Normen
AsylG 2005 §2 Abs1 Z12
AsylG 2005 §3 Abs1
EURallg
FlKonv Art1 AbschnA Z2
32011L0095 Status-RL Art10 Abs1 litd
62012CJ0199 VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200295.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte ist Staatsangehörige Ghanas und stellte am 11. Oktober 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18. Februar 2019 wurde ihr Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
3 Der Bescheid enthält Feststellungen, wonach die Mitbeteiligte ihren Heimatstaat Ghana verlassen habe, nachdem sie von Personen aus ihrem näheren Umfeld angeworben worden sei, die ihr gegenüber von der Möglichkeit gesprochen hätten, „in Amsterdam zu leben und Geld zu verdienen“. Diese Personen hätten sie bereits in Ghana zur Prostitution angeleitet. Es sei im Fall einer Rückkehr der Mitbeteiligten nach Ghana „nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auszuschließen“, dass sie einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt wäre, konkret, dass sie von jenen Personen, die sie angeworben und ihre Reise nach Europa organisiert und finanziert hätten, zur Prostitution gezwungen werde, um die Auslagen zurückzuzahlen. Es könne „nicht garantiert“ werden, dass die Mitbeteiligte in diesem Fall mit staatlicher Hilfe rechnen könne.
4 Weiters traf das BFA durch Wiedergabe von Passagen des einschlägigen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des BFA nähere Feststellungen zur politischen Lage, zur Sicherheitslage und zur allgemeinen Menschenrechtslage in Ghana.
5 In der rechtlichen Würdigung führt das BFA zur Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung des Status einer Asylberechtigten aus, dass es sich bei den der Mitbeteiligen drohenden Verfolgungshandlungen um „Privatverfolgung“ handle, die in keinem Zusammenhang mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK genannten Gründe stehe. Es sei auch keine auf einen dieser Gründe zurückzuführende Verweigerung staatlichen Schutzes gegeben. Es sei im Fall der Mitbeteiligten jedoch von einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK auszugehen, weil im Fall einer Rückkehr der Mitbeteiligten nach Ghana nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie aufgrund mangelnder Schutzwilligkeit staatlicher Organe einer „Ausbeutung durch Privatpersonen als menschenunwürdiger Behandlung“ ausgesetzt würde.
6 Den hinsichtlich des beantragten Status der Asylberechtigten abweisenden Spruchpunkt II. dieses Bescheides bekämpfte die Mitbeteiligte mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) und beantragte die Durchführung einer Verhandlung sowie die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. April 2019 gab das BVwG der Beschwerde ohne Durchführung einer Verhandlung Folge, erkannte der Mitbeteiligten den Status der Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
8 Das BVwG traf durch wörtliche Zitierung von Passagen aus den Feststellungen des Bescheides, insbesondere in Bezug auf die Menschenrechtslage und die Lage von Frauen in Ghana und zur individuellen Gefährdungssituation der Mitbeteiligten Feststellungen, wonach diese zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Ghana angeworben worden und im Fall ihrer Rückkehr nicht auszuschließen sei, dass sie einer menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt werde, weil sie von jenen Personen, die sie angeworben hätten, zur Prostitution gezwungen werde, um ihre Schulden zurückzuzahlen. Ergänzend traf das BVwG ‑ ohne beweiswürdigende Erwägungen offenzulegen ‑ eigene Feststellungen zum familiären Umfeld der Mitbeteiligten, dem Aufenthalt ihrer Mutter und Geschwister bei einer Person, die die Mitbeteiligte zur Prostitution verhalten habe, sowie zu den näheren Umständen ihrer Zuführung zur Zwangsprostitution.
9 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das BVwG fest, dass der Mitbeteiligten der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen sei, weil sie „Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe“ sei, der in Ghana Verfolgung drohe. Mitglieder dieser Gruppe seien „nach Ghana zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben“. Es handle sich dabei um eine „klar definierbare, nach außen wahrnehmbare und von der Gesellschaft wahrgenommene und ausgegrenzte Gruppe“. Im Fall der Rückkehr der Mitbeteiligten nach Ghana bestehe für sie ein „erhöhtes Risiko eines Re‑Traffickings bzw. einer Vergeltungsmaßnahme“; dies sei vom BFA auch explizit festgestellt worden. Aus diesem Grund bestehe die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Mitbeteiligte im Rückkehrfall „wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen, die Opfer von systematisch organisierte[m] Frauenhandel sind, bzw. wegen ihres Geschlechts“ verfolgt werde. Eine Unterstützung ihrer Familie könne sie nicht erwarten, weil diese selbst bei jemandem „aus dem Netzwerk“ (gemeint: von Menschenhändlern) untergebracht sei. Zudem habe sie die wirtschaftliche Existenz ihrer Familie schon vor ihrer Ausreise nur unter Inanspruchnahme der ihr als Gegenleistung für Prostitution gewährten Mittel sichern können. Falls sie an ihren Herkunftsort zurückkehren würde, müsste sie „Verfolgungshandlungen durch das Menschenhandelsnetzwerk“ fürchten und befürchten, dass sie „aufgrund einer existentiellen Notlage keine andere Möglichkeit [habe], als sich wieder in die Hände der Menschenhändler zu begeben“.
10 Das BVwG stufte die beschriebene Gefährdung als eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende Verfolgung ein und hielt zur Frage der Schutzfähigkeit und ‑willigkeit des Staates Ghana fest, dass die Behörden Ghanas die Mitbeteiligte nicht ausreichend schützen könnten. Nach Zitierung von Art. 7 der Richtlinie 2011/95/EU (Status‑RL) und Wiedergabe von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte das BVwG aus, dass es sich bei der Mitbeteiligten „um keinen Einzelfall“ handle, aus den im Bescheid des BFA zitierten „Länderfeststellungen“ deutlich werde, dass in Ghana die Diskriminierung von Frauen fortgesetzt werde und dass zu den „relevanten Menschenrechtsproblemen“ unter anderem Menschenhandel gehöre. Dem fügte es hinzu, dass laut den im Bescheid zitierten „Länderfeststellungen“ eine „generelle Schutzunfähigkeit“ Ghanas gegenüber Frauen vorliege, so dass dies „jedenfalls in Zusammenhang mit einer geschlechtsspezifischen Verfolgung zu sehen“ sei.
11 Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneinte das BVwG unter Hinweis auf die rechtskräftige Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Mitbeteiligte.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, dass der Verwaltungsgerichtshof sich bislang nicht damit auseinandergesetzt habe, „ob Frauen per se oder Frauen, die Opfer von Menschenhandel/Zwangsprostitution waren/sind, auch vor dem Hintergrund der [Status‑RL] eine soziale Gruppe darstellen“. Das BVwG habe seiner Entscheidung die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zugrunde gelegt, die sich durch die Eigenschaft als Frau, die Opfer von Menschenhandel wurde, definiert.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Amtsrevision nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
15 § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (jeweils samt Überschrift) lauten auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1.die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;
...
9.die Statusrichtlinie: die Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9;
...
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;
...
Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.“
16 Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl. Nr. 55/1955, sieht (auszugsweise) vor:
„Definition des Ausdruckes ‚Flüchtling‘
A. Als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens ist anzusehen, wer:
...
2.sich [...] aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“
17 Die Erwägungsgründe 29 und 30 sowie die Art. 2 und 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU ; Status‑RL) lauten auszugsweise:
„(29) Eine der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Gründen der Verfolgung, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und den Verfolgungshandlungen oder dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen.
(30) Es ist ebenso notwendig, einen gemeinsamen Ansatz für den Verfolgungsgrund ‚Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe‘ zu entwickeln. Bei der Definition einer bestimmten sozialen Gruppe sind die Aspekte im Zusammenhang mit dem Geschlecht des Antragstellers, einschließlich seiner geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, die mit bestimmten Rechtstraditionen und Bräuchen im Zusammenhang stehen können, wie z. B. Genitalverstümmelungen, Zwangssterilisationen oder erzwungene Schwangerschaftsabbrüche, angemessen zu berücksichtigen, soweit sie in Verbindung mit der begründeten Furcht des Antragstellers vor Verfolgung stehen.
...
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
...
d)‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
...
Artikel 10
Verfolgungsgründe
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
...
d)eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
-die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
-die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
...“
18 Vorauszuschicken ist, dass auf das Vorbringen der Revision dazu, ob „Frauen per se“ oder „Frauen in Ghana“ als soziale Gruppe im Sinne der maßgeblichen Rechtsnormen angesehen werden können, nicht weiter einzugehen ist, weil das BVwG die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten nicht auf die Zugehörigkeit zu einer solchen weiter gefassten sozialen Gruppe stützte, sondern die Asylrelevanz damit begründete, die Mitbeteiligte sei Teil der sozialen Gruppe der „nach Ghana zurückkehrende[n] Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben“. Soweit im angefochtenen Erkenntnis ergänzend auch die Eigenschaft der Mitbeteiligten als Frau und ihre Herkunft aus Ghana hervorgehoben wurden, diente dies erkennbar nur der Betonung von Teilaspekten der angenommenen sozialen Gruppe sowie der Begründung der angenommenen Schutzunfähigkeit des Staates Ghana, lässt aber nicht erkennen, dass das BVwG diese Eigenschaften auch isoliert betrachtet als konstitutiv für ‑ zusätzliche ‑ (weiter gefasste) soziale Gruppen herangezogen und die Zugehörigkeit zu diesen Gruppen jeweils auch gesondert als Asylgrund eingestuft hätte.
19 In den Revisionsgründen macht das BFA geltend, das BVwG habe „nur allgemeine Feststellungen zu Frauen in Ghana“ getroffen, nicht aber zu „Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden“. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, ob diese in Ghana im Sinn des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d Status‑RL „eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden“.
20 Mit diesem Vorbringen ist das BFA im Recht.
21 Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen „Rasse, Religion und Nationalität“ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine ‑ nicht sachlich gerechtfertigte ‑ Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; 26.6.2007, 2007/01/0479). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, mit Hinweisen u.a. auf die UNHCR‑Richtlinie zum Internationalen Schutz: „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ vom 7. Mai 2002; 29.6.2015, Ra 2015/01/0067).
22 Zur Auslegung des Begriffs der „sozialen Gruppe“ hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung auf Art. 10 Abs. 1 lit. d der Status‑RL und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH bezogen (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479; 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016, Ra 2014/18/0083; 16.11.2016, Ra 2015/18/0295).
23 Damit das Vorliegen einer „sozialen Gruppe“ im Sinne dieser Bestimmung festgestellt werden kann, müssen nach der Rechtsprechung des EuGH zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe „angeborene Merkmale“ oder einen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, „die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (EuGH 7.11.2013, X u. a., C‑199/12 bis C‑201/12, Rn. 45; 25.1.2018, F., C‑473/16, Rn. 30; 4.10.2018, Ahmedbekova, C-652/16 , Rn. 89; vgl. auch VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350).
24 Die Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfordert daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, Rn. 17).
25 Der Ansicht des BVwG, der festgestellte Sachverhalt rechtfertige die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, kann nicht beigepflichtet werden.
26 So erscheint ohne weitere Feststellungen die Annahme des BVwG nicht nachvollziehbar, wonach der Umstand, dass (ehemaligen) Opfern von Kriminalität wie Menschenhandel die Gefahr droht, dass sie von den (nichtstaatlichen) Tätern weiterhin oder neuerlich zum Opfer gemacht werden, ihnen im Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität verschafft, aufgrund derer sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Die in der rechtlichen Würdigung des angefochtenen Erkenntnisses enthaltene Aussage, dass es sich bei der vom BVwG angenommenen Gruppe um eine „klar definierbare, nach außen wahrnehmbare und von der Gesellschaft wahrgenommene und ausgegrenzte Gruppe“ handle, hat das BVwG nicht auf entsprechende Ermittlungsergebnisse und darauf beruhende ‑ durch eine nachvollziehbare Beweiswürdigung begründete ‑ Feststellungen gestützt, die die Annahme erlaubte, dass diesen Opfern in Ghana ‑ losgelöst von der von den Tätern ausgehenden Gefährdung, durch die eine soziale Gruppe nicht definiert werden kann ‑ auch in ihrer Wahrnehmung durch die umgebende Gesellschaft eine einer abgegrenzten Gruppe zugeschriebene Identität beigemessen würde.
27 Zudem hat das BVwG keine Feststellungen getroffen, die es erlauben würden, auf eine Kausalität zwischen diesem Umstand und einer drohenden Gefahr zu schließen. Auch ist es anhand des bisher festgestellten Sachverhalts nicht möglich einzuschätzen, ob diese Gefahr jene erhebliche Intensität erreichen würde, bei der sie als Verfolgung zu qualifizieren wäre. Soweit das BVwG zum letztgenannten Punkt auf die Diskriminierung von Frauen im Herkunftsstaat der Mitbeteiligten Bezug nimmt, ist festzuhalten, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Status‑RL). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (VwGH 15.12.2015, Ra 2014/18/0118).
28 Das BVwG hat aus den aufgezeigten Gründen die Rechtslage verkannt und infolgedessen für die Entscheidung wesentliche Feststellungen nicht getroffen. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen ‑ vorrangig wahrzunehmende ‑ Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Wien, am 11. Dezember 2019
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