AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L523.2247903.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Tanja DANNINGER-SIMADER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin ENTHOFER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 11.09.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.01.2023 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 23.06.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich seiner Erstbefragung am 24.06.2021 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er sein Herkunftsland wegen seiner Religionszugehörigkeit verlassen habe müssen. Er gehöre der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis an. Die Sunniten würden seine Religion nicht akzeptieren. Er sei als Verkäufer ständig unterwegs und dabei sehr vielen Gefahren ausgesetzt gewesen.
3. Am 26.08.2021 wurde er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen.
Dabei führte er aus, dass er als Verkäufer in einem Textilgeschäft beschäftigt gewesen sei. Er sei beruflich viel unterwegs gewesen. Er habe Textilien unterwegs verkauft und Waren in verschiedenen Städten eingekauft. Dabei habe er seinen Herkunftsort angegeben und dadurch seine Religionszugehörigkeit offenlegen müssen. Er sei daraufhin nicht mehr gut behandelt worden, man habe nicht mehr mit ihm gesprochen und es seien Bestellungen storniert worden. Das sei der erste Grund warum er in Österreich einen Asylantrag gestellt habe.
Zudem existiere eine mit 16.01.2016 datierte Anzeige gegen ihn. Nachdem er seine Arbeit gekündigt habe, da er das Land verlassen wollte, sei er zu seiner Schwester nach Sheikhupura gegangen. Dort sei es am 05.01.2016 in einem Gebetshaus für Ahmadiyya zu einer Schlägerei zwischen ihm und unbekannten Mullahs gekommen, da diese mitbekommen hätten, dass er aus Rabwah stamme. Er sei daraufhin nach Rabwah zurückgekehrt. Am 25.01.2016 habe er von einem Schwager erfahren, dass er angezeigt worden sei. Sein Schwager habe diese Information wiederum von einem Nachbarn erhalten. Am 15.02.2016 sei die Polizei zu ihm nach Hause gekommen, zu diesem Zeitpunkt habe er sich bei Freunden in Rabwah versteckt gehalten. Bis zu seiner Ausreise am 03.03.2016 habe er sich bei Freunden versteckt.
Im Rahmen der Einvernahme wurde ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme zu den länderkundlichen Informationen des BFA eingeräumt, worauf er verzichtete.
4. Der Beschwerdeführer übermittelte in weiterer Folge eine Kopie der Anzeige und des Haftbefehls an das BFA.
5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 11.09.2021 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Zur von ihm geschilderten handgreiflichen Auseinandersetzung in Sheikhupura führte das BFA im Wesentlichen aus, dass einerseits seine diesbezüglichen Angaben grob widersprüchlich gewesen seien, andererseits stelle auch ein Einschreiten staatlicher Behörden in diesem Zusammenhang keine Verfolgung dar. Es würde sich hierbei um Ermittlungsschritte handeln, die der Aufklärung eines allgemein strafbaren Deliktes dienen. Es habe nichts darauf hingedeutet, dass er im Rahmen der Ermittlungen hinsichtlich des Verdachts des Raufhandels und in einem allfällig gegen ihn geführten Strafverfahren aus einem der Konventionsgründe schlechter gestellt wäre, als andere Beschuldigte in einem Strafverfahren in Pakistan.
Die pakistanischen Behörden seien auch willens und fähig Angehörige der Ahmadiyya vor Übergriffen zu schützen. Bei einem allfälligen Fehlverhalten einzelner Polizeibeamter habe er die Möglichkeit sich an deren Vorgesetzte, die Justizbehörden, die Vertreter der Ahmadiyya-Gemeinden sowie an NGOs zu wenden.
Zudem habe die Auseinandersetzung – sofern sein Vorbringen als glaubhaft zu werten sei – in Sheikhupura stattgefunden. In Rabwah, wo überwiegend Angehörige der Ahmadiyya leben, sei es zu keinen derartigen Vorfällen gekommen. Außerdem sei seinen Ausführungen nicht zu entnehmen gewesen, dass sich seine dort zahlreich wohnhaften Verwandten in einer existenzbedrohend schlechten Lebenslage befinden würden.
Schließlich lasse auch sein in der Erstbefragung und in der behördlichen Einvernahme geschilderter Sachverhalt im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erkennen.
Das BFA führte weiters aus, dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr drohe, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Des Weiteren traf das BFA umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Pakistan. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG seien nicht vorgelegen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung verletze nicht sein Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet. Ein besonderes Beziehungsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in Österreich wohnhaften Neffen habe das BFA nicht erkennen können, zumal der Beschwerdeführer auch mit keiner dieser Personen im gemeinsamen Haushalt lebe.
6. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 14.09.2021 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und mit Verfahrensanordnung vom 28.09.2021 gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG die Verpflichtung mitgeteilt, bis zum 08.10.2021 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
7. Gegen den ihm am 30.09.2021 persönlich zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht und in vollem Umfang Beschwerde.
Darin wurde das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch die Einholung eines aktuellen Ländersachverständigengutachtens zur Frage der „Verfolgung, asylrelevanten Gefährdung und Bedrohung“ der Mitglieder der Ahmadi in Pakistan beantragt.
8. Die Beschwerdevorlage langte am 04.11.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein und mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18.11.2021 wurde das Verfahren der erkennenden Richterin zugewiesen.
9. Mit Schreiben seines anwaltlichen Vertreters vom 15.10.2022 wurde ergänzend vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nunmehr mit einem seiner Neffen zusammenlebe. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich bereits „vollständig integriert“, spreche und verstehe die deutsche Sprache und sei seit fast „zweieinhalb Jahre“ im Bundesgebiet aufhältig. Er habe für seine Wohnsitzgemeinde gemeinnützige Leistungen erbracht und besuche derzeit einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau A1.
Gemeinsam mit dem Schreiben wurden Integrationsnachweise, eine Bestätigung der XXXX über seine Mitgliedschaft, ein gegen den Beschwerdeführer erlassener „First Information Report“ (FIR) sowie ein Haftbefehl vorgelegt.
Zum vorgelegten FIR wurde ausgeführt, dass sich daraus ergebe, dass wider den Beschwerdeführer unberechtigt Anzeige erstattet worden sei und er daher im Jahr 2016 fliehen habe müssen, nachdem er immer massiver und selbst in laut Länderberichten unzutreffender Weise als für verfolgte Ahmadiyya als „verfolgungssicher“ bezeichneten Regionen und Städten gezielt wegen seiner religiösen Gesinnung verfolgt und gesucht worden sei.
Der Beschwerdeführer wolle nicht nur der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya zugehörig sein, sondern auch seinen Glauben leben und – ohne sich versteckt halten zu müssen –praktizieren, sowie auch (im Sinne einer missionarischen Tätigkeit) aktiv an der Verbreitung seines Glaubens mitwirken und sich diesbezüglich öffentlich zu diesem Glauben bekennen.
10. Mit Eingabe vom 27.10.2022 beantragte der Beschwerdeführer im Wege seiner anwaltlichen Vertretung die Einvernahme von zwei in Pakistan aufhältigen Zeugen durch Vertreter der österreichischen Botschaft zum Nachweis der Richtigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers. Weiters wurde ersucht, dass auf Basis dieser Zeugenaussagen ein individualisiertes Gutachten betreffend die asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat eingeholt werden möge, zum Beweis der Berechtigung des gegenständlichen Antrages.
11. Mit Schreiben vom 24.11.2022 teilte das BFA mit, dass die Teilnahme eines informierten Behördenvertreters an der Beschwerdeverhandlung nicht möglich sei, beantragte unter einem die Abweisung der Beschwerde und ersuchte um Übermittlung des Verhandlungsprotokolls.
12. Am 24.01.2023 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung in dessen Anwesenheit und der seines Vertreters. Im Zuge dessen legte der Beschwerdeführer weitere Beweismittel vor und wurde ihm die Gelegenheit gegeben neuerlich seine Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie seine Lebensumstände in Österreich zu erläutern. Zudem fand eine zeugenschaftliche Einvernahme des ehemaligen Obmanns der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Österreich statt.
Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten aktuellen Länderfeststellungen zu Pakistan sowie zur Darlegung und zum Nachweis aktueller Übergriffe des pakistanischen Staates auf die Volksgruppe der Ahmadi, insbesondere in der Stadt XXXX , bis zum 31.01.2023 eingeräumt.
13. Am 27.01.2023 langte im Wege des ERV eine entsprechende Stellungnahme seiner Vertretung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ausgeführt, dass den beiliegenden Berichten zu entnehmen sei, dass der pakistanische Staat seine asylrelevante Vorgehensweise gegen die Volksgruppe/Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya massiv intensiviert habe und anhand der Berichte eine Gruppenverfolgung bescheinigt werde.
Zu den herangezogenen Länderberichten der Staatendokumentation wurde ausgeführt, dass diese keine Überprüfung bzw. Darstellung einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr beinhalten würden, wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet wurde, wie dies bei dem Beschwerdeführer der Fall sei. Wiederholt wurde daher der Antrag auf Einholung eines aktuellen Ländersachverständigengutachtens.
14. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Feststellungen zur Person
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist pakistanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya sowie der Volksgruppe der Rajput Bhatti. Er wurde in Chenab Nagar (vormals Rabwah), im Distrikt Chiniot, in der Provinz Punjab geboren, wuchs dort auf und war dort bis zu seiner Ausreise aus Pakistan bei seinen Eltern wohnhaft. Er spricht Urdu und Punjabi. Er ist ledig und kinderlos.
Er hat in Pakistan zehn Jahre die Grundschule besucht. Danach hat er in einem Bekleidungsgeschäft als Verkäufer gearbeitet.
In seinem Herkunftsort leben nach wie vor seine Eltern, drei Brüder und vier Schwestern. Zwei seiner Brüder sind erwerbstätig. Sie arbeiten als Maler und Schweißer. Ein Bruder ist körperlich beeinträchtigt und arbeitsunfähig. Seine Schwestern sind verheiratet und Hausfrauen. Finanziell geht es seiner Familie gut. Er telefoniert mit seiner Familie regelmäßig, jedenfalls alle zwei Wochen.
Der Beschwerdeführer hat Pakistan zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2016 verlassen und hielt sich zunächst vier Jahre in der Türkei und etwa eineinhalb Jahre in Griechenland auf, ehe er am 23.06.2021 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet einreiste, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither hier aufhält.
Er bezog von 24.06.2021 bis 30.12.2021 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er konnte danach seinen Aufenthalt in Österreich mit Hilfe seiner in Pakistan wohnhaften Familie finanzieren. Seit kurzem geht er der Tätigkeit eines Zeitungszustellers nach. Es konnte nicht festgestellt werden, ob und in welcher Höhe er ein regelmäßiges monatliches Einkommen erzielt. Er ist zuvor in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Er verfügt über einfache Deutschkenntnisse. Er hat am 28.10.2022 eine Deutschprüfung des ÖSD auf dem Sprachniveau A1 bestanden.
Der Beschwerdeführer ist Mitglied der XXXX . Er beteiligt sich regelmäßig an Gebeten und Events der Gemeinschaft und leistet Spenden, die Wohltätigkeitszwecken und für die Mission der Religionsgemeinschaft national und international zugutekommen. Er engagiert sich bei XXXX auch ehrenamtlich.
Ferner hat er gemeinnützige Hilfstätigkeiten im Bereich der Grünraumpflege in seiner Wohnsitzgemeinde verrichtet.
Er hat am 27.08.2022 einen sechsstündigen Kurs zum Thema „Lebensrettende Sofortmaßnahmen am Ort des Verkehrsunfalls“ des Österreichischen Roten Kreuzes besucht.
Er verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte, vor allem im Rahmen seiner Mitgliedschaft bei XXXX . Der Beschwerdeführer wohnt gemeinsam mit zwei volljährigen Neffen in einer Mietwohnung. Zwischen ihnen besteht weder ein außergewöhnliches Naheverhältnis noch ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Der Beschwerdeführer verfügt darüber hinaus über keine weiteren Familienangehörige in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.
1.2. Länderfeststellungen
Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die aktuelle Version der Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Pakistan – Version 4, veröffentlicht am 26.04.2022 – zu Grunde. Jene Länderfeststellungen wurden auch in Wahrung des Parteiengehörs dem Beschwerdeführer gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt und ihm in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 31.01.2023 eingeräumt, welcher er auch nachkam.
Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
„Covid-19
Letzte Änderung: 22.03.2022
COVID-19 wurde in Pakistan erstmals im Feber 2020 festgestellt. Mit 23.3.2020 wurden Eindämmungsmaßnahmen beschlossen, die selektive Quarantänen, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Verbot öffentlicher Veranstaltungen, soziale Distanzierungsmaßnahmen und die Schließung von Bildungseinrichtungen beinhalteten. Nach einem Höhepunkt Mitte Juni 2020 sanken die Zahlen wieder. Nachdem in der ersten Welle strenge Lockdown-Maßnahmen eingesetzt und diese ab April 2020 schrittweise gelockert wurden, wurden in der zweiten Welle Ende des Jahres 2020 zeitlich begrenzte, „smarte“ Lockdown-Maßnahmen eingesetzt (IMF 2.7.2021). Dabei wurden lokale Lockdowns in Gegenden eingesetzt, wo Ausbrüche festgestellt worden waren (BS 25.2.2022). Auch in der dritten Welle im März und April 2021 wurde so verfahren. Im Mai 2021 wurden die Maßnahmen aufgrund der Eid-Feiern verstärkt, Ende dieses Monats wurden die Restriktionen zu einem großen Teil wieder gelockert (IMF 2.7.2021). Mit 16.3.2022 wurden alle Maßnahmen aufgehoben (WSTO 16.3.2022).
Insgesamt wurden in Pakistan mit Stand 21.3.2022 1.522.191 Fälle COVID-19-Infektionen und 30.331 damit verbundene Todesfälle festgestellt (JHU 21.3.2022).
Im Allgemeinen kam Pakistan besser durch die COVID-19-Pandemie als seine Nachbarländer. Im März 2021 hatte die Regierung allerdings noch kein Budget für den Kauf von Impfstoffen veranschlagt und sich anscheinend in erster Linie auf die Spenden von Impfstoffen durch China und andere Länder verlassen (BS 25.2.2022).
Die Impfkampagne wird von der COVAX, der Weltbank und der Asian Development Bank unterstützt (IMF 2.7.2021). Mit Stand 21.3.2022 sind laut offiziellen Angaben des zuständigen National Command and Operation Center (NCOC) 101.881.176 Menschen vollständig immunisiert worden und 4.869.245 Menschen haben zusätzlich eine Booster-Impfung erhalten. Insgesamt wurden 219.368.557 Dosen verimpft (NCOC 21.3.2022).
Am 24.3.2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung; Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Unterstützungsleistungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wurde auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das „COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program“ (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden. Maßnahmen der pakistansichen Staatsbank inkludierten u.a. Refinanzierungen zur Unterstützung von Krankenhäusern, stimulierende Investitionen und Lockerung der Zinsen und Vorgaben für Privatkredite (IMF 2.7.2021) [Zu Wirtschaftsdaten, sozialen Folgen und Maßnahmen siehe Kapitel Versorgungslage].
[…]
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.04.2022
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 20.4.2022). Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes, die ehemaligen Federally Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Bundesverwaltung und Provincially Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Provinzverwaltung, wurden nach einer Verfassungsänderung 2018 in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert und damit die nationalen und verfassungsmäßigen Rechte auf dieses Gebiet ausgedehnt (ICG 14.2.2022). Pakistan kontrolliert außerdem die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu und Kaschmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 20.4.2022).
Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik (USDOS 12.4.2022). Es werden regelmäßig Wahlen im Wettbewerb eines Mehrparteiensystems abgehalten (FH 3.3.2021). Die Nationalversammlung besteht aus 342 Abgeordneten, die für fünf Jahre gewählt werden. Zehn der Sitze sind für Nicht-Muslime reserviert, 60 für Frauen. Der Senat hat 100 Mitglieder. Der Premierminister wird für fünf Jahre durch die Nationalversammlung gewählt (EB 22.4.2022). Der Präsident hat eher symbolische Funktionen und wird ebenfalls für fünf Jahre durch ein Wahlkollegium aus den beiden Häuser des Parlaments und den Provinzversammlungen gewählt (FH 4.2022; vgl. EB 22.4.2022).
Trotz der Existenz formaler demokratischer Institutionen übt das mächtige militärische Establishment de facto einen starken Einfluss aus. Dies hemmt die Entwicklung der demokratischen Institutionen. Eine lange Reihe an politischen Domänen wird dem Militär überlassen - von der Außenpolitik bis zum Management von Infrastrukturprojekten. Dem Militär wird auch immer wieder vorgeworfen, sich in den Wahlprozess einzumischen (BS 25.2.2022; vgl. FH 3.3.2021). Auch Gruppen, die ökonomische Eliten vertreten, haben oft enge Verbindungen zum Staat. Ebenso profitieren religiöse Gruppen vom Zurückgreifen des Staates auf den Islam als ideologische Legitimation. Zwar gab es Fortschritte in einigen Bereichen, doch vieles in der Politik des Landes ist weiterhin an klientelistischen Diensten orientiert und durch traditionelle Eliten aus den vermögenden Klassen dominiert (BS 25.2.2022).
Die Verstrickung des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Premierministers Nawaz Sharif der Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) und seiner Familie in ein System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche wurde durch internationale Ermittlungen von Journalisten, den "Panama Papers", aufgedeckt. Dies führte zur Amtsenthebung durch den Supreme Court und zu einer Verurteilung (ICIJ 3.4.2021). Bei den folgenden Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während Beobachter der EU einerseits einen gut durchgeführten und transparenten Wahlprozess, doch eine manchmal problematische Auszählung feststellten, äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien andererseits Bedenken hinsichtlich Einflussnahmen sowie Einschränkungen der Redefreiheit im Vorfeld der Wahlen, was demnach zu ungleichen Wahlbedingungen geführt hat (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 4.2022). So dokumentierten Beobachter konzertierte Anstrengungen von Teilen des militärischen und richterlichen Establishments, die PML-N zu behindern. Dies inkludierte Strafverfahren u.a. in Bezug auf Korruption und Terrorismus gegen Mitglieder der PML-N und die Ablehnung von Entlassungen gegen Kaution bis nach den Wahlen. Außerdem berichteten Beobachter von Druck und Einflussnahme auf die Medien durch den Sicherheitsapparat, der zu einer gedämpften Berichterstattung über den Wahlkampf der PML-N führte (FH 4.2022). Zudem wurde die Wahl von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen überschattet (EASO 10.2021).
Mit dem Wahlkampfthema der Korruptionsbekämpfung gelang Imran Kahn mit der PTI der Wahlsieg. Doch anstatt rechtliche Grundlagen für eine Rechenschaftspflicht der Regierenden zu stellen, konzentrierte sich die Korruptionsbekämpfung rein auf die vorangegangenen Regierungsparteien Pakistan People’s Party (PPP) und PML-N bzw. die sie dominierenden Familiendynastien (Diplomat 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021). Die Korruptionsermittlungen gegen führende Mitglieder und Parlamentarier der großen Oppositionsparteien und der Unwillen, mit ihnen zu kooperieren, und sie in die Gesetzgebung miteinzubeziehen, führten zu einer Hemmung der Arbeit des Parlaments (Dawn 17.3.2022). Die dadurch entstandene starke politische Polarisierung wirkte als Hindernis für die Umsetzung von politischen Programmen. Sie war einer der Gründe, warum die PTI-Regierung hauptsächlich auf den Erlass von Präsidialdekreten zurückgriff, um ihre Politik umzusetzen. Außerdem haben die föderale und die Provinzregierungen in unterschiedlichen Politikdomänen Kompetenzen; und die Provinzregierung des Sindh wird von der Oppositionspartei PPP gestellt. Die starke politische Polarisierung erhöhte den Einfluss des militärischen Establishments weiter, das bereits durch die zentrale Rolle, die es in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einnahm, seinen Einfluss vergrößern konnte (BS 25.2.2022).
Gleichzeitig war die PTI-Regierung in der Umsetzung ihrer Politik durch dieselben Hindernisse gehemmt wie frühere Regierungen. Der Großteil der Abgeordneten der PTI setzt sich aus den traditionellen politischen und ökonomischen Eliten zusammen, die als Hemmschuh für jede Politik agieren, die ihre Interessen gefährden könnte. Querelen innerhalb der Partei führten zu einigen Wechseln im Kabinett und zu einem Mangel an Umsetzung auch an finalisierten Programmen (BS 25.2.2022). Im Oktober 2021 wurden zudem Verstrickungen von Mitgliedern bzw. Geldgebern des PTI-Kabinetts sowie hoher Militärs in illegale Geldgeschäfte durch die internationalen Ermittlungen der "Pandora Papers" aufgedeckt (Diplomat 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021).
Bereits im Oktober 2020 hatte sich eine Allianz aus elf Oppositionsparteien unter dem Namen Pakistan Democratic Movement formiert (BS 25.2.2022; vgl. FH 4.2022). Im März 2022 kam es zu gewalttätigen Protesten von Anhängern und Abgeordneten der Regierungspartei PTI gegen abtrünnige Abgeordnete derselben Partei, die in Interviews angedeutet hatten, einen geplanten Misstrauensantrag der vereinten Opposition gegen Premierminister Khan unterstützen zu wollen. Die Protestierenden versuchten, das "Sindh House", die Vertretung des Sindh in Islamabad, wo sich die Abgeordneten aufhielten, zu stürmen (Geo News 18.3.2022). Zuvor hatten zwei Minister Gewalt andeutende Drohungen gegen Abgeordnete ausgesprochen (HRW 16.3.2022).
Das für 3. April 2022 angesetzte Misstrauensvotum wurde durch den stellvertretenden Parlamentssprecher mit Verweis auf Artikel 5 der Verfassung, wonach alle Bürger dem Staat gegenüber zur Loyalität verpflichtet sind, untersagt. Im Vorfeld hatte der Premierminister die Behauptung aufgestellt, das Misstrauensvotum sei von den USA zu seinem Sturz initiiert und damit die Einflussnahme eines fremden Staates (TNT 3.4.2022a). Mit diesem Argument bat er auch den Präsidenten um Auflösung der Nationalversammlung. Dieser kam der Forderung nach und kündigte gleichzeitig Neuwahlen an (TNT 3.4.2022b; vgl. Zeit-Online 3.4.2022). Der von der Opposition angerufene Supreme Court erklärte vier Tage später dieses Vorgehen allerdings für verfassungswidrig und ordnete die Wiedereinsetzung der Nationalversammlung sowie der Abstimmung an (TNT 7.4.2022).
Premierminister Imran Kahn wurde im Misstrauensvotum abgesetzt, Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der PML-N, schließlich von der Nationalversammlung zum neuen Premierminister gewählt (Zeit-Online 11.4.2022). Aus Protest zog der abgesetzte Premierminister Khan sich sowie seine Partei aus der Nationalversammlung zurück. 123 der PTI-Abgeordneten folgten seinem Aufruf zum Rücktritt aus der Nationalversammlung, den 31 verbliebenen sprach er das Recht ab, als Opposition in der Nationalversammlung unter dem Namen der PTI aufzutreten (TNT 14.4.2022). Nach der Absetzung initiierte die PTI eine andauernde, landesweite Kampagne von Protesten und Demonstrationen (Dawn 20.4.2022). Die Situation ist angespannt. Der ehemalige Premierminister mobilisiert seine Anhänger gegen die neue Regierung und drängt auf vorgezogene Wahlen. Er wirft der neuen Regierung vor, vom Ausland eingesetzt worden zu sein (VB 21.4.2022).
Im Jahr 2021 war Pakistan außerdem durch religiös motivierte, gewalttätige politische Proteste der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP) und ihrer Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften gezeichnet, bei denen mindestens 24 Menschen - darunter 10 Polizisten - getötet wurden (PIPS 4.1.2022). Hintergrund waren vorangegangene Proteste Tausender TLP-Unterstützer im Zuge der Aussagen des französischen Präsidenten in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich aus dem Jahr 2020. Nach der Verhaftung des Anführers der TLP im April 2021 brachen schließlich nochmals mehrtägige, landesweite Proteste aus. Dabei kam es u.a. am 18. April 2021 zu Ausschreitungen in Lahore, Punjab, bei denen TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021; vgl. OF 15.9.2021). Die Regierung verbot die TLP und verhaftete Hunderte Anhänger, doch die Proteste und gewalttätigen Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften setzten sich fort. Sie wurden nach mehreren Verhandlungen und der Einstellung von Anzeigen beendet (OF 15.9.2021). Die Regierung gab dem Druck der Gruppe nach, ließ den Anführer frei und hob das Verbot auf. Dies verdeutlicht auch die Gefahr, die von extremistischen Gruppen für den Staat ausgeht (PIPS 4.1.2022). Die TLP, eine Bewegung der sunnitischen Barlevi, hat sich in der Vergangenheit u.a. über die Verfolgung von Blasphemiefällen zu einer Massenbewegung entwickelt (OF 15.9.2021).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.03.2022
Allgemeine Entwicklung
Es zeigte sich in Pakistan mit Ausnahme des Jahres 2013 ein kontinuierlicher Rückgang der Anschläge von Jahr zu Jahr von 2009 bis ins Jahr 2020. Für das Jahr 2020 konnte nochmals ein deutlicher Rückgang der Terroranschläge im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. Die kontinuierlichen Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte und polizeilichen Anti-Terrorabteilungen, darunter die groß angelegten Militäroperationen Zarb-e-Azb, Khyber I-IV und Raddul Fasaad, sowie einige Anti-Extremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) haben dazu beigetragen (PIPS 15.6.2021).
Die Operation Zarb-e-Azb 2014 war in erster Linie auf die Provinz Khyber Pakhtunkhwa und die damaligen FATA ausgerichtet, um Terrorgruppen in Nord-Waziristan zu bekämpfen. Aus den meisten Gebieten konnten die Militanten vertrieben werden, mit Ausnahme einiger weniger Rückzugsorte und Schläferzellen. Unter den Militäroperationen litt allerdings auch die Zivilbevölkerung vor Ort, eine hohe Anzahl an Personen wurde zu intern Vertriebenen. Die darauffolgende Operation Raddul Fasaad 2017 involviert auch zivile Einsatzkräfte, wie die Polizei, und konzentrierte sich auf geheimdienstliche Operationen im gesamten Land, um Schläferzellen und Verstecke Militanter zu finden. Sie zielte darauf ab, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb zu konsolidieren (EASO 10.2021).
Der NAP wurde nach dem Anschlag auf die Army Public School im Dezember 2014 mit dem Ziel eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP erzielten seither unterschiedliche Erfolge. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen. Durch die Militäroperationen wurde die Fähigkeit der Militanten zur Ausführung größerer Angriffe reduziert. Auch wurden signifikante Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung unternommen, wie Verbote von Organisationen, Sanktionen von Einzelpersonen und Einfrieren von Bankkonten (FES 12.2020).
Bei der Bekämpfung des Extremismus hat der NAP allerdings den Anzeichen nach nur geringe Erfolge erzielt. Extremistische Literatur ist online und offline in Fülle vorhanden, sektiererische Extremisten hielten in mehreren Städten Kundgebungen ab, und die Verherrlichung von Terroristen und ihrer Taten hält an. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan, wie im NAP festgehalten, wurde nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020). Es gibt wenig Fortschritte bei der Regulierung von Madrassen oder des Internets, um dem Extremismus entgegenzutreten. Bei der Umsetzung des NAP wurde auf die nicht den Sicherheitsapparat betreffenden Maßnahmen nur sehr wenig Aufmerksamkeit gelegt (PIPS 15.6.2021b). Die Einsätze gegen die Terroristen haben diese zwar geschwächt. Doch die Dynamiken des religiösen Extremismus bleiben bestehen und bieten einen Nährboden für die Netzwerke der terroristischen Gruppen, die in den Militäroperationen nicht vollständig eliminiert werden konnten (PIPS 4.1.2022). Ab Mitte 2020 kam es zu einem Wiederaufleben jihadistischer militanter Gruppen und sektiererischer Extremisten in Gebieten wie Nord-Waziristan und Bajaur in Khyber Pakhtunkhwa (FES 12.2020). So begannen einige Gruppen eine Neuformierung in Teilen des Landes (PIPS 15.6.2021b). Der Regimewechsel in Afghanistan hat diese Gruppen weiter ermutigt. Dies zeigt sich in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan und sporadisch auch in Karatschi und Punjab (PIPS 4.1.2022).
Trendumkehr in den Anschlagszahlen 2021 und Reaktion der Sicherheitskräfte
Das Jahr 2021 war von einem 42-prozentigen Anstieg der Anschläge im Vergleich zum Jahr 2020 auf 207 Terrorakte gezeichnet. Diese forderten zusammen 335 Menschenleben, ein Anstieg von 52 Prozent, wobei 32 der Todesopfer Terroristen waren. Verletzt wurden 555 Menschen (PIPS 4.1.2022).
Hauptsächlich resultiert der Anstieg zum einen aus einer Steigerung der Anschläge der pakistanischen Taliban (Tehrik-e Taliban Pakistan / TTP) in Khyber Pakhtunkhwa und der belutschischen Terrorgruppen in Belutschistan sowie zum anderen aus der Entwicklung des sogenannten Islamischen Staates Khorasan Province (ISKP) hin zu einem Hauptakteur terroristischer Gewalt in Pakistan. Die Auseinandersetzung zwischen dem ISKP und den Taliban hat damit auch pakistanischen Boden erreicht, wo der ISKP einige Anschläge in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan gegen angebliche afghanische Taliban oder mit diesen verbundenen Klerikern durchgeführt hat (PIPS 4.1.2022).
Von der Gesamtzahl der Terroranschläge wurden so auch 128 - im Vergleich zu 95 des Vorjahres - von islamistisch motivierten Terrorgruppen, also den TTP, dem ISKP oder lokalen Taliban-Gruppen, verübt. Verschiedene belutschische und Sindhi-nationalistische Gruppierungen verübten 44 Anschläge mit 97 Toten (PIPS 4.1.2022).
Begründet liegt der Anstieg der Terroranschläge nach Ansicht von PIPS auch in den Entwicklungen in Afghanistan. Trotz gegenteiliger Versprechungen ziehen die afghanischen Taliban nicht ernsthaft in Erwägung, gegen die pakistanischen Taliban auf afghanischem Gebiet vorzugehen. Sie haben Gespräche zwischen der pakistanischen Regierung und den TTP vermittelt, doch diese haben mit Stand Anfang des Jahres 2022 keine dauerhaften Ergebnisse erzielt (PIPS 4.1.2022).
Auf den Anstieg der terroristischen Gewalt reagierten die Streitkräfte mit geheimdienstlichen Operationen, der Fortführung der Operation Raddul Fasaad und der Stationierung regulärer Armeetruppen in den Grenzregionen anstatt des paramilitärischen Frontier Corps (EASO 10.2021). Die Sicherheitskräfte führten 2021 63 operative Schläge gegen Terrorgruppen durch, bei denen 197 Personen getötet wurden. In sechs Fällen gab es direkte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Militanten, bei denen 15 Personen getötet wurden, 156 Verdächtige wurden bei Suchoperationen festgenommen (PIPS 4.1.2022).
Die NGO Center for Research and Security Studies (CRSS) zählt für das Jahr 2021 403 Terrorakte mit 555 Toten, davon 330 Zivilisten, sowie 146 Sicherheitsoperationen, bei denen 298 mutmaßliche Terroristen getötet wurden (CRSS 3.1.2022).
Regionale Konzentration der Anschlagszahlen
Regional aufgeschlüsselt fanden 2021 die meisten Anschläge, konkret 111, in Khyber Pakhtunkhwa statt. Hier konzentrierte sich wiederum, wie seit Jahren, die terroristische Gewalt in den beiden Agencies Nord- und Süd-Waziristan. Belutschistan war mit 81 Anschlägen am zweitstärksten betroffen. Acht Anschläge wurden im Sindh verübt, fünf im Punjab. Zwei terroristische Anschläge wurden in Islamabad verzeichnet, dabei töteten die TTP insgesamt drei Polizisten (PIPS 4.1.2022). CRSS zählte beinahe 75 Prozent aller Todesopfer der von ihm erfassten sicherheitsrelevanten Gewalt in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan [Anm.: dies ist nicht auf die Terroranschläge aufgeschlüsselt] (CRSS 3.1.2022).
Im Jahr 2020 betrafen 83 Prozent aller Anschläge die beiden Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa zusammengenommen (PIPS 15.6.2021).
Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und KP konzentriert bleibt. Auch der Anstieg der terroristischen Gewalt 2021 geht auf einen Anstieg in diesen beiden Provinzen zurück. 93 Prozent der gesamten Anschläge dieses Jahres in Pakistan trafen zusammengenommen diese beiden Provinzen. Punjab und Sindh verzeichneten hingegen auch 2021 einen Rückgang der Anschlagszahlen. Während aber der Sindh auch einen Rückgang der Todesopfer vermelden konnte, stieg die Zahl der Todesopfer im Punjab an (PIPS 4.1.2022).
Hauptsächliche Zielsetzungen und Mittel der Anschläge
66 Prozent der Anschläge zielten 2021 gegen die Sicherheitskräfte. Dementsprechend waren 177 der 335 Todesopfer Mitglieder der Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden. 16 Anschläge richteten sich direkt gegen zivile Ziele, neun Anschläge gegen regierungsfreundliche Stammesführer oder Mitglieder von Friedenskomitees, sieben gegen politische Führer bzw. politisch Tätige und sieben gegen Einrichtungen oder Personal der Regierung. Zwei konfessionell motivierte Anschläge wurden durchgeführt - im Vergleich zu sieben 2020, sie forderten zwei Menschenleben (PIPS 4.1.2022).
PIPS berichtet, dass sich auch im Jahr 2020 der Großteil der Anschläge gegen Sicherheitskräfte gerichtet hatte, gefolgt von allgemeinen zivilen Zielen, regierungsfreundlichen Stammesältesten, politischen Führern sowie Mitarbeitern und Schiiten (PIPS 15.6.2021).
80 der Anschläge verübten Terroristen 2021 mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs), 102 mit Schusswaffen (PIPS 4.1.2022). Diese Wahl der Mittel entspricht jener im Jahr 2020 (vgl. PIPS 15.6.2021).
Entwicklung 2022
Im Jänner 2022 zählte PIPS 24 Terroranschläge mit 35 Toten, davon 24 Sicherheitskräfte und acht Zivilisten. Sechs operative Schläge wurden durch die Sicherheitskräfte durchgeführt. Jeweils ein Terroranschlag wurde in den Städten Lahore, Rawalpindi (beide Punjab) und Islamabad verübt. In Lahore und Islamabad wurden dabei jeweils drei Personen getötet, in Rawalpindi eine. Im Sindh wurde ein Terroranschlag verübt, konkret in der Provinzhauptstadt Karachi, es gab keine Todesopfer. In KP wurden 15 Anschläge in sieben Distrikten durchgeführt, alle durch die TTP oder ähnliche Gruppierungen. Fünf der Anschläge betrafen Nord-Waziristan. Zwei Drittel aller Anschläge richtete sich gegen Sicherheitskräfte. In Belutschistan wurden 15 Tote bei 5 Anschlägen dokumentiert. Alle wurden durch belutschische nationalistische Gruppen durchgeführt, drei der Anschläge richteten sich gegen Sicherheitskräfte (PIPS 10.2.2022).
Im Feber 2022 starben laut den Aufzeichnungen von PIPS 38 Menschen bei 13 Anschlägen, die allesamt in Belutschistan und KP durchgeführt wurden. Drei der Toten waren Zivilisten, 12 Sicherheitskräfte und 23 Terroristen. In Belutschistan starben 31 Menschen bei acht Anschlägen. 17 der Toten waren Terroristen, die großteils durch Abwehrfeuer starben, drei Zivilisten und zwei Sicherheitskräfte. In KP starben sieben Personen, davon 6 Terroristen, in fünf Anschlägen. Die Anschläge gingen damit in KP um 67 Prozent zum Vormonat zurück (PIPS 4.3.2022).
Weitere Aspekte sicherheitsrelevanter Gewalt
Es zeigt sich, dass der religiöse Extremismus, auch abseits der Terrorgruppen, eine große Herausforderung darstellt. Zum einen ist dies in den Gewalttaten von aufgestachelten Menschenmengen, sogenannten Mobs, erkennbar - 2021 wurden sieben religiös motivierte Vorfälle von Mob-Gewalt verzeichnet, bei denen zwei Menschen getötet wurden [siehe Kap. Religionsfreiheit]. Zum anderen manifestiert sich dies in den gewalttätigen Protesten der politisch-religiösen Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP), bei denen hauptsächlich in den Städten des Punjab 24 Menschen ums Leben kamen, 10 davon Polizisten (PIPS 4.1.2022).
Insgesamt zeichnete PIPS für das Jahr 2021 326 gewalttätige, sicherheitsrelevante Vorfälle auf, neben den Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen, Mob-Gewalt und Zusammenstößen zwischen Polizei und TLP-Demonstranten, waren darunter fünf Vorfälle ethnopolitischer Gewalt, eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Stämmen und eine zwischen militanten Gruppen sowie 23 Auseinandersetzungen an den Grenzen zu Afghanistan, Indien und Iran. Insgesamt wurden bei all diesen von PIPS erfassten Vorfällen 609 Personen getötet (PIPS 4.1.2022).
Im Feber 2021 verständigten sich Indien und Pakistan darauf, das Waffenstillstandsübereinkommen von 2003 an der zwischen dem indischen und dem pakistanischen verwalteten Teil Kaschmirs liegenden Grenze, der Line of Control, verstärkt einzuhalten. Die Zahl der Übergriffe an dieser Grenze ging 2021 stark zurück (PIPS 4.1.2022).
Im Nordwesten Pakistan wurde 2017 mit dem Bau eines Grenzzaunes entlang der 2.611 km langen „Durand-Linie“ genannten Grenze zu Afghanistan begonnen. Dies soll den Bewegungen von Militanten und Schmugglern sowie illegalen Grenzübertritten Einhalt gebieten. Anfang Juli 2021 war laut pakistanischen Angaben der Bau des Zauns auf über 90 Prozent der Strecke abgeschlossen (AP 13.7.2021). Der Bau des Grenzzauns wird allerdings vom nunmehrigen Taliban-Regime in Afghanistan zurückgewiesen, insbesondere aufgrund des Verlaufs an der Durand-Linie, auf deren definitive Grenzsetzung Pakistan aus Sicht der Taliban keinen rechtlichen Anspruch hat (PIPS 4.1.2022; vgl. Dawn 14.1.2022). Im Jänner 2022 sicherte Pakistan zu, die verbliebenen 21 Kilometer Grenzzaun in diplomatischer Übereinkunft mit Afghanistan errichten zu wollen (Dawn 14.1.2022).
Anmerkung: ACLED erfasst sicherheitsrelevante Vorfälle unter Verwendung festgelegter Kriterien und Methodologien mittels Medienbeobachtung. Sind die Angaben zu den Todesopfern in den Quellen ungenau (z.B. „zahlreiche Tote“) oder unbekannt, so codiert ACLED automatisch zehn Todesopfer - oder drei Todesopfer, sofern bekannt ist, dass es sich um weniger als zehn Todesopfer handelt (ACLED 2020).
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Relevante Terrorgruppen
Letzte Änderung: 23.03.2022
Folgend ein Auszug relevanter extremistischer Gruppen:
Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP, auch pakistanische Taliban genannt, ist der Hauptproponent militanter Gewalt in Pakistan (PIPS 4.1.2022). Sie ist eine Dachorganisation aus ungefähr 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen. 2008 wurde sie durch Pakistan verboten. Ihre ursprüngliche Basis befand sich in der damaligen Agency Süd-Waziristan. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren unter anderem die Umsetzung der Scharia in Pakistan, die Zurückdrängung des pakistanischen Militärs aus den damaligen FATA, ein „defensiver Jihad“ gegen das pakistanische Heer und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die Gruppe richtet ihre Aktivitäten allerdings nicht gegen Afghanistan, sondern konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (CEP o.D; vgl. EASO 10.2021).
Ausgehend von der 2014 begonnenen Militäroperation Zarb-e-Azb in Nord-Waziristan wurde die TTP aus Pakistan verdrängt. Man geht davon aus, dass die Basen der verschiedenen Gruppen der pakistanischen Taliban seitdem in den afghanischen Provinzen Nangarhar, Khost und Kunar liegen (PIPS 15.6.2021b; vgl. EASO 10.2021). Seit dem Sommer 2020 gibt es Berichte über eine Re-Gruppierung der TTP und ein stilles Comeback in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan. Die Wiedervereinigung mit Splittergruppen stärkte die TTP (EASO 10.2021). Die beiden Splittergruppen Jamaat-ul Ahrar und Hizbul Ahrar erklärten im August 2020 ihre Rückkehr in die Struktur der TTP. Militante bzw. Splittergruppen der Hakimullah Mehsud Gruppe, der Lashkar-e-Jhangvi und derAl-Quaeda im Subkontinent sollen sich ebenfalls der TTP angeschlossen haben. Die Einigung der Gruppen wird auf die Bemühungen des TTP Anführers Mufti Noor Wali Mehsud sowie die Entwicklungen in Afghanistan zurückgeführt. Die Bemühungen zur Neuformierung in Pakistan sind allerdings nur teilweise erfolgreich, da die Sicherheitskräfte weiterhin sogenannte Search-and-Hunt-Operationen durchführen, die sich hauptsächlich gegen die TTP richten (PIPS 15.6.2021). Der Regimewechsel in Afghanistan bestärkte andererseits die terroristischen Gruppen (PIPS 4.1.2022). Das Taliban-Regime entließ viele Gefangene in die Freiheit, darunter auch TTP-Mitglieder (CEP o.D)
Im Jahr 2020 wurden ihr 46 Terroranschläge zugerechnet, davon 40 in Khyber Pakhtunkhwa, drei im Punjab, zwei in Belutschistan und einer in Karatschi. Neben Anschlägen führte sie im Jahr 2020 auch 11 Grenzangriffe aus Afghanistan durch (PIPS 15.6.2021). Im Jahr 2021 hat die TTP 84 Prozent mehr Anschläge verübt - nämlich auf 87, 78 davon in Khyber Pakhtunkhwa. Auch wenn sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf die Stammesgebiete konzentrieren, verübte sie auch einige Anschläge in Belutschistan, Punjab und Islamabad. Trotz Versprechungen ziehen die afghanischen Taliban nicht ernsthaft in Erwägung, gegen die pakistanischen Taliban auf afghanischem Gebiet vorzugehen. Sie haben Gespräche zwischen der pakistanischen Regierung und den TTP vermittelt. Die Regierung führte in den Jahren 2020 und 2021 mehrere Friedensgespräche mit den Taliban (PIPS 4.1.2022).
Neben Schmuggel und der Finanzierung durch Geldgeber füllen die Taliban ihre finanziellen Ressourcen mit Entführungen und Erpressungen in ihren regionalen Einflusssphären auf (CEP o.D.).
Daesh, Islamic State Khorasan Province (ISKP): Der sogenannte Islamische Staat (IS) sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor. Die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken konzipierte er als Provinz Khorasan (Wilayat Khorasan) (EASO 10.2021). 2015 erklärte der IS die Formierung eines eigenen Zweiges für diese Region. Dieser IS - Khorasan Province (ISKP) entwickelte sich um ein Epizentrum in Afghanistan, Nord-West Pakistan und Belutschistan und konnte zwischen 2015 und 2019 22 Anschläge in Pakistan für sich beanspruchen. Der pakistanische Staat führte zahlreiche Sicherheitsoperationen gegen den ISKP durch, in denen auch viele Führungspersonen ausgeschaltet wurden. Im Jahr 2020 zeigte der ISKP in Pakistan eine minimale Präsenz, er verübte zwei Anschläge mit 24 Todesopfern. Laut Analyse von PIPS ist die Gruppe in Pakistan bis ins Jahr 2020 stark dezimiert geworden und nach Afghanistan geflohen. Die Gruppe verfügt jedoch über enge Netzwerke zu anderen Jihadisten-Gruppen (PIPS 15.6.2021). 2021 konnte die Gruppe ihre Anschlagszahl erhöhen. Sie führte acht Anschläge durch, sieben in KP und einen in Belutschistan. Insgesamt 21 Todesopfer sind darauf zurückzuführen, darunter 11 Minenarbeiter der schiitischen Hazara-Minderheit (PIPS 4.1.2022). Ein Großanschlag auf eine schiitische Moschee am 4.3.2022 in Peschawar mit 56 Toten geht ebenfalls auf den IS zurück (AP 5.3.2022).
Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine konfessionell motivierte Terrorgruppe der Deobandi-Strömung des Sunnismus. Sie wurde gegründet, um Schiiten anzugreifen, dementsprechend richtet sich ihre Gewalt größtenteils gegen Schiiten. Die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Sie wurde 2001 in Pakistan verboten. Viele ihrer Führer wurden im Zuge der Militäroperationen getötet oder gefangen genommen, und sie hat in den letzten Jahren kontinuierlich an operativer Stärke verloren (EASO 10.2021). Laut den Aufzeichnungen von PIPS war LeJ im Jahr 2020 für einen Anschlag in Pakistan - in Karatschi - verantwortlich, verglichen mit acht im Jahr 2019. Die Sicherheitskräfte verhafteten in mehreren Operationen der Führer- oder Mitgliedschaft verdächtigte Personen (PIPS 15.6.2021). Auch 2021 wurden einige Operationen gegen die Gruppe und Verhaftungen durchgeführt (PIPS 4.1.2022).
Militante nationalistische Gruppierungen in Belutschistan: Die Baloch Liberation Front (BLF) ist vor allem im sogenannten Makran-Gürtel aktiv, sie hat ihre Basen in den zentralen und südwestlichen Distrikten Belutschistans. Im Jahr 2010 wurde die Gruppe verboten, ihre Führung zog sich in Nachbarländer zurück, was sich negativ auf ihre operativen Fähigkeiten ausgewirkt hat. Die Balochistan Liberation Army (BLA) ist eine bewaffnete nationalistische Bewegung der Belutschen. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Belutschistan, frei von pakistanischer und iranischer Herrschaft. Sie wurde 2006 in Pakistan verboten (EASO 10.2021; vgl. CEP o.D).
Laut PIPS-Jahresbericht waren 2020 etwa sechs belutschische nationalistische Bewegungen aktiv. Diese führten insgesamt 34 Anschlägen durch, weniger als im Jahr davor, doch waren darunter vermehrt Anschläge mit hoher Schlagkraft („high-impact“). Die Mehrheit der Anschläge ging auf die zwei wichtigsten belutschischen Terrorgruppen zurück, die BLA und die BLF. Die BLA verübte demnach 2020 17 Anschläge in Belutschistan sowie jeweils einen im Punjab und im Sindh, Hier wird ersichtlich, dass belutschische Rebellen versuchen, ihr Operationsfeld auszudehnen. Auf die BLF führt PIPS 2020 fünf Anschläge mit 10 Todesopfern zurück, allesamt im Distrikt Kech in Belutschistan. Weitere Gruppen, die Anschläge in Belutschistan durchführten, waren die Baloch Republican Army (BRA) auch Bugti Militia genannt; die Lashkar-e-Balochistan; die United Baloch Army (UBA); und die BRAS, eine Allianz aus BLA, BLF und Baloch Republican Guard (PIPS 15.6.2021).
Auch im Jahr 2021 waren BLA und BLF die Hauptakteure ethnonationalistischer Gewalt. Beide Gruppen zusammen führten 63 Anschläge 2021 durch, ein signifikanter Anstieg zu den 24 des Vorjahres. Zusammen waren sie damit für 85 Prozent aller durch belutschische Gruppierungen durchgeführte Anschläge verantwortlich. 60 der Anschläge ereigneten sich in Belutschistan, drei in Karachi, im Sindh. Überwiegend waren die Opfer Sicherheitskräfte. Drei weitere belutschische Gruppen waren 2021 aktiv, die BRA, die UBA und die Baloch Republican Guard (PIPS 4.1.2022).
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Punjab und Islamabad
Letzte Änderung: 23.03.2022
Punjab
Die Provinz Punjab ist in 36 Distrikte unterteilt und beherbergt laut dem letzten Zensus von 2017 eine Einwohnerzahl von beinahe 110 Millionen. Punjab ist damit die am stärksten besiedelte Provinz, flächenmäßig ist sie die zweitgrößte (EASO 10.2021; vgl. PBS o.D.).
Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa konzentriert bleibt, doch auch Sindh und Punjab sporadisch trifft. Auch wenn der Punjab im Jahr 2021 wiederum einen Rückgang der Anschlagszahlen verzeichnete, stieg die Zahl der Todesopfer an (PIPS 4.1.2022).
So fanden im Jahr 2020 im Punjab sieben Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von einer belutschischen Gruppe, der BLA, im Süden des Punjab verübt wurde, betrafen alle Anschläge im Punjab Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich ihrer wieder mit ihr vereinten Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizb-ul Ahrar verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und forderte zwei Menschenleben. Im Punjab wurden 2020 zwei operative Gegenschläge der Sicherheitskräfte durchgeführt und es kam zweimal zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militanten (PIPS 15.6.2021).
Im Jahr 2021 war der Punjab von 5 Terroranschlägen betroffen, die insgesamt 14 Menschenleben forderten. Davon wurden zwei Anschläge wieder durch die TTP in Rawalpindi, bei dem zwei Personen ums Leben kamen, durchgeführt. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und richtete sich gegen Schiiten während einer Ashura Prozession. Er forderte 2 Menschenleben. Ein Anschlag mit sechs Toten dürfte der Amoklauf eines religiösen Einzeltäters gewesen sein, bei einem weiteren Anschlag ist die Motivation unbekannt. 2021 wurde ein operativer Einsatz der Sicherheitskräfte durchgeführt (PIPS 4.1.2022).
Außerdem kam es 2020 im Punjab zu zwei Vorfällen von gesellschaftlicher religiöser Gewalt, in Form von Übergriffen gewalttätiger Menschenmengen (PIPS 15.6.2021). 2021 wurden fünf solcher Vorfälle von Mob-Gewalt aus religiösen Motiven im Punjab gezählt. Diese kosteten zwei Menschenleben [vgl. Kap. Religionsfreiheit] (PIPS 4.1.2022).
Die politisch-religiöse Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP) zeigt in Protesten auch immer wieder ihre gewalttätige Seite. Diese fanden hauptsächlich in den Städten des Punjab statt. 24 Menschen kamen dabei ums Leben, 10 davon Polizisten. Dass die Regierung dem Druck dieser Gruppe auf der Straße nachgab und ihren Anführer aus der Haft freiließ und das zuvor verhängte Verbot der Gruppe aufhob, zeigt auch welche Bedrohung solche extremistischen Bewegungen für das Land darstellen (PIPS 4.1.2022).
Das CRSS registrierte für das Jahr 2021 für den Punjab 66 Tote in sicherheitsrelevanten Vorfällen, wobei hierbei nicht nach Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen oder Mob-Gewalt unterschieden wurde (CRSS 3.1.2022).
Im Jänner 2022 fand jeweils ein Terroranschlag in den Städten Lahore und Rawalpindi im Punjab statt. In Lahore wurden drei Personen getötet, in Rawalpindi eine (PIPS 10.2.2022).
Islamabad
Die pakistanische Hauptstadt ist ethnisch divers und hat auch einen vergleichsweise hohen Anteil an religiösen Minderheiten, indem geschätzt 10 Prozent der Bevölkerung der Stadt nicht Muslime sind. Laut dem letzten Zensus 2017 weist das Hauptstadtterritorium eine Einwohnerzahl von knapp über 2 Millionen auf (EASO 10.2021).
Im Jahr 2020 fand kein Anschlag im Islamabad statt (PIPS 15.6.2021). Im Jahr 2021 war Islamabad von zwei Terroranschlägen betroffen, beide durchgeführt von der TTP, drei Menschenleben fielen diesen zum Opfer (PIPS 4.1.2022). Im Jänner 2022 fand ein Terroranschlag in Islamabad statt, drei Personen wurden getötet (PIPS 10.2.2022).
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Rechtsschutz, Justizwesen
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgangs „Council of Islamic Ideology“ jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).
Der Aufbau des Justizsystems ist in der Verfassung geregelt, die folgende Organe aufzählt: Supreme Court of Pakistan - das pakistanische Höchstgericht, ein Oberstes Gericht in jeder Provinz sowie im Islamabad Capital Territory und anderweitige Gerichte, die durch das Gesetz eingerichtet werden. Die fünf Obersten Gerichte fungieren zum einen als originäres Rechtsprechungsorgan für die Durchsetzung der Grundrechte zum anderen als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von untergeordneten Gerichten und der Spezialgerichte in allen zivilen und strafrechtlichen Angelegenheiten sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen oder diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Es fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood-Verordnungen von 1979, die eine vor allem Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).
Es gilt das Recht auf öffentliche Verhandlungen, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Berufung. Auch gegen Entscheidungen des FSC können Einzelpersonen Berufung bei der „Shariat Appellate Bench“ des Supreme Court einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Supreme Court zugelassen werden kann. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für deren Verurteilung die Todesstrafe droht. Für andere Fälle wird nicht regelmäßig eine rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Ansuchen bei den Gerichten einzureichen (USDOS 30.3.2021).
Die Justiz - vor allem die oberen Gerichte - versucht ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit zu verteidigen und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter starkem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee sowie Beeinflussungen durch die pakistanische Regierung (AA 28.9.2021). So unterliegt die Justiz laut NGOs und Rechtsexperten - obwohl das Gesetz ihre Unabhängigkeit vorsieht - oft externen Einflüssen, wie zum Beispiel der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung bei hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen freizusprechen, da sie Selbstjustiz befürchten. Untere Gerichte unterliegen Berichten zufolge nicht nur dem Druck höherrangiger Richter, sondern auch prominenter, wohlhabender, politischer und religiöser Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021). Anhänger konservativer und extremer Denkschulen des Islams sind bestrebt, mit Druck auf allen Ebenen die Rechtspflege zu beeinflussen (AA 28.9.2021). Gleichzeitig lassen sich in der Strafverfolgung von Korruptionsfällen Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren lässt - etwa wenn Verfahren gegen mehrere wichtige Oppositionsführer verfolgt werden, während bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung herrscht (FH 3.3.2021).
Hinzu kommen Berichte über Korruption im Justizsystem. Untere Gerichte werden als korrupt angesehen, während die oberen Gerichte und der Supreme Court bei der Bevölkerung und den Medien höhere Glaubwürdigkeit genießen. Doch auch hier wird Einflussnahme thematisiert (USDOS 30.3.2021). Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind zudem hochgradig ineffizient. Mangelhafte Ausbildung, Befähigung und Ausstattung großer Teile der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Justizwesens zeigen nachteilige Auswirkungen (AA 28.9.2021). Ein exzessiver Rückstau an Fällen in den unteren und oberen Gerichten führt zu einer Schwächung des Rechts auf wirksame Rechtsmittel und ein faires Verfahren. Antiquierte Prozessregeln, unbesetzte Richterstellen, unzureichende rechtliche Ausbildung und mangelhaftes Fallmanagement führen zu Verzögerungen und damit auch zu langer Untersuchungshaft. Nach offiziellen Angaben waren mit Stand November 2020 mehr als 2 Millionen Verfahren an den Gerichten offen (USDOS 30.3.2021).
Nach Einschätzung des UK Home Office hat der Staat somit zwar ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit auch durch die genannten Probleme begrenzt (UKHO 9.2021). Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Pakistan bekennt sich in seiner Verfassung und auf der Ebene einfacher Gesetze grundsätzlich zur Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Gleichwohl fällt es Pakistan insgesamt angesichts der schwach ausgebildeten rechtsstaatlichen Strukturen und der geringen Verankerung des Rechtsstaatsgedankens in der Gesellschaft schwer, rechtsstaatlichen Entscheidungen und damit auch der Schutzpflicht Geltung zu verschaffen (AA 28.9.2021). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen in der Folge vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst (AA 28.9.2021). Das World Justice Project reiht Pakistan 2021 auf Platz 130 von 139 teilnehmenden Staaten (WJP 14.10.2021).
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Militär- und Anti-Terrorismusgerichte
Letzte Änderung: 23.03.2022
Im Jänner 2015 erließ die Regierung als Reaktion auf einen Terrorangriff auf eine öffentliche Schule des Militärs in Peschawar eine Verfassungsänderung, welche es Militärgerichten erlaubte, bei Terrorverdacht auch gegen Zivilisten zu prozessieren (ICJ 1.4.2019; vgl. AA 28.9.2021). 2019 lief das Mandat dazu aus. Unter dem Armee-Gesetz unterhält das Militär allerdings weiterhin seine eigenen Gerichte, hauptsächlich für das eigene Personal. Jedoch beansprucht die Armee auch das Recht, in ausgewählten Fällen der nationalen Sicherheit Zivilisten - mit Videoaufzeichnung - vor Gericht zu stellen (FH 3.3.2021).
Außerdem spricht die „Khyber Pakhtunkhwa Aktivitäten (in Hilfestellung der zivilen Kräfte) Verordnung“ aus dem Jahr 2019 dem Militär in Khyber Pakhtunkhwa die Befugnis aus, Zivilisten auf unbestimmte Zeit ohne Anklage in Internierungslagern festzuhalten, Besitz zu beschlagnahmen, Operationen durchzuführen und Gefangene zu verurteilen. Schon vor der Verordnung war das Militär in dieser Provinz immun vor Strafverfolgung bei Zivilgerichten. Sie ist es auch weiterhin. Die Verordnung entbindet das Militär von der Verpflichtung, Familien über die Verhaftung von Angehörigen zu informieren. Dadurch können diese die Verhaftung auch nicht vor Zivilgerichten anfechten. Das Oberste Gericht der Provinz erklärte das Gesetz für verfassungswidrig, doch der Supreme Court setzte dieses Urteil aus. Das Militär hält damit weiterhin die Kontrolle über Haftzentren und die Rechtsdurchsetzung in großen Teilen der ehemaligen Federally Administered Tribal Areas (USDOS 30.3.2021).
Die pakistanischen Militärgerichte entsprechen nicht den pakistanischen und internationalen Standards für faire Verfahren. So sind die Richter der Kommandostruktur untergeordnet, es gibt kein Recht auf ein öffentliches Verfahren, auf Berufung vor einem Zivilgericht oder auf eine schriftliche Urteilsverkündung mit Erläuterung der Beweislast (ICJ 2.2.2021).
Parallel dazu bestehen außerdem eigene Anti-Terrorismus Gerichte (Anti Terrorism Courts / ATC) nach dem Anti-Terrorismus Gesetz. Diese sind für Personen zuständig, die terroristischer Aktivitäten oder konfessionell motivierter Gewalt verdächtigt werden (USDOS 30.3.2021). Sie räumen Angeklagten nur unzureichende Rechte ein (AA 28.9.2021). Oft werden diese Gerichte auch in Fällen herangezogen, die keinen Bezug zu Terrorismus aufweisen, unter anderem für Blasphemievorwürfe oder andere Handlungen, die als Anstiftung zu religiösem Hass beurteilt werden, aber auch für Fälle mit hoher öffentlicher Aufmerksamkeit. Dies führt zu einem deutlichen Rückstau an Fällen und zur Nichteinhaltung von Standards für ein zügiges Verfahren, wenngleich dieses Gerichtssystem dennoch zügiger arbeitet als das reguläre. Menschenrechtsaktivisten kritisieren das parallele System und bezeichnen es als anfälliger für politische Manipulation (USDOS 30.3.2021). So wurden auch bereits Menschenrechtsaktivisten und Journalisten nach dem Anti-Terrorgesetz verhaftet (HRCP 2021; vgl. FH 3.3.2021).
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Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency / FIA) ist dem Innenministerium unterstellt. Ihre Zuständigkeit liegt im Bereich der Einwanderung, der Organisierten Kriminalität sowie der Terrorismusbekämpfung. Bei letzterer sind auch die pakistanischen Nachrichtendienste ISI (Inter-Services Intelligence) und IB (Intelligence Bureau) aktiv. Die einzelnen Provinzen verfügen über ihre eigenen Strafverfolgungsbehörden. Gegenüber diesen Provinzbehörden ist die FIA nicht weisungsbefugt (AA 28.9.2021). Die lokalen Polizeieinheiten fallen in die Zuständigkeit der Provinzregierungen (USDOS 30.3.2021).
Daneben gibt es paramilitärische Organisationen, die dem Innenministerium unterstehen und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zuständig sind. Dazu zählen das Frontier Corps, das in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (inklusive den ehemaligen Federally Administered Tribal Areas / FATA) operiert und die Rangers im Punjab und Sindh. Die Hauptaufgabe des Frontier Corps ist die Sicherheit an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Seine Berichtspflicht besteht in Friedenszeiten gegenüber dem Innenministerium, in Kriegszeiten gegenüber der Armee (USDOS 30.3.2021).
In den ehemaligen FATA ist weiterhin das Militär das führend für Sicherheitsaufgaben zuständige staatliche Organ (USDOS 30.3.2021). Im Zuge der Eingliederung der ehemaligen FATA in das staatliche Rechtssystem wurden auch die lokalen Sicherheitskräfte - die circa 30.000 Mann starken Levies- und Khasadar-Einheiten - in die Polizei von Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (TET 15.9.2021). Die ersten Ausbildungsstätten wurden errichtet, doch der Prozess geht langsam voran (PIPS 17.1.2022).
Die militärischen und zivilen Geheimdienste unterstehen offiziell der Berichtspflicht gegenüber zivilen Behörden, doch operieren sie unabhängig und ohne effektive zivile Aufsicht. In Fällen unter dem Anti-Terrorismus Gesetz haben die Strafverfolgungsbehörden zusätzliche Befugnisse, wie Durchsuchungen und Beschlagnahmungen ohne Gerichtsbeschluss (USDOS 30.3.2021).
Die Effizienz der Polizei variiert je nach Provinz. Der Staat hat ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit begrenzt, was im polizeilichen Bereich auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung sowie unzureichende und veraltete Ausrüstung zurückzuführen ist und zu mangelhaften Ermittlungen führen kann (UKHO 9.2021). Zusätzlich binden religiöse Gewalt und Terrorismus die Ressourcen der Polizei zuungunsten allgemeiner polizeilicher Arbeit (UKHO 6.2020). Die Sicherheitskräfte stellen auch selbst ein Hauptziel von Anschlägen verschiedener Terrorgruppen dar (HRW 13.1.2022; vgl. PIPS 17.1.2022).
Darüber hinaus wird die Effektivität der Polizei durch Einflussnahme durch Vorgesetzte, politische Akteure und die Justiz beeinträchtigt (UKHO 9.2021). Der Polizei wird seit Langem ein vorurteilsbehafteter und willkürlicher Umgang bei der Aufnahme von Anzeigen vorgeworfen (FH 3.3.2021). Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiliche Untersuchungen durchzuführen. Die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung sind gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 28.9.2021).
Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei, wie unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen (AA 28.9.2021).
Dabei stellt Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte ein erhebliches Problem dar. Es mangelt an effektiven Mechanismen, um Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Die Regierung bietet begrenzt Schulungen an, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021).
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Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 23.03.2022
Folter
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in den Gefängnissen ist weit verbreitet (AA 28.9.2021; vgl. OMCT 3.2021, HRW 13.1.2022). Folter wird als unvermeidlicher Teil der Strafverfolgung in Pakistan akzeptiert. Es herrscht Straflosigkeit durch eine Kombination aus soziokultureller Akzeptanz, fehlenden unabhängigen Aufsichts- und Ermittlungsmechanismen, weitreichenden Befugnissen zur Festnahme und Inhaftierung, Verfahrenslücken und unwirksamen Schutzmaßnahmen, einschließlich des Versäumnisses Pakistans, Folter unter Strafe zu stellen (OMCT 3.2021).
Folter ist gemäß pakistanischer Verfassung zwar grundsätzlich verboten und wird seitens der Regierung offiziell verurteilt (AA 28.9.2021). Allerdings enthält das Strafgesetzbuch keinen speziellen Abschnitt gegen Folter, wiewohl es kriminelle Gewaltanwendung und Übergriffe verbietet (USDOS 30.3.2021). Auch einige Artikel der Strafprozessordnung verbieten Teilaspekte der Folter. Die Polizeiverordnung 2002 sieht Strafen gegen jeden Polizeibeamten vor, der einer Person in seinem Gewahrsam „Gewalt oder Folter“ zufügt. Die Vorschrift enthält aber keine Definition von Folter und erstreckt sich nicht auf andere Beamte. Vom System der unabhängigen Überwachung der Arbeit der Polizei, das in der Verordnung vorgesehen ist, wurden nur einige Beschwerdekommissionen eingerichtet. In Ermangelung funktionierender Überwachungsstellen, die Beschwerden über Folter entgegennehmen können, müssen sich die Opfer an die Polizei selbst wenden, um einen First Information Report (FIR) zu registrieren. Die Zuständigkeit für deren Untersuchung liegt ebenfalls bei der Polizei (OMCT 3.2021).
Die Straflosigkeit unter den Sicherheitskräften stellt damit ein erhebliches Problem dar (USDOS 30.3.2021). Die Strafverfolgung ist landesweit generell so unzureichend, dass bisher selbst in Fällen von Folter mit Todesfolge Täter so gut wie nie verurteilt wurden. In einer Reihe von Fällen registrierte die Polizei eine Strafanzeige erst nach gerichtlicher Intervention durch die Angehörigen der Opfer. In einigen wenigen Fällen wurden Verantwortliche vom Dienst suspendiert und Untersuchungen angeordnet, an deren Ende aber in der Regel lediglich die Versetzung der Beschuldigten an eine andere Dienststelle stand (AA 28.9.2021).
Die Regierung bietet begrenzt Schulungen an, um die Achtung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021). Im Juli 2021 nahm der Senat ein wichtiges Gesetz zum Verbot von Folter an. Mit Stand Anfang Jänner 2022 war dieses Gesetz noch nicht durch die Nationalversammlung verabschiedet worden. Seine umfassende Definition entspricht der internationalen Konvention gegen Folter und sieht auch eine strafrechtliche Verantwortung für Todesfälle in Polizeigewahrsam vor (HRW 13.1.2022). Es würde Folter erstmalig zum Straftatbestand machen (AA 28.9.2021).
Haft ohne Anklage, nachgewiesene Fälle von staatlichem Verschwindenlassen
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig Menschenrechtsverletzungen. Enforced Disappearances - das Verschwindenlassen von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen - zählen dabei zu den eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan - auch weil der Staat (v.a. Militär / Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird (AA 28.9.2021). Die meisten Opfer waren aus Khyber Pakhtunkhwa, der ehemaligen FATA oder Belutschistan und wurden für gewöhnlich durch die Sicherheitskräfte oder Geheimdienste incommunicado in Haft gehalten - unter dem Vorwurf des Terrorismus, staatsfeindlicher Aktivitäten, Rebellion oder Spionage (FH 3.3.2021).
Seit ihrer Errichtung im Jahr 2011 wurden der staatlichen Kommission zur Untersuchung von Verschwindenlassen aus den vier Provinzen und dem Hauptstadtterritorium Islamabad zusammen 6.854 Fälle von verschwundenen Personen gemeldet. Mit Stand Ende 2020 konnte die Kommission 3.770 Personen aufspüren, davon fanden sich 1.277 in verschiedenen Arten der Haft, 218 Personen wurden tot gefunden. Menschenrechtsaktivisten hingegen zweifeln an den offiziellen Zahlen. Eine belutschische Partei sprach von insgesamt 5.128 erzwungen verschwundenen Personen bis zum Jahr 2018 für Belutschistan. Im Jahr 2020 konnte die Spur einiger prominenter politischer Aktivisten, die im Sindh Opfer des Verschwindenlassens wurden, durch breite öffentliche Kampagnen in Gefängnissen ausfindig gemacht werden. Bei einigen von diesen konnte eine Freilassung erwirkt werden (HRCP 2021).
Die Internationale Kommission von Juristen (ICJ) kritisierte die Untersuchungskommission und meinte, dass ihr Zugang Straflosigkeit fördert. Es gab keine Anzeichen, dass die Erkenntnisse der Untersuchungskommission zu effektiven Sanktionen gegen die involvierten Behörden führen würden (FH 3.3.2021). Bei Verdacht auf Terrorismus ist es den Sicherheitskräften auch rechtlich möglich, Personen ein Jahr ohne Anklage in Haft zu nehmen. Darüber hinaus verfügt das Militär in Khyber Pakhtunkhwa per Verordnung über die Befugnis, Zivilisten ohne Anklage und Benachrichtigung der Angehörigen festzuhalten (USDOS 30.3.2021).
Staatlicherseits wurden Täter bislang in keinem einzigen Fall angeklagt. Eine Strafverfolgung findet nach wie vor nicht statt. Am 5.5.2021 erfolgte die überraschende Ankündigung der pakistanischen Regierung, dass die seit Langem verschleppte Enforced Disappearances Bill, die Verschwindenlassen erstmalig strafrechtlich sanktionieren soll, die erste Hürde im Kabinett genommen hat. Wenngleich es sich um einen positiven ersten Schritt handelt, bleibt der weitere gesetzgeberische Weg lang, kann jederzeit von Regierung und Sicherheitsestablishment torpediert werden und – falls verabschiedet – muss die tatsächliche Implementierung des Gesetzes unter Beweis gestellt werden (AA 28.9.2021).
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Korruption
Letzte Änderung: 25.04.2022
Korruption ist in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und bei den Sicherheitsorganen weit verbreitet (AA 28.9.2021). Von der international tätigen Compliance-Plattform GAN Integrity wird das Risiko, mit Korruption konfrontiert zu werden, unter anderem in den Bereichen Justizsystem, Polizei und öffentlicher Dienst als hoch eingeschätzt (GAN 10.2020). Verschiedene Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter sind mit Vorwürfen unterschiedlichster Korruptionsvergehen konfrontiert. Die unteren Instanzen des Justizsystems sind Berichten zufolge korrupt und dem Druck von höherrangigen Richtern sowie einflussreichen Persönlichkeiten ausgesetzt (USDOS 12.4.2022). Auch die Polizei ist anfällig für Korruption und Bestechung. Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Pakistan nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International 2021 Platz 140 von 180 Ländern ein (TI 25.1.2022). Im Vergleich dazu nahm es im Jahr 2020 Platz 124 von 180 Ländern ein (TI 28.1.2021).
Es gibt relativ progressive Gesetze zu öffentlichen Finanzen und Vergabeprozessen und eine eigene Behörde zur Regulierung von öffentlichen Aufträgen, die viele standardmäßige Maßnahmen zur Transparenz einsetzt. Internationale Einrichtungen hinterfragen jedoch den öffentlichen Vergabeprozess. Mitglieder des Parlaments und ausgewählte Amtsträger müssen ihre Einkommen deklarieren. Es sind zahlreiche formale Schutzmaßnahmen in Kraft, doch die Anwendung der Mechanismen zur Rechenschaft ist selektiv und politisch motiviert. Militär und Justiz haben ihre eigenen Systeme zur Bekämpfung von Korruption, doch das Militär, das weite Bereiche an Regierungsfunktionen unter dem Banner der nationalen Sicherheit innehält, agiert weitgehend undurchsichtig in seinen Belangen (FH 4.2022).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Amtsträgern vor, die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen aber nicht effektiv um. Das National Accountability Bureau (NAB) dient als höchste Antikorruptionsbehörde mit dem Auftrag, Korruption durch Sensibilisierung, Prävention und Rechtsdurchsetzung zu beseitigen. Das NAB und andere Ermittlungsbehörden, wie das Federal Board of Revenue, die Nationalbank von Pakistan oder die Federal Investigation Agency führen Untersuchungen zu Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch (USDOS 12.4.2022). Nach Angaben des NAB hatte es mit Stand September 2020 3.371 Verfahren eröffnet, 1.124 Schuldsprüche erwirkt und 1.257 Verfahren offen (FH 3.3.2021).
2017 wurde der damalige Premierminister Nawaz Sharif vom Supreme Court des Amtes enthoben, nachdem die "Panama Papers", eine internationale Ermittlung von Journalisten in 200 Ländern, die Verstrickung seiner Familie in das aufgedeckte System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche öffentlich machten. Ein Jahr später wurde er aufgrund von Korruption verurteilt (ICIJ 4.2021). Der darauf folgende Premierminister hatte diese Korruptionsermittlungen zu seinem Wahlkampfthema gemacht. Doch statt im Allgemeinen die Veruntreuung durch Eliten anzugehen und die rechtlichen Weichen zu stellen um eine Verantwortlichkeitspflicht einzuführen, blieb das Vorgehen gegen die Familien Sharif und Bhutto gerichtet. Noch stärker als zuvor beschränkte sich die Arbeit des NAB großteils auf die Opposition (The Diplomat 9.10.2021). Der Supreme Court Pakistans, die Anwaltskammer des Supreme Courts und der pakistanische Anwaltsrat verurteilten in verschiedenen Fällen das Vorgehen des NAB gegenüber Oppositionspolitikern (HRW 13.1.2021). Gegen mehrere Führungspersonen unterschiedlicher Oppositionsparteien gab es Strafanzeigen aufgrund von Korruptionsermittlungen, so auch gegen den Oppositionsführer in der Nationalversammlung, Shabaz Sharif [Anmerkung: dieser wurde im April 2022 nach einem Misstrauensvotum selbst Premierminister; siehe Kap. Politische Lage] (USDOS 12.4.2022). Hingegen herrschte bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung. Dies lässt Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren hat lassen (FH 3.3.2021; vgl. FH 4.2022).
Gleichzeitig gibt es Vorwürfe, wonach Journalisten, die über Belange wie Korruption berichteten, Online-Diskreditierungskampagnen ausgesetzt waren, sodass politische Parteien oder Staatsinstitutionen im Hintergrund vermutet werden (USDOS 30.3.2021). Außerdem wurden im Jahr 2020 auch Vergehen nach den neu eingeführten Cybercrime-Gesetzen gegen Journalisten und Aktivisten registriert, die Korruption öffentlich machten (HRCP 2021).
Im Oktober 2021 wurden die "Pandora Papers", neue internationale journalistische Ermittlungen, veröffentlicht. Sie deckten die Verwicklung mehrerer Minister und Geldgeber der damaligen pakistanischen Regierung sowie Militärgeneräle und deren Familien in mutmaßliche Steuerhinziehung und Geldwäsche auf (ICIJ 3.10.2021).
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NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 23.03.2022
Zivilgesellschaftliche Menschenrechtsorganisationen können sich in Pakistan betätigen. Die angesehene NGO Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) befasst sich z.B. mit der Aufklärung und Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen aller Art. In allen Landesteilen gibt es Provinzbüros und freiwillige Helfer, die Menschenrechtsverletzungen aufnehmen, Fakten sammeln und Fälle der Justiz zuführen. Eine Vielzahl weiterer Organisationen und Einzelpersonen beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Schutzes der Menschenrechte (AA 28.9.2021). Ebenso nehmen zivilgesellschaftliche Organisationen oft lautstark Anteil an politischen Debatten. Debatten jedoch, welche die nationale Sicherheit berühren, werden schnell unterbunden (FH 3.3.2021).
Während einige Menschenrechtsorganisationen ohne nennenswerte Restriktionen agieren, recherchieren und publizieren können, schränkt die Regierung im Allgemeinen allerdings zunehmend die Arbeitsmöglichkeiten von NGOs ein (USDOS 30.3.2021, vgl. AA 28.9.2021). Die jetzige Regierung setzt damit das strikte Vorgehen gegenüber NGOs, das bereits unter der Vorgängerregierung 2015 begonnen hat, fort. NGOs unterliegen exzessiven Registrierungsanforderungen (FH 3.3.2021). Diese erschweren es ihnen, ihren Tätigkeiten nachzugehen und Zugang zu ihren Zielgruppen zu erhalten. Während des Registrierungsprozesses, aber auch danach, unterliegen die Organisationen konstanten Kontrollen und Belästigungen durch die Behörden (USDOS 30.3.2021).
Insbesondere betrifft dies jene, deren Arbeit Verfehlungen der Regierung, des Militärs oder der Geheimdienste aufdeckt oder die zu Themen im Zusammenhang mit Konfliktgebieten arbeiten. Diese Gruppen sehen sich mit zahlreichen Vorschriften in Bezug auf Reisen, Visa und Registrierung konfrontiert, die ihre Bemühungen um Programme und die Beschaffung von Mitteln behindern (USDOS 30.3.2021).
Die Geheimdienste überwachen und kontrollieren Menschenrechtsorganisationen. Bedrohungen und Einschränkungen erfolgen, wenn ihre Arbeit die staatlichen Sicherheitsorgane berührt. Institutionen und Menschen, die Kritik am Militär und an dessen Geheimdienst üben, müssen mit Sanktionen rechnen (AA 28.9.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). So berichten verschiedene Menschenrechtsorganisationen von Belästigungen, Einschüchterung und Überwachung durch Behörden (HRW 13.1.2022).
Menschenrechtsorganisationen berichten, dass paschtunische, Sindhi und belutschische Menschenrechtsaktivisten sowie Nationalisten Opfer von Verschwindenlassen durch die Behörden werden. Verschwindenlassen kommt allerdings im ganzen Land vor. Die unabhängige NGO HRCP schätzt, dass mindestens 2.100 politische Dissidenten und Rechtsaktivisten vermisst werden, obwohl die tatsächliche Zahl höher sein könnte (USDOS 30.3.2021). Im Jahr 2020 konnte zum Beispiel die Spur einiger prominenter politischer Aktivisten, die im Sindh Opfer von Verschwindenlassen wurden, durch breite öffentliche Kampagnen in Gefängnissen ausfindig gemacht werden. Bei einigen von diesen konnte eine Freilassung erwirkt werden (HRCP 2021).
In den ehemaligen Stammesgebieten (FATA) und in Belutschistan ist sowohl für Menschenrechts- als auch für Hilfsorganisationen die Arbeit nur sehr eingeschränkt möglich (AA 28.9.2021). Zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans erhalten nur wenige NGOs Zugang (USDOS 30.3.2021).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Bekämpfung wurden die Registrierungsmodalitäten für humanitäre NGOs temporär gelockert (AA 28.9.2021).
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Ombudsmann
Letzte Änderung: 22.03.2022
Der föderale Ombudsmann Pakistans (Wafaqi Mohtasib) ist für unabhängige Ermittlungen zu Beschwerden über Fehlleistungen der Bundesverwaltung ["maladministration"] zuständig. Die Einschaltung des Ombudsmannes ist kostenlos und steht jedem offen. Sein Mandat erstreckt sich jedoch nicht auf Beschwerden, die laufende Gerichtsverfahren, ausländische Angelegenheiten oder Verteidigungsangelegenheiten betreffen. Zusätzlich gibt es jeweils unabhängige Ombudsmänner (Mohtasibs) für Angelegenheiten in Bezug auf Steuern, private Versicherungen und private Banken sowie gegen Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz (FOP o.D.). In das Mandat der eigenständigen Föderalen Ombudsperson gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fallen zusätzlich seit 2020 auch Beschwerden in Bezug auf die Verletzung der Erbschaftsrechte von Frauen (FOSPAH o.D.). Ombudspersonen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind für jede Provinz gesetzlich vorgeschrieben und alle Provinzen sowie Gilgit Baltistan haben eine solche Institution eingerichtet. Außerdem wurde die Position eines Ombudsmannes für Gefängnisinsassen mit einem zentralen Büro in Islamabad sowie mit Büros in jeder Provinz eingerichtet (USDOS 30.3.2021).
Weiters gibt es unabhängige Ombudsmänner für jede Provinz, die für Beschwerden in Bezug auf Fehlverhalten der Provinzregierungen zuständig sind (vgl. FOP o.D., OM KP o.D., OM SD o.D., OM PJ o.D.).
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Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Die pakistanische Armee ist eine Freiwilligenarmee (AA 28.9.2021). Die pakistanischen Streitkräfte bestehen aus der Armee (inklusive Nationalgarde), der Marine und der Luftwaffe (Pakistan Fizaia). Frauen dienen in allen drei Teilstreitkräften. Das Alter für den freiwilligen Militärdienst beträgt abhängig von der Art des Dienstes 16 bzw. 17 bis 23 Jahre. Soldaten unter 18 Jahre können nicht im Kampf eingesetzt werden. Armeeangehörige bleiben bis zum Alter von 45 Jahren Reservisten, Offiziere bis 50 Jahre (CIA 19.1.2022). Angehörige religiöser Minderheiten sind in der Armee deutlich unterrepräsentiert, ihre Karrierechancen sind geringer, außerdem fürchten sie Diskriminierung (AA 28.9.2021).
Aufgrund des Status als Freiwilligenarmee in Verbindung mit dem herrschenden Ehrenkodex sind Fälle von Fahnenflucht extrem selten. Im Militärstrafrecht ist in folgenden Fällen die Todesstrafe vorgesehen: Feigheit vor dem Feind, Weitergabe einer Parole an unbefugte Personen, Meuterei oder Gehorsamsverweigerung, Fahnenflucht oder Hilfe zur Fahnenflucht. Das Militär verfügt über eine eigene Gerichtsbarkeit, die in den drei Teilstreitkräften unterschiedlich gehandhabt wird. Urteile der militärischen Gerichtsbarkeit gegen Militärangehörige sind nicht vor zivilen Gerichten anfechtbar. Gefängnisstrafen sind in Militärgefängnissen zu verbüßen (AA 28.9.2021).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die Menschenrechtslage in Pakistan bleibt schwierig und hat sich im Berichtszeitraum insgesamt nicht verbessert. Zwar garantieren die pakistanische Verfassung und eine Reihe von Gesetzen fundamentale Bürgerrechte, Menschenrechte und politische Rechte, meist mangelt es jedoch an der Implementierung (AA 28.9.2021).
Der Raum für Zivilgesellschaft und öffentlich-kritische Debatte schrumpft weiter. Militär und Geheimdienste begrenzen den Aktionsradius von Zivilgesellschaft und Medien. Die öffentliche Thematisierung politisch und religiös sensibler Fragen wird eingeschränkt. Das Militär zwingt Journalisten mit Druck erfolgreich zu Selbstzensur (AA 28.9.2021). Behörden setzen Schikanierungen und gelegentlich auch strafrechtliche Verfolgung gegen Journalisten, Menschenrechtsverteidiger oder Anwälte ein, die Kritik an Maßnahmen der Regierung übten. Die drakonischen Gesetze gegen Volksverhetzung und zur Terrorismusbekämpfung werden auch eingesetzt, um politischen Widerspruch zu unterdrücken und regierungskritische zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen strikt zu regulieren. Es gab gewalttätige Übergriffe gegen Mitarbeiter von Medien (HRW 13.1.2022).
Politische Parteien können weitgehend frei arbeiten, jedoch üben Militär und Geheimdienste Druck auf unliebsame Parteien aus. Institutionen und Menschen, die Kritik am Militär und am Nachrichtendienst ISI üben, müssen mit Sanktionen rechnen. So geht der Sicherheitsapparat teils mit harter Hand gegen die PTM („Bewegung zum Schutz der Paschtunen“), eine Protestbewegung gegen die Diskriminierung von Paschtunen, vor (AA 28.9.2021). Gegen mehrere wichtige Oppositionsführer werden Korruptionsverfahren geführt - bei gleichzeitigem Mangel an ähnlicher Strafverfolgung gegenüber Mitgliedern der Regierungspartei. Dies lässt Anzeichen erkennen, dass sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren hat lassen (FH 3.3.2021).
Die pakistanischen Strafverfolgungsbehörden werden für Menschenrechtsverletzungen wie Haft ohne Anklage und außergerichtliche Tötungen verantwortlich gemacht (HRW 13.1.2022; vgl. EASO 10.2021). Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form von polizeilichen Auseinandersetzungen vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Militanten oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften. Als Begründung führt die Polizei regelmäßig an, dass die Opfer versuchten, aus dem Polizeigewahrsam zu flüchten, oder bei ihrer Verhaftung von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hätten. 2020 kamen laut der Menschenrechtsorganisation HRCP landesweit 293 Menschen bei sogenannten „police encounters“ ums Leben. In der Regel werden diese Fälle nicht gerichtlich untersucht (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021).
Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt - trotz des Folterverbots in der Verfassung - als weit verbreitet. Die Todesstrafe wird vollstreckt. Im Jahr 2020 fand jedoch keine Hinrichtung statt. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile auf rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren. Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weitverbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Als Beispiel hierfür dienen die Blasphemie-Fälle (AA 28.9.2021).
Die Sicherheitsdienste greifen in Fällen mit terroristischem Hintergrund oder in Fällen von Landesverrat auf willkürlichen und rechtswidrigen Gewahrsam zurück. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte vor allem in den Provinzen Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verbrechen. Sogenannte „Enforced Disappearances“ - das Verschwindenlassen von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen - zählen in diesem Zusammenhang zu den eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan - auch weil der Staat (v. a. Militär/ Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird (AA 28.9.2021, vgl. HRCP 2021). Amnesty International berichtet, dass das Verschwindenlassen, um politischen Dissens zu bestrafen, verstärkt öffentlich und auch breiter zum Einsatz kam und auch bei Tag und in Städten Personen von den Geheimdiensten entführt wurden. In den vergangenen Jahren gehörten zu den Opfern des Verschwindenlassens Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten, Studenten und Journalisten, die außerhalb ihrer Gemeinschaften kaum bekannt waren, aber auch bekannte Kritiker (AI 7.4.2021).
Auch bei schwerwiegenden Übergriffen der Strafverfolgungsbehörden verabsäumt es die Regierung, diese zur Rechenschaft zu ziehen (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 30.3.2021).
Der Polizei wird auch allgemein übermäßige Gewaltanwendung, z. B. bei Protesten vorgeworfen. Dies betraf z. B. 2020 auch friedliche Proteste des medizinischen Personals gegen die mangelnde medizinische Ausrüstung und fehlende Sicherheitsvorkehrungen in den Krankenhäusern. Die COVID-19-Pandemie stellt die Lage im Land auch im Menschenrechtsbereich vor neue Herausforderungen. Medizinisches Personal war am Arbeitsplatz öfters gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt, z. B. wenn es Patienten oder Angehörige abweisen musste (AI 7.4.2021; vgl. HRCP 2021).
Gewalt und Missbrauch sowie soziale und religiöse Intoleranz durch militante Organisationen und andere nicht-staatliche Akteure tragen ebenfalls zu Problemen im Menschenrechtsbereich bei (USDOS 30.3.2021). So sind Frauen, religiöse Minderheiten und Transgender mit Gewalt, Diskriminierung und Verfolgung konfrontiert, wobei die Behörden es oft verabsäumen, angemessenen Schutz zu bieten (HRW 13.1.2022). Übergriffe bleiben oft ungestraft, was eine Kultur der Straflosigkeit unter den Tätern - ob offiziell oder inoffiziell - fördert (USDOS 30.3.2021). Viele Menschenleben fallen den Anschlägen von islamistischen Militanten zum Opfer (HRW 13.1.2022).
Staatliche Institutionen zum Schutz von Menschenrechten existieren auf Bundes- und Provinzebene. Diese bleiben jedoch schwach, da sie ohne angemessene Ressourcenausstattung operieren und zudem kein Schutz vor staatlicher Einflussnahme gegeben ist. Die staatliche National Commission for Human Rights (NCHR) ist eine dem pakistanischen Innenministerium zugeordnete Institution und verfügt nur über begrenzte Kapazitäten und kein eigenes Budget. Auch die National Commission on the Status of Women, die Frauenrechte in Pakistan stärken soll, sowie die National Commission on the Rights of the Child bleiben in ihren Arbeitsmöglichkeiten stark beschränkt (AA 28.9.2021). Ein eigenständiges Ministerium für Menschenrechte wurde im Jahr 2015 wieder eingerichtet. Die ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechte führen Anhörungen zu einer Reihe von Menschenrechtsproblemen durch (USDOS 30.3.2021).
[…]
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 23.03.2022
Pressefreiheit
Die Verfassung garantiert die Pressefreiheit. Diese kann jedoch zum Schutz der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung von Pakistan oder zum Schutz des Islam eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Neben diesen verfassungsmäßigen Einschränkungen führen auch Drohungen, Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen dazu, dass Journalisten und Redakteure Selbstzensur üben (USDOS 30.3.2021, vgl. AA 28.9.2021, AI 7.4.2021, RSF 2021). Angriffe auf Journalisten gehen primär von Extremisten, aber auch regelmäßig von staatlichen Akteuren aus (ÖB 12.2020, vgl. USDOS 30.3.2021). Auch im Jahr 2021 wurden mehrere Journalisten Opfer gewalttätiger Attacken. Ein Klima der Angst erschwert folglich die Medienberichterstattung über Übergriffe sowohl der staatlichen Sicherheitskräfte als auch militanter Gruppen (HRW 13.1.2022, vgl. RSF 2021).
Medien werden auch behördlich unter Druck gesetzt, Regierungsinstitutionen oder die Justiz nicht zu kritisieren (HRW 13.1.2022). Es gab viele Fälle von Zensur, in denen das Militär unterschiedliche Methoden Druck auszuüben einsetzte. Der Vertrieb von Zeitungen wurde gestoppt, Medienhäusern mit der Einstellung von Werbeeinschaltungen gedroht, Übertragungen blockiert (RSF 2021). Auch im Jahr 2021 blockierten staatliche Aufsichtsbehörden in mehreren Fällen Kabelbetreiber und Fernsehsender, die kritische Programme ausgestrahlt hatten (HRW 13.1.2022). Zwar leisten Zivilgesellschaft und teils Justiz partiell Widerstand, doch gibt es zahlreiche Berichte über eine Vielzahl von Einzelinterventionen im Medienbereich und gegen einzelne unliebsame Journalisten - seitens Regierungsagenturen, etwa der Medienregulierungsbehörde PEMRA, des Militärs oder nominell unabhängigen Institutionen, wie der Anti-Korruptionsbehörde (AA 28.9.2021).
Die pakistanischen Medien haben eine lange Tradition einer lebendigen Berichterstattung, doch sind sie ein Hauptziel des militärischen und nachrichtendienstlichen Establishments geworden, das seinen Einfluss auf sie stark erweitern konnte. Journalisten, die Themen aufgreifen, die vom Militär als tabu erachtet werden, werden vom Nachrichtendienst (ISI) organisierten Schikanierungskampagnen ausgesetzt (RSF 2021; vgl. AI 7.4.2021). In mehreren Fällen wurden Journalisten entführt oder durch die Sicherheitsbehörden verhaftet und später wieder freigelassen (HRCP 2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021).
Journalisten sind außerdem, besonders in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa, dem Risiko ausgesetzt, ins Schussfeld zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Rebellen zu geraten. Vier Journalisten wurden im Jahr 2020 in Pakistan getötet (RSF 2021, vgl. AA 28.9.2021). Während in letzter Zeit Fälle von physischer Gewalt, z.B. Morde oder Mordversuche, abgenommen haben, steigt die Zahl von Fällen virtueller Gewalt (Online-Hetzkampagnen, Identitätsdiebstahl, Hacking-Versuche etc.). Mehrere hochrangige Journalistinnen prangerten in einem offenen Brief an den Premierminister Probleme wie sexualisierte Online-Belästigung und -Diffamierung aufgrund ihres Berufs an (AA 28.9.2021).
Unabhängige Berichterstattung aus Gebieten, in denen sich die pakistanische Armee oder Geheimdienste im Einsatz befinden, wird grundsätzlich stark reglementiert oder unterbunden. Dies gilt besonders für die früheren Stammesgebiete FATA, heute als Newly Merged Districts Teil der Provinz Khyber Pakhtunkhwa bekannt (AA 28.9.2021). Um im pakistanisch verwalteten Kaschmir zu publizieren, müssen Medieninhaber die Erlaubnis des Kaschmir-Rates und des Ministeriums für Kaschmir-Angelegenheiten einholen. Die Journalisten müssen sich weitgehend auf Informationen verlassen, die von der Regierung und vom Militär bereitgestellt werden. Es gibt Beschränkungen für die Übertragung von Inhalten indischer Medien (USDOS 30.3.2021).
Im World Press Freedom Index 2021 von Reporter ohne Grenzen findet sich Pakistan gleichbleibend auf Rang 145 von 180 untersuchten Ländern (RSF 2021, vgl. AA 28.9.2021). Die Lage wird als schwierig eingeschätzt (AA 28.9.2021).
Meinungsfreiheit und soziale Medien
Die Verfassung garantiert den Bürgern, öffentlich Kritik an der Regierung üben zu können, mit den Einschränkungen des Schutzes der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung Pakistans oder zum Schutz des Islam. Gerichtsentscheidungen haben die Verfassung allerdings dahingehend ausgelegt, dass Kritik am Militär und an der Justiz verboten sind (USDOS 30.3.2021). In der Praxis verfügen Pakistanis über die Freiheit, viele Themen diskutieren zu können - auch online (FH 3.3.2021). Internet und soziale Medien haben in den vergangenen Jahren weiteren Raum für eine kritische journalistische Debatte geschaffen. Diese wird jedoch zunehmend eingeschränkt (AA 28.9.2021).
Die Pakistan Telecommunication Authority (PTA) kann über die Entfernung von Inhalten aus sozialen Medien, die gegen die Interessen des Islams, die Integrität und Sicherheit Pakistans oder gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen, ohne Hinzuziehung von Gerichten entscheiden (AA 28.9.2021). Der Prevention of Electronic Crimes Act gibt der PTA eine unkontrollierte Macht, Internetinhalte zu zensurieren. Das Blockieren von Inhalten wird für gewöhnlich mit dem Verhindern von blasphemischen und pornografischen Inhalten gerechtfertigt. In der Praxis geschieht die Zensierung willkürlich (FH 3.3.2021). Dies führt zur Unterdrückung und Kriminalisierung von freier Meinungsäußerung, kreiert zunehmend auch im Netz ein Klima der Unsicherheit und stärkt Tendenzen zur Selbstzensur. Ähnliches gilt für die "Citizens Protection (Against Online Harm) Rules" von Feber 2020. Diese wurden nach massiver öffentlicher Kritik leicht abgemildert (AA 28.9.2021; vgl. FH 3.3.2021).
Blasphemiegesetze schränken das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf Angelegenheiten der Religion und der religiösen Lehre ein. Die Regierung schränkt einige sprachliche und symbolische Äußerungen auf der Grundlage der Bestimmungen über Hassreden und Terrorismus ein (USDOS 30.3.2021).
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 25.04.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind durch die Verfassung gewährleistet, können aber aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Die Regierung schränkt diese Rechte auch ein (USDOS 12.4.2022). Dies äußert sich teilweise in der Anordnung von Sicherheitsverwahrung oder durch Gewalteinsatz der Polizei gegenüber Demonstranten (AA 28.9.2021). Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten bei Protesten kommen häufig vor (HRCP 2021).
Auch führt das Versäumnis der Regierung, Angriffe auf friedliche Demonstranten und Menschenrechtsverteidiger zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, faktisch zu Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 12.4.2022). Die Gefahr terroristischer Anschläge schränkt diese Rechte ebenfalls ein, da der Staat nicht immer in der Lage oder willens ist, angemessenen Schutz zu gewähren. So wurde beispielsweise Anfang März 2020 der Aurat-Frauenmarsch in Islamabad von Hunderten radikalen Islamisten angegriffen, es gab mehrere Verletzte. 2021 fand er zwar weitgehend ohne physische Übergriffe statt, Teilnehmerinnen wurden danach allerdings durch Online-Hasskampagnen und Blasphemieanzeigen eingeschüchtert (AA 28.9.2021).
Während einerseits die Vereinigungsfreiheit oft eingeschränkt wird, kommt es andererseits auch zu deren Missbrauch. Illegale militante und extremistische Gruppierungen und gewaltbereite Führungsfiguren, z. B. Hassprediger, setzen ihre Aktivitäten oftmals trotz offiziellen Verbots und aufgrund fehlenden politischen Willens zur Durchsetzung der Verbote fort (AA 28.9.2021).
Das Recht der Arbeitnehmer, Gewerkschaften zu gründen, ist gesetzlich festgelegt und die Verfassung garantiert das Recht auf Kollektivverhandlungen und Streik. Diese Schutzrechte werden allerdings nicht stark durchgesetzt. Ungefähr 70 Prozent der Arbeitskräfte sind im informellen Sektor tätig, wo Gewerkschaften und rechtlicher Schutz minimal sind. Dessen ungeachtet werden regelmäßig Streiks und Arbeiterproteste abhalten. Oft führen diese zu Zusammenstößen mit der Polizei sowie Entlassungen durch die Arbeitgeber (FH 4.2022). Berufsverbände wie die Anwalts- und Ärzteverbände organisieren sich häufig zu Protesten, um Forderungen durchzusetzen. Oft ist der Erfolg allerdings begrenzt (BS 25.2.2022).
Die Regierung wendet in Khyber Pakhtunkhwa weiterhin die West-Pakistanische Verordnung zur Aufrechterhaltung des Friedens sowie Abschnitt 144 des Strafgesetzbuches aus der Ära der britischen Kolonialherrschaft an. Diese Regeln ermöglichen es den Behörden, die langjährige Praxis der Aussetzung des Versammlungs- und Rederechts in den neu zusammengelegten Gebieten [ehemalige Federally Administered Tribal Areas (FATA)] fortzusetzen. Den Ahmadi-Muslimen wird es im Allgemeinen untersagt, Konferenzen und Versammlungen abzuhalten (USDOS 12.4.2022).
Insgesamt hat der Staat den Raum zur öffentlichen kritischen Debatte und für die Zivilgesellschaft weiter eingeschränkt ("shrinking space"). Aktuelles Beispiel ist der Umgang mit der PTM ("Bewegung zum Schutz der Paschtunen"). Der Sicherheitsapparat geht teils mit harter Hand gegen diese Bewegung vor (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021). Die Behörden stören weiterhin die Aktivitäten der PTM, die gegen die Gewalt in den paschtunischen Gebieten mobilisiert. In der Vergangenheit lösten die Sicherheitsbehörden Demonstrationen auf, verhafteten Teilnehmer und Aktivisten, unterbanden Medienberichterstattung und klagten Demonstrationsteilnehmer der Staatsgefährdung an. So wurde eine Fürhungsperson und 10 weitere Teilnehmer einer Demonstration vor einem Anti-Terrorismus-Gericht angeklagt. Das Militär verdächtigt Berichten zufolge die Führung der PTM, gegen den Staat zu agieren und Verbindungen zum indischen Geheimdienst zu unterhalten, was die PTM bestreitet [siehe auch Kapitel Paschtunen] (FH 4.2022).
Opposition
Politische Parteien können weitgehend frei operieren. Jedoch üben Militär und Geheimdienste Druck auf unliebsame Parteien aus, in der Regel auf die Opposition (AA 28.9.2021). Mehrere große Parteien, zahlreiche kleinere Parteien und Unabhängige nehmen an den Wahlen teil und sind im Parlament und in den Provinzparlamenten vertreten. Die letzten drei nationalen Wahlen haben jeweils zu einem Wechsel von einer Oppositionspartei an die Regierung geführt. Auch stellen Parteien, die auf nationaler Ebene in der Opposition sind, Regierungen auf Provinzebene oder haben dort einen signifikanten Anteil an den Sitzen. Allerdings wird derzeit das Militär als mächtiger angesehen als die gewählten Politiker und als fähig die Wahlen zu beeinflussen (FH 4.2022). Politische Auseinandersetzungen werden mitunter auch mit Gewalt ausgetragen. Die damalige Regierung setzte im Laufe des Jahres 2020 die Tendenz zur selektiven Strafverfolgung von prominenten Oppositionspolitikern fort. Die Opposition blieb damit unter dem Druck politischer Korruptionsermittlungen - meist geführt über die nominell unabhängige Bundesbehörde National Accountability Bureau, NAB (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021, HRW 13.1.2022).
In einem Misstrauensvotum gelang es einer Allianz der Opposition den Premierminister am 9. April 2022 abzusetzen. Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der Pakistan Muslim League-Nawaz, wurde in der Nationalversammlung zum neuen Premierminister gewählt (Zeit-Online 11.4.2022). Der abgesetzte Premierminister rief die Abgeordneten seiner Partei, der Pakistan Therek-Insaf, PTI, aus Protest zum Rücktritt aus der Nationalversammlung auf. 123 der PTI-Abgeordneten folgten seinem Aufruf, den 31 verbliebenen sprach er das Recht ab, als Opposition in der Nationalversammlung unter dem Namen der PTI aufzutreten (TNT 14.4.2022).
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Haftbedingungen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Die Verhältnisse in Pakistans Gefängnissen sind schlecht. Nach Einschätzung von UNODC und der NGO HRCP werden die Grundrechte der Strafgefangenen, insbesondere auf körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde, nicht gewahrt. Dies gilt besonders für zum Tode verurteilte Strafgefangene. Pakistans Gefängnisse leiden an Überbelegung. Die Belegungsquote liegt laut Amnesty International (Dezember 2020) bei 134 Prozent - mit teils signifikant höheren Quoten bei einzelnen Gefängnissen. Andere NGOs kommen teils zu höheren Zahlen. Gründe für die Überbelegung liegen in den extrem langen Untersuchungshaftzeiten, die sich aus langen Gerichtsverfahren ergeben. NGOs schätzen, dass ungefähr 70 Prozent der Häftlinge Untersuchungshäftlinge sind. Außerdem stehen oft auch auf kleinere Vergehen Gefängnisstrafen (AA 28.9.2021). Auch nach offiziellen Angaben des staatlichen Ombudsmannes für Gefängnisinsassen beträgt die Belegungsrate 124 Prozent. Demnach befinden sich 79.603 Insassen in landesweit 116 Gefängnissen, die Gesamtkapazität liegt eigentlich bei 64.099 (HRCP 2021).
Die meisten Gefangenen werden in Blöcken mit ca. 50 Menschen pro Schlafsaal in Haft genommen, soweit sie nicht durch Bestechung des extrem korruptionsanfälligen Wachpersonals ihre Haftbedingungen verbessern können. Die medizinische Versorgung der Strafgefangenen ist unzureichend. Dies gilt auch für die Behandlung psychisch kranker Häftlinge (AA 28.9.2021). Die hygienischen Bedingungen sind in den meisten Gefängnissen mangelhaft (HRCP 2021). In vielen Einrichtungen sind die sanitären Anlagen, die Belüftung, die Beleuchtung und der Zugang zu Trinkwasser unzureichend. Unterernährung bleibt ein Problem, insbesondere für Insassen, die nicht in der Lage sind, ihre Ernährung durch Hilfe von Familie oder Freunden zu ergänzen. Die unzureichende medizinische Versorgung und Ernährung in den Gefängnissen führt zu chronischen Gesundheitsproblemen, in einigen Gefängnissen ist sie zusammen mit den unhygienischen Bedingungen und der Überbelegung lebensbedrohlich (USDOS 30.3.2021).
Trotz der COVID-19-Lockdowns nahm die Polizei Personen auch aufgrund vergleichsweise geringer Vergehen in Haft und erhöhte damit die Infektionsgefahr in den Gefängnissen. Es wurden Prozeduren zur Absonderung Neuankommender und zum Testen sowie Quarantäneabteilungen eingerichtet. Allerdings berichtete das Ministerium für Menschenrechte nach Kontrollen in Gefängnissen über eine zu lose Einhaltung. Dennoch gab es keine Berichte zu größeren Infektionsausbrüchen in den Gefängnissen. Einige Hundert Gefangene, die z. B. wegen kleinerer Vergehen einsaßen oder nur noch wenig Reststrafe hatten, wurden in den verschiedenen Provinzen zur Reduzierung der Infektionsgefahr entlassen (HRCP 2021).
Vertreter der christlichen Minderheit und der Ahmadis berichten, Mitglieder ihres Glaubens seien Gewalt durch Mithäftlinge ausgesetzt. Außerdem gibt es Berichte, wonach der Blasphemie Verdächtigte über lange Zeiträume in Einzelhaft gehalten werden. Gefängnisverantwortliche argumentieren, dass dies zu deren eigenem Schutz geschehe (USDOS 30.3.2021).
Es gibt eigene Jugendgefängnisse (USDOS 30.3.2021). Insgesamt sollen sich ca. 1.300 Jugendliche in den Gefängnissen befinden. Nach internationalen Standards hat Pakistan immer noch eine der niedrigsten Altersschwellen für strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dies führt dazu, dass vergleichsweise viele Minderjährige Gefängnisstrafen ableisten. Im Hinblick auf die Haftbedingungen und die oft nicht ausreichende Trennung zwischen erwachsenen und minderjährigen Strafgefangenen in Vollzugsanstalten ist dies besonders problematisch. Der Jugendstrafvollzug erfüllt nicht die sowohl nach pakistanischem Recht (Juvenile Justice System Ordinance 2000) als auch vom Übereinkommen über die Rechte des Kindes vorgegebenen Mindestanforderungen (AA 28.9.2021). Es gibt Berichte über Vergewaltigungen von Minderjährigen in Gefängnissen (USDOS 30.3.2021).
Es gibt gesonderte Frauengefängnisse. Bei gemischten Gefängnissen sind Frauen- und Männerabteilungen voneinander getrennt. Die Zahl der weiblichen Strafgefangenen in den Gefängnissen Pakistans dürfte ca. 1.500 betragen. Weibliche Gefangene sind mitunter Belästigungen ausgesetzt (AA 28.9.2021).
Es gibt Ombudspersonen für Gefangene mit einer Zentralstelle in Islamabad und Büros in jeder Provinz. Generalinspektoren für Gefängnisse besuchen in unregelmäßigen Abständen die Haftanstalten, um die Bedingungen zu überwachen und Beschwerden zu bearbeiten. Laut Gesetz müssen die Gefängnisbehörden den Inhaftierten erlauben, sich ohne Zensur bei den Justizbehörden zu beschweren und eine Untersuchung glaubwürdiger Vorwürfe über unmenschliche Bedingungen zu verlangen. Es gibt jedoch Berichte, wonach Gefangene davon absehen, Beschwerden einzureichen, um Vergeltungsmaßnahmen der Gefängnisbehörden zu vermeiden. Internationale Organisationen führen Kontrollbesuche in den Gefängnissen durch, berichten aber auch über Schwierigkeiten beim Zugang zu einigen Gefängnissen, insbesondere solchen mit Häftlingen, die aufgrund sicherheitsrelevanter Vergehen angeklagt sind. Der Zugang zu Gefängnissen in den stark von Gewalt betroffenen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan ist den Organisationen untersagt. Einigen Menschenrechtsorganisationen ist es erlaubt, die Bedingungen in Jugend- und Frauengefängnissen zu überprüfen (USDOS 30.3.2021).
Im Laufe des Jahres 2020 setzten die Gefängnisverwaltungen von Punjab, Sindh und Khyber Pakhtunkhwa den Bau ihrer eigenen Gefängnisakademien fort und konzentrierten sich dabei auf moderne Techniken des Gefängnismanagements, die die Menschenrechte fördern und gewalttätigem Extremismus entgegenwirken sollen (USDOS 30.3.2021).
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Todesstrafe
Letzte Änderung: 23.03.2022
Die Todesstrafe wird in Pakistan im Prinzip vollstreckt. Ein 2008 eingesetztes Moratorium auf die Vollstreckung der Todesstrafe wurde als Folge des Terrorangriffs auf die Army Public School in Peshawar, bei dem ca. 150 Schüler ums Leben gekommen sind, im Jahr 2015 aufgehoben. Nach Schätzungen von pakistanischen Menschenrechtsorganisationen - der Staat veröffentlicht keine offizielle Statistik - wurden seit Aufhebung des Moratoriums über 500 Menschen hingerichtet, mindestens 14 von ihnen 2019. Die Zahl der Hinrichtungen war allerdings bereits von 2015 bis 2019 stark rückläufig (AA 28.9.2021). Im Jahr 2020 wurden schließlich zum ersten Mal seit der Wiederaufnahme der Vollstreckung der Todesstrafe keine Hinrichtungen gemeldet (AI 4.2021; vgl. HRCP 2021, AA 28.9.2021). Auch im Jahr 2021 fand laut Informationen des australischen Außenministeriums und des Cornell Centers on the Death Penalty Worldwide keine Hinrichtung statt (DFAT 25.1.2022; CCDPW o.D.).
Nichtsdestotrotz werden weiterhin Todesurteile ausgesprochen (AA 28.9.2021). Für das Jahr 2020 geht die NGO Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) aufgrund von Presseberichten von mindestens 177 Todesurteilen aus. Dies stellt einen deutlichen Rückgang gegenüber den mindestens 578 Todesurteilen des Jahres 2019 dar (HRCP 2021). Amnesty International geht im selben Zeitraum von mindestens 49 Todesurteilen aus. Dies ist ebenfalls ein Rückgang zu den Daten der Vorjahre. Nach Einschätzung von Amnesty International könnte der Rückgang teilweise mit der Unterbrechung der Gerichtsverfahren aufgrund der COVID-19-Pandemie zusammenhängen (AI 4.2021). Die Gesamtzahl der zum Tode Verurteilten in pakistanischen Gefängnissen lag Ende April 2021 bei ca. 3.800-4.200 (AA 28.9.2021).
Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt sind, welche mit der Todesstrafe sanktioniert werden können (USDOS 30.3.2021). Bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden, darunter Blasphemie, Mord, Hochverrat, Spionage, Vergewaltigung und terroristischer Anschlag mit Todesfolge. Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gesetzten Rahmen der "most serious crimes" hinaus. Diesen hat auch Pakistan ratifiziert. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile außerdem auf rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren. So passieren auch in Verfahren, in denen die Todesstrafe verhängt wird, immer wieder schwere Justizirrtümer, und grundlegende Verfahrensrechte der Angeklagten werden schwer missachtet. Urteile werden mitunter ausschließlich aufgrund von Geständnissen verhängt, wobei davon auszugehen ist, dass diese immer wieder auch durch Folter oder Misshandlung in Polizeigewahrsam erzwungen werden. Zum Tode Verurteilten stehen als Rechtsmittel der normale gerichtliche Instanzenweg bis zum Supreme Court und anschließend die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten offen. Seit Aufhebung des Moratoriums hat der Staatspräsident nach Kenntnis des Deutschen Auswärtigen Amts jedoch in keinem Fall einem Gnadengesuch stattgegeben (AA 28.9.2021). Zahlreiche Todesstrafen werden allerdings in Berufungsverfahren aufgehoben (DFAT 25.1.2022).
Es besteht die Gefahr, dass Personen, die gemäß völkerrechtlich für Pakistan bindender Verträge zwingend von der Verhängung der Todesstrafe ausgenommen sind, dennoch zum Tode verurteilt und auch hingerichtet werden. Dies gilt etwa für Minderjährige oder Menschen mit geistigen Behinderungen (AA 28.9.2021). Das staatliche Recht verbietet ebenfalls die Anwendung der Todesstrafe für Minderjährige, dennoch verurteilen Gerichte Minderjährige nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz zum Tode. Dabei erschwert der Mangel an zuverlässigen Unterlagen die Bestimmung des Alters möglicher Minderjähriger (USDOS 30.3.2021). Im Feber 2021 hat der Supreme Court mit einem wegweisenden Urteil die Todesstrafe für zwei psychisch Kranke aufgehoben. Inwieweit das Urteil Präzedenzcharakter hat, bleibt abzuwarten (AA 28.9.2021). Bereits kurz danach wurden einige Todesurteile psychisch kranker Häftlinge in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt (DFAT 25.1.2022).
Das pakistanische Strafgesetzbuch verbietet in §295c die Beleidigung des Propheten Mohammed und sieht selbst bei unbeabsichtigter Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oftmals wird auf Druck von Extremisten erstinstanzlich die Todesstrafe verhängt, diese wurde bislang jedoch noch nie für Blasphemie vollstreckt, sondern häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben. Nach divergierenden Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mit Stand Mai 2021 zwischen 30 und 80 wegen Blasphemie zum Tode Verurteilte auf die Vollstreckung ihres Urteils warten (AA 28.9.2021). In den letzten Jahren wurden auch einige Todesurteile aufgrund blasphemischer Inhalte in Nachrichten in den sozialen Medien, wie Facebook und WhatsApp verhängt (The Guardian 19.1.2022).
Eine Abschaffung der Todesstrafe ist aufgrund der überwältigenden Unterstützung für die Todesstrafe in der Bevölkerung auch längerfristig unrealistisch (AA 28.9.2021).
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Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 23.03.2022
Laut der Volkszählung von 2017 sind 96 Prozent der ca. 210 Millionen Einwohner Pakistans sunnitische oder schiitische Muslime. Schätzungen zufolge sind circa 80-85 Prozent der muslimischen Einwohner Pakistans Sunniten und 15-20 Prozent Schiiten, zu welchen auch die Ismaelitischen Schiiten, die Bohra sowie die ethnische Minderheit der Hazara gehören (USDOS 12.5.2021). Laut dem Zensus sind Hindus mit 1,73 Prozent der Bevölkerung die größte Minderheit, gefolgt von Christen mit 1,27 Prozent. Ahmadis stellen einen Anteil von 0,09 Prozent (PBS o.D.). Schließlich entfallen 0,3 Prozent auf die weiteren religiösen Gruppen, wie Zoroastrier, Bahai, Sikhs, Buddhisten, Kalasha, Kihal und Jainisten (USDOS 12.5.2021). Allerdings sind laut Verfassung Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadis keine Muslime, obwohl sie sich selbst als solche sehen. Viele Ahmadis boykottierten die Volkszählung deshalb, sodass ihre Anzahl größer sein dürfte. Auch Vertreter der anderen Minderheitenreligionen meinen, ihre jeweilige Anzahl wäre größer (USDOS 12.5.2021; vgl. ACCORD 3.2021).
Die pakistanische Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und hält fest, dass alle Gesetze in Einklang mit den Prinzipien des Islams zu bringen sind und keine Gesetze verabschiedet werden dürfen, die diesen zuwiderlaufen. Die Verfassung hält allerdings fest, dass diese Vorgaben nicht das Personenstandsrecht sowie die Staatsbürgerschaft von Nicht-Muslimen beeinträchtigen dürfen. Zur Prüfung von Gesetzen und Urteilen ist in der Verfassung das Federal Shariat Court und für Empfehlungen an den Gesetzgeber der Council of Islamic Ideology vorgesehen. Per Verfassung sind in der Nationalversammlung, im Senat und den Provinzversammlungen Sitze für nicht-muslimische Abgeordnete reserviert. (USDOS 12.5.2021). Das zuständige Ministerium für religiöse Angelegenheiten und interreligiöse Harmonie konzentriert sich hauptsächlich auf muslimische Angelegenheiten und bietet keinen effektiven Schutz für die Minderheitenrechte, unterstützt aber auch religiöse Minderheiten und deren Einrichtungen finanziell (UKHO 2.2021). Mit der 18. Verfassungsänderung 2010 wurden außerdem in allen Provinzen Ministerien zur Wahrung der Rechte der Minderheiten eingerichtet (AA 28.9.2021).
Grundsätzlich garantiert die Verfassung jedem Bürger das Recht, sich zu seiner Religion zu bekennen, sie auszuüben und diese zu propagieren (USDOS 12.5.2021). Die gesellschaftliche Realität sieht anders aus (AA 28.9.2021). Mitglieder von religiösen Minderheiten werden regelmäßig Opfer religiös motivierter Übergriffe, die vor allem von sunnitisch-extremistischen Gruppierungen verübt oder veranlasst werden (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). So sind religiöse Minderheiten eines der erklärten Hauptziele von Anschlägen islamistischer militanter Gruppen (HRW 13.1.2022). Sektiererische Anschläge und Opferzahlen sind allerdings in den letzten Jahren zurückgegangen (USDOS 12.5.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete das Sicherheitsanalyseinstitut PIPS zwei terroristische Anschläge auf die schiitische Religionsgemeinde mit insgesamt 13 Toten und einen Anschlag auf die Sikh-Gemeinde mit einem Toten (PIPS 17.1.2022). Am 4.3.2022 gelang es allerdings dem IS, einen Großanschlag auf eine schiitische Moschee in Peshawar durchzuführen, dem mindestens 56 Menschen zum Opfer fielen (AP 5.3.2022).
Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft und Vertreter der Religionsgemeinden berichten, dass die Regierung die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an religiösen Orten der Minderheiten, die in den letzten Jahren häufig Ziele von Übergriffen waren, verstärkt hat. Während religiöser Feiertage erhöht die Polizei außerdem die Sicherheitsmaßnahmen in Abstimmung mit den Religionsführern. Die Regierung setzt ihren Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Terrorismus, der auch konfessionell motivierten Extremismus und Hassreden berücksichtigt, fort. Es werden Militär- und Strafverfolgungsoperationen zur Bekämpfung des Terrorismus durchgeführt (USDOS 12.5.2021).
Radikal-islamistische Gruppierungen stellen allerdings nicht die einzige Gefahr für religiöse Minderheiten dar. Diese sehen sich zusätzlich einer existenziellen Bedrohung durch Anschuldigungen wegen Verstoßes gegen Religionsstraftaten, wie "Prophetenbeleidigung" oder Gotteslästerung bzw. Blasphemie ausgesetzt, die auffallend häufig gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgebracht werden (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). Besonders Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft sind ein Hauptziel der Strafverfolgungen nach den Blasphemiegesetzen sowie nach speziellen Anti-Ahmadi-Gesetzen. Militante Gruppen und die islamistische politische Partei Tehreek-e-Labbaik (TLP) beschuldigen Ahmadis, sich "als Muslime auszugeben" - ein Straftatbestand nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch (HRW 13.1.2022).
Das Strafgesetzbuch sieht bei Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Diese wurde für Blasphemie bislang jedoch noch nie vollstreckt und häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben (AA 28.9.2021). Die zumeist haltlosen Anschuldigungen haben allerdings nicht nur strafrechtliche Verfolgung und teilweise jahrelange schuldlose Inhaftierung zur Konsequenz, sondern werden auch zum Anlass genommen, Menschenmengen gegen die Beschuldigten oder deren religiöse Gemeinschaft zu mobilisieren (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). Ein gewöhnlicher Disput kann für Mitglieder der Minderheitenreligionen das Risiko einer Anschuldigung der Blasphemie bergen, die zu Strafverfolgung und Mobgewalt führen kann. Die Blasphemiegesetze und ihr Missbrauch durch religiöse Fanatiker beschränken allerdings auch die Meinungsfreiheit von Muslimen (FH 3.3.2021). Fälle von Mob-Gewalt nach Blasphemievorwürfen betreffen so auch Muslime (Al Jazeera 13.2.2022; vgl. PIPS 17.1.2022).
Gesellschaftliche Gewalt aufgrund religiöser Intoleranz bleibt damit ein ernstes Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. HRCP 2021, AI 7.4.2021). Es kommt zu gelegentlichen Ausbrüchen von Mobgewalt gegen Minderheiten, wie Christen, Hindus und Ahmadis sowie zu gezielte Tötungen an Personen schiitischen Glaubens und an Ahmadis (USDOS 30.3.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete PIPS sieben Vorfälle religiös-motivierter "Mob"-Gewalt in Pakistan. Diese forderten zwei Tote, darunter ein Ahmadi. Vier Vorfälle betrafen Mobgewalt nach Blasphemievorwürfen, ein Hindu wurde dabei getötet. Bei zwei Gewaltakten wurden Hindu-Tempel beschädigt (PIPS 17.1.2022).
In Hinblick auf die gesellschaftliche Gewalt gegen religiöse Minderheiten berichten NGOs, dass Behörden oft darin versagen, bei derartigen Vorfällen einzugreifen - aus Angst vor Vergeltung oder aufgrund eines mangelnden Personalstandes. Für Täter gibt es häufig aufgrund eines mangelhaften Durchgreifens der Strafverfolgung, Bestechung oder Druck auf die Opfer keine rechtlichen Konsequenzen. Die Regierung setzt einige Schritte, um religiöse Minderheiten zu schützen (USDOS 12.5.2021).
Außerdem gibt es Fälle von Entführungen und Zwangsheiraten sowie Zwangskonversionen von christlichen und hinduistischen Mädchen und Frauen durch muslimische Männer (HRCP 2021; vgl. USDOS 12.5.2021, USCIRF 4.2021, FH 3.3.2021). Die Zahl an Entführungen soll in die Hunderte gehen und besonders Minderheiten betreffen, da sie aufgrund ihrer marginalen ökonomischen Lage ungeschützter sind und ihre Konversion zum Islam als religiös wünschenswert gesehen wird (DFAT 25.1.2022). Christen treffen aufgrund mangelhafter rechtlicher Vorgaben außerdem auf Schwierigkeiten, ihre Ehen registrieren zu lassen, Ahmadis zusätzlich aufgrund dessen, dass sie ihre Ehe nicht als Muslime registrieren lassen dürfen (USDOS 12.5.2021).
Laut Vertretern der religiösen Minderheiten erlaubt die Regierung den meisten organisierten religiösen Gruppen, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden. Einige Hindu- und Sikh-Tempel wurden nach einer Renovierung im Jahr 2020 wieder eröffnet. Ahmadis jedoch verweigern die lokalen Behörden regelmäßig die notwendigen Baubewilligungen für ihre Gebetshäuser. Offizielle Restriktionen diesbezüglich gibt es nicht, abgesehen davon, dass sie ihre Gebetshäuser nicht Moscheen nennen dürfen (USDOS 12.5.2021).
Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Die Ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Minderheiten und für Menschenrechte halten Anhörungen ab. Die National Commission on Human Rights (NCHR) ist ebenfalls mit der Untersuchung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen beauftragt und kann diese auch vor Gericht bringen. Sie hat aber wenig Macht zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Zudem blieb sie auch im Jahr 2020 wie die Jahre davor ohne Mandat und disfunktional (USDOS 12.5.2021).
Die Regierung hat im Mai 2020 die Schaffung einer National Commission for Minorities, verortet innerhalb des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten, beschlossen. Die Einrichtung folgt einer Entscheidung des Supreme Courts zur staatlichen Sicherstellung der Rechte der religiösen Minderheiten. Vorsitzender ist ein Hindu, Mitglieder sind u.a. Christen, Sikh, Parsi und Kalasha. Aktivisten für religiöse Freiheit meinen, dass diese Kommission wirkungslos ist. Sie zeigen sich besorgt über den Mangel an Einbeziehung der Öffentlichkeit, die eingeschränkten Machtbefugnisse und den Ausschluss der Ahmadis aus der Kommission (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 28.9.2021).
Vertreter der Minderheiten berichten, dass die Regierung bei der Anwendung der Gesetze zur Sicherstellung der Minderheitenrechte sowie der Durchsetzung der Schutzregelungen für Minderheiten auf Bundes- und Provinzebene inkonsequent ist. Folglich ist auch der Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung inkonsequent. Die Minderheiten sehen sich auch im staatlichen Bereich Diskriminierungen in unterschiedlichen Ausmaßen konfrontiert, wobei Ahmadis am stärksten betroffen sind (USDOS 12.5.2021). Die Benachteiligung religiöser Minderheiten im Bildungswesen, in der Wirtschaft und im Berufsleben bleibt weit verbreitet. Geschätzte 80 Prozent der pakistanischen Minderheitenbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (AA 28.9.2021).
Gemäß Verfassung dürfen Personen bei der Anstellung im öffentlichen Dienst nicht aufgrund ihrer Religion diskriminiert werden. Im öffentlichen Dienst gilt außerdem eine Minimumquote von 5 Prozent für Minderheiten. Diese Quote wird oft nicht erreicht (USDOS 12.5.2021). Nach Regierungsangaben sind es 2,8 Prozent (UKHO 2.2021). Die meisten religiösen Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei Anstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst sowie bei der Aufnahme an Hochschulen. Auch im Militärdienst gibt es zwar keine offiziellen Hürden für einen Aufstieg, allerdings steigen Angehörige von religiösen Minderheiten nur selten in einen höheren Dienstgrad als Oberst auf (USDOS 12.5.2021). Minderheiten sind besonders in den Streitkräften, der Polizei und der Judikative stark unterrepräsentiert (AA 28.9.2021).
Nach Angaben der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCJP) haben sich während der COVID-19-Pandemie Vorfälle gehäuft, wonach Christen und andere religiöse Minderheiten bei der Verteilung von Schutzausrüstungen und humanitären Hilfen benachteiligt worden sind. Demnach haben z.B. islamische Organisationen und Moscheegemeinden Christen bei der Verteilung von Lebensmitteln und anderen Nothilfen in ländlichen Gebieten der Provinz Punjab zurückgewiesen (BAMF 5.2020).
Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise. Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben besteht vor allem dann, wenn sich der Betroffene besonders exponiert (AA 28.9.2021). Ein Abschwören des Islams wird gemeinhin unter islamischen Klerikern als Blasphemie ausgelegt, auf welche die Todesstrafe steht (USDOS 12.5.2021). Eine Konversion vom Islam, obwohl sie nicht verboten ist, wird somit oft als Blasphemie angesehen und kann in einer Strafverfolgung unter den Blasphemiegesetzen oder in familiärer oder gesellschaftlicher Gewalt münden (DFAT 25.1.2022).
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Ahmadis
Letzte Änderung: 23.03.2022
Beim letzten Zensus von 2017, dessen Ergebnis im April 2021 offiziell angenommen wurde (PBS 10.12.2021), registrierten sich an die 192.000 Menschen als Ahmadis (PBS o.D.a). Offiziell machen Ahmadis damit 0,09 Prozent der pakistanischen Bevölkerung aus (PBS o.D.). Quellen zufolge boykottierten viele Ahmadis den Zensus, da sie sich nicht als Muslime registrieren lassen durften. Außerdem wird berichtet, dass sich viele Ahmadis öffentlich nicht als solche zu erkennen geben aus Sorge vor Repressalien. Es gibt somit keine verlässlichen Statistiken zur Anzahl der Ahmadis in Pakistan. Die Schätzungen über die Anzahl der Anhänger der Ahmadiya Muslim Jamaat, der Hauptströmung dieses Glaubens, in Pakistan reichen von 500.000 bis 5 Millionen Mitglieder. Die Mitgliederzahl der kleineren Lahore-Gruppe [Anmerkung: Ahmadiya Anjuman Ischaʽat-i-Islam Lahore] wird auf rund 5.000 bis 10.000 Anhänger in Pakistan geschätzt. Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan befindet sich in Rabwah, offiziell Chenab Nagar benannt. Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Einwohner der Stadt, circa 60.000 bis 70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere Siedlungszentren der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters Peschawar, Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 9.2021; vgl. AA 28.9.2021).
Die Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft wird von Gesetzes wegen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Dies wurde Verfassungsgrundsatz durch die Änderung der Verfassung 1974. Den Ahmadis wird zwar vom Gesetz der Status einer religiösen Minderheit eingeräumt, gleichzeitig ist es ihnen aber ausdrücklich und unter Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten (AA 28.9.2021). Dieses Verbot ist seit 1984 im Pakistanischen Strafgesetzbuch (§ 298 b und 298 c PPC) niedergelegt und mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren sanktioniert. Dieser Abschnitt des Strafgesetzes wird gemeinhin auch "Anti-Ahmadiyya Gesetze" genannt. Damit ist es für Ahmadis unter anderem auch strafbar, ihren Glauben als Islam und ihre Gebetshäuser als Moscheen zu bezeichnen, die traditionellen islamischen Grußformeln und den traditionellen muslimischen Aufruf zum Gebet zu benutzen oder öffentlich aus dem Koran zu zitieren. Kernelemente ihrer Glaubensausübung sind somit kriminalisiert. An sich ist der Besitz von Ahmadi Literatur nicht verboten, jedoch der Verkauf und die Veröffentlichung. Außerdem gibt es Berichte, wonach die Sicherheitsbehörden fallweise das Anti-Terror-Gesetz verwenden, um Ahmadi Literatur als Hassschriften zu kriminalisieren. Bei einem Vorgehen nach diesem Gesetz sind auch die Rechte der Beschuldigten eingeschränkt (UKHO 9.2021).
20 Prozent aller Blasphemie Anzeigen des Jahres 2020, die insgesamt auf mindestens 199 anstiegen, richteten sich gegen Ahmadis (USDOS 12.5.2021). Bei Ahmadis kommt auch die Strafverfolgung durch die oben erläuterten "Anti-Ahmadiyya Gesetze" hinzu (HRW 31.1.2021). In der Regel bringen islamistische Gruppierungen Strafverfahren gegen Ahmadis in Gang. Die Blasphemie-Gesetzgebung wird benutzt, die Angehörigen der Ahmadi-Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und Auseinandersetzungen um Grundbesitz. Nach Eigenangaben der Ahmadiyya befinden sich mit Stand 31.03.2021 elf Ahmadis in Haft (AA 28.9.2021). Die korrekten Vorgehensweisen und Beweisstandards werden in Blasphemiefällen sowohl von Polizei als auch erstinstanzlichen Gerichten nicht durchgängig eingehalten (UKHO 9.2021).
Das Gesetz verlangt von gewählten muslimischen Volksvertretern einen Schwur, der bekräftigt, dass Mohammed der letzte Prophet des Islams ist. Da Ahmadis an weitere Propheten nach Mohammed glauben, verwehrt ihnen dieses Gesetz die Bekleidung dieser Ämter (USDOS 12.5.2021). Da sie sich gleichzeitig selbst als Muslime verstehen, kandidieren sie nicht für die Listenplätze der Parteien für nicht-muslimische Minderheiten und sind somit nicht im Parlament vertreten (AA 28.9.2021).
Bei Beantragung des Personalausweises (Computerized National Identity Card / CNIC) muss die eigene Religion registriert werden. Diese wird aber nicht auf der Karte angegeben. Der Personalausweis ist für alle Staatsbürger über 18 verpflichtend und wird unter anderem für Wahlen und Pensionsauszahlungen benötigt. Personen, die sich als Muslime verzeichnen lassen wollen, müssen eine Deklaration unterschreiben, in der sie an den Glauben schwören, dass Mohammed der letzte Prophet ist, sie den Gründer der Ahmadiyya Religion als falschen Propheten verurteilen und Ahmadis als Nicht-Muslime bezeichnen (USDOS 12.5.2021). Registrieren sie sich hingegen als Ahmadis müssen sie einen Schwur unterzeichnen, dass sie nicht Muslime sind (UKHO 9.2021). Derselbe Vorgang ist für die Zulassung an einem College oder einer Universität notwendig. Viele Ahmadis boykottieren Wahlen, zum einen aus Protest, da dieser Vorgang notwendig ist, um wählen zu können, und zum anderen aus Furcht vor Bedrohungen, da Personen, die sich als Ahmadis registrieren, auf einer eigenen Wählerliste geführt werden. Am Reisepass ist die Religionszugehörigkeit angegeben. Es wird als Religionszugehörigkeit „Ahmadi“ angegeben, wenn der Antragsteller sich als solcher deklariert (USDOS 12.5.2021). Viele Ahmadis unterzeichnen aber auch den Schwur um als Muslime eingetragen zu werden aus Sorge vor Benachteiligungen im Beruf. Es gibt auch Berichte von Fällen, wo die Erklärung nicht abgegeben wurde und trotzdem ein Pass ausgestellt wurde. Auf älteren Pässen ist die Religionszugehörigkeit nicht angegeben (UKHO 9.2021).
Eine objektiv meinungsbildende Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft kommt im öffentlichen Diskurs nicht vor. Vielmehr wird eine gegen Ahmadis gerichtete Rhetorik in sozialen und Printmedien, bei Versammlungen oder Freitagsgebeten sowie im Alltag auf Plakaten verbreitet (BAMF 5.2020). Außerdem werden wirtschaftliche Ausgrenzungskampagnen von einigen muslimischen Klerikern forciert, die dazu aufrufen, Geschäfte von Ahmadis zu boykottieren (UKHO 9.2021). Ahmadis berichten von weitverbreiteten sozialen Belästigungen und Diskriminierungen, darunter auch physischen Angriffen, Zerstörung von Häusern oder Drohungen mit dem Ziel, den Arbeitsplatz oder den Wohnort zu verlassen. Laut NGOs beschränkt die Regierung Werbung oder Ansprachen, die zu Gewalt gegen Ahmadis aufrufen, nicht (USDOS 12.5.2021).
Im Jahr 2020 kam es zu einer spürbaren Zunahme an rhetorischen Entgleisungen - bis hin zu Mordaufrufen - gegenüber Anhängern der Ahmadiyya, auch von hochrangigen Regierungsmitgliedern (AA 28.9.2021). Dem vorangegangen war eine Gerichtsverhandlung gegen einen Ahmadi unter dem Vorwurf von Blasphemie, bei welcher der Beschuldigte im Gerichtssaal ermordet wurde. Der Mord fand großen öffentlichen Zuspruch in gegen Ahmadis gerichteten Hassreden und Umzügen. Auch der Beschluss aus der im Mai 2020 genehmigten Nationalen Kommission für Minderheiten Ahmadis auszunehmen, wurde von einer Welle an Hassreden gegen Ahmadis begleitet. Unter anderem verabschiedete die Provinzversammlung des Punjabs eine Resolution, die verlangte, dass Ahmadis erst in eine solche Kommission aufgenommen werden sollten, wenn ihre Führer öffentlich erklärten, dass sie keine Muslime seien. Mehrere hochrangige Regierungsmitglieder forderten öffentlich dasselbe. Das ganze Jahr 2020 über hielten islamische Organisationen gegen Ahmadis gerichtete Versammlungen und Protestzüge ab (USDOS 12.5.2021).
Nach Angaben der HRCP wurden 2020 mindestens drei Anhänger der Ahmadiyya-Gemeinschaft getötet. Einige Quellen sprechen von bis zu fünf religiös motivierten Morden. Besonders in der Stadt Peschawar kam es zu einer auffälligen Häufung von Gewaltakten (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021). Seit Jahrzehnten kommt es in Pakistan immer wieder zu Ausschreitungen gegen Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft und Schändungen ihrer religiösen Stätten und Friedhöfe (AA 28.9.2021). Mehrere Berichte zu Verwüstungen an religiösen Stätten gibt es auch für das Jahr 2021 (BAMF 5.7.2021). Die Polizei ist im Allgemeinen zögerlich beim Schutz der Ahmadis. Es gibt Berichte über Vorfälle, wo die lokale Polizei in falsche Anklagen gegen Ahmadis, in die Entfernung islamischer Symbole oder die Konfiszierung von Ahmadi Glaubensstätten involviert war. Außerdem zögern Ahmadis oft, Vorfälle der Polizei zu melden, aus Angst vor einer Anzeige aufgrund der Anti-Ahmadi- oder Blasphemiegesetze (UKHO 9.2021). Ahmadis werden außerdem Opfer von radikal-sunnitischem Terrorismus. In Rabwah finden schwere Gewalttaten gegen Mitglieder der Ahmadiyya nach Erkenntnissen des Deutschen Auswärtigen Amts selten statt (AA 28.9.2021).
Jede lokale Ahmadi-Gemeinschaft führt eine Liste ihrer Mitglieder (UKHO 9.2021). Es ist möglich und kommt gelegentlich vor, dass ein Nicht-Ahmadi-Muslim Ahmadi-Muslim wird. Es gibt keine besondere Zeremonie, die mit dem Übertritt in die Ahmadi-Gemeinschaft verbunden ist, aber ein Verfahren. Dabei erhält die Person ein Baiat-Formular (Initiationsformular), das zur Genehmigung die Hierarchie der Führung der Ahmadiyya durchläuft. Da die pakistanischen Gesetze Konversionen behindern, ist es nicht mehr möglich, das Verfahren in Pakistan akribisch zu befolgen (VB 3.10.2020).
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Blasphemiegesetze
Letzte Änderung: 22.03.2022
Pakistan gehört zu den Ländern mit den schärfsten Blasphemiegesetzen. Der überwiegende Teil der pakistanischen Gesellschaft unterstützt die Blasphemie-Gesetzgebung. Seit 1990 verbietet § 295a des Strafgesetzbuches das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b die Entweihung des Koran und § 295c die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht selbst bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oft wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt. Diese wurde bislang jedoch noch nie in einem Blasphemiefall vollstreckt und häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben (AA 28.9.2021; vgl. USDOS 12.5.2021, DFAT 25.1.2022). Nach unterschiedlichen Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mit Stand Mai 2021 zwischen 30 und 80 wegen Blasphemie zum Tode Verurteilte auf die Vollstreckung ihres Urteils warten (AA 28.9.2021).
Besonders Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft sind ein Hauptziel der Strafverfolgungen nach den Blasphemiegesetzen sowie nach speziellen Anti-Ahmadi-Gesetzen. Militante Gruppen und die islamistische politische Partei Tehreek-e-Labbaik (TLP) beschuldigen Ahmadis, sich "als Muslime auszugeben" - ein Straftatbestand nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch (HRW 13.1.2022). Ahmadis ist es ausdrücklich und unter massiver Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Dieses Verbot für Nicht-Muslime ist mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert. Es besteht dabei immer die Gefahr, dass – ähnlich wie bei christlichen Minderheiten – ein gegen Ahmadis gerichtetes Verfahren um den Vorwurf der Blasphemie erweitert wird. In der Berufungsinstanz wird der Strafvorwurf häufig abgeändert, sodass die für Blasphemie vorgesehene Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe (die auf 25 Jahre begrenzt ist) umgewandelt wird (AA 28.9.2021).
Richter sind oft zögerlich, Blasphemiefälle zu verhandeln oder zu entscheiden, aus Angst vor Vergeltungstaten oder Ausschreitungen. NGOs, Rechtsexperten und Vertreter religiöser Minderheiten bringen vor, dass die unteren Gerichte die Beweisstandards in Blasphemiefällen kaum einhalten. Schleppende Verfahren führen weiters dazu, dass Verdächtige jahrelang in Haft verbringen oder ihre Berufung abwarten müssen, wobei einige nach Jahren aufgrund von Mängeln in der Beweisführung freigesprochen werden (USDOS 12.5.2021; vgl. UKHO 2.2021). Die Verurteilungsrate in den unteren Gerichten ist hoch, Richter stehen dabei oft unter enormen Druck. Die meisten Verurteilungen werden in den höheren Gerichten aufgehoben (DFAT 25.1.2022). Eine Erhebung im Jahr 2015 zeigte, dass 80 Prozent der Blasphemieanklagen in Freisprüchen mündeten (UKHO 2.2021). NGOs berichten außerdem, dass viele der Blasphemie beschuldigte Personen für längere Zeit in Einzelhaft bleiben. Die Regierung argumentiert, dies diene der Sicherheit der Betreffenden (USDOS 30.3.2021).
Insgesamt wurden seit Beginn der stringenten Anwendung der Blasphemiegesetze im Jahr 1987 bis inklusive 2021 von der NGO Commission on Social Justice (CSJ) 1.949 Blasphemieanzeigen registriert, wobei diese besonders in der letzten Dekade zugenommen haben. Die tatsächliche Zahl an Anzeigen dürften laut ihrer Einschätzung höher sein. Von der Gesamtzahl betrafen 47,6 Prozent Muslime, 33 Prozent Ahmadis, 14,4 Prozent Christen und 2,15 Prozent Hindus. Regional liegt der Schwerpunkt mit knapp 76 Prozent aller Anzeigen im Punjab (CSJ 2.2022).
Insgesamt ist zu beobachten, dass zwar Muslime die numerische Mehrheit der wegen Blasphemie Inhaftierten bilden, dass aber gleichzeitig religiöse Minderheiten im Verhältnis zu ihrem geringen Anteil an der Bevölkerung überproportional betroffen sind (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 28.9.2021). Die nicht-staatlichen Akteure, die Blasphemiegesetze gegen Christen anwenden, werden oft durch persönliche oder geschäftliche Streitigkeiten, Auseinandersetzungen um Land und Eigentum motiviert. Auch bestimmte politische Ereignisse können solche Anschuldigungen auslösen (UKHO 2.2021). Ebenso wird die Blasphemie-Gesetzgebung dazu benutzt, die Angehörigen der Ahmadi-Minderheit aus verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben (AA 28.9.2021). Besonders radikal tritt in der Öffentlichkeit die Gruppe TLP sowohl für die Beibehaltung der Blasphemie-Gesetzgebung als auch in Zusammenhang mit Blasphemie-Anschuldigungen auf (BAMF 5.2020).
Im Jahr 2020 wurden die Blasphemiegesetze auch gegen Künstler, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten angewendet (AI 7.4.2021). Außerdem wurden in den letzten Jahren einige Todesurteile aufgrund blasphemischer Inhalte in Nachrichten in sozialen Medien, wie Facebook und WhatsApp verhängt (The Guardian 19.1.2022). Die Blasphemiegesetze und ihr Missbrauch durch religiöse Fanatiker beschränken somit auch die Meinungsfreiheit von Muslimen (FH 3.3.2021).
Echte Beweise liegen in den seltensten Fällen vor. Die Verurteilungen wegen angeblicher Blasphemie stützen sich oft ausschließlich auf Zeugenaussagen. Außerdem können Personen, denen "Prophetenbeleidigung" vorgeworfen wird, kaum Rechtsbeistand finden. Pflichtverteidiger lehnen die Annahme der Fälle nicht selten ab oder verfolgen das Mandanteninteresse aus Furcht vor persönlichen Konsequenzen nicht ernsthaft (BAMF 5.2020). Gruppen wie die TLP bedrohten in einigen Fällen auch die Anwälte der Angeklagten, ihre Familien oder Unterstützer (USDOS 12.5.2021).
Problematisch bleibt damit die Wirkung der Blasphemie-Gesetzgebung auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Blasphemie-Vorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. Jemand, der einmal wegen Blasphemie verurteilt wurde, wird auch nach Freispruch durch ein Berufungsgericht vielfach von extremistischen Organisationen verfolgt. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten (AA 28.9.2021). Auch wenn die Behörden noch keine Person wegen Blasphemie hingerichtet haben, führen Anschuldigungen wegen Blasphemie oft zu Selbst- und Lynchjustiz durch aufgebrachte Menschenmengen (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 25.1.2022). Seit 1987 wurden laut den Aufzeichnungen von CSJ mindestens 84 Personen nach Vorwürfen der Blasphemie oder Apostasie getötet, darunter 42 Muslime, 23 Christen, 14 Ahmadis, zwei Hindus und eine Buddhist (CSJ 2.2022).
Die Polizei griff bei mehreren Gelegenheiten ein, um die Gewalt des Mobs gegen Personen zurückzudrängen, die der Blasphemie beschuldigt wurden. Meist erhebt die Polizei gegen Personen, die falsche Blasphemievorwürfe äußern, allerdings keine Anklage (USDOS 12.5.2021).
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Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 22.03.2022
Pakistan ist eine pluralistische Gesellschaft mit einer Vielzahl an religiösen und ethno-linguistischen Identitäten. Die pakistanischen Minderheiten lassen sich im Wesentlichen in die Kategorien "ethnisch und sprachlich" sowie "religiös" einteilen. Der Begriff "Minderheit" wird in der Verfassung der Islamischen Republik Pakistan von 1973 an mehreren Stellen verwendet, es gibt jedoch keine Definition dieses Begriffs. Aufeinanderfolgende Bundesregierungen haben die Position vertreten, dass Minderheiten innerhalb Pakistans notwendigerweise religiös sind, und dass es keine ethnischen oder sprachlichen Minderheiten oder indigene Völker gibt (MRGI 6.2019).
Laut dem letzten Zensus von 2017 sprechen 38,8 Prozent der Bevölkerung Punjabi, 18,2 Prozent Paschtu, 14,6 Prozent Sindhi, 12,2 Prozent Saraiki, 7,1 Prozent Urdu, 3 Prozent Belutschisch, 2,44 Prozent Hindko, 1,2 Prozent Brahvi, 0,2 Prozent Kashmiri und auf weitere, kleinere Sprachen entfallen 2,26 Prozent (PBS o.D.).
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Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 22.03.2022
Per Gesetz sind die Bewegungsfreiheit im Land sowie ungehinderte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung gewährleistet. Diese Rechte werden allerdings eingeschränkt (USDOS 30.3.2021). Die Behörden beschränken aus Sicherheitsbedenken regelmäßig Reisen in einige Teilen des Landes bzw. auch interne Bewegungen innerhalb dieser Gebiete (FH 3.3.2021). So ist der Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans - meist aufgrund von Sicherheitsbedenken - eingeschränkt. Für Reisen in Gebiete, die als sensibel eingestuft werden, ist ein beglaubigtes „No-Objection-Certificate“ notwendig (USDOS 30.3.2021; vgl. HRCP 2021). Innerhalb sensibler Gebiete wird die Bewegungsfreiheit durch Straßensperren und Checkpoints eingeschränkt (HRCP 2021). In den Wochen vor und während der schiitischen Feierlichkeiten zu Muharram werden außerdem die Bewegungs- und Reisefreiheit sowie die Aktivitäten von Klerikern, die für die Aufwiegelung von konfessionell motivierten Spannungen bekannt sind, eingeschränkt (USDOS 12.5.2021).
Das Hauptinstrument zur Einschränkung von Auslandsreisen ist die Exit Control List (ECL), die namentlich genannte Personen von der Nutzung der offiziellen Ausreisepunkte des Landes ausschließt (FH 3.3.2021). Personen auf der ECL ist es verboten, ins Ausland zu reisen. Diese Liste soll Personen, welche in staatsfeindliche Aktivitäten und Terrorismus involviert sind oder in Verbindung zu einer verbotenen Organisation stehen bzw. jene, gegen die ein Strafverfahren vor höheren Gerichten anhängig ist, von Auslandsreisen abhalten (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 25.1.2022). Regelmäßig wird die ECL allerdings als Mittel zur Kontrolle Andersdenkender eingesetzt (FH 3.3.2021), und laut Zivilgesellschaft befinden sich auch Menschenrechtsverteidiger und Kritiker der Regierung und des Militärs auf der Liste. Es ist möglich, vor Gericht Einspruch zu erheben und seinen Namen streichen zu lassen (USDOS 30.3.2021). Für Personen, die auf der Liste stehen, ist es schwierig, aber nicht unmöglich, über illegale Wege das Land zu verlassen (DFAT 25.1.2022).
Regierungsangestellte und Studenten müssen vor Reisen ins Ausland ein sogenanntes No-Objection-Certificate einholen, doch von Studenten wird dies selten verlangt (USDOS 30.3.2021).
Ausweichmöglichkeiten
Interne Migration ist weit verbreitet und üblich. Große Städte, wie Karatschi, Islamabad und Lahore haben eine ethnisch und religiös diverse Bevölkerung und bieten für jene Menschen eine gewisse Anonymität, die vor Gewalt durch nicht-staatliche Akteure fliehen (DFAT 25.1.2022; vgl. AA 28.9.2021). Es gibt zahlreiche große Städte mit einer Bevölkerungsgröße von 1 bis 16 Millionen. Karatschi ist die zwölftgrößte Stadt der Welt und ethnisch besonders divers (UKHO 6.2020).
Schiiten sind über das ganze Land verteilt, und es gibt große schiitische Gemeinschaften in den großen Städten (UKHO 7.2021). Angehörige der schiitischen Minderheit leben in Pakistan beinahe ausschließlich in der Provinz Belutschistan, die meisten in Quetta. Im Ergebnis sind inländische Ausweich- oder Fluchtmöglichkeiten zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, scheinen aber im Falle der Hazara aus Belutschistan deutlich beschränkt (AA 28.9.2021).
Ahmadis bietet ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen und administrativen Zentrum, einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind, auch wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind (AA 28.9.2021). Rabwah erlaubt damit einen größeren Grad an Freiheit, doch durch die große Anzahl an Ahmadis ist sie auch ein Ziel für ihre Gegner. Die staatlichen Gesetze betreffend der Ahmadiyya-Glaubensauslegung gelten in ganz Pakistan und damit auch in Rabwah (UKHO 9.2021). Für Ahmadis besteht ebenso die Möglichkeit, in den Schutz größerer Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Menschen handelt, die überregional bekannt geworden sind. Dies sehen auch Vertreter unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als grundsätzliche Ausweichmöglichkeit. Verfolgte Angehörige der christlichen Minderheit haben generell Ausweichmöglichkeiten in andere Landesteile - abgesehen von Fällen, die überregional bekannt geworden sind (AA 28.9.2021).
Für Angehörige aller Gruppen gilt, dass ein Ausweichen oft das Aufgeben der bisherigen wirtschaftlichen Basis mit sich bringt (AA 28.9.2021). Die Möglichkeit, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen, hängt von finanziellen Mitteln sowie familiären, tribalen und/oder ethnischen Netzwerken ab. Für alleinstehende Frauen ist es schwierig, umzusiedeln (DFAT 25.1.2022).
Alle größeren Städte sind mit Autobahnen verbunden. Die Hauptbahnroute verläuft mehr als 1.600 km quer durchs Land von Karatschi nach Peschawar, via Lahore und Rawalpindi. Eine weitere Hauptbahnlinie verläuft nordwestlich von Sukkur nach Quetta. Die Hauptflughäfen sind Karatschi, Lahore, Rawalpindi, Quetta und Peschawar (EB 4.3.2022; vgl. UKHO 6.2020).
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Registrierungswesen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Ein dem deutschen vergleichbares Meldewesen existiert nicht, und es ist kein zentrales Personenstandsregister vorhanden. Es gibt keine zentralen Informations- oder Fahndungsregister, nur regionale in den jeweiligen Provinzen sowie Bundesbehörden - und auch diese werden unvollständig bestückt. Haftbefehle werden nur eingetragen, wenn ausdrücklich erbeten, was oftmals nicht geschieht. Es gibt ein Datensystem der Bundespolizei FIA, worin ebenfalls Personen aufgenommen werden können, die bei der Ausreise überprüft oder festgenommen werden sollen (AA 29.8.2021).
Identitätskarten (NIC) sind verpflichtend vorzuweisen, um Dokumente (z.B. Führerschein, Reisepass) zu erhalten, ein Bankkonto zu eröffnen, sich als Wähler registrieren zu lassen, Wohnungen zu kaufen oder einer legalen Anstellung nachzugehen. Identitätskarten werden allen Bürgern ab dem 18. Lebensjahr auf Antrag ausgestellt. Die für die Ausstellung zuständige Behörde ist die National Database and Registration Authority (NADRA). Beim Registrierungsprozess werden auch Daten wie die Religionszugehörigkeit sowie die permanente und temporäre Adresse erhoben. Die Computerised National Identity Cards (CNIC) sollen allmählich durch die Smart National Identity Card (SNIC) ersetzt werden. Derzeit sind beide gültig (DFAT 25.1.2022). 95 Prozent aller erwachsenen Pakistani sind laut Angaben der NADRA mit den Identitätskarten registriert (BRG 11.2.2022). Für im Ausland lebende pakistanische Staatsbürger ist es möglich, bei der NADRA online eine „National Identity Card for Overseas Pakistanis“ zu beantragen (DFAT 25.1.2022).
Unter-18-Jährige können eine Juvenile Card beantragen (NADRA o.D.). Geburten können bei der NADRA oder den dafür zuständigen lokalen Behörden der Provinzregierungen, meist sind dies Union Councils in Kooperation mit der NADRA, registriert und dementsprechend Geburtsurkunden ausgestellt werden (CSC 1.2021). Spitäler stellen automatisch Geburtsurkunden für die bei ihnen geborenen Kinder aus. Außerhalb der Spitäler gibt es keinen automatischen Geburtenregistrierungsprozess, und es gibt keine zentrale Datenbank. UNICEF schätzte 2019, dass 60 Millionen Kinder in Pakistan nicht registriert sind (DFAT 25.1.2022). Der Demographic and Health Survey 2017-18 ergab, dass 57,8 Prozent aller Unter-5-Jährigen nicht registriert sind (UniB 16.7.2021).
Die Proof of Registration Card (PoR), der Identitätsnachweis der circa 1,4 Millionen durch Pakistan registrierten afghanischen Flüchtlinge, wird ebenfalls durch die NADRA ausgestellt. Über-5- Jährige erhalten eine eigene Karte, Unter-5-Jährige werden bei den Eltern vermerkt. Im Rahmen des DRIVE Programms führt die NADRA mit Unterstützung des UNHCR eine aktualisierte Registrierung durch und stellt dabei allen PoR-Karten Besitzern neue, biometrische Smartcards aus (TRAFIG 31.8.2021; vgl. UNHCR 14.1.2022a).
Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung von Mietern, Hotelgästen bzw. temporären Bewohnern. Die Mieterregistrierung ist verpflichtend und findet auf der lokalen Polizeistation statt (IRB 23.1.2018; vgl. UKHO 6.2020). Zweck dieser „Information of Temporary Residents Acts“ ist es, die Möglichkeiten für Terroristen, Wohnungen, Hotelzimmer und Unterkünfte zu mieten, zu vermindern. Bei Mietverträgen ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. Hotels und Hostels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten. Nach Razzien wurden wegen einer Nicht-Einhaltung dieser Vorschriften mitunter Strafen verhängt. Insgesamt wird das Mietermeldesystem allerdings nicht breit umgesetzt, und nur wenige Personen registrieren ihre Mietübereinkünfte bei den Behörden (IRB 23.1.2018). Die Einführung der verpflichtenden Meldung bei der Polizei und die Androhung hoher Strafen hat allerdings z.B. dazu geführt, dass Immobilienbesitzer im Punjab und in Islamabad zögerlich wurden, an Afghanen zu vermieten. Verstärkt wurde dies, nachdem durch den Nationalen Aktionsplan gegen Terrorismus Untersuchungen gegen die pakistanischen Hausbesitzer durchgeführt wurden (TRAFIG 31.8.2021).
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IDPs und Flüchtlinge
IDPs
Letzte Änderung: 22.03.2022
Sowohl Umweltkatastrophen als auch Gewalt sind Gründe für interne Vertreibungen in Pakistan. Der Großteil der konflikt- und gewaltbedingt Binnenvertriebenen (IDPs) geht auf militärische Operationen gegen nicht-staatliche bewaffnete Gruppen in den früheren Federally Administered Tribal Areas (FATA) zwischen 2008 bis 2014 zurück. Das International Displacement Monitoring Centre (IDMC) gibt die Zahl dieser IDPs mit Stand Ende 2020 mit 104.000 an (IDMC 3.11.2021). EASO benennt mit Stand August 2021 die Größenordnung dieser Gruppe von Vertriebenen mit 16.483 registrierten Familien, wobei laut dieser Aufstellung nur aus Nord Waziristan und Khyber die Rückkehr noch nicht abgeschlossen war (EASO 10.2021).
Die Rückkehr wird unter verbesserten Sicherheitsbedingungen fortgesetzt. Es gibt keine Berichte über unfreiwillige Rückkehrer. Berichten zufolge wollen viele IDPs in ihre Heimat zurückkehren, trotz des Mangels an lokaler Infrastruktur, Unterkünften und verfügbaren Dienstleistungen, sowie der strengen Kontrolle, die die Sicherheitskräfte durch umfangreiche Kontrollpunkte über die Bewegungen der Rückkehrer ausüben. Andere IDP-Familien zögern hinsichtlich einer Rückkehr oder entscheiden sich dafür, dass einige Familienmitglieder in den sogenannten „settled areas“ von Khyber Pakhtunkhwa bleiben, wo ein regulärer Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und anderen sozialen Diensten möglich ist. Für ehemals binnenvertriebene Kinder ist es schwierig, nach der Rückkehr in die ehemaligen Konfliktzonen Bildungseinrichtungen zu besuchen. Die Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa hat einige der 1.800 Schulen in den ehemaligen FATA, wo eine große Anzahl an Menschen zurückgekehrt ist, wiederaufgebaut. Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen, hat sich verringert (USDOS 30.3.2021).
Für IDPs, die nicht zurückkehren wollen oder können, koordiniert die Regierung die Unterstützung mit den UN und anderen internationalen Organisationen. Die Regierung und UN-Organisationen wie der UNHCR, UNICEF und das Welternährungsprogramm arbeiten zusammen, um IDPs zu unterstützen und zu schützen. Diese leben im Allgemeinen bei Gastfamilien, in gemieteten Unterkünften oder - in geringerem Umfang - in Lagern. Viele IDPs leben auch in informellen Siedlungen außerhalb der größeren Städte (USDOS 30.3.2021). IDPs gehören zu jenen Bevölkerungsgruppen, die besonders von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind. Viele haben Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden staatlichen Dienstleistungen. 64 Prozent der IDPs in Khyber Pakhtunkhwa haben einer Erhebung des IDMC zufolge keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, 47 Prozent benutzen verunreinigtes Wasser. Der Zugang zu Registrierung und Dokumentation ist im Punjab und in Sindh kompliziert, da viele Menschen ohne ihre ID-Karten geflohen waren. Es existieren Familienzusammenführungsprogramme (IDMC 3.11.2021).
Medien behandelten im Jahr 2021 häufig Proteste von Menschen aus den ehemaligen Stammesgebieten, die noch keine Kompensation für ihre zerstörten Häuser oder Geschäfte erhalten haben (EASO 10.2021).
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Grundversorgung
Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Letzte Änderung: 22.03.2022
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Pakistan weist eine gemischte Wirtschaft auf, in der Firmen in staatlichem Eigentum für einen großen Anteil des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich sind. Früher überwiegend landwirtschaftlich geprägt, hat sich die Wirtschaft deutlich diversifiziert. Der Handels- und Dienstleistungssektor ist stark gewachsen und trägt heute den größten Anteil an der Wirtschaftsleistung. Die Landwirtschaft trägt noch zu einem Fünftel zum BIP bei (EB 11.3.2022). Sie bleibt aber die größte Deviseneinnahmequelle (PBS o.D.a). Handwerk und Produktion sind ebenfalls ein bedeutendes Segment. Der Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP ist gering, doch stark steigend. Eine wichtige Einnahmequelle sind die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis. Die Wirtschaftsleistung schneidet im Vergleich mit vielen anderen Entwicklungsländern gut ab, und Pakistan konnte die letzten Jahrzehnte eine solide Wachstumsrate vorweisen. Gleichzeitig ist die Bevölkerung stark angewachsen, was das Wirtschaftswachstum pro Kopf verringert (EB 11.3.2022). Außerdem weist Pakistan einen sehr großen informellen Wirtschaftssektor auf, dessen Wirtschaftsgröße geschätzt nochmals halb so groß ist, wie das offizielle Bruttoinlandsprodukt. Diese Größe stellt eine Herausforderung für die Planbarkeit von Maßnahmen und für Steuereinnahmen dar (BS 25.2.2022).
Konfrontiert mit der Pandemie fokussierte sich die Regierung auf die COVID-19-Infektionswellen, hat eine Massenimpfkampagne eingesetzt, finanzielle Zuschüsse erhöht und Maßnahmen der Geldpolitik zur Stärkung der Wirtschaft gesetzt. Die Regierung hat auf Mikro-Lockdowns gesetzt, um die Ausbreitung des Virus’ zu begrenzen und gleichzeitig die Fortführung ökonomischer Aktivitäten zu gewährleisten und dadurch den wirtschaftlichen Ausfall abzuschwächen (WB 6.10.2021). Der Regierung gelang es damit, eine relativ effektive Antwort auf die COVID19-Pandemie zu setzen, mit Schul- und Geschäftsschließungen bei gleichzeitiger Ankurbelung von Technologien um „smarte“ [Anm.: partielle, lokal begrenzte] Lockdowns zur Viruseindämmung zu ermöglichen (BS 25.2.2022). Die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis über offizielle Kanäle erreichten ein Rekordhoch. Die Produktion hat sich 2021 nach zwei Jahren des Rückgangs etwas erholt, ebenso der Dienstleistungssektor, der 60 Prozent des BIP ausmacht. Durch den sich erholenden heimischen Bedarf wird geschätzt, dass das BIP 2021 um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen ist. Die Inflation bleibt mit 8,9 Prozent erhöht, wenngleich sie sich auch verlangsamt hat. Besonders die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln hat überproportional starke Auswirkungen auf ärmere Haushalte (WB 6.10.2021).
Arbeitsmarkt
Pakistan verfügt laut Schätzung von IOM über 63 Millionen Arbeitskräfte (IOM 30.3.2021). Geschätzt 64 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 (BS 25.2.2022). Das Durchschnittsalter beträgt 22 Jahre, die Bevölkerung wächst jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Jährlich streben etwa sechs Millionen Jugendliche auf den Arbeitsmarkt (BMZ o.D.). Das Land steht damit vor der Herausforderung, seiner Bevölkerung berufliche Möglichkeiten zu bieten (BS 25.2.2022).
Landwirtschaft und Fischerei stellen den größten Anteil am Arbeitsmarkt und tragen zum Einkommen für ein breites Segment der Bevölkerung bei (EB 11.3.2022). So stellt die Landwirtschaft laut Angaben des Pakistan Bureau of Statistics die Hälfte aller Beschäftigten (PBS o.D.a). IOM rechnet diesbezüglich mit ca. 37 Prozent der Beschäftigten, tendenziell abnehmend. Der Dienstleistungssektor macht demnach etwa 39 Prozent der Gesamtzahl der Arbeitsplätze aus, die Industrie ca. 24 Prozent - Tendenz steigend (IOM 2021). Handwerk und Produktion sind insbesondere durch die Textilindustrie ein bedeutendes Segment des Arbeitsmarktes. Das Staatswesen ist traditionell ein Hauptarbeitgeber in Pakistan, dort findet sich ungefähr ein Fünftel der Arbeitskräfte (EB 11.3.2022). 60 Prozent der Arbeitskräfte des Landes sind in der Provinz Punjab konzentriert (IOM 30.3.2021).
Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten, die internationalen Sozialstandards entsprechen, sind allerdings kaum vorhanden: 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung gelten trotz der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als „Working Poor“, über 70 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse liegen im informellen Sektor (BMZ o.D.). Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt zwischen 15.000 PKR und 30.000 PKR. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei fast 6 Prozent (IOM 2021).
Der pakistanische Arbeitsmarkt wurde außerdem durch die COVID-19-Krise hart getroffen. Das Center for Labor Research schätzt die strukturelle Arbeitslosigkeit in Pakistan auf drei bis fünf Millionen, die temporäre Arbeitslosigkeit als Folge der Pandemie auf 10,5 Millionen (IOM 30.3.2021
Eine staatliche Erhebung zu den sozio-ökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beziffert die Zahl der arbeitenden Pakistanis vor Ausbruch der Pandemie mit ungefähr 55,74 Millionen. Durch den groß angelegten Lockdown 2020 reduzierte sich die Zahl auf 35,04 Millionen. Nach dem Lockdown erholte sie sich demnach wieder auf 52,56 Millionen. Damit verloren 37 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihre Arbeit zumindest vorübergehend (PBS o.D.b).
Arbeitslosenunterstützung, Berufsförderung
Pakistan verfügt über einige Programme zur Unterstützung Arbeitsloser. Diese beinhalten z.B. eine bezahlte Weiterbildung, die Förderung von Geschäftsgründungen oder auch Programme zur Anstellung im staatlichen Sektor (ILO 1.9.2021). Staatliche Projekte zur Förderung der Berufstätigkeit von Arbeitslosen sind z.B. das PM Youth Business Program oder PM Youth Loan Programs. Über jährliche, von der Regierung sowie durch staatliche und private Banken durchgeführte Projekte werden Darlehen von 500.000 bis 1.000.000 PKR (2.683 bis 5.366 Euro) ermöglicht, um ein Unternehmen zu gründen. Weiters gibt es auch Programme für Absolventen & MA-Pass-Studenten im Punjab und ein spezielles Programm für wissenschaftliche Talente für Absolventen (IOM 30.3.2021). Initiativen der pakistanischen Regierung zur Berufsausbildung sind z.B. die National Vocational & Technical Education Commission und die Technical Education and Vocational Training Authority. Provinzprogramme des Punjab bieten eine Vielzahl von Kursen zur technischen Weiterbildung an. Staatliche Stellen zur Vermittlung von Arbeitsplätzen sind z.B. Career Pakistan oder Small and Medium Enterprises Development Authority (IOM 2021). Weiters zu nennen ist das staatliche Vermittlungsprogramm NEXT, das National Employment Exchange Tool (NEXT o.D.).
Weiters gibt es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Tameer-e-Pakistan-Programm als Maßnahme zur Armutsbekämpfung, um mehr Einkommensquellen für die Armen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen; ein weiteres Programm unterstützt kleine und mittlere Betriebe vor allem durch Gewährung von Steuerbefreiungen (IOM 30.3.2021). Unter dem Mantel der Pakistan Bait-ul-Maal wurden Women Empowerment Centers im ganzen Land eingerichtet, inklusive Azad Jammu Kaschmir und Gilgit-Baltistan. Diese Zentren bieten kostenfreie Ausbildung für Witwen, Waisen und bedürftige Frauen und Mädchen in Bereichen wie Schneiderei, Sticken und Weben (PASSD 7.2.2021).
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Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln und Wohnraum
Letzte Änderung: 22.03.2022
Nahrungsmittelsicherheit, Armut
Das solide Wirtschaftswachstums trägt dazu bei, dass das hohe Bevölkerungswachstum nicht wie in anderen südasiatischen Ländern zu einem hohen Anteil an absoluter Armut führte. Nichtsdestotrotz lebt ein bedeutender Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (EB 11.3.2022). Pakistan ist es in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen, die Einkommensarmut stark zu senken. Der Anteil der Armen an der Bevölkerung hat sich laut Weltbank von 57,9 Prozent im Jahr 1998 auf 21,9 Prozent 2018 reduziert (BMZ o.D.). Laut dem Bertelsmann Transformations Index lebten 2020 geschätzt 24,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und 38,4 Prozent waren von multidimensionaler Armut nach den Kriterien des UNDP betroffen (BS 25.2.2022). Im letzten Human Development Index 2020 von UNDP, der 189 Staaten umfasst und Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Einkommen im internationalen Vergleich misst, liegt Pakistan auf Rang 154 (UNDP 15.12.2020).
Verschärft wird die Situation durch einen scharfen Kontrast zwischen der relativen Prosperität der industrialisierten Regionen um Karatschi und Lahore und der Armut in den semi-ariden Gebieten in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (EB 11.3.2022). So gibt UNDP die Armutsrate für Belutschistan und in den Newly Merged Districts von Khyber Pakhtunkhwa (ehemalige FATA) mit 70 Prozent an. Im Vergleich dazu weisen die reichsten Bezirke Pakistans im Norden und in der Mitte des Punjabs eine Armutsrate von unter 10 Prozent auf (UNDP 6.4.2021).
Die Landwirtschaft konnte bedeutend modernisiert werden (EB 11.3.2022). Pakistan hat sich zu einem Land mit einer Überschussproduktion an Nahrungsmittel entwickelt und ist ein wichtiger Produzent von Weizen. Dieser wird zwar über verschiedene Mechanismen, unter anderem das World Food Programme, auch an eigene bedürftige Bevölkerungsgruppen verteilt, doch zeigte die nationale Ernährungssicherheitserhebung von 2018, dass 36,9 Prozent der Bevölkerung mit Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert sind. Im Wesentlichen ist dies auf einen eingeschränkten Zugang der ärmsten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen, besonders Frauen, zu ausreichender Ernährung zurückzuführen. Die Studie zeigte auch die zweithöchste Rate an Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren in der Region. 18 Prozent der Kinder unter 5 Jahren leiden an akuter Mangelernährung, 40 Prozent sind unterentwickelt und 29 Prozent untergewichtig. Es gibt eine starke Korrelation zwischen dem Bildungsniveau von Mädchen und allen Formen der Unterernährung. Doch gerade der Zugang der Mädchen zu Bildung, insbesondere in Gebieten, die an Afghanistan grenzen, und in Belutschistan bleibt eine Herausforderung. Außerdem sind aufgrund sozialer und kultureller Normen und Praktiken Frauen und Mädchen mit Schwierigkeiten beim Zugang zu humanitärer Unterstützung konfrontiert (WFP o.D.).
Ein durchschnittlicher pakistanischer Haushalt wendet 50,8 Prozent seines monatlichen Einkommens für Nahrungsmittel auf (WFP o.D.). Aufgrund der COVID-19-Pandemie bzw. des Lockdowns 2020 hatten 53 Prozent aller pakistanischen Haushalte Einkommensverluste zu verzeichnen. Am stärksten betraf dies Khyber Pakhtunkhwa, wo 64 Prozent von Einkommensverlusten betroffen waren, hier wiederum besonders stark in den städtischen Regionen. Den Punjab betraf es mit 49 Prozent (PBS o.D.b).
Der Verlust des Einkommens und der Anstieg der Nahrungsmittelpreise während der Pandemie bedeuteten für viele Menschen, die vorher nicht als armutsanfällig gesehen wurden, dass eine ausreichende Ernährung unleistbar wurde. Besonders betroffen waren Personen, die auf Tagelohnbasis und im informellen Sektor arbeiten, aber es betraf auch Angestellte im Privatsektor, wo in einigen Bereichen über Monate keine Löhne ausbezahlt wurden (WFP 1.2.2022). Von starker Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung betroffen waren laut einer staatlichen Studie während des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie 2020 10 Prozent der Haushalte gegenüber 3 Prozent bei der letzten Erhebung von 2018/2019; von einer moderaten Versorgungsunsicherheit betroffen waren 30 Prozent im Vergleich zu 13 Prozent davor. 60 Prozent der Haushalte konnten ihre Versorgungssicherheit beibehalten (PBS o.D.b). Die Regierung reagierte auf die Krise mit der Einführung des Ehsaas Emergency Cash Programme im April 2020 (WFP 1.2.2022).
Wohnraum
Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass ein Wohnraummangel herrscht, besonders in den Städten. Außerdem wird Wohnraum oft als kaum erschwinglich bezeichnet, zum einen aufgrund der Armut, zum anderen aufgrund des Mangels an formaler Wohnraumfinanzierung. Die Mehrheit des Wohnraums findet sich somit in Slums, meist in informellen Siedlungen. 30 bis 50 Prozent der Stadtbewohner leben nach Schätzungen in Slums. Laut UNHABITAT sind andererseits 74 Prozent der Stadtbewohner auch Eigentümer ihrer Unterkunft und Städte mit einem großen Anteil an Staatsdienern, wie Islamabad, verfügen über einen großen Anteil an mietfreiem oder stark subventioniertem Wohnraum (UKHO 6.2020).
Konkret wird der Mangel an Wohneinheiten auf 12 Millionen Einheiten geschätzt, wobei der Bedarf im Vergleich zum Angebot weiterhin hoch bleibt. Die Regierung hat Maßnahmen eingeführt, um die Möglichkeit der Finanzierung zu erhöhen, speziell für niedrig- bis mittelpreisige Wohneinheiten. Die Förderungen wurden erhöht, Regelungen für die Vergabe von Finanzierungen gelockert und die Dauer für die Rückzahlung verlängert (TET 27.2.2022).
IOM berichtet, dass in Großstädten Wohnungen und Einzelhäuser zwar leicht verfügbar sind, aber die Miet- und Nebenkosten, insbesondere für Strom und Gas, sehr hoch sind. In ländlichen Gebieten und am Stadtrand kleinerer Städte sind allerdings Wohnungsmöglichkeiten nicht nur kostengünstig, sondern auch zahlreich vorhanden (IOM 2021).
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Sozialwesen
Letzte Änderung: 22.03.2022
Soziale Wohlfahrt
Pakistan unterhält einige Programme für soziale Wohlfahrt, die auf das Bereitstellen eines rudimentären sozialen Sicherheitsnetzes für die Bürger ausgerichtet sind. Staatliche Schulen und Krankenhäuser bieten eine hoch subventionierte Bildung und Gesundheitsversorgung und Einrichtungen wie Pakistan Bait-ul-Mal verteilen wohltätige Beiträge, die über Steuern eingenommen werden. Doch die Versorgung mit effektiven öffentlichen Dienstleistungen ist aufgrund ernster Kapazitätsengpässe schwach (BS 25.2.2022). Die staatlichen Systeme sozialer Sicherung sind schwach entwickelt und völlig unterfinanziert. Die Notwendigkeit von Investitionen u. a. in Bildung, berufliche Entfaltung und soziale Absicherung wird den pakistanischen Eliten allerdings immer mehr bewusst (BMZ o.D.).
Während ernste Herausforderungen weiterhin bestehen, gibt es auch Fortschritte im Bereich der öffentlichen sozialen Wohlfahrt. Das 2008 eingeführte Benazir Income Support Program (BISP) ist ein auflagenfreies Geldtransferprogramm zur Armutsreduktion, das auf Frauen fokussiert ist. Die Regierung hat als Erweiterung des BISP das Ehsaas Programm eingeführt, das während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie zum Einsatz kam. Es agiert ebenfalls als Geldtransferprogramm und beinhaltete für das Jahr 2020 monatliche Geldzahlungen an 15 Millionen vulnerable Haushalte (BS 25.2.2022). Es verstärkte das BISP, indem es die Kriterien zur Anspruchsberechtigung erweitert und somit mehr Menschen miteingeschlossen hat (WFP 1.2.2022). Laut einer Evaluierung der Weltbank erreichten die Notfallzahlungen des Ehsaas-Programmes knapp über 100 Millionen Menschen und waren damit von der Reichweite das viertgrößte Programm weltweit (WB 14.5.2021).
Ehsaas wurde dauerhaft als Schirmorganisation eingerichtet, bei der das BISP nur noch eine von 34 Verwaltungseinheiten darstellt (TET 11.7.2021). Als zentrale, für soziale Wohlfahrt zuständige Stelle, wurde die „Poverty Alleviation and Social Safety Division“ eingerichtet, die im allgemeinen Gebrauch auch Ehsaas-Ministerium genannt wird. Zuvor waren für einzelne soziale Programme unterschiedliche Einrichtungen bei verschiedenen Ministerien zuständig, diese wurde nun gebündelt. So wurden die bestehenden Schemen der staatlichen sozialen Wohlfahrt Zakat und Ushr, das BISP und Pakistan Bait-ul-Mal in die Struktur eingegliedert. Die Leistungen umfassen damit Stipendien, Katastrophenhilfe, verschiedene Geldtransferprogramme, Waisenheime, Suppenküchen, zinsfreie Kredite, Unterstützungsleistungen für Behinderte und bedürftige Frauen, Nahrungsmittelhilfen für Mütter und Kinder, Förderungen für bedürftige religiöse Minderheiten und mit der „Sehat Karte“ eine Gesundheitsversicherung für Bedürftige. Insgesamt verfügt Ehsaas über mehr als 260 Einzelprogramme (PASSD 7.2.2021).
Ein Programm enthält eine monatliche Zahlung von 2.000 Rupien [ca. 10 Euro] an ärmere Familien mit einem behinderten Familienmitglied. Es umfasst 2 Millionen Familien. In einem weiteren werden 80.000 zinsfreie Kleinkredite für ärmere Haushalte zur Eröffnung von Geschäften vergeben, die Hälfte davon ist für Frauen reserviert (TET 11.7.2021). Das Ehsaas Waseela-e-Taleem Programm ist darauf ausgerichtet, den Grundschulzugang für Kinder ärmerer Familien zu fördern, indem es eine quartalsmäßige Beihilfe für jedes Kind von Ehsaas-Empfängern, das die Schule besucht, leistet. Buben erhalten in der Primarstufe 1.500 Rupien, in den Sekundarstufen 2.500 Rupien, Mädchen jeweils 500 Rupien mehr. Für die höheren Stufen erhöhen sich die Beihilfen. So erhielten 2021 nach offiziellen Angaben eine Million Schüler der Grundschule, 500.000 der Sekundarstufe und 225.000 Schüler der höheren Stufen diese Beihilfe (TET 19.7.2021).
Mit Abschluss der Entwicklung der nationalen sozio-ökonomischen Registrierung können nun Daten zu den sozialen Bedingungen erhoben und auf deren Grundlage die Förderungswürdigkeit bestimmt werden. Man kann auch selbstständig eine Registrierung beantragen, falls man nicht erfasst wurde (PASSD 1.2022). Die Erhebung der Bedürftigkeit und Anspruchsberechtigung geschieht über die Bürgerkarte der NADRA (PPI o.D.; vgl. WFP 1.2.2022).
Die Geldtransferprogramme sind ein wichtiges Mittel zur Armutsreduktion, auch wenn ihre Nachhaltigkeit Fragen offen lässt. Das Ehsaas-Programm stellt eine bedeutende Ausdehnung des Benazir Bhutto Income Program dar, das auf ganz Pakistan angewendet wird. Es ist damit eine signifikante Erweiterung des Systems der sozialen Wohlfahrt, doch Verbesserungen in anderen Formen der Wohlfahrt blieben begrenzt (BS 25.2.2022).
Leistungen der Sozialversicherung, staatliche Altersversorgung
Mitarbeiter der Bundes- und Provinzregierungen, der Regierung von Azad Jammu & Kaschmir, der Streitkräfte und der halbstaatlichen / autonomen Einrichtungen sind rentenberechtigt (IOM 2021). Alle Staatsbediensteten erhalten damit bei Eintritt in den Ruhestand eine Pension, ebenso Mitarbeiter von Unternehmen, die bei der Employees’ Old Age Benefits Institution registriert sind (ILO 2019). Im Pensionssystem sind Angestellte von Unternehmen mit mehr als fünf Personen erfasst. Pensionsberechtigt sind Männer ab 60 und Frauen ab 55 Jahren mit mindestens 15 Beitragsjahren (USSSA 3.2019). Das Rentensystem bietet den Versicherten oder ihren Hinterbliebenen folgende vier Arten von Leistungen: Altersrente oder gekürzte Rente, Hinterbliebenenrente, Invaliditätsrente und Altersbeihilfe, wenn ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Rente hat. Da nur Arbeitskräfte des formellen Sektors Anspruch auf Renten haben, kann nur ein kleiner Teil der Bevölkerung im fortgeschrittenen Alter die Vorteile des Rentensystems in Anspruch nehmen. Die ältere Bevölkerung, die im informellen Sektor arbeitet, bekommt diese Sozialversicherungsleistungen nicht (IOM 2021).
Einige Altersheime werden in den größeren Städten über das staatliche Pakistan Bait-ul-Maal bzw. die Departments für Soziale Wohlfahrt der Provinzen betrieben. Bedürftige ältere Personen gehören auch zu den Gruppen, die Anspruch auf Leistungen aus dem Zakat-System haben, doch im Allgemeinen ist das Sozialsystem für Ältere begrenzt (ILO 2019).
Pakistan hat auf Ebene der Provinzen Schemen einer Arbeitsunfallversicherung eingeführt. Die Abdeckung ist allerdings ebenfalls begrenzt, zum einen aufgrund der Struktur des Arbeitsmarktes mit einem hohen Anteil an Arbeitskräften in der informellen Wirtschaft, sowie zum anderen durch Anstellungspraktiken, die häufig eine Minderregistrierung oder keine Registrierung der Arbeiter aufweisen (ILO 1.9.2021).
In den Provinzen sind Employees’ Social Security Institutions (ESSIs) eingerichtet. Sie bieten Renten für die Familien von Arbeitnehmern, die bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen sind. Finanziert durch eine zusätzliche Abgabe von 6-7 Prozent der Lohnsumme, die vom Arbeitgeber gezahlt wird, bieten die ESSIs Mutterschafts- und Krankheitsleistungen, Leistungen bei Invalidität und Verletzungen. Einige Dienstleistungen für gering bezahlte Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen werden ebenfalls durch die ESSI angeboten. Der Workers’ Welfare Fund stellt Wohnkolonien für Arbeiter in Industriegebieten bereit und betreibt Fair-Price-Shops in Industriegebieten mit ermäßigten Preisen (ILO 2019).
Die bestehenden Sozialversicherungssysteme schließen die Beschäftigten in der informellen Wirtschaft aus, indem sie nur die Beschäftigten in der formellen Wirtschaft abdecken. Das DWCP (Decent Work Country Programme) (2016-22) soll die Herausforderung angehen, die bestehenden Sozialschutzsysteme zu erweitern und nachhaltiger zu gestalten. In Zusammenarbeit mit der ILO wurde eine Einheit innerhalb des Ehsaas-Programmes eingesetzt (Labour Social Protection Expert Group, Mazdoor ka Ehsaas), die an der Einbeziehung der Arbeitskräfte in der informellen Wirtschaft in das Sozialversicherungssystem arbeitet (ILO o.D.; vgl PASSD 7.2.2021). Pilotprojekte zur Gesundheitsversicherung der ärmeren Bevölkerung wurden in Khyber Pakhtunkhwa und Gilgit Baltistan mithilfe der German Development Bank (KfW) umgesetzt und auf ganz Pakistan ausgedehnt. Es ist damit eines der weltweit größten Gesundheitsversicherungsschemen für die ärmere Bevölkerung (OPM o.D.). Die Provinzregierung von Khyber Pakthunkhwa hat mit einem Projekt begonnen, das auf eine Gesundheitsversicherung für alle Einwohner der Provinz zielt (BS 25.2.2022).
Private Wohlfahrtsleistungen
Die Edhi Foundation ist die größte private Wohlfahrtstiftung Pakistans und eine der größten weltweit. Das Leistungsspektrum umfasst u.a. Fortbildungen für Arbeitslose, Hilfe für Obdachlose, Heime für Waisen, Behinderte, misshandelte Frauen und Senioren, Rettungswägen, kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe oder Hilfsmaßnahmen bei Naturkatastrophen (Edhi o.D.).
Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden. Sie ist damit die größte Entwicklungshilfeorganisation für die ländliche Region in Pakistan (NRSP o.D.b).
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Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 22.03.2022
Der Gesundheitssektor des Landes ist gleichermaßen durch ein Stadt-Land-Gefälle in der Gesundheitsversorgung und ein Ungleichgewicht bei den Arbeitskräften im Gesundheitswesen gekennzeichnet. Es mangelt an medizinischen Fachkräften, Krankenschwestern, Sanitätern und qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere in den Randgebieten (TSOP 2020). Trotz einer ausgefeilten und umfangreichen Gesundheitsinfrastruktur leidet die Gesundheitsversorgung unter einigen zentralen Problemen wie dem hohen Bevölkerungswachstum, der ungleichen Verteilung der medizinischen Fachkräfte, dem Mangel an Arbeitskräften, der unzureichenden Finanzierung und dem begrenzten Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten (WHO o.D.).
Insgesamt basiert das System der Gesundheitsversorgung in Pakistan auf zwei Hauptsäulen, zu denen öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen gehören (IOM 30.3.2021; vgl. WHO o.D.) - wobei in den privaten, anders als in den öffentlichen, entsprechende Kosten für die Behandlung anfallen (IOM 30.3.2021). Nach der Verfassung fällt das Gesundheitswesen in erster Linie in die Zuständigkeit der Provinzregierung, außer in den auf Bundesebene verwalteten Gebieten. Die Gesundheitsversorgung wird traditionell von der Bundes- und der Provinzregierung gemeinsam verwaltet, wobei die Distrikte hauptsächlich für die Umsetzung verantwortlich sind. Der Staat stellt die Gesundheitsversorgung über ein dreistufiges Gesundheitssystem und eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sicher. Die erste Ebene zur primären medizinischen Versorgung umfasst Stellen zur medizinischen Grundversorgung („basic health units“) und ländliche Gesundheitszentren („rural health centers“). Notfall-, ambulante und stationäre Versorgung wird auf der sekundären Versorgungsebene durch Tehsil Headquarter Hospitals (THQs) und District Headquarter Hospitals (DHQs) angeboten, auf tertiärer Versorgungsebene auch durch Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.).
Die Aktivitäten des öffentlichen Gesundheitswesens haben in Bezug auf die materielle Infrastruktur und das Personal stetig zugenommen. Die nationale Gesundheitsinfrastruktur umfasst 1.201 Krankenhäuser, 5.518 Stellen zur medizinischen Grundversorgung („basic health units“), 683 Gesundheitszentren für den ländlichen Raum, 5.802 Apotheken („dispensaries“), 731 Zentren für Mutterschaft und Kindergesundheit sowie 347 Tuberkulosezentren. Darüber hinaus bieten mehr als 95.000 Gesundheitshelferinnen in sogenannten „health houses“ eine medizinische Grundversorgung an. Angesichts der wachsenden Bevölkerung versucht der private Sektor, die Lücke zwischen der steigenden Nachfrage und den begrenzten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zu schließen. Die Zahl der privaten Krankenhäuser, Kliniken und Diagnoselabors hat erheblich zugenommen. Sogenannte stand-alone clinics - meist von Einzelnen betrieben - sind die wichtigsten Anbieter ambulanter Gesundheitsversorgung (WHO o.D.).
In öffentlichen Krankenhäusern kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z. B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 28.9.2021).
Das Ministerium für nationale Gesundheitsdienste, Regulierung und Koordination hat in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation und der Marie Stopes Gesellschaft Pakistan das „Sehat Sahulat Programm“ ins Leben gerufen (WHO 31.8.2021; vgl. Dawn 18.1.2022) - ein Pilotprojekt zur Krankenversicherung für ambulante Patienten im Hauptstadtgebiet von Islamabad (WHO 31.8.2021), wobei bis Ende 2021 das Programm ausgeweitet wird, sodass auch alle ständigen Einwohner des Hauptstadtgebiets von Islamabad (ICT), Punjab und Gilgit-Baltistan in den Genuss der Initiative kommen (TNI 12.11.2021). Im Rahmen des Pilotprojekts werden ambulante Leistungen der primären Gesundheitsversorgung durch Allgemeinmediziner unter Verwendung des Essential Package of Health Services erbracht, einschließlich Leistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der Familienplanung (WHO 31.8.2021). Die Initiative bietet der allgemeinen Bevölkerung aus unteren sozio-ökonomischen Schichten die Möglichkeit, ihre privaten Krankenhauskosten von der Regierung übernehmen zu lassen. Die „Sehat Insaaf Card“ (auch Qaumi Sehat Card), ist für jeden erhältlich, der unterhalb der Armutsgrenze lebt (d. h., mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar (1,68 Euro) pro Tag. Die Karte ist ein Jahr gültig (IOM 30.3.2021; vgl. Dawn 18.1.2022). Sie deckt die kostenlose Behandlung von fast allen wichtigen Krankheiten ab und bietet auch eine individuelle Finanzhilfe für Personen mit schweren Krankheiten/Behinderungen, Witwen und Invaliden mit unterhaltsberechtigten Kindern, Waisen, Studenten mit nachgewiesenen und beständigen akademischen Leistungen und mittellose Personen. COVID-19-Tests in ausgewiesenen Testeinrichtungen des öffentlichen Sektors werden kostenlos angeboten, in privaten Testeinrichtungen sind sie jedoch kostenpflichtig (IOM 30.3.2021). Im Rahmen des Programms erhalten die angemeldeten Familien kostenlosen Zugang zu Gesundheitsdiensten in zugelassenen Krankenhäusern - die Leistungen werden über Qaumi Sehat Cards erbracht und unterstützt Krankenhausaufenthalte und die Behandlung chronischer Krankheiten. Es handelt sich um ein bargeldloses Programm, bei dem die Begünstigten nur die Karte benötigen, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Bis Ende 2021 waren insgesamt 13,26 Millionen Familien eingeschrieben und mehr als 800.000 Begünstigte haben Leistungen von über 600 zugelassenen Krankenhäusern, einschließlich Privatkliniken, in ganz Pakistan in Anspruch genommen (Dawn 18.1.2022). Das Ministerium für Gesundheitsdienste meldete im Januar 2022, dass die Zahl der Krankenhäuser, die Teil des „Sehat Sahulat-Programms“ sind, bis März 2022 auf 1.000 erhöht werden soll (DT 11.1.2022). Da Sindh und Belutschistan das Programm jedoch [Anm.: mit Stand Jänner 2022 noch] nicht übernommen haben, gilt eine große Zahl von Menschen, deren Eltern, in einigen Fällen auch Großeltern, in den 1960er Jahren nach Islamabad kamen, immer noch nicht als Einwohner in der Stadt, da ihre ständigen Adressen in Sindh und Belutschistan auf ihren CNICs (Computerised National Identity Card) eingetragen sind. Der Sprecher des Ministeriums für nationale Gesundheitsdienste (NHS), sagte, dass die Gesundheitskarten unter Berücksichtigung der auf den CNICs vermerkten ständigen Adressen ausgestellt würden, es jedoch für jene Personen die über Eigentum in Islamabad verfügen möglich sei, ihre ständige Adresse ändern zu lassen (Dawn 18.1.2022).
Die nicht-staatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network (AKDN) betreibt landesweit über 450 Kliniken, fünf weiterführende Krankenhäuser in Karatschi, Hyderabad und Gilgit sowie das Aga Khan University Hospital in Karatschi. Darüber hinaus arbeitet die Aga Khan Foundation mit lokalen Regierungen zusammen, um eine Reihe von gesundheitsbezogenen Initiativen zu unterstützen, die den Zugang zur medizinischen Grundversorgung verbessern sollen (AKDN o.D.). Einige staatliche/halbstaatliche Organisationen wie die Streitkräfte, halbstaatliche Unternehmen wie Sui Gas, WAPDA, die Eisenbahn, die Fauji Foundation und die Employees Social Security Institution, bieten ihren Mitarbeitern und deren Angehörigen Gesundheitsdienste über ihr eigenes System an, die jedoch insgesamt nur etwa 10 % der Bevölkerung abdecken (WHO o.D.).
In der Stadt Quetta in der Provinz Belutschistan hat die Polizei im November 2021 19 Ärzte festgenommen, weil sie eine Verbesserung der Bedingungen in den öffentlichen Krankenhäusern, Medikamente für die Patienten und moderne medizinische Ausrüstung und die Sicherheit von Ärzten und paramedizinischem Personal gefordert hatten (Dawn 29.11.2021).
Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt. Hierfür muss in Pakistan nur ein Bruchteil der in Deutschland anfallenden Kosten aufgewendet werden, sodass sie für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist (AA 28.9.2021).
Psychische Gesundheitsprobleme sind in Pakistan ein Tabuthema, über das man nicht spricht. Dies wirkt sich ungünstig auf die Qualität der Versorgung von Menschen aus, die an psychischen Krankheiten leiden. Scham aufgrund von psychischen Problemen sowie Vorurteile gegenüber Patienten und Familien halten Menschen davon ab, psychologische Hilfe und psychiatrische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Zudem genießt die psychische Gesundheit keine hohe Priorität. Außerdem ist es durchaus üblich, sich bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen an spirituelle oder traditionelle Heiler zu wenden, da die Menschen psychische Erkrankungen in der Regel als Folge übernatürlicher Einflüsse wahrnehmen. So genannte Glaubensheiler sind in Pakistan eine wichtige Quelle für die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen, insbesondere für Frauen und Menschen mit geringer Bildung (TSOP 2020).
In Pakistan sind etwa 400 qualifizierte Psychiater tätig. Die meisten Psychiater gibt es in Städten, obwohl im ganzen Land auch Stellen für Bezirkspsychiater geschaffen wurden. Der Mental Health Atlas 2017 der WHO berichtet, dass es nur vier große psychiatrische Krankenhäuser im Land gibt, mit 344 stationären Einrichtungen und 654 psychiatrischen Einheiten in allgemeinen Krankenhäusern (TSOP 2020). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 31.12.2020). Abseits davon ist beispielsweise die Telefonseelsorge Talk2Me kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).
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Rückkehr
Letzte Änderung: 22.03.2022
Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischen Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 28.9.2021). Für pakistanische Staatsangehörige gibt es keine Einreisebeschränkungen, wenn sie freiwillig zurückkehren wollen (IOM 30.3.2021). In den meisten Fällen geschieht die Ausreise mit gültigen Reisepapieren. Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte erregen mehr Aufmerksamkeit und wenn vermutet wird, dass die Ausreise illegal war, werden sie von den Grenzbehörden befragt. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 25.1.2022).
Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben. Im Falle einer illegalen Ausreise ist grundsätzlich eine Geld- oder Haftstrafe, bis zu sechs Monate, möglich (AA 28.9.2021). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration IOM werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, wurden in einigen Fällen inhaftiert (ÖB 12.2020). Nach einem anderen Bericht werden Personen, die illegal ausgereist sind, in Haft genommen und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Personen, die aufgrund eines Verbrechens in Pakistan gesucht werden oder im Ausland eine schwere Straftat begangen haben, werden verhaftet oder müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden (DFAT 25.1.2022). Dem deutschen Auswärtigen Amt ist kein Fall bekannt, in dem aus Deutschland abgeschobene pakistanische Staatsangehörige inhaftiert wurden. Aus Ländern wie der Türkei und aus den Staaten der Europäischen Union finden regelmäßig Abschiebungen nach Pakistan statt (AA 29.8.2021).
Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z.B. das European Return and Reintegration Network (ERRIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 28.9.2021). Derzeit gibt es keine von IOM Österreich durchgeführten Reintegrationsprojekte in Pakistan. Allerdings können freiwillige Rückkehrer aus Österreich nach Pakistan durch das ERRIN-Projekt unterstützt werden. Dieses wird von einer NGO in Pakistan durchgeführt und bietet freiwillig und zwangsweise rückgeführten Personen Wiedereingliederungshilfe an, abhängig von ihrer Berechtigung, die von dem jeweiligen europäischen Land festgelegt wird. Einige Organisationen helfen bei der Gründung von Kleinunternehmen, indem sie finanzielle Unterstützung für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, in Form von Krediten oder Mikrokrediten unterstützen, z. B. die KASHF-Stiftung oder die Jinnah Welfare Society (IOM 30.3.2021).
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Dokumente
Letzte Änderung: 22.03.2022
Für eine Beschreibung der wichtigsten Arten der Identitätsnachweise sowie der Registrierungsprozesse siehe Kapitel Registrierungswesen Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weitverbreitetes Phänomen, v. a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u. a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa. Überprüfungen treffen auf Herausforderungen. Vielfach sind Dokumente zwar nicht komplett gefälscht, aber wurden nicht ganz richtig ausgestellt; von verspäteten Eintragungen oder Änderungen sollte z.B. von den Behörden eine Kopie gemacht werden, was nicht immer der Fall ist. In manchen Städten (insbesondere in Gujranwala, Gujrat und Sialkot) kennen die zuständigen Beamten die zu überprüfenden Personen und nehmen Bestechungsgelder an. Darüber hinaus werden mitunter auch vermeintlich echte und in die Register eingetragene Urkunden ausgestellt, die jedoch inhaltlich nicht oder nur zum Teil richtig sind (z. B. Heiratsurkunden) (ÖB 12.2020).
Die Zahl der vorgelegten inhaltlich ge- oder verfälschten antragsbegründenden Unterlagen ist sehr hoch. Angesichts weitverbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, einen fiktiven Standesfall (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf Basis dieser Eintragung eine formal echte Urkunde ausgestellt zu bekommen. Ebenso leicht lassen sich Verfälschungen einzelner Fakten tatsächlicher Personenstandsfälle (z. B. Geburtsdatum) in den Personenstandsregistern erreichen, um damit echte standesamtliche Urkunden zu erhalten, deren Inhalt der tatsächlichen Faktenlage nur teils entspricht. Merkmale auf einigen modernen Personenstandsurkunden zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können so mühelos unterlaufen werden. Die Passbehörden haben mit dem Aufbau eines zentralen Passregisters unter Erfassung einzelner Biometrie-Merkmale und der Einführung fälschungssicherer Reisepässe die Fälschung von Pässen theoretisch deutlich erschwert. Die eingebauten Sicherheitssysteme versagen allerdings, da sie bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte unterlaufen werden können. Im Übrigen zirkulieren aufgrund der Urkundenproblematik zahlreiche echte Identitätsdokumente falschen Inhalts (AA 28.9.2021).
Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z. B. FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen (AA 28.9.2021).
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1.3. Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus Pakistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyyas einer individuellen Verfolgung durch Dritte oder durch staatliche Organe ausgesetzt war.
Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen seiner Religionszugehörigkeit ausgesetzt wäre.
Eine anderweitige Bedrohung oder Verfolgung konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Behörde, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und der von ihm vorgelegten Beweismittel, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen dessen es auch zu einer zeugenschaftlichen Befragung kam und durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformationssystem sowie dem Strafregister.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage eines Identitätsnachweises nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Herkunft ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben.
Die Feststellungen zu seiner Schulbildung, seiner Erwerbstätigkeit und seiner in Pakistan wohnhaften Familienangehörigen gründen ebenso auf seinen glaubhaften Angaben.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte im Hinblick auf seine widersprüchlichen Angaben zum genauen Ausreisedatum nicht feststellen, an welchen Tag er im Jahr 2016 tatsächlich sein Herkunftsland verlassen hat. Im Rahmen der Erstbefragung am 24.06.2021 gab er lediglich an, Pakistan 2016 verlassen zu haben (AS 8). Beim BFA führte er zu Beginn seiner Einvernahme ausdrücklich an, am 03.01.2016 aus seinem Herkunftsland geflüchtet zu sein (AS 49), wiewohl er wenige Fragen später im Zuge der freien Schilderung seiner Fluchtgründe ausführte, jedenfalls noch bis 03.03.2016 in Pakistan gewesen zu sein (AS 50f). Schon bereits mit Blick auf diesen eklatanten Widerspruch im behördlichen Verfahren kamen auch erste Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens auf. Es wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannt, dass aufgrund der Länge des seither verstrichenen Zeitraums (Flucht im Jahr 2016, Einvernahme vor dem BFA am 26.08.2021) ein nicht mehr exaktes Wiedergeben zeitlicher Daten grundsätzlich nachvollziehbar erscheint, bedenkt man dabei auch die zumeist psychisch angespannte Situation einer behördlichen Einvernahme. Jedoch war im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer beim BFA einen von ihm (AS 51) angefertigten handschriftlichen Notizzettels als Gedächtnishilfe nutzte, welcher auch in Kopieform zum Behördenakt genommen (AS 55) und vom Dolmetscher übersetzt wurde (AS 48). Nun kann bei allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass für im Vorhinein angefertigte Notizen ausreichend Zeit für ein bewusstes Reflektieren der eigenen Fluchtgeschichte vorhanden ist. Dem Notizzettel waren auch exakte Datumsangaben zu entnehmen. So wurde vom Beschwerdeführer darauf vermerkt, dass er am 03.01.2016 Pakistan verlassen habe und bereits am 24.01.2016 in der Türkei angekommen sei. Seiner freien Fluchtschilderung war jedoch zu entnehmen, dass er den gesamten Jänner noch in seinem Herkunftsland verbracht und er Pakistan erst im März in Richtung Türkei verlassen habe. Angesprochen auf diese Widersprüche führte er lediglich aus, dass er beim Erstellen des Notizzettels auf sein Mobiltelefon gesehen habe und sich darauf falsche Daten betreffend Ausreise (und Haftbefehl) befunden hätten (AS 51). Dies erklärt jedoch nicht, warum er dennoch zu Beginn der Befragung als Ausreisedatum den 03.01.2016 nannte und er laut Notizzettel 21 Tage später in der Türkei angekommen sei. Vielmehr war davon auszugehen, dass er seine Zeitangaben im Laufe der Einvernahme an seine Fluchtgeschichte anpasste. Es wird bei dieser Würdigung auch nicht übersehen, dass seinen Schilderungen in der Beschwerdeverhandlung am 24.01.2023 zu entnehmen war, dass er erst nach einer polizeilichen Kontrolle am 25.02.2016 Pakistan verlassen habe (OZ 11, 11). Seine in der Beschwerdeverhandlung gemachten Angaben vermochten jedoch die bereits im behördlichen Verfahren aufgetretenen eklatanten Unstimmigkeiten in seinen Zeitangaben nicht aufzuwiegen. Schließlich darf dabei nicht übersehen werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend Zeit hatte, sich auf die Verhandlung vorzubereiten und waren daher seinen späteren Angaben weniger Beweiskraft zuzusprechen.
Die Feststellungen zu seinem Reiseverlauf nach seiner Ausreise aus Pakistan stützen sich auf seine diesbezüglich konsistenten Angaben im Verfahren und der im Behördenakt einliegenden Berichterstattung der Landespolizeidirektion Burgenland vom 23.06.2021 (AS 3ff).
Der Bezug von Leistungen der Grundversorgung war einem amtswegig eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu entnehmen. Dass er seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet durch finanzielle Unterstützung seiner Familie bewerkstelligen konnte, ging aus seinen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hervor (OZ 11, 5). In der Verhandlung führte er auch aus, dass er seit zirka einem Monat als Zeitungszusteller arbeite (OZ 11, 5). Nachweise, die ein regelmäßiges Einkommen belegen hätten können (zB Arbeitsvertrag, Dienstzeugnis etc.) wurden von ihm nicht vorgelegt, sodass diesbezüglich keine Feststellungen getroffen werden konnten. Dass er zuvor in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, wurde von ihm nicht behauptet.
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers stützen sich auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Gerichtes in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, im Zuge welcher eine einfache Kommunikation auf Deutsch mit ihm schwer möglich war (OZ 11, 6). Dass er am 28.10.2022 eine Deutschprüfung des ÖSD auf dem Sprachniveau A1 bestanden hat, gründet auf einem diesbezüglich vorgelegten Prüfungszeugnis (Beilage zu OZ 11).
Dass der Beschwerdeführer ein aktives Mitglied der XXXX ist, sich dort ehrenamtlich engagiert und Spenden leistet, ging aus den vorgelegten Schreiben der Gemeinschaft (OZ 6; Beilage zu OZ 11) sowie aus der zeugenschaftlichen Befragung des vormaligen Obmanns der Gemeinschaft und nunmehrigen Jugendleiters XXXX in der Beschwerdeverhandlung hervor.
Die Feststellung zu seiner gemeinnützigen Hilfstätigkeit gründet auf einem entsprechenden Bestätigungsschreiben der XXXX vom 26.04.2022 (OZ 6). Dass er an einem Kurs des Roten Kreuzes teilgenommen hat, welcher als Nachweis für die erfolgte Unterweisung in lebensrettende Sofortmaßnahmen entsprechend der Führerscheingesetz-Durchführungsverordnung gilt, stützt sich auf eine vorgelegte Bescheinigung (Beilage zu OZ 11).
Dass der Beschwerdeführer in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, war im Hinblick auf seine Mitgliedschaft bei XXXX anzunehmen. In der Beschwerdeverhandlung führte er auch aus, dass er oft nach Wien fahre und bei Sportveranstaltungen der Ahmadiyya teilnehme (OZ 11, 7). Dass er über einen gefestigten österreichischen Freundeskreis verfügt, ging aus seinen Angaben nicht hervor. In der Beschwerdeverhandlung vermeinte er, dass seine österreichischen Nachbarn seine „Freunde“ seien, wiewohl er deren Namen nicht angeben konnte (OZ 11, 5). Es war daher lediglich von bloßen Bekanntschaften zu Österreichern auszugehen.
Mit Schriftsatz vom 15.10.2022 teilte die anwaltliche Vertretung dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Neffen XXXX in einer Wohnung lebe (OZ 6). In der Beschwerdeverhandlung führte der Beschwerdeführer aus, eine ungefähr 50 m² große Mietwohnung mit seinen beiden Neffen zu teilen, wobei sein Neffe XXXX meistens die Miete bezahle (OZ 11, 6). Dass zwischen ihnen eine außergewöhnlich innige Beziehung vorliegt, die über ein bloßes Zusammenleben hinausgeht, kam im Verfahren nicht hervor. Eine finanzielle Abhängigkeit von seinem Neffen XXXX war insofern nicht anzunehmen, da der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist und er laut seinen Angaben nunmehr öfters für die Miete aufkommen wolle (OZ 11, 6).
Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einem Strafregisterauszug der Republik Österreich.
Die Feststellung zu seinem Gesundheitszustand stützt das erkennende Gericht auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben. Im gesamten Verfahren gab der Beschwerdeführer gleichbleibend an, gesund zu sein.
2.2. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers
2.2.1. Als „ersten Grund“ für seinen Asylantrag führte der Beschwerdeführer in der behördlichen Einvernahme aus, dass er bei seiner Tätigkeit als Textilverkäufer aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zu den Ahmadiyyas diskriminiert worden sei. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit habe er wegen seines Herkunftsortes (Anmerkung: Chenab Nagar, vormals Rabwah, gilt als Zentrum der Ahmadiyyas) seine Religionszugehörigkeit offenlegen müssen. Er sei daraufhin nicht mehr gut behandelt worden, man habe nicht mehr mit ihm gesprochen und es seien Bestellungen storniert worden (AS 50). Im Hinblick auf diese behaupteten Diskriminierungen mangelte es diesen an der erforderlichen Intensität einer Verfolgungshandlung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0295). Selbst bei Wahrunterstellung seines Vorbringens war sohin keine asylrelevante Verfolgung abzuleiten, da die von ihm beschriebenen Diskriminierungen per se nicht jene Intensität erreichen, dass deshalb ein weiterer Aufenthalt in Pakistan als unzumutbar anzusehen wäre.
Darüber hinaus fühlte sich der Beschwerdeführer aufgrund dieser Vorfälle offensichtlich auch nicht zum sofortigen Verlassen seines Herkunftslandes veranlasst. In Anbetracht seines Besuches seiner Schwester in Sheikhupura, nachdem er seine Arbeit gekündigt hatte, und seiner anschließenden Rückkehr in seinen Herkunftsort, ist nicht davon auszugehen, dass ihm eine asylrelevante Verfolgung gedroht hat. Es mangelt auch an einem fehlenden zeitlichen und kausalen Zusammenhang der von ihm beschriebenen Vorfälle im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit zur Ausreise.
Erstmals in der Beschwerdeverhandlung gab er an, dass Leute auf dem Großmarkt versucht hätten ihn anzugreifen. Manche Leute hätten ihn geschlagen, mache hätten ihn aus dem Geschäft geschickt (OZ 11, 10). Hinsichtlich dieses Vorbringens ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Es ist für das erkennende Gericht auch nicht nachvollziehbar, warum er nicht bereits im behördlichen Verfahren über seine vermeintlich erlittenen körperlichen Misshandlungen im Zuge seiner Tätigkeit als Verkäufer berichtet hat. Sein gesteigertes Vorbringen spricht nicht dafür, dass sich die Vorfälle tatsächlich ereignet haben.
2.2.2. Als weiteres fluchtauslösendes Ereignis führte er einen Vorfall in Sheikhupura an. Nachdem er seine Arbeit als Verkäufer gekündigt habe, sei er zu seiner Schwester nach Sheikhupura gegangen und sei dort in einer Moschee von unbekannten Personen wegen seiner Religionszugehörigkeit geschlagen und schließlich von diesen Personen angezeigt worden.
Wie bereits oben zum nicht näher feststellbaren Zeitpunkt seiner Ausreise aus Pakistan beweiswürdigend ausgeführt wurde, traten erhebliche Unstimmigkeiten in seinen Zeitangaben auf. Auch seine in der Beschwerdeverhandlung gemachten Angaben zum vermeintlichen Vorfall in Sheikhupura standen auffallend in Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA. Im behördlichen Verfahren gab er an, dass die körperliche Auseinandersetzung am 05.01.2016 vorgefallen sei (AS 50). In der Beschwerdeverhandlung führte er hingegen aus, dass der Vorfall erst am 15.01.2016 passiert sei (OZ 11, 10).
Auch seine Schilderung der vermeintlichen Auseinandersetzung gestaltete sich äußerst oberflächlich. Dass es sich bei den Angreifern um Mullahs gehandelt habe, wurde von ihm in der Beschwerdeverhandlung nicht mehr erwähnt. In der Beschwerdeverhandlung führte er aus, dass er von den ihm unbekannten Personen in weiterer Folge am 16.01.2016 angezeigt worden sei. Mit Schriftsatz vom 15.10.2022 legte seine Vertretung eine Kopie der Anzeige vor (OZ 6). Diesem in Englisch verfassten Schreiben war zu entnehmen, dass ein Geschäftsinhaber in Sheikhupura einen Vorfall am 15.01.2016 zur Anzeige gebracht habe. Seinen Schilderungen nach sei der Beschwerdeführer an diesen Tag mit einer weiteren unbekannten Person auf einem Motorrad vor seinem Geschäft stehen geblieben. Sie seien in das Geschäft gekommen und hätten die dort anwesenden Kunden versucht zu missionieren. Der Beschwerdeführer sei zudem bewaffnet gewesen und habe sie mit den Worten „enter the Ahmadiyya sect, otherwise we will be killed“ (OZ 4) bedroht.
In diesem Zusammenhang war auffallend, dass der Beschwerdeführer im behördlichen Verfahren zum im Erstinformationsbericht gegen ihn erhobenen Vorwurf keine genaueren Ausführungen machte. Auch waren seine vor dem BFA noch geäußerten Befürchtungen, dass er sich vor behördlichen Konsequenzen wegen des Raufhandels in Sheikhupura fürchte (AS 51) nicht nachvollziehbar, konnte die Polizei schließlich aufgrund des im FIR festgehaltenen Sachverhaltes über einen Raufhandel nicht in Kenntnis sein. In der Beschwerdeverhandlung führte er bloß knapp aus, dass er angezeigt worden wäre, da er seine Religion in Sheikhupura angeblich verbreiten habe wollen (OZ 11, 12).
Ferner ist festzuhalten, dass dem lediglich in Kopieform vorgelegten Erstinformationsbericht und dem mit 21.06.2016 datierten Haftbefehl (OZ 6) auch kein maßgeblicher Beweiswert zukommt, dies vor allem vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen, wonach Dokumentenfälschungen ein weit verbreitetes Phänomen in Pakistan sind und insbesondere polizeiliche Dokumente wie beispielsweise „First Information Reports“ regelmäßig gefälscht werden.
Lediglich die Beweiswürdigung abrundend sei auch angemerkt, dass es für das erkennende Gericht befremdlich war, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung mit keinem Wort seinen wider ihn bestehenden Haftbefehl oder den Vorfall in Sheikhupura erwähnte. Es wird dabei nicht übersehen, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. hierzu VfGH 27.06.2012, U98/12). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es am Boden des § 19 Abs. 1 AsylG aber weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2018/14/0366, mwN). Die Erstbefragung fand mit einer Dolmetscherin für die Sprache Urdu statt, sie dauerte von 07:50 bis 08:40 Uhr und wurde ihm das Protokoll auch rückübersetzt (AS 11). Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Einvernahmesituation eine besondere psychische Belastung darstellt, lässt sich nicht erklären, warum er nicht in der Lage war, bereits im Rahmen der Erstbefragung den letztlich ausreisekausalen Vorfall in Sheikhupura und die damit in Zusammenhang stehenden polizeilichen Ermittlungen und den gegen ihn ausgestellten Haftbefehl zumindest ansatzweise zu erwähnen. Auch diese Erwägung spricht gegen eine glaubhafte Schilderung des angeblich ausreisekausalen Vorfalls.
Mit Eingabe vom 27.10.2022 beantragte der Beschwerdeführer im Wege seiner anwaltlichen Vertretung die Einvernahme von zwei näher genannten und in Pakistan aufhältigen Zeugen durch Vertreter der österreichischen Botschaft, „dies zum Nachweis der Richtigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers“ (OZ 7). Zu diesem Antrag ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Beachtlichkeit eines Beweisantrages die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas, das mit dem Beweismittel unter Beweis gestellt werden soll, somit jener Punkte und Tatsachen, die durch das angegebene Beweismittel geklärt werden sollen, voraussetzt (vgl. VwGH 19.01.2023, Ra 2022/19/0323, Rz 10 mwN). Die Begründung des gegenständlich gestellten Beweisantrages stellt keine im Sinne der zitierten Rechtsprechung ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas dar und ist daher der gestellte Beweisantrag bereits aus diesem Grund unbeachtlich.
Zusätzlich ist bei einer beantragten Befragung von im Herkunftsland aufhältigen Zeugen im Wege der österreichischen Vertretungsbehörde zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegenstehen. „Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen (vgl. etwa Verdross, Völkerrecht (1955), 175). Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen (Reinisch (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts5 (2013), Rz 891). Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt.
Die Rechtshilfeeinvernahme allenfalls namhaft gemachter Personen als Zeugen durch die Behörden des Heimatlandes oder die österreichischen Vertretungsbehörden kommt daher nicht in Betracht. Auch eine „Einvernahme“ durch eine Vertrauensperson ist nicht möglich, weil eine förmliche Zeugeneinvernahme samt Protokollierung durch eine Privatperson rechtlich nicht vorgesehen ist (den von diesen Privatpersonen mit Auskunftspersonen im Herkunftsstaat des Asylwerbers geführten Gesprächen kommt nicht die Qualität von Zeugeneinvernahmen zu) und ein Anspruch auf informelle Befragung der namhaft gemachten Personen durch die Vertrauensperson nicht in Betracht kommt, weil ein Beweisantrag des Asylwerbers, bestimmte Auskunftspersonen im Herkunftsstaat durch eine Vertrauensperson befragen zu lassen, nicht zulässig ist“ (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197, mwN).
Insofern auch die Einholung eines „individualisierten Gutachtens betreffend die asylrelevante Verfolgung“ des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsland, „dies zum Beweis der Berechtigung des gegenständlichen Antrages“ beantragt (OZ 4) und dieser Antrag in der Stellungnahme vom 27.01.2023 (OZ 12) wiederholt wurde, ist ebenso auf die oben zitierte Judikatur zu verweisen, wonach die Beachtlichkeit eines Beweisantrages die ordnungsgemäße Angabe des Beweisthemas voraussetzt, was gegenständlich aber auch hier nicht der Fall war. Im Übrigen besteht auch kein allgemeines Recht auf Einzelfallprüfung durch Recherchen in der Heimat. Die Beurteilung einer solchen Notwendigkeit obliegt vielmehr der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 28.04.2020, Ra 2019/14/0537). Bereits an dieser Stelle sei im Hinblick auf das noch näher unter Punkt 2.2.4. beleuchtete Vorbringen einer möglichen Gruppenverfolgung der Ahmadis ausgeführt, dass für das erkennende Gericht die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens auch zu diesem Aspekt nicht erforderlich war, weil dies aufgrund der vorliegenden Länderberichte nicht notwendig erschien.
Aus diesen Erwägungen war den gestellten Beweisanträgen daher nicht stattzugeben.
2.2.3. Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aufgrund der geschilderten Widersprüche vor allem in zeitlicher Hinsicht, der ungenauen Angaben und des gesteigerten Vorbringens seine behaupteten Fluchtgründe nicht glaubhaft machen konnte. Eine individuelle Verfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit vor der Ausreise oder die Gefahr einer solchen bei einer Rückkehr konnte er nicht glaubhaft darlegen. Etwaige Verfolgungsszenarien waren für das erkennende Gericht auch aus den Länderberichten nicht ersichtlich.
2.2.4. Zum Vorbringen einer möglichen Gruppenverfolgung der Ahmadis in Pakistan ist auszuführen, dass sich aus den im gegenständlichen Verfahren getroffenen Länderfeststellungen zwar ergibt, dass es zu Übergriffen auf Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinschaft kommen kann, jedoch ist auch entscheidend zu berücksichtigen, dass die überwiegende Anzahl der Ahmadis in Pakistan unbehelligt leben kann. Dies zeigt nicht zuletzt auch der Umstand, dass seine Familienangehörigen nach wie vor in Chenab Nagar, dem religiösen und administrativen Zentrum der Ahmadis, wohnhaft sind. Seine Brüder können dort ungehindert einer Erwerbstätigkeit nachgehen und für den Lebensunterhalt der Familie sorgen. Die Schätzungen über die Anzahl der Anhänger der Ahmadiyya Muslim Jamaat, der Hauptströmung dieses Glaubens, zu welcher auch der Beschwerdeführer angehört, in Pakistan reichen von 500.000 bis 5 Millionen Mitglieder. Das Zentrum der Ahmadis befindet sich in Rabwah, offiziell Chenab Nagar benannt. Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Einwohner der Stadt, circa 60.000 bis 70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere Siedlungszentren der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters Peschawar, Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala. Ahmadis sind sohin über ganz Pakistan verteilt.
Es ist letztlich im Rahmen eines Vergleichs der Anzahl der Ahmadis in Relation zu den dokumentierten Übergriffen festzuhalten, dass Übergriffe zwar möglich, aber nicht maßgeblich wahrscheinlich sind.
Gemeinsam mit der Stellungnahme vom 27.01.2023 legte seine Vertretung neun aktuelle Berichte zur Situation der Ahmadis in Pakistan vor (OZ 12), wobei der Vollständigkeit halber angemerkt wird, dass sich ein Bericht vorwiegend auf die Situation der Ahmadis in Burkina Faso bezog und sohin für das gegenständliche Verfahren nicht von erheblicher Bedeutung war. Aus diesen Berichten lässt sich jedoch keine andere Bewertung der Lage ableiten. Derartige Diskriminierungen und Angriffe gegen Ahmadiyyas finden auch im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA ihren Niederschlag und werden nicht bestritten. So wird im Länderinformationsblatt ausgeführt, dass es zu gelegentlichen Ausbrüchen von „Mob“-Gewalt gegen Minderheiten, wie Christen, Hindus und Ahmadis sowie zu gezielte Tötungen an Personen schiitischen Glaubens und an Ahmadis kommt. Für das Jahr 2021 wurden sieben Vorfälle religiös-motivierter „Mob“-Gewalt in Pakistan verzeichnet. Diese forderten zwei Tote, darunter ein Ahmadi. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation berichtet auch über eine Zunahme von rhetorischen Entgleisungen bis hin zu Mordaufrufen gegenüber Anhänger der Ahmadiyya. In einer Zusammenschau des Länderinformationsblattes mit den vorgelegten Berichten ergibt sich jedoch nicht, dass Gewaltvorkommen gegen Ahmadiyyas in Pakistan dergestalt sind, dass abgeleitet werden kann, dass jeder Ahmadiyya mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer landesweiten Gefahr ausgesetzt sei, Opfer solcher Gewalt zu werden.
Nach den getroffenen Länderfeststellungen bietet Chenab Nagar bzw. Rabwah einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil Angehörige der Ahmadis dort weitgehend unter sich sind, auch wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind. Rabwah erlaubt damit einen größeren Grad an Freiheit, doch durch die große Anzahl an Ahmadis ist sie auch ein Ziel für ihre Gegner. Einem vom Beschwerdeführer vorgelegten Bericht von IHRC vom 10.10.2023 war zu entnehmen, dass Angehörige der Ahmadiyyas in Chenab Nagar wegen Blasphemievorwürfe angeklagt wurden. Aber auch diese dokumentierten Einzelfälle lassen einen Rückschluss auf eine systematische Verfolgung von Angehörigen der Ahmadyyas nicht zu.
Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft und Vertreter der Religionsgemeinden berichten zudem, dass die Regierung die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an religiösen Orten der Minderheiten, die in den letzten Jahren häufig Ziele von Übergriffen waren, verstärkt hat. Während religiöser Feiertage erhöht die Polizei außerdem die Sicherheitsmaßnahmen in Abstimmung mit den Religionsführern. Die Regierung setzt ihren Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Terrorismus, der auch konfessionell motivierten Extremismus und Hassreden berücksichtigt, fort.
Es ist und war im Allgemeinen möglich für Ahmadis ihren Glauben auf einer eingeschränkten Basis sowohl im privaten Bereich als auch in der Gemeinschaft in Pakistan auszuüben, ohne das heimische pakistanische Gesetz zu verletzen. Laut Vertretern der religiösen Minderheiten erlaubt die Regierung den meisten organisierten religiösen Gruppen, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden, jedoch verweigern lokale Behörden Ahmadis regelmäßig notwendige Baubewilligungen für ihre Gebetshäuser. Offizielle Restriktionen diesbezüglich gibt es nicht, abgesehen davon, dass sie ihre Gebetshäuser nicht Moscheen nennen dürfen. Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Mit der 18. Verfassungsänderung 2010 wurden in allen Provinzen Ministerien zur Wahrung der Rechte der Minderheiten eingerichtet.
Zum Urteil des EuGH vom 05.09.2012, C-71/11, C-99/11 ist festzustellen, dass in dieser Entscheidung zum Ausdruck gebracht wird, dass ein solches Glaubensverbot nur dann eine für die Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere darstellt, wenn dem Beschwerdeführer durch Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Diese geforderten Voraussetzungen sind jedoch nach den oa. Feststellungen im gegenständlichen Fall nicht gegeben, sodass der genannten Entscheidung nicht näher nachzugehen ist. Dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich war, seinen Glauben in seiner Herkunftsregion nicht im gewünschten Umfang im Wesentlichen auszuüben, geht sowohl aus seinen Aussagen als auch aufgrund der vorliegenden – objektiven – Dokumentation der vorherrschenden Verhältnisse nicht glaubhaft hervor. Somit ist auch nicht erkennbar, inwiefern hier dem Beschwerdeführer individuelle Sanktionen (Diskriminierung bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung) bei offener Religionsausübung in seinem Heimatland drohen würden. Dem erkennenden Gericht erscheint es in diesem Zusammenhang noch wichtig, festzustellen, dass diese Glaubensfreiheit nicht nur auf die Heimatregion des Beschwerdeführers beschränkt, sondern auch in anderen Teilen Pakistans gegeben ist. So stellen neben Rabwah auch Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala Hauptansiedlungsgebiete der Ahmadis dar, wo sie überwiegend in Eintracht mit anderen Religionen und von den Behörden unbehelligt leben können.
Auch die Mitgliedschaft bei der Ahmadiyya-Gemeinde ist laut Berichtslage nicht mit Strafe bedroht. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Pakistan nicht bloß die Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde von den Blasphemiegesetzen betroffen sind, sondern handelt es sich hierbei um generell-abstrakte Normen, welche sich in Pakistan an jedermann, auch den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften richten und die nicht zielgerichtet ausschließlich oder überwiegend gegen die Ahmadis gerichtet sind.
Auf Grundlage dieser Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt sohin auch nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage in ganz Pakistan gesprochen werden, dass jeder Angehöriger der Ahmadis, der sich in Pakistan aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist.
2.2.4. Gegenständlich konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist ihm jedenfalls eine Wiederansiedelung in Chenab Nagar möglich und zumutbar. Nach den getroffenen Länderfeststellungen bietet Chenab Nagar einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil Angehörige der Ahmadis dort weitgehend unter sich sind. Er verfügt dort auch über Anknüpfungspunkte: Seine Eltern und seine Geschwister sind dort nach wie vor wohnhaft. Dass sie als Angehörige der Ahmadiyya in ihrem Herkunftsort mit Problemen konfrontiert seien, wurde von ihm nicht substantiiert vorgebracht.
Auch der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers steht seiner Rückkehr nach Pakistan nicht entgegen, zumal er an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leidet und eine ausreichende und adäquate medizinische Versorgung in Pakistan besteht. Die Grundversorgung ist mit nahezu allen gängigen Medikamenten sichergestellt.
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen Mann im erwerbsfähigen Alter. Er hat in Pakistan zehn Jahre die Schule besucht und verfügt über Berufserfahrung als Verkäufer in der Textilbranche. Mit seiner Erwerbstätigkeit konnte er bereits in der Vergangenheit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Zudem könnte er bei seiner Rückkehr eine Rückkehrhilfe bzw. Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch nehmen. Schließlich war auch zu beachten, dass seine nach wie vor in Pakistan wohnhafte Familie ihn während seines Aufenthaltes in Österreich finanziell unterstützt hat, sodass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie ihm weiterhin Unterstützung zukommen lassen. Es ist daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er in Pakistan für seinen Unterhalt wieder sorgen wird können. Dass Chenab Nagar über Luft- und anschließend Landweg (über den Flughafen Faisalabad) erreichbar ist, muss als notorisch angesehen werden (siehe diesbezüglich https://en.verymap.net/distances/1167507-7668396/chenab-nagar/faisalabad-international-airport/ ).
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in den Länderfeststellungen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.
Es handelt sich hierbei um Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen – sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges – handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten – immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse – der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen – allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden – aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 01.08.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 04.04.2001, Gz. 2000/01/0348).
Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt werden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Wie bereits oben ausgeführt wurde, gelang es dem Beschwerdeführer nicht, mit den vorgelegten Berichten Zweifel an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage bzw. zur Lage der Ahmadis im Herkunftsstaat aufkommen zu lassen. Aus den Länderfeststellungen ist eine systematische Verfolgung der Ahmadi nicht ableitbar.
Insofern in der Stellungnahme vom 27.01.2023 angemerkt wurde, dass die dem Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen der Staatendokumentation keine Überprüfung bzw. Darstellung einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr beinhalten würden, wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet wurde, wie dies bei dem Beschwerdeführer der Fall sei, war anzumerken, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr glaubhaft vorzubringen, sodass darauf nicht weiter einzugehen war.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendende Rechtsvorschriften
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
3.2.2. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsgefahr aus einem der Konventionsgründe konnte weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht werden bzw. mangelte es selbst bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens an einer Asylrelevanz (siehe hierzu die Ausführungen in der Beweiswürdigung unter Punkt 2.2.).
Wie bereits in der Beweiswürdigung erörtert wurde, war dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH 20.06.1990, Zl. 90/01/0041).
Im Asylverfahren muss das Vorbringen des Antragstellers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden. Ungeachtet der gesetzlichen Verpflichtung der Asylbehörde bzw. des Asylgerichtshofes, im Einklang mit den im Verwaltungsverfahren geltenden Prinzipien der materiellen Wahrheit und des Grundsatzes der Offizialmaxime, den maßgeblichen Sachverhalt amtswegig (§ 39 Abs 2 AVG, § 18 AsylG 2005) festzustellen, obliegt es in erster Linie dem Asylwerber auf Nachfrage alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.1987, 87/01/0299; 13.04.1988, 87/01/0332; 19.09.1990, 90/01/0133; 07.11.1990, 90/01/0171; 24.01.1990, 89/01/0446; 30.01.1991, 90/01/0196; 30.01.1991, 90/01/0197; vgl. zB auch VwGH 16.12.1987, 87/01/0299; 02.03.1988, 86/01/0187; 13.04.1988, 87/01/0332; 17.02.1994, 94/19/0774) und glaubhaft zu machen (VwGH 23.02.1994, 92/01/0888; 19.03.1997, 95/01/0525). Es ist in erster Linie Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30.11.2000, 2000/01/0356).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von dem Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl. 95/20/0380).
Eine anderweitige Verfolgung konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, kann insbesondere nicht von der Gefahr einer Gruppenverfolgung der Ahmadiyya in Pakistan ausgegangen werden.
Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht existiert.
Folglich war die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abzuweisen.
3.3. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
3.3.2. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.
Da sich Pakistan nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in manchen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Der Beschwerdeführer ist gesund, er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen. Gegenständlich kam auch nicht hervor, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf Covid-19 einer Risikogruppe angehört, sodass – im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer Covid-19-Erkrankung – keine exzeptionellen Umstände vorliegen, die die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen (vgl. VwGH 06.07.2020, Ra 2020/01/0176).
Auch eine Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen zur Lage in Pakistan als gesichert angenommen werden. Der Beschwerdeführer befindet sich im erwerbsfähigen Alter, hat die Schule in Pakistan besucht und Berufserfahrungen gesammelt. Es ist davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr auch weiterhin in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften um seine nötigsten Bedürfnisse befriedigen zu können.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt somit nicht vor.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden.
Vor diesem Hintergrund erweist sich letztlich die Annahme des BFA, es lägen im gegenständlichen Fall keine stichhaltigen Gründe für die Annahme des realen Risikos einer Gefährdung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG vor, als mit dem Gesetz in Einklang stehend.
Insoweit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
3.4.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 23.06.2021 im Bundesgebiet, wobei sein Aufenthalt nicht in obigem Sinne geduldet ist. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.
Der Beschwerdeführer ist als pakistanischer Staatsangehöriger kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Mit der erfolgten Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz endet das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung.
3.4.2. Eingriff in das Privat- oder Familienleben
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u. a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Sofern durch eine Ausweisung eines Fremden in gewissem Maße in sein Familien- oder/und in sein Privatleben eingegriffen wird, bedarf es folgerichtig einer Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen des Fremden an einem Verbleib im Aufnahmeland im Hinblick auf die Frage, ob dieser Eingriff iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, wobei vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung eines Asylwerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich nehmen grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen (VwGH 15.09.2021, Ra 2010/17/0059, mwN). Nur dann, wenn der Fremde die im Inland verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, werden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach einem so langen Inlandsaufenthalt noch als verhältnismäßig angesehen (vgl. zum Ganzen VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120, mwN).
In Österreich leben zwei volljährige Neffen des Beschwerdeführers. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006). Zwar lebt der Beschwerdeführer mit seinen beiden Neffen in einem gemeinsamen Haushalt, wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, besteht jedoch angesichts seiner Arbeitsfähigkeit kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Neffen und kam im Verfahren auch nicht hervor, dass sie eine besonders innige Beziehung führen, weshalb aus der Beziehung zu seinen Neffen kein schützenswertes Familienleben im og. Sinn resultiert.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellt damit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar und ist bei der Interessensabwägung sohin lediglich sein bislang entstandenes Privatleben in Österreich zu beachten.
Im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in sein Privatleben ist auszuführen, dass er sich erst seit einem Jahr und etwas mehr als sieben Monaten in Österreich aufhält. Sein Aufenthalt war bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig, was ihm bewusst sein musste. Er begründete sein hiesiges Privatleben zu einem Zeitpunkt, zudem sein Aufenthalt ungewiss und auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt war. Die Interessen des Beschwerdeführers werden auch dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt lediglich auf einen – wie sich im Verfahren zeigte – unberechtigten Asylantrag zurückzuführen war (vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 mwN).
Die Dauer des gegenständlichen Verfahrens ist nicht als unverhältnismäßig lang zu werten.
Eine außergewöhnliche sprachliche Integration des Beschwerdeführers war nicht zu erkennen. Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau A1. Eine einfache Unterhaltung auf Deutsch war mit ihm in der Beschwerdeverhandlung schwer möglich.
Ebenso geht aus dem Akteninhalt nicht gesichert hervor, dass er selbsterhaltungsfähig wäre. Er ist erst seit kurzem als Zeitungszusteller erwerbstätig. Nachweise, die ein regelmäßiges Einkommen belegen hätten können, wurden von ihm nicht vorgelegt. Eine nachhaltige berufliche Integration war sohin nicht zu erkennen.
Zu seinen Gunsten war seine gemeinnützige Hilfstätigkeit in seiner Wohnsitzgemeinde zu berücksichtigen.
Der Beschwerdeführer ist Mitglied der XXXX . Er beteiligt sich regelmäßig an Gebeten und Veranstaltungen der Gemeinschaft und engagiert sich innerhalb der Gemeinschaft auch ehrenamtlich. Eine nachhaltige Integration in die österreichische Gesellschaft konnte mit seiner Mitgliedschaft jedoch nicht nachgewiesen werden, da derartige Einrichtungen vorwiegend dazu dienen, Fremde den Kontakt zu ihren Landsleuten zu erhalten bzw. ihre Kultur und (religiösen) Traditionen aus dem Herkunftsland in Österreich fortzuführen bzw. ausleben zu können. Es war auch zu erkennen, dass er vorwiegend soziale Kontakte im Rahmen seiner Mitgliedschaft bei der XXXX knüpfte.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich. Die Rechtsprechung geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Auch stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dar (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).
Der Beschwerdeführer verbrachte den überwiegenden Teil seines Lebens in Pakistan, wurde dort sozialisiert, ging dort zehn Jahre lang in die Schule und war auch erwerbstätig. Er spricht Urdu und Punjabi. Er verfügt in Pakistan über familiäre Anknüpfungspunkte. Mit seiner Familie steht er nach wie vor in Kontakt. Es ist nicht davon auszugehen, dass bereits eine Entwurzelung des Beschwerdeführers vom Herkunftsland stattgefunden hat.
Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder beim Zugang zu Sozialleistungen konnten gegenständlich für den Beschwerdeführer nicht erblickt werden. Es deutet auch nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Er war bis zu seiner Ausreise aus Pakistan bei seinen Eltern wohnhaft. Seine Familie hat ihn auch während seines Aufenthaltes in Österreich finanziell unterstützt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er bei seiner Rückkehr auch wieder bei ihnen wohnen wird können und zumindest anfangs von ihnen finanziell unterstützt wird.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsland – letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.04.2010, 2009/21/0055).
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass von einer nachhaltigen Integration, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung im Sinne oben zitierter Judikatur überwiegen würde, im Falle des Beschwerdeführers keinesfalls gesprochen werden kann.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, zweifellos in den Hintergrund treten. Insbesondere darf das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).
Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
3.4.3. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Im gegenständlichen Fall liegen keine derartigen Abschiebehindernisse vor. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird diesbezüglich insbesondere auf die Ausführungen dieses Erkenntnisses in Punkt 3.3. (subsidiärer Schutz) verwiesen.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat ist somit letztlich gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.4.4. Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55 FPG lautet:
(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) […]
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) […]
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Mangels Vorliegen besonderer Umstände entspricht die vom BFA festgelegte Frist für die freiwillige Ausreise der gesetzlichen Regelung und war daher nicht zu beanstanden.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen im gegenständlichen Erkenntnis zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht klar hervor, dass das Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, des subsidiären Schutzes sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Rechtes auf ein Privat- und Familienleben abgeht.
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