European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00195.23I.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Parteien hatten einen zwischenzeitig gekündigten Kooperationsvertrag geschlossen, gemäß dem die Klägerin der Beklagten Waren lieferte (wofür die Beklagte der Klägerin unstrittig 53.669,94 EUR schuldet), und worin die Klägerin unter anderem sich verpflichtet hatte, der Beklagten bestimmte Waren vorrangig zum Kauf anzubieten sowie ihr Provision für Aktivitäten zum Verkauf von Waren der Klägerin im Ausland zu bezahlen. Die Beklagte wandte – vor den Vorinstanzen erfolgreich – entgangenen Gewinn und unbezahlte Provisionen in den Klagsbetrag von 53.669,94 EUR übersteigender Höhe compensando als Gegenforderungen ein.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die gegen die sich daraus ergebende Klagsabweisung erhobene außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[3] 1.1. Die Revision kritisiert unter dem Aspekt des unterbliebenen Vorteilsausgleichs (vgl dazu RS0022824; RS0022568) das Berufungsgericht, weil es die Vorgangsweise des Sachverständigen billigte, bei der Ausmittlung des notwendigerweise fiktiven Verdienstentgangs der Beklagten Modellannahmen und Durchschnittswerte sowie im Hinblick auf das Fehlen einer Abnahmeverpflichtung der Beklagten nur jene Monate heranzuziehen, in denen anzunehmen sei, dass die Beklagte der Klägerin ihre Waren abgenommen hätte, weil deren Verkaufspreise niedriger waren als die von der Beklagten beim Weiterverkauf erwarteten; zusätzlich hat der Sachverständige dennoch mögliche Verluste der Beklagten durch Abzug eines Risikoabschlags berücksichtigt. Dass der Sachverständige einen Riskoabschlag berücksichtigt habe, sei – so die Revision – im Hinblick auf die eingeschränkte Zahl an berücksichtigten Monaten aktenwidrig.
[4] 1.2. In der Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts – hier zu den von der Beklagten bei Erfüllung der Anbotspflicht der Klägerin fiktiv erzielbaren Gewinnen – durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (RS0043240).
[5] 1.3. Im Übrigen ist die Würdigung der tatsächlichen Feststellungen des Gutachtens und der zur Gewinnung der Tatsachenfeststellungen vom Sachverständigen angewandten Regeln der Wissenschaft und Sachkunde, die ihrerseits Erfahrungssätze zur Gewinnung des Sachverhalts darstellen, allenfalls unter dem Aspekt unrichtiger rechtlicher Beurteilung anzufechten; dies wäre aber nur unter der – von der Revision nicht aufgezeigten – Voraussetzung möglich, dass der Sachverständige bei seinen Schlussfolgerungen gegen zwingende Denkgesetze oder gegen die objektiv überprüfbaren zwingenden Gesetze des sprachlichen Ausdrucks verstoßen hat (RS0043168, RS0043404).
[6] Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn eine grundsätzlich inadäquate Methode angewendet wurde (RS0118604 [T5]): Der Oberste Gerichtshof kann demnach die generelle Eignung der gewählten Methode überprüfen, nicht aber das Ergebnis der Anwendung einer an sich geeigneten Methode (RS0127336). Besteht keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von der Tatsacheninstanz gebilligte Ergebnis eines Gutachtens grundsätzlich keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (RS0118604).
[7] Indem die Revision nur die geschilderte Vorgangsweise als falsch bezeichnet und eine nicht näher substanziierte „Gesamtbetrachtung … mit entsprechender Gewichtung“ vermisst, zeigt sie aber weder das Vorliegen oder Ignorieren einer gesetzlich vorgeschriebenen Methode noch die gänzliche Inadäquatheit der vom Sachverständigen gewählten Methode auf. Wie in der Branche der Parteien ein fiktiver Verdienstentgang beziffert werden kann, war daher vom Sachverständigen aufgrund seiner Fachkenntnisse zu entscheiden. Soweit die Vorinstanzen die entsprechenden Ausführungen des Sachverständigen den Feststellungen zugrunde gelegt haben, ist dies daher der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenebene zuzurechnen.
[8] 2.1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936; RS0042776; RS0042871). Darin, dass eine andere Auslegung vertretbar wäre, liegt dagegen keine im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung (RS0042776 [T2]; RS0112106 [T2, T4]; RS0044298 [T39]; vgl RS0042555 [T1, T4]).
[9] 2.2. Das Berufungsgericht legte den Kooperationsvertrag, der vorsieht, dass die Klägerin der Beklagten bestimmte Waren vorrangig zum Kauf anbieten müsse, dahin aus, dass die Parteien damit keinen Sukzessivlieferungsvertrag geschlossen hätten, der die umfassende, alle gegenseitigen Teilleistungen betreffende Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts erlauben würde (vgl RS0020194). Es begründete dies damit, dass Umfang und Preis einzelner Teillieferungen nicht einmal ansatzweise bestimmt gewesen seien und die Klägerin zwar eine Anbots-, die Beklagte aber keine Abnahmeverpflichtung getroffen habe, sodass sich schon aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergebe, dass eine Leistungspflicht nicht vom Bestand einer anderen Leistungspflicht abhängig sei und sie nicht zueinander im Austauschverhältnis stünden. Die einzelnen durch den Rahmen des Kooperationsvertrags bezeichneten Verträge deshalb als eigenständige Rechtsgeschäfte anzusehen, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl RS0018760 [insb T1 = 2 Ob 546/84]) und des den Gerichten im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
[10] 2.3. Die Revision beschränkt sich auf die Behauptung ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung, ohne konkret aufzuzeigen, warum die Rechtsansicht des Berufungsgerichts eine unvertretbare und daher vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung sein sollte.
[11] 3.1. Warum die Geltendmachung von zwar im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung, nicht aber im Zeitpunkt der gegenseitigen Aufrechenbarkeit verjährten Gegenforderungen (vgl RS0033973; RS0034016) hier ein Verstoß gegen Treu und Glauben sein sollte, vermag die Revision nicht nachvollziehbar darzulegen.
[12] 3.2. Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass bei der Annahme der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen gemäß § 863 ABGB Vorsicht geboten und ein strenger Maßstab anzulegen ist (RS0014157; RS0013947; RS0014420; RS0014146): Eine konkludente Handlung darf nur angenommen werden, wenn sie nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist; es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RS0013947 [T1]; RS0014150). Stillschweigen ist grundsätzlich nicht als Annahme eines Anbots oder Anerkennung einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung anzusehen, außer wenn besondere Umstände vorliegen (RS0013991).
[13] 3.3. Dass auch im hier vorliegenden Einzelfall solche besonderen Umstände nicht anzunehmen seien und das Verhalten der Beklagten oder ihr Schweigen zum von der Klägerin geäußerten Rechtsstandpunkt zum Bedeutungsgehalt des Kooperationsvertrags im Sinne eines Entfalls der Anbotspflicht der Klägerin nicht als Zustimmung hierzu zu werten wären, zumal ein bereits abgeschlossener Vertrag abgeändert und die vorgeschlagene Änderung des Rechtsverhältnisses die Interessen des Schweigenden spürbar beeinträchtigen würde (vgl RS0013991 [T9, T13]), ist zumindest vertretbar.
[14] 4.1. Das rechtliche Gehör wird in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten, zugrundegelegt werden (RS0005915 [insb T17]; RS0074920).
[15] 4.2. Das ergänzende Gutachten ON 61 wurde zwar den Parteien nicht zugestellt, in den Urteilen der Vorinstanzen aber auch nicht entscheidungserheblich verwertet (vgl RS0117067), zumal darin vom früheren Gutachten samt Ergänzungen (zuletzt ON 50 in Ansehung des Verdienstentgangs aus April 2017 in Höhe von 4.035 EUR) abweichende Rechenergebnisse des Sachverständigen (6.501 EUR und 9.626 EUR) gerade nicht zugrundegelegt wurden. Die in der Revision geltend gemachte Nichtigkeit liegt in diesem Lichte nicht vor.
[16] 4.3. Soweit die Klägerin darin allenfalls eine Mangelhaftigkeit erblicken wollte, würde es auch insofern an der Entscheidungsrelevanz mangeln.
[17] 4.4. Auch sonstige Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft und sind nicht erkennbar. Eine Urteilsberichtigung dient nicht dazu, der vom Gericht abweichenden Rechtsansicht einer Partei bei der Auslegung eines Gutachtens oder von Urkunden zum Durchbruch zu verhelfen, sondern nur dazu, Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten der Entscheidung – also eine sinnstörende Diskrepanz zwischen Entscheidungswillen und Entscheidungsausdruck – zu beseitigen (vgl RS0041418; RS0041519; RS0041489). Warum dem Berufungsgericht insofern bei der Berichtigung des Spruchs eine fehlerhafte Anwendung des Gesetzes unterlaufen sein sollte, zeigt die Revision nicht nachvollziehbar auf.
[18] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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