Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.
Text
Gründe:
I. Mit dem Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.September 1990, GZ 4 c E Vr 8.514/88-87, wurde Dr. Fred S***** des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach dem § 288 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.
Gegenstand des Schuldspruchs sind jene Teile der Aussage Dris. S***** bei seiner förmlichen Vernehmung als Zeuge in der Hauptverhandlung vom 29.April 1987 in dem über seine Privatanklage gegen Ing. Alfred W***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach dem § 111 Abs. 1 und Abs. 2 StGB eingeleiteten Strafverfahren, AZ 9 e E Vr 4.859/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, in welchen er es ausschloß, in einer Sitzung des Landesparteivorstandes Burgenland der Sozialistischen Partei Österreichs (vom 28.Oktober 1985) in einem von ihm als damaligem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden der SPÖ gehaltenen Referat in bezug auf den (in der Folge gewählten) Kandidaten der Österreichischen Volkspartei für die bevorstehende Bundespräsidentenwahl, Dr. Kurt W*****, geäußert zu haben, daß man Österreich rechtzeitig über "W*****'s braune Vergangenheit" informieren werde, und die gegenteilige Behauptung der Zeugin Ottilie M***** als unwahr bezeichnete (S 147 ff/I im Akt AZ 9 e E Vr 4.859/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).
Der Einzelrichter stützte diesen Schuldspruch auf die Aussage der genannten Zeugin (US 22 iVm S 144 ff/III), wobei er neben der persönlichen Glaubwürdigkeit der Ottilie M***** auch das Gutachten (ON 73 iVm S 169 f/III) der Sachverständigen Peter WÄSCHLE und Kurt ERISMANN von der Kantonspolizei Zürich über die material- und handschriftanalytische Untersuchung einer von der Zeugin bereits im Privatanklageverfahren (dort als Beilage zu ON 30) vorgelegten, nach ihren Angaben bei der Sitzung am 28. Oktober 1985 verfaßten Mitschrift hervorhob, auf deren Seite 5 die Dr. S***** zugeschriebene Äußerung festgehalten ist. Unter Bezugnahme auf dieses Gutachten wies der Einzelrichter darauf hin, daß keine Anhaltspunkte für die Entstehung der sechs Blätter in mehr als einem Schreibakt vorlägen, ein und dasselbe Schreibgerät für die Eintragungen der Niederschrift wie auch für die Paraphe der Zeugin M***** auf der Präsenzliste der Sitzung verwendet worden sei und die Textstelle betreffend "W*****'s braune Vergangenheit" keine Einfügung darstelle. Zwar hätten die beiden Sachverständigen die Frage, ob die ganze Seite 5 der Niederschrift zu einem späteren Zeitpunkt, also nach dem 28. Oktober 1985, geschrieben wurde, naturgemäß nicht beantworten können, obwohl sie ergänzt hätten, daß keine Merkmale vorliegen, die diese Annahme stützten (US 23 iVm S 39 in ON 73/III). Im Hinblick auf das gesamte Beweisverfahren bestehe jedoch für das Gericht kein Grund zu dieser Annahme (US 22/23).
Die zeugenschaftliche Einvernahme der anderen Teilnehmer an der Parteivorstandssitzung vom 28.Oktober 1985 hielt der Einzelrichter für entbehrlich. Den im Privatanklageverfahren abgelegten und nunmehr lediglich verlesenen Aussagen dieser Zeugen schenkte er, soweit sie die Verantwortung des Beschuldigten Dr. S***** bestätigten, keinen Glauben (US 23 ff).
Weitere Beweisaufnahmen hielt der Einzelrichter gleichfalls nicht für erforderlich und lehnte eine Reihe von Beweisanträgen der Verteidigung ab, von denen nur die beiden im folgenden wiedergegebenen hier von Interesse sind:
1. Zum Nachweis dafür, "daß die Zeugin Ottilie M***** sehr wohl ihre Maßnahmen aus einer Grundhaltung gesetzt hat, die dem Beschuldigten Dr. S***** feindlich gegolten habe", wurde Dr. Georg T***** als Zeuge beantragt (S 172/III Punkt 3);
2. Die Ladung und Einvernahme des Zeugen Gerd (richtig: Gert) SCH*****, Chefredakteur des Magazins "ERFOLG", beantragte der Beschuldigte mit dem Hinweis, daß "mit beiden Letztgenannten (gemeint also: auch mit Dr. Georg T*****) die Frau Zeugin gesprochen und in Abrede gestellt hat, daß es Aufzeichnungen gibt und ihre Einstellung zum Problem erörtert hat" (S 173/III Punkt 4).
In der Begründung des abweislichen Zwischenerkenntnisses führte der Einzelrichter aus, daß es sich bei diesen Beweisanträgen "um einen indirekten und unerheblichen Beweis handelt, daß M***** die Maßnahmen aus feindlicher Haltung gesetzt haben soll und Aufzeichnungen liegen vor" (S 176/III).
Im Urteil wird dazu noch ergänzend erläutert, es "haben sich auf Grund des Beweisverfahrens keinerlei Anhaltspunkte ergeben, daß M***** gegenüber dem Beschuldigten Dr. S***** eine feindliche Grundhaltung habe" (US 25/26) und es "Tatsache ist, daß M***** Aufzeichnungen hatte und diese auch dem Gericht vorgelegt hat" (US 26).
Gegen das Urteil des Einzelrichters vom 25.September 1990 erhob Dr. S***** Berufung wegen Nichtigkeit aus den Gründen der Z 1, 4, 5, 9 lit. a und 11 des § 281 Abs. 1 StPO (iVm den §§ 489 Abs. 1 und 468 Abs. 1 StPO) sowie wegen Schuld und Strafe (ON 96). Einen nichtigkeitsbegründenden Verfahrensmangel (Z 4) erblickte er unter anderem in der Abweisung seiner (oben wiedergegebenen) Anträge auf zeugenschaftliche Einvernahme des Gert SCH***** und des Dr. Georg T*****. Sowohl im bezüglichen Beschwerdevorbringen (S 244, 245/III) als auch bei Wiederholung der betreffenden Beweisanträge im Rahmen der Schuldberufung (S 321/III) sowie in einem gesonderten schriftlichen Beweisantrag (ON 103) hielt Dr. S***** allerdings die ursprüngliche Behauptung, daß auch Dr. Georg T***** eine den Besitz von Aufzeichnungen über die Sitzung vom 28.Oktober 1985 in Abrede stellende Äußerung der Ottilie M***** bestätigen könnte, nicht mehr aufrecht. Er beantragte daher (lediglich) Gert SCH***** als Zeugen zum Beweis dafür, "daß die einzige Belastungszeugin Ottilie M***** mit dem Chefredakteur des Magazins 'ERFOLG', (eben) Gert SCH*****, noch im Jahre 1986 gesprochen und zu diesem Zeitpunkt in Abrede gestellt hat, daß sie über Aufzeichnungen über die Sitzung des Landesparteivorstandes vom 28.Oktober 1985 verfügt" (S 321/III sowie ON 103) und Dr. Georg T***** als Zeugen (nur) zum Beweis dafür, "daß Ottilie M***** sich von einer dem Beschuldigten gegenüber feindlichen Grundhaltung leiten läßt" (S 321/III sowie ON 103).
In der Nichtigkeitsberufung (S 245/III) wies der Angeklagte in diesem Zusammenhang ferner auf ein Exemplar der Nr. 9/1989 des Magazins "ERFOLG" vom September 1989 hin, welches allerdings erst während des Schlußvortrages des Verteidigers vorgelegt (Beilage C zu ON 86), nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls (S 178/III) aber nicht verlesen worden ist. In diesem Exemplar findet sich auf S 20 bis 26 die vom Chefredakteur Gert SCH***** verfaßte Titelgeschichte "Das Geheimnis der Ottilie M*****", in welcher (in der fettgedruckten Einleitung auf S 20, 21 jeweils oben, ferner im Text S 24 rechte Spalte, S 26 linke Spalte) berichtet wird, daß Ottilie M***** dem Verfasser und dem von diesem zugezogenen Anwalt gegenüber den Besitz schriftlicher Aufzeichnungen betreffend die gegenständliche Parteivorstandssitzung über mehrmaliges Befragen in Abrede gestellt habe, was sich auch aus einem "Anwaltsprotokoll" vom 3. April 1986 ergebe. Abschließend wird in diesem Artikel allerdings betont, der Verfasser behaupte nicht, daß es diese Protokolle nicht gebe. Feststehe nur, daß Ottilie M***** ihm und dem Anwalt diese Protokolle verheimlicht habe (S 26 linke Spalte).
In der am 8., 10. und 15.April 1991 vor dem Oberlandesgericht Wien durchgeführten Berufungsverhandlung kam es auf Grund des Beschlusses (S 360 f/III), das Beweisverfahren durch zeugenschaftliche Einvernahme von insgesamt 41 Teilnehmern an der Landesparteivorstandssitzung vom 28.Oktober 1985 zu ergänzen sowie durch neuerliche Befragung der Zeugin Ottilie M***** zu wiederholen, zur unmittelbaren Anhörung von insgesamt 40 Zeugen (einschließlich Ottilie M*****) durch das Berufungsgericht. Die Aussage eines aus Gesundheitsgründen entschuldigten Zeugen wurde verlesen, eine Zeugin hat unter Berufung auf die Bestimmung des § 153 StPO die Aussage verweigert. Das von der Verteidigung in dieser Verhandlung im Sinne ihrer schriftlichen Antragstellung (S 321/III sowie ON 103) wiederholte Begehren auf Einvernahme der Zeugen Gert SCH***** und Dr. Georg T***** (S 445/III, Punkte 3 und 5) wurde - wie eine Vielzahl weiterer Beweisanträge der Verteidigung - abgewiesen (S 514 ff/III). Lediglich dem Antrag auf Verlesung des erwähnten Artikels "Das Geheimnis der Ottilie M*****" aus der Nr. 9/1989 der Zeitschrift "ERFOLG" wurde entsprochen (S 500/III).
Die Ablehnung der Einvernahme des Zeugen Gert SCH***** wurde damit begründet, daß "es gleichgültig ist, welche Äußerungen Ottilie M***** gegenüber Gert SCH***** bezüglich ihrer Aufzeichnungen gemacht oder nicht gemacht hat; sie war keinesfalls verpflichtet, in einem Privatgespräch die Wahrheit zu sagen" (S 515/III). Die Anhörung des Zeugen Dr. Georg T***** hinwieder wurde deshalb für entbehrlich erachtet, "weil bereits auf Grund des Beweisverfahrens hinreichend feststeht, daß zum maßgeblichen Zeitpunkt zwischen Ottilie M***** und Dr. S***** ein bis zum Äußersten gespanntes Verhältnis bestanden hat" (S 515 f/III).
Mit Urteil vom 15.April 1991, AZ 22 Bs 449/90 (= ON 108 des Aktes 4 c E Vr 8.514/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Angeklagten nicht Folge. In der Urteilsbegründung hob das Berufungsgericht bei Erörterung des auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO gestützten Beschwerdevorbringens nochmals hervor, daß in der ersten Instanz die Vernehmung des Chefredakteurs der Zeitschrift "ERFOLG", Gert SCH*****, zu Recht unterlassen worden sei, "weil Ottilie M***** keinesfalls verpflichtet war, diesem gegenüber wahrheitsgemäße Angaben über das Vorhandensein von Aufzeichnungen betreffend die Sitzung vom 28.Oktober 1985 zu machen und deshalb aus allfälligen anderslautenden Angaben des Journalisten über das ihm von der Zeugin Mitgeteilte keine verläßlichen Rückschlüsse auf deren Ehrlichkeit gezogen werden können" (US 11). Hinsichtlich der gerügten Unterlassung einer Einvernahme des Dr. Georg T***** wiederholte es die Argumentation seines eigenen abweislichen Zwischenerkenntnisses, indem es ausführte, daß die Vernehmung des Dr. T***** zum Nachweis der feindseligen Einstellung der Ottilie M***** gegenüber dem Angeklagten Dr. S***** entbehrlich gewesen sei, "weil nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens ohnedies davon auszugehen ist, daß zwischen diesen beiden Personen im maßgeblichen Zeitraum ein äußerst gespanntes Verhältnis bestanden hat" (US 11).
In Würdigung der Ergebnisse des von ihm wiederholten und ergänzten Beweisverfahrens betonte das Berufungsgericht die seiner Ansicht nach durch eine Vielzahl anderslautender Aussagen nicht erschütterte Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin Ottilie M***** (US 27, 28), die nicht zuletzt durch deren Aufzeichnungen über die Sitzung vom 28.Oktober 1985 gestützt werde (US 29, 30). Es räumte zwar ein, daß die Sachverständigengutachten die theoretische Möglichkeit, daß die ganze Aufzeichnung zu einem späteren Zeitpunkt in einem Zuge verfaßt wurde, naturgemäß nicht ausschließen könnten, führte aber aus, daß die hastige, variantenreiche Schreibweise mit zahlreichen Abkürzungen darauf schließen lasse, daß die Verfasserin - anders als bei nachträglicher Erstellung einer solchen Aufzeichnung - unter Zeitdruck gestanden sei, und daß für die Anfertigung der Mitschrift wie auch für die Paraphe auf der Anwesenheitsliste der Sitzung vom 28.Oktober 1985 dasselbe Schreibgerät verwendet worden sei (US 30, 31). Auch die mit ihrer anfänglichen Zurückhaltung begründete Tatsache, daß Ottilie M***** nicht beabsichtigt habe, dem Angeklagten Dr. S***** durch Vorlage ihrer Mitschrift zu schaden (US 29), spreche gegen eine nachträgliche Verfassung der Mitschrift, fehle es doch damit an jedem einsichtigen Motiv einer solchen Verhaltensweise (US 31).
II. Nach Auffassung der Generalprokuratur steht die Ablehnung der Einvernahme von Dr. Georg T***** und Gert SCH***** als Zeugen sowohl durch den Einzelrichter als auch durch das Berufungsgericht mit dem Gesetz (§ 3 StPO) nicht im Einklang. In ihrer deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur wörtlich aus:
"Gemäß § 3 StPO haben alle im Strafverfahren tätigen Behörden die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen. Wenn unter Hintansetzung dieses Grundsatzes, dessen Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung und die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist, während der Hauptverhandlung über einen Antrag der Parteien nicht erkannt oder gegen einen solchen Antrag oder Widerspruch ein Zwischenerkenntnis gefällt worden ist, verwirklicht dies - auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes (§§ 489 Abs. 1, 468 Abs. 1 Z 3 StPO) - den Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO. Soweit sich diese Vorschriften auf Entlastungsbeweise und hierauf abzielende Anträge des Angeklagten beziehen, dienen sie der Durchsetzung seines Anspruches darauf, daß (im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK) seine Sache in billiger Weise gehört werde (fair trial), insbesondere aber des ihm durch Abs. 3 lit. d dieses Konventionsartikels gewährleisteten Rechtes, die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Ein Antrag auf Vornahme eines Entlastungsbeweises darf daher im Hinblick auf § 3 StPO nicht bloß deshalb abgewiesen werden, weil das Gericht die ihm bereits vorliegenden Belastungsbeweise für ausreichend hält, einen gegenteiligen Sachverhalt anzunehmen (EvBl. 1980/42; vgl. auch EvBl. 1981/177 = JBl. 1981, 445). Schränkt nämlich das Gericht den Umfang des Beweisverfahrens auf Grund einer von ihm vorzeitig gewonnenen Überzeugung von der Schuld des Angeklagten ein, dann nimmt es auf eine mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) unvereinbare Weise die gemäß § 258 StPO bei der Urteilsfällung vorzunehmende Würdigung der in der Hauptverhandlung tatsächlich 'vorgekommenen' Beweisergebnisse vorweg (zur grundsätzlichen Unzulässigkeit derart vorgreifender Beweiswürdigung siehe ENr. 78 bis 87 zu § 281 Abs. 1 Z 4 StPO in Mayerhofer-Rieder3). Ist das Beweisthema allerdings unerheblich, der unter Beweis zu stellende Umstand mithin weder für die Entscheidung über die Schuld noch für den anzuwendenden Strafsatz von Bedeutung, dann können durch die Abweisung des betreffenden Beweisantrages des Angeklagten Verteidigungsrechte nicht verletzt werden.
Die Eignung, einen Einfluß auf die Feststellung von im obigen Sinne (siehe auch § 281 Abs. 1 Z 5 StPO) entscheidenden Tatsachen zu üben, kann jedoch den (im Berufungsverfahren aufrechterhaltenen) Themen der Beweisanträge auf Einvernahme der Zeugen Gert SCH***** und Dr. Georg T***** nicht von vornherein abgesprochen werden:
Die vermeintliche Unerheblichkeit des durch Einvernahme des Zeugen Dr. T***** erhofften Nachweises, daß die Zeugin M***** aus einer feindlichen Haltung gegenüber dem Beschuldigten handelte, wird vom Einzelrichter im abweislichen Beschluß nicht konkret, im Urteil lediglich damit begründet, daß sich Anhaltspunkte für eine solche Haltung aus dem Beweisverfahren nicht ergeben hätten. Damit bezeichnete das Erstgericht den noch nicht durchgeführten Beweis in unzulässiger (s. auch Foregger-Serini, StPO MKK4, 365) Vorwegnahme seiner Würdigung allein deshalb als entbehrlich, weil es bereits vom Mißlingen solcher Beweisführung überzeugt war. Der Hinweis des Berufungsgerichtes im abweislichen Beschluß und in den Ausführungen der Urteilsbegründung, wonach ein äußerst gespanntes Verhältnis zwischen Ottilie M***** und dem Angeklagten ohnehin feststehe, vermag ebensowenig von der Irrelevanz des Beweisthemas zu überzeugen; denn damit wird der (auch qualitative) Unterschied zwischen einem persönlichen Spannungsverhältnis und einer feindseligen Haltung übergangen. Letztere wäre - im Gegensatz selbst zu einem äußerst gespannten persönlichen Verhältnis - sehr wohl geeignet, das vom Berufungsgericht (laut AS 553/III erstem Absatz) vermißte Motiv für ein auf Schädigung des Beschuldigten gerichtetes Vorhaben zu begründen.
Noch gravierender erscheint die durch Abweisung des Antrages auf Einvernahme des Zeugen Gert SCH***** bewirkte Verletzung der Verteidigungsrechte: Die Relevanz des Beweisthemas dieses Antrages lag - wie schon nach der Aktenlage des erstgerichtlichen Verfahrens erkennbar war - darin, daß der Verfassungszeitpunkt der bereits dem Gericht vorliegenden Aufzeichnungen der Ottilie M***** betreffend die Sitzung vom 28.Oktober 1985 - nicht etwa die Existenz dieser Schrift an sich - in Frage gestellt werden sollte. An dieser (noch eindeutiger aus der Hervorhebung der Bedeutung dieser Aufzeichnungen für die Lösung der Schuldfrage in beiden Urteilen erhellenden) Relevanz des unter Beweis zu stellenden Umstandes geht der Hinweis des Einzelrichters auf die Existenz von Aufzeichnungen der Ottilie M***** (Hauptverhandlungsprotokoll AS 176/III; Urteilsbegründung AS 206/III) völlig vorbei. Er reicht zur Begründung der Ablehnung der beantragten Beweisaufnahme umso weniger aus, als der Einzelrichter in seiner Urteilsbegründung eingeräumt hat, daß die Sachverständigen eine spätere Anfertigung der gegenständlichen Schrift nicht auszuschließen vermochten (AS 203/III). Ebensowenig vermag der Hinweis des Berufungsgerichtes darauf, daß Ottilie M***** gegenüber Gert SCH***** nicht unter Wahrheitspflicht stand (Beschlußbegründung AS 515/III, Urteilsbegründung AS 533/III), zu überzeugen: Auch einer nicht unter Wahrheitspflicht abgegebenen Erklärung der Zeugin M*****, die im Widerspruch zu ihrer Zeugenaussage steht, wonach die von ihr vorgelegten Aufzeichnungen (jedenfalls im hier entscheidenden Teil) als Mitschrift der betreffenden Sitzung verfaßt wurden, konnte nicht vorweg jegliche Bedeutung für die Prüfung des Beweiswertes dieser Schrift und der Aussage ihrer Verfasserin abgesprochen werden. Um eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung zu vermeiden, bedurfte es vielmehr vorerst der hiezu beantragten Beweisaufnahme. Dies galt umsomehr für das Berufungsgericht, vor welchem Ottilie M***** nach anfänglicher Unsicherheit (AS 499/III und verso) aussagte, 'von der Sache Dr. S*****' sicher nichts erzählt zu haben (AS 502/III ganz unten), und mehrmals betonte, sie hätte eine ihren Besitz von Aufzeichnungen betreffende Frage sicher bejaht, wenn sie an die Zeugin gerichtet worden wäre (AS 502/III zweiter und vorletzter Absatz). Angesichts dieser Aussage der Zeugin M***** und des in der Berufungsverhandlung verlesenen Inhalts des Artikels des Chefredakteurs SCH***** vermag auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, aus einer allenfalls von der Aussage M*****s abweichenden Zeugenaussage dieses Journalisten über das ihm von M***** Mitgeteilte, könnten keine verläßlichen Rückschlüsse auf die Ehrlichkeit der (einzigen) Belastungszeugin gezogen werden, keine tragfähige Begründung für die Ablehnung der Einvernahme des Zeugen Gert SCH***** abzugeben. Auch dem Berufungsgericht unterlief insoweit eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung, indem er sich darauf einließ, die Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin M***** gegenüber einer (noch) nicht vorliegenden Aussage des Zeugen Gert SCH***** abzuwägen. Zur Beseitigung der infolge Unterlassung der Einvernahme dieses Zeugen und Dris. T***** schon dem erstgerichtlichen Urteil zugrundegelegenen Verfahrensmängel hätte vielmehr der Berufungssenat, nachdem er von der Möglichkeit der Urteilsaufhebung nach § 470 Z 3 StPO nicht Gebrauch gemacht hatte, die - überdies auch zur Erledigung der Schuldberufung sowie der Anträge in der Berufungsverhandlung im Sinne des § 3 StPO gebotenen - zeugenschaftlichen Einvernahmen (zu den im Berufungsverfahren aufrechtgebliebenen Beweisthemen) nachzuholen gehabt (§ 473 Abs. 2 StPO; s. auch § 476 StPO).
Demnach sind die Urteile sowohl erster als auch zweiter Instanz in einem Verfahren ergangen, welches dem Prinzip der materiellen Wahrheit nicht völlig gerecht wurde und daher mangelhaft blieb. Beide Entscheidungen wären daher - sofern die erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der ihnen zugrundegelegten Tatsachen nicht durch allenfalls vom Obersten Gerichtshof anzuordnende Erhebungen im Sinne des letzten Nebensatzes des § 362 Abs. 1 StPO beseitigt werden können - zur Hintanhaltung einer nicht auszuschließenden Benachteiligung des Angeklagten im Sinne des letzten Satzes des § 292 StPO unter Anordnung einer neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht (vgl. SSt. 53/69) aufzuheben."
Demgemäß beantragte die Generalprokuratur, nach einem gemäß dem § 292 StPO durchzuführenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu erkennen:
"In der Strafsache gegen Dr. Fred S***** wegen § 288 Abs. 1 StGB, AZ 4 c E Vr 8514/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wurde das Gesetz verletzt
a/ durch den im Hauptverhandlungsprotokoll vom 25.September 1990 (AS 176/III) beurkundeten Beschluß des Einzelrichters insoweit, als die Beweisanträge der Verteidigung auf Einvernahme der Zeugen Dr. Georg T***** und Gert SCH***** abgewiesen wurden, sowie durch das Urteil des Einzelrichters vom selben Tage (ON 87) in der Bestimmung des § 3 StPO;
b/ durch den im Protokoll über die Berufungsverhandlung vom 15. April 1991 (AS 515/III und verso) beurkundeten Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien auf Abweisung des Antrages auf Vernehmung der unter a/ erwähnten Zeugen sowie durch das am selben Tage unter AZ 22 Bs 449/90 ergangene Berufungsurteil dieses Gerichtes (ON 108 des Aktes 4 c E Vr 8514/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) in der Bestimmung des § 3 StPO sowie jeweils iVm § 489 Abs. 1 StPO in den Vorschriften der §§ 468 Abs. 1 Z 3, 281 Abs. 1 Z 4 und 473 Abs. 2 StPO.
Gemäß § 292 letztem Satz StPO werden die unter a/ und b/ bezeichneten Urteile aufgehoben, und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen."
Rechtliche Beurteilung
III. Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:
Das Zeugnis ist ein Bericht über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, die der Vergangenheit angehören (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 1 und 2 zu § 150; Leukauf-Steininger Komm.3 § 288 RN 4). Nur Tatsachenbekundungen stellen eine Aussage dar. Subjektive Meinungen, Ansichten, Wertungen, Schlußfolgerungen, rechtliche Beurteilungen und ähnliche intellektuelle Vorgänge können daher grundsätzlich nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein, sondern nur die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Prämissen (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 § 288 RN 10; Mayerhofer-Rieder StPO3 E 8 zu § 150; StGB3 E 7 a zu § 288). Demgemäß müssen sich Beweisanträge auf Vernehmung von Zeugen auch grundsätzlich auf eine bestimmte Tatsachenbehauptung beziehen, die durch den Zeugen bestätigt werden soll. Menschliche Gefühle und charakterliche Eigenschaften als solche werden einer sinnlichen Wahrnehmung durch andere erst dann zugänglich, wenn sie in irgendeiner Form nach außen hin zum Ausdruck kommen. Dies gilt gleichermaßen für die gefühlsmäßige Beziehung zweier Menschen zueinander, die für einen Dritten erst dann wahrnehmbar und bewertbar wird, wenn sie sich für ihn in einer mit den Sinnen erfaßbaren Weise derart äußert, daß er darnach in der Lage ist, auf Grund seiner persönlichen Lebenserfahrung auf die Qualität einer sich solcherart manifestierenden zwischenmenschlichen Beziehung zu schließen.
Aus dem Gesagten folgt, daß Gegenstand einer Beweisaufnahme in Ansehung eines für die Beweiswürdigung bedeutsamen emotionalen Verhältnisse zweier Personen zueinander nicht die darüber bestehende subjektive Meinung eines Dritten, also erst das Ergebnis einer auf individuellen Erfahrungen und Wertungen beruhenden diesbezüglichen Schlußfolgerung eines Außenstehenden, sondern ausschließlich jene objektiven Tatsachen sein können, auf denen das Ergebnis dieser Meinungsbildung beruht. Feindschaft und Abneigung, Freundschaft und Zuneigung sowie überhaupt alle Begriffsinhalte derartiger menschlicher Eigenschaften und Beziehungen samt ihren graduellen Abstufungen sind demnach grundsätzlich nur dann als Beweisthema einer Zeugenaussage zu akzeptieren, wenn zugleich jene tatsächlichen Umstände behauptet und unter Beweis gestellt werden, die sie rechtfertigen könnten (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 § 288 RN 10). Nur dann ist nämlich das Gericht in der Lage, die Berechtigung eines dahin zielenden Beweisantrages verläßlich zu überprüfen.
Dies gilt in besonderem Maße für den vorliegenden Fall, lagen doch zum Zeitpunkt der Antragstellung sowohl in erster, aber erst recht in zweiter Instanz eine Fülle von Beweisergebnissen vor, die eine Bewertung des persönlichen Verhältnisses zwischen dem seinerzeitigen Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Dr. S***** und der mit ihren eigenen Parteigenossen in existentielle Konflikte geratenen früheren Clubobfrau der SPÖ-Fraktion des burgenländischen Landtages Ottilie M***** in tatsächlicher Hinsicht unter dem Aspekt einer Beurteilung der Glaubwürdigkeit der den Angeklagten Dr. S***** belastenden Angaben dieser Zeugin durch das Gericht durchaus zuließen. Unter den hier gegebenen Voraussetzungen hätte der Angeklagte, der selbst mit Beziehung auf das Verhalten der Ottilie M***** ihm gegenüber das Wort "feindselig" nicht verwendet hat, daher im Beweisantrag jene tatsächlichen Umstände konkret dartun müssen, welche über die bereits aktenkundigen Tatsachen hinaus die Möglichkeit nahegelegt haben könnten, daß Ottilie M***** willens und fähig sei, ihn aus "feindseliger Grundhaltung" zu verleumden. Mangels solcher nach Lage des Falles unerläßlicher Erläuterungen des Beweisantrages auf zeugenschaftliche Vernehmung des Dr. Georg T***** waren beide Instanzen nicht in der Lage, das Beweisanbot auf seine sachliche Berechtigung zu überprüfen und durften es daher schon deshalb ohne Verstoß gegen die Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) ablehnen.
In Ansehung der in diesem Punkte dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht zum Vorwurf gemachten Gesetzesverletzung tritt die Unerläßlichkeit einer thematischen Konkretisierung des Beweisantrages auf Vernehmung des Dr. Georg T***** im dargelegten Sinn besonders deutlich zutage. Der Gerichtshof zweiter Instanz nahm auf Grund des von ihm wiederholten und ergänzten Beweisverfahrens ausdrücklich ein "bis zum Äußersten gespanntes Verhältnis" zwischen Dr. S***** und Ottilie M***** an (S 515 f/III). Ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine exakte inhaltliche Abgrenzung der solcherart beschriebenen schweren Belastung einer persönlichen Beziehung in Relation zu einer "feindseligen Haltung" kaum möglich, so ist es jedenfalls ausgeschlossen, die Berechtigung der Behauptung eines solchen graduellen Unterschiedes und damit auch eines darauf gerichteten Beweisantrages ohne Kenntnis jener tatsächlichen Umstände zu beurteilen, auf die sich diese Kategorisierung stützen soll. Nach seinem unsubstantiierten Inhalt verblieb somit als Gegenstand des im Berufungsverfahren gestellten Beweisantrages nur mehr ein bloßes Werturteil innerhalb der Intensitätsskala menschlicher Konfliktszustände, was unter keinen Umständen legitimes Thema eines Beweisanbots sein kann.
Auch in Ansehung der Abweisung der Beweisanträge des Angeklagten Dr. S***** auf zeugenschaftliche Vernehmung des Chefredakteurs des Monatsmagazins "ERFOLG", Gert SCH*****, ist den beiden Gerichtsinstanzen die in der Nichtigkeitsbeschwerde behauptete Gesetzwidrigkeit durch Verletzung von Verteidigungsrechten nicht unterlaufen.
Maßgebliches Beweisthema für die hier aktuelle Beurteilung der Antragstellung in erster Instanz war, ob die Zeugin Ottilie M***** in einem vermutlich am 3.April 1986 (S 167/III) mit Gert SCH***** geführten Gespräch "in Abrede gestellt hat, daß es Aufzeichnungen gibt" (S 173/III). Ob damit die Glaubwürdigkeit der Zeugin Ottilie M***** im allgemeinen in Frage gestellt oder die nachträgliche Produktion einer mit den in der Parteisitzung vom 28.Oktober 1985 tatsächlich gefallenen Äußerungen nicht übereinstimmenden, sohin im entscheidenden Teil inhaltlich falschen "Mitschrift" bewiesen werden sollte, kann dem Beweisantrag nicht mit Deutlichkeit entnommen werden. Immerhin ist nach dem Sachzusammenhang davon auszugehen, daß der Angeklagte damit sowohl die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Zweifel ziehen und solcherart auch die Möglichkeit einer Beweismittelmanipulation aufzeigen wollte.
Bei Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Abweisung dieses Beweisantrages durch den Einzelrichter ist die Verfahrenslage im Zeitpunkt des Zwischenerkenntnisses zu berücksichtigen. Dazu bedarf es einer Vergegenwärtigung der folgenden im damaligen Prozeßstadium vorgelegenen Beweisergebnisse:
Die Zeugin Ottilie M***** hatte zuvor mit Beziehung auf das Gespräch zwischen ihr und Gert SCH***** angegeben, es sei "möglich" bzw. sie könne "nicht ausschließen", daß sie bei dieser Gelegenheit "im Plauderton vielleicht mit ihm darüber geredet hätte", doch habe sie dies nicht als (eigentlichen) Gegenstand dieses Gespräches angesehen (S 167/III). Dem Einzelrichter lag somit bei der Entscheidung über den Beweisantrag eine eindeutige Aussage der Zeugin darüber, ob überhaupt anläßlich des Gespräches mit Gert SCH***** von Mitschriften die Rede war, geschweige denn darüber, was der Inhalt allfälliger Erklärungen ihrerseits zu diesem Thema gewesen sein könnte, nicht vor. Es stand ferner fest, daß zum vermutlichen Zeitpunkt des Gespräches (3.April 1986) der "PROFIL"-Artikel (vom 14.April 1986), der die von Dr. S***** in seiner Privatanklage inkriminierte Textstelle über "W*****'s braune Vergangenheit" enthielt, noch nicht erschienen war und demnach von einem diesbezüglichen Gerichtsverfahren und einer darauf gegründeten besonderen Aktualität von Niederschriften als Beweismittel noch keine Rede sein konnte. Nach der Darstellung der Zeugin Ottilie M***** ist ihr die Existenz einer von ihr verfaßten Mitschrift erst nach ihrer ersten Vernehmung als Zeugin im Privatanklageverfahren (11.März 1987) wieder zu Bewußtsein gekommen (S 158, 161/III; S 190/ON 32 im Akt AZ 9 e E Vr 4.859/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).
Unter Berücksichtigung dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Beweisantrag aktenkundigen Verfahrensergebnisse wäre eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Behauptung durch den beantragten Zeugen als Nachweis lediglich dafür geeignet gewesen, daß die Zeugin Ottilie M***** gegenüber Gert SCH***** die Existenz von privaten Aufzeichnungen über die Parteivorstandssitzung auf Befragen verneinte. Ob diese Verneinung den Tatsachen entsprach oder nicht, und ob Ottilie M***** die an sie gerichtete Frage gegebenenfalls in dem Bewußtsein verneinte, daß eine Mitschrift tatsächlich vorhanden ist, oder ob ihr dies damals nicht bewußt war, wurde weder nach dem Inhalt des Beweisantrages noch nach dem Sachzusammenhang unter Beweis gestellt. Im Hinblick auf den von Ottilie M***** dargelegten Mangel einer konkreten Erinnerung an ein Gespräch über diesen Punkt wäre ein allfällig positives Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme, nämlich der Nachweis, daß sie
Gert SCH***** die Existenz von Aufzeichnungen in Abrede gestellt hat, mit ihrer gerichtlichen Aussage keineswegs im Widerspruch gestanden, weshalb von der Durchführung dieses Zeugenbeweises in Ansehung der Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin von vornherein keine maßgebliche Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen zu erwarten war.
Als geeigneter Nachweis dafür, daß zum Zeitpunkt des Gespräches (3.April 1986) die später vorgelegten Aufzeichnungen mit dem entscheidenden Passus tatsächlich noch gar nicht existiert hätten, kam der angebotene Zeugenbeweis gleichfalls nicht in Betracht. Insofern hätte im Beweisantrag dargetan werden müssen, aus welchen Gründen aus einer Äußerung der Ottilie M***** gegenüber einem Journalisten, über deren Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nicht einmal andeutungsweise etwas vorgebracht worden ist, entgegen den bereits vorliegenden Ergebnissen des Beweisverfahrens, in dem von keiner Seite, insbesondere auch von keinem der beigezogenen Gutachter eine nachträgliche Verfälschung der in Rede stehenden Mitschrift ernsthaft behauptet oder auch nur als besonders wahrscheinlich hingestellt worden ist (ON 73 S 39/III; siehe auch ON 36 S 313 und 327/I sowie ON 64 S 491/I je im Akt AZ 9 e E Vr 4.859/86 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien), sich die Möglichkeit eines solchen Nachweises hätte ergeben können (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 19 zu § 281 Abs. 1 Z 4). Somit mußte der Einzelrichter nach dem aktuellen Verfahrensstand und dem Inhalt des Beweisantrages zwangsläufig die Erkenntnis gewinnen, daß selbst bei einem positiven Ergebnis der beantragten Beweisaufnahme eine Beweismittelmanipulation darnach weiterhin bloße Spekulation geblieben wäre, demnach auch dieser Beweisantrag von vornherein nicht geeignet war, die dem Gericht durch die Gesamtheit der bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse vermittelte Sach- und Beweislage maßgeblich zu verändern (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 83 zu § 281 Abs. 1 Z 4).
Dazu sei nur der Vollständigkeit halber vermerkt, daß der nach Lage des Falles zu fordernden Darlegung einer konkret zu erwartenden Erfolgsaussicht des Beweisanbotes die objektive Grundlage gefehlt hätte, weil in dem von Gert SCH***** verfaßten Artikel "Das Geheimnis der Ottilie M*****" (Beilage C zu ON 86), auf den sich der Beweisantrag bezieht, der Verfasser selbst ausdrücklich betont, er behaupte nicht, daß es dieses Protokoll nicht gegeben habe, es stehe nur fest, daß Ottilie M***** dieses Protokoll verheimlicht habe (dort S 26 linke Spalte).
Der Einzelrichter hat demnach von der Vernehmung des Gert SCH***** im Ergebnis zu Recht und somit ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften Abstand genommen. Demgemäß hat auch das Berufungsgericht zutreffend ausgesprochen (US 11), daß dem Urteil des Einzelrichters insoweit kein nichtigkeitsbegründender Verfahrensmangel (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO) anhaftet.
Schließlich hat sich auch das Berufungsgericht selbst durch die Ablehnung des im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens erneut gestellten Antrages auf Einvernahme des Gert SCH***** als Zeugen zu dem vom Angeklagten vorgebrachten Beweisthema keiner Verletzung von gesetzlichen Vorschriften schuldig gemacht, die der Durchsetzung des Prinzips der Erforschung der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) unter Beobachtung des dem Zweifelsgrundsatz verpflichteten Wesens eines die Verteidigung sichernden Verfahrens dienen (§ 281 Abs. 1 Z 4 StPO). Der Berufungssenat als zweite Tatsacheninstanz hat mit der für sein Zwischenerkenntnis gegebenen Begründung, daß es gleichgültig sei, welche Äußerung Ottilie M***** gegenüber Gert SCH***** bezüglich ihrer Aufzeichnungen gemacht hat oder nicht gemacht hat, weil sie keinesfalls verpflichtet gewesen sei, in einem Privatgespräch die Wahrheit zu sagen (S 515/III), unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er von der - nach dem Inhalt des in der Berufungsverhandlung verlesenen "ERFOLG"-Artikels durchaus naheliegenden - Möglichkeit ausgegangen ist, daß Gert SCH***** die im Beweisantrag aufgestellte Behauptung als Zeuge bestätigen würde und daß im Zuge des fraglichen Gespräches Ottilie M***** auch tatsächlich die behauptete Erklärung, nämlich daß keine Aufzeichnungen existierten, abgegeben haben könnte. Es hat allerdings ebenso klar und deutlich zu erkennen gegeben, daß es auch unter diesen Prämissen keinen Grund findet, der Zeugin den Glauben in bezug auf ihre den Angeklagten belastenden Angaben zu versagen. Dabei hat das Berufungsgericht jedenfalls auch die das fragliche Gespräch mit Gert SCH***** betreffende Aussage der Ottilie M***** in der Berufungsverhandlung mitberücksichtigt, in der sie nach anfänglicher Unsicherheit (S 500/III) dann doch meinte, von der Sache Dr. S***** "sicher" nichts erzählt zu haben, und mehrmals zum Ausdruck brachte, sie hätte eine ihren Besitz von Aufzeichnungen betreffende Frage "sicher" bejaht, wenn diese an sie gerichtet worden wäre (S 502/III). Denn recht besehen, können die Ausführungen des Berufungsgerichtes in seinem Zwischenerkenntnis (S 515/III) sowie im Urteil, soweit es sich mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin Ottilie M***** befaßt (US 11, 27 ff), füglich nicht anders verstanden werden, als daß das Berufungsgericht auch einer allfälligen Divergenz zwischen der (subjektiv) "sicheren" Erinnerung der Zeugin und dem tatsächlichen Inhalt ihres Gespräches mit dem genannten Journalisten (wie er in dessen Zeitungsbericht festgehalten ist) keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat.
Indem aber das Oberlandesgericht selbst unter diesem Aspekt der Zeugin in den entscheidenden Punkten ihrer Aussage Glauben schenkte, hat es sich keineswegs einer - wie die Generalprokuratur es sieht - verpönten vorgreifenden Beweiswürdigung (Mayerhofer-Rieder StPO3 E 78 ff zu § 281 Abs. 1 Z 4) schuldig gemacht, weil es damit durchaus nicht über die Glaubwürdigkeit des erst anzuhörenden Zeugen Gert SCH***** vorweg abgesprochen und dessen Aussage gegenüber jener der Zeugin Ottilie M***** abgewogen hat. Es hat vielmehr den vom Angeklagten in seinem Beweisantrag relevierten Tatumstand als gegeben angenommen, ihn aber in Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und forensischer Erfahrung, und daher im Ergebnis zu Recht, für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin Ottilie M***** für irrelevant angesehen, wobei es zu dieser Auffassung im übrigen auf der Grundlage seiner in unmittelbarer Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse in deren Gesamtheit, insbesondere auch was die Aussagen der Zeugin Ottilie M***** betrifft, gelangt ist. In Wahrheit handelt es sich dabei um den im Rahmen einer kritisch-psychologischen Prüfung der Überzeugungskraft einer bestimmten Beweisaussage völlig legitimen, der freien, an keine Beweisregeln gebundenen richterlichen Beweiswürdigung zuzurechnenden Vorgang, einem Zeugen trotz Annahme einer mit den objektiven Gegebenheiten nicht übereinstimmenden Wiedergabe von Nebenumständen in den entscheidenden Teilen seiner Tatsachenbekundungen dennoch zu folgen. Damit ist aber das Berufungsgericht in einer dem Gesetz entsprechenden Weise seiner Verpflichtung nachgekommen, die in der Haupt-(hier: Berufungs-)verhandlung vorgekommenen Beweismittel (§ 258 Abs. 1 StPO), insbesondere unter Bedachtnahme auf die Beweistauglichkeit von zur Verteidigung angebotenen weiteren Erkenntnisquellen (§§ 3, 281 Abs. 1 Z 4 StPO), auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl im einzelnen als auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen (§ 258 Abs. 2 StPO). Daß unter diesen Umständen dem Beweisanbot der Verteidigung von vornherein auch die Eignung abgesprochen werden durfte, als Nachweis einer Beweismittelmanipulation zu dienen, bedarf keiner besonderen Erörterung mehr.
Es bleibt noch hinzuzufügen, daß der Oberste Gerichtshof keinen Anlaß gesehen hat, im Sinne der Anregung der Generalprokuratur von der ihm zustehenden Befugnis zur Anordnung besonderer Erhebungen gemäß dem § 362 Abs. 1 Z 2 StPO Gebrauch zu machen, weil die dafür vorauszusetzenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zugrunde gelegten Tatsachen nicht bestehen.
Da somit die von der Generalprokuratur behaupteten Gesetzesverletzungen weder dem Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien noch dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht unterlaufen sind, war die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
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