OGH 13Os119/22g

OGH13Os119/22g28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin RichteramtsanwärterinMag. Mair in der Finanzstrafsache gegen * C* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * C* und * R* sowie die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * K* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1. Juni 2022, GZ 3 Hv 9/21g‑277, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00119.22G.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Finanzstrafsachen, Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * K* wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch dieses Angeklagten sowie in dessen Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerden im Übrigen werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten * C* und * R* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil (dessen Ausfertigung gemeinsam mit dem gemäß § 22 Abs 1 und 2 VbVG davon getrennt verkündeten, rechtskräftigen und solcherart keinen Gegenstand amtswegiger Prüfung darstellenden [11 Os 32/20w] Urteil gegen den belangten Verband § 270 StPO [iVm § 14 Abs 1 VbVG] widerspricht [RIS‑Justiz RS0130765; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 5/6]) wurden – soweit hier von Bedeutung – (richtig)

* C* des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 und 12 zweiter Fall StGB (A), jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 11 dritter Fall FinStrG (B I 1 1 1 a,  B I 1 1 2 a, B I 1 1 3 a bis e, B I 1 2 1 a, B I 1 2 2 a bis e, B I 1 3 und C III 1), nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 (B I 2 1 1, B I 2 2 1 und B I 2 3 1) und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (B I 2 1 2, B I 2 2 2 und B I 2 3 2) sowie je eines Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c, 11 dritter Fall und 13 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (B I 1 1 1 b bis d, B I 1 1 2 b bis d, B I 1 2 1 b bis d und C III 2 a) und nach §§ 33 Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (B I 3),

* H* mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (C I),

* K* mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (C II 1) und des Finanzvergehens des Abgabenbetrugs nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a FinStrG [iVm der Strafdrohung des § 39 Abs 3 lit a FinStrG idF vor BGBl I 2019/62] (C II 2 a) sowie

* R* mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (B II 1 1 2, B II 1 1 3 a, B II 1 2 2 a und b, B II 1 2 3 a, B II 1 3 2 und B II 1 3 3) und des Verbrechens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (B II 1 1 1, B II 1 1 2 c, B II 1 1 3 b bis d, B II 1 2 1, B II 1 2 2 c und B II 1 2 3 b bis d)

schuldig erkannt.

 

[2] Danach haben – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerden relevant –

* C*

(A) als faktischer Geschäftsführer der M* GmbH (US 57 f) vom Jänner 2008 bis zum November 2012 in G* mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz in einer Vielzahl von Angriffen Verantwortliche der S* Gebietskrankenkasse durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher Beweismittel zu Unterlassungen verleitet, indem er sowie von ihm damit beauftragte Mitarbeiter der genannten Gesellschaft (US 83 f) zahlreiche Dienstnehmer in einem wesentlich geringeren als ihrem tatsächlichen Beschäftigungsausmaß zur Sozialversicherung anmeldeten und die S* Gebietskrankenkasse unter monatlicher Übermittlung von inhaltlich falschen Beitragsnachweisen dazu veranlassten, von der Einhebung der dem wahren Beschäftigungsausmaß dieser Dienstnehmer entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge Abstand zu nehmen, wodurch der genannte Sozialversicherungsträger in dem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von 3.412.300,70 Euro am Vermögen geschädigt wurde,

(B I) im Zuständigkeitsbereich der (ehemaligen) Finanzämter Graz-Stadt und Graz‑Umgebung vorsätzlich

(B I 1) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten Abgabenverkürzungen bewirkt und dies zu 1 1 2 d versucht (§ 13 FinStrG), und zwar

(B I 1 1 und B I 1 2) teils durch Nichtabgabe binnen der gesetzlichen Erklärungsfrist, teils durch Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen (im Ersturteil jeweils nach Veranlagungsjahren aufgegliedert)

- als Einzelunternehmer für die Jahre 2008 bis 2012

an Umsatzsteuer um 242.449,29 Euro (B I 1 1 3 a bis e) und

an Einkommensteuer um 659.269,65 Euro (B I 1 2 2 a bis e) sowie

- als faktischer Geschäftsführer der M* GmbH (B I 1 1 1 und B I 1 2 1) und der S* GmbH (B I 1 1 2) für die Jahre

2008 an Umsatzsteuer um 2.292.043,33 Euro (B I 1 1 1 a, B I 1 1 2 a) und

an Körperschaftsteuer um 684.444,04 Euro (B I 1 2 1 a) und

2009 bis 2011 an Umsatzsteuer um 5.638.004,84 Euro (B I 1 1 1 b bis d, B I 1 1 2 b bis d) und

an Körperschaftsteuer um 919.961,68 Euro (B I 1 2 1 b bis d) sowie

(B I 1 3) als faktischer Geschäftsführer der M* GmbH durch Nichtabfuhr an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten unter Verletzung der Anmeldungspflicht in Bezug auf insgesamt 55 jeweils einmal pro Monat erfolgte verdeckte Gewinnausschüttungen vom 1. Jänner 2008 bis zum 24. März 2010, vom 1. Mai 2010 bis zum 24. Dezember 2010 und vom (richtig) 1. Jänner 2011 bis zum 31. August 2012 an Kapitalertragsteuer um insgesamt 2.173.727,14 Euro,

(B I 2) als faktischer Geschäftsführer der M* GmbH (B I 2 1), der S* GmbH (B I 2 2) sowie der RK* GmbH (B I 2 3) unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG sowie dazu ergangener Verordnungen entsprechenden Lohnkonten Verkürzungen an Lohnsteuer, an Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und (ab Dezember 2010) an Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, nämlich(im Urteil nach Entrichtungszeiträumen und Abgabenarten aufgegliedert) für jeden der Kalendermonate

- vom Jänner 2008 bis zum November 2010 insgesamt um 6.046.743,23 Euro (B I 2 1 1, B I 2 2 1, B I 2 3 1) und

- vom Dezember 2010 bis zum März 2012 insgesamt um 2.031.405,12 Euro (B I 2 1 2, B I 2 2 2, B I 2 3 2),

(B I 3) als faktischer Geschäftsführer der M* GmbH (B I 3 1) und der S* GmbH (B I 3 2) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, nämlich für jeden einzelnen der Kalendermonate vom Jänner 2012 bis zum September 2012 um (im Ersturteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt 970.264,64 Euro, weiters

(C III) bis zum 31. Dezember 2010zu den unter B II 1 1 2 a bis c, B II 1 1 3 a bis c, B II 1 2 2 und B II 1 2 3 a bis c (C III 1) sowie vom 1. Jänner 2011 bis zum 14. Dezember 2012 zu den unter B II 1 1 1, B II 1 1 3 d, B II 1 2 1 und B II 1 2 3 d (C III 2 a) dargestellten Finanzvergehen des * R* vorsätzlich beigetragen (§ 11 dritter Fall FinStrG), indem er die bei deren Begehung vom Genannten verwendeten Scheinrechnungen von * H* und * K* herstellen und ihm gegen Provision verkaufen ließ,

wobei er die unter zu B I 1 1 1, B I 1 1 2, B I 1 2 1, B I 3 und C III angeführten Taten unter Verwendung falscher Beweismittel, nämlich fingierter Rechnungen, beging und sowohl in Ansehung der einerseits zu B I 1 1 1 b bis d, B I 1 1 2 b bis d, B I 1 2 1 b bis d und C III 2 a als auch der andererseits zu B I 3 dargestellten Finanzvergehen mit dem Vorsatz handelte, dass der Verkürzungsbetrag oder die ungerechtfertigte Abgabengutschrift jeweils insgesamt 500.000 Euro übersteigt,

* R*

(B II) im Zuständigkeitsbereich des (ehemaligen) Finanzamts Bruck-Leoben-Mürzzuschlag vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten Abgabenverkürzungen bewirkt, und zwar

(B II 1 1 und 2) durch Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen (im Ersturteil jeweils nach Veranlagungsjahren aufgegliedert) als faktischer Geschäftsführer

- der L* GmbH für die Jahre 2011 und 2012

an Umsatzsteuer um 165.962,90 Euro (B II 1 1 1) und

an Körperschaftsteuer um 61.527,43 Euro (B II 1 2 1),

- der RE* GmbH für die Jahre

2008 und 2009 an Umsatzsteuer um 485.272,40 Euro (B II 1 1 2 a und b) und

an Körperschaftsteuer um 242.636,20 Euro (B II 1 2 2 a und b) sowie

2010 an Umsatzsteuer um 374.760 Euro (B II 1 1 2 c) und

an Körperschaftsteuer um 178.117,04 Euro (B II 1 2 2 c), weiters

- der RM* GmbH für die Jahre

2008 an Umsatzsteuer um 21.000 Euro

(B II 1 1 3 a) und

an Körperschaftsteuer um 10.500 Euro

(B II 1 2 3 a),

2009 und 2010 an Umsatzsteuer um 202.360 Euro (B II 1 1 3 b und c) und

an Körperschaftsteuer um 326.171,88 Euro (B II 1 2 3 b und c) sowie

2011 an Umsatzsteuer um 5.600 Euro

(B II 1 1 3 d) und

an Körperschaftsteuer um 2.800 Euro

(B II 1 2 3 d),

wobei er die Taten jeweils unter Verwendung falscher Beweismittel, nämlich fingierter Rechnungen, beging und in Ansehung der zu B II 1 1 1, B II 1 1 2 c, B II 1 1 3 b bis d, B II 1 2 1, B II 1 2 2 c und B II 1 2 3 b bis d dargestellten Taten mit dem Vorsatz handelte, dass der Verkürzungsbetrag oder die ungerechtfertigte Abgabengutschrift insgesamt 500.000 Euro übersteigt, zudem

(B II 1 3) durch Nichtabfuhr an den jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten unter Verletzung der Anmeldungspflicht in Bezug auf einmal pro Monat erfolgte verdeckte Gewinnausschüttungen an Kapitalertragsteuer als faktischer Geschäftsführer

- der RE* GmbH vom Jänner 2008 bis zum 21. Jänner 2012 um 844.227,47 Euro (B II 1 3 2) und

- der RM* GmbH im Dezember 2008 und vom März 2009 bis zum Jänner 2011 um 349.106,45 Euro (B II 1 3 3) sowie

* K*

(C II) vom Juni 2009 (US 137) bis zum 31. Dezember 2010(US 140)zu den unter B II 1 1 2 b und c, B II 1 1 3 b und c, B II 1 2 2 b und c sowie B II 1 2 3 b und c (C II 1) und ab dem 1. Jänner 2011 bis zum 12. Dezember 2012 (US 45) zu den unter B II 1 1 1 und B II 1 2 1 (C II 2 a) dargestellten Finanzvergehen des * R* vorsätzlich beigetragen (§ 11 dritter Fall FinStrG), indem er die bei deren Begehung vom Genannten verwendeten Scheinrechnungen auf Anordnung des * C* herstellte.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Gegen dieses Urteil richten sich die von * C* auf Z 4, 5, 5a, 8, 9 lit a und 10, von * K* auf Z 5, 5a, „9a und 9b“ sowie von * R* auf Z 4, 5, 5a, 8, „9“ und 10 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden dieser Angeklagten. Nur jene des * K* ist im Recht.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * K*:

[4] Diese zeigt zutreffend eine aktenwidrige Begründung (Z 5 fünfter Fall) der Feststellung auf, wonach der Beschwerdeführer jene an die RE* GmbH und die RM* GmbH gerichteten (Schein‑)Ausgangsrechnungen der S* GmbH herstellte, die in der Folge von * R* bei der Begehung der unter B II 1 1 1, B II 1 1 2 b und c, B II 1 2 2 b und c, B II 1 1 3 b und c, B II 1 2 1 und B II 1 2 3 b und c angeführten Finanzvergehen verwendet wurden (insbesondere US 44 f).

[5] Denn die Tatrichter gründeten die Feststellungen „über den Umfang der von * K* entfalteten tatbildlichen Tätigkeiten und zu seinem Verantwortungsbereich bei der M* GmbH, Firma S* und Firma RK* GmbH“ (unter anderem) auf die (in der Hauptverhandlung am 1. Juni 2022 gemäß § 252 Abs 2a StPO vorgetragenen [ON 276 S 3]) „Ausführungen der Büroangestellten Mag.a * G*“, die (auch) das „Verfassen von Rechnungen der drei vorgenannten Gesellschaften“ angeführt habe (US 138). Tatsächlich gab die genannte Zeugin nach der Aktenlage jedoch an, * Ko* habe die Ausgangsrechnungen dieser Unternehmen geschrieben (ON 132 S 129).

[6] Diese unrichtige Wiedergabe des eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalts einer Aussage in einem wesentlichen Teil (vgl RIS‑Justiz RS0099431 [T1]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 466 f) erforderte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung desUrteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht wie aus dem Tenor ersichtlich (§ 285e StPO).

[7] Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich daher.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * C*:

[8] Die Verfahrensrüge (Z 4) verfehlt ihr Ziel.

[9] Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung am 1. Juni 2022 (ON 276) wurde – trotz eines in der Hauptverhandlung am 15. Februar 2022 vorab erklärten Verzichts der „Verfahrensbeteiligten“ auf Wiederholung (ON 273 S 28, vgl RIS‑Justiz RS0130725) – mit Blick auf das Überschreiten der in § 276a StPO genannten Frist von zwei Monaten einverständlich der Inhalt einer Vielzahl einzeln bezeichneter Aktenstücke (einschließlich der Protokolle über die früheren Verhandlungen) durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts resümierend dargestellt (§ 252 Abs 2a StPO, ON 276 S 2 f).

[10] Hievon ausgehend wurde die Hauptverhandlung am 1. Juni 2022 – wenn auch ohne formale Beschlussfassung (vgl dazu RIS‑Justiz RS0099022 [T1, T3 und T6], RS0099052; Danek/Mann, WK‑StPO § 276a Rz 3) – neu durchgeführt.

[11] Unabdingbare Voraussetzung einer erfolgversprechenden Rüge aus Z 4 ist demgemäß ein Antrag oder substantiierter Widerspruch nach Art von Anträgen durch den Beschwerdeführer in dieser, der Urteilsfällung am selben Tag (ON 276 S 14) unmittelbar vorangehenden Hauptverhandlung (vgl RIS‑Justiz RS0099049 [T2]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310).

[12] Dem über die Hauptverhandlung aufgenommenen Protokoll (ON 276) ist insoweit jedoch allein der diesem Erfordernis nicht entsprechende (pauschale) Verweis der Verteidiger auf „sämtliche Beweisanträge die in den Hauptverhandlungen gestellt wurden und über die noch nicht entschieden wurde“ zu entnehmen (ON 276 S 3; vgl RIS‑Justiz RS0098869 [T14 und T16], RS0099049 [T3 und T5], RS0099099; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 310 und 313).

[13] Soweit die Beschwerde eine – aus ihrer Sicht – fehlende ergänzende Vernehmung des Beschwerdeführers einwendet, mangelt es ihr ebenfalls am – insoweit gar nicht als gegeben behaupteten – Erfordernis entsprechender Antragstellung (vgl RIS‑Justiz RS0108863).

[14] Hinzugefügt sei, dass der hier vorliegende Mangel gehöriger Antragstellung auch durch das (teils) dennoch gefällte Zwischenerkenntnis (ON 276 S 3 ff) nicht saniert wird (RIS‑Justiz RS0098869 [T7] und RS0099099 [T12]).

[15] Weshalb die Feststellungen zur jeweiligen Stellung des Beschwerdeführers als faktischem Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortlichem der M* GmbH, der S* GmbH sowie der RK* GmbH (US 57) undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollten (vgl dazu RIS‑Justiz RS0099425; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 419), erklärt die – überdies die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe unterlassende (vgl aber RIS‑Justiz RS0117995 [T1]) – Rüge nicht.

[16] Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) dieser Konstatierungen zuwider haben die Tatrichter ihre diesbezüglichen Erwägungen hinreichend dargelegt (US 57 ff).

[17] Die Feststellungen zum Gegenstand des Einzelunternehmens des Beschwerdeführers (US 122 ff) sind entgegen der – erneut ohne die gebotene Berücksichtigung der Gesamtheit der Entscheidungsgründe argumentierenden – Rüge keineswegs undeutlich (zum Abstellen auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt des zu beurteilenden Geschehens [hier: Einnahmen aus der Veräußerung von Scheinrechnungen] siehe RIS‑Justiz RS0109799 und RS0119095 sowie Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 2).

[18] Die vermisste Begründung dieser Konstatierungen findet sich auf US 122 ff.

[19] Mit dem Einwand der Tatsachenrüge (Z 5a), aus den vom Erstgericht angeführten Beweisergebnissen ließen sich die Feststellungen zur Stellung des Angeklagten als faktischem Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortlichem der in Rede stehenden Kapitalgesellschaften (US 57) „nicht ableiten“, gelangt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund – mangels Aufzeigens gegen die Feststellungen sprechender Verfahrensergebnisse – nicht zur prozessförmigen Darstellung (RIS‑Justiz RS0128874).

[20] Unter dem Aspekt des aus Art 6 Abs 3 lit a und b MRK abgeleiteten Überraschungsverbots liegt aus Z 8 nichtige Anklageüberschreitung aufgrund Fehlens einer dem Schutzzweck des § 262 StPO entsprechenden Information dann vor, wenn entweder das Tatbild der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tat von jenem des Anklagetenors derart verschieden ist, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, oder, bei Abweichungen von geringerer Relevanz, der Beschwerdeführer eine konkrete Verletzung des Belehrungsgebots aufzeigt (RIS-Justiz RS0121419).

[21] Die aus Z 8 (nominell verfehlt auch Z 5) erhobene, ohne jeden Aktenbezug – insbesondere aber unter Außerachtlassung der (mehrfachen) Erörterung der urteilsgegenständlichen Taten und ihrer rechtlichen Beurteilung sowohl durch den Vorsitzenden des Schöffengerichts als auch durch den Sitzungsvertreter der Anklagebehörde (ON 203 S 3, ON 205 S 2 f, ON 209 S 2 iVm Blg 1, ON 236 S 3 iVm S 5 bis 24 und ON 241 S 2 ff) – allein unter Hinweis auf die Anklageschrift (ON 169) kritisierende Urteilspassagen (US 52 und 174 f; siehe aber § 270 Abs 2 StPO zum gesetzlich vorgesehenen Inhalt der Urteilsausfertigung) pauschal mangelnde Information des Beschwerdeführers über den „gegenüber der Anklage geänderten rechtlichen Gesichtspunkt“ behauptende Rüge zeigt einen Fehler in der dargestellten Bedeutung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes nicht auf.

[22] Der – erneut Bezug auf die Kritik des Erstgerichts an der Anklageschrift nehmende – Einwand einer Verletzung des § 267 StPO (Z 8, abermals nominell verfehlt Z 5) zufolge „mangelnde[r] Prüfbarkeit des Urteils im Vergleich zur Anklage“ macht schon vom Ansatz her keinen nichtigkeitsbegründenden Mangel der Identität von Anklage- und Urteilssachverhalt geltend (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502).

[23] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen zur faktischen Geschäftsführung der genannten Kapitalgesellschaften durch den Angeklagten und zu seiner abgabenrechtlichen Verantwortlichkeit für diese. Dabei orientiert sie sich nicht an den dazu – „zum Zweck einer erleichterten Lektüre“ bewusst teils „unsystematisch“ disloziert (US 51 f) – getroffenen Konstatierungen der Tatrichter (US 35 ff iVm US 57 ff sowie US 63 ff) und verfehlt solcherart den gesetzlichen Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[24] Gleiches gilt für die gegen den Schuldspruch A gerichtete Rüge (Z 10), die eine Subsumtion nach § 153d StGB anstrebt, dabei aber nicht von den Konstatierungen US 34 f iVm US 83 ff ausgeht. Sie verkennt überdies, dass die Tatbestände des Betrugs (§§ 146 ff StGB) und des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse (§ 153d StGB) zueinander im Verhältnis echter Konkurrenz stehen (RIS‑Justiz RS0131254, Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 158/2 und § 153d Rz 28 ff). Mit ihrer Forderung nach einer rechtlichen Unterstellung dieser Tat (richtig demgemäß: auch) unter § 153d StGB ist sie daher – entgegen § 282 StPO – nicht zum Vorteil des Beschwerdeführers ausgeführt.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * R*:

[25] Soweit sich die Rüge gegen die Abweisung einer Vielzahl in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführter Beweisanträge durch das Erstgericht wendet (Z 4), wird auf die Ausführungen zur Verfahrensrüge des Angeklagten C* verwiesen. Denn auch der Beschwerdeführer hat nach dem ungerügten Protokoll über die – im Sinn des § 276a zweiter Satz StPO wiederholte – Hauptverhandlung am 1. Juni 2022 (ON 276) bloß auf „sämtliche Beweisanträge die in den Hauptverhandlungen gestellt wurden und über die noch nicht entschieden wurde“ verwiesen (ON 276 S 3).

[26] Die Mängelrüge (Z 5) erachtet die Feststellungen zur jeweiligen Stellung des Beschwerdeführers als faktischem Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortlichem der RE* GmbH, der RM* GmbH und der L* GmbH (US 141 und 145) als „ungenügend“ begründet (Z 5 vierter Fall). Entgegen diesem Einwand stützte das Erstgericht die genannten Konstatierungen auf die Angaben des Angeklagten * H* (US 141 und 147 f) in Verbindung mit jenen weiterer Zeugen (US 142 bis 145) über den entgeltlichen Erwerb von (Schein‑)Rechnungen, welchen kein tatsächlicher Leistungsaustausch zugrunde lag, und leitete daraus ohne Verstoß gegen Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze (vgl RIS‑Justiz RS0099413 und RS0116732 sowie Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 444) die faktische Wahrnehmung von abgabenrechtlichen Verpflichtungen dieser Gesellschaften durch den Beschwerdeführer ab (US 147; vgl RIS‑Justiz RS0086711 [T2 und T4] und RS0119794 [T1 und T2]). Dass diese Begründung den Beschwerdeführer nicht überzeugt, vermag keine Nichtigkeit herzustellen (RIS‑Justiz RS0118317 [T9]).

[27] Ebenfalls als offenbar unzureichend begründet kritisiert die Rüge (der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 5 vierter Fall) die Feststellungen zur Höhe der jeweils hinterzogenen Abgaben (US 47 ff). Insoweit beschränkt sie sich darauf, mit eigenen Beweiswerterwägungen zu den Ergebnissen des abgabenbehördlichen Ermittlungsverfahrens (vgl dazu US 149 ff und 166 ff) und den Ausführungen des Zeugen * W* (dazu US 150) die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise zu bekämpfen.

[28] Die Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet bloß das Fehlen von Beweisen für die Feststellungen zur jeweiligen Stellung des Beschwerdeführers als faktischem Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortlichem der RE* GmbH, der RM* GmbH und der L* GmbH. Damit verfehlt sie die am Gesetz ausgerichtete Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0128874).

[29] Soweit auch der Beschwerdeführer einzig unter Hinweis auf die bereits vom Angeklagten C* ins Treffen geführten, die Anklageschrift kritisierenden Urteilspassagen (US 52 und 174 f) eine Anklageüberschreitung zufolge Verletzung des § 267 StPO (Z 8) releviert, weil im Hinblick auf die „eklatante Mangelhaftigkeit der Anklagebegründung“ „ein Vergleich des Urteils mit der Anklage nicht ausreichend möglich“ sei, wird auf die Beantwortung des inhaltsgleichen Vorbringens des C* verwiesen.

[30] Hinzugefügt sei, dass das Gericht bei der Urteilsfällung zwar an den unter Anklage gestellten Lebenssachverhalt, nicht aber an die rechtliche Beurteilung der Tat durch den Ankläger gebunden ist (RIS‑Justiz RS0097725 und RS0121607 [T2]).

[31] Die Rechtsrüge („Z 9“) behauptet „[g]estützt auf jeden erdenklichen Rechtsgrund“ eine „unrichtige Lösung der Rechtsfrage“. Solcherart lässt sie nicht erkennen, welchen konkreten Rechtsfehler sie geltend macht und ist damit einer inhaltlichen Erörterung nicht zugänglich (RIS-Justiz RS0116569; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 589).

[32] Gleiches gilt für das nicht näher substantiierte Vorbringen der Subsumtionsrüge (Z 10), wonach „der verurteilte Sachverhalt lediglich das Vergehen der Abgabenhinterziehung, nicht aber des Verbrechens des Abgabenbetruges“ darstelle (RIS‑Justiz RS0099938).

 

[33] Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * C* und * R* waren daher – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

 

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt hinzuzufügen:

[34] (I) Zu den vom Erstgericht angenommenen Täterschaftsformen:

[35] a) Nach den Urteilskonstatierungen (US 83 f) hat * C* die dem Schuldspruch A zugrunde liegende Tat im Umfang der durch ihn erfolgten Veranlassung der Anmeldung der Dienstnehmer zur Sozialversicherung und der Übermittlung unrichtiger Beitragsnachweise durch andere (richtig) als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB begangen (RIS‑Justiz RS0089717 und RS0089764, Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 42, siehe aber US 18).

[36] b) Soweit nach den tatrichterlichen Feststellungen * C* und * R* jeweils als faktische Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortliche der M* GmbH, der S* GmbH und der RK* GmbH (C*) sowie der L* GmbH, der RE* GmbH und der RM* GmbH (R*) vorsatzlos handelnde steuerliche Vertreter (§ 83 BAO) dieser Gesellschaften dazu „bestimmten“, auf der Grundlage der von ihnen zur Verfügung gestellten – Scheinrechnungen beinhaltenden – Buchhaltungsunterlagen falsche Steuererklärungen für die genannten Gesellschaften zu erstatten (US 35 f, 39 ff, 46 f, 65 f, 86 f und 147 f), handelten sie nicht – wie vom Schöffensenat angenommen – als Bestimmungstäter (§ 11 zweiter Fall FinStrG; Schuldspruch B I 1 1 [mit Ausnahme B I 1 1 3], B I 1 2 1 und B I 3 [US 18 f]) und als Beitragstäter (§ 11 dritter Fall FinStrG, Schuldspruch B II [US 20 f]) sondern vielmehr als unmittelbare Täter (§ 11 erster Fall FinStrG).

[37] Denn die (eine Gebotseinheit darstellende [Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 7]) abgabenrechtliche Offenlegungs- und Wahrheitspflicht der genannten Kapitalgesellschaften, deren vorsätzliche Verletzung den Tatbestand des § 33 Abs 1 FinStrG erfüllt, traf * C* und * R* jeweils als deren faktischen Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortlichen (RIS-Justiz RS0086711 und RS0119794 [T2]; Lässig in WK2 FinStrG § 11 Rz 2). Damit waren sie verpflichtet, der Behörde jene Tatsachen, die diese zur abgabenrechtlichen Beurteilung benötigte, vollständig und wahrheitsgemäß bekanntzugeben (§ 119 Abs 1 zweiter Satz BAO; Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 6 f, § 39 Rz 6). Die festgestellte, durch wahrheitswidrige Bekanntgabe des abgabenrechtlich bedeutsamen Sachverhalts durch * C* und * R* im Wege eines steuerlichen Vertreters bewirkte vorsätzliche Abgabenhinterziehung ist daher tatbildmäßige Ausführungshandlung des § 33 Abs 1 FinStrG (zum Verfassen der Erklärung als tatbestandsessentiellen Teilakt der Bewirkung einer Abgabenverkürzung durch eine unrichtige Abgabenerklärung siehe Lässig in WK2 FinStrG § 11 Rz 3). Demgemäß sind die Genannten insoweit unmittelbare Täter (vgl Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 18 mwN, zur rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen vgl RIS-Justiz RS0117604 [T1, T3 und T4]).

[38] (II) In Ansehung des Strafausspruchs des * H* hat das Schöffengericht seine Strafbefugnis überschritten (Z 11 erster Fall), indem es bei einer Strafdrohung von bis zu 11.173.469,10 Euro (§ 33 Abs 5 FinStrG idF vor BGBl 2010/104 [US 22]) eine Geldstrafe von 1.000.000 Euro aussprach und solcherart die in § 23 Abs 4 erster Satz FinStrG normierte Untergrenze von einem Zehntel des Höchstmaßes der angedrohten Geldstrafe unterschritt (RIS‑Justiz RS0125615 [T3]). Die im zweiten Satz des § 23 Abs 4 FinStrG vorgesehene Möglichkeit der Unterschreitung dieser Grenze „aus besonderen Gründen“ besteht seit der FinStrG-Novelle 2010 (BGBl I 2010/104) nur mehr für Finanzvergehen, deren Ahndung nicht dem Gericht obliegt (hiezu § 53 FinStrG). Solcherart ist die vom Erstgericht ausdrücklich als Ausgleich einer Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK durch überlange Verfahrensdauer vorgenommene Reduktion der Geldstrafe auf einen Betrag unter der Zehntel-Grenze (US 179) rechtlich verfehlt.

[39] (III) Die Subsumtion der vom Schuldspruch B I 3 umfassten Taten des * C* als Verbrechen des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 2 lit a, 39 Abs 1 lit a, „Abs 2“ und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (US 19) verkennt, dass § 39 Abs 2 FinStrG eine Subsidiaritätsklausel zu Gunsten des § 39 Abs 1 FinStrG enthält. Wird also – wie hier – eine Verkürzung an Umsatzsteuer nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG bewirkt und dabei zufolge Verwendung von Scheinrechnungen (US 39) sowohl der Tatbestand des § 39 Abs 1 lit a FinStrG als auch zufolge Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen, denen keine Lieferung oder Leistung zugrunde lag (US 39), jener des § 39 Abs 2 FinStrG verwirklicht, wird Letzterer zufolge ausdrücklicher Subsidiarität verdrängt (Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 19).

[40] (IV) Gemäß § 4 Abs 2 FinStrG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung des Gerichts erster Instanz geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für den Täter günstiger wäre (zur Beschränkung des solcherart anzustellenden Günstigkeitsvergleichs auf finanzstrafgesetzliche Vorschriften siehe RIS‑Justiz RS0086016, RS0086020 [T1] und RS0132285).

[41] Der damit angeordnete Günstigkeitsvergleich ist nicht abstrakt, sondern konkret auf der Basis des Urteilssachverhalts, und zwar – im Fall von Tatmehrheit (Realkonkurrenz) – für jede Tat (im materiellen Sinn) gesondert vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0089011, zum finanzstrafrechtlichen Tatbegriff eingehend Lässig in WK2 Vor FinStrG Rz 7 ff). Je nachdem, ob – streng fallbezogen in einer konkreten Gesamtschau der möglichen Unrechtsfolgen (RIS‑Justiz RS0119085 [insbesondere T1]) – das Urteilszeitrecht günstiger oder das Tatzeitrecht zumindest gleichgünstig für den Täter ist (vgl RIS‑Justiz RS0112939), ist auf die (einzelne) Tat entweder Tatzeit- oder Urteilszeitrecht anzuwenden. Nur eine dieser beiden Rechtslagen kommt in Betracht, nicht aber sogenannte Zwischengesetze, also solche, die zwischen der Tat und der Aburteilung vorübergehend gegolten haben (RIS‑Justiz RS0114587, Höpfel in WK2 StGB § 61 Rz 7).

[42] Soweit hier von Bedeutung bedrohte § 33 Abs 5 FinStrG in der seit 13. Jänner 1999 geltenden Fassung BGBl I 1999/28 die Abgabenhinterziehung mit einer Geldstrafe (§ 16 FinStrG) bis zum Zweifachen des strafbestimmenden Wertbetrags (§ 53 Abs 1 FinStrG, vgl Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 47). Daneben war nach Maßgabe des § 15 FinStrG idF vor BGBl I 2010/104, also wenn dies spezial- oder generalpräventive Gründe verlangten, auf eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zu erkennen.

[43] Der strafbestimmende Wertbetrag umfasst seit der mit 1. Jänner 2011 in Kraft getretenen FinStrG‑Novelle 2010 BGBl I 2010/104 nur jene Abgabenbeträge (ungerechtfertigte Gutschriften), deren Verkürzung im Zusammenhang mit den Unrichtigkeiten bewirkt wurde, auf die sich der Vorsatz des Täters bezieht. Die Prüfung der Voraussetzungen des (seither unverändert in Geltung stehenden) § 15 Abs 2 FinStrG wurde mit der genannten Novelle auf die Verhängung nicht zwingend vorgeschriebener Freiheitsstrafen eingeschränkt.

[44] Mit Inkrafttreten des Art 4 des EU-Finanz-Anpassungsgesetzes 2019 BGBl I 2019/62 am 23. Juli 2019 wurde – neben der unverändert gebliebenen Geldstrafdrohung bis zum Zweifachen des strafbestimmenden Wertbetrags – die in § 33 Abs 5 FinStrG vorgesehene Freiheitsstrafe auf bis zu vier Jahre erhöht.

[45] Drohen zu vergleichende Normen (§ 4 Abs 2 FinStrG) – wie hier – Geld- und Freiheitsstrafen nebeneinander an, ist jene Norm günstiger, welche die geringere Freiheitsstrafe androht. Die Höhe der Geldstrafdrohungen ist bei dieser Konstellation unter dem Aspekt des Günstigkeitsvergleichs bedeutungslos (RIS‑Justiz RS0132910 [T1], jüngst 13 Os 20/20w).

[46] Fallkonkret ist – wie auch das Erstgericht zutreffend erkannt hat (US 21 ff) – die Strafdrohung des § 33 Abs 5 FinStrG idgF nicht günstiger als die Strafdrohung der genannten Bestimmung im jeweiligen – hinsichtlich aller urteilsgegenständlichen Taten vor dem 23. Juli 2019 liegenden – Tatzeitpunkt.

[47] Allerdings erweist sich die undifferenzierte Anwendung des § 33 Abs 5 FinStrG zu C* „idF BGBl I Nr. 112/2012“ (US 21, vgl abweichend davon US 176 und 177: „idF BGBl I 2013/14“) und zu R* „idF BGBl I 2012/112“ (US 23) als verfehlt. Rechtsrichtig wäre vielmehr § 33 Abs 5 FinStG in Ansehung sämtlicher vor dem 1. Jänner 2011 begangener Taten idF vor BGBl I 2010/104 und in Ansehung aller ab diesem Zeitpunkt begangener Taten idF vor BGBl I 2019/62 anzuwenden gewesen.

 

[48] Da sich die dargestellten Rechtsfehler jedoch nicht konkret zum Nachteil des jeweils betroffenen Angeklagten auswirkten (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), bedurfte es insoweit keiner amtswegigen Maßnahme (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO [iVm § 195 Abs 1 erster Satz FinStrG]).

 

Zu den vom Erstgericht jeweils als Tatzeitrecht angewendeten Fassungen des FinStrG ist festzuhalten:

[49] a) Soweit die vom Schuldspruch B I 1 1 1 a,  B I 1 1 2 a, B I 1 1 3 a bis e, B I 1 2 1 a, B I 1 2 2 a bis e, B I 1 3, B II 1 1 2, B II 1 1 3 a, B II 1 2 2 a und b, B II 1 2 3 a, B II 1 3, C I, C II 1 und C III 1 umfassten Taten als Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG „in den jeweils zu den Tatzeiträumen geltenden Fassungen“ (US 18 und 20) subsumiert wurden, genügt der Hinweis, dass der Tatbestand des § 33 Abs 1 FinStrG (in der weiterhin geltenden Fassung BGBl 1975/335) – ungeachtet wiederholter Änderungen des gesetzlichen Umfelds dieser Bestimmung – von den jeweiligen Tatzeitpunkten bis zum Zeitpunkt der Urteilsfällung erster Instanz unverändert blieb. Urteilszeitrecht und Tatzeitrecht sind daher hier unter dem Aspekt der Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO, vgl dazu RIS‑Justiz RS0087102 und 13 Os 129/18x) ident (13 Os 20/20w).

[50] b) Der ab 1. Jänner 2011 (durch die FinStrG‑Novelle 2010) neu geschaffene Tatbestand des Abgabenbetrugs wurde (zwar nicht in § 39 Abs 1 lit a FinStrG, aber) in der hier zum Schuldspruch B I 1 1 1 b bis d, B I 1 1 2 b bis d, B I 1 2 1 b bis d und C III 2 a (des * C*), B II 1 1 1, B II 1 1 2 c, B II 1 1 3 b bis d, B II 1 2 1, B II 1 2 2 c, B II 1 2 3 b bis d (des * R*) und C II 2 a (des * K*) aktuellen Qualifikationsnorm des § 39 Abs 3 lit c FinStrG seither (nur) mit BGBl I 2019/62 geändert (vgl nunmehr § 39 Abs 3 lit b FinStrG idgF, 13 Os 126/21k).

[51] Die fallkonkret anzuwendende Tatzeitfassung des Tatbestands des Abgabenbetrugs ist daher §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und Abs 3 lit c FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (vgl aber US 19, 20 und 21 „idF BGBl I Nr. 112/2012“).

[52] c) § 33 Abs 2 lit b FinStrG blieb seit der Finanzstrafgesetznovelle 1975 (BGBl 1975/335) bis zur FinStrG‑Novelle 2010 (BGBl I 2010/104) inhaltlich unverändert. Mit Inkrafttreten Letzterer am 1. Jänner 2011 wurden – neben der Einfügung des (nur) der Klarstellung dienenden (RIS‑Justiz RS0129427, Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 15) Passus „sowie dazu ergangener Verordnungen“ – (zusätzlich) die Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag finanzstrafrechtlich geschützt (vgl EBRV 874 BlgNR 24. GP  9, in diesem Sinn auch US 38). Die Subsumtion der vom Schuldspruch B I 2 1 1, B I 2 2 1 und B I 2 3 1 umfassten Taten des * C* bis inklusive November 2010 als Vergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG idF vor BGBl I 2010/104 („idF BGBl I 1999/28“ [US 18]) ist daher – entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht zu beanstanden.

 

[53] Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht zugeleitet (§ 285i StPO), das hiebei aufgrund der Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof nicht an die aufgezeigten Rechtsfehler gebunden ist (RIS-Justiz RS0118870).

 

Für den zweiten Rechtsgang und das Berufungsverfahren sei hinzugefügt:

[54] I) Für den Fall eines neuerlichen Schuldspruchs des Angeklagten K* wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG werden die obigen Ausführungen über die als Tatzeitrecht anzuwendende Fassung des § 33 Abs 5 FinStrG zu berücksichtigen sein.

[55] II) (Teil-)Bedingte Strafnachsicht ist nach § 26 Abs 2 erster Satz FinStrG zwingend mit der Weisung zu verbinden, eine allfällige Abgabenverkürzung oder einen sonstigen Einnahmeausfall zu berichtigen, was – von der Staatsanwaltschaft unbekämpft – in Ansehung der Angeklagten K* und R* unterblieb. Solche – mit gesondert ausgefertigtem und anfechtbarem Beschluss (RIS‑Justiz RS0120887 [T2 und T3]) auszusprechenden – Weisungen wären im Fall der (neuerlichen) Verhängung (teil-)bedingt nachgesehener Strafen vom Erstgericht zu erteilen (vgl RIS‑Justiz RS0086098 [T1 und T2]). Das ausdrücklich den Vergleich der durch Urteil verhängten Strafen ansprechende Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG) gilt insoweit nicht (RIS-Justiz RS0134150; vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 59).

 

[56] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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