OGH 13Os154/15v

OGH13Os154/15v18.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Dr. Edelbert M***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 7. Mai 2015, GZ 50 Hv 58/14g‑239, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Dr. Janda, und der Finanzstrafbehörde, Dr. Günther‑Baumann, des Angeklagten Dr. Edelbert M***** und seiner Verteidiger Mag. Stieger und Univ.‑Prof. Dr. Scheil zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00154.15V.0518.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch nach dem Finanzstrafgesetz aufgehoben, demzufolge wird auch der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben und es wird in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Dr. Edelbert M***** wird für die ihm angelasteten Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (II) unter Anwendung des § 21 Abs 1 und 2 FinStrG sowie des § 22 Abs 1 FinStrG gemäß § 33 Abs 5 FinStrG, jeweils idF vor BGBl I 2010/104, zu einer Geldstrafe von 1.200.000 Euro (einer Million zweihunderttausend Euro), im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von einem Jahr, verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen wegen des Strafausspruchs nach dem Finanzstrafgesetz werden der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Finanzstrafbehörde auf die Strafneubemessung verwiesen.

Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Beschlusses verwiesen.

Hinsichtlich des Strafausspruchs nach dem StGB wird der Berufung der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch jener des Angeklagten Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 30 (dreißig) Monate erhöht.

Gemäß § 43a Abs 4 StGB wird ein Teil dieser Strafe von 20 (zwanzig) Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Edelbert M***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB (I) sowie mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

(I) im Jahr 2005 in Vorarlberg als Beamter (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), konkret als Leiter der Großbetriebsprüfung des Finanzamts Feldkirch, mit dem Vorsatz, dadurch die Republik Österreich in ihrem Recht auf Abgabenerhebung (§ 49 Abs 2 BAO, hier insbesondere §§ 114 f BAO) zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht und dadurch infolge Bewirkens einer Verkürzung an Körperschaftsteuer um 3.053.073,16 Euro einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt sowie

(II) ab dem Frühjahr 2003 durch Bestärken im Tatentschluss sowie durch die vom Schuldspruch I umfassten Einflussnahmen auf die Betriebsprüfung vorsätzlich dazu beigetragen (§ 11 dritter Fall FinStrG), dass steuerlich Verantwortliche der D***** GmbH im Amtsbereich des Finanzamts Feldkirch mittels unrichtiger Jahressteuererklärungen für die Jahre 2004 bis 2008 und solcherart unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Körperschaftsteuer um insgesamt 3.053.073,16 Euro bewirkten.

Hiebei ging das Erstgericht davon aus, dass der Angeklagte steuerlich Verantwortliche der D***** GmbH durch im Vorfeld der Betriebsprüfung getätigte Zusagen in ihrem Entschluss bestärkte, eine tatsächlich nicht werthaltige Sacheinlage mit einem Nominalwert von 19 Millionen Euro in die Buchhaltung aufzunehmen und sodann unter Vorgabe eines 100%igen Wertverlusts abzuschreiben, woraus die bezeichnete Verkürzung an Körperschaftsteuer resultierte. Trotz der aufgrund dieser Zusagen bestehenden Befangenheit enthielt er sich nach den Urteilsfeststellungen seiner Amtsausübung entgegen § 76 BAO nicht, vielmehr leitete er die Schlussbesprechung (§ 149 BAO), wies er den Großbetriebsprüfer Kurt Ma***** an, die Werthaltigkeit der Sacheinlage sowie die darauffolgende Teilwertabschreibung nicht zu prüfen (ohne diese Prüfung selbst vorzunehmen) und wirkte er am inhaltlich unrichtigen Betriebsprüfungsbericht mit, auf dessen Grundlage die Körperschaftsteuer für die Jahre 2004 bis 2008 (rechtskräftig) zu gering festgesetzt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist ‑ wie die Generalprokuratur zu Recht darlegt ‑ teilweise berechtigt:

Die Sanktionsrüge (Z 11) zeigt zutreffend auf, dass die aggravierende Wertung der Höhe des Verkürzungsbetrags im Rahmen der Strafbemessung nach dem FinStrG (US 220) nach ständiger Judikatur (SSt 59/90; 13 Os 125/11y, EvBl 2012/63, 419; RIS‑Justiz RS0086302, RS0086318, RS0086323 und RS0116026) gegen das ‑ gemäß § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG auch in Finanzstrafsachen zu berücksichtigende ‑ Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB verstößt (Z 11 zweiter Fall).

Dies führte zur Aufhebung des Strafausspruchs nach dem FinStrG sowie demzufolge auch des Beschlusses auf Erteilung einer Weisung im Sinn des § 26 Abs 2 FinStrG.

Im Übrigen geht die Beschwerde fehl:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht mehrere Beweisanträge (ON 216 S 4 bis 8) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (ON 230 S 20 bis 22), weil diese keinen Konnex zu schuld- oder subsumtionsrelevanten Umständen erkennen ließen (§ 55 Abs 2 Z 1 und 2 StPO).

Hinzu kommt, dass die Beweisthemen großteils auf Schlussfolgerungen sowie Wertungen zielten und sich solcherart schon vom gesetzlich definierten Gegenstand des Zeugenbeweises entfernten (13 Os 25/92, EvBl 1992/189, 797; RIS‑Justiz RS0097540, jüngst 13 Os 12/15m; Kirchbacher , WK‑StPO § 154 Rz 7 f).

Der Antrag auf „Verlesung der Beschwerde gegen die erstinstanzlichen Bescheide des Unternehmens Z***** GmbH“ zum Beweis dafür, dass „1. kein wissentlicher Befugnismissbrauch vorliegt und 2. kein Beitrag bzw kein Vorsatz zu einer Abgabenhinterziehung vorliegt“ (ON 218 S 14), ließ nicht erkennen, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und zielte solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (11 Os 152/03, RZ 2004, 140; RIS‑Justiz RS0118444).

Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also ‑ soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden von der Beschwerde insoweit nicht angesprochen) ‑ über schuld‑ oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS‑Justiz RS0106268). Hievon ausgehend nennt das Gesetz fünf Kategorien von Begründungsfehlern, die Nichtigkeit aus Z 5 nach sich ziehen:

Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 erster Fall ist gegeben, wenn ‑ nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, somit aus objektiver Sicht ‑ nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten, also für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht, unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt worden oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS‑Justiz RS0117995 [insbesondere T3 und T4]).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (13 Os 138/03, SSt 2003/93; RIS‑Justiz RS0118316).

Widersprüchlich sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Denkgesetzen oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht nebeneinander bestehen können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 438). Im Sinn der Z 5 dritter Fall können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (15 Os 51/04, SSt 2004/43; RIS‑Justiz RS0119089).

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (14 Os 72/02, SSt 64/39; RIS‑Justiz RS0116732 und RS0118317).

Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (11 Os 122/00, SSt 63/112; RIS‑Justiz RS0099431).

In Bezug auf alle fünf Fehlerkategorien ist die Mängelrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (11 Os 53/07i, SSt 2007/68; RIS‑Justiz RS0119370).

Wo das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit den Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall), ist überdies der entsprechende Aktenbezug herzustellen, was bei ‑ wie hier ‑ umfangreichem Aktenmaterial die genaue Angabe der jeweiligen Fundstelle erfordert (RIS‑Justiz RS0124172).

Indem die Beschwerde darauf hinweist, dass (gemeint wohl: im wiederaufgenommenen Abgabenverfahren) keine rechtskräftigen Abgabenbescheide vorliegen, die Urteilsaussage releviert, dass der Beschwerdeführer mit Mag. Wilfried L***** befreundet gewesen sei, eine schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers wiedergibt und aus den Aussagen der Zeugen Ma*****, Dr. R***** und Mag. K***** sowie aus einem Bericht und mehreren Aktenvermerken für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse ableitet und pflichtwidriges Agieren bestreitet, verlässt sie den dargestellten Anfechtungsrahmen.

Mit den Angaben des Zeugen Dr. Kö***** hat sich das Erstgericht eingehend auseinandergesetzt (US 158 bis 160). Eine darüber hinausgehende Erörterung sämtlicher Details dieser Aussage ist unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem in § 270 Abs 2 Z 5 StPO normierten Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe widersprechen (RIS‑Justiz RS0106642).

Welchen Feststellungen über entscheidende Tatsachen eine Passage der Aussage des Zeugen Mag. K***** (ON 218 S 7) im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig entgegenstehen soll, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wird mit dem Verweis auf das Vorbringen zur Mängelrüge nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz RS0115902, jüngst 11 Os 117/15p).

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB (I) verdränge die Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (II) infolge Konsumtion, lässt die Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz vermissen und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erledigung (12 Os 52/02, SSt 64/31; RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569).

Hinzugefügt sei, dass die Tatbestände des § 33 FinStrG und des § 302 StGB nach ständiger Rechtsprechung (SSt 51/32, RIS‑Justiz RS0086215) und herrschender Lehre ( Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 28, Zagler SbgK § 302 Rz 178, jeweils mwN) echt konkurrieren.

Das Vorbringen, wonach „überhaupt keine Straftat“ vorliege, wird nicht aus dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt entwickelt und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Sicht der Subsumtionsrüge (Z 10), die Qualifikationsnorm des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB (I) werde als „typische Begleittat“ von den Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG (II) verdrängt, orientiert sich nicht an den Grundsätzen juristischer Methodik und ist demgemäß einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich (siehe erneut 12 Os 52/02, SSt 64/31; RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569).

Die weiteren Argumente der Sanktionsrüge (Z 11), die sich ausschließlich auf den Strafausspruch nach dem FinStrG beziehen, können mit Blick auf die Aufhebung dieses Ausspruchs auf sich beruhen.

Im dargelegten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde somit zu verwerfen.

Zu den Strafaussprüchen sei vorangestellt, dass der EGMR die Angemessenheit der Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) grundsätzlich anhand von vier Kriterien prüft, nämlich der Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer, der Komplexität des Falles, dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem Verhalten der Behörden ( Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 70; Kier , WK‑StPO § 9 Rz 4 bis 10; Meyer‑Ladewig EMRK 3 Art 6 Rz 199 bis 205).

Wenngleich solcherart ohnedies keine starren Höchstgrenzen definiert werden, sondern ‑ unter Anwendung eines flexiblen, durch einander wechselseitig beeinflussende Parameter determinierten Systems ‑ stets eine einzelfallbezogene Betrachtung angestellt wird, verzichtet der EGMR bei objektiv außerordentlich langer Verfahrensdauer zu Gunsten einer Gesamtschau auf die Detailanalyse anhand der beschriebenen Kriterien, wobei in Strafverfahren die Zeit zwischen den ersten nach außen wirkenden Ermittlungshandlungen und der rechtskräftigen Enderledigung in den Blick zu nehmen ist ( Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 69 und 71; Kier , WK‑StPO § 9 Rz 16 f; Meyer‑Ladewig EMRK 3 Art 6 Rz 196 f und 199).

Fallbezogen liegt zwischen den in diesem Sinn maßgebenden Verfahrensschritten ein Zeitraum von etwa fünf Jahren. Trotz des Aktenumfangs (22 Aktenbände) und der zweifellos gegebenen Komplexität der Causa verstößt diese ‑ nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretende ‑ Verfahrensdauer unter Anlegung des vom EGMR im Rahmen der Gesamtschau herangezogenen Maßstabs (vgl Meyer‑Ladewig EMRK 3 Art 6 Rz 207 f) jedenfalls gegen das Angemessenheitserfordernis des Art 6 Abs 1 erster Satz MRK, sodass sich eine Detailuntersuchung (insbesondere nach allfälligen Perioden behördlicher Untätigkeit) erübrigt.

Die in der Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wird anerkannt und ‑ worauf noch im Detail eingegangen wird ‑ im Rahmen der Strafneubemessung und der Entscheidung über die Berufungen durch die jeweilige Zuerkennung und Gewichtung des besonderen Milderungsgrundes des § 34 Abs 2 StGB in Form einer ausdrücklichen und messbaren Strafreduktion ausgeglichen.

Zur infolge der teilweisen Urteilsaufhebung gebotenen Strafneubemessung:

Bei der insoweit nach § 23 FinStrG vorzunehmenden Bemessung war

erschwerend: der Umstand, dass der Angeklagte über einen Zeitraum von mehreren Jahren zahlreiche Finanzvergehen begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB),

mildernd: der bis dahin ordentliche Lebenswandel des Angeklagten (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) sowie die Umstände, dass er die Taten schon vor längerer Zeit begangen und sich seither wohlverhalten (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB) und dass das gegen ihn geführte Verfahren aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert (§ 34 Abs 2 StGB) hat.

Mit Blick auf die Strafbemessungserwägungen des Erstgerichts (US 220) sei festgehalten, dass § 23 Abs 2 zweiter Satz FinStrG idF BGBl I 2010/104 (zur hier anzuwendenden Fassung im Folgenden) ‑ in Ergänzung des § 34 StGB ‑ einen besonderen Milderungsgrund normiert ( Lässig in WK 2 § 23 Rz 3, EBRV 874 BlgNR 24. GP 6). Das bedeutet aber keineswegs, dass bei Nichtvorliegen der dort beschriebenen Intention ‑ also bei der Zielvorstellung einer endgültigen Verkürzung ‑ ein Erschwerungsgrund anzunehmen ist.

Ausgehend von den dargelegten Erschwerungs- und Milderungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) unter Berücksichtigung des gezielten Vorgehens und des geradezu entscheidenden Beitrags (§ 32 Abs 3 StGB) sowie unter Einbeziehung der persönlichen Verhältnisse und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten (§ 23 Abs 3 FinStrG) grundsätzlich eine Geldstrafe in der Höhe von 25 % der gesetzlich vorgegebenen Maximalsanktion (§§ 21 Abs 2, 33 Abs 5 FinStrG), die sich auf 6.106.146,32 Euro beläuft, als tat‑ und schuldangemessen. Als Ausgleich für die in der langen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wird diese Strafe unter besonderer Gewichtung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 2 StGB auf etwa 20 % der Obergrenze (1,2 Millionen Euro, somit um 326.536,58 Euro) reduziert.

Hinzugefügt sei, dass die Verkürzung nach der konstatierten (US 86 f, 220) Täterintention ( Lässig in WK 2 FinStrG § 23 Rz 3) endgültig hätte eintreten sollen, womit § 23 FinStrG idgF für den Angeklagten nicht günstiger (§ 4 Abs 2 FinStrG) ist als idF vor BGBl I 2010/104. Entsprechendes gilt in Ansehung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 86 f) für die ebenfalls durch BGBl I 2010/104 novellierte Sanktionsbestimmung des § 33 Abs 5 FinStrG, womit der Strafausspruch insgesamt nach Tatzeitrecht zu erfolgen hatte.

Da der strafbestimmende Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) 500.000 Euro übersteigt, beträgt das Höchstmaß der gemäß § 20 Abs 1 FinStrG für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe an deren Stelle tretenden Ersatzfreiheitsstrafe zwei Jahre (§ 20 Abs 2 dritter Fall FinStrG). Zumal die angesprochene Wertgrenze bei einem hier maßgebenden Wertbetrag von mehr als 3 Millionen Euro etwa sechsfach überschritten wird, ist die Ersatzfreiheitsstrafe unter Berücksichtigung der aufgrund der langen Verfahrensdauer vorgenommenen Reduktion der Geldstrafe mit einem Jahr zu bemessen.

Bedingte oder teilbedingte Strafnachsicht kommt im Hinblick auf den Schuldgehalt, die fortgesetzte, gezielte Vorgangsweise und das Gewicht der Taten sowohl aus spezialpräventiven als auch aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.

Das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO) gilt hier nicht, weil Staatsanwaltschaft und Finanzstrafbehörde den Strafausspruch nach dem FinStrG zum Nachteil des Angeklagten mit Berufung angefochten haben (RIS‑Justiz RS0100559, jüngst 13 Os 139/14m; vgl auch RS0100122 und RS0100594).

Mit den gegen den Strafausspruch nach dem FinStrG gerichteten Berufungen waren der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Finanzstrafbehörde auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Zu den übrigen Berufungen:

Das Erstgericht verhängte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt unter Bedachtnahme auf § 22 Abs 1 FinStrG nach § 302 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das Zusammentreffen von „mehreren als Amtsmissbrauch zu beurteilenden Sachverhalten“, die „Benutzung und Manipulation von untergebenen Mitarbeitern“, den enormen „Imageschaden für die Republik Österreich“ sowie den Missbrauch des Amtes in „leitender und kontrollierender Funktion“ erschwerend, mildernd den ordentlichen Lebenswandel, das lange Zurückliegen der Tathandlungen, die „Gesamtumstände der Tat“ und den Umstand, dass das Verfahren aus einem nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat.

Der dagegen erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch jener des Angeklagten, kommt Berechtigung zu.

Die besonderen Erschwerungs‑ und Milderungsgründe sind in §§ 33 f StGB bloß demonstrativ aufgezählt ( Ebner in WK 2 StGB § 33 Rz 1 und § 34 Rz 1). Die Annahme anderer Erschwerungs‑ und Milderungsgründe setzt aber voraus, dass diese den im Gesetz ausdrücklich genannten gleichwertig sind (RIS‑Justiz RS0090881 [insbesondere T2], RS0091041 und RS0091166).

Auf die „Gesamtumstände der Tat“ trifft dies hier keineswegs zu, aus welchem Grund diese zu Unrecht als mildernd gewertet wurden.

Der „enorme Imageschaden für die Republik Österreich“ und das amtsmissbräuchliche Vorgehen in „leitender und kontrollierender Funktion“ sind zwar keinem der in § 33 StGB genannten Gründe gleichwertig, aber sehr wohl im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) als aggravierend zu werten.

Im Übrigen hat das Erstgericht die Erschwerungs- und Milderungsgründe zutreffend erfasst.

Hievon ausgehend wendet die Staatsanwaltschaft zu Recht ein, dass die Strafe mit Blick auf das Gewicht der Tat und den Schuldgehalt zu gering bemessen worden ist.

Demgegenüber vermögen die in der Berufung des Angeklagten vorgebrachten Argumente eine Strafreduktion nicht zu rechtfertigen. Der Hinweis auf den Schuldspruch nach dem FinStrG schlägt mit Blick auf das in § 22 Abs 1 FinStrG normierte Kumulationsprinzip (hiezu eingehend Lässig in WK 2 FinStrG § 22 Rz 1 bis 4) schon im Ansatz fehl. Die Auswirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Angeklagten sind freilich im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung zu berücksichtigen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), sprechen aber keineswegs für eine Milderung der vom Erstgericht verhängten Sanktion.

Ausgehend von den besonderen Strafbemessungsgründen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) unter Berücksichtigung des fortgesetzten, gezielten Vorgehens und des die Wertgrenze des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB um rund das 60‑fache übersteigenden Schadensbetrags (§ 32 Abs 3 StGB) grundsätzlich eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren als tat‑ und schuldangemessen. Als Ausgleich für die in der langen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wird diese Strafe unter besonderer Gewichtung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 2 StGB auf 30 Monate, somit um sechs Monate, reduziert.

Mit Blick auf den bis zu den gegenständlichen Taten ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, sein Lebensalter von rund 70 Jahren sowie den persönlichen Eindruck, den er vor dem Obersten Gerichtshof hinterließ, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, aus welchem Grund gemäß § 43a Abs 4 StGB ein Strafteil von 20 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wird.

Zur (verfehlt als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichneten) Beschwerde gegen die Weisung nach § 26 Abs 2 FinStrG:

Die Aufhebung des Strafausspruchs nach dem FinStrG hat die Aufhebung des gemäß § 26 Abs 2 FinStrG gefassten Beschlusses zur Folge, worauf der Angeklagte mit seiner Beschwerde zu verweisen war.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte