European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00143.22V.0328.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. * M* des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, § 145 Abs 2 Z 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 3. Mai 2021 in W* gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 „Z 3 erster Fall“ StGB) und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz 189 im Urteil namentlich genannte natürliche Personen und Verfügungsberechtigte von Unternehmen durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen zu einer Handlung, nämlich zur Zahlung von jeweils 300 Euro zu nötigen versucht, die diese oder andere am Vermögen schädigen sollte, indem er ihnen ein Schreiben übermittelte, in welchem er sie bezichtigte, falsche positive Internetbewertungen gekauft und dadurch wettbewerbswidrig gehandelt zu haben, und mitteilte, dass sie deshalb auf eine im Internet abrufbare, von ihm geführte Warnliste gesetzt worden seien, wobei sie von der Liste gestrichen und somit nicht weitergeführt würden, wenn sie eine Unterlassungserklärung abgeben und 300 Euro überweisen, wobei es mangels Zahlung beim Versuch blieb.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 8, 9 lit a, 10 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.
[4] Das Erstgericht stellte zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung – mit hinreichender Deutlichkeit – fest, den Adressaten sei durch die Inaussichtstellung der laufenden Weiterbetreibung, weiteren redaktionellen Betreuung und „allenfalls“ Bewerbung der inkriminierten Webseite mit dem jeweiligen – die Behauptung wettbewerbswidrigen Verhaltens der Adressaten durch Ankauf positiver Internet-Bewertungen enthaltenden – Eintragsamt weiterer Begleichung der notwendigen Providergebühren ein vom Willen des Angeklagten abhängiges Übel in Form wirtschaftlicher Nachteile durch den Verlust von „(potentiellen) Kunden“, welche durch diese Informationen von (weiteren) Geschäftskontakten abgehalten würden, ernsthaft angekündigt worden (US 11 f, 13, 16 f). Darin erblickten die Tatrichter (rechtlich) eine Drohung mit einer Verletzung am Vermögen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0092385; 11 Os 93/86; allgemein zum unter dem Aspekt gefährlicher Drohung weit auszulegenden Vermögensbegriff RIS‑Justiz RS0131845).
[5] Die Mängelrüge bezieht sich mit ihren Einwänden von Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) und fehlender Begründung (Z 5 vierter Fall) nur auf einzelne Elemente diesesin Aussicht gestellten geschäftsschädigenden Verhaltens, nämlich die „allfällige“ Bewerbung und redaktionelle Weiterbetreuung der Webseite. Sie spricht damit keine entscheidende Tatsache an (siehe aber RIS‑Justiz RS0106268 und RS0117499), weil bereits die – insoweit nicht in Frage gestellte – Androhung einer Verletzung am Vermögen durch Weiterbetreibung der Webseite mit dem für die Opfer diskreditierenden Inhalt eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die rechtliche Annahme (RIS‑Justiz RS0092538) der Eignung der Drohung, begründete Besorgnis auszulösen, darstellt (vgl im Übrigen US 13).
[6] Die Urteilskonstatierung zur Absicht des Angeklagten, sich durch die wiederkehrende Begehung von Erpressungshandlungen ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, blieb nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurde aus dem objektiven Tatgeschehen, der Professionalität des Vorgehens und den erwarteten Zahlungseingängen (US 14 f) abgeleitet.
[7] Entgegen dem Standpunkt der Beschwerde, die Nichtigkeit aus Z 8 ausschließlich auf Basis des im Anklagetenor wiedergegebenen – für die rechtliche Beurteilung im Übrigennicht maßgebenden (RIS‑Justiz RS0092947, RS0092088) – Wortlauts des inkriminierten Schreibens ableitet, legte die Anklageschrift dem Angeklagten in ihrer (mit dem Spruch eine Einheit bildenden; RIS‑Justiz RS0098692) Begründung eine Drohung mit einer Verletzung am Vermögen durch „weitere Veröffentlichung“ der Warnliste samt den für die bedrohten Unternehmen wirtschaftlich nachteiligen Inhalten auf der in Rede stehenden Webseite zur Last, welche ausdrücklich als solche mit einer Handlung (nicht Unterlassung) qualifiziert wurde (ON 17 S 10, 12).
[8] Dass das Erstgericht den – demnach schon von der Staatsanwaltschaft unterstellten– Bedeutungsinhalt der schriftlichen Äußerung auf die oben dargestellte Weise präzisierte (US 11) und in diesem Sinn das Referat der entscheidenden Tatsachen im Vergleich zum Tenor der Anklageschrift durch die Wortfolge „ … und somit nicht weitergeführt“ „ergänzte“ (US 2), bewirkt weder eine andere Tat im prozessualen Sinn (zum prozessualen Tatbegriff Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502 ff; zum Ganzen RIS‑Justiz RS0113142 [T4, T5, T17], RS0098484; Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 41 f), noch steht insoweit ein geänderter rechtlicher Gesichtspunkt, der – aus § 281 Abs 1 Z 8 StPO relevant – iSd § 262 StPO eine Anhörung der Beteiligten des Verfahrens erfordert hätte (RIS‑Justiz RS0121419 [insb T14], RS0113755), in Rede.
[9] Ebenso wenig kam es dadurch – wie die Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet – zu einer Änderung oder Auswechslung entscheidender Sachverhaltskomponenten in Form von überraschenden Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, womit das Erstgericht auch keine Warnpflicht (RIS‑Justiz RS0120025 [T2], RS0121419 [insb T14]) traf, deren Nichteinhaltung Anlass für erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs iSd Z 5a des § 281 Abs 1 StPO geben könnte (vgl im Übrigen die Erörterung geplanter Weiterbetreibung der Webseite samt Zahlung von Providergebühren in der Hauptverhandlung: ON 23 S 6).
[10] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Inaussichtstellung eines künftigen Übels verneint und von einer bloßen Mitteilung über eine bereits gesetzte Handlung ausgeht, die den Tatbestand der gefährlichen Drohung und damit der Erpressung nicht erfülle, argumentiert sie prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) nicht auf Basis der dazu getroffenen gegenteiligen Urteilskonstatierungen zum – auf der Sachverhaltsebene angesiedelten (RIS‑Justiz RS0092437 [T1]) – Bedeutungsinhalt des Schreibens (US 11, 17 f).
[11] In einer bloßen Rechtsbehauptung erschöpft sich das Vorbringen (Z 9 lit a, nominell [verfehlt] auch Z 5), das inkriminierte Verhalten des Angeklagten sei selbst unter Zugrundelegung des festgestellten Bedeutungsinhalts– entgegen der Ansicht des Erstgerichts – rechtlich als Drohung mit einer Unterlassung zu beurteilen, weil „bloßes Nichtstun“ (hier: die „Nichtlöschung/Nichtstreichung von der Webseite“), das einen durch eine Handlung geschaffenen Zustand (hier: die bereits erfolgte Veröffentlichung der Warnliste auf der Webseite) „aufrecht erhält“, eine Unterlassung bleibe und „eine bereits verfasste und veröffentlichte Liste ... keine Pflege oder (redaktionelle) Betreuung benötigt, welche aus einer Unterlassung ein Tun mache[n]“. Mit der Anführung von zwei – mit dem gegenständlichen Sachverhalt nicht ansatzweise vergleichbaren – „Beispielen“ wird dem Erfordernis methodengerechter Ableitung der behaupteten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565) nicht entsprochen (vgl zum Ganzen im Übrigen RIS‑Justiz RS0089526; Lehmkuhl in WK2 StGB § 2 Rz 24 f).
[12] Der auf der (demnach verfehlten) Prämisse einer Drohung durch Unterlassung aufbauende Einwand eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen zur „Garantenstellung“ des Angeklagten kann damit ebenso auf sich beruhen wie die These, nur eine – hier nach den Verfahrensergebnissen nicht indizierte und auch nicht festgestellte – falsche Behauptung des Angeklagten auf der Webseite könne kraft Ingerenz zu einem Widerruf zwingen und damit „eine Unterlassung zu einem Tatmittel der gefährlichen Drohung machen“ (vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0093014; vgl auch RS0093378; RS0093989; RS0093077; RS0131920; Eder‑Rieder in WK2 StGB § 144 Rz 31, 33 ff).
[13] Die gegen die Qualifikation nach § 145 Abs 2 Z 1 StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) zeigt zwar (der Sache nach) zutreffend auf, dass das Urteil – auf der Sachverhaltsebene nicht hinreichend geklärte – Anhaltspunkte für die Begehung der inkriminierten Erpressungshandlungen im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (im weiteren Sinn; zum Begriff RIS‑Justiz RS0122006) enthält (US 11 f, 14; vgl auch [zu Massenaussendungen] 11 Os 5/15t und [zu Gewinnbenachrichtigungen] 11 Os 108/13m), in welchem Fall nur eine Tat iSd § 70 StGB vorläge (RIS‑Justiz RS0130965 [T6]; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 13/6; Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari StGB14 § 70 Rz 5). Mit diesem Vorbringen und dem Hinweis auf die bisherige „Unbescholtenheit“ des Angeklagten bezieht sie sich aber nur auf eines der – alternativen – Kriterien des § 70 StGB (Abs 1 Z 3 leg cit: „Bereits zwei solche Taten begangen oder wegen einer solchen Tat verurteilt“). Dass es sich bei den nach den weiteren – unbekämpft gebliebenen – Feststellungen (bewusst und gewollt) zur Tatbegehung eingesetzten Fähigkeiten und Mitteln (US 10: Gründung des „Cyber‑Verein für faire Marktbedingungen im Cyberspace“, Erstellung und beabsichtigte langfristige Betreibung der Homepage www.cyberfair.eu samt Bezahlung der Providergebühren, Erstellung der „Warnliste Cyberfair“ und Auflistung der im Spruch angeführten Unternehmen auf dieser) nicht um „besondere“ Fähigkeiten oder Mittel iSd § 70 Abs 1 Z 1 StGB handeln würde, die von der Professionalität des Angeklagten zeugen und damit eine wiederkehrende Begehung nahelegen (US 15; zum Ganzen RIS‑Justiz RS0132006 [insb T2, T5]; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 13/2), die Voraussetzungen nach § 70 Abs 1 Z 1 StGB also nicht erfüllt wären, behauptet die Rüge – im Übrigen zu Recht – nicht.
[14] Solcherart argumentiert sie prozessordnungs-widrig nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (erneut RIS‑Justiz RS0099810) und legt insbesonders nicht dar, weshalb dem Erstgericht trotz der zitierten Feststellungen ein Subsumtionsfehler (durch Annahme der Qualifikation nach § 145 Abs 2 Z 1 StGB) unterlaufen sein sollte (vgl aber RIS‑Justiz RS0116565).
[15] Dass im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nur § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB angeführt wurde (US 2), ändert daran übrigens nichts (vgl Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 19; RIS‑Justiz RS0100877 [T8]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 413).
[16] Indem die Subsumtionsrüge ferner angeblich fehlende Feststellungen dazu, wem die lukrierten Mittel zukommen sollten, kritisiert, lässt sie die sehr wohl getroffenen Konstatierungen außer Acht, nach denen es dem Angeklagten darauf ankam, „sich“ durch die wiederkehrende Begehung von Erpressungshandlungen ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen (US 12, 15) und „seine wirtschaftliche Vermögenslage“ zu verbessern (US 14). Damit verfehlt sie neuerlich den im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[17] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die aggravierende Wertung einer Vielzahl an Tathandlungen bei gewerbsmäßiger Tatbegehung fallbezogen nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), gehört diese doch nicht zu den begrifflichen Voraussetzungen der vorliegenden Qualifikation des § 70 Abs 1 Z 1 StGB (vgl RIS‑Justiz RS0091375). Unter dem Aspekt der Opfermehrheit (vgl RIS‑Justiz RS0090733 [T3]) begegnet die Annahme dieses Erschwerungsgrundes selbst bei Vorliegen einer tatbestandlichen Handlungseinheit keinen Bedenken (RIS‑Justiz RS0091114; Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 77).
[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
[19] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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