweise, dass sie 2015 15 Dolmetscher in Kabul und den umliegenden Vororten getötet hätten und im Jahr 2016 bis Anfang Dezember 23; es bleibt unklar, ob die Taliban ihre Opfer auch zu Recht als Dolmetscher identifiziert haben. Die Taliban bauschen ihre Erfolge sicherlich auf, indem sie unzutreffende Opferzahlen angeben (insbesondere, wenn Bomben eingesetzt werden). Die meisten Angriffe fanden in den Vororten statt (2016 waren es 17). Die Taliban nehmen natürlich auch Ausländer ins Visier, insbesondere, wenn sie irgendwie an der Bekämpfung des Aufstandes beteiligt sind.

 

Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden.

 

Allerdings gibt es auch Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln zur Verfolgung von Zielpersonen. Die Mashhad Shura misst den Regierungskollaborateuren nur geringe Priorität zu, stattdessen konzentriert sie sich auf die Kollaborateure mit westlichen Regierungen, mit Daesh und auf Gegenspione sowie auf westliche Staatsangehörige. Die Rasool Shura kooperiert häufig taktisch mit den Sicherheitskräften der afghanischen Regierung und verfolgt die Regierungsmitarbeiter überhaupt nicht. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Jagd nach Eindringlingen von anderen Taliban-Gruppen. Ob aktive Angehörige der Sicherheitskräfte verfolgt werden, hängt auch von taktischen Erwägungen ab: die Mashhad Shura tut dies seit 2015 nicht mehr und in bestimmten Gebieten, in die sie erst kürzlich vorgedrungen sind, fahren die Taliban einen sanfteren Kurs, sie wirken auf die Familien ein, ihre Söhne aus den Sicherheitskräften herauszuholen, jedoch ohne Gewaltandrohung. Somit hängt das Maß der tatsächlichen proaktiven Verfolgung von Angehörigen der Sicherheitskräfte durch die Taliban von taktischen Erwägungen ab.

 

Ende 2016 gaben Taliban-Quellen an, dass fast 15.000 Personen auf ihrer nationalen schwarzen Liste stünden. Das lässt vermuten, dass die Taliban keinen Zugang zu den staatlichen Datenbanken über das Sicherheitspersonal oder Regierungsmitarbeiter haben, ansonsten wäre die Zahl wesentlich höher. Dies ist nicht überraschend, denn die Regierung selbst ist kaum in der Lage zuverlässig anzugeben, wer den Sicherheitskräften angehört bzw. für die Regierung arbeitet. Im Anfangsstadium des Krieges war es durchaus üblich, dass die Taliban Polizisten und Soldaten an Straßensperren abfingen, wenn sie im Urlaub waren und ihre Ausweise dabeihatten. Sehr schnell wurde es immer schwieriger, jemanden zu fangen, der dumm genug war, seinen Ausweis mit sich zu führen.

 

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein "Übeltäter" ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Landinfo Bericht Afghanistan, Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne [Landinfo, Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation campaign - Report by Dr. Antonio Giustozzi for Landinfo, abrufbar unter https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf , abgerufen am 08.07.2019], Pkt. 4.)

 

Entkommen der Taliban-Verfolgung durch Bereuen

 

Nach Giustozzi bieten die Taliban bestimmten ins Visier geratenen Einzelnen, wie Regierungsmitarbeitern, Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte, angenommenen Kollaborateuren der Regierung oder ausländischen Militärkräften, wie auch Übersetzern die Möglichkeit, zu bereuen und sich zu erlösen.

 

In einer öffentlichen Stellungnahme der Taliban, zitiert von UNAMA, luden die Taliban Arbeiter der Invasoren und der Kabuler Verwaltung ein, von einer Amnestie Gebrauch zu machen "um sich und deren Familien von Schande und Schaden in dieser Welt zu schützen....um zu schützen deren Leben und Wohlstand". Nach Giustozzi ist diese Möglichkeit zu bereuen ein wesentlicher Aspekt der Verfolgungskampagne. Anand Gopal und Borhan Osman führten gemeinsam aus, dass wenn es nach Drohungen darum geht einen Job aufzugeben, man bei entsprechendem Verhalten weiterer Verfolgung entkommen kann.

 

(Auszug entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.4.1.)

 

Zum Entkommen einer möglichen Verfolgung als Zielperson durch Umzug in die Städte

 

Innerhalb der Städte, ausgenommen Kunduz bzw. in den Vororten von Kunduz, haben Aufständische nicht die Kapazität, Checkpoints einzurichten um Passagiere nach bestimmten Profilen zu durchsuchen. Allerdings greifen Aufständische regelmäßig zivile Objekte und Plätze in den Städten an, wo sie vermuten, dass sich bestimmte potentielle Ziele versammeln. Solche Angriffe umfassen Angriffe auf Justizgebäude, Regierungsgebäude, Botschaften und Konsulate, Medieneinrichtungen, Gebetseinrichtungen religiöser Minderheiten und Bankfilialen.

 

Nach dem Analysten Borhan Osman zielen Aufständische auf bestimmte Einzelne innerhalb der Städte durch Schüsse im Vorbeifahren ab, oftmals unter Einbeziehung von Motorrädern. Die Opfer dieser Schüsse haben oftmals nur ein "mittleres Profil" ("not very high profile"), führt Osman aus, und die Verfolgung zielt oft darauf ab, andere durch Drohungen abzuschrecken indem man die Reichweite zeigt. Opfer der Verfolgung schließen Personen wie Verkehrspolizei oder vermeintliche Spione oder Menschenrechtsaktivisten der mittleren Ebene ein; diese habe zuvor oftmals eine Todesdrohung erhalten. Zum Beispiel hat eine Anzahl gezielter Tötungen von Regierungsbeamten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte in Kandahar im Zeitraum 2016 bis 2017 stattgefunden, einschließlich Schüssen von Motorrädern und der Verwendung von Sprengmitteln. Gopal beobachtete, dass die Fähigkeiten der Taliban zum erfolgreichen Aufspüren, Durchdringen und Verfolgen von Einzelnen ist größer in den Städten, in welchen die Aufständischen eine Basis haben, wie Kandahar, Kunduz oder Khost, im Vergleich zu anderen Städten, wo es keine Präsenz gibt wie Herat oder Mazar-i Sharif. In Kabul, haben die Aufständischen eine Präsenz in der Stadt deren Mitglieder oft mit der steigenden kriminellen Szene der Stadt zusammenspielen. Allerdings ist deren Präsenz nicht so offensichtlich wie in Kandahar, Kunduz oder Khost. Obwohl es nicht leicht ist, finden gezielte Tötungen auch in der Stadt Kabul statt. Zum Beispiel wurden im April 2017 zwei Mitarbeiter des Anti-Corruption Criminal Justice Center und ein Mitarbeiter der Direktion für den Schutz von wichtigen Personen in der Stadt Kabul Opfer gezielter Tötungen.

 

Gezielte Tötungen finden in Kabul nach Giustozzi durch ein Zielteam von etwas mehr als 20 Personen statt und finden hauptsächlich entfernt vom Stadtzentrum statt, wo die Wohlhabenden und Mächtigen leben. Allerdings haben weder Osman noch Gopal irgendwelche Informationen über solche spezialisierten Teams gefunden.

 

Einzelne und deren Familien, welche Drohungen von den Taliban erhalten haben wegen deren vergangener oder gegenwärtiger Verbindungen zur Regierung oder einer anderen Einheit, auf welche es die Taliban abgesehen haben, ziehen oft in Städte um, aus Gründen der Sicherheit. Quellen berichten über Vorfälle, in welchen bestimmte Einzelne sich schon im Vorfeld von Vorgängen entschieden umzuziehen; z.B., ein Lehrer in einer Mädchenschule in Urusgan Tirin Kot zog nach Kabul um, in Vorwegnahme einer möglichen Kontrollerlangung der Stadt im September 2016. In Erwartung der Übernahme der Stadt Kunduz im Jahr 2015, die meisten Regierungsangehörigen flohen in Nachbarprovinzen und nach Kabul. Nach Giustozzi waren hauptsächlich Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise gezwungen sich in sichereren, unter Regierungskontrolle stehenden Gegenden niederzulassen, wenngleich auch dort einige Talibanverfolgungen stattfinden. Ein Analyst des Afghanistan Analysts Network hielt in einem Interview im Jahr 2016 mit dem kanadischen IRB fest, dass auch nach einem Umzug gesuchte Einzelne, welche von den Taliban gefunden und getötet werden können, abhängig vom politischen Klima und abhängig vom persönlichen Profil.

 

Nach zwei Quellen der kanadischen Einwanderungsbehörde IRB haben die Taliban durch Nutzung deren formalen Netzwerks lokaler Kommandanten und Schattengouverneure und deren informellen Netzwerks von Mullahs die Kapazität, einzelne auch nach Umsiedlung aufzuspüren. Faktoren, welche die Effizienz dieser Kommunikationsflüsse beeinflussen können die Beziehung zwischen dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der zentralen Führung, dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der Neuansiedlungsprovinz, der Grad der Taliban Aktivität in der Neuansiedlungsgegend, einschließlich von Checkpoints.

 

Nach Giustozzi besteht selbst nach einer Umsiedlung für gesuchte Einzelne das Risiko auf der Straße auf einem Taliban Checkpoint gefasst zu werden.

 

Nach mündlichen Quellen, welche vom IRB interviewt wurden sind die afghanischen Gruppen schon der Natur nach eng verbunden und Afghanen wissen, wenn ein Neuankömmling in deren Gemeinschaft ankommt oder durchreist. Einige Dinge haben Einfluss darauf, ob eine Person fähig ist ihren Hintergrund zu verbergen, wie lokale oder stammesbezogene Beziehungen zu Älteren und der Familie, regionale Akzentunterschiede, Nachnamen welche auf eine Herkunft hindeuten, religiöse Zugehörigkeit und Betrituale und eine höhere Ausbildung, welche den Einzelnen als Mitglied einer höheren sozialen Klasse identifizieren können. Nach einem Artikel über die Taliban im Digitalzeitalter sind diese familiären und gemeinschafsbezogenen Netzwerke erweitert um soziale Netzwerke. Durch die Kenntnis der eng verbundenen Gemeinschaften können die Taliban eine Person online verfolgen und sie zwingen, deren Job aufzugeben.

 

Wenn eine Umsiedlung in eine Taliban-kontrollierte Gegend stattfindet und jemand ankommt dessen Hintergrund unklar ist, so kann dies bereits Verdacht hervorrufen und Nachforschungen durch die Taliban in deren informellen Netzwerk auslösen. Es ist den Leuten grundsätzlich bewusst, was in deren Gegend passiert und Informationen können über weite Distanzen durch Stammesnetzwerke getragen werden, erklärte eine Quelle dem IRB.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.1.5.5.)

 

Zur Möglichkeit der Taliban, in großen Städten Personen aufzufinden und zu verfolgen

 

Einige mündliche im Jänner 2016 vom kanadischen IRB (Kanadische Asylbehörde, Anm.) interviewte Quellen führten aus, dass die Taliban ein Netzwerk von Informanten hätten und geheimdienstliche Informationssammlung in Städten betrieben, wenngleich es schwieriger wäre Menschen in städtischen Gebieten zu verfolgen. Gezielte Anschläge in Stadtzentren kommen vor. Einige sich kürzlich ereignete Beispiele in Kabul umfassen Schützen auf Motorrädern und ferngezündete Sprengladungen:

 

* Im Juni 2016 wurde ein Parlamentsabgeordneter getötet, als eine in einem Stromkasten vor seinem Haus platzierte Sprengladung detonierte, als er gerade nach Hause kam.

 

* Im Dezember 2016 griffen die Taliban in Kabul das Haus eines Parlamentsabgeordneten aus Helmand an. Drei Schützen töteten mehrere Familienmitglieder des Abgeordneten und verwundeten einige weitere, einschließlich den Abgeordneten.

 

* Im Dezember 2016, Schützen auf Motorrädern griffen das Haus des früheren Taliban-Offiziellen Mullah Abdul Salam Zaeef an und töteten seine Wache.

 

* Im Dezember 2016 zielte eine unter einer Brücke platzierte Bombe in der Dashti Barchi Gegend in Kabul auf einen Abgeordneten aus Bamiyan ab und verletzte neben Personen anderen den Abgeordneten und dessen Sohn.

 

In Kabul gibt es nach einem, primär auf Interviews mit Taliban-Quellen beruhenden, Bericht von für Landinfo aus 2017 zumindest 1500 Spione und Informanten der Taliban. Gemäß diesen Quellen haben verschiedene Netzwerke innerhalb der Taliban verschiedene Überwachungszuständigkeiten:

 

Das Haqqani Netzwerk sammelt Informationen für spezielle Operationen (großangelegte Angriffe of High Profiles), während die Peshawar Shura gesuchte Einzelne verfolgt. Die Peshawar Shura soll um die 500 Spione und Informanten in Kabul haben. Während die "High profile"-Angriffe im Stadtzentrum stattzufinden scheinen kommt es entfernt davon zu gezielten Tötungen, einschließlich solcher mit magnetischen Sprengladungen. Seit 2016 begannen die Taliban eine Kampagne gezielter Tötungen von Regierungsoffiziellen und ANSF Mitgliedern in Kandahar Stadt.

 

Im Zuge verschiedener Frontalangriffe auf Städte im Zeitraum 2015 bis 2016 versuchen die Taliban nach Giustozzi nunmehr die Städte in einer mehr untergeordneten Weise zu infiltrieren, dies jedoch in größerem Umfang als davor.

 

Nach Berichten kommen gezielte Tötungen durch die Taliban in größeren Städten vor, z.B. die Taliban töteten ihren Hauptgegner in der Provinz Urusgan, den Polizeichef und Stammesangehörigen des früheren Präsidenten Karzai Matiullah Khan in einem gezielten Selbstmordbombenanschlag in Kabul im Jahr 2015. Nach Abubakar Siddique, ist die Liste jener Personen, für welche die Taliban Ressourcen und Planungsarbeit einsetzen würden um diese in größeren Städten zu verfolgen auf ein paar Dutzend bis zu einhundert Personen beschränkt, als Maximum. Für Einzelne mit einem niedrigen Profil ("low profile individuals"), ist Abubakar Siddique der Ansicht, dass die Taliban nicht auf diese und deren Familienangehörige wahrscheinlich nicht nach deren Umsiedlung in eine Stadt abzielen werden. Sowohl Abubakar Siddique und Anand Gopal hoben hervor, dass davon Ausnahmen bestehen, wenn es um persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Auseinandersetzungen geht.

 

Nach einem von der COI Abteilung des kanadischen IRB interviewten Professors sind die Taliban Verfolgungskapazitäten vor allem dann erfolgreich, wenn auf einen sehr bekannten und gut positionierten Gegner abgezielt wird. Nach Giustozzi geht es hier um einen Grad der Kosteneffizienz: Auf ein Zielobjekt von geringerer Wichtigkeit für die Taliban, welches aber in einer für die Taliban leichter zu erreichen Gegend residiert könnte rascher abgezielt werden als auf ein High Profile-Zielobjekt, welches sich in einer Gegend aufhält, welche durch die Behörden schwer bewacht wird.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.4.3.)

 

Situation für Rückkehrer aus dem Westen / Risiken aus einer "Verwestlichung"

 

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen als "Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen" und "Frauen im öffentlichen Leben" von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.

 

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, S. 46 f)

 

Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.

 

Für die Gesellschaft ist eine Unterscheidung nach der Einstellung gegenüber Männern einerseits und Frauen andererseits erforderlich. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen können auch als "verwestlicht" angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Ausbildung haben. Frauen, die als "verwestlicht" wahrgenommen werden, können als gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen verstoßend empfunden werden und können Gewalt von ihrer Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und Aufständischen ausgesetzt sein.

 

Bei den Männern sind die gesellschaftlichen Haltungen gegenüber "verwestlichten" Individuen gemischt. Es werden nur sehr wenige Fälle von Vorfällen im Zusammenhang mit der "Verwestlichung" gemeldet. Teile der Gesellschaft, meist in Städten (z.B. Kabul-Stadt), sind offen für westliche Ansichten, während andere Teile, meist in ländlichen oder konservativen Umgebungen, dagegen sind.

 

(Auszug aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, Juni 2018, S. 57 mit dortigen Hinweisen auf weitere Berichte dieser Organisation)

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person:

 

2.1.1. Der Beschwerdeführer hat während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu seinem Namen, seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu seinen sonstigen persönlichen Umständen (insbesondere zu seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeiten; s. Pkt. II.1.1.1., II.1.1.2. und II.1.1.4.) stets gleiche und zusammenhängende Angaben gemacht. Die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari wurde von der bestellten Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer in nicht als unglaubwürdig zu erkennender Weise angegeben, dass er auch Kenntnisse in den Sprachen Farsi und Deutsch besitze.

 

2.1.2. Die Feststellungen zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers beruhen auf den konsistenten, im Rahmen der behördlichen Einvernahme sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Angaben (s. Pkt. II.1.1.1.).

 

2.1.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vorgelegten fachärztlichen (psychiatrischen) Stellungnahme vom 27.05.2019 sowie der psychotherapeutischen Stellungnahme vom 26.05.2019 (s. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht [in Folge: "VHS"] S. 3 und 4 sowie Beilage ./1 und ./2 zur VHS).

 

2.1.4. Die Feststellungen zur familiären Herkunft des Beschwerdeführers sowie zu dessen derzeitiger Wohn-, Versorgungs- und Vermögenssituation ergeben sich aus den diesbezüglichen als glaubhaft zu beurteilenden Aussagen im Rahmen der behördlichen Einvernahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. Pkt. II.1.1.3., AS 132f und VHS S. 6f).

 

2.1.5. Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer keine Probleme mit den afghanischen Behörden hatte, dort auch keine strafbaren Handlungen begangen hat sowie dort nicht politisch tätig war, ergeben sich aus seinen nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Angaben vor der belangten Behörde (s. AS 138).

 

2.1.6. Die Feststellungen zur Ausreise aus Afghanistan sowie zur Antragstellung in Österreich (Pkt. II.1.1.6.) ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, dem erkennenden Gericht sowie dem Verfahrensakt.

 

2.2. Zu den Feststellungen zum individuellen Fluchtvorbringen:

 

2.2.1. Hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses - s. dazu auch die in der rechtlichen Beurteilung dargestellten, der Rechtsprechung zu entnehmenden Grundsätze der Beweiswürdigung in Asylverfahren (s. Pkt. II.3.2. Abschnitt zur "Glaubhaftmachung") - hat der Asylwerber, um dieses glaubhaft zu machen, insbesondere die in seiner Sphäre gelegenen Umstände einigermaßen plausibel und genügend substantiiert zu schildern, weiters muss - wobei es darauf ankommt, ob Aussagen in unwesentlichen Details oder im Kern variieren - das Vorbringen, um glaubwürdig zu sein, in sich schlüssig sein. Von Bedeutung ist für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit auch, wann im Verfahren der Asylwerber bestimmte Angaben tätigt. Zu berücksichtigen ist schließlich immer auch die persönliche Glaubwürdigkeit des Asylwerbers an sich. Vor diesem Hintergrund ist betreffend den gegenständlichen Fall, auch nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnenen persönlichen Eindrucks, Folgendes zu erwägen:

 

2.2.2. Gegenständlich brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, mehrmals von den Taliban zum Zweck der Rekrutierung unter Zwang mitgenommen worden zu sein. Er habe für die Taliban verschiedene Tätigkeiten wie Essen sammeln und kochen verrichten müssen und die Jugendlichen seien von den Taliban über Waffen und den Koran unterrichtet worden. Da der Beschwerdeführer mit der Ideologie der Taliban nicht einverstanden gewesen sei, sei er von diesen auch mehrmals geschlagen worden. Er sei schließlich gegangen und mit finanzieller Unterstützung seines Vaters aus Afghanistan geflohen. Dieses Vorbringen hält das erkennende Gericht nach den dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Ermittlungsschritten - insbesondere auch durch entsprechende Nachfragen zum vom Beschwerdeführer dargelegten Fluchtvorbringen - aus folgenden Erwägungen für nicht glaubwürdig:

 

2.2.3. Zunächst ist festzuhalten, dass das aus den festgestellten Informationen zur Lage im Herkunftsstaat ableitbare Bild zwar grundsätzlich ein mögliches Risiko darstellt, zwangsweise von regierungsfeindlichen Gruppierungen rekrutiert zu werden (Pkt. II.1.5.7. Situation betreffend Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban). Hinsichtlich der Herangehensweise der Taliban ist den Länderinformationen aber auch zu entnehmen, dass die Taliban keinen Mangel an Freiwilligen bzw. Rekruten leiden und Zwangsrekrutierungen daher einen Ausnahmefall darstellen. Diese werden - wie dies insbesondere von Giustozzi beschrieben wird - auch keinesfalls systematisch betrieben. Auch werden Personen, welche sich gegen eine Mobilisierung wehren, üblicherweise keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht. Vor allem weist die Länderberichtslage darauf hin, dass die geschilderten Fälle der Zwangsrekrutierungen Personen betreffen, welche über einen militärischen Hintergrund oder über Know-How und Qualifikationen verfügen, welche die Taliban im Gefechtsfeld benötigen können. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, so möglichst viele Informationen über den Feind wie z.B. betreffend Waffen und Uniformen zu erhalten. Schließlich geht aus den länderkundlichen Informationen hervor, dass die Möglichkeit besteht, dass Familien Zahlungen an die Taliban leisten können anstatt Rekruten zu stellen.

 

2.2.4. Die den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 zugrundeliegenden Länderinformationen - s. insbesondere die Fußnoten 326 und 327 - zeigen - wenngleich darauf hingewiesen wird, dass die Zahlen eher zu niedrig angesetzt sind - eine im Hinblick auf die in das Zielalter fallende Gesamtbevölkerung Afghanistans grundsätzlich geringe Zahl an dokumentierten, tatsächlichen zwangsweisen Rekrutierungen bzw. Rekrutierungsversuchen durch regierungsfeindliche Kräfte auf (s. UNHCR-Richtlinien, S. 59 ff). Das EASO wiederum zieht aufgrund von aktuellen - aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auch noch aus den für den Beschwerdeführer relevanten Zeitraum einschlägigen - Länderinformationen den Schluss, dass es u.a. auf die Zugehörigkeit zur Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, den militärischen Hintergrund, Herkunftsgebiet und Vorhandensein/Einfluss bewaffneter Gruppen, erhöhte Konfliktintensität, Stellung des Clans im Konflikt, schlechte sozioökonomische Situation der Familie, etc. ankommt (vgl. EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 46; an dieser Risikoeinschätzung des EASO hat sich auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfadens nichts geändert).

 

2.2.5. Vor dem Hintergrund dieser Länderinformationen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen von UNCHR und EASO wäre aus dem Gesamtprofil des Beschwerdeführers nicht auf eine erhöhte Gefahr einer - auch zwangsweisen - Rekrutierung zu schließen: Schon nach den festgestellten Länderinformationen ist Herat eine relativ friedliche, d.h. nicht besonders umkämpfte Provinz. Regierungsfeindliche Gruppierungen sind nach wie vor überwiegend in den Distrikten Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, jedenfalls aber nicht im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers, aktiv. Gerade in dem vom Beschwerdeführer angegebenen Zeitraum im Jahr 2015 ist aus den festgestellten Länderinformationen zu erkennen, dass die Taliban im Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers nicht aktiv waren, sondern sich deren Aktivität bereits damals überwiegend auf die Distrikte Shindand, Adraskan, Kushke Kohna und Obe beschränkte. Der Heimatdistrikt des Beschwerdeführers, Pashtun Zarghun, findet in den Berichten zur damaligen Sicherheitslage keine Erwähnung hinsichtlich sicherheitsrelevanter Vorfälle, welche von Aufständischen ausgelöst wurden. Die Familie des Beschwerdeführers konnte aus den Einkünften der Landwirtschaft gut leben (s. AS 132 und 134) und es kam im Verfahren nicht hervor, dass der Clan des Beschwerdeführers den Taliban oder anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen nahestehen würde. Der Beschwerdeführer selbst hat auch keinerlei militärischen Hintergrund, sondern verfügt ausschließlich über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft.

 

2.2.6. Weiters stellten sich die Schilderungen des Beschwerdeführers in der behördlichen Einvernahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Bedrohung durch die Taliban in nicht zu vernachlässigender Weise hinsichtlich der als nicht unwesentlichen zu betrachtenden Details als - das Kernvorbringen und nicht nur Randdetails betreffend (dazu etwa VwGH 02.09.2010, 2008/19/0568) - widersprüchlich dar. Nicht übersehen werden darf überdies, dass von diesen Einvernahmen auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund im Rahmen der Erstbefragung deutliche erkennbar abweichen bzw. erheblich gesteigert wurden. Dazu im Folgenden im Einzelnen:

 

2.2.7. Befragt zu den Gründen für die Flucht wie auch die Rückkehrbefürchtungen gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, dass er seine Heimat aufgrund der schlechten Sicherheitslage und des dort herrschenden Krieges verlassen habe. Deshalb sei es ihm auch nicht möglich gewesen, eine Ausbildung zu machen (s. AS 6). Eine - versuchte - Rekrutierung unter Zwang durch die Taliban wurde von ihm im Zuge dieser Befragung noch in keinster Weise vorgebracht. Dazu ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer eingangs in der mündlichen Verhandlung angab, dass es im bisherigen Asylverfahren keine Probleme mit Dolmetschern gegeben habe (s. VHS S. 3). Auch vor der belangten Behörde legte der Beschwerdeführer dar, bei der Erstbefragung die Wahrheit angegeben zu haben. Er habe aber "nicht alles" im Detail erzählen können (s. AS 130 und 131). Jedoch kann in Anbetracht des weiteren Vorbringens des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, nämlich einer versuchten Zwangsrekrutierung und Indoktrinierung durch die Taliban, von denen der Beschwerdeführer überdies auch mitgenommen und auch geschlagen worden sei, in Gegenüberstellung zur Aussage im Rahmen der Erstbefragung, bei welcher der Beschwerdeführer all diese Umstände nicht einmal ansatzweise erwähnte, nicht lediglich von einer - bloß "detailreicheren" - Darstellung gesprochen werden. Auf Nachfrage des erkennenden Richters diesbezüglich gab der Beschwerdeführer zuerst noch an, dass er genau die nunmehr dargelegten Fluchtgründe, eben die Bedrohung durch die Taliban bzw. dass er für diese Arbeiten verrichten musste, genannt habe. Auf Vorhalt des genauen Wortlautes seiner Angaben im Rahmen der Erstbefragung, führte der Beschwerdeführer dann ausweichend aus, dass er bei der Erstbefragung gerade in Österreich angekommen und müde und erschöpft gewesen sei (s. VHS S. 11). In der mündlichen Verhandlung entstand für den erkennenden Richter der Eindruck, dass der Beschwerdeführer ein verständiger junger Mann ist (zur evidenten Bedeutung des persönlichen Eindrucks s. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs vom 24.06.1999, Zl. 98/20/0435, oder vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505). Der Beschwerdeführer wurde am Anfang seiner Erstbefragung auch darüber aufgeklärt, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen und er wurde auf seine Mitwirkungspflichten sowie die nachteiligen Folgen von unwahren Aussagen aufmerksam gemacht. Das erkennende Gericht übersieht hier insbesondere nicht, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war. Er war jedoch bereits 17 Jahre alt. Dass ein gesunder, vernunftbegabter, junger Mensch, der seinen Herkunftsstaat auf Grund einer maßgeblichen, aktuellen persönlichen Bedrohung - nämlich einer zwangsweisen Rekrutierung durch Mitglieder einer regierungsfeindlichen Gruppierung - verlassen hat, in vollem Bewusstsein der Konsequenzen, nicht von sich aus die wahren Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates bereits in der Erstbefragung darlegt bzw. nicht einmal ansatzweise erwähnt, ist denklogisch nicht nachvollziehbar. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht i.d.Z. auch nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat (dazu etwa VfGH 27.06.2012, U98/12 und VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0334, m.w.N.). Doch geht auch der Formularvordruck davon aus, dass auf "ca." einer "halben" A4 Seite die "6W" (also: "Wer", "Wann", "Was", "Wo", "Wie" und "Wieso") abgedeckt werden. Jedenfalls normiert § 19 Abs. 1 leg. cit. kein (vollständiges) Beweisverwertungsverbot. Sowohl die belangte Behörde wie auch das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung - insbesondere, wie gegenständlich geschehen, nach fallbezogener Abklärung und mündlicher Verhandlung - in ihre Beurteilung, wenngleich nur in beschränktem Umfang, miteinbeziehen. Fallbezogen liegen auch keine Umstände vor, um von jeglicher, auch nur eingeschränkten Verwertung bei der Beweiswürdigung Abstand zu nehmen. Es ist daran zu erinnern, dass der Beschwerdeführer ja bestimmte Angaben zu seinen Fluchtgründen tätigte (vgl. AS 6: die schlechte Sicherheitslage, der Krieg sowie die fehlende Möglichkeit eine Ausbildung zu machen). Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen kommt das erkennende Gericht nach Abklärung fallbezogen zum Schluss, dass die bei der Erstbefragung getätigten Angaben jedenfalls (mit-) verwertet werden können.

 

2.2.8. Auch nach der Erstbefragung konnte der Beschwerdeführer im weiteren verwaltungsbehördlichen Verfahren den Grund für seine Flucht jedoch nicht entsprechend stringent angeben:

 

So konnte der Beschwerdeführer bereits nicht einmal gleichbleibend angeben, wie oft die Taliban ihn tatsächlich mitgenommen haben. Vor der belangten Behörde legte er noch dar, dass die Taliban ihn "ein paar Mal" mitgenommen hätten. Er habe das erste Mal ca. sieben bis zehn Tage vor seiner Ausreise aus Afghanistan mit den Taliban Kontakt gehabt und sei ungefähr sieben bis zehn Tage bei ihnen gewesen (s. AS 135 und AS 136). Vor dem erkennenden Gericht gab der Beschwerdeführer zuerst noch an, dass er "zweimal" von den Taliban mitgenommen worden sei. Das erste Mal sei er eine Woche bis zehn Tage bei den Taliban gewesen (s. VHS S. 10). Auf genauere Nachfrage des Richters führte er dann jedoch aus, nur "einmal" bei den Taliban gewesen zu sein, eben eine Woche bis zehn Tage. Dazwischen sei er einmal nach Hause und dann wieder zurück zu den Taliban gegangen. Deswegen habe er auch gesagt, dass er "zweimal" mitgenommen worden sei (s. VHS S. 11). In weiterer Folge widersprach sich der Beschwerdeführer - und dies in erkennbar nicht bloß zu vernachlässigenden Ausmaß - jedoch in der mündlichen Verhandlung auch, wie oft er von den Taliban nach Hause gegangen sei: So sagte er zuerst noch aus, er sei "zweimal" von den Taliban zurück zu seiner Familie gegangen, und beim zweiten Mal dann geflüchtet. Kurz darauf gab er jedoch an, erst sein Heimatdorf verlassen zu haben, als er das "dritte Mal" zu seiner Familie zurückgekehrt sei (s. VHS S. 11).

 

Nicht denklogisch nachvollziehbar stellt sich für das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus die Aussage des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde dar, dass er und die anderen Jungen von den Taliban nicht in diesem Haus festgehalten worden, sondern "frei" gewesen seien (s. AS 136). Wies der Beschwerdeführer doch zuvor explizit darauf hin, dass er von Mitgliedern der Taliban "mit Zwang" dorthin mitgenommen worden sei und dass diese beiden Taliban ihm außerdem auch gesagt hätten, dass er mitkommen müsse (s. AS 135 und 136).

 

In einem deutlichen - und auch nicht als unerheblich zu betrachtenden - Widerspruch, welcher zudem eindeutig als Steigerung zum bisherigen Fluchtvorbringen bei davor jedenfalls eingeräumter Möglichkeit dies vorzutragen zu qualifizieren ist, steht auch die nunmehr erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer aufgestellte Tatsachenbehauptung, dass sein Onkel mütterlicherseits ein Mitglied der Taliban sei und dies ein maßgeblicher fluchtauslösender Umstand bzw. überhaupt der Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers gewesen sei (s. VHS S. 9).

 

Doch auch die Behauptung, sein Onkel mütterlicherseits sei der Grund für seine Flucht gewesen, konnte der Beschwerdeführer in weiterer Folge aber in keinster Weise schlüssig darlegen. Vielmehr muten die diesbezüglich vom Beschwerdeführer getätigten Aussagen vielmehr erkennbar opportunistisch an: So gab er einerseits an, dass er damals selbst nicht gewusst habe, dass sein Onkel mütterlicherseits ein Grund für seine Ausreise war, es aber dessen Beitrag gewesen sei, dass der Beschwerdeführer überhaupt von den Taliban mitgenommen worden sei. Andererseits führte er weiterführend aus, dass ihm auch damals schon bewusst gewesen sei, dass sein Onkel ihn ständig um sich haben und ihn "benützen" habe wollen. Darauf folgend legte er jedoch wiederum dar, dass er nicht gewusst habe, dass der Onkel mütterlicherseits der Auslöser für die ganzen Probleme gewesen sei, er wisse es erst seitdem auch seine Familie aus Afghanistan geflüchtet sei. Auf nochmaligen Vorhalt des erkennenden Richters, dass die Eltern des Beschwerdeführers diesem doch wohl bereits vor seiner Ausreise aus Afghanistan mitgeteilt hätten, dass sein Onkel mütterlicherseits dafür verantwortlich sei, dass die Taliban ihn mitgenommen haben, gab der Beschwerdeführer jedoch sich selbst erneut - und auch diesbezüglich in relevantem Umfang - widersprechend an, dass er das damals auch selbst mitgekommen habe, dass dieser Onkel die Taliban geschickt habe (vgl. VHS S. 9 und 10). Auf Nachfrage des erkennenden Richters, warum der Beschwerdeführer in seinem bisherigen Asylverfahren keinerlei derartigen Angaben getätigt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er sich geschämt habe, darüber zu reden, weil er mit "benützen" gemeint habe, dass sein Onkel mütterlicherseits ihn sexuell missbrauchen wollte (s. VHS S. 9). Auch dies vermag das erkennende Gericht jedoch - und insbesondere in Anbetracht der bereits aufgezeigten Widersprüchlichkeiten - nicht von der dennoch gegebenen Glaubwürdigkeit der Schilderungen des Beschwerdeführers zu überzeugen. Dass sein Onkel maßgeblich an der Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch die Taliban beteiligt gewesen sei, hätte der Beschwerdeführer nämlich auch darlegen können, ohne seinen Verdacht, dass sein Onkel geplant habe ihn sexuell zu missbrauchen überhaupt näher zu äußern.

 

Wenig plausibel erscheint dem erkennenden Gericht weiters, dass ausschließlich der Beschwerdeführer von den Taliban rekrutiert werden sollte, nicht aber (auch) dessen Brüder. Auch die vom Beschwerdeführer diesbezüglich angegebene Erklärung, seine Brüder seien jung gewesen (vgl. AS 137), vermag das erkennende Gericht dabei nicht zu überzeugen, gab der Beschwerdeführer doch bereits bei der Erstbefragung (s. AS 3) - im Jahr 2015 - an, dass seine Brüder 19, 14 und 12 Jahre alt gewesen seien. Somit hätten sich aber auch jedenfalls die älteren beiden Brüder in einem für die Taliban bereits als wehrfähig anzusehendem Alter befunden (was auch den festgestellten Länderinformationen zu entnehmen ist).

 

Außerdem gab der Beschwerdeführer in seiner behördlichen Einvernahme auch noch an, dass es seiner Familie in Afghanistan gut gehe, weil die Taliban nichts mit diesen zu tun hätten (s. AS 137). Erstmalig und klar erkennbar gesteigert brachte er nunmehr jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, dass die Taliban sich, nachdem der Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist sei, an die Familie gewandt hätte. Auf Vorhalt des erkennenden Richters, dass der Beschwerdeführer dies vor der belangten Behörde nicht angegeben habe, gab dieser lediglich unsubstantiiert an, dass er das so erwähnt habe (s. VHS S. 13).

 

Schließlich führte der Beschwerdeführer überdies, nach Darstellung seiner Fluchtgründe, auf Nachfrage des erkennenden Richters, ob der Beschwerdeführer also annehme, dass die Taliban ihm bei Rückkehr in den Heimatdistrikt etwas antun würden, aus, dass er in Salzburg Fotos von sich habe machen lassen, die ihn in kurzen Hosen zeigen. Diese habe er einem Freund per Facebook geschickt. Man habe den Beschwerdeführer auf den Bildern erkannt und diese seien auch herumverteilt worden. Auch die Taliban hätten diese Fotos gesehen und hätten gesagt, dass er im Ausland und ein Ungläubiger geworden sei (s. VHS S. 12). Mit keinem Wort erwähnte er hierbei - bzw. bei neuerlicher Nachfrage zu den Rückkehrbefürchtungen (vgl. VHS S. 13) jedoch eine Angst vor möglichen Konsequenzen aufgrund der von ihm verweigerten Zwangsrekrutierung durch die Taliban.

 

2.2.9. Hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers, dass er von den Taliban aufgrund der Fotos, die ihn in kurzen Hosen zeigen, als Ungläubiger aus dem Ausland angesehen werde (s. VHS S. 12), ist nun Folgendes zu erwägen:

 

Der Beschwerdeführer konnte diese Behauptung in keinster Weise näher substantiieren. So führte er aus, dass er die Bilder an einen Freund von ihm geschickt habe. Auf Nachfrage des erkennenden Richters, wo dieser Freund lebe und wie er heiße, gab der Beschwerdeführer nur vage an, dass dieser im Iran lebe. Sein Freund habe diese Bilder jedoch jemand anderem weitergeleitet und dieser wiederum jemand anderem und so seien die Fotos schlussendlich bei den Taliban gelandet. Sogar die Eltern des Beschwerdeführers hätten ihm gesagt, dass die Taliban die Bilder hätten. Die Eltern hätten nach wie vor Kontakt nach Afghanistan, jedoch nicht zu den Taliban. Der Beschwerdeführer vermutete, dass seine Eltern es von einem Onkel väterlicherseits gehört hätten (vgl. VHS S. 12). Diese Darstellungen des Beschwerdeführers gründen sich, bei Wahrunterstellung, dass der Beschwerdeführer tatsächlich solche Fotos an einen Freund im Iran versendet hat, dementsprechend ausschließlich auf Vermutungen, und gelang es dem Beschwerdeführer mit diesen unbestimmten Aussagen nicht, dass erkennende Gericht von der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens zu überzeugen.

 

2.2.10. Nicht zuletzt gab der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass seine Familie in den Iran verzogen sei, weil sein Onkel mütterlicherseits um die Hand der zwölfjährigen Schwester des Beschwerdeführers für seinen 20-jährigen Sohn angehalten habe und der Vater des Beschwerdeführers abgelehnt habe. Deswegen seien Konflikte entstanden und es habe auf den Feldern eine Auseinandersetzung zwischen den Brüdern des Beschwerdeführers und seinem Cousin gegeben, bei welcher der Cousin verletzt worden sei. Seine Familie habe dann Angst bekommen, weil der Onkel mütterlicherseits ein Mitglied der Taliban sei. Dass der Onkel tatsächlich ein Mitglied der Taliban ist, ist für das erkennende Gericht schon angesichts der obigen widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Onkel und dessen Involvierung in die vermeintliche Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers wenig plausibel. Der Beschwerdeführer gab außerdem an, dass die Familie aufgrund des abgelehnten Heiratsantrages, welche in einer Verletzung seines Cousins resultierte, bedroht worden sei (s. VHS S. 8). Auf Nachfrage des erkennenden Richters, wie (gemeint: konkret) die Familie des Beschwerdeführers bedroht worden sei, tätigte der Beschwerdeführer jedoch ausschließlich Angaben dazu, dass der Onkel mütterlicherseits auch für seine Flucht ursächlich gewesen sei und legte nicht konkret dar, zu welchen Bedrohungsszenarien es gegenüber der Familie gekommen sei. Vielmehr gab er dazu nichts weiteres mehr an (s. VHS S.9). Selbst bei Wahrunterstellung, dass der abgelehnte Heiratsantrag und dessen Folgen zur Ausreise der Familie des Beschwerdeführers aus Afghanistan geführt haben, steht jedoch auch der Ausreisegrund seiner Familie jedoch in keinem Zusammenhang mit dem vermeintlichen zwangsweisen Rekrutierungsversuch des Beschwerdeführers durch die Taliban.

 

2.2.11. Aufgrund einer Gesamtbetrachtung all der zuvor behandelten Aspekte der Angaben des Beschwerdeführers - insbesondere bei Gegenüberstellung mit den Länderberichten, der klar erkennbaren Steigerungen gegenüber der Erstbefragung sowie der sonstigen Inkonsistenzen und nicht plausiblen Angaben - hält das Bundesverwaltungsgericht die Behauptungen zum fluchtauslösenden Ereignis nicht für glaubwürdig. Es sind somit nach Durchführung der dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen entsprechend negative Feststellungen zu treffen (dazu u.a. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0060, Rz. 10).

 

2.2.12. Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer keine Probleme mit den afghanischen Behörden hatte, dort auch keine strafbaren Handlungen begangen hat sowie dort nicht politisch tätig war, ergeben sich aus seinen diesbezüglichen nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Angaben vor der belangten Behörde (s. AS 138).

 

2.3. Zu den Feststellungen zum Leben in Österreich:

 

2.3.1. Die Feststellungen zum Leben in Österreich (betreffend eigene Familienangehörige oder Verwandte in Österreich, Beziehungen zu anderen Österreichern und Afghanen, Erlernen der deutschen Sprache, Erwerbstätigkeiten, Lebensunterhalt, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie sonstige Aktivitäten) folgen aus den klar geäußerten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben zu den Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung sowie den vom Beschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen und -gerichtlichen Verfahren vorgelegten Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit sich das erkennende Gericht nicht zu zweifeln veranlasst sah (s. das der VHS angeschlossene Beilagenkonvolut).

 

2.3.2. Die Feststellung, wie er von seinem sozialen Umfeld wahrgenommen wird gründen auf den im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Urkunden (s. das der VHS angeschlossene Beilagenkonvolut).

 

2.3.3. Die Feststellungen zur Unbescholtenheit ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Beschwerdeführers sowie einer Einsicht in das Strafregister.

 

2.4. Zu den Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützungen ergibt sich aus der Anfragebeantwortung "Sozialleistungen für Rückkehrer" der Staatendokumentation von Februar 2018. Die Informationen sind aktuell und schlüssig und blieben als solches vom Beschwerdeführer unbestritten.

 

2.5. Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

2.5.1. Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan (Pkt. II.1.5.1, allgemeine Sicherheits-, Grundversorgungs- und Wirtschaftslage, regierungsfeindliche Gruppierungen, Rechtsschutz und Justizwesen, Folter und unmenschliche Behandlung, Binnenflüchtlinge), zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif (Pkt. II.1.5.3.) - siehe aber auch nachstehend zu anderen herangezogenen Quellen -, im Hinblick auf die Erreichbarkeit von Österreich, Sicherheitslage und wirtschaftlicher Lage durch bzw. für Rückkehrer (einschließlich Arbeitsmarkt), sowie zum Meldesystem (Pkt. II.1.5.4) stützen sich auf das im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuelle (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019), nachvollziehbare und schlüssige, von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellte Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht schon daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Einrichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diese Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

2.5.2. Die Feststellungen zu den Sicherheitsbehörden (Pkt. II.1.5.1) beruhen auf dem aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen, auch auf andere Quellen verweisenden, Länderleitfaden des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen "EASO" von Juni 2018. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Art. 4 lit. a und b der EU-Verordnung Nr. 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Überdies nennt die EU-Richtlinie 2013/32/EU (konkret: deren Art. 10 Abs. 3 lit. b) gerade die Berichte des Unterstützungsbüros als zu verwendende Informationsquelle. Der Bericht als solches blieb vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

2.5.3. Die Feststellungen zur Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.5.2.) stützen sich auf das LIB - auf eine mittlerweile veraltete Fassung des LIB verwies auch der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde (s. deren S. 6f) -, ACCORD-Bericht Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 29.05.2019 sowie hinsichtlich der Lage im Jahr 2015 auf den Bericht des EASO zur Sicherheitslage von Jänner 2016. Die Berichte wurden vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

 

Der Beschwerdeführer verweist in seiner Stellungnahme vom 08.07.2019 (s. deren S. 2f) darauf, dass aus den ins Verfahren eingeführten Länderinformationen hervorgeht, dass die Taliban in einigen abgelegenen Distrikten Herats durchaus aktiv sind und sich die Situation in diesen Distrikten entsprechend verschlechtert hat. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht keineswegs verkennt, dass sich die Lage insbesondere in den Distrikten Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran als volatil darstellt, weil Aufständische in diesen aktiv sind. Gerade der Heimatdistrikt des Beschwerdeführers, Pashtun Zarghun, zählt jedoch nicht zu den als volatil angeführten Distrikten.

 

2.5.4. Andererseits gründen die soeben genannten Feststellungen, insbesondere zum Bankensystem (Pkt. II.1.4.5.), auf den aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsberichten des EASO zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, staatlichem Schutz und Mobilität in Kabul, Mazar-e Sharif, und Herat von August 2017 sowie zu Netzwerken in Afghanistan von Jänner 2018. Zum Beweiswert dieser Informationen siehe bereits oben. Die Berichte als solches blieben vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

2.5.5. Die Feststellungen zur medizinischen Versorgung (Pkt. II.1.5.6.) und hierbei insbesondere im Hinblick auf psychische Erkrankungen sowie die Verfügbarkeit von Medikamenten beruhen auf dem LIB, den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation "Medikamente gegen psychotische Störung und Depression" vom 08.06.2017, "Behandlung von Gastritis und Interkostalneuralgie und Kosten von Cerebokan, Patoprazo, Saroten und Setralin" vom 30.01.2018, "Behandelbarkeit und Therapien nach Schlaganfällen, Behandelbarkeit v. Morbus Binswanger, Demenz u. Bluthochdruck, Verfügbarkeit von Medikamenten" vom 13.08.2018 und "IgA-Vaskulitis, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)" vom 25.04.2019.

 

2.5.6. Die Feststellungen betreffend die Situation in der Stadt Mazar-e Sharif und die dortige Sicherheitslage, die Versorgung mit Lebensmitteln, den Wohnungs- und Arbeitsmarkt, die sanitäre Situation und die Erreichbarkeit von Österreich beruhen (auch) auf den erwähnten Berichten von EASO zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, Sicherheitslage, Netzwerken, den auf andere Quellen dieser Organisation verweisenden EASO-Länderleitfaden Afghanistan sowie dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018", welcher - teilweise - auf die soeben genannten Berichte verweist und darauf aufbauend Schlussfolgerungen zieht. Des Weiteren beruhen die getroffenen Feststellungen auch auf den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, und "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018. Die darin enthaltenen Informationen können widerspruchsfrei mit entsprechenden Angaben im LIB kombiniert werden.

 

Hinsichtlich des Verweises des Beschwerdeführers (s. Beschwerde S. 6, Stellungnahme vom 08.07.2019, S. 6) auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 19.06.2017 zu "Afghanistan; Sicherheitslage in der Stadt Kabul" bezieht sich schon dem Titel nach nicht auf die Stadt Mazar-e Sharif und ist überdies als veraltet anzusehen. Sohin sah sich das erkennende Gericht aufgrund dieses Vorbringens nicht veranlasst, zusätzlich oder anderslautende Feststellungen zu treffen.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Sicherheitslage in der Stadt Kabul (s. Stellungnahme 08.07.2019, S. 3ff) ist an sich nicht geeignet, den getroffenen Feststellungen zur diesbezüglichen Lage in der Stadt Mazar-e Sharif entgegenzutreten.

 

2.5.7. Die Feststellungen zur Gefahr einer verweigerten (zwangsweisen) Rekrutierung (Pkt. II.1.5.7.) beruhen einerseits auf den UNHCR-Richtlinien sowie andererseits auf dem Bericht von EASO zu Rekrutierungen durch Bewaffnete und auf einem unbestritten gebliebenen, nachvollziehbaren und schlüssigen Bericht von Landinfo, dem Pendant der norwegischen Regierung zur österreichischen Staatendokumentation. Ein entsprechender Beweiswert kommt diesem, aktuellen, Bericht mit länderkundlichen Informationen aus Sicht des erkennenden Gerichts schon deshalb zu, weil Landinfo - ebenso wie die österreichische Staatendokumentation - ihre Informationen u.a. nach den gemeinsamen EU Standards für die Verarbeitung von Herkunftsstaatsinformationen (verfügbar etwa unter http://www.refworld.org/docid/48493f7f2.html [abgerufen am 08.07.2019] ermittelt und evaluiert). Diese Quellen sind i.d.Z. schlüssig und nachvollziehbar und erscheinen auch als ausreichend aktuell.

 

2.5.8. Die Feststellungen zu einem möglichen Risiko wegen einer Verwestlichung ("westliche Orientierung") bzw. als Rückkehrer aus dem Westen beruhen auf den UNHCR-Richtlinien sowie dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan. Die jeweiligen Ausführungen waren ausreichend aktuell und schlüssig und blieben als solches auch unbestritten. Die Informationen von EASO ließen sich auch mit den UNHCR-Richtlinien ohne Widerspruch kombinieren.

 

2.5.9. Die Feststellungen zur möglichen Verfolgung durch die Taliban gründen auf den UNHCR-Richtlinien, dem EASO-Bericht zur Verfolgung einzelner durch bewaffnete Akteure sowie auf einem nachvollziehbaren und schlüssigen Bericht von Landinfo. Auch diese Berichte blieben im Verfahren unbestritten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde

 

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz)

 

3.1. Rechtsgrundlagen:

 

3.1.1. "Flüchtling" i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge: "GFK") ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

3.1.2. Die §§ 3 und 11 AsylG 2005 lauten samt Überschrift:

 

"Status des Asylberechtigten

 

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat."

 

"Innerstaatliche Fluchtalternative

 

§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

3.1.3. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 i.V.m. Z 11 AsylG 2005 ist "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung i.S.d. Art. 9 der EU-Richtlinie 2011/95/EU (in Folge: "Statusrichtlinie").

 

Gemäß Art. 9 Abs. 1 Statusrichtlinie muss eine Handlung um als "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten,

 

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in Folge: "EMRK") keine Abweichung zulässig ist, oder

 

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

3.1.4. Als "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 leg. cit. können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

 

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

 

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

 

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

 

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

 

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 leg. cit. fallen, und

 

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

 

3.1.5. § 18 Abs. 1 und 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) [...]

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

3.1.6. Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.

 

3.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Bei der Beurteilung, ob eine asylrelevante Verfolgung als glaubhaft gemacht zu betrachten ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.2.2. Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die "wohlbegründete Furcht" davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, m.w.N.).

 

3.2.3. Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

3.2.4. Die Verfolgungsgefahr muss "aktuell" sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, m.w.N.).

 

3.2.5. Die Gefahr der "Verfolgung" i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i. V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

3.2.6. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

3.2.7. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt -asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

3.2.8. Eine auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung kann keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich entscheidend auch darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (vgl. VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059).

 

3.2.9. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen nicht getroffen werden (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz. 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Ein Sachverhalt ist grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anzuerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (vgl. VwGH 26.01.1996, 95/02/0289; zur Plausibilität

s. VwGH 29.06.2000, 2000/01/0093; zu gehäuften und eklatanten Widersprüchen oder fehlendem Allgemein- und Detailwissen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.01.2001, Zl. 2000/20/0544, und vom 22.02.2001, Zl. 2000/20/0461). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz. 3.2. m.w.N.). In die Beweiswürdigung ist der reale Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108, Rz. III.4., m.w.N.).

 

3.2.10. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Zur möglichen Verfolgung durch die Taliban i.Z.m. einer verweigerten Zwangsrekrutierung:

 

3.2.1.1. Nach den getroffenen Feststellungen gab es in Afghanistan keine persönlich gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Statusrichtlinie durch die Taliban. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass die Taliban den Beschwerdeführer zwangsweise rekrutieren wollten. Eine Verfolgungsgefahr ist nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Eine solche Wahrscheinlichkeit liegt gegenständlich nicht vor: Nach den festgestellten Länderinformationen besteht zwar für Personen, denen aufgrund einer verweigerten Rekrutierung von den Taliban eine politisch oder auch oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, ein grundsätzliches Risiko. Allerdings ist es schon in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe - insbesondere eben die Bedrohung durch die Taliban - nicht glaubhaft vorbringen konnte, als nicht gegeben anzusehen.

 

3.2.1.2. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat konnte der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft machen.

 

3.2.1.3. Selbst bei Wahrunterstellung der vom Beschwerdeführer getätigten Angaben und bei Unterstellung, dass der Beschwerdeführer unter das Risikoprofil der Personen, welche die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die jedoch die Zusammenarbeit verweigern, fällt, ist den Länderberichten jedoch auch zu entnehmen, dass, obwohl es sich dabei um eine Personengruppe handelt, welcher die Möglichkeit zur Reue und Widergutmachung nicht eingeräumt wird, auf der schwarzen Liste der Taliban fast jeder stünde, der aus Sicht der Taliban ein "Übeltäter" ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können.

 

3.2.1.4. Selbst wenn man daher annehmen würde, dass die Taliban dem Beschwerdeführer eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würden und daraus im Heimatort eine - auch aktuelle - Verfolgungsgefahr sieht, steht dem Beschwerdeführern mit der Stadt Mazar-e Sharif - alternativ zur Rückkehr in den Herkunftsdistrikt im Lichte des § 3 AsylG 2005 - eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen:

 

Zunächst ist festzuhalten, dass nach den Länderinformationen die Stadt Mazar-e Sharif jedenfalls als unter der Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist und nicht - abgesehen von gelegentlichen Anschlägen auf ganz bestimmte Ziele - von einem dortigen aktiven Konflikt zwischen der Regierung und regierungsfeindlichen Elementen ausgegangen werden muss (Pkt. II.1.5.3.).

 

Weiters ist den festgestellten Länderberichten (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Mögliche Verfolgung durch die Taliban") zu entnehmen, dass die Taliban zwar grundsätzlich - insbesondere durch deren existierendes Spionagenetzwerk - die Mittel hätten, den Beschwerdeführer auch in großen Städten aufzufinden und zu verfolgen. Auch seien nach Giustozzi in dem für Landinfo verfassten Bericht die Taliban, wenngleich diese Information nur von diesen selbst stammt, von keiner weiteren Quelle bestätigt wird und sohin eingeschränkt zu werten ist, in der Lage in Erfahrung zu bringen, wer das Land betritt. Davon ist allerdings die Frage zu trennen, ob gerade für den Beschwerdeführer auch am gegenständlich angenommenen Rückkehrort in den Heimatstaat eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefährdungslage einer Verfolgung durch die Taliban zu prognostizieren wäre (s. dazu insbesondere VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0366, Rz. 8 unter Hinweis auch auf die Ausführungen der UNHCR-Richtlinien aus 2016, wobei anzumerken ist, dass sich die - was sich bei Gegenüberstellung der verfügbaren englischen Sprachfassungen zeigt - diesbezüglichen Ausführungen in den aktuellen UNHCR-Richtlinien gleichgeblieben sind, sowie auch VwGH 21.03.2018, Ra 2018/18/0032, Rz. 11. Die beiden Entscheidungen zugrundeliegende Länderberichtslage - vornehmlich eben jene der UNHCR-Richtlinien 2016 - kann i.d.Z. als weiterhin von Relevanz betrachtet werden). Zwar könnte man aus der deutschen Sprachfassung der UNHCR-Richtlinien schließen, dass in Bezug auf eine Gruppierung wie die Taliban keine innerstaatliche Fluchtalternative möglich wäre. Dies ergibt sich jedoch in dieser Form weder aus der englischen ("may not be possible") noch aus der russischen Sprachfassung, ("könnte") der Richtlinien. Vielmehr tragen die UNHCR-Richtlinien aus Sicht des erkennenden Gerichts bei einer Gruppierung wie den Taliban eine - auch im Folgenden vorgenommene - genauere Prüfung auf, als etwa im Hinblick auf andere Gruppierungen in Afghanistan.

 

Die Schlussfolgerungen seitens des EASO betreffend die Relevanz einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind differenzierter: Sie schließen aus aktuellen Länderinformationen bei einer angenommenen aktuellen Gefährdungslage aufgrund der Taliban bei Rückkehr durch die Taliban, dass insbesondere die individuellen Umstände des Antragstellers, die Fähigkeit der Taliban, Personen in den Städten zu verfolgen und zu zielen, die Art und Weise, wie der Antragsteller von den Taliban wahrgenommen wird (s. dazu die nachstehenden Erwägungen bezogen auf den Beschwerdeführer) und ob eine persönliche Feindschaft auf dem Spiel steht oder nicht, usw. berücksichtigt werden muss. Überhaupt könne das Profil des Antragstellers ihn zu einem vorrangigen Ziel für aufständische Gruppen machen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Akteur der Verfolgung oder des schweren Schadens versucht, den Antragsteller am potenziellen Standort zu finden (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 100; an dieser Risikoeinschätzung des EASO hat sich auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfadens nichts Grundlegendes geändert).

 

Stellt man vor dem Hintergrund dieser Erwägungen sowie insbesondere in Gesamtschau der Leitlinien des EASO wie des UNHCR die individuellen Umstände des Beschwerdeführers entsprechenden gegenständlich festgestellten Länderinformationen gegenüber, so zeigt sich folgendes Bild:

 

Zunächst stellen sich nach den Länderinformationen größere Städte in Afghanistan im Hinblick auf das Entkommen vor (neuerlicher) Verfolgung grundsätzlich sicherer dar, weil Aufständische wie die Taliban dort, mit Ausnahme in der Stadt Kunduz, nicht in der Lage sind, Checkpoints zur Kontrolle von Personen einzurichten. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufsuchens und Verfolgens durch die Taliban bzw. vergleichbarer regierungsfeindlicher Elemente ist in Mazar-e Sharif und Herat mangels einer entsprechenden Verankerung bzw. Präsenz der Taliban weit geringer als dies im Vergleich dazu in den Städten Khost und Kunduz mit entsprechend starker Verankerung der Taliban der Fall wäre (vgl. den EASO-Bericht Verfolgung Einzelner auf S. 27). Die festgestellte Länderberichtslage betreffend die Gefahr für Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Taliban: Potentielle Zielpersonen der Taliban/ Wichtigkeit für die Taliban") zeigt jedenfalls bei Gegenüberstellung mit dem konkreten Profil des Beschwerdeführers (vgl. dazu oben: Pkt. II.1.5.7. Situation betreffend Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban), welcher über keinerlei militärischen Hintergrund oder über Know-How und Qualifikationen verfügt, welche die Taliban im Gefechtsfeld benötigen könnten, sondern ausschließlich in der familieneigenen Landwirtschaft mitarbeitete, und dem daraus abzuleitenden Gesamtbild nicht auf, dass grundsätzlich auf eine (erhöhte) Gefahr für den Beschwerdeführer zu schließen wäre.

 

Die Familie des Beschwerdeführers lebte außerdem noch bis August bzw. September 2018 im Heimatdistrikt, ohne dass es zu Zwischenfällen mit den Taliban gekommen wäre. Sie verließ Afghanistan vielmehr aufgrund einer Auseinandersetzung nach einem abgelehnten Heiratsantrag. Eine Bedrohung bzw. Verfolgung außerhalb seines Heimatortes, insbesondere in der Stadt Mazar- e Sharif, wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgebracht.

 

Nach Mazar-e Sharif selbst könnte der Beschwerdeführer auch von Österreich aus sicher reisen und würden so insbesondere keine Gefahr laufen, bei einem - z.B. am Weg errichteten - Checkpoint der Taliban kontrolliert zu werden.

 

3.2.1.5. Aus der Gesamtschau aller oben genannten Umstände und dem daraus abzuleitenden Bild folgt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen - auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien des EASO betreffend die Relevanz einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bei Verfolgung durch regierungsfeindliche Elemente sowie der darin aufgezeigten Erforderlichkeit, dass der angenommene Neuansiedlungsort dauerhaft und nicht nur vorübergehenden Schutz bietet - keine maßgeblich wahrscheinliche (und nicht bloß entfernt mögliche) Gefährdung durch Verfolgungshandlungen durch die Taliban bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. insbesondere bei einer angenommenen Neuansiedelung in der Stadt Mazar- e Sharif bzw. wurde eine solche auch nicht glaubhaft gemacht.

 

3.2.1.6. Zu den im gegenständlichen Fall gegeben, sonstigen Voraussetzungen der Stadt Mazar-e Sharif als Ort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative i.S.d. § 11 AsylG 2005 siehe die Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.

 

3.2.2. Zur möglichen (erstmaligen) zwangsweisen Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

3.2.2.1. Eine persönliche Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Statusrichtlinie gegen den Beschwerdeführer durch die Taliban kann nicht festgestellt werden. Zwar kommt es auf eine konkrete Vorverfolgungshandlung bei der Beurteilung einer möglichen aktuellen Gefahr von Verfolgungshandlungen nicht an (dazu das bereits erwähnte Erkenntnis VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212). Es ist jedoch in Erinnerung zu rufen, dass eine Verfolgungsgefahr nur dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).

 

3.2.2.2. Eine zwangsweise Rekrutierung bzw. ein zwangsweiser Rekrutierungsversuch kann grundsätzlich zur Feststellung einer asylrelevanten Verfolgung führen, wenn der Weigerung eine politische und/oder religiöse oppositionelle Gesinnung unterstellt wird (dazu zuletzt auch VfGH 13.12.2017, E2497/2016 mit Hinweisen auch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs).

 

3.2.2.3. Das dem festgestellten (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Situation betreffend Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban") und auch aktuellen Länderberichtsmaterial zu entnehmende Bild über Rekrutierungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen deutet in Gesamtschau für das erkennende Gericht darauf hin, dass zum einen die Taliban zwangsweise Rekrutierungen nicht systematisch betreibt. Zu zwangsweisen Rekrutierungen kommt es überwiegend auch nur in von diesen beherrschten Gebieten.

 

3.2.2.4. Nach EASO kann eine zwangsweise Rekrutierung grundsätzlich eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bilden, sofern im Einzelfall bestimmte "risikoverstärkende" (risk-enhancing) Umstände gegeben sind (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 16; diese Einschätzung blieb auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfadens unverändert). Dazu zählen neben der Zugehörigkeit der jungen Erwachsenen u.a. der militärische Hintergrund, die Herkunftsregion sowie der dortige Einfluss bewaffneter Gruppen, die gesteigerte Intensität des Konflikts, die Position des eigenen Clans sowie eine schlechte sozioökonomische Situation der Familie.

 

3.2.2.5. Der Beschwerdeführer hat gegenständlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - für dieses wie oben unter Pkt. II.2.2. dargestellt jedoch nicht glaubwürdig - dargelegt, dass er Gefahr liefe, bei Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban zwangsweise rekrutiert zu werden.

 

3.2.2.6. Selbst bei Wahrunterstellung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten drohenden Zwangsrekrutierung ist jedoch zu beachten, dass der gegenständlich als möglich angenommene Ort einer Rückkehr, die Stadt Mazar-e Sharif (s. dazu unten Pkt. II.3.4.2.), nach den getroffenen Länderfeststellungen unter der Kontrolle der afghanischen Regierung, jedenfalls nicht unter der der Taliban steht. Dort kommt es auch zu keinen regulären militärischen Auseinandersetzungen mit diesen bzw. haben diese dort auch keinerlei maßgeblichen Einfluss.

 

3.2.2.7. Der Beschwerdeführer ist somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan - in Beachtung des Länderberichtsmaterials - keiner nicht bloß entfernten Gefahr einer Verfolgung in Form einer (möglicherweise zwangsweisen und daraus folgend auch eine unterstellte oppositionelle Haltung) Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen ausgesetzt. In Gesamtschau dieser Erwägungen wurde daher aufgrund dieses Fluchtvorbringens die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan nicht glaubhaft gemacht.

 

3.2.3. Zur möglichen Verfolgung des Beschwerdeführers wegen der Rückkehr aus Europa und einer damit zusammenhängenden "Verwestlichung (westlichen Einstellung / Orientierung)":

 

3.2.3.1. Zu dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre nicht vor Verfolgungshandlungen geschützt, weil er als Ungläubiger aus dem Ausland angesehen werde, ist Folgendes zu erwägen:

 

3.2.3.2. Zunächst ist zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung einer bestimmten Lebensweise bzw. eines bestimmten Lebensstils, welcher bereits als wesentlicher Bestandteil der Identität anzusehen ist, bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würde und es eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken (vgl. dazu VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329, Rz. 12).

 

3.2.3.3. Hinsichtlich der geltend gemachten Gefahr aufgrund einer Rückkehr aus dem Ausland ist auszuführen, dass es nach dem den festgestellten Länderinformationen zu entnehmenden Gesamtbild (auch) bei einer Rückkehr von Männern aus Europa bzw. aus dem Westen in Afghanistan zu vereinzelten Verfolgungshandlungen durch die Gesellschaft und regierungsfeindliche Elemente kommen kann (s. oben Pkt. II.1.5.7. bzw. die dort genannten Ausführungen aus Quellen von UNHCR sowie EASO). Während die UNHCR-Richtlinien auf ein Verfolgungsrisiko insbesondere durch regierungsfeindliche Elemente hinweisen sieht EASO - wenngleich eine, von besonderen Umständen abhängige Möglichkeit für eine Verfolgung grundsätzlich bejaht wird (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 19) - das Risiko für Männer - abhängig von "risikoverstärkenden" ("risk-enhancing") Umständen des Einzelfalls -im Gegensatz zu Frauen grundsätzlich als minimal an. Als relevante und zu beachtende Umstände werden von EASO i.d.Z. u.a. neben dem Geschlecht bestimmte angenommene Verhaltensweisen, die Herkunftsregion, eine konservative Umgebung, die Familie, das Alter und die Auffälligkeit genannt (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, s. S. 19 und 57; an dieser Beurteilung des EASO hat sich auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfadens zu Afghanistan nichts geändert).

 

3.2.3.4. Besondere Umstände, wie besondere Verhaltensweisen oder Auffälligkeiten des Beschwerdeführers, welche - auch in der kumulierenden Betrachtung - in Gegenüberstellung mit den getroffenen Feststellungen auf Verfolgungshandlungen schließen lassen würden, wurden von diesem weder vorgebracht noch sind solche gegenständlich hervorgekommen. Auch das Foto des Beschwerdeführers, welches ihn in kurzen Hosen zeigt und in Afghanistan - insbesondere den Taliban - bekannt geworden sein soll - wobei das diesbezügliche Vorbringen ohnedies wie unter Pkt. II.2.2. als unglaubwürdig anzusehen ist - vermag nicht zu einer gegenteiligen Beurteilung zu führen.

 

3.2.4.5. Nach dem den festgestellten Länderinformationen zu entnehmenden Gesamtbild kann es (auch) bei einer Rückkehr von Männern aus Europa bzw. aus dem Westen in Afghanistan zu vereinzelten Verfolgungshandlungen durch die Gesellschaft und regierungsfeindliche Elemente kommen. Aus den Feststellungen zur maßgeblichen Lage in Afghanistan (vgl. insbesondere Pkt. II.1.5.7. "Situation für Rückkehrer aus dem Westen" bzw. die dort genannten Ausführungen aus Quellen von UNHCR sowie EASO) ist jedoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kein Bild dahingehend ableitbar, dass bei Gesamtbetrachtung die Tatsache der Rückkehr nach einigen Jahren im Westen oder eine "westliche" Geisteshaltung bei Männern allein nach Art und Häufigkeit (dazu VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031) eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgungshandlungen in asylrelevanter Intensität auslösen würde. Dies gilt insbesondere für eine Rückkehr in (bzw. Neuansiedlung in) - liberaleren - städtischen Regionen, wie gegenständlich die als möglicher Rückkehrort angenommene Stadt Mazar-e Sharif (s. dazu unten Pkt. II.3.4.2.). Überdies ist darauf hinzuweisen, dass diese Stadt unter vollständiger Kontrolle der Regierung steht und regierungsfeindliche Elemente - von bestimmten wiederkehrenden Anschlägen abgesehen - keinerlei maßgeblichen Einfluss haben.

 

3.2.3.6. Auch mit dem Vorbringen zu einer möglichen Gefahr von Handlungen oder Maßnahmen als Rückkehrer aus dem Westen generell bzw. einer (unterstellten) "westlichen Einstellung" macht der Beschwerdeführer somit aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine die Intensität von Abschnitt A Z 2 der GFK erreichende Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan glaubhaft; dies weder in Ansehung individueller sowie genereller Umstände.

 

3.2.4. Sonstige mögliche asylrelevante Gründe:

 

3.2.4.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Umstand, dass im Heimatland des Revisionswerbers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404, Rz. 7 m.w.N.). Auch eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Überhaupt rechtfertigen wirtschaftliche Gründe nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn dem Beschwerdeführer der völlige Verlust seiner Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

3.2.4.2. Eine Asylrelevanz im Hinblick auf sonstige Gründe ist aus dem festgestellten Sachverhalt bzw. dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich: Während einer kriegerischen Situation als solches keine Asylrelevanz zukommt hätte der Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat jedenfalls auch eine Existenzgrundlage (s. dazu die weitergehenden Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.).

 

3.2.5. Ergebnis:

 

3.2.6.1. Insgesamt ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen - insbesondere, aber nicht ausschließlich bei Berücksichtigung der gegenständlich als möglich angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative (s. auch nachstehenden Absatz) -, eine ihm bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, die Intensität von Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 erreichende Gefahr glaubhaft zu machen. Dies trifft auch bei Vornahme einer Gesamtbetrachtung zu.

 

3.2.6.2. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass - die übrigen Voraussetzungen liegen vor (s. Pkt. II.3.4.2.) - auch im Verfahren nach Durchführung dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechender Ermittlungsschritte keine Anhaltspunkte hervorgekommen wären, dass dem Beschwerdeführer am angenommenen Neuansiedlungsort aus anderen Gründen Verfolgungshandlungen i.S.d. Art. 9 Statusrichtlinie drohen würden.

 

3.2.6.3. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit unbegründet.

 

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Abweisung des Antrags auf Zuerkennung subsidiären Schutzes)

 

3.3. Rechtsgrundlagen:

 

3.3.1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist. Nach Art. 2 Abs. 2 leg. cit. wird eine Tötung nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

 

a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

 

b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

 

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

3.3.2. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

 

3.3.3. § 8 Abs. 1 bis 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht."

 

3.4. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. Bei der Beurteilung, ob einem Antragsteller der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rz. 120, m.w.N.).

 

3.4.3. Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c Statusrichtlinie und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, Rz 24, unter Hinweis auf die Urteile des EuGH vom 07.02.2009, Rs. C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, Rs. C-85/12 , Diakite).

 

3.4.4. Bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt ist zunächst die Heimatregion des Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen (vgl. VfGH 13.09.2013, U370/2012).

 

3.4.5. Im Hinblick auf die Prüfung subsidiären Schutzes hat der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation durch konkrete, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH 02.08.2000, 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). Notorische Entwicklungen im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, auch wenn sie "bloß" für die Entscheidung nach § 8 AsylG 2005 von Relevanz sind, müssen allerdings von Amts wegen berücksichtigt werden (VwGH 29.1.2002, 2001/01/0030).

 

3.4.6. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141).

 

3.4.7. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. Zur Situation in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

 

3.4.1.1. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Herat, dem Distrikt Pashtun Zarghun. Den zugrundeliegenden Länderfeststellungen (oben Pkt. II.1.5.2.) folgend, zählt Herat zu den relativ friedlichen Provinzen im Westen des Landes. Dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

3.4.1.2. Aufgrund einer aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts unverändert anzusehenden Lage kommt das EASO zum Schluss, dass die "willkürliche Gewalt" in der Provinz Herat ein solches Niveau erreicht hat, dass ein in die Provinz zurückgekehrter Zivilist einem tatsächlichen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 lit. c Statusrichtlinie zu erleiden dann ausgesetzt sein kann, wenn Umstände, welche in der persönlichen Sphäre des Zivilisten gelegen sind, hinzutreten (s. EASO-Länderleitfaden, S. 82).

 

3.4.1.3. Gegenständlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer seit knapp viereinhalb Jahren nicht mehr in seinem Heimatdistrikt, welcher den Länderfeststellungen folgend zwar grundsätzlich als sicher anzusehen ist, gelebt hat und seine Familie sich im Iran aufhält (s. oben Pkt. II.1.1.3.). Da damit bei Rückkehr bereits eine vorübergehend entsprechend sichere Unterkunft nicht gegeben wäre, liegt gegenständlich ein auf den Beschwerdeführer bezogenes besonderes Gefährdungsmoment vor, um von einem auch realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung bei Rückführung in die Heimatprovinz ausgehen zu können.

 

3.4.1.4. Von einer ausreichenden Schutzfähigkeit des afghanischen Staats ist in Anbetracht der den Länderinformationen zu entnehmenden Zustände des Sicherheits- und Justizapparats (s. dazu oben Pkt. II.1.5.1. "Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan" und "Sicherheitsbehörden in Afghanistan") nicht auszugehen.

 

3.4.1.5. Damit stünde dem Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu. Allerdings steht ihm mit der Möglichkeit zur Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif auch eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen:

 

3.4.2. Zu einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative:

 

3.4.2.1. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist gemäß § 11 AsylG 2005 bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen zu bejahen:

 

(i) Einem Asylwerber muss in einem Teil seines Herkunftsstaats vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden können.

 

Schutz ist gewährleistet, wenn

 

(i) a) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und

 

(i) b) die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(ii) Dem Asylwerber muss der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebiets zugemutet werden können.

 

3.4.2.2. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

3.4.2.3. Bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind, insbesondere im Hinblick auf den Herkunftsstaat Afghanistan folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.4.2.4. Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

3.4.2.5. Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass ein Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

3.4.2.6. Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459).

 

3.4.2.7. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr unter anderem innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit (zuletzt etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118 m.w.N.).

 

3.4.2.8. Die Frage der Sicherheit des Asylwerbers hat in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, Rz. 20 und 23).

 

3.4.2.9. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175, m.w.N.)

 

3.4.2.10. Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und seiner persönlichen Umstände steht dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Dazu im Folgenden im Einzelnen:

 

Ad (i) a)

 

3.4.2.11. Wie oben unter Pkt. II.3.2. zu den getroffenen Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erwogen, hat dieser bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. die Stadt Mazar-e Sharif keine ihm drohende asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daraus folgt, dass auch keine "wohlbegründete Furcht" nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegt.

 

Ad (i) b)

 

Zur Sicherheitslage und Erreichbarkeit in bzw. der Stadt Mazar-e Sharif als Ort der möglichen Neuansiedlung

 

3.4.2.12. Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft ist zunächst festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen (Pkt. II.1.5.3. "Lage in der Stadt Mazar-e Sharif" "Sicherheit") unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht. Auch ergibt sich aus diesen Länderinformationen nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre.

 

3.4.2.13. Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den ruhigen Provinzen in Nordafghanistans mit im Jahr 2017 neun zivilen Opfern auf 100.000 Einwohnern. Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. So geht aus dem erwähnten Berichtsmaterial hervor, dass Terroranschläge bzw. sonstige sicherheitsrelevante Vorfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter ("high-profile"-Ziele) wie insbesondere Regierungseinrichtungen oder Armeestützpunkte, in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch liefert aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Vorfall ausgelöst durch regierungsfeindliche Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für den Beschwerdeführer noch keine stichhaltigen Gründe dafür, dass allein durch seine Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich die Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein: Die in Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereigneten sich hauptsächlich im Nahebereich der dargestellten "high-profile"-Ziele. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten und auch bei Berücksichtigung bestimmter, üblicherweise zu erwartender Bewegungen des Beschwerdeführers nach seiner Neuansiedlung (insbesondere der Weg zu Orten des Einkaufs von Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu [möglichen, zukünftigen] Arbeitsstätten oder medizinischen Einrichtungen) nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass auf ein bereits erreichtes Gewaltausmaß, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der Beschwerdeführer tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Mazar-e Sharif Opfer eines Gewaltaktes werden würde, zu schließen ist. Dies insbesondere, wenn man dabei die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl der Stadt Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüberstellt.

 

3.4.2.14. In Bezug auf die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif geht das EASO vor dem Hintergrund von Art. 8 der Statusrichtlinie - und unter Bezugnahme auf eine nach wie vor als aktuell anzusehende Länderberichtslage (was sich insbesondere aus der oben unter Pkt. II.1.5.3.festgestellten, auf noch aktuelleren Berichten fußenden Lage vor Ort erschließt) - grundsätzlich davon aus, dass das Ausmaß der willkürlichen Gewalt nicht ein so hohes Niveau erreicht, dass ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einem tatsächlichen Risiko eines schweren Schadens ausgesetzt wäre (vgl. dazu EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 99; diese Risikoeinschätzung des EASO hat sich auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfadens nichts geändert).

 

3.4.2.15. Besondere, sich also von der übrigen Bevölkerung unterscheidende Gefährdungsmomente betreffend den Beschwerdeführer, wonach dieser in Kombination mit der Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre, wurden von diesem weder substantiiert vorgebracht, noch sind solche sonst im Verfahren hervorgekommen. Insbesondere hat sich nicht ergeben, dass sich der Beschwerdeführer bei Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif häufig an den oben angegebenen - mit höherer Wahrscheinlichkeit von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente betroffenen - Orten aufhalten werde.

 

3.4.2.16. Der Beschwerdeführer könnte Mazar-e Sharif über den Luftweg aufgrund des vorhandenen, internationalen Flughafens praktikabel, sicher und legal erreichen: Der Flughafen liegt zwar etwa acht Kilometer außerhalb des Stadtgebiets, jedoch wirft die Fahrt vom Flughafen in die Stadt während der Tageszeit keine Bedenken im Hinblick auf ein reales Risiko eines ernsthaften Schadens für den Beschwerdeführer im Lichte von Art. 15 Statusrichtlinie auf (s. EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 102, unter Hinweis auf Länderinformationen, welche als ausreichend aktuell anzusehen sind; an dieser Einschätzung des EASO hat sich auch in dem im Juli 2019 publizierten, aufgrund neuerer Länderinformationen adaptierten Länderleitfaden und den diesbezüglichen Aussagen nichts geändert).

 

Zur möglichen Zuerkennung subsidiären Schutzes aus sonstigen Gründen

 

3.4.2.17. Auch sonstige, auf die Stadt Mazar-e Sharif als Zielort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bezogene Gründe für die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigten sind fallbezogen nicht ersichtlich:

 

3.4.2.18. In Anbetracht der geltend gemachten Erkrankung(en) ist in Erinnerung zu rufen, dass ein Fremder Im Allgemeinen kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt eine Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, Rz. 20, bzw. das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Paposhvili vs. Belgium, Appl. 41738/10). In Anbetracht der genannten Rechtsprechung des EGMR hat jedenfalls eine Auseinandersetzung mit der Schwere der Erkrankung und dem Zugang des Beschwerdeführers zu medizinischer Versorgung sowie Medikamenten im Heimatstaat zu erfolgen (vgl. dazu auch VfGH 11.06.2019, E 3796/2018-19, Rz. 19). Außergewöhnliche Umstände, aufgrund derer vor dem Hintergrund der von der erwähnten Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien auf ein reales Risiko einer Verletzung Art. 3 EMRK zu schließen wäre, liegen jedoch fallbezogen nicht vor:

 

So leidet der Beschwerdeführer an einer "Anpassungsstörung mit Angst" gemischt mit einer "depressiven Reaktion", also an keiner - was schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung folgt - "schwerwiegenden" Erkrankung, insbesondere war eine - akut drohende

 

3.4.2.19. In Ansehung des nicht glaubhaft gemachten Fluchtvorbringens i.Z.m. einer Verfolgung durch die Taliban (s. die Erwägungen dazu oben unter Pkt. II.2.2.) wegen einer unterstellten oppositionellen Haltung als auch einer (erstmaligen) Zwangsrekrutierung durch regierungsnahe Kräfte und der Sicherheitslage am angenommenen Ort der Rückkehr, der Stadt Mazar-e Sharif, welche jedenfalls unter Kontrolle der Regierung steht und nicht umkämpft ist auf kein - auch reales - Risiko einer vorsätzlich unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung durch eine solche Gruppierung zu schließen.

 

3.4.2.20. Auch betreffend eine mögliche Gefährdung "unafghanischer", "westlicher" oder "europäischer" Personen ("Rückkehrer aus dem Westen" bzw. "Verwestlichung") sind den Länderberichten lediglich in Einzelfällen gezielte Übergriffe gegen diese aus diesem Grund zu entnehmen (siehe dazu auch oben die Erwägungen vor dem Hintergrund von § 3 AsylG 2005, Pkt. II.3.2.3.). Maßnahmen gegen Personen die vermeintlich Werte oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, werden vor allem von regierungsfeindlichen Kräften und aus sonstigen Kreisen der Gesellschaft in gewissen ländlichen Gebieten gesetzt. Auch ein mögliches besonderes, über die Situation als Rückkehrer aus dem Westen allgemein hinausgehendes Gefährdungsmoment, insbesondere auch betreffend die gegenständliche angenommene Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif, wurde vom Beschwerdeführer im Verfahren nicht dargelegt.

 

Ad ii)

 

3.4.2.21. Angesichts der Feststellungen zu seiner Person, seinem bisherigen Lebensweg bzw. der festgestellten allgemeinen Lage vor Ort kann dem Beschwerdeführer eine Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif zugemutet werden. Dazu sind eingangs folgende allgemeine Leitlinien bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu beachten:

 

3.4.2.22. Nach den rechtlich unverbindlichen UNHCR-Richtlinien, welchen aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besondere Beachtung zu schenken ist (s. etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, zur "Indizwirkung" solcher Dokumente), hängt die Beantwortung der Frage, ob einem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren ab. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden (vgl. Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4 "Interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative" vom 23.07.2003, Rz. 23 ff). Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens wird in den erwähnten Richtlinien an der genannten Stelle u.a. ausgeführt, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

3.4.2.23. Spezifisch in Afghanistan erachtet der UNHCR eine innerstaatliche Fluchtalternative an einem anderen Ort als dem Herkunftsort nur dann als zumutbar, wenn der Einzelne Zugang zu (i) Unterkünften, (ii) grundlegenden Dienstleistungen wie sanitäre Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Existenzgrundlagen oder bewährte und nachhaltige Unterstützung hat, um den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Darüber hinaus hält der UNHCR die Fluchtalternative nur dann für angemessen, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetz von Mitgliedern ihrer (Groß‑)Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im Bereich der zukünftigen Umsiedlung hat, die als bereit und in der Lage beurteilt wurden, den Antragsteller in der Praxis wirklich zu unterstützen. Der UNHCR ist der Ansicht, dass die einzige Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung alleinstehende Männer und Ehepaare im erwerbsfähigen Alter ohne identifizierte spezifische Vulnerabilitäten sind. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die über die notwendige Infrastruktur und die Möglichkeit verfügen, die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu befriedigen, und die unter wirksamer staatlicher Kontrolle stehen (vgl. UNHCR-Richtlinien, S. 110).

 

3.4.2.24. Zur Vorgängerversion der UNHCR-Richtlinien aus dem Jahr 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es auf einen "gesicherten" Zugang zu den erwähnten Kriterien dabei allerdings nicht ankommt (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, Rz. 23). Diese Rechtsprechungslinie ist - auch in Anbetracht des dahingehend weiterhin unveränderten Wortlauts der Richtlinien (s. auf S. 110 sowie S. 86 der Richtlinien aus dem Jahr 2016) - aus Sicht des erkennenden Gerichts weiterhin beachtlich.

 

3.4.2.25. Mit Ausnahme der Stadt Kabul behalten - wenngleich auch auf Vorkommnisse etwa einer Dürresituation u.a. in der Provinz Balkh und überhaupt die hohe in die größeren Städte einströmende Zahl an Rückkehrern bzw. Binnenvertriebenen hingewiesen wird - auch die am 30.08.2018 vom UNHCR publizierten Richtlinien zu Afghanistan die Sichtweise zu den Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative grundsätzlich bei: Eine Fluchtalternative wird für andere urbane und semi-urbane Gebiete bzw. größere Städte nicht - bereits als Grundsatz - ausgeschlossen, jedoch weist der UNHCR auf einige bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigende - allgemeine - Umstände bzw. Schwierigkeiten hin. Diese müssen im Hinblick auf Relevanz und Zumutbarkeit der jeweiligen Stadt als vorgeschlagenem Neuansiedlungsort soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rz. 139).

 

3.4.2.26. Aus Sicht des EASO (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 109) ist eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e-Sharif, Herat und Kabul für alleinstehende Männer, welche zuvor in Afghanistan gelebt haben, grundsätzlich als zumutbar zu erachten, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gibt. So brächte die Situation der Neuansiedlung gewisse Härten mit sich, allerdings zieht das EASO den Schluss, dass derartige Personen in der Lage sind, deren Grundbedürfnisse, Unterkunft und Hygiene sicherzustellen; dies sofern nicht aus deren persönlichen Umständen auf zusätzliche Vulnerabilitäten zu schließen ist. Die folgenden Umstände sind nach dem EASO dabei jeweils im Einzelfall in Betracht zu ziehen: Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, Kenntnisse der lokalen Bedingungen, Unterstützungsnetzwerk und Religion.

 

Die Schlussfolgerungen des EASO betreffend eine innerstaatliche Fluchtalternative gleichen in Aktualität und Umfang nach den den UNHCR-Richtlinien zugrundeliegenden Länderinformationen weitgehend (s. insbesondere die in den FN 679 ff der UNHCR-Richtlinien zitierten Berichte / Quellen gegenüber den Quellen, auf welchen die EASO-Berichte Sozioökonomie und Netzwerke beruhen). Die EASO-Schlussfolgerungen nehmen daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. b EU-Asylverfahrensrichtlinie (bzw. Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie) eine den Richtlinien des UNHCR vergleichbare Stellung ein (vgl. dazu das erwähnte Erkenntnis des vom 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rz. 22).

 

Die Einschätzung des EASO hat sich - jedenfalls zu Personen, die nicht für lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben - auch in dem im Juli 2019 adaptierten Länderleitfaden nicht geändert.

 

3.4.2.27. Soweit von Relevanz kann verfügbare Reintegrationsunterstützung auch als zusätzlicher Faktor berücksichtigt werden, der vorübergehend zur Reintegration in Afghanistan beiträgt (vgl. EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 105).

 

3.4.2.28. Im Hinblick auf die allgemeinen Gegebenheiten am Ort der innerstaatlichen Fluchtalternative ist vor dem Hintergrund der erwähnten Indizien gegenständlich Folgendes zu erwägen:

 

3.4.2.29. Bereits oben unter Pkt. II.3.2. wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichtslage festgehalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif vollkommen unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht.

 

3.4.2.30. In der Stadt Mazar-e Sharif stehen nach den Länderinformationen ausreichend (einfache) Unterkünfte zur Verfügung. Insbesondere kann - wie dies Landinfo im EASO-Bericht Netzwerke aufzeigt - anstelle einer ganzen Wohnung ein einzelnes (und damit gegenüber einem ganzen Apartment deutlich günstigeres) Zimmer gemietet werden, z.B. vorübergehend in einem "Teehaus" ("tea house"). Es ist zu berücksichtigen, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine einzelne Person eine ganze Wohnung für sich mieten müsste. So könnte auch eine Wohnung von mehreren Personen/Rückkehren, jedenfalls für eine Übergangszeit, geteilt werden, was die Mietkosten (erheblich) senken würde. Auch wenn ein Großteil der Unterkünfte in Mazar-e Sharif - in welchen also auch die bereits ansässige Bevölkerung zum Großteil lebt - aufgrund des Fehlens zumindest einer der folgenden Voraussetzungen: (i) Zugang zu behandeltem Wasser, (ii) Zugang zu behandeltem Abwasser, (iii) ausreichend Wohnraum (keine Überfüllung), (iv) bauliche Qualität der Gebäude und (v) Rechtssicherheit nach der seit 2003 geltenden, auf internationaler Ebene akkordierten Definition als "Slum" oder "informelle Siedlung" zu qualifizieren sind (s. dazu etwa UN-Habitat, Global Report on Human Settlements, 2003, abrufbar unter:

https://unhabitat.org/books/the-challenge-of-slums-global-report-on-human-settlements-2003/ [abgerufen am 08.07.2019], S. 12), so ist vor dem Hintergrund der Feststellungen zu Situation in der Stadt Mazar-e Sharif (s. oben Pkt. II.1.5.3. "Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif") dennoch davon auszugehen, dass auch außerhalb von - nicht mehr als zumutbar anzusehenden - Elendsvierteln eine Unterkunft gefunden werden kann, welche einem Standard entspricht, wie er eben auch der dort bereits lebenden Bevölkerung zur Verfügung steht bzw. von dieser genutzt wird.

 

3.4.2.31. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich zu sanitärer Infrastruktur, sind in der Stadt Mazar-e Sharif gegeben. Diese ist nach der festgestellten Berichtslage auch als eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans anzusehen. Die Lage vor Ort wird derzeit allerdings nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen - s. dazu auch die Hinweise des UNHCR auf S. 111 - durch die Nachwirkungen einer auch die Provinz Balkh betreffenden Trockenperiode (Dürre) in relevantem Ausmaß beeinträchtigt. So ist laut Einschätzung des "Famine Early Warning Systems Network" ("FEWS NET") aus Februar 2018 die Situation in Mazar-e Sharif betreffend die Ernährungslage als "angespannt" bzw. "in Knappheit" (engl. "stressed") einzustufen. Nach der Prognose des FEWS-NET wird dieser Zustand jedenfalls bis Mai 2019 anhalten. Die Einstufung bedeutet, dass selbst mit humanitärer Hilfe zumindest einer von fünf Haushalten in einem als angespannt eingestuften Gebiet über eine minimal ausreichende Ernährungslage verfügt (s. das Klassifikationshandbuch von FEWS-NET, S. 32, abrufbar unter:

http://fews.net/sites/default/files/uploads/IPC-Manual-2-Interactive.pdf , abgerufen am 08.07.2019).

 

Aktuell beobachtet das FEWS-NET, dass die Dürre sich negativ auf die Erträge 2017/2018 von regenwassergespeisten Weizen und die ländlichen Bedingungen ausgewirkt hat. In der - den getroffenen Feststellungen zur Lage vor Ort zugrunde gelegten - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus September 2018 wird überdies darauf hingewiesen, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im "Umland" von Mazar-e Sharif kommt. Darüber, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif selbst keine ausreichende Wasser- oder Lebensmittelversorgung gäbe, ist den aktuellen Berichten jedoch nicht zu bzw. - was sich aus der von ACCORD und der zuletzt im April 2019 von EASO zusammengestellten Berichtslage ergibt - ist die Trinkwasserversorgung soweit gegeben. Jedenfalls wird auch über entsprechende - teilweise auch international unterstützte - staatliche Reaktionen und Hilfsmaßnahmen berichtet. Aufgrund der Dürre soll es zu geringeren Getreideernten kommen, die Getreidepreise liegen jedoch aufgrund guter Ernten im Iran und in Pakistan in Mazar-e Sharif aber dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Und auch die Löhne in Mazar-e Sharif liegen trotz der Dürre im Mai 2018 um 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt. Auch die festgestellten Informationen des UNHCR von Ende 2018 zeigen auf, dass die Lebensmittelversorgung grundsätzlich in der Stadt Mazar-e Sharif gesichert ist.

 

3.4.2.32. Es ist dabei bzw. somit nicht zu übersehen, dass nach den festgestellten Informationen die wirtschaftliche Lage sowie Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in der Stadt Mazar-e Sharif bzw. aber auch der Provinz Balkh - insbesondere auch aufgrund der großen Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer, welche einströmen - jedenfalls als insbesondere im Hinblick auf die Wohnressourcen als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit auch dort hoch ist. Ebenso kann die im Vorabsatz abgehandelte Trockenheit bzw. Dürre, nunmehr allenfalls - wohl in vergleichbarer Weise auch die Überschwemmungen oder sonstige Nachwirkungen - zu einem weiteren Einströmen führen. Gleichzeit ist jedoch aus den getroffenen Feststellungen zu schließen, dass die Stadt Mazar-e Sharif das Wirtschaftszentrum des Norden des Landes ist und eine höhere Industrialisierung als andere Städte in Afghanistan aufweist. Zudem hat Mazar-e Sharif grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen. Auch liegen die Löhne für Gelegenheitsarbeiten dort klar über dem Fünfjahresdurchschnitt (s. oben die auf Grundlage einer ganz aktuellen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation getroffenen Feststellungen unter Pkt. II.1.5.3. "Versorgung mit Lebensmitteln").

 

3.4.2.33. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer geltend gemachten psychischen Erkrankungen ist es auch möglich in der Stadt Mazar-e Sharif eine medizinische Einrichtung bei Bedarf in Anspruch zu nehmen: Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass in Mazar-e Sharif sowohl Zugang zu medizinischen Einrichtungen als auch zu Medikamenten -insbesondere auch zu den vom Beschwerdeführer eingenommenen Medikamenten bzw. Wirkstoffen - besteht. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste umsonst an, Medikamente sind zumindest in privaten Apotheken verfügbar. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den öffentlichen Krankenhäusern umsonst (s. dazu auch oben unter Pkt. II.3.4.2.18. f).

 

3.4.2.34. Insgesamt ist festzuhalten, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer auch in der Stadt Mazar-e Sharif sicherlich schwierig sind. Ein - wenngleich mit nicht unerheblichen Hürden verbundener - Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ist in der Stadt Mazar-e Sharif jedoch gegeben. Zwar fallen - nach der festgestellten, auf dem EASO-Bericht Sozioökonomie beruhenden Länderinformationen - auch dort ein Drittel der Haushalte unter die städtische Armut ("urban poor"), d.h. nur rund 30 USD pro Person pro Haushalt. Es ist nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass insgesamt nicht die Grundlage bzw. (Lebens-) Bedingungen an sich für die - in weiterer Folge, wie nachstehend auch erwogen, dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig - Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines angemessenen Lebensstandards ("adequate living standard") grundsätzlich vorhanden wären (s. dazu auch EASO-Länderleitfaden Afghanistan S. 104 f bzw. S. 110 der UNHCR-Richtlinien).

 

Auch die weiterhin angespannte Situation aufgrund der Nachwirkungen der Dürre und die daraus fachlich prognostizierten, zuvor behandelten Wirkungen veranlasst für sich allein genommen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif nicht zur Schlussfolgerung, dass damit jegliche Neuansiedlung - insbesondere auch für Personengruppe ohne besondere Vulnerabilitäten - derzeit unmöglich wäre. So ist nur bei rund 20 Prozent aller auch im Distrikt Mazar-e Sharif der Provinz Balkh existierenden Haushalte von einer Situation auszugehen, in welcher Personen neben der Sicherstellung der angemessenen Lebensmittelversorgung nicht auch noch in der Lage sind weitere erforderliche, nicht auf Lebensmittel bezogene Ausgaben zu tätigen. Danach muss in der Provinz Balkh jedoch ein Großteil (4/5) der übrigen Haushalte - zumindest - zur Sicherstellung der Erfüllung von Lebensmittel und Nicht-Lebensmittelbedürfnissen das Leben nicht atypisch ändern oder wäre dahingehend von irgendwelchen humanitären Unterstützungsleistungen abhängig (s. im Umkehrschluss die Definition des FEWS-NET für die Stufe 1 - "Minimal" im dem oben dazu zitierten Handbuch des FEWS-NET).

 

3.4.2.35. Die allgemeinen Rahmenbedingungen schließen somit die Zumutbarkeit einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif als solches (noch) nicht aus. Zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ist wiederum Folgendes in Betracht zu ziehen:

 

3.4.2.36. Beim Beschwerdeführer handelt es sich nach den zu seiner Person getroffenen Feststellungen um einen mobilen, alleinstehenden, jungen, arbeits- und leistungsfähigen Mann. Er verfügt in der Stadt Mazar-e Sharif über kein- in Afghanistan nach der festgestellten Länderberichtslage grundsätzlich bzw. auch für Rückkehrer sehr bedeutsames - soziales Netzwerk. Er spricht jedoch eine der beiden Landessprachen, Dari. Daneben spricht er auch noch die Sprachen Farsi und Deutsch. Er hat verfügt außerdem über eine mehrjährige in Afghanistan ausgeübte Berufserfahrung in der Landwirtschaft. Weitere Qualifikationen konnte er auch durch seine bisherigen Kursbesuche in Österreich - insbesondere jenen betreffend den Beruf des Metalltechnikers - sammeln. Der Beschwerdeführer wuchs selbst auch in Afghanistan auf und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in diesem Land. Er ist somit mit den dortigen örtlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut.

 

3.4.2.37. Überdies bietet der afghanische Staat seit Dezember 2016 Unterstützungsleistungen für Rückkehrer aus Europa im Rahmen eines mehrdimensionalen Ansatzes ("whole of community") an. Schließlich kann der Beschwerdeführer daneben eine - auch finanzielle - Rückkehrhilfe aus besonderen Programmen in Kooperation mit der IOM in Anspruch nehmen (s. dazu oben bei Pkt. II.1.4.). Damit sollte, dies hält auch UNHCR nach der Anfragebeantwortung von ACCORD fest, jedenfalls die Grundversorgung für die ersten Monate am Neuansiedlungsort - dies nun auch unter Berücksichtigung der Nachwirkungen der Dürresituation bzw. der damit verbundenen Implikationen (Auswirkungen auf Nahrungsmittelpreise, zusätzlicher Druck auf die zur Schaffung einer neuen Lebensgrundlage erforderlichen Ressourcen durch zusätzliches Einströmen von Binnenvertriebenen) - gesichert sein.

 

3.4.2.38. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer einem Personenkreis angehört, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger (vulnerabler) darstellt als die übrige Bevölkerung in der Stadt Mazar-e Sharif, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Dies kann fallbezogen verneint werden: Zwar leidet der Beschwerdeführer wie festgestellt an einer Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion. Bei der dargestellten Erkrankung wiederum handelt es sich jedoch aus Sicht des erkennenden Gerichts um keine "schweren körperliche Erkrankung" oder bereits eine "psychische Störung" i.S.d. Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU (zur Berücksichtigung dieser Kriterien im Hinblick auf die Vulnerabilitäten von Rückkehrern s. VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479, m.w.N.).

 

Gerade die Rückkehrhilfen sehen - wie bereits erwähnt - auch eine Unterstützung im Hinblick auf die Ermöglichung von medizinischen Behandlungen bzw. betreffend den Erwerb von erforderlichen Arzneimitteln ("medizinische Versorgung") vor. Wie bereits dargestellt, bestehen in Afghanistan auch diesbezügliche Behandlungsmöglichkeiten. Der Beschwerdeführer ist auch als grundsätzlich arbeitsfähig anzusehen, so ist er vielfach ehrenamtlich tätig und absolviert überdies einen Kurs über den Lehrinhalt des Berufs "Metalltechniker", in welchem er seinen eigenen Angaben folgend auch arbeiten möchte (vgl. VHS S. 15 sowie das der VHS angeschlossene Beilagenkonvolut).

 

S. zu diesen Aspekten auch die Erwägungen oben im Lichte des Art. 3 EMRK unter Pkt. II.3.4.2.18.

 

3.4.2.39. Der Beschwerdeführer kann durch die Inanspruchnahme der bereits erwähnten, verfügbaren Rückkehrhilfe jedenfalls übergangsweise, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu einer einfachen Unterkunft, möglicherweise auch wie vom EASO hervorgehoben in einem "Teehaus" das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er am Neuansiedlungsort ebenso - zumindest anfänglich - nach den Länderfeststellungen durch auch in der Stadt Mazar-e Sharif verfügbaren Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Dies zeigt insbesondere die - wobei dann für die erste Zeit noch die Rückkehrunterstützung in Anspruch genommen werden kann - Verdienstmöglichkeit auch einer ungebildeten Arbeitskraft mit den aus den getroffenen, aktuellen Länderinformationen abzuleitenden bzw. zu erwartenden Preisen für Grundnahrungsmittel und Unterkunft vor Ort.

 

3.4.2.40. In Anbetracht der festgestellten allgemeinen Gegebenheiten in Afghanistan sowie der Stadt Mazar-e Sharif im Besonderen und den festgestellten persönlichen Umständen des Beschwerdeführers - auch unter Berücksichtigung seiner psychischen Erkrankung(en) - kann gegenständlich davon ausgegangen werden, dass er anfangs und auch während einer gewissen Übergangsphase zwar mit Schwierigkeiten konfrontiert sein wird wieder Fuß zu fassen (insbesondere in Bezug auf die Erlangung einer Erwerbstätigkeit). Allerdings kann auch davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen vorliegen, danach ein mit anderen in der Stadt Mazar-e Sharif lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten bzw. mit einer mehr als bloß das Existenzminimum ermöglichenden Perspektive zu führen (s. dazu insbesondere das bereits erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.01.2018, Zl. Ra 2018/18/0001, mit Hinweis auch auf die bereits zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs vom 12.12.2017).

 

3.4.2.41. Die Volksgruppe der Tadschiken bzw. die sunnitischen Muslime stellen einen der größten Bevölkerungsanteile in Mazar-e Sharif dar. Dieser Volksgruppe bzw. Glaubensrichtung gehört der Beschwerdeführer an.

 

3.4.2.42. Insgesamt ist daher im gegenständlichen Fall - insbesondere auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen aufgrund einer im Grundsatz nach wie vor unveränderten Länderberichtslage relevanten allgemeinen Erwägungen und Schlussfolgerungen der UNHCR-Richtlinien sowie des EASO-Länderleitfadens Afghanistan (dies auch wenn man den im Juli 2019 veröffentlichten adaptierten Leitfaden heranzieht) - gemäß § 11 AsylG 2005 von einer mit der Stadt Mazar-e Sharif vorhandenen, - trotz fehlendem örtlichen (sozialen bzw. familiären) Netzwerks jedoch bei Berücksichtigung verfügbarer Rückkehrhilfen und in Anbetracht der beruflichen Ausbildung - noch zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer auszugehen. Für das Bundesverwaltungsgericht liegen jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser am Neuansiedlungsort in eine ausweglose, oder in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie insbesondere Nahrung und Unterkunft), in eine sogar lebensbedrohende Situation geraten würde. Auch die Tatsache der - eben behandelbaren und sich auf die Arbeitsfähigkeit nicht grundsätzlich nachteilig auswirkenden - psychischen Erkrankung veranlassen in Anbetracht der gegenständlich festgestellten aktuellen Länderinformationen nicht zu einer anderslautenden Schlussfolgerung (zur Depression i.Z.m. der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative auf Grundlage einer vergleichbaren Länderberichtslage vgl. auch etwa die Entscheidung VwGH 30.05.2018, Ra 2018/18/0284, Rz. 9).

 

3.4.3. Ergebnis:

 

3.4.3.1. Bei Gesamtbetrachtung aller im gegenständlichen Fall zu berücksichtigenden Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Rückführung in den Herkunftsstaat bzw. der Weg sowie die anschließenden Neuansiedlung nach bzw. an dem als nach den von § 11 AsylG 2005 geforderten Voraussetzungen - insbesondere im Hinblick auf die Freiheit von Gefahr und Risiko für Leib und Leben (einschließlich betreffend die von ihm geltend gemachten Erkrankungen), die Möglichkeit der Ausübung der grundlegenden Menschenrechte bzw. auch des wirtschaftlichen Überlebens - mögliche innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Ort, der Stadt Mazar-e Sharif, weder ein reales Risiko der Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeutet. Noch haben sich aus dem durchgeführten verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergeben, dass dabei für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

 

3.4.3.2. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheids (Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise)

 

3.5. Rechtsgrundlagen:

 

3.5.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.5.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

3.5.3. Die §§ 55, 57 und 58 AsylG 2005 lauten:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

[...]

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

 

3.5.4. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

3.5.5. Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

[...]

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

[...]

 

§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

[...]

 

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

 

3.6. Zum Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz":

 

3.6.1. Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger Afghanistans kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

3.6.2. Ein Anspruch auf die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" liegt daher in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht vor.

 

3.7. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sowie einem Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung" oder eine "Aufenthaltsberechtigung plus":

 

3.7.1. Im Hinblick auf die Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.7.2. Ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 m.w.N.).

 

3.7.3. Es besteht ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. Das verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen (etwa VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034).

 

3.7.4. Das "Privatleben" ist nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK ein weit gefasster Begriff, der nicht vollständig definiert werden kann und kann "mehrere Aspekte der physischen und sozialen Identität der Person umfassen (vgl. EGMR 16.12.1992, Niemietz v. Germany, Appl. 136170/88, Rz. 29; 29.04.2002, Pretty v. The United Kingdom, Appl. 2346/02, Rz. 61; 28.01.2003, Peck v. Großbritannien, Appl. 44647/98, Rz. 57 f.; 04.12.2008, Marper v. The United Kingdom, Appl. 30562/04 und 30566/04, Rz. 66).

 

Die EMRK garantiert aus Sicht des EGMR nicht das Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Ein Eingriff in das Privat- oder Familienleben einer Person verstößt jedoch gegen Art. 8 EMRK, es sei denn, er kann nach Abs. 2 des genannten Artikels als in Einklang mit der Rechtsordnung zur Erreichung der eines oder mehrere der darin aufgeführten legitimen Ziele bzw. als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" zur Erreichung dieser Ziele gerechtfertigt werden. Die zu beachtenden einschlägigen Kriterien für die Beurteilung, ob ein Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich ist, sind die folgenden: (i) die Art und Schwere einer vom Antragsteller begangenen Straftat und die seit der Begehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Antragstellers in diesem Zeitraum, (ii) die Aufenthaltsdauer im Staat, aus welchem er ausgewiesen werden soll, (iii) die Nationalitäten der verschiedenen betroffenen Personen, (iv) die familiäre Situation des Antragstellers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die die Wirksamkeit des Familienlebens eines Paares zum Ausdruck bringen, (v) ob der Ehepartner von einer Straftat zum Zeitpunkt des Eingehens einer Familienbeziehung wusste, (vi) ob es Kinder der Ehe gibt und wenn ja, ihr Alter, und (vii) die Schwere der Schwierigkeiten, auf die der Ehegatte in dem Land, in das der Antragsteller ausgewiesen werden soll, stoßen kann, (viii) das Wohl von Kindern, insbesondere die Intensität der Schwierigkeiten, auf die Kinder des Antragstellers in dem Land, in das der Antragsteller ausgewiesen werden soll, stoßen können; und (ix) die Wertigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (vgl. EGMR 25.07.2017, Krasniqi v. Austria, Appl. 41697/12, Rz. 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" i.S.d. Art. 8 EMRK wiederum ist nach dem EGMR ein eigenständiges Konzept (vgl. EGMR 13.10.1979, Marckx v. Belgium, Appl. 6833/74, Rz. 31). Ob es also ein "Familienleben" gibt oder nicht, ist im Wesentlichen eine Frage der Tatsache, die von der tatsächlichen Existenz enger persönlicher Beziehungen in der Praxis abhängt (vgl. EGMR 24.01.2017, Paradiso und Campanelli gg. Italien [GK], Appl. 25358, Rz. 140). Zu berücksichtigen sind auch faktischen familiäre Bindungen, wie z.B. das Zusammenleben von Antragstellern, in Ermangelung einer rechtlichen Anerkennung des Familienlebens (vgl. EGMR 18.12.1986, Johnston u.a. v. Ireland, Appl. 9697/92, Rz. 56). Weitere Faktoren sind die Dauer der Beziehung und im Falle von Paaren, ob sie ihr Engagement füreinander durch gemeinsame Kinder unter Beweis gestellt haben (EGMR 22.04.1997, X, Y und Z v. United Kingdom, Appl. 21830/93, Rz. 36). Das Familienleben erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben, wobei es nach der Rechtsprechung des EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ankommt, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425, unter Hinweis auf EGMR 02.11.2010, Serife Yigit v. Turkey [GK], Appl. 3976/05, Rz. 93 und 96).

 

3.7.5. Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 m.w.N.). Andererseits hat das Wissen um einen unsicheren Aufenthaltsstatus vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann (vgl. VwGH 24.01.2013, 2012/21/0212).

 

3.7.6. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu. Das darf jedoch nicht als "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verstanden werden, weil in außergewöhnlichen Konstellationen die Integration auch bei einer unter fünfjährigen Aufenthaltsdauer die öffentlichen Interessen überwiegen kann (30.07.2015, Ra 2014/22/0055).

 

3.7.7. Bei der Interessenabwägung nach Art. 8 MRK ist unter dem Gesichtspunkt von Bindungen zum Heimatstaat auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Schwierigkeiten eines Antragstellers beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188). Zu berücksichtigen können jedoch etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen sein (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

3.7.8. Unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens ist auch von Bedeutung, welche Verhältnisse konkret bei ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgefunden werden (VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0038). Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, welche nicht die von Art. 3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen, sind an Art. 8 EMRK zu messen (VfGH 21.09.2015, E 332/2015, unter Hinweis auf die Entscheidung EGMR 13.05.2008, Juhnke, Appl. 52.515/99).

 

3.7.9. Die sohin vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses daran, dass der Beschwerdeführer Österreich nach negativer Erledigung seines Antrags auf internationalen Schutz wieder verlässt mit dessen privaten Interessen an einem Verbleib ergibt Folgendes:

 

3.7.10. Für die Bindung an Österreich spricht gegenständlich, dass er hier bereits eine große Anzahl an integrativen Maßnahmen gesetzt hat: Er hat bereits einen Alphabetisierungskurs sowie einen Deutschsprachkurs für das Sprachniveau A1 besucht. Er ist in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis in deutscher Sprache zu kommunizieren. Der Beschwerdeführer nimmt seit 24.04.2019 am Projekt " XXXX " teil. Bei diesem erlernt der Beschwerdeführer die Inhalte des ersten Lehrjahres des Berufs "Metalltechniker". Ziel des Projekts ist die Vorbereitung des jeweiligen Teilnehmers auf eine erfolgreiche Integration in der Berufswelt, vorzugsweise durch Aufnahme eines regulären Lehrverhältnisses. Davor absolvierte er den Kurs " XXXX " am BFI XXXX . Von 18.03.2019 bis 22.03.2019 die Veranstaltung " XXXX " des WIFI XXXX sowie von 11.03.2019 bis 19.04.2019 die Dialogreihe " XXXX " des XXXX besucht. Von 10.07.2018 bis 12.07.2018 absolvierte der Beschwerdeführer den Kurs " XXXX " beim Arbeiter-Samariter-Bund Österreich. Außerdem ist der Beschwerdeführer ehrenamtlich für das Magistrat XXXX tätig, zum einen in dem Seniorenwohnhaus XXXX und zum anderen in der Magistratsabteilung XXXX .

 

Auch spricht für den Beschwerdeführer, dass er unbescholten ist.

 

3.7.11. Dem steht jedoch gegenüber, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige hat. Er lebt von der staatlichen Grundversorgung und verfügt über keine Einstellzusage. Bei den im Vorabsatz genannten, bereits erbrachten integrativen Leistungen musste sich der Beschwerdeführer immer seines bloß vorläufigen und unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Auch liegt noch eine nicht unerhebliche Bindung zu Afghanistan vor, weil er in diesem Land einen Großteil seines bisherigen Lebens verbrachte. Auch kann er sich dort - s. oben die umfangreichen Erwägungen unter Pkt. II.3.4.2. - nach Rückkehr eine Existenz an einem Neuansiedlungsort aufbauen. Auch bestehen danach im Hinblick auf den als möglich angenommenen Rückkehrort bzw. Neuansiedlungsort in Afghanistan keine Bedenken im Hinblick auf die physische Integrität oder Unversehrtheit des Beschwerdeführers. Schließlich ist fallbezogen maßgeblich, dass sich der Beschwerdeführer insgesamt gerade erst knapp über dreieinhalb Jahre in Österreich aufhält.

 

3.7.12. Wägt man nun die aus den getroffenen Feststellungen zu seinen persönlichen Umständen zu erkennende Bindung des Beschwerdeführers an Österreich - und unter Berücksichtigung der gegebenen Bindung an Afghanistan - in Gesamtschau mit dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen ab, so überwiegt fallbezogen Letzteres. Der Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch die Verpflichtung Österreich wieder zu verlassen bzw. durch eine allfällige auch zwangsweise Verbringung nach Afghanistan ist somit in gegenständlichem Fall gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.8. Zur Zulässigkeit der Abschiebung:

 

Im Lichte der Erwägungen oben unter Pkt. II.3.4.2. bestehen hinsichtlich einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan und der Möglichkeit zur dortigen Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif auch keine Bedenken dahingehend, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan im Lichte von § 50 FPG - insbesondere wegen eines realen Risikos einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK - unzulässig wäre.

 

3.9. Zur Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Der Beschwerdeführer hat keine besonderen Umstände, die er bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, vorgebracht. Die im angefochtenen Bescheid gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise wurde daher von der belangten Behörde korrekt festgelegt.

 

3.10. Ergebnis:

 

3.10.1. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war dem Beschwerdeführer nach den obigen Erwägungen schon von Amts wegen nicht zuzuerkennen. Ebenso war die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht geboten. Da gegenständlich die Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren, war auch eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Mangels eines hervorgekommenen Verstoßes gegen das Refoulementverbot ist auch nicht zu erkennen, dass die Abschiebung unzulässig wäre.

 

3.10.2. Die Ausreisefrist wurde rechtsrichtig festgelegt.

 

3.10.3. Auch die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s. dazu die oben unter A wiedergegebenen Entscheidungen) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs oder des EuGH; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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