BVwG W253 2134550-1

BVwGW253 2134550-110.7.2018

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W253.2134550.1.00

 

Spruch:

W253 2134542-1/16E

 

W253 2134544-1/17E

 

W253 2134546-1/16E

 

W253 2134550-1/16E

 

W253 2134547-1/16E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von 1) XXXX XXXX, geb. XXXX, 3) XXXX, geb. XXXX, 4) XXXX, geb. XXXX alias XXXX und 5) XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. MARX gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) XXXX, Zl. XXXX, 3) XXXX, Zl. XXXX, 4) XXXX, Zl. XXXX und 5) XXXX, Zl. XXXX nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerden gegen Spruchteil I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden als unbegründet abgewiesen.

 

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde von XXXX XXXX stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.07.2019 erteilt.

 

IV. Hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird den Beschwerden von XXXX und XXXX stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

V. Gemäß § 8 Abs. 5 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.07.2019 erteilt.

 

VI. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde von XXXX stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

VII. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.07.2019 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von 2) XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, dieser vertreten durch den MigrantInnenverein St. MARX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 2) XXXX, Zl. XXXX nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der übrigen Beschwerdeführer. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und stellten am 18.01.2016 Anträge auf internationalen Schutz.

 

2. Im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.01.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie vor 3 Jahren Afghanistan verlassen habe, weil die Taliban ihre Söhne mitnehmen hätten wollen. Im Iran sei sie illegal aufhältig gewesen, sie habe Angst gehabt, dass die Familie wieder nach Afghanistan abgeschoben werden würden. Weiters gab sie an, dass sie Angst vor dem Krieg und den Taliban habe. Dies würde auch für ihren jüngsten Sohn, den Fünftbeschwerdeführer, gelten.

 

Der Zweitbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, in Afghanistan hätten ihn die Taliban mitnehmen wollen, damit er gegen die afghanische Regierung kämpfe. Deshalb hätten seine Eltern beschlossen, dass sie in den Iran flüchten. Dort seien sie illegal gewesen und aus Angst, wieder abgeschoben zu werden, hätten sie ihre Reise in die EU angetreten. Weiters habe er Angst vor den Taliban.

 

Die Drittbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen an, in Afghanistan und im Iran könne man derzeit nicht bleiben, weil es zu gefährlich sei. Ihre Mutter habe beschlossen auszureisen. Weiters habe sie gehört, dass in Afghanistan und im Iran Frauen vergewaltigt werden würden.

 

Die Viertbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen an, sie hätten im Iran illegal gelebt und hätten keine Schule besuchen dürfen. Sie seien die ganze Zeit zu Hause gewesen, damit die Polizei sie nicht erwische und nach Afghanistan abschieben könne. Weiters habe sie Angst vor den Taliban.

 

3. Am 08.06.2016 wurde die Erstbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen und gab im Wesentlichen an, dass sie schon als Jugendliche die Absicht gehabt habe, nach Österreich zu kommen, um zu studieren. Außerdem sei die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht, vor allem in der Ortschaft, in der sie vormals gelebt habe, da die Taliban dort aktiv gewesen seien. Diese hätten auch ihren Mann aufgefordert, sich ihnen anzuschließen und mit ihnen zu kämpfen. Für den Fall, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin selbst nicht wolle, hätte er die Söhne zu den Taliban schicken sollen. Ihre Kinder hätten auch nicht die Möglichkeit gehabt, dort zur Schule zu gehen. Wegen diesen Gründen seien sie in den Iran geflüchtet. Die Taliban seien immer sehr präsent gewesen. Die Taliban hätten mit ihrem Mann gesprochen, um den Mann und die Söhne, dazu zu bewegen, bei den Taliban mitzumachen. Dies habe vor acht Jahren begonnen. Konkret passiert sei jedoch bis zur Ausreise aus Afghanistan nichts. Sie und ihre Töchter hätten das Haus nicht verlassen dürfen, das hätten die Taliban nicht zugelassen. Wenn sie das Haus verlassen hätten, hätten sie komplett verschleiert sein müssen. Ihren Sohn XXXX habe sie aber aufgrund der Aufforderungen durch die Taliban im Alter von neun Jahren mit seiner Tante in den Iran geschickt.

 

Der Zweitbeschwerdeführer gab in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichsten an, dass die Beschwerdeführer nach Österreich gekommen seien, weil der Bruder des BF2 (XXXX) bereits in Österreich aufhältig sei. Seine Eltern hätten ihn damals von Afghanistan weggeschickt, weil die Sicherheitslage sehr schlecht gewesen sei. Die Taliban hätten die Kinder zwangsrekrutiert, davor hätten die Eltern Angst gehabt. Abgesehen davon hätte er keine Probleme im Heimatland.

 

Die Drittbeschwerdeführerin gab in ihrer niederschriftlichen Einvernahme an, dass sie wegen des Krieges und weil sie in Afghanistan keine Freiheiten gehabt habe, nach Österreich gekommen sei. Sie habe dort auch psychische Probleme gehabt. Die Taliban hätten zum Vater gesagt, entweder er komme zu ihnen oder er müsse ihnen seine Söhne geben. Der Vater habe dies nicht gewollt.

 

Der Viertbeschwerdeführer gab im Wesentlichen ebenfalls den Krieg und die Taliban als Fluchtgründe an. Er führte zusätzlich noch aus, dass er das Haus nicht verlassen und nicht zur Schule habe gehen dürfen.

 

Hinsichtlich des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers gab die Erstbeschwerdeführerin an, er habe dieselben Fluchtgründe wie die restlichen Beschwerdeführer.

 

4. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

5. Mit Verfahrensanordnung vom 16.08.2016 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater zur Seite gestellt.

 

6. Mit Schreiben vom 02.09.2016 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen brachten sie vor, dass die belangte Behörde sich nicht ausreichend mit ihrer Heimatprovinz auseinandergesetzt habe. Sie habe es unterlassen darzulegen, wie die Familie ihren Lebensunterhalt sichern solle, damit sie nicht in eine ausweglose Lage im Sinne des Art. 3 EMRK gelangen würden. Aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban könnten die Beschwerdeführer nicht zurück nach Afghanistan. Weiters leide die Drittbeschwerdeführerin an einer geistigen Erkrankung und sei von ihrer Mutter abhängig. Seit ihrem neunten Lebensjahr sei sie deswegen in medikamentöser Behandlung. Außerdem habe die Behörde außer Acht gelassen, dass der Zweitbeschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Flucht aus Afghanistan neun Jahre alt gewesen sei und über keine Sozialisation in Afghanistan verfüge. Angesichts der Sicherheitslage in Afghanistan, wäre zu begründen gewesen, inwiefern es den Beschwerdeführern überhaupt möglich sei, in einem bestimmten Teil von Afghanistan zu überleben. Auch eine relativ stabile Lage in Kabul würde daran nichts ändern, weil die Beschwerdeführer über keine Bezugspunkte an diesem Ort verfügen würden.

 

Beigelegt wurde ein fachärztlicher Befundbericht vom 22.06.2016 betreffend die Drittbeschwerdeführerin.

 

7. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde die Rechtssache der ursprünglich zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und am 02.11.2016 der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.

 

8. Am 06.12.2016 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Schreiben vom 04.07.2016 übermittelt. Aus diesem Schreiben geht hervor, dass im Zuge einer ZMR-Fremdenabfrage festgestellt wurde, dass der Zweitbeschwerdeführer im SIS durch Ungarn mit einem Einreise-/Aufenthaltsverbot im Schengener Gebiet gemäß Art 24 EU-VO 1987/2006 ausgeschrieben ist.

 

9. Am 18.07.2017 fand am Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der Beschwerdeführer, ihrer Vertreters und einer Dolmetscherin statt, in welcher die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen.

 

Die Erstbeschwerdeführerin blieb im Wesentlichen bei Ihrer Aussage, sie führte jedoch noch zusätzlich aus, dass ihre Töchter gedrängt worden wären, einen Mujaheddin zu heiraten. Sie habe daher Angst gehabt, dass ihre Töchter weglaufen würden oder Selbstmord begehen würden. Einmal sei ein Mujaheddin zu ihrem Haus gekommen und habe gegen die Tür getreten, woraufhin die Drittbeschwerdeführerin einen Schock erlitten habe. Seitdem ginge es ihr nicht gut. Davor sei sie ein gesundes und kluges Kind gewesen.

 

Der Zweitbeschwerdeführer blieb ebenfalls im Grunde bei seiner Aussage. Er fügte im Gegensatz zur Niederschrift vor dem BFA noch hinzu, dass sein Vater von "Leuten in Baghlan" bedroht worden sei. Daher sei der Zweitbeschwerdeführer weggeschickt worden.

 

Die Drittbeschwerdeführerin konnte auf Grund ihrer schlechten psychischen Verfassung nur kurz befragt werden und war nicht in der Lage konkrete Angaben zu ihren Fluchtgründen zu machen.

 

Die Viertbeschwerdeführerin gab an, dass sie in Afghanistan keine Zukunft gehabt hätte und nicht die Schule habe besuchen können. Außerdem würden Mädchen in Afghanistan im Alter von 14 Jahren verheiratet werden. Verwandte von seinem Vater hätten von ihm verlangt, dass er seine Töchter mit ihnen verheirate. Das sei vor allem bei ihren Schwestern der Fall gewesen. Aus diesem Grund habe sie der Vater von dort weggebracht.

 

Der Fünftbeschwerdeführende gab an, aus Afghanistan geflohen zu sein, um die Schule besuchen zu können.

 

10. Mit Schreiben vom 27.11.2017 ersuchten die Beschwerdeführer um eine positive Entscheidung bzw. der Durchführung einer Verhandlung.

 

11. Mit Schreiben vom 29.01.2018 wurde abermals um eine möglichst baldige Entscheidung bzw. Durchführung einer Verhandlung ersucht. Unter einem wurde ein Konvolut an Unterlagen übermittelt.

 

12. Mit Schreiben vom 28.05.2018 wurde dem BFA sowie den Beschwerdeführern das aktuelle Länderinformationsblatt zur Stellungnahme übermittelt.

 

13. Mit Schreiben vom 11.06.2018 übermittelten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme sowie Unterlagen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage des erhobenen Antrags auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister das Grundversorgungsinformationssystem, fest.

 

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

 

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch angeführten Geburtsdaten und die angeführten Namen.

 

Die Identität steht nicht fest.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Tadschiken, die übrigen Beschwerdeführer der Volksgruppe der Paschtunen an. Alle bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Die Beschwerdeführer sprechen Dari, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin Farsi und Dari. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige.

 

Die Beschwerdeführer lebten etwa drei Jahre vor ihrer Flucht nach Österreich im Iran. Der Zweitbeschwerdeführer lebte seit seinem neunten Lebensjahr im Iran.

 

Die Angehörigen der Beschwerdeführer leben in Belgien (Bruder der Erstbeschwerdeführerin), Iran (Schwester der Erstbeschwerdeführerin), Pakistan (Schwester der Erstbeschwerdeführerin) und in Kabul in Afghanistan (Schwester der Erstbeschwerdeführerin). Ein Kontakt zur Schwester der Erstbeschwerdeführerin in Kabul kann hergestellte werden.

 

Weiters wohnt eine Schwester des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin in Kabul. Die Schwiegermutter und der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin sind derzeit im Iran aufhältig.

 

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

1.1.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus der Provinz Kabul. Sie lebte vor ihrer Ausreise in den Iran mit ihrer Familie in dem Distrikt XXXX, Provinz Baghlan. Die erwachsene Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der übrigen Beschwerdeführer.

 

Die Erstbeschwerdeführerin ist bis zur 9. Klasse in die Schule gegangen und hat eine dreijährige Ausbildung als Krankenschwester begonnen. Sie hat in einem Krankenhaus inXXXX gearbeitet. Ihr Bruder hat ihr nicht erlaubt, zu arbeiten. Danach hat ihr ihre Schwiegermutter verboten, zu arbeiten. Ihr Mann ging einer Beschäftigung als Landwirt nach. Aus den Einkünften seiner Beschäftigung hat sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Ihr Ehemann und ihre beiden Söhne haben im Iran als Hilfsarbeiter gearbeitet. Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund.

 

1.1.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

Der Zweitbeschwerdeführer ist der erwachsene Sohn der Erstbeschwerdeführerin und stammt aus der afghanischen Provinz Baghlan, Distrikt XXXX.

 

Der Zweitbeschwerdeführer hat als neunjähriges Kind Afghanistan in Richtung Iran verlassen und lebte seit seinem neunten Lebensjahr im Iran. Er hat zwei Jahre lang eine private Schule besucht. Der Zweitbeschwerdeführer weist eine berufliche Erfahrung ohne Fachausbildung als Hilfsarbeiter (Bewachungsgewerbe) im Iran auf. Weiters hat er dem Vater auf dem Feld geholfen. Er ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er ist ledig und hat keine Kinder.

 

Derzeit lebt der Zweitbeschwerdeführer von der Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Er hat den Deutschkurs A1 abgelegt und besucht den Deutschkurs A2. Er hat keine nennenswerten Kontakte zu Österreichern. Er ist illegal in Österreich eingereist.

 

Er wohnt mit seiner Mutter (Erstbeschwerdeführerin) und der Drittbis Fünftbeschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt.

 

1.1.3. Zur Drittbeschwerdeführerin:

 

Die Drittbeschwerdeführerin ist die erwachsene Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Sie stammt aus Afghanistan aus der Provinz Baghlan, Distrikt XXXX. Sie weist keine Schul- oder Berufsausbildung auf. Sie leidet an Epilepsie und einer posttraumatischen Belastungsstörung.

 

1.1.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Die Viertbeschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Sie stammt ebenfalls aus der Provinz Baghlan, Distrikt XXXX. Sie hat drei Jahre lang eine private Schule besucht. Sie ist gesund.

 

1.1.5. Zum Fünftbeschwerdeführer:

 

Der Fünftbeschwerdeführer ist der minderjährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin. Er stammt ebenfalls aus der Provinz Baghlan, Distrikt XXXX. Er ist gesund.

 

2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätten.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan eine Verfolgung durch die Taliban bzw. der Zweit- und Fünftbeschwerdeführer einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung ausgesetzt wären.

 

Es konnte ebenfalls nicht festgestellt werden, dass die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen aufgrund versuchter Zwangsverheiratung einer konkret gegen sie gerichteten psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt waren oder sein werden.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die Erstbeschwerdeführerin ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Viertbeschwerdeführerin eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die Viertbeschwerdeführerin ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

 

3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

 

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Baghlan und in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.

 

Die Erstbeschwerdeführerin, die sich um ihre minderjährigen Kinder und um die volljährige aber erkrankte Drittbeschwerdeführerin kümmert, liefe auch bei einer Ansiedelung in der Stadt Kabul, mangels ausreichender Unterstützungsmöglichkeit in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und ihre Familie nicht befriedigen zu können und in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Da die Erstbeschwerdeführer sich um ihre minderjährigen Kinder und die volljährige aber erkrankte Drittbeschwerdeführerin kümmern muss, ist davon auszugehen, dass sie selbst mit Hilfe des volljährigen Zweitbeschwerdeführers im Falle der Rückkehr den notwendigen Lebensunterhalt für die fünfköpfige Familie nicht erwirtschaften können wird. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die in Afghanistan lebenden Verwandten bzw. der im Iran lebende Ehemann der Erstbeschwerdeführerin eine fünfköpfige Familie finanziell hinreichend in Kabul unterstützen können bzw. kann.

 

3.2. Die Drittbeschwerdeführerin läuft bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz Baghlan in Afghanistan mangels ausreichende Unterstützungsmöglichkeit in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb ihrer Herkunftsprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, ist der Drittbeschwerdeführerin aufgrund ihrer individuellen Umstände (ledige Frau mit Krankheit, ohne Schul- und Berufsausbildung sowie Berufserfahrung) nicht zumutbar, zumal sie auch dort Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

 

3.3. Eine Rückkehr des Zweitbeschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Baghlan in Afghanistan ist nicht zumutbar.

 

Eine Ansiedlung des Zweitbeschwerdeführers in Kabul ist möglich und zumutbar. Er kann die Stadt Kabul von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen. Er kann in Kabul eine Existenz aufbauen und diese mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrung, unter anderem im Bewachungsgewerbe, im Iran nutzen kann. Er hat auch die Möglichkeit, zunächst finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Weiters kann der Zweitbeschwerdeführers mit finanzieller Hilfe seines im Iran lebenden Vaters rechnen bzw. mit Unterstützung durch seine in Kabul lebenden Verwandten.

 

4. Zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018:

 

[...]

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

 

[...]

 

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

 

[...]

 

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

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IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

 

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

 

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Zivile Opfer

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

 

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

 

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Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

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Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

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Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

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Baghlan

 

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, grenzt. Baghlan hat folgende administrative Bezirke, inklusive der Provinzhauptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan (Pajhwok o.D.h). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 926.969 geschätzt (CSO 2016).

 

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Im Zeitraum 1.1. - 31.8.2015 wurden in der Provinz Baghlan 354 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

 

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Nordafghanistans; die Taliban sind in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv (Khaama Press 5.9.2016). In den letzten Monaten war die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Khaama Press 24.1.2017; Khaama Press 15.5.2016; Global Times China 15.1.2017; vgl. auch: News Ghana 30.1.2017).

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Pajhwok 9.1.2017; Khaama Press 8.1.2017; Khaama Press 5.1.2016; Bakhtar News 22.8.2016). Bei diesen Militäroperationen hatten Aufständische Verluste zu verzeichnen (Pajhwok 9.1.2017; Bakhtar News 22.8.2016). In manchen Fällen wurden Talibankommandanten getötet (Tolonews 23.12.2016; Pajhwok 23.12.2016; Khaama Press 5.1.2016; Independent 27.2.2016).

 

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Tadschiken

 

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

 

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

 

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Frauen

 

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

 

Bildung

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

 

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

 

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

 

Frauenuniversität in Kabul

 

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

 

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

 

Berufstätigkeit

 

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

 

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen im öffentlichen Dienst

 

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9 .2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

 

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9 .2016).

 

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9 .2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

 

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

 

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

 

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

 

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

 

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9 .2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Strafverfolgung und Unterstützung

 

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9 .2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9 .2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9 .2016)

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9 .2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

 

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9 .2016).

 

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9 .2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9 .2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

 

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

 

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

 

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

 

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

 

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9 .2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

 

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9 .2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9 .2016).

 

Ehrenmorde

 

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

 

Legales Heiratsalter:

 

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9 .2016).

 

Frauenhäuser

 

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9 .2016).

 

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

 

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

 

Medizinische Versorgung - Gynäkologie

 

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9 .2016).

 

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9 .2016)

 

Kinder

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9 .2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9 .2016).

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016).

 

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

 

In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9 .2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9 .2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9 .2016)

 

Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).

 

Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).

 

Kinderarbeit

 

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9 .2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

 

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

 

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fälle nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

 

Bildungssystem in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9 .2016).

 

[...]

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Medizinische Versorgung

 

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9 .2016).

 

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)].

 

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9 .2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vgl. auch: AA 9 .2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

 

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9 .2016).

 

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge, verwenden 23% der Frauen in gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar und somit müssen bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst (IOM 21.9.2016). Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Physisch und geistig Behinderte, sowie Opfer von Missbrauch müssen eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Für verschiedene Krankheiten und Infektionen ist medizinische Versorgung nicht verfügbar. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten geboten werden, welche zudem meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Diagnostische Ausstattungen wie Computer Tomographie ist in Kabul (1 in Kabul) verfügbar (IOM 2016).

 

Medikamente

 

Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (IOM 2016). Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war vielen Frauen nicht erlaubt alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 13.4.2016).

 

Beispiele für Behandlung psychischer Fälle in Afghanistan

 

In öffentlichen und privaten Kliniken ist beispielsweise paranoide Schizophrenie behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patient/innen nichts für ihre Aufnahme bezahlen. Die Patient/innen müssen ihre Medikamente in außenstehenden Apotheken kaufen (IOM 11.10.2016). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Scharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn Patient/innen kein unterstützendes Familienumfeld haben. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Eine begrenzte Zahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Um Zugang zu erhalten, benötigt man die afghanische Nationalität (Ausweis/Tazkira). Man kann sich mit seinem Ausweis in jedem afghanischen Krankenhaus registrieren und je nach gesundheitlicher Beschwerde einem Arzt zugewiesen werden. Sollten Operation und Krankenhausaufenthalt nötig sein, wird dem Patienten in dem Krankenhaus ein Bett zur Verfügung gestellt (IOM 2016).

 

In Kandahar eröffnete eine pädiatrische Abteilung im Mirwais Krankenhaus, mit dem Ziel die extrem hohe Säuglingssterberate zu reduzieren: unter anderem verdoppelte sich die Zahl der Säuglingsschwestern; die neue Brutkasteneinheit unterstützt die Spezialist/innen der Neonatalogie (The Guardian 1.12.2016).

 

Krankenhäuser in Kabul:

 

* Antani Hospital Address: Salan Watt, District 2, Kabul Tel: +93 (0)20 2201 372

 

* Ataturk Children's Hospital Address: Behild Aliabaad (near Kabul University), District 3, Kabul Tel: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312

 

* Ahyaia Mujadad Hospital Address: Cinema Pamir, 1st District, Kabul Tel: +93(0)20 2100436

 

* Centre Poly Clinic Address: District 1, Cinema Pamir, Kabul Tel:

+93 (0)202100445

 

* Istiqlal Hospital Address: District 6, Kabul Tel: +93 (0)20 2500674

 

* Ibnisina Emergency Hospital Address: Pull Artal, District 1, Kabul

Tel: +93 (0)202100359

 

* Jamhoriat Hospital Address: Ministry of Interior Road, Sidarat

Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375

 

* Malalai Maternity Hospital Address: Malalai Watt, Shahre Naw,

Kabul Tel: +93(0)20 2201 377

 

* Noor Eye Hospital Address: Cinema Pamir, Kabul Tel: +93 (0)20 2100 446

 

* Rabia-i-Balki Maternity Hospital Address: Frosh Gah, District 2, Kabul Tel: +93(0)20 2100439

 

* Tuberculosis Hospital Address: Sana Turiam, Dar-ul-Aman, District 6, Kabul Tel:+93 (0)75 201 4842

 

Beispiele für Nichtregierungsorganisationen vor Ort:

 

Ärzte ohne Grenzen (MSF)

 

In Helmand besteht das größte Krankenhaus im südlichen Afghanistan, welches von Ärzten ohne Grenzen (MSF) geführt wird. Als eines der wenigen Krankenhäuser in der Provinz, hat das Krankenhaus 300 Betten. Etwa 700 afghanische Mitarbeiter/innen und 25 Ausländer/innen arbeiten in den Abteilungen des Krankenhauses, zu diesen zählen unter anderem die Pädiatrie, die Intensivmedizin, die Orthopädie, erste Hilfe und Operationen. Die Behandlung in diesem Krankenhaus ist kostenfrei, sofern man es schafft einen Platz zu bekommen (Time 31.8.2016).

 

Das Komitee des internationalen Roten Kreuz (ICRC)

 

Zugang zu Gesundheitsbehandlung bleibt schwierig in jenen Gegenden, in denen die Sicherheitslage schwach ist.

 

Das ICRC:

 

 

 

 

 

 

 

 

Telemedizinprojekt durch den Mobilfunkanbieter Roshan

 

Das Telemedizinprojekt, verbindet Ärzte in ländlichen Gegenden mit Spezialist/innen im französischen Kindermedizininstitut in Kabul und dem Aga Khan Universitätskrankenhaus in Pakistan. Durch eine Hochgeschwindigkeits-Videoverbindung werden arme Patient/innen auf dem Land von Expert/innen diagnostiziert. Die von Roshan zur Verfügung gestellte Technologie ermöglicht es afghanischen Ärzten im Institut zudem, durch komplizierte Behandlungen geleitet zu werden, für die sie sonst nicht die Expertise hätten (Good Impact 17.12.2016).

 

[...]

 

Gutachten Mag. Karl Mahringer vom 05.03.2017

 

[...]

 

I.a) Wie stellt sich die allgemeine Versorgungslage in den Städten Kabul, Mazare-e Sharif und Herat dar (etwa: Möglichkeit der Beschaffung von Wohnraum und Lebensmittel, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur)? Folgende Bereiche wurden hinsichtlich der Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur untersucht:

 

[...]

 

Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung von 2004 ist die medizinische Versorgung für alle Afghanen frei. Die medizinische Basisversorgung in den drei Städten - Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist ausreichend und für jedermann zugänglich. Krankenhausaufenthalte sind frei, privat praktizierende Ärzte verlangen Geld.

 

Die Standards der Spitäler sind nach Meinung vieler afghanischer Ärzte verbesserungsfähig, stellen aber eine ausreichende Grundversorgung sicher. Spitäler der Aga Khan Foundation stellen nach Meinung von Gesundheitsexperten westlichen Standard dar. Die Versorgung mit Medikamenten ist gesichert, unzählige Apotheken haben 24h geöffnet, der Import von Medikamenten funktioniert. Viele Afghanen, vorwiegend der afghanischen Mittelschicht, fahren nach Pakistan oder Indien zum Arzt. Peshawar ist von Kabul aus in einer Halbtagsreise problemlos erreichbar.

 

[...]

 

Wohnraum

 

Wohnraum ist in jeder der drei Städten - Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif - ausreichend vorhanden; zu mieten ist einfach. Es gibt ein Angebot für alle Lagen. In der Regel wohnen alleinstehende Personen in Gemeinschaftsunterkünften um Kosten zu sparen (2 bis 5 Personen). Es wurden 15 Wohnungsvermittlungsfirmen (8 in Kabul, 4 in Herat und 3 in Mazar-e Sharif) befragt. Die Grundaussage war, dass für alle 3 Städte, ausreichend Wohnraum für alle Bedürfnisse vorhanden ist. Die Wohnungssuche dauert meistens zwischen 1 bis 4 Wochen. In der Regel wird bei Vertragsabschluss, unabhängig ob schriftlich oder mündlich, eine verhandelbare Kaution verlangt. Übereinstimmend haben alle Vermittlungsfirmen ausgesagt, dass diese noch nie eine Wohnung übers Internet verkauft haben. Es erscheint daher unmöglich für einen rückkehrenden, abgewiesenen Asylwerber bereits vor Ankunft in Kabul eine Wohnmöglichkeit zu finden. Jedoch gibt es auch sehr einfache Unterkünfte für die Übergangszeit.

 

[...]

 

Zusammenfassend wird festgestellt, dass sich aus den Fragen I bis VIII keine Gründe ergeben welche die Rückkehr nach Afghanistan von männlichen Einzelpersonen unmöglich machen, ein besonderes Erschwernis darstellen oder eine Gefährdung der Rückkehrer bedeuten würden. Die Rückreise nach Kabul und Mazar-e Sharif aus Europa ist direkt möglich (über Dubai oder Istanbul) sowie nach Herat über Kabul. Tickets kosten zwischen 380 bis 500€.

 

Der Drang der afghanischen Flüchtlinge nach Europa war und ist sehr stark beeinflusst von den falschen Vorstellungen und Erwartung der Flüchtlinge sowie den geschäftigen Versprechungen der Schlepper. Aber ebenso ist die Erwartung in Europa über Afghanistan durch falsche, einseitige Berichterstattung der Medien bzw. einen Teil der Meinungsmacher und Unkenntnis geprägt.

 

Kabul hat ähnlich Probleme wie jede schnellwachsende Mega City eines Entwicklungslandes. Herat und Mazar e Sharif sind zwei aufstrebende, unter den gegebenen Umständen, gut verwaltete Städte.

 

Der Integrationserfolg eines Rückkehrers in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat hängt ausschließlich vom Willen des Rückkehrers ab. Eine Rückkehrberatung und Hilfe bei der Ankunft in der Zielstadt würden die Integration beschleunigen. Je länger der Rückkehrer in Europa war desto schwieriger die Integration in Afghanistan

 

Die Rückkehrer aus Europa stellen für die afghanischen Behörden und die internationalen Organisationen keine Priorität dar (80.000 Asylwerber ohne Aufenthaltsberechtigung gegen ca. 5.000.0000 Binnenflüchtlinge oder Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan)

 

I.a) Wie stellt sich die allgemeine Versorgungslage in den Städten Kabul, Mazare- e Sharif und Herat dar (etwa: Möglichkeit der Beschaffung von Wohnraum und Lebensmittel, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur dar)?

 

Die allgemeine Versorgungslage und allgemeine Infrastruktur ist in Summe als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage.

 

b) Gibt es diesbezüglich merkbare Unterschiede zwischen den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat?

 

Zwischen den Städten Kabul, Mazar e Sharif und Herat gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Durch die geringere Bevölkerung in Herat und Mazar e Sharif ist die Infrastruktur in weiten Teilen etwas besser als in Kabul.

 

II) Wie stellen sich die Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrer ohne soziale/familiäre Anknüpfungspunkte in diesen Städten, differenziert anhand folgender Kriterien, dar?

 

a) erwerbsfähige Rückkehrer ohne relevante Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

b) erwerbsfähige Rückkehrer mit grundlegender Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

c) erwerbsfähige Rückkehrer mit fundierter Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

Eine differenzierte Beantwortung von a) bis c) ist nicht möglich und hat keine Auswirkung auf die Möglichkeiten. Die Verdienstmöglichkeiten für männliche Rückkehrer ohne soziale/familiäre Anknüpfungspunkte sind ohne Einschränkung in den Punkten a) bis c) gegeben.

 

d) Fragestellung a) bis c), wenn bereits Arbeitserfahrung (in oder außerhalb Afghanistans) gesammelt wurde (etwa: Landwirtschaft, handwerkliche Tätigkeit, Fabrikarbeit, Verkaufstätigkeit, Gelegenheitsarbeit)?

 

Arbeitserfahrung ist auch in Afghanistan von Vorteil (für Auslandserfahrung ist Anzumerken, dass Berufsbilder nicht immer nach Afghanistan übertragen werden können).

 

e) Besteht die Möglichkeit der Verrichtung allenfalls minderqualifizierter Tätigkeit auch für jene Rückkehrer, die über keine hinreichende Schul- und/oder Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung verfügen?

 

In der Regel wird kein Unterschied gemacht ob es sich um einen Rückkehrer handelt oder nicht, solange der Rückkehrer bereit ist unter afghanischen Bedingungen zu arbeiten, dies gilt auch für Rückkehrer ohne entsprechender schulischen oder beruflichen Qualifikation. Die Verrichtung allenfalls minderqualifizierter Tätigkeit ist auch für Rückkehrer, die über keine hinreichende Schul- und/oder Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung verfügen, uneingeschränkt möglich.

 

III. a) Wie hoch sind die Lebenshaltungskosten in den Großstädten für die Sicherung existenzieller Bedürfnisse (Nahrung, Behausung)?

 

Hiezu gibt es keine zeitnahen, offiziellen Statistiken, auf Grund der langjährigen Erfahrung des SV im Nahrungsbereich in Afghanistan, erscheint das Ergebnis der Befragung realistisch.

 

Die Frage nach den Kosten/Monat in US $ wurde wie folgt beantwortet:

 

-Kabul-Herat-Mazar e Sharif

 

Essen-100-100-100

 

Obdach-40-25-25 (bei 4 Bewohnern je Raum)

 

 

b) ist die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit (differenziert nach den Gruppen II.a) bis c)) realistisch?

 

Die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit ist in den Gruppen II.a) bis c) als realistisch anzusehen. Für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung gibt es Arbeitsmöglichkeiten. Der Rückkehrer wird allerdings eine Zeit von 3 bis 6 Monate benötigen um sich zu orientieren und Arbeit zu finden.

 

IV. Gibt es Belege für

 

a) andauernde schwerste körperliche Beeinträchtigung oder

 

b) Todesfälle

 

von an sich erwerbsfähigen und gesunden Rückkehrern (etwa durch: Hungersnöte, Obdachlosigkeit bei Kälte) aufgrund nur mangelnder Deckung der grundlegenden Existenzbedürfnisse?

 

Wenn ja: Handelt es sich dabei um Ausnahmefälle bzw. sind nähere Umstände hiezu eruierbar?

 

Wenn nein: ist eruierbar, wodurch a) und b) vermieden werden konnten?

 

Zu dieser Frage wurden hinsichtlich der Rückkehrer aus Europa keine Anhaltspunkte gefunden, weder positive noch negative. Eine Ursache warum keine Beispiele gefunden werden konnte dürfte im Umstand liegen, dass es noch nicht so viele Rückkehrer aus Europa gibt und das familiäre Netzwerk besser funktioniert als in Europa dargestellt.

 

Betrachtet man den Befund der Fragen I bis VIII gibt es auch keinen Grund warum solche Ereignisse in einer der drei Städte auftreten sollten.

 

V. a) Gibt es staatliche oder nichtstaatliche Einrichtungen/Organisationen/Strukturen, die existenzbedrohten alleinstehenden Personen zumindest vorübergehend grundlegendste Unterstützung bieten können (etwa: Notquartiere, Nahrung, Mikrokredite)?

 

Die offiziell bereitgestellten Finanzmittel für die Flüchtlingsbetreuung durch die internationale Gemeinschaft sind umfangreich, jedoch könnten bei effizienter, zielgerichteter Mittelverwendung wesentlich bessere Ergebnisse erzielt werden.

 

Für Rückkehrer aus Europa gibt es keine Hilfe, Programme oder Unterstützung in Afghanistan bei der Existenzgründung, die den Rückkehrern bekannt sind. Wohl gibt es ein Angebote vom MoRR, den internationalen Hilfsorganisationen und NGOs, die meisten Rückkehrer kennen diese allerdings nicht. Hilfsorganisationen verteilen Essenspakete, für Mikrokredite gibt es aber kein Programm für Rückkehrer.

 

Der Schwerpunkt der Hilfe liegt auf Binnenflüchtlingen und Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan. Es wäre dringend ein Existenzgründungsprogramm für Rückkehrer aus Europa notwendig - als Hilfe zur Selbsthilfe.

 

b) Inwieweit können unzureichende staatliche Versorgungsstrukturen für Bedürftige durch Leistungen Privater, etwa Almosenabgabe, substituiert werden? Gibt es Belege für derartige Unterstützungsleistungen bzw. ist die Erlangung solcher realistisch?

 

In Afghanistan gibt es keine Spendenkultur, abgesehen vom Ramadan und einigen religiösen Feiertage gibt es keine Almosen.

 

c) Bestehen funktionierende Unterstützungsmöglichkeiten für Rückkehrer durch Familienangehörige, die sich in anderen Teilen Afghanistans aufhalten (etwa: Bankverbindungen, Übermittlung von Sachleistungen/Geld, Hawala)?

 

Der Familienzusammenhalt in Afghanistan ist noch sehr stark und daher gibt es immer Unterstützung für die Rückkehrer. Geldzuwendungen sind unwahrscheinlich, Sachleistungen herrschen vor. Übermittlung von Sachleistungen innerhalb von Afghanistan ist problemlos möglich.

 

d) Erscheint es realistisch, auch von Verwandten Unterstützung zu bekommen, zu denen seit langem oder bisher noch gar kein Kontakt bestand?

 

Auch diese Unterstützung, allerdings in der Regel nur Sachleistungen, gibt es.

 

VI. a) Inwiefern unterscheidet sich die Lebenssituation aus dem Ausland zurückkehrender Afghanen von der in Kabul ansässigen Bevölkerung?

 

Nach einer kurzen Orientierungsphase (2 bis 4 Wochen) gibt es keinen erkennbaren Unterschied zwischen der Lebenssituation der Rückkehrer und der in Kabul ansässigen Bevölkerung. Selbiges ist auch für Mazar-e Sharif und Herat feststellbar.

 

b) Verunmöglicht die Unkenntnis der örtlichen/infrastrukturellen Gegebenheiten (etwa Rückkehrer, die sich noch nie zuvor in afghanischen Großstädten aufgehalten haben; lange Abwesenheit aus Afghanistan) eine Existenzsicherung?

 

Die Integration von Rückkehrern die noch nie in einer afghanischen Großstadt gelebt hatten behindert die Existenzsicherung nicht. Nach einer 2 bis 4 wöchigen Orientierungsphasen kennen die Rückkehrer die Situation in der jeweiligen Stadt.

 

VII. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Rückkehrsituation je nach Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen (Paschtunen/Hazara/Tadschiken/Usbeken/Aimaken/ Turkmenen/Belutschen) variiert bzw. die Existenzsicherung für Angehörige einer bestimmten Volksgruppe ungleich schwieriger ist?

 

Abgesehen von dem Bestreben der Minister, im öffentlichen Bereich in ihren Ministerien und politischen Einflussbereich, jeweils bevorzugt Angehörige der eigenen Ethnie einzustellen, gibt es keine Benachteiligungen einer bestimmten Ethnie.

 

[...]

 

ACCORD Anfragebeantwortung vom 03.06.2014 zu Afghanistan:

1)Behandelbarkeit von psychischen Störungen im Raum Kabul, 2) Lage von Personen mit psychischer Störung (Diskriminierung, etc.) [a-8722]:

 

[...]

 

Im Länderinformationsblatt Afghanistan vom Oktober 2013, das im Auftrag der Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verfasst wurde, finden sich folgende Informationen zur medizinischen Versorgungslage in Afghanistan:

 

"Der Großteil der modernen medizinischen Einrichtungen des Landes befindet sich in Kabul und anderen Großstädten. Der generelle Mangel an Gesundheitszentren besteht vor allem in den ländlichen Gebieten bereits seit längerer Zeit. Die aktuelle Regierung arbeitet an der Wiedereröffnung von Krankenhäusern und der Kapazitätserhöhung auf dem medizinischen Sektor. Darüber hinaus sind Ressourcen zum landesweiten Bau von Kliniken bestimmt worden. Problematisch bleibt jedoch weiterhin die Frage des kompetenten medizinischen Personals. Der Bedarf an gut ausgebildetem afghanischen Personal, das in der Lage wäre, der Bevölkerung auf nachhaltige Weise medizinische Versorgung zukommen zu lassen, ist groß. Das Land hat eine der höchsten Sterblichkeitsraten der Welt. [...]

 

Eine Behandlung in Krankenhäusern wird von Personen, die sich die entsprechende Anreise leisten können, gewöhnlich in angrenzenden Ländern, insbesondere in Peshawar (Pakistan) durchgeführt. Das Fehlen eines Gesundheitssystems trägt zur Ungleichheit in der Frage des Zugangs zu medizinischen Dienstleistungen bei. Medikamente, überwiegend Importe aus Pakistan und Iran, sind immer besser erhältlich. [...]

 

Physisch und psychisch behinderte Personen und Opfer von Misshandlungen, die erwägen, in ihr Heimatland zurückzukehren, müssen eine starke Unterstützung seitens ihrer Familie und der betreffenden Kommune sicherstellen. Medizinische Versorgung ist für eine Vielzahl von Krankheiten weitestgehend nicht erhältlich. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Einrichtungen durchgeführt werden, denen es generell an adäquater Ausrüstung und Fachpersonal mangelt. Diagnosegeräte wie zum Beispiel Computertomographen, von denen es nur in Kabul einen gibt, oder Magnetresonanzaufnahmen sind ebenfalls nicht erhältlich." (IOM, Oktober 2013, S. 16-18).

 

In einem im Jahr 2013 veröffentlichten Bericht über psychische Gesundheitsfürsorge schreibt die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO), dass in den fünf Jahren nach dem Sturz der Taliban Entwicklungen bei den Dienstleistungen im Bereich psychische Gesundheit in hohem Maße durch NGO-Projekte vorangetrieben worden seien. Diese Projekte hätten darauf abgezielt, die Dienstleistungen im Bereich psychische Gesundheit in die allgemeinen Gesundheitsdienste zu integrieren.

 

In Kabul habe Caritas Deutschland zehn Beratungszentren eingerichtet, die später an zwei lokale NGOs übergeben worden seien. Insgesamt sei in den Zentren mehr als 11.000 Personen geholfen worden, von denen 70 Prozent von deutlichen Verbesserungen berichtet hätten. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und weiterer Pilotprojekte im Bereich öffentliche Gesundheitseinrichtungen sei die Beratung in das Basispaket der Gesundheitsfürsorge aufgenommen worden:

 

[...]

 

Im Jahr 2010 habe das Ministerium für öffentliche Gesundheit einer nationalen Fünfjahresstrategie für psychische Gesundheit zugestimmt. Diese Strategie ziele darauf ab, bis 2014 in 75 Prozent aller Gesundheitseinrichtungen Dienstleistungen im Bereich psychische Gesundheit anzubieten. Das Paket der essentiellen Krankenhausdienstleistungen werde gegenwärtig überarbeitet, dabei werde der psychischen Gesundheitsversorgung in allgemeinen Provinz- und Regionalkrankenhäusern mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Im Jahr 2004 sei das psychiatrische Krankenhaus in Kabul wiedereröffnet worden, welches aktuell über 100 Betten und eine Abteilung zur Behandlung von substanzbezogenen Störungen verfüge. Ein aktuelles, von der Europäischen Kommission finanziertes Projekt ziele darauf ab, die Qualität der Dienstleistungen in diesem Krankenhaus zu verbessern und es zu einem Ausbildungszentrum zu entwickeln:

 

[...]

 

In einer undatierten Pressemitteilung berichtet die deutsche Botschaft in Kabul über eine von einer lokalen NGO geleiteten Einrichtung in Kabul, in der rund 40 geistig behinderte und psychisch kranke Frauen betreut würden:

 

"Allen widrigen Umständen zu trotz, wie zum Beispiel ein wochenlanger Ausfall der Wasser- und Stromversorgung, konnte jetzt ein Kleinstprojekt der Botschaft zum Wohle psychisch kranker Frauen in Kabul abgeschlossen werden. Die erfolgte bauliche Erweiterung und Ertüchtigung der Einrichtung des ‚Marastoon' dient der Verbesserung der äußerst schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen für Patientinnen und Betreuerinnen. Das Heim für psychisch kranke Frauen wird von der bereits seit etwa 80 Jahren existierenden afghanischen NRO Marastoon geleitet, die heute dem afghanischen Roten Halbmond organisatorisch angegliedert ist. In der Einrichtung werden etwa 40 geistig behinderte und auch psychisch kranke Frauen betreut. Diese sind ausnahmslos mittellos und wurden häufig von ihren Familien aufgrund eigener Bedürftigkeit und/oder Überforderung verlassen."

(Deutsche Botschaft Kabul, ohne Datum)

 

Die unabhängige afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News (PAN) zitiert in einem Artikel vom Oktober 2013 eine Stellungnahme des afghanischen Ministeriums für öffentliche Gesundheit, wonach viele AfghanInnen unter psychischen Problemen leiden würden, die meisten dieser Fälle aufgrund unzureichender Kenntnis psychischer Erkrankungen allerdings nicht gemeldet würden. Dem Ministerium zufolge unternehme es Anstrengungen, um das Bewusstsein für solche Erkrankungen zu verbessern. Im vergangenen Jahr habe die WHO bestätigt, dass mehr als 60 Prozent der AfghanInnen, vorrangig Frauen, unter psychosozialen Problemen oder psychischen Erkrankungen leiden würden. Da nur ein kleiner Teil des Gesundheitsbudgets für die psychische Gesundheit ausgegeben werde, erhalte eine große Mehrheit der Personen mit solchen psychischen Störungen keine Behandlung:

 

[...]

 

In einem im Juni 2012 in der Zeitschrift der European Psychiatric Association (EPA) veröffentlichten Artikel mehrerer AutorInnen, darunter die Leiterin der International Psychosocial Organization (IPSO), Inge Missmahl, wird berichtet, dass Kabul trotz einer Bevölkerung, in der Berichten zufolge mehr als die Hälfte an den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung oder an Depressionen leide, neben neu eingerichteten Suchtzentren nur über zwei öffentliche psychiatrische stationäre Einrichtungen ("public psychiatric inpatient services") verfüge. Sowohl in Kabul als auch in ländlichen Gebieten seien psychiatrische Dienste, darunter ambulante Einrichtungen, sehr selten:

 

[...]

 

In einem im März 2012 veröffentlichten Kommentar für den Newsletter des Royal College of Psychiatrists, einer Organisation der PsychiaterInnen im Vereinigten Königreich und Irland, schreibt Yousuf Ali Rahimi, ein in Afghanistan tätiger Psychiater, dass in Afghanistan die Dienstleistungen im Bereich psychische Gesundheit vom Ministerium für Gesundheit erbracht würden, das ein psychiatrisches Krankenhaus in Kabul mit nur 60 Betten für Personen mit psychischen Störungen und 40 Betten für Drogenabhängige betreibe. Das bedeute allerdings nicht, dass eine große Nachfrage nach den Betten bestehe und die Abteilungen überfüllt seien. Im Gegenteil seien die Belegungsraten in der Regel niedrig (weniger als 60 Prozent im Jahr 2011). Dies sei einer Kombination verschiedener Faktoren geschuldet, darunter eine mangelhafte Ausstattung, die schlechte Sicherheitslage, ein mit psychischen Erkrankungen verbundenes Stigma, die Haltung des Personals und wenig hilfreiche Richtlinien (ein(e) Patient(in) werde nur aufgenommen, wenn ein Verwandter die ganze Zeit über bei ihm/ihr bleibe):

 

[...]

 

2) Lage von Personen mit psychischer Störung (Diskriminierung, etc.)

 

Wie im ersten Teil der Anfragebeantwortung erwähnt, berichtet der in Afghanistan tätige Psychiater Yousuf Ali Rahimi im März 2012, dass die Belegungsraten im psychiatrischen Krankenhaus in Kabul in der Regel niedrig seien und nennt eine Kombination verschiedener Faktoren als Grund. Einer der Faktoren sei ein mit psychischen Erkrankungen verbundenes Stigma. (Royal College of Psychiatrists, März 2012)

 

Die afghanische englischsprachige Tageszeitung Daily Outlook Afghanistan berichtet im März 2012, dass psychische Störungen in Afghanistan mit einem Stigma behaftet seien. Über seine Sorgen zu sprechen, sei mit Scham und Schande verbunden, weshalb die meisten dieser Probleme nicht zur Sprache gebracht und geheim gehalten würden. Dies führe dazu, dass die Störungen nicht behandelt und sich verschlimmern würden und manchmal zu schweren Depressionen und Selbstmordgedanken bzw. -versuchen führen würden. Das Problem werde außerdem dadurch verschlimmert, dass manche Menschen mit psychischen Störungen angekettet, misshandelt und verspottet würden. In den meisten Fällen würden Personen mit psychischen Erkrankungen schikaniert und von der Gesellschaft gemieden. Sie verlören den Respekt der anderen und würden als "verrückt" betrachtet:

 

[...]

 

In einem älteren Artikel vom November 2010 berichtet die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News (PAN) von Unwissenheit hinsichtlich der Symptome psychischer Erkrankungen und einem mit den Erkrankungen verbundenen Stigma. In einigen Gebieten Afghanistans werde versucht, Personen mit psychischen Erkrankungen zu heilen, indem diese zu Schreinen gebracht und dort tagelang angekettet würden:

 

[...]

 

Der im Mai 2011 veröffentlichte Artikel der Los Angeles Times erwähnt, dass es in Afghanistan immer noch üblich sei, dass Familien von Personen mit psychischen Erkrankungen diese zu Hause oder in einem Sufi-Schrein anketten würden. Dort blieben sie wochenlang und erhielten nur Wasser und Gewürzbrot. Einer medizinischen Anthropologin zufolge sei das Krankenhaus in Kabul mit einem überwältigenden Bedarf konfrontiert. Obwohl die ÄrztInnen den PatientInnen nicht das gesamte Ausmaß an sozialer Unterstützung bieten könnten, habe es seit 2003, als sie gesehen habe, dass PatientInnen an die Betten gekettet worden seien, große Fortschritte gegeben. Jetzt würden die PatientInnen nicht mehr gefesselt. Der Anthropologin zufolge gebe es in Pakistan immer noch Einrichtungen, in denen psychisch Erkrankte gefesselt würden. Sie glaube, dass Pakistan in gewisser Weise hinter Afghanistan zurückstehe. So könne man in Afghanistan offener über psychische Gesundheit reden, außerdem gebe es, vielleicht wegen des Krieges, die Erkenntnis, dass Personen, die leiden, Hilfe benötigen würden:

 

[...]

 

Die internationale Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) schreibt in einem Artikel vom Oktober 2012, dass rund 50 Prozent der AfghanInnen über 15 Jahren unter psychischen Erkrankungen, darunter Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen, leiden würden. Laut Richard Scott von der Universität Calgary, Kanada, gebe es in Afghanistan, und insbesondere außerhalb Kabuls, ein großes Ausmaß an Missverständnissen und Unwissenheit in Bezug auf psychische Störungen. Um afghanische Jugendliche zu erreichen, würden ihnen SMS mit Informationen gesendet, die hoffentlich zu einer Reduzierung der Stigmatisierung führen und eine Diskussion in Gang setzten würden, so Scott. Die erste Herausforderung bestehe darin, mit dem afghanischen Ministerium für Gesundheit zusammenzuarbeiten, um dessen Ansatz zu verändern und es dazu zu bringen, sich an der Erkennung psychischer Störungen zu beteiligen:

 

[...]

 

In einer Pressemitteilung vom März 2014 schreibt Caritas International, das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes e.V.:

 

"Der Bedarf an Therapie ist in Afghanistan immens. Doch Möglichkeiten zur Hilfe gibt es nur wenige. Daher wird über häusliche gewaltförmige Konflikte und emotionale Erpressung oft geschwiegen. Menschen mit akuten Problemen wie psychischen Störungen, Traumata und Angstzuständen finden Unterstützung meist nur in ihrem Familien, die mit den Schwierigkeiten zumeist überfordert sind, selbst traumatisiert oder aber Teil der Probleme sind. Als Ausweg sehen viele nur die Selbstmedikation mit Psychopharmaka, die aber häufig fatale Folgen für die Patient/innen mit sich bringen. Die Zahl derer, die aus Verzweiflung ihrem Leben ein Ende setzen, steigt von Jahr zu Jahr an. Bei vielen hat die jahrelange seelische Belastung zu handfesten körperlichen Problemen geführt: Drogenmissbrauch, Schizophrenie, Symptomen von Epilepsie oder zu chronischen Schmerzen." (Caritas International, März 2014)

 

[...]

 

Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 05.04.2017 (Fußnoten seitens des Bundesverwaltungsgerichtes entfernt bzw. Rechtschreibfehler korrigiert):

 

[...]

 

Psychische Erkrankungen

 

Posttraumatische Belastungsstörung und andere psychische Krankheiten weit verbreitet.

 

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände, die durch den Krieg hervorgerufen wurden, stellen gemäß mehreren Quellen eine "verborgene Epidemie" in Afghanistan dar. Laut der letzten verfügbaren Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation von 2004, zitiert in einem Bericht von Samuel Hall, litten 68 Prozent der Befragten an einer Depression, 72 Prozent an Angstzuständen und 42 Prozent an einer posttraumatischen Belastungsstörung. 2005 litten gemäß Guardian 16,5 Prozent der Afghaninnen und Afghanen an psychischen Krankheiten. Seither dürfte sich die Zahl psychisch leidender Menschen höchstwahrscheinlich noch erhöht haben.

 

Stigmatisierung von psychisch Kranken.

 

Während alle Provinzspitäler inzwischen psychische Beratung anbieten, kämpfen die Beraterinnen und Berater selbst in der Hauptstadt Kabul gegen lange Traditionen und eine Kultur der Stigmatisierung von psychisch Kranken an. Gemäß einem Bericht von Disability World vom Februar 2005, der in den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 zitiert wird, ergibt sich diese Stigmatisierung daraus, dass psychische Erkrankungen von der Gesellschaft oft als Bestrafung für Sünden angesehen würden. So sei es üblich, psychisch kranke Familienmitglieder aus der Öffentlichkeit fernzuhalten.

 

Kaum Kapazitäten zur Behandlung psychischer Erkrankungen.

 

Gemäß Samuel Hall wurden psychosoziale Probleme und psychische Erkrankungen in Afghanistan bisher stark unterschätzt und daher kaum angegangen, wenn nicht sogar ignoriert. Obwohl die Bedürfnisse nach Behandlung wegen der weiten Verbreitung solcher Erkrankungen akut seien, herrsche weiterhin ein Mangel an ausgebildetem Personal, namentlich an Psychiaterinnen und Psychiater, Sozialarbeitenden, Psychologinnen und Psychologen sowie an angemessener Infrastruktur. Das Bewusstsein, dass psychische Erkrankungen dringend behandelt werden müssen, fehle. Verglichen mit seinen Nachbarstaaten ist Afghanistan gemäß den von Samuel Hall zitierten Informationen der WHO von 2014 mit nur einer einzigen tertiären Gesundheitseinrichtung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (Kabul Mental Health Hospital) sowie ungefähr drei ausgebildeten Psychiaterinnen und Psychiatern und zehn Psychologinnen und Psychologen für eine Bevölkerung von mehr als 30 Millionen Menschen sehr schlecht ausgerüstet.

 

"Behandlung" durch Drogen oder an Schreinen aus Tradition oder wegen niedriger Kosten üblich.

 

Viele Afghaninnen und Afghanen greifen bei psychischen Krankheiten aus Tradition oder Kostengründen auf Drogen oder abergläubische Praktiken an Schreinen ("ziyarats") zurück, die oft mehr schaden als nutzen. Beispielsweise ist eine "Behandlung" am Schrein Mia Ali Baba mit umgerechnet 20 Dollar günstiger als Arzneimittel oder der Transport zum nächsten Spital. Die lange Dauer einer psychischen Behandlung im Spital schreckt in erster Linie Patientinnen und Patienten aus entlegenen ländlichen Gebieten wegen der hohen Kosten ab. Psychische Beratung wird außerdem mit Skepsis betrachtet, da das Mitteilen von persönlichen Themen und Familiengeheimnissen in kultureller Hinsicht als nicht angemessen gilt.

 

Gesundheitsversorgung

 

Keine staatliche Krankenversicherung, private Gesundheitsdienstleistungen unerschwinglich, auch in staatlichen Einrichtungen müssen Medikamente oft selbst bezahlt werden.

 

Gemäß dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt es in Afghanistan keine staatliche Krankenversicherung. Private Gesundheitseinrichtungen bieten Behandlungen an, sind jedoch für einheimische Patientinnen und Patienten unerschwinglich. Behandlungen, Labortests und Routineuntersuchungen in öffentlichen Krankenhäusern sind kostenlos. Medikamente sind dort allerdings oft nicht verfügbar, so dass Patientinnen und Patienten diese in privaten Apotheken selbst kaufen und bezahlen müssen.

 

[...]

 

Verfügbarkeit von Behandlungen

 

Verfügbarkeit von ambulanten und stationären Behandlungen in zwei staatlichen Spitälern in Kabul.

 

Laut einer am Kabul Mental Health and Drug Addicts Hospital (KMHH) lehrenden Fachperson bietet dieses Spital ambulante psychiatrische Behandlungen an. Es ist das einzige staatliche Spital in Afghanistan, das spezialisierte Behandlungen für eine größere Zahl von Patientinnen und Patienten einschließlich medikamentöser Behandlung, Psychotherapie (Gruppen-, individuelle und kognitive Verhaltenstherapie), Ergotherapie sowie Beratungen anbietet. Außerdem hat dieses Spital 100 Betten. Durchschnittlich bietet es psychiatrische Behandlungen in Form von Operationalisierter Psychodynamischer Diagnostik (OPD) für 100 Patientinnen und Patienten pro Tag an. Patientinnen und Patienten, die stationär aufgenommen werden müssen, bleiben für mindestens zwei Wochen in diesem Spital. In Kabul gibt es außerdem ein zweites staatliches Spital, Ali Abad, das ebenfalls psychiatrische Behandlungen anbietet, allerdings in kleinerem Rahmen als das KMHH.

 

Bedarf übersteigt die Kapazität der beiden staatlichen Spitäler in Kabul.

 

Diese beiden staatlichen Spitäler können den Bedarf an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen bei weitem nicht decken. Im KMHH wird versucht, Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen einen Spitalaufenthalt zu ermöglichen. Patientinnen und Patienten ohne suizidale Symptome und Personen, die keine Gefahr für andere darstellen, werden ambulant und durch Familientherapie behandelt. Ihre Familien werden informiert, wie sie mit den Patientinnen und Patienten umgehen und wann sie sie ins Spital bringen sollen. Gemäß dem Direktor des privaten Shefa Curative Hospital ist die Anzahl der Betten für stationäre Behandlungen in den staatlichen Spitälern begrenzt. Diese könnten daher nicht viele stationäre Patientinnen und Patienten behandeln. Weitere staatliche Spitäler in Afghanistan haben zwar eine psychiatrische Abteilung, allerdings stellen entsprechende Behandlungen dort keine Priorität dar.

 

Mehrere private Einrichtungen in Kabul bieten psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an; nur wenige Personen können sich private Behandlungen leisten.

 

In Kabul gibt es eine Reihe von lizenzierten Fachpersonen mit Spezialisierung im Bereich Psychiatrie, die psychiatrische Medikamente sowie ambulante psychotherapeutische Behandlungen in ihren Privatkliniken verschreiben. Die Kosten für privat verschriebene Medikamente und Behandlungen müssen voll ständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden. Gemäß einer im afghanischen Gesundheitsministerium tätigen Fachperson belaufen sich beispielsweise die Kosten für eine Psychotherapie zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome in einer privaten Einrichtung auf monatlich ungefähr 1000 AFN (14.04 EUR). Die meisten psychiatrischen Patientinnen und Patienten wenden sich an staatliche Einrichtungen in Kabul, da eine Behandlung dort kostenlos ist.

 

Das private Shefa Curative Hospital bietet psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an. Es gibt in Kabul zwei weitere private Spitäler im Bereich Psychiat-rie: Nademi Hospital und Syed Jamaludin Hospital. Im privaten French Medical Institute for Children (FMIC) in Kabul gibt es nur eine Fachperson, die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen anbietet. Die Kosten müssen vollständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden. Sehr arme und arbeitslose Personen sowie Personen mit finanziellen Schwierigkeiten können beim FMIC einen Kostenerlass beantragen. In diesem Fall schätzt das FMIC basierend auf einem Gespräch die finanzielle Situation der Person ein. Möglich sind Kostenerlässe von bis zu 30 Prozent, in sehr seltenen Fällen von bis zu 80 Prozent der Gesamtkosten.

 

[...]

 

Auszug aus dem EASO (European Asylum Support Office) Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Rekrutierungsstrategien der Taliban von Juli 2012 (Fußnoten seitens des Bundesverwaltungsgerichtes entfernt bzw. Rechtschreibfehler korrigiert):

 

[...]

 

Die Rekrutierung von Kämpfern

 

3.1 Allgemeines

 

Bereits kurz nach dem Fall des Taliban-Regimes im Jahr 2001 begannen die Taliban mit ihrer Neuorganisation und der Rekrutierung neuer Truppen. Im Jahr 2002 konnten sie zahlreiche Freiwillige in afghanischen Flüchtlingscamps, Moscheen und Deobandi-Madrassas in der pakistanischen Provinz Belutschistan in der Umgebung der Stadt Quetta rekrutieren. In der Folgezeit kamen verschiedene Mechanismen der Rekrutierung zum Einsatz: Rekrutierung von Madrassa-Schülern in Pakistan und Afghanistan, lokale Rekrutierung durch Mullahs oder religiöse Netzwerke, Rekrutierung durch religiöse politische Parteien oder Gruppierungen, Rekrutierung in der Verwandtschaft oder in Gemeinschaften, Schulen und Universitäten.

 

In der Regel erfolgen die Rekrutierungen innerhalb der lokalen Einsatzzellen. Die Taliban messen der familien-und klaninternen Loyalität, Stammesbindungen, persönlichen Freundschaften, sozialen und religiösen Netzen, Madrassas und Gemeinschaftsinteressen große Bedeutung bei. Mit einigen Ausnahmen rekrutieren Taliban-Kommandeure Kämpfer normalerweise aus ihrem eigenen Stamm. Zwar wurde die Stammesordnung durch den jahrelangen Konflikt geschwächt, sie ist jedoch nach wie vor tief in den paschtunischen Gemeinschaften verwurzelt, aus denen unverändert die meisten Taliban stammen.

 

Für Angriffe oder Attentate haben die Taliban junge Kämpfer engagiert, die in der Mehrzahl der Fälle außerhalb ihrer Heimatregionen zum Einsatz kamen, damit sie nicht von Einheimischen erkannt werden und sich ihre Angriffe nicht gegen Freunde und Familienangehörige richten konnten. Nach ihrem Einsatz kehrten sie wieder an den Heimatort zurück. Die Taliban griffen gerne auf diese Kämpfer zurück, um erfahrene Kämpfer nicht den Gefahren aussetzen zu müssen, die mit diesen Angriffen verbunden sind. Nach Angaben afghanischer Quellen vom April 2012 ändert sich diese Strategie. So setzen die Taliban die Mehrzahl der Kommandeure und Kämpfer jetzt in ihren Heimatregionen ("Lokalisierung") ein, da dies die Anhängerschaft aus den lokalen Gemeinschaften erhöht. Außerdem hat es den Vorteil des besseren Schutzes und der größeren Unterstützung, weil sie innerhalb des eigenen Stammes oder ihres Heimatdorfes agieren. Derselben Quelle zufolge werden ausländische Kämpfer pakistanischer, arabischer, tschetschenischer oder usbekischer Herkunft in der Regel lokalen Kommandeuren als Berater unterstellt oder - wenn es sich um eine größere Zahl handelt - sind ausschließlich in der pakistanischen Grenzregion aktiv, damit sie sich schnell in sichere Gebiete in Pakistan zurückziehen können.

 

Einige Verfasser, darunter Rashid und Giustozzi, unterteilen die Taliban-Kämpfer nach ihrer Motivation oder ihrem Bildungsstand. Zur ersten Gruppe gehört der ideologisch motivierte harte Kern von Kämpfern. Dazu zählen häufig Madrassa-Schüler oder Jugendliche, die vor Ort von Geistlichen rekrutiert wurden. In der zweiten Gruppe finden sich die Kämpfer, die nicht zu diesem harten Kern gehören. Sie stammen häufig aus der Region oder waren in einigen Fällen Angehörige von Milizen, die sich den Aufständischen aus unterschiedlichen Gründen angeschlossen haben, und sind nicht ausschließlich von ideologischen Motiven getrieben. Dieser zweiten Gruppe gehören auch Söldner und Teilzeitkämpfer an.

 

In "Thirty Years of Conflict: Drivers of Anti-Government Mobilisation in Afghanistan 1978-2011" unterscheiden Giustozzi und Ibrahimi zwischen der Mobilisierung von Gemeinschaften und von Einzelpersonen. Bei beiden Formen der Mobilisierung können verschiedene Motivationsgründe eine Rolle spielen. Nach Angaben einer Kontaktperson in Afghanistan bemühen sich die Taliban in der Hauptsache darum, Gemeinschaften für sich zu gewinnen, und weniger um die Rekrutierung von Einzelpersonen, obgleich auch deren Beteiligung immer willkommen ist. Die kollektive Rekrutierung erfolgt zudem über Führungspersönlichkeiten (Strongmen) oder Kommandeure, die sich von der Organisationsstärke der Taliban persönliche Vorteile erhoffen.

 

Im Verlauf der Sondierungsmission der dänischen Einwanderungsbehörde in Afghanistan vom 25. Februar bis 4. März 2012 haben die Zivilgesellschafts-und Menschenrechtsorganisation CSHRO sowie ein unabhängiges Forschungsinstitut darauf hingewiesen, dass sich die Taliban vermehrt um die Rekrutierung gut ausgebildeter Personen an den Universitäten und Schulen der großen Städte bemühen. Zur Ausweitung ihrer Kommunikations-und Propagandabemühungen benötigen sie mehr Personen, die lesen und schreiben können. Ferner erfordern neue und fortgeschrittenere Waffensysteme ein besseres Fachwissen, und es herrscht Bedarf an medizinischem Personal. Demzufolge sind die Taliban insbesondere an angehenden Ingenieuren und Medizinern interessiert.

 

Persönliche Bedrohung, Einsatz von Gewalt und Zwang durch die Taliban

 

Nach Angaben von Sippi Azarbaijani-Moghaddam haben die Nordallianz und die Taliban im Jahr 2001 angesichts des Widerwillens in den kriegsmüden Gemeinschaften Zwangsrekrutierungen durchführen müssen.

 

Laut der oben genannten ICOS-Studie vom März 2010 gaben 34 % der in der Provinz Helmand Befragten an, dass die Taliban bei der Rekrutierung zu Zwangsmaßnahmen gegriffen hätten. Ein Informant von Landinfo hat darauf hingewiesen, dass die Taliban in Marjah in Helmand bei der Rekrutierung von Kämpfern unmittelbar Zwang ausgeübt hätten. Von einer lokalen Quelle in Helmand wurde der Einsatz von diktatorischen Mitteln und Zwangsmaßnahmen durch die Taliban bestätigt: "Wer sich widersetzt, wird der Spionage bezichtigt und als ‚Sklave der Ausländer' bezeichnet und bestraft oder getötet. Diesem Schicksal fielen Hunderte Stammesführer, Älteste und Häuptlinge im Südwesten des Landes zum Opfer. Außerdem zwingen sie die Menschen dazu, ihnen Verpflegung und Unterschlupf zu gewähren". Aus den Lagern für Binnenvertriebene in Helmand werden Zwangsrekrutierungen gemeldet.

 

Einem Bericht von RFE/RL vom Juni 2012 zufolge, der sich auf Aussagen von Murad, einem Angehörigen der Anti- Taliban-Miliz, stützt, schließen sich Familien in Kunduz den Taliban an, weil sie Angst um ihr Leben haben.

 

Nach Angaben einer Kontaktperson in Ostafghanistan zwingen die Taliban der Quetta Shura die Menschen in den Regionen unter ihrer Kontrolle, nach den Waffen zu greifen und sie in ihrem Kampf zu unterstützen. Sie suchen die Menschen in ihren Häusern auf und bezichtigen sie der Spionage. Außerdem verlangen sie hohe Geldstrafen, die sich die armen Dorfbewohner nie leisten könnten. Sie fordern die Bereitstellung von Waffen. Können die Menschen nicht zahlen oder keine Waffen bereitstellen, müssen sie sich den Kämpfern anschließen. Wer sich weigert, wird entweder aus der Region vertrieben oder als Spion bezeichnet und getötet. Bisweilen kommen die Taliban in Gruppen in die Moschee und fordern zehn bis 20 junge Männer, die sie in ihrem Dschihad unterstützen sollen. Es kommt auch vor, dass Jugendliche für Selbstmordanschläge rekrutiert werden. Nach Angaben der Kontaktperson erfolgt diese Form der Rekrutierung auf persönlicher Ebene. Die Taliban-Kommandeure vor Ort zeichnen für die Rekrutierung in ihrem Zuständigkeitsgebiet verantwortlich, werden dabei jedoch vom pakistanischen Geheimdienstnetz unterstützt. Nach Angaben von David Kilcullen ist es möglich, dass sich Taliban der zweiten Ebene den Aufständischen aus Angst vor Vergeltung anschließen.

 

Eine Kontaktperson in Chost hat darauf hingewiesen, dass sich aufständische Gruppen aus Afghanistan in Nordwasiristan und Kurram Agency in Pakistan aufhalten, wo sie problemlos aus den Reihen ihrer eigenen Stämme, darunter den Wasir und den Dawar, rekrutieren können. Ferner würden die Aufständischen in den von ihnen kontrollierten Gebieten Zwangsrekrutierungen vornehmen. Die Einheimischen wagen es nicht sich zu widersetzen, weil sie Angst um ihr Leben haben.

 

Aus Urusgan wird berichtet, dass die lokalen Kommandeure durch Taliban aus Pakistan ersetzt wurden. Dies hat sich 2008 in Gisab ereignet. Zwangsrekrutierungen, an denen ausländische Taliban aus Pakistan beteiligt waren, soll es in Urusgan gegeben haben. Junge Männer wurden unter Zwang eingezogen, und viele von ihnen sind später in Kämpfen gegen ausländische und Regierungstruppen ums Leben gekommen. Vor diesem Hintergrund ist die Unterstützung für die Taliban in den Provinzen geschrumpft. Nach Angaben von Martine Van Bijlert ist dies jedoch eher selten vorgekommen, und in der Regel war die Rekrutierung durch lokale Kommandeure, die sich dabei auf die Stammesloyalität gestützt haben, die wichtigste Unterstützungsquelle für die Taliban.

 

Reuter und Younus weisen darauf hin, dass Zwangsrekrutierungen für die Aufständischen in Andar in Ghazni keine Lösung gewesen seien, weil aufgrund von Rivalitäten zwischen den Gruppen zwangsläufig eine starke Loyalität innerhalb der Gruppen bestanden habe. Im April 2012 wurde von einer Kontaktperson vor Ort ausdrücklich bestätigt, dass die Taliban in Ghazni niemals Zwangsrekrutierungen von Kämpfern durchführen.

 

Im April 2012 machte ein Korrespondent in Logar folgende Angaben zu den Rekrutierungen durch die Taliban: "Sie haben vorrangig religiöse und weniger politische Argumente dafür vorgebracht. In Logar schließen sich die Menschen den Taliban-Truppen freiwillig an. Zwang oder andere Mittel kommen nicht zum Einsatz".

 

Nach Angaben von Ahmad Quraishi, Direktor des Afghan Journalists Center und Korrespondent bei den Pajhwok Afghan News, liegen keinerlei Berichte über Zwangsrekrutierungen in der Provinz Herat vor.

 

Eine Kontaktperson in Afghanistan hat im April 2012 darauf hingewiesen, dass hauptsächlich an die eigene Überzeugung und an die patriotischen oder religiösen Pflichten im Kampf gegen die "ausländischen Invasoren und die Marionettenregierung" appelliert und deutlich weniger Zwang ausgeübt wurde, gegenwärtig sogar noch weniger. Dieselbe Person gibt auch an, dass nur wenige Fälle bekannt geworden sind, in denen gegen Einzelpersonen, die der Rekrutierung hätten entgehen wollten, Gewalt ausgeübt wurde, und dass dies dem erklärten Eintreten der Taliban für Gerechtigkeit und verantwortungsvolles Verwalten widersprechen und die Unterstützung durch die Bevölkerung gefährden würde.

 

Giustozzi und Ibrahimi zufolge haben Taliban-Funktionäre angegeben, dass es ihnen lediglich in Flüchtlingscamps gelungen sei, Kämpfer unter Zwang zu rekrutieren. Die Familien seien gezwungen worden, ein männliches Mitglied zur Verfügung zu stellen. Giustozzi weist ausdrücklich darauf hin, dass Zwangsrekrutierung in diesem Konflikt bisher keine übergeordnete Bedeutung hatte. Die Aufständischen haben nur in geringem Maße darauf zurückgegriffen. Direkte Nötigung habe im Einflussbereich der Taliban lediglich stattgefunden, um Männer als Träger einzusetzen, so Giustozzi weiter. Seit 2006 hat es zudem in einigen Regionen Berichte über die Zwangsrekrutierung von medizinischem Personal zur Behandlung verwundeter Kämpfer der Taliban gegeben.

 

Landinfo hat im Rahmen einer Erkundungsmission in Kabul im Oktober 2011 Befragungen durchgeführt, aus denen ebenfalls hervorgeht, dass es bei den Rekrutierungen nur selten zu Zwang gekommen ist. Die Taliban würden über eine ausreichende Zahl freiwilliger Anhänger verfügen, so dass sie auf eine solche Strategie nicht zurückgreifen müssten. Allerdings könnte es Ausnahmen in Regionen geben, die sich unter vollständiger Kontrolle der Taliban befinden.

 

Im Verlauf der Sondierungsmission der dänischen Einwanderungsbehörde in Afghanistan vom 25. Februar bis 4. März 2012 ist die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission AIHRC zu dem Ergebnis gekommen, dass "keine Berichte über Zwangsrekrutierungen durch die Taliban vorliegen und dass sich die meisten Rekruten freiwillig angeschlossen haben". Die Organisation weist darauf hin, dass die Taliban zum Zwecke der Rekrutierung zu Einschüchterungen innerhalb der Volksgruppe der Hazara gegriffen hätten. Dabei habe es sich allerdings um Ausnahmefälle gehandelt. Im Bericht über die Sondierungsmission der dänischen Einwanderungsbehörde wird auf die Anmerkungen des UNHCR zur Rekrutierung durch die Taliban verwiesen:

 

"Der UNHCR bezog sich auf einen durchgesickerten Bericht der ISAF über den Zustand der Taliban vor dem Hintergrund eines Strategiewechsels der Taliban. Daraus geht hervor, dass die Taliban keine Schwierigkeiten haben, neue Kämpfer für ihre Truppen zu gewinnen. Es gebe zahlreiche Freiwillige, die bereit seien, sich ihrer Bewegung anzuschließen. In Dörfern könne es zur Anwerbung von Gruppen durch die Taliban mit Hilfe von Bildungsangeboten für die Söhne armer Familien und durch Gehirnwäsche kommen. Angesichts der Akzeptanz der Taliban in der lokalen Bevölkerung sei allerdings davon auszugehen, dass es nur selten zu Zwangsrekrutierungen kommt. Allerdings räumte der UNHCR ein, dass gegenwärtig keine ausreichenden Erkenntnisse zu dieser Frage vorliegen."

 

Die Organisation "Cooperation for Peace and Unity" (CPAU) hat bestätigt, dass die Taliban keinen Anlass zur Zwangsrekrutierung hätten. Sie gibt an, dass sie ausschließlich in Notsituationen auf Zwangsrekrutierungen zurückgreifen würden. Weiter wird erklärt, die Taliban hätten Dörfer im Süden besucht, um Kämpfer zu rekrutieren, dabei hätten sie allerdings in der Regel keinen Zwang ausüben müssen, weil es genügend Freiwillige gegeben habe. Von der Zivilgesellschafts-und Menschenrechtsorganisation CSHRO wird ausgeführt, "die Taliban verfügen nicht über die Möglichkeit, Menschen in ihrem Zuhause anzusprechen und sie zu zwingen, sich ihnen anzuschließen." Im Verlauf der dänischen Sondierungsmission in Kabul wies ein unabhängiges Forschungsinstitut darauf hin, dass die Taliban in der Regel nicht durch Anwendung von Zwangsmaßnahmen rekrutieren. Allerdings könne es dazu kommen, dass die Taliban aus einem bestimmten Dorf eine gewisse Zahl von Kämpfern anfordern würden; sie würden allerdings niemals eine Familie direkt ansprechen.

 

Persönliche Bedrohung, Einsatz von Gewalt und Zwang durch die Taliban

 

In der Vergangenheit ist es in Afghanistan zu Zwangsrekrutierungen gekommen. Aus aktuellen Quellen (2010-2012) geht hervor, dass in Helmand Rekrutierungen unter untermittelbarem Druck durchgeführt worden sind, und zwar in Marjah und in Lagern für Binnenvertriebene. Ferner liegen aus Kunduz, Kunar und Gebieten in Pakistan, die sich unter der Kontrolle afghanischer Aufständischer befinden, Berichte vor, wonach die Menschen Furcht vor Vergeltung haben, wenn sie sich der Rekrutierung widersetzen.

 

In zwei Quellen wird auf den Einsatz von Zwang oder Einschüchterung zu Rekrutierungszwecken in Urusgan verwiesen. 2008 hätten ausländische Taliban-Kommandeure Gewalt eingesetzt. In einer weiteren Quelle wird darauf verwiesen, dass die Taliban für Rekrutierungen innerhalb einiger Hazara-Gruppen zum Mittel der Einschüchterung gegriffen haben. Aus beiden Quellen geht jedoch hervor, dass dies selten oder lediglich in Ausnahmefällen vorgekommen ist.

 

In anderen Quellen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in den Provinzen Ghazni, Herat und Logar bei der Rekrutierung weder Gewalt noch Zwang ausgeübt worden sind.

 

Aus Quellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan geht in vielen Fällen hervor, dass Zwangsrekrutierungen selten vorkommen. Bisweilen wird auf Bereiche verwiesen, in denen dies anders ist:

 

Flüchtlingscamps und Regionen, in denen der Einfluss der Taliban sehr ausgeprägt ist. In einem Fall wird berichtet, dass die Taliban in von ihnen kontrollierten Regionen Träger und medizinisches Personal unter Zwang rekrutiert haben.

 

In einigen Quellen werden Argumente aufgeführt, die gegen eine Zwangsrekrutierung sprechen: Die Taliban wollen die Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen und verfügen über eine ausreichende Zahl von Freiwilligen, so dass Zwang nicht notwendig ist.

 

[...]

 

Zusammenfassung - Minderjährige und Selbstmordattentäter

 

Unterschiedliche Quellen berichten von der Rekrutierung Minderjähriger durch die Taliban, aber auch durch andere Akteure im Afghanistankonflikt. Auch von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger wird berichtet. Sie sind besonders leicht in Gebieten zu rekrutieren, in denen es keine sozialen und staatlichen Schutzsysteme gibt, wie etwa an Orten, wo Flüchtlinge und Binnenvertriebene in Lagern leben.

 

Die Taliban-Führung leugnet die Rekrutierung Minderjähriger, doch legt sie ein anderes Kriterium für die Bestimmung der Minderjährigkeit an. Die Aussagen eines Taliban-Kommandeurs in Pakistan und eines Kommandeurs der kanadischen Streitkräfte belegen möglicherweise, dass die Behauptungen der Taliban-Führung nicht der Wirklichkeit entsprechen.

 

Quellen zufolge werden Minderjährige als Selbstmordattentäter rekrutiert. Die meisten nennen Madrassas als wichtigsten Ort für die Indoktrinierung und Ausbildung von Selbstmordattentätern. Dabei stimmen die meisten Quellen in der Auffassung überein, dass für einen Selbstmordanschlag eine überzeugte, indoktrinierte und ausgebildete Person notwendig ist. Einige Quellen schließen die Möglichkeit der Zwangsrekrutierung durch die Taliban für diesen Zweck aus.

 

Unterschiedlichen Quellen zufolge findet die Rekrutierung von Minderjährigen und Selbstmordattentätern durch die Taliban hauptsächlich im Grenzgebiet statt: im Süden und Südosten Afghanistans sowie in Madrassas und Flüchtlingslagern im Nordwesten Pakistans.

 

[...]

 

Zwangsrekrutierung

 

Zwang oder die sogenannte Zwangsrekrutierung zählen zu den Mechanismen bzw. Faktoren, die bei der Anwerbung zum Einsatz kommen. Im Allgemeinen wird dieses Phänomen in den Quellen nicht näher erläutert. Allerdings sollte bei einer Definition zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die daran beteiligt sein können, unterschieden werden.

 

Familienmitglieder oder nahe Verwandte können Zwang gegenüber einem Angehörigen ausüben, damit er sich den Kämpfern anschließt. Vorliegenden Erkenntnissen zufolge können wirtschaftliche, religiöse und weitere Faktoren eine Familie dazu bringen, eines ihrer jungen männlichen Familienmitglieder für die Taliban-Truppen zur Verfügung zu stellen oder in eine Madrassa zu schicken, wo sie ebenfalls rekrutiert werden können. Allerdings enthalten die vorliegenden Informationen keinerlei Hinweise darauf, ob und wie die Familien einzelne Familienmitglieder unter Druck setzen.

 

Stammes- oder Gemeinschaftsvorsteher könnten im Falle einer Gruppenmobilisierung zur Unterstützung der Taliban Zwangsmaßnehmen gegen Familien oder Einzelpersonen ergreifen. Von den verschiedenen Quellen werden unterschiedliche Gründe dafür angegeben, warum sich Teile der Bevölkerung den Aufständischen anschließen, darunter Loyalität gegenüber dem alten Taliban-Regime, wirtschaftliche Anreize, Machtkämpfe mit Staatsbediensteten, Fehden mit anderen Gemeinschaften sowie Rachegefühle aufgrund willkürlicher Tötungen durch ausländische Soldaten. In einigen Stämmen (insbesondere bei den Paschtunen) können zwei spezifische Rekrutierungsmechanismen zum Einsatz kommen: eine Pflichtmeldung pro Familie für die bewaffnete Truppe des Stammes oder Lashkar und die Verpflichtung, getötete Kämpfer durch Familienmitglieder zu ersetzen (Nachfolge).

 

Mullahs oder Geistliche machen sich, so wird berichtet, bei der Rekrutierung die religiöse Überzeugung zunutze.

 

Mit Zwangsrekrutierungen durch Militärkommandeure, Führungspersönlichkeiten oder Kämpfer der Taliban sind Situationen gemeint, in denen Einzelpersonen oder ihre Familien direkt angesprochen und zur Teilnahme gezwungen werden, weil ihnen im Falle der Weigerung Vergeltung oder Gewaltanwendung angedroht werden.

 

Mehrere Quellen verweisen auf Zwangsrekrutierungen in den Provinzen Helmand, Kunduz (der Informant ist allerdings ein Angehöriger einer Anti-Taliban-Miliz), Kunar und Regionen in Pakistan. Zwei unterschiedliche Quellen berichten über Zwangsrekrutierungen in der Provinz Urusgan. Beide weisen explizit darauf hin, dass es sich um Ausnahmefälle handelt. Von anderen Quellen wird ausdrücklich festgestellt, dass in den Provinzen Ghazni, Herat und Logar bei der Rekrutierung kein Zwang ausgeübt worden ist. Im Rahmen einer Untersuchung der Zeitschrift "The Globe and Mail" hat ein ehemaliger Polizeikommandant der Taliban in Kandahar Taliban-Kämpfer zu ihren Beweggründen befragt. Keiner von ihnen hat die Anwendung von direkter Gewalt oder Zwang durch die Taliban erwähnt.

 

Mehrere Quellen weisen darauf hin, dass Zwangsrekrutierungen in Lagern für Binnenvertriebene, Flüchtlingslagern und in Regionen, in denen der Einfluss der Taliban sehr ausgeprägt ist, stattgefunden haben.

 

Aus Quellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan geht hervor, dass Zwangsrekrutierungen selten vorkommen. So zu lesen bei Giustozzi und Ibrahimi, Landinfo, AIHCR, CPAU. Einige Quellen sprechen sogar davon, dass es Zwangsrekrutierungen überhaupt nicht gebe. Dies wird bisweilen näher begründet. So wird angeführt, dass die Taliban ihre Kämpfer nicht unter Zwang rekrutieren müssten, weil sie über eine ausreichende Zahl an Unterstützern verfügten. Als weiteres Argument wird genannt, dass die Taliban mit Zwangsrekrutierungen ihre Unterstützung durch die Gemeinschaften aufs Spiel setzen würden. Dafür hat Martine van Bijlert Beispiele zu Zwangsrekrutierungen in Urusgan genannt, die die lokale Unterstützung für die Taliban geschwächt haben.

 

Schlussfolgerung

 

Zwangsrekrutierungen durch Militärkommandeure, Führungspersönlichkeiten oder Kämpfer der Taliban (d. h. Fälle, in denen Einzelpersonen oder ihre Familien direkt angesprochen und zur Teilnahme gezwungen werden, weil ihnen im Falle der Weigerung Vergeltung oder Gewaltanwendung angedroht werden) sind als Ausnahmen zu betrachten. Darauf weisen zahlreiche verlässliche Quellen ausdrücklich hin und belegen diese These mit plausiblen Argumenten.

 

Beispiele für diese Ausnahmefälle gibt es nach vorliegenden Informationen in Helmand, Kunduz, Kunar, Regionen in Pakistan und in Urusgan. Häufig werden auch die Gebiete genannt, in denen diese Ausnahmefälle auftreten: in Regionen unter ausgeprägtem Einfluss oder vollständiger Kontrolle der Taliban und in Bereichen, in denen soziale und staatliche Schutzstrukturen nicht funktionieren, wie in Flüchtlingslagern und Lagern für Binnenvertriebene.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführer in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheiden und in den Beschwerdeschriftsatz, in die vorgelegten Urkunden sowie in den diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichten.

 

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu Grunde:

 

2.1. Zu den Beschwerdeführern:

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Glaubensrichtung, zum Familienstand und zur körperlichen Verfassung der Erst-, Zweit- Viert- und Fünftbeschwerdeführer ergeben sich aus den diesbezüglich unbedenklichen Angaben der Beschwerdeführer. Der Gesundheitszustand der Drittbeschwerdeführerin ergibt sich aus ihren Angaben und den vorgelegten unbedenklichen Unterlagen (insbesondere Entlassungsbrief vom 23.06.2017).

 

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittel konnte die Identität der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden; die im Spruch angeführten Namen dienen lediglich zur Identifizierung der Beschwerdeführer als Verfahrensparteien.

 

Die Feststellungen zur Heimatprovinz und zum Distrikt ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer.

 

Die Feststellungen zur Ausbildung und Berufstätigkeit der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus den detaillierten und daher glaubwürdigen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zu der Berufserfahrung des Zweitbeschwerdeführers ergibt sich aus seinen diesbezüglich unbedenklichen Angaben. Die Dauer der Schulausbildung betreffend des Zweitbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung zur Schul- und Berufsausbildung der Drittbeschwerdeführerin ergibt sich aus ihren diesbezüglichen unbedenklichen Angaben.

 

Die Feststellungen zur Sprache ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer iVm mit den Angaben der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung.

 

Die Feststellungen zu den verwandtschaftlichen Verhältnissen beruhen auf den unbedenklichen Angaben der Erstbeschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Dass grundsätzlich ein Kontakt hergestellt werden kann, ergibt sich aus der Aussage der Erstbeschwerdeführerin, demnach sie ein- oder zweimal mit der Schwester Kontakt aufgenommen habe. Die Feststellung zum bisherigen Lebenslauf der Beschwerdeführer beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Verhandlung und der Einsichtnahme in die vorliegenden Akten.

 

Die Feststellung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus der unbedenklichen Angabe der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA.

 

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführer in Österreich ergibt sich aus der Einsichtnahme in die aktuellen Strafregisterauszüge.

 

Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise des Zweitbeschwerdeführers in Österreich stützt sich auf die Aussage des Zweitbeschwerdeführers bei seiner Erstbefragung, nach denen er keine Reisedokumente gehabt habe.

 

Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen stützen sich auf die von ihm vorgelegten Urkunden und Bestätigungen. Dass er nunmehr den Deutschkurs A2 besucht ergibt sich aus der Stellungnahme vom 18.01.2018.

 

Zu seinen sozialen Kontakten ist insbesondere auf seine eigenen Aussagen hinzuweisen, auf die Frage, er solle dem Gericht vom einem Tag in seiner Unterkunft erzählen und was die Familie so mache, antwortete er: "Ich gehe am Vormittag in den Kurs. Ich wiederhole den A1 Kurs, da ich vorher nicht alphabetisiert war. Davor habe ich nichts Besonderes gemacht. Ich bin nur manchmal Fußball spielen gegangen. Meine Mutter kümmert sich um den Haushalt. Meine jüngere Schwerster und mein Bruder gehen zur Schule. Es gibt dort keine Ö, damit wir zu ihnen Kontakt aufnehmen können." Auf die Frage, was er mache, wenn er nicht gerade im Sprachkurs sei, antwortete er:

"Eigentlich nichts. Manchmal lerne ich am Handy Deutsch und manchmal gehe ich mit anderen Burschen aus dem Heim Fußball spielen. Ich gehe jeden Nachmittag Fußball spielen. Ich habe keine andere Beschäftigung." Auch aus den vorgelegten Unterlagen lassen sich keine nennenswerten sozialen Kontakte des Zweitbeschwerdeführers zu Österreichern ableiten.

 

Dass der Zweitbeschwerdeführer einer Beschäftigung nachgeht ist nicht hervorgekommen. Die Nutzung der Grundversorgung beruht auf dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

 

Dass ein gemeinsamer Haushalt besteht ergibt sich aus der Nachschau im ZMR.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

 

2.2.1. Zur Bedrohung durch die Taliban/Zwangsrekrutierung/Zwangsheirat:

 

Eine individuell konkrete Verfolgung der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat konnte in Gesamtwürdigung ihrer Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht festgestellt werden.

 

Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern.

 

Die Beschwerdeführer gaben bei ihrer Erstbefragungen am 19.01.2016 im Wesentlichen an, dass sie aufgrund der Taliban und der allgemein schlechten Lage in Afghanistan geflohen seien.

 

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.06.2016 gaben die Beschwerdeführer zu Ihren Fluchtgründen befragt an, dass der Vater immer wieder die Aufforderung erhalten habe, seine Söhne zu den Taliban zu schicken, weiters hätten die weiblichen Familienmitglieder das Haus kaum verlassen dürfen und wenn dann nur vollverschleiert (Niederschrift Erstbeschwerdeführerin AS 77). Außerdem sei die Gesamtsituation sehr schlecht, daher hätten die Beschwerdeführer Angst um ihr Leben gehabt.

 

Die Viertbeschwerdeführerin konnte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch nichts zu den Taliban berichten, sie ist zwar minderjährig, aber es erscheint unglaubwürdig, dass sie zu den Gründen für die Flucht nichts beitragen kann (AS 57 im Akt der Viertbeschwerdeführerin). Bei der Verhandlung vor dem BVwG konnte sie hingegen wieder davon berichten, dass Taliban zu ihnen nach Hause gekommen seien (Seite 36 des Verhandlungsprotokolls).

 

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2017 brachten die Beschwerdeführer zusätzlich vor, dass neben den Söhnen auch die Töchter bedrängt worden seien und zwar damit einen Mujaheddin zu heiraten (Seite 23 Verhandlungsprotokolls). Für den erkennenden Richter entsteht daher - im Vergleich zum vorherigen Vorbringen - ein sich steigernder Eindruck, betreffend den beschriebenen Druck der durch regierungsfeindliche Gruppen auf diese ausgeübt wurde. Darüber hinaus erscheint es zumindest befremdlich, dass maßgebliche Bedrohungen erst in der mündlichen Verhandlung berichtet werden, ohne davor nur ansatzweise erwähnt worden zu sein.

 

Weiters konnte nicht präzisiert werden, welche der in Afghanistan agierenden Rebellengruppen, denn nun verlangt habe, dass eine Mitwirkung durch die Familie geleistet werde. Die Beschwerdeführer machten hiezu nämlich unterschiedliche Angaben. Die Erstbeschwerdeführerin sprach von Taliban (AS 77-79). In der Verhandlung wiederum vermeinte sie gar nicht zu wissen, von welcher Gruppe Druck auf die Familie ausgeübt worden sei (Seite 22 bzw. 24 des Verhandlungsprotokolls). Der Zweitbeschwerdeführer vermeinte, dass nicht die Taliban im Heimatort agieren würden, sondern Dschihadisten, Taliban kenne er nicht (Seite 30 des Verhandlungsprotokolls). Gesamtheitlich betrachtet scheint es nicht glaubwürdig, dass die Familie keine genaueren Angaben zu den in ihrem Heimatdorf agierenden Gruppen machen kann, vor allem in Hinblick darauf, dass laut Aussage der Erstbeschwerdeführer der Onkel ihres Ehemannes selbst in der fraglichen Gruppe tätig sei (Seite 23 des Verhandlungsprotokolls). Auch das Bestehen einer realen Gefahr konnte durch die Beschwerdeführer nicht schlüssig dargestellt werden bzw. wurde eine solche teilweise gar verneint (AS 77 der Erstbeschwerdeführerin, AS 53 des Zweitbeschwerdeführers). Eine solche scheint auch unglaubwürdig , vor allem in Hinblick darauf, dass die angeblich fluchtauslösenden Rekrutierungsversuche schon seit Jahren durchgeführt worden seien, ohne dass etwas "passiert ist" (AS 77 f der Erstbeschwerdeführerin). Weiters konnte nicht ausreichend dargestellt werden, weshalb der Onkel für seine eigene Familie eine Gefahr dargestellt hätte und in welcher Gruppe er engagiert ist. Vor diesem Hintergrund vermochten es die Beschwerdeführer nicht ausreichend substantiiert einen asylrelevanten Fluchtgrund vorzubringen. Die Erstbeschwerdeführerin bestätigte vielmehr noch, dass in den gesamten Jahren nichts passiert wäre, sie also keiner Gewalt oder Verfolgung ausgesetzt gewesen seien (AS 77 der Erstbeschwerdeführerin).

 

Auch andere Unstimmigkeiten bestanden in den Aussagen der Beschwerdeführer, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sagte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass die Familie in einem Mietshaus gelebt habe, vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederum habe das Haus dem Schwiegervater gehört, der dieses verpachtet habe. Die Familie hätte Miete an den Pächter zahlen müssen, was ebenfalls nicht sehr schlüssig erscheint, wenn das gegenständliche Haus einem Familienmitglied gehört (AS 73, Seite 20, 21 des Verhandlungsprotokolls).

 

Die vorgebrachten Umstände im Dorf und die Situation der Familie, die zur Flucht führten, scheinen daher insgesamt wenig glaubwürdig. Weiters wurden durch die Beschwerdeführer außerdem keine reale Gefährdung genannt bzw. glaubhaft gemacht, die eine individuelle Verfolgung begründen würden. Selbst wenn ein gewisser sozialer Druck auf die Familie ausgeübt worden sei, konnte dieser Druck aber nicht überzeugenderweise in einem asylrelevanten Ausmaß dargestellt werden.

 

2.2.2. Zur Erstbeschwerdeführerin

 

Es sind im gesamten Verfahren jedoch keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") selbstbestimmte Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemeinverbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

 

Gefragt zu ihrer Schul- und Berufsausbildung, führte die Erstbeschwerdeführerin aus: "Ja, ich bin bis zur 9. Klasse in die Schule gegangen. [...] Die Schulen waren in XXXX. Ich habe nach der

9. Klasse eine 3jährige Ausbildung als Krankenschwester gemacht und habe danach in der Stadt XXXX im XXXX-Krankenhaus gearbeitet. Während meiner Ausbildung war mein Bruder XXXX in Russland. Er hat eine staatliche Förderung für eine Ausbildung dort erhalten. Als er zurückgekehrt ist, habe ich an diesem Tag im Spital Nachdienst gehabt. Ich habe mich fertig gemacht und wollte ins Krankenhaus gehen, als er mich gefragt hat, wohin ich gehen würde. Ich erzählte ihm von meiner Ausbildung und Arbeit. Er hat meine Unterlagen sowie meine Bücher und die Arbeitskleidung vor meinen Augen verbrannt, und gesagt, dass ich nicht arbeiten dürfte. Insbesondere nicht nachts."

Gefragt, was ihre Eltern dazu gesagt hätten, führte sie aus: "Mein Vater war nicht mehr am Leben. Meine Mutter konnte meinem Bruder nichts sagen. Sie hat ihm lediglich gesagt, dass dieser Beruf mein Wunsch gewesen sei und ich mich während der Ausbildung sehr bemüht hätte. Mein Bruder hat ihr aber gesagt, dass er es nicht erlauben würde, dass ich arbeite." Auf die Frage, ob sie nach ihrer Krankenschwesterausbildung noch in ihrem Beruf als Krankenschwester gearbeitet habe, nachdem ihr Bruder dies verboten habe, antwortete sie: "Nein, danach durfte ich nicht mehr arbeiten. Mein Bruder hat es mir nicht erlaubt." Gefragt, ob sie später als Krankenschwester gearbeitet habe, führte sie aus: "Die Familie meines Ehemannes hat das nicht erlaubt. Mein Ehemann war nicht streng, aber meine Schwiegermutter hat es mir verboten." Auf die Frage, ob sie zusätzlich zu ihrer Krankenschwesterausbildung noch einen Beruf lernen wolle, antwortete sie: "Nein, weil das mein einziger Berufswunsch war. Wenn ich es schaffe in Ö die Sprache zu lernen, möchte ich auch hier als Krankenschwester arbeiten."

 

Dazu ist auszuführen, dass sich aus den Länderfeststellungen ergibt, dass sich seit dem Jahr 2001 die Erwerbstätigkeit von Frauen in Afghanistan stetig verbessert und im Jahr 2016 19% betragen hat. So ist es gemäß den Länderfeststellungen für Frauen zwar noch immer schwierig, Berufe zu ergreifen, dies jedoch primär außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors. Eine Tätigkeit in diesen Bereichen ist also durchaus möglich. Überdies kann das grundsätzliche Bestreben nach einem Beruf, keineswegs als ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung" angesehen werden, aus der eine Verfolgung im Heimatland abzuleiten wäre. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe "Frauen" zu gewähren wäre (vgl. VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

 

Der Grund dafür, dass die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan diesen Beruf nicht ausüben konnte, war laut ihren Angaben ihr Bruder bzw. die Schwiegermutter. Wie bereits ausgeführt, ist aber eine Berufstätigkeit im Bildungs- und Gesundheitssektors durchaus möglich. Die Nichtausübung des Berufes im Herkunftsstaat ist weder aus der gesetzlichen Lage noch aus einer gesellschaftlichen Norm resultiert, sondern allenfalls einer Entscheidung innerhalb der eigenen Familie geschuldet. Dazu ist festzuhalten, dass selbst wenn die Schiegermutter und der Bruder ihr verboten hätten, einen Beruf auszuüben, dieser Möglichkeit nach deren Ausreise aus Afghanistan nun nichts entgegenstünde.

 

Darüber hinaus stellen sich die von ihr geäußerten Wünsche betreffend die (zukünftige) Bildung ihrer Töchter ebenfalls nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung für Mädchen/Frauen keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates auch ausdrücklich unterstützt wird.

 

Sie beschrieb ihren Tagesablauf in Österreich wie folgt: "Ich gehe in den Deutschkurs von Montag bis Donnerstag von 12:30 bis 16:00 Uhr. In den Kurs Niveau A1. Ich gehe einkaufen." Gefragt wohin sie einkaufen gehe, führte sie aus: "Am Freitag. Zum Lebensmittel einkaufen gehe ich zum SPAR, Penny und LIDL. Am Samstag gehe ich zu meinen Freundinnen XXXX und helfe beim Putzen. Am Samstag am Abend lerne ich mit österreichischen Frauen tanzen. Alle Frauen aus dem Camp tanzen ohne Männer. Manchmal gehe ich schwimmen. Meine Freundin XXXX und ich gehen manchmal schwimmen. Meine beiden Töchter gehen auch schwimmen. Wir sind bis auf zwei Frauen, die einzigen Frauen die schwimmen gehen." Gefragt, welche Gewohnheit österreichischer

Frauen sie angenommen habe, führte sie aus: "Ich gehe mit meinen beiden Töchter schwimmen. Ich trage, wie auch österreichische Frauen kein Kopftuch. Wenn das Tuch zu meiner Kleidung passt, trage ich eines. Ich möchte den Führerschein machen, Auto fahren und arbeiten."

 

Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich auch, dass die Erstbeschwerdeführerin zwar Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung (schwimmen, kochen, tanzen) in Anspruch nimmt und soziale Kontakte knüpft, sodass sie sich grundsätzlich gegenüber typischer Freizeitgestaltung und dem Kontakt mit Österreicherinnen und Österreichern nicht verschließt, es ergab sich aber auch, dass die Erstbeschwerdeführerin hier nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt und sich in Österreich im kleinstmöglichen Umgebungskreis aufhält, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen/sozialen Normen eingeschränkt ist. So ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass sie regelmäßig die Besuchscafes besucht, die alle 2 Wochen zur Integration der Asylwerber von der katholischen und evangelischen Kirche organisiert werden (vgl. Stellungnahme vom 18.01.2018). Weiters ergibt sich aus der Stellungnahme von XXXX, dass sie sich im Begegnungscafe kennengelernt hätten. Bei jeglichen Aktivitäten, die in XXXX für Flüchtlinge angeboten werden würden, sei sie dabei. Aus der Stellungnahme von XXXX ergibt sich, dass sie die Familie im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Aktivitäten im ehemaligen Bezirksgericht kennengelernt habe. Die Familie nehme mit Interesse an vielen Aktivitäten zur Integration der Asylwerber in XXXX, zB an den Begegnungscafes, an Ausflügen, Nähworkschops ect. teil. Als jüngstes positives Beispiel könne sie anführen, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihre älteste Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, für das Weltladen-Fest gekocht hätten. Aus der Stellungnahme vom 24.05.2017 von XXXX ergibt sich, dass sie ua. die Erstbeschwerdeführerin bei einem Stadtspaziergang durch Wien kennengelernt habe, der für Flüchtlinge organisiert worden sei. Im Herbst 2016 habe sie mit zwei Freundinnen einige Salsatanzabende in der Flüchtlingsunterkunft organisiert, die ua. die Erstbeschwerdeführerin regelmäßig besucht habe. Weiters ergibt sich aus dem Scheiben der Schwimmlehrerin, dass sie regelmäßig einen Schwimmkurs für Frauen in Stockerau besuche.

 

Aus den vorgelegten Unterlagen lässt sich zwar ein Bemühen um Integration ableiten, daraus lässt sich jedoch noch kein Rückschluss auf den Wunsch nach einer selbstbestimmten Lebensweise ziehen. Dazu ist festzuhalten, dass die Pflege von Kontakten, die sie im Zusammenhang mit integrationsfördernden Maßnahmen gewonnen hat, noch kein ausschlaggebendes Motiv für eine wesentliche Orientierung ist.

 

Soweit die Erstbeschwerdeführerin ein Schreiben über den Nachweis über bisher freiwillig und unentgeltlich geleitstete Arbeit im Interkulturelles Entwicklungs-Zentrum vom 16.01.2018 vorgelegt hat, demnach die Erstbeschwerdeführerin afghanischen Kindern beim Persichlernen geholfen hat, ist darauf hinzuweisen, dass daraus sich jedoch ebenso wenig ein Rückschluss auf den Wunsch nach einer selbstbestimmten Lebensweise ziehen lässt. Handelt es sich doch hierbei um eine vertraute Tätigkeit bzw. ein vertrautes Umfeld, weil sie afghanischen Kindern eine ihr vertraute Sprache beibringt.

 

Die Anstrengungen der Erstbeschwerdeführerin stellen somit insgesamt keine besonderen Aktivitäten dar, aus denen geschlossen werden kann, dass es deren unbedingter Wille ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

 

Die Erstbeschwerdeführerin erschien in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht mit schwarzen Schuhen mit Absatz, einer dunklen blickdichten Strumpfhose, einem Rock, einem langärmligen Oberteil mit Rundhalsausschnitt, darüber trug sie ein gemustertes Trägershirt. Sie trug Schmuck und war geschminkt. Die Haare hatte sie kurz geschnitten und blond gefärbt. Die Beschwerdeführerin hatte lackierte Fingernägel. In diesem Zusammenhang ist jedoch festzuhalten, dass auch Fotos von den Beschwerdeführern vorgelegt wurden, auf denen die Erstbeschwerdeführerin mit Kopfbedeckung zu sehen ist.

 

Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Erstbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass allein das (Nicht‑)Tragen eines Kopftuches bzw. auch die Art der übrigen Bekleidung und das Tragen von Make-Up nicht ausreicht, um eine "westliche Orientierung" glaubhaft darzutun. Auch wenn die freie Wahl der äußeren Erscheinung einen Aspekt "westlicher Lebensweise" darstellt, so stellen die oben gewürdigten Aspekte, die die tatsächlich gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck von der Erstbeschwerdeführerin lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" zusammenschauend nicht ableiten, auch wenn sie mit ihrem optischen Auftreten versucht hat, eine derartige Gesinnung zu zeichnen.

 

Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstatt unterliegen würde.

 

Zusammenschauend ergibt sich, dass die Erstbeschwerdeführerin keine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, sie keine "westliche Geisteshaltung", innerhalb derer eine selbstbestimmte Lebensweise einen unabdingbaren Aspekt darstellt, eingenommen hat und sie kein freibestimmtes Leben nach westlichen Normen führt.

 

2.2.3. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

Der Zweitbeschwerdeführer konnte außer dem ursprünglich dargestellten Fluchtvorbingen in Bezug auf Zwangsrekrutierungen keinen anderen Fluchtgrund vorbringen, es konnte daher wie zuvor dargestellt keine asylrelevante Verfolgung durch den Zweitbeschwerdeführer dargelegt werden.

 

2.2.4. Zur Drittbeschwerdeführerin:

 

Die Drittbeschwerdeführerin vermochte kein über das von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachte hinausgehendes Vorbringen zu erstatten, weshalb auch in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin keine asylrelevante Verfolgung festgestellt werden konnte.

 

2.2.5. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Zum Vorbringen einer Verfolgung wegen Verletzung sozialer Normen durch die Viertbeschwerdeführerin:

 

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass die Viertbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemeinverbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

 

Aus der Lebenssituation der Viertbeschwerdeführerin vor ihrer Einreise ergeben sich keine Hinweise auf eine Sozialisierung (iSv Faktoren, wie insb. Herkunft, Familie, Bildungsstand, Religiosität), die den in Afghanistan überwiegend vorherrschenden, gesellschaftlich-religiösen Zwängen entgegensteht.

 

Auch die sonstigen Umstände ihres Lebensalltages in Österreich lassen nicht darauf schließen, dass die Viertbeschwerdeführerin eine derartige Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat und dies wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden. Sie beschrieb ihren Alltag in Afghanistan wie folgt: "Manchmal bin ich mit den anderen Kindern draußen spielen gegangen. Wenn man hinausgegangen ist, musste man eine Burka tragen. Ich war sonst zu Hause und habe meiner Mutter bei der Arbeit geholfen." Auf die Frage wie sich ihr Alltag in Afghanistan zu Ihrem Alltag in Österreich unterscheide, führte sie aus: "Ich gehe hier zur Schule. Ich kann mit meinen Klassenkameraden hinausgehen. Hier bin ich frei." Dazu erläuterte sie: "Hier muss man kein Kopftuch tragen. Wenn man z.B. nach XXXX fährt, müssen nicht immer die Eltern dabei sein. Man kann überall hingehen, wohin man möchte." Auf die Frage, ob sie manchmal in XXXX unterwegs sei, antwortete sie: "Ja, ich war letzte Woche mit meiner Freundin im Prater. Wir haben ein Pick-nick gemacht. Ich habe meine Schwester in XXXX besucht. Sie lebte in XXXX. Ich bin gemeinsam mit meinem Bruder XXXX gefahren." Weiters führte sie aus: "Einmal im Monat gibt es dort ein Treffen für Mädchen. Dann unternehmen wir etwas. Wir gehen z.B. ins Kino." Auf die Frage, ist die Freundin Afghanin oder Österreicherin, antwortete sie: "Sie ist Afghanin. Ich habe österreichische Freundinnen." Gefragt, ob sie auch männliche österreichische Freunde habe, antwortete sie: "Es gibt Freunde aus der Schule, die manchmal mit uns etwas unternehmen." Gefragt, wer den Haushalt macht und wer mithelfe, antwortete sie: "Meine Mutter arbeitet zu Hause. Meine Schwester auch. Ich helfe manchmal mit."

Gefragt, ob es sie nicht störe, dass ihr Bruder nicht zu Hause mithelfe, antwortete sie: "Nein."

 

Aus dem ergibt sich, dass sie Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in Anspruch nimmt und soziale Kontakte knüpft, sodass sie sich grundsätzlich gegenüber typischer Freizeitgestaltung und dem Kontakt mit Österreicherinnen und Österreichern nicht verschließt. Es ergab sich aber auch, dass ihre Aktivitäten nur in einer geschützten Sphäre stattfanden. So ergibt sich aus ihren Aussagen, dass sie gemeinsam mit einer Freundin im Prater war oder mit ihrem Bruder zur Schwester nachXXXX gefahren ist bzw. einmal im Monat an Treffen für Mädchen teilnimmt. Das Gericht verkennt auch nicht, dass die Viertbeschwerdeführerin noch minderjährig ist. Dass die Beschwerdeführerin auch - im Hinblick auf ihr junges Alter - in einer geschützten Sphäre an Freizeitaktivitäten teilnimmt, ist als nach außen tretende Verhaltensweise jedoch keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil ihrer Identität geworden ist.

 

Der Umstand, dass sie auch nicht stört, dass der Bruder im Gegensatz zu ihr und der Schwester nicht bei der Arbeit zu Hause mithilft, spricht nicht für Annahme, sie würde ein gleichberechtigtes Leben wollen.

 

Die Viertbeschwerdeführerin hat - da sich die Erstbeschwerdeführerin durchwegs für eine Schul- und Berufsbildung der Viertbeschwerdeführerin aussprach - auch die Möglichkeit, nach einer Rückkehr dort die Schule zu besuchen und eine Ausbildung zu machen. Die Länderberichte zeigen, dass die Ausbildungsmöglichkeiten von Mädchen zunehmend besser werden. Es sind demgegenüber keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die der Viertbeschwerdeführerin eine Ausbildung verunmöglichen würden.

 

Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die Viertbeschwerdeführerin den Wunsch hegt, die HAS in XXXXzu besuchen und danach eine Lehre als Zahnarztassistentin zu absolvieren (siehe Schreiben vom 18.01.2018 einer Freundin der Familie, Schreiben von XXXX, Bestätigung von JAK vom 12.07.2017).

 

Bezüglich des Berufswunsches der Viertbeschwerdeführerin wird ebenfalls auf die Länderfeststellungen verwiesen, wonach sich seit dem Jahr 2001 die Erwerbstätigkeit von Frauen in Afghanistan stetig verbessert und im Jahr 2016 19% betragen hat. So ist es gemäß den Länderfeststellungen für Frauen zwar noch immer schwierig, Berufe zu ergreifen, dies jedoch primär außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors. Eine Tätigkeit in diesen Bereichen ist also durchaus möglich. Der grundsätzliche Wunsch nach einem Beruf kann aber keineswegs als ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung" angesehen werden, aus der eine Verfolgung im Heimatland abzuleiten wäre. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe "Frauen" zu gewähren wäre (vgl. VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

 

Zum äußeren Erscheinungsbild der Viertbeschwerdeführerin ist anzumerken, dass sie am Verhandlungstag mit Jeans (Slim fit), Sneakers, einer blauen langärmligen Bluse und einer Halskette erschien. Sie trug ihr Haar offen und lang. Sie erschien geschminkt und hatte am linken Nasenflügel ein Nasenpiercing. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass auch Fotos von den Beschwerdeführern vorgelegt wurden, auf denen die Viertbeschwerdeführerin mit Kopfbedeckung (locker geschwungener Schal) zu sehen ist. Ungeachtet dessen stellt der Kleidungsstil für sich alleine genommen ohnehin kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen Lebensstil" dar. Vielmehr sind die von der Viertbeschwerdeführerin tatsächlich gelebten Umstände maßgeblich für eine selbstbestimmte "westliche" Lebensweise. Die oben erörterten Gesichtspunkte sind zur Determinierung der inneren Geisteshaltung wesentlicher als die bloße nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Es müssen folglich weitere Umstände hinzutreten, um von einer "westlichen Orientierung" ausgehen zu können. Allein das (Nicht‑) Tragen eines Kopftuches bzw. auch die Art der übrigen Bekleidung und das Tragen von Make-Up bzw. eines Nasenpiercings reichen nicht aus, um eine "westliche Orientierung" glaubhaft darzutun.

 

2.2.6. Zum Fünftbeschwerdeführer:

 

Über das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin hinausgehende Fluchtgründe vermochte der Fünftbeschwerdeführer nicht zu erstatten. Somit konnte keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht werden.

 

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr und Ansiedlung der Beschwerdeführer in und außerhalb ihrer Herkunftsprovinz gelegenen Landesteilen und insbesondere in der Stadt Kabul ergeben sich unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan aus den oben angeführten Länderberichten sowie den glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

 

2.4. Zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit de getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchpunkt A)

 

3.1. Zu den Beschwerden gegen Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht; vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die Beschwerdeführer keine persönliche Verfolgungshandlung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft gemacht haben.

 

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, haben die Beschwerdeführer kein konkretes asylrelevantes Fluchtvorbringen erstattet:

 

Zum Vorbringen betreffend die Verfolgungsgefahr durch die Taliban bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban ist festzuhalten, dass keine konkrete individuelle Verfolgung der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht wurde. Dies gilt auch im Hinblick auf eine versuchte Zwangsverheiratung.

 

Eine Diskriminierung von der Erstbeschwerdeführerin in Bezug auf die Eigenschaft als Frau in Afghanistan konnte nicht aufgezeigt werden. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

 

Die Eigenschaft des Frau-Seins führt in der Judikatur alleine an sich nicht zu Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet.

 

Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang in dem Erkenntnis vom 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9, aus:

 

"Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

 

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass Erstbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise im Jänner 2016 keine "westliche" Lebensweise angenommen haben, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführerin sind vielmehr gerade zu entnehmen, dass diese keinen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstreben bzw. bereits pflegen. Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich (z.B. Besuch eines Schwimm-Kurses) die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt zudem dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301).

 

Die Erstbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführerin verletzen mit ihrer Lebensweise die herrschenden politischen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihnen bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

 

Auch für eine individuelle und konkrete gegen Viertbeschwerdeführer gerichtete Bedrohung oder Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als Mädchen haben sich keine Anhaltspunkte ergeben.

 

Wie aus den Feststellungen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung hervorgeht, konnte keine aktuelle asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführer in Afghanistan festgestellt werden. Eine konkrete individuelle Verfolgung ihrer Person vermochten die Beschwerdeführer nicht glaubwürdig darzulegen. Eine Gruppenverfolgung wurde weder behauptet noch konnte eine solche amtswegig festgestellt werden.

 

Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimat in asylrelevanter Weise bedroht oder verfolgt werden würden, waren die jeweiligen Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides durch die Erst-, Viert- und Fünftbeschwerdeführer:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

 

Der Umstand, dass es sich um eine Familie mit zwei Kleinkindern handelt, erfordert dabei - vor allem im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten - besondere Berücksichtigung (vgl. VwGH vom 08.03.2005, 2003/01/0640).

 

Unter Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096).

 

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255).

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

 

Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

Der Erstbeschwerdeführerin kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nach den oben angeführten Länderberichten zu Kabul in Zusammenschau mit den - von den Beschwerdeführern glaubhaft dargelegten - persönlichen Lebensumständen aus folgenden Gründen nicht in zumutbarer Weise nach Baghlan bzw. Kabul verwiesen werden:

 

Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen (VfGH vom 24.02.2014, GZ U 2112/2012).

 

Die Erstbeschwerdeführerin kümmert sich derzeit alleine um ihre minderjährigen Kinder sowie die erkrankte volljährige Drittbeschwerdeführerin. Die männlichen Familienmitglieder haben in Afghanistan für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Ihr Mann befindet sich derzeit aber im Iran.

 

Zwar verfügt die Erstbeschwerdeführerin über eine Schwester in Kabul. Zu beachten ist aber hierbei, dass sich die Unterstützung durch die Schwester der Erstbeschwerdeführerin mit ihren minderjährigen Kindern oder der erwachsenen, aber erkrankten Drittbeschwerdeführerin als schwierig erweist. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese zusätzlich die Erstbeschwerdeführerin mit ihren minderjährigen Kindern und der erwachsenen, aber erkrankten Drittbeschwerdeführerin ernähren kann. Aufgrund ihrer Betreuung von ihren minderjährigen Kindern und erwachsenen, aber erkrankten Drittbeschwerdeführerin wird sie auch keiner Arbeit in Afghanistan nachgehen können. Unter Beachtung der aktuellen Lage in Afghanistan kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sie als alleinerziehende Mutter in der Lage ist, den unbedingten notwendigen Unterhalt der Familie zu erwirtschaften. Beim Zweitbeschwerdeführer handelt es zwar um einen jungen, mittlerweile volljährigen, arbeitsfähigen, gesunden Mann, bei dem jedoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass er eine insgesamt fünfköpfige Familie erhalten kann.

 

Es ist daher zu befürchten, dass die Erstbeschwerdeführerin samt ihrer Familie bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wäre, selbst für den Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage gerät, weil die Familie auch nicht über eine vorläufige Wohnmöglichkeit oder die nötigen finanziellen Mittel für eine Ansiedelung in einer Stadt oder ein vorläufiges Einkommen in Afghanistan verfügt.

 

Ein gesicherter Zugang zu Unterkunft, wesentlichen Grundleistungen (z.B. sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung) und Erwerbsmöglichkeiten ist daher nicht ersichtlich; die Erstbeschwerdeführerin verfügt auch über keine ausreichende sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte in Kabul oder finanzielle Unterstützung. Die von UNHCR dargelegten "bestimmten Umstände", nach welchen es alleinstehenden leistungsfähigen Männern oder verheirateten Paaren im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten möglich sein kann, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbaner Umgebung zu leben, sind im Falle der Erstbeschwerdeführerin aus den dargelegten Gründen daher nicht gegeben.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Erstbeschwerdeführerin ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass ihr samt ihren minderjährigen Kindern und der erkrankten Drittbeschwerdeführerin eine Rückkehr nach Baghlan oder eine Ansiedlung in Kabul möglich und auch zumutbar wäre.

 

Der Erstbeschwerdeführerin würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der - im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht - sie betreffenden individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht kommt. Es ist damit dargetan, dass ihre Abschiebung eine Verletzung in ihren Rechten nach Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG) und die Erstbeschwerdeführerin andererseits unbescholten ist (Z 3 leg.cit.).

 

Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG stattzugeben und der Erstbeschwerdeführerin gem. § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

 

Zu der Viertbeschwerdeführerin und dem Fünftbeschwerdeführer:

 

Die Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführer sind minderjährig und befinden sich in der Obhut ihrer Mutter.

 

Der Erstbeschwerdeführerin wurde mit heutigem Erkenntnis des BVwG unter Bedachtnahme auf die oben angeführte Judikatur des VwGH angesichts der gesamtfamiliären Situation im Zusammenwirken mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation und der Sicherheitslage in Afghanistan subsidiärer Schutz zuerkannt.

 

Gemäß § 34 Abs. 3 AsylG hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

1. dieser nicht straffällig geworden ist

 

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

 

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist,

 

dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

 

Der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin als Mutter der Viertbeschwerdeführerin und dem Fünftbeschwerdeführer wurde vom BVwG mit heutigem Erkenntnis Folge gegeben und ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die unbescholtenen Viert- und Fünftbeschwerdeführer sind die minderjährigen ledigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Gegen die Erstbeschwerdeführerin ist kein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten anhängig. Den Viert- und Fünftbeschwerdeführer war nicht der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Aus diesen Gründen war den Viert- und Fünftbeschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG ebenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

 

3.3. Zur Beschwerde der Drittbeschwerdeführerin gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Im Fall der Drittbeschwerdeführerin ergibt sich aus den Feststellungen zu ihrer persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen konkrete Anhaltspunkte, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegeben sind. Die Beschwerdeführerin kann nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedelung in andere Landesteile Afghanistans verwiesen werden, in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin ergibt sich, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar ist:

 

Die Drittbeschwerdeführerin würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die relativ volatile Provinz Baghlan ebenfalls ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb der Provinz Baghlan, insbesondere in der Stadt Kabul, liefe die Drittbeschwerdeführerin im Gegensatz zu ihrem Bruder Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Eine ledige junge Frau mit Erkrankungen und ohne Schul- und Berufsausbildung sowie Berufserfahrung kann sich nach Ansicht des erkennenden Richters auch in Kabul nicht selbst erhalten, vor allem in Hinblick auf die schlechtere Stellung der Frau in Afghanistan und die teilweise mangelnde medizinische Versorgung sowie der Probleme denen Menschen mit Erkrankungen in Afghanistan zu begegnen haben. Auch durch eine allfällige Unterstützung der Familie wird die Drittbeschwerdeführerin in Afghanistan nicht die Möglichkeit eröffnet, ein gesichertes Leben zu führen.

 

Der VfGH hat nämlich festgestellt, dass neben der Sicherheitslage im Herkunftsland das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevant sein können. Dies insbesondere dann, wenn es sich um Antragsteller handelt, bei denen individuelle Gründe bestehen, die die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit rechtfertigen, wie z. B. Personen mit Erkrankungen, Familien mit Kleinkindern oder schwangeren Frauen (VfGH 14.12.2011, U2495/2010 mit Verweis auf VfGH 07.10.2010, U694/2010). Diese Umstände treffen wie oben ausgeführt auf die Drittbeschwerdeführerin in besonderer Weise zu.

 

Gesamtheitlich betrachtet ergibt sich in dem konkreten Fall der Drittbeschwerdeführerin auf Grund mehrerer kumulativer Faktoren (Frau, Erkrankung, keine sichergestellte Versorgung trotz familiärer Bezugspunkte in Afghanistan, Unsicherheit hinsichtlich der humanitären Situation bei der Gewährleistung von Lebensgrundlagen) eine Situation, die in Summe die Gewährung subsidiären Schutzes notwendig machen.

 

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG) und die Drittbeschwerdeführerin andererseits unbescholten ist (Z 3 leg.cit.).

 

Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG stattzugeben und der Drittbeschwerdeführerin gem. § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

 

3.4. Zu Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide:

 

Zur Erst- und Drittbeschwerdeführerin:

 

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Beschwerdeführerinnen den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr zu erteilen war.

 

Zu den Viertbeschwerdeführerin und dem Fünftbeschwerdeführer:

 

Gemäß § 8 Abs. 5 AsylG gilt § 8 Abs. 4 AsylG in einem Familienverfahren mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Erstbeschwerdeführerin den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass den Viert- und Fünftbeschwerdeführer ebenfalls eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen war unter der Maßgabe, dass die Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der der Erstbeschwerdeführerin endet.

 

Ersatzlose Behebung von Spruchpunkt III. und IV. der angefochtenen Bescheide:

 

Da im gegenständlichen Fall den Erst-, Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung einschließlich Fristsetzung für die freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 und § 10 Abs. 2 AsylG nicht mehr vor.

 

Daher waren die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben.

 

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides durch den Zweitbeschwerdeführer:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005).

 

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen (siehe zB VwGH 30.05.2001, 97/21/0560).

 

Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (zuletzt VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361, mit Verweis auf VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

 

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde. (zuletzt VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361)

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen. (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137)

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Asylwerber konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül somit insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftsland verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann. Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

 

Bei der Einzelfallprüfung hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Übersiedlung nach Kabul kommt den Fragestellungen, ob der Asylwerber bereits vor seiner Flucht in Kabul gelebt hat, ob er dort über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder ob er auch ohne solche Anknüpfungspunkte seinen Lebensunterhalt derart sichern kann, dass er nicht in eine Art. 3 EMRK widersprechende, aussichtslose Lage gelangt, maßgebliches Gewicht zu (vgl. dazu zB VfGH 11.12.2013, U 2643/2012).

 

Der UNHCR formuliert in seinen Richtlinien, dass die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängt. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. (siehe VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001)

 

Nach den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, welchen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken ist (siehe VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mit Verweis auf VwGH 22. 11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN), ist eine interne Schutzalternative grundsätzlich nur dann zumutbar, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von der Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. (Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S 10 und 95 ff)

 

Auch der EGMR geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien ist es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. (siehe dazu VfGH 13.09.2013, U 370/2012, mwN).

 

Der Verfassungsgerichtshof hat in einem vor kurzem ergangenen Erkenntnis ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er - wie im entschiedenen Fall - nicht in Afghanistan geboren ist, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist. Dass der Asylwerber über keine guten Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul verfügt, reicht für sich betrachtet für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus. (VfGH 12.12.2017, E 2068/2017; siehe auch unlängst VwGH 20.02.2018, Ra 2018/20/0067)

 

Mit dem Aufzeigen der bloßen Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat wird die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze damit in Bezug auf Kabul nicht dargetan (zuletzt VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegenständlich nicht gegeben sind:

 

Da, wie dargelegt, eine zumutbare Ansiedlung des Zweitbeschwerdeführers in der Provinz Baghlan aufgrund der Berichtslage nicht mit hinreichender Sicherheit als gegeben angenommen werden konnte, bleibt zu prüfen, ob der Zweitbeschwerdeführer unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes - nämlich die Hauptstadt Kabul - verwiesen werden kann.

 

Es wird nicht verkannt, dass die Sicherheitslage auch in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Festzuhalten ist aber, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul und größere Transitrouten hat und dass Kabul auf Grund des vorhandenen Flughafens über den Luftweg sicher zu erreichen ist. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in der Stadt Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist anzuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass eine Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat (bzw. ein bestimmtes Gebiet innerhalb eines Staates) automatisch eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach sich ziehen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich in der Regel gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Auch die in der aktuellen Kurzinformation vom 30.01.2018 genannten jüngsten notorischen Anschläge entsprechen diesem Muster (Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.01.2018, Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.01.2018, Angriff auf die NGO Save the Children am 24.01.2018, Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.01.2018). Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Kabul insgesamt als nicht ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Stadt Kabul kann somit nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste.

 

Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten reicht es entsprechend der oben wiedergegeben Judikatur nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen:

 

Solche Umstände vermochte der Zweitbeschwerdeführer im Verfahren nicht darzulegen. Der Zweitbeschwerdeführer ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatlandes grundsätzlich vertraut und spricht im vorliegenden Fall sowohl etwas Dari wie auch Farsi. Es wird nicht verkannt, dass der Zweitbeschwerdeführer Afghanistan im Alter von neunjähriges Kind Afghanistan verlassen hat und danach im Iran aufhältig war, wo er sozialisiert wurde. Eine Ansiedlung des Zweitbeschwerdeführers in Kabul könnte daher für ihn schwieriger werden als für eine vergleichbare Person seines Alters, die sich ständig in Afghanistan aufgehalten hat. Damit wird aber entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze in Bezug auf Kabul (noch) nicht dargetan. Aus der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass der langjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Iran nicht ausreicht, um die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu begründen (vgl. dazu VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0190, und wiederholend VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, VwGH 05.02.2018, Ra 2017/18/0457; sowie auch VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

 

Es muss maßgeblich berücksichtigt werden, dass es sich beim Zweitbeschwerdeführer um einen arbeitsfähigen jungen Mann handelt, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann und der eine mehrjährige Berufserfahrung vorweisen kann.

 

Wie festgestellt ist der volljährige Zweitbeschwerdeführer gesund sowie anpassungs- und arbeitsfähig. Er weist Sprachkenntnisse in Dari und Farsi auf und verfügt über eine mehrjährige Berufserfahrung und hat bereits als Wachperson gearbeitet sowie dem Vater auf dem Feld geholfen. Weiters hat der Zweitbeschwerdeführer zwei Jahre die Schule besucht. Trotz der Ausreise aus Afghanistan im Alter von neun Jahren ist davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführer grundsätzlich mit den kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut ist, da er bis zum 9. Lebensjahr in Afghanistan in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen ist.

 

Da er zwei Tanten in Kabul hat, kann der Zweitbeschwerdeführer nach seiner Rückkehr sicher mit Unterstützung durch seine Familie rechnen, zumal er auch in Kabul finanzielle Unterstützung durch seine Verwandtschaft aus dem Ausland erhalten könnte. Zu beachten ist hierbei, dass die Unterstützung durch die Tante (Schwester der Erstbeschwerdeführerin) eines einzelnen gesunden erwachsenen Mannes eine leichtere Aufgabe für die Familie und die Verwandtschaft darstellt, als die Unterstützung der Erstbeschwerdeführerin mit ihren minderjährigen Kindern und der erwachsenen, aber erkrankten Drittbeschwerdeführerin.

 

Des Weiteren kann der Zweitbeschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Kabul das Auslangen finden. Es besteht die Möglichkeit direkt nach der Ankunft in Kabul bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak in Kabul untergebracht zu werden. Deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er dort - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei er seine Berufserfahrungen nutzen könnte. Da in Kabul Häuser und Wohnungen zur Verfügung stehen, ist davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführer eine einfache Unterkunft finden könnte. Dafür, dass der Zweitbeschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

 

Zudem gehört der Zweitbeschwerdeführer keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

Daher wird davon ausgegangen, dass der Zweitbeschwerdeführer - trotz wahrscheinlicher anfänglicher Schwierigkeiten - passable Chancen hätte, sich am Arbeitsmarkt in Kabul zu integrieren und dort eine Unterkunft zu finden, also somit in Kabul ein Leben ohne unbillige Härten führen könnte, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Zweitbeschwerdeführers ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

 

Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Zweitbeschwerdeführer eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und auch zumutbar ist.

 

3.6. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides durch den Zweitbeschwerdeführer:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

§ 10 AsylG lautet:

 

"Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

 

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

 

[...]

 

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

[...]"

 

§ 52 FPG lautet:

 

"Rückkehrentscheidung

 

§ 52.

 

[...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

[...]

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

[...]

 

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

[...]"

 

§ 50 FPG lautet:

 

"Verbot der Abschiebung

 

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

§ 9 BFA-VG lautet:

 

"Schutz des Privat- und Familienlebens

 

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

[...]"

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt vom Zweitbeschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist oder der Zweitbeschwerdeführer Opfer von Gewalt i.S.d. § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Zweitbeschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Die Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG i.S.d. Art. 8 EMRK geboten ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens i.S.d. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215), zwischen Enkeln und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458, EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983) und zwischen Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118, EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben i.S.d. Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235). Folgt man dieser Rechtsprechungslinie der Gerichte öffentlichen Rechts, so ergibt sich daraus, dass bei erwachsenen Kindern ein Familienleben dann anzunehmen ist, wenn diese auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (vgl. Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, ÖJZ 2007/74, S. 852 ff; AsylGH 22.7.2008, S5 400561-1/2008).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich;

31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande;

31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

 

Aufgrund der Feststellungen zur Lebenssituation ist von einem bestehenden Privatleben vom Zweitbeschwerdeführer in Österreich auszugehen.

 

Im vorliegenden Fall ist auch von einem bestehenden Familienleben auszugehen, da der Zweitbeschwerdeführer zwar volljährig ist, aber mit seiner Mutter, und einem Teil seiner Geschwister in einem gemeinsamen Haushalt lebt.

 

Eine Ausweisung stellt daher sowohl einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- als auch des Familienlebens des Zweitbeschwerdeführers i. S.d. Art. 8 EMRK dar.

 

Aus folgenden Erwägungen (s. unten (i) bis (vii)) fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung - öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen das Interesse an einem weiteren Verbleib - nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts jedoch zu Lasten des Zweitbeschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung daher jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK dar:

 

(i) Ein schutzwürdiges Privatleben kann insbesondere für solche Asylwerber in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Herkunftsland quasi Österreichern gleichzustellen ist. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass Österreich faktisch das Land ist, zu dem der Beschwerdeführer gehört, während ihn mit seinem Heimatland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbindet (EGMR 26.03.1993, Beldjondi, und vom 26.09.1997, Mehemi gg. Frankreich).

 

Im Hinblick auf den Zweitbeschwerdeführer liegen jedoch keine konkreten Hinweise vor, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation in die hiesigen Verhältnisse unter gleichzeitiger Entfremdung von seinem Heimatland hineingewachsen ist: Er hat den überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens nicht in Österreich verbracht und spricht sowohl Dari als auch Farsi. Der Zweitbeschwerdeführer hat zwar Deutschkenntnisse auf A1-Niveau erworben, spricht aber Dari und Farsi nach wie vor besser als Deutsch. In Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sind die integrativen Bemühungen des Zweitbeschwerdeführers, die Amtssprache Österreichs zu lernen, auch insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (Hinweis E 26.1.2009, 2008/18/0720).

 

Eine Bindung zum Herkunftsstaat besteht weiters dadurch, dass sich Verwandte des Zweitbeschwerdeführers dort aufhalten. Von einer Entfremdung ist auch deshalb nicht auszugehen, weil der Zweitbeschwerdeführer - der bis zum 9. Lebensjahr in Afghanistan gelebt hat - aufgrund seiner afghanischen Eltern mit dem Gesellschafts- und Kulturleben seines Herkunftslandes vertraut ist und teilweise verinnerlicht hat. Dabei verkennt das Gericht auch nicht, dass der Zweitbeschwerdeführer mehrere Jahre ohne seine Eltern und Geschwister im Iran aufhältig war.

 

Das private Interesse des Zweitbeschwerdeführers an einem Aufenthalt in Österreich ist auch dadurch gemindert, dass er weder Mitglied in einem Verein ist, noch einer kulturellen Aktivität nachgeht.

 

Der Zweitbeschwerdeführer pflegt auch keine nennenswerten Kontakte zu Österreichern. Der Zweitbeschwerdeführer ist auch nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von der Grundversorgung. Seine nicht nennenswerten sozialen Kontakte genügen nicht, um eine nachhaltige Integration des Zweitbeschwerdeführers in Österreich annehmen zu können.

 

(ii) Hinsichtlich des Familienlebens des Zweitbeschwerdeführers ist anzuführen, dass dieses keine derartige Intensität aufweist, dass eine Außerlandesbringung des Zweitbeschwerdeführers aus Österreich einen gravierenden Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens darstellen würde:

 

Zwar ist ein Teil seiner Kernfamilie nunmehr zukünftig aufgrund der Zuerkennung der Status als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich aufhältig, was bedeuten würde, dass die Beziehung des Zweitbeschwerdeführers zu seiner Mutter und Geschwistern mit einer Ausweisung des Zweitbeschwerdeführers nicht in der derzeitigen Form weitergeführt werden könnte.

 

Der XXXX-geborene Beschwerdeführer kann jedoch als erwachsen angesehen werden (er hat auch schon lange den Zeitpunkt der Volljährigkeit überschritten). Er ist gesund, im erwerbsfähigen Alter und kann daher - wie es viele junge Männer in seinem Alter machen - für sich selbst sorgen und ein eigenständiges Leben führen. Bereits im Iran hat der Zweitbeschwerdeführer unter Beweis gestellt, sich selbst erhalten zu können, als er dort mehrere Jahre lang einer Beschäftigung im Bewachungsgewerbe nachgegangen ist. Eine finanzielle Abhängigkeit (oder eine trotz eigener Einkunftsquelle wirtschaftliche Abhängigkeit) vom Zweitbeschwerdeführer zu seiner Familie ist sohin nicht ersichtlich und wurde im Verfahren auch nicht behauptet (vgl. AsylGH 22.7.2008, S5 400561-1/2008). Ebenso ist die Familie nicht auf die Einkünfte vom Zweitbeschwerdeführer angewiesen.

 

Weiters leidet der Zweitbeschwerdeführer an keiner Behinderung, mit der er ohne seine Familie nicht in der Lage wäre, sich emotional und praktisch in seinem Herkunftsland zurecht zu finden (vgl. EGMR 13.07.1995, 18/1994/465/564, Nasri v. Frankreich).

 

Angesichts all dieser Umstände kann nicht gesagt werden, dass die Beziehung zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und seiner Familie in Österreich durch ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet ist und eine derart gravierende Intensität aufweist, die eine Trennung des Zweitbeschwerdeführers von seiner Familie als unbillige Härte erschienen ließe. Aus den Schilderungen zu seinem Tagesablauf zeigt sich vielmehr, dass der Zweitbeschwerdeführer schon jetzt den Alltag unabhängig von seiner Familie verbringt (vgl. Seite 33 und 34 des Verhandlungsprotokolls). So hat er angegeben, dass sein Alltag in Österreich hauptsächlich aus dem Besuchen des Deutschkurses und Fußballspielen mit anderen Burschen aus dem Heim besteht.

 

Ein besonderes Einbringen in das Familienleben kann daraus nicht ersehen werden, wie etwa durch Mithilfe im Haushalt oder das Teilnehmen an regelmäßigen Familienaktivitäten. Im Gegenteil gab der Zweitbeschewerdeführer an, dass er zu Hause nicht mithelfe (Seite 33 des Verhandlungsprotokolls), auch in der Befragung der anderen Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung, hat sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass eine besondere Beziehungsintensität oder Naheverhältnis des Zweitbeschwerdeführers zu seiner Familie vorliegt.

 

Daraus folgt für das Bundesverwaltungsgericht, dass sich die Beziehungsintensität und das Naheverhältnis zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und seiner Familie, wie in Familien im Regelfall üblich, von einer engen Bindung als Kind auch im Sinne einer Abhängigkeit zu einer alterstypischen Unabhängigkeit eines jungen Mannes im Alter von einundzwanzig Jahren gewandelt hat, der ein eigenständiges Leben führt. So stellt sich das derzeitige Zusammenleben mit seiner Familie in der Art, wie es der Zweitbeschwerdeführer durch die Beschreibung seines Alltags ausgeführt hat, eher als alterstypische "Wohngemeinschaft" denn als aktive Teilnahme am Familienleben dar.

 

Der Zweitbeschwerdeführer ist nicht auf eine Betreuung oder Unterstützung seiner Angehörigen angewiesen. Dieser kann sein Fortkommen in Afghanistan unabhängig von seiner Verwandtschaft sichern, wobei anzumerken ist, dass der Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht komplett auf sich alleine gestellt wäre, da er über Verwandtschaft in Kabul verfügt.

 

Ergänzend ist auch festzuhalten, dass der Zweitbeschwerdeführer nach einer Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht gezwungen ist, seine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich gänzlich aufzugeben. Die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von Kontakten zu in Österreich befindlichen Verwandten besteht auch von Afghanistan aus, z.B. auf telefonischer Basis, durch Brief- oder E-Mail-Verkehr. Ebenso stünde es dem Zweitbeschwerdeführer frei, sich von Afghanistan aus - wie jeder andere Fremde auch - unter Einhaltung fremden- und niederlassungsrechtlicher Bestimmungen um einen legalen Aufenthalt oder ein Besuchsvisum zu bemühen. Es ist nämlich nicht Zweck des Asylrechts, Fremden die Einreise und den Aufenthalt unter Umgehung dieser Bestimmungen auf Dauer zu ermöglichen, sondern vor Verfolgung aus in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK zu schützen.

 

(iii) Das Interesse des Zweitbeschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner privaten und familiären Interessen ist auch dadurch geschwächt, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste: Der Zweitbeschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. z.B. VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat bzw. einer seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013), was für das vom Zweitbeschwerdeführer in Österreich aufgebaute Privatleben zu beachten ist. Der Zweitbeschwerdeführer konnte zudem vor dem Hintergrund der unberechtigten Asylantragstellung zum Zeitpunkt der Einreise vernünftiger Weise nicht davon ausgehen, sein Familienleben in Österreich weiterzuführen.

 

Spätestens mit der Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz durch den Bescheid des BFA vom XXXXmusste sich der Zweitbeschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Hinzu kommt, dass er nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens verfügte. Der Zweitbeschwerdeführer ist illegal nach Österreich eingereist und stellte in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, der sich als unberechtigt erwiesen hat.

 

(iv) Bei der Beurteilung der Frage, ob der Zweitbeschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privat- und Familienleben verfügt, spielt auch die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle. Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378) und in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, festgehalten hat, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", ist die Aufenthaltsdauer des Zweitbeschwerdeführers, der sich seit Jänner 2016 - sohin seit etwa zweieinhalb Jahren - in Österreich aufhält, als kurz zu bewerten. Von der in diesem Zusammenhang vom Verwaltungsgerichtshofs entwickelten Judikatur, die bei einem über zehnjährigen Aufenthalt (sofern diese Dauer nicht durch gewisse Umstände relativiert wird) regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich ausgeht, ist die Länge des Aufenthalts des Zweitbeschwerdeführers ebenfalls noch weit entfernt. Sohin ist die etwa zweieinhalbjährige Aufenthaltsdauer nicht als so lange zu bewerten, dass diese das Interesse des Verbleibs vom Zweitbeschwerdeführer in Österreich maßgeblich verstärken würde.

 

Der Zweitbeschwerdeführer hält sich seit seiner Asylantragstellung im Jänner 2016 im Bundesgebiet auf. Die Dauer des Verfahrens (behördliches Verfahren von Jänner 2016 bis August 2016; Verfahren vor dem BVwG von September 2016 bis Juni 2018) übersteigt im Hinblick darauf, dass es in den vergangenen Jahren zu einem massiven Anstieg an Verfahren über Anträge auf internationalen Schutz kam, nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

(v) Die dem Zweitbeschwerdeführer zumutbare, wenn auch allenfalls mit Schwierigkeiten behaftete Rückkehrsituation in seinem Herkunftsstaat vermag ebenfalls kein Überwiegen seiner Interessen am Verbleib in Österreich auszumachen. Da der Zweitbeschwerdeführer aufgrund der oben dargestellten Umstände bei einer Rückkehr nach Kabul Fuß fassen können wird, verstärkt die zu erwartende Rückkehrsituation sein Interesse am Verbleib in Österreich nicht maßgeblich.

 

(vi) Dass der Zweitbeschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (z.B. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

(vii) Den teilweise wie obenstehend zu relativierenden familiären und privaten Interessen des Zweitbeschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen auch die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Zweitbeschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

 

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Zweitbeschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2003, 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde").

 

Entsprechend hielt der Verwaltungsgerichtshof in einem rezenten Erkenntnis im Fall einer seit viereinhalb Jahren in Österreich lebenden unbescholtenen Asylwerberin, die seit Dezember 2012 - mit getrennten Wohnsitzen - eine Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsbürger führt und der das Bundesverwaltungsgericht auch "außerordentliche Integrationsbemühungen" (Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 sowie kirchliches, soziales und berufliches Engagement) attestierte, fest, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem Überwiegen der persönlichen Interessen der Revisionswerberin an einem weiteren Verbleib in Österreich ausgehen musste, zumal sie sich bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses erst viereinhalb Jahre auf Basis eines unberechtigten Antrags auf internationalen Schutz in Österreich aufgehalten hatte und im Herkunftsstaat aufrechte familiäre Bindungen bestehen. Entgegen der Meinung in der Revision durfte das Bundesverwaltungsgericht bei der Gewichtung der für die Revisionswerberin sprechenden Umstände auch im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbeziehen, dass die integrationsbegründenden Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sie sich (bereits nach Abweisung ihres unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz durch das Bundesasylamt Ende April 2012) ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 23.02.2017, Ra 2017/21/0009).

 

Vor diesem Hintergrund und nach der obenstehenden individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Zweitbeschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Artikels 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden. Dem im Sinne des Art. 8 EMRK relevanten Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich kommt ein wesentlich geringerer Stellenwert zu, als dem wichtigen öffentlichen Interesse an einer Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet, nachdem die zugunsten zu wertenden Aspekte kein besonderes Gewicht zu entfalten vermögen. Die vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Zweitbeschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an einer Außerlandesschaffung aus.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Zweitbeschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar und war Z 1 des § 55 AsylG nicht erfüllt.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Zweitbeschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Da der Antrag des Zweitbeschwerdeführers im Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen wurde, liegt weder ein Fall des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vor. Der Zweitbeschwerdeführer gab nicht an, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen.

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005.

 

Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint (siehe oben).

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005.

 

Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint (siehe oben).

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Zweitbeschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Die Abschiebung des Zweitbeschwerdeführers nach Afghanistan ist daher zulässig.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige besondere Umstände vom Zweitbeschwerdeführer nicht behauptet und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch zu diesen Spruchpunkten (III. und IV.) als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde im Zuge der rechtlichen Beurteilung wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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