BVwG W204 2195512-1

BVwGW204 2195512-114.5.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2195512.1.00

 

Spruch:

 

W204 2195509-1/13EW204 2195512-1/14E W204 2195490-1/8EW204 2217928-1/8E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des Y XXXX K XXXX , geb. am XXXX 1993, StA Afghanistan, vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde der T XXXX S XXXX , geb. am XXXX 1998, StA Afghanistan, vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des XXXX K XXXX B XXXX geb. am XXXX 2016, StA Afghanistan, vertreten durch die Mutter T XXXX S XXXX , diese vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des XXXX K XXXX B XXXX , geb. am XXXX 2019, StA Afghanistan, vertreten durch die Mutter T XXXX S XXXX , diese vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführer 1.) und 2.) (im Folgenden: BF1 und BF2), afghanische Staatsbürger, reisten in das Bundesgebiet ein und stellten am 08.06.2016 Anträge auf internationalen Schutz.

I.2. Am selben Tag wurden sie durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt.

Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF1 aus, er habe Afghanistan verlassen müssen, weil die Taliban einen seiner Brüder und seinen Vater getötet hätten.

Die BF2 gab an, es seien zwei Brüder des BF1 und dessen Vater getötet worden. Außerdem hätten die Taliban den BF1 aufgefordert, am Jihad teilzunehmen.

I.3. Nachdem der Beschwerdeführer zu 3.) (im Folgenden: BF3) im Bundesgebiet geboren worden war, stellten der BF1 und die BF2 am 18.01.2017 als Vertreter für diesen einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.3. Am 28.03.2018 wurden der BF1 und die BF2 von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari unter anderem zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab der BF1 an, sein Bruder sei von den Taliban umgebracht worden, weswegen er innerhalb Afghanistans umgezogen sei. Dort habe er seine Frau, die BF2, geheiratet, obwohl sie bereits jemand anderem versprochen gewesen sei.

Die BF2 gab zu ihren Fluchtgründen an, ein von ihr namentlich Genannter habe um ihre Hand angehalten, was ihr Vater aber abgelehnt habe. Als sie dann den BF1 geheiratet habe, seien ihr Vater und der BF1 bedroht worden.

Für den BF3 verwiesen beide auf ihre eigenen Fluchtgründe und machten für diesen keine eigenen Fluchtgründe geltend.

I.4. Mit den im Rubrum zu 1.) bis 3.) genannten Bescheiden, den BF am 17.04.2018 zugestellt, wurden die Anträge der BF1 bis BF3 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen wurden erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkte III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte IV.).

Begründend führte das BFA aus, das Vorbringen der BF sei nicht glaubhaft. Der Status eines Asylberechtigten könne daher nicht gewährt werden. Eine Rückkehr sei den BF auch möglich und zumutbar, sodass ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten ebenfalls nicht zuerkannt werden könne. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr der BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.5. Mit Verfahrensanordnungen vom 13.04.2018 wurde den BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Gegen die unter I.4. genannten Bescheide richtet sich die gemeinsam ausgeführte Beschwerde der BF1 bis BF3 vom 11.05.2018, in der beantragt wurde, den BF den Status des Asylberechtigten, in eventu jenes des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, jedenfalls die Rückkehrentscheidungen aufzuheben, in eventu die Bescheide zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

Begründend werde auf das bisher Vorgebrachte verwiesen, das entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft sei. Unabhängig davon lasse die Sicherheits- und Versorgungslage eine Rückkehr der BF nicht zu, sodass ihnen jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.

I.7. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.05.2018 vorgelegt, wobei das BFA beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

I.8. Nach der Geburt des Beschwerdeführers zu 4.) (im Folgenden: BF4) und Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz am 22.02.2019 wurden der BF1 und die BF2 hierzu am 12.03.2019 einvernommen. In dieser Einvernahme verwiesen der BF1 und die BF2 auf ihre Fluchtgründe und machten für den BF4 keine eigenen Fluchtgründe geltend.

I.9. Am 13.03.2019 erging der zu 4.) genannte Bescheid, mit dem über den Antrag des BF4 gleichlautend wie über jenen seiner Familienangehörigen abgesprochen wurde.

I.10. Am 19.04.2019 erhob der BF4 dagegen Beschwerde. Er beantragte und führte aus wie zuvor seine Familienmitglieder. Zusätzlich wurde auf die aktuelle Sicherheitslage Bezug genommen, die eine Rückkehr für Familien mit mehreren minderjährigen Kindern jedenfalls ausschließe. Der Akt des BF4 langte am 25.04.2019 im Bundesverwaltungsgericht ein.

I.11. Am 04.07.2019 zeigte der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung an.

I.12. Am 05.02.2020 legte das BFA einen Abschlussbericht vor, wonach der BF1 der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil des BF4 verdächtig sei.

I.13. Am 19.11.2020 übermittelte das BFA einen Antrag des BF1 auf Änderung der Personendaten.

I.14. Am 09.02.2021 legten die BF Integrationsunterlagen vor.

I.15. Am 12.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die BF und ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu ihrer Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

I.16. Am 22.02.2021 legte der BF1 eine Arbeitsplatzzusage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend die BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

- Befragung der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2021;

- Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

- Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.

II. Feststellungen:

II.1. Zu den BF:

Die BF führen den jeweiligen im Rubrum genannten Namen und die dortigen Geburtsdaten. Ihre Identität kann nicht festgestellt werden. Sie sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitische Muslime. Ihre Muttersprache ist Dari. Der BF1 und die BF2 beherrschen ihre Muttersprache in Wort und Schrift. Der BF1 spricht außerdem Usbekisch.

Der BF1 ist im Distrikt K XXXX in der Provinz Kunduz geboren und aufgewachsen. Wenn die Sicherheitslage es erforderte, lebte der BF1 mit seiner Familie in der Provinz Takhar, aus der die Mutter des BF1 stammt, in T XXXX in C XXXX H XXXX Z XXXX Im Heimatdorf in der Provinz Kunduz lebte die Familie des BF1 in ihrem Eigentumshaus. Die Familie war dort auch Eigentümerin von Grundstücken. In der Provinz Takhar lebte die Familie des BF1 in einem Mietshaus. Im Jahr 1388 (=2009/10) lebte der BF1 in Kabul Stadt. Der BF1 hat keine Schule besucht, wurde jedoch von seiner älteren Schwester unterrichtet. Er arbeitete seit seiner frühen Kindheit als Bäcker unter anderem in Kunduz Stadt, im Zentrum der Provinz K XXXX , in Takhar und in Kabul. Teilweise war der BF1 angestellt, teilweise betrieb er mit einem Partner eine eigene Bäckerei. Durch seine Arbeit war der BF1 in der Lage, seinen eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten und Ersparnisse beiseite zu legen, die er unter anderem zur Begleichung der Schlepperkosten heranzog.

Die BF2 ist in der Provinz Takhar in der XXXX stadt T XXXX im Stadtteil M XXXX S XXXX H XXXX geboren und aufgewachsen. Der Stadtteil wie auch die dortige Moschee sind nach dem Vater der BF2 benannt, der dort zum Ortsältesten gewählt wurde. Die Familie hatte ein Eigentumshaus, weitere Häuser und Grundstücke in der Provinz. Der Vater der BF2 führte außerdem ein sehr großes Geschäft für Autoersatzteile. Der Vater der BF2 war sehr wohlhabend. Er hatte viele Angestellte, die sein Geschäft geführt und die Grundstücke bewirtschaftet haben. Die BF2 hat wie ihre Geschwister die Schule besucht.

Die Wohnorte der BF in Takhar waren zu Fuß ungefähr vier bis zehn Minuten voneinander entfernt.

Der BF1 und die BF2 haben am 01.09.1394 (=22.11.2015) in Takhar geheiratet. Der BF3 und der BF4 sind deren im Bundesgebiet geborenen Söhne. Sie sprechen und verstehen altersgemäß Dari.

Die BF sind nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, sie sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Alle BF sind gesund. Sie leiden weder an chronischen oder akuten Krankheiten noch an anderen Leiden oder Gebrechen. Sie sind nicht in Therapie und nehmen keine Medikamente ein. Der BF1 und die BF2 sind arbeitsfähig.

II.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Weder der Vater noch die Brüder des BF1 wurden von den Taliban aufgrund einer persönlichen Feindschaft ermordet.

Die BF2 war vor ihrer Heirat mit dem BF1 keinem anderen Mann versprochen. Weder die BF noch deren Familien wurden deswegen in Afghanistan bedroht.

Die BF2 hat an mehreren Deutschkursen teilgenommen. Zuletzt besuchte sie einen Deutschkurs A1 Teil 2. Sie versteht und spricht kaum Deutsch. Die BF2 hat bisher nicht gearbeitet und war auch kein Mitglied in einem Verein.

Die BF2 verbringt einen normalen Tag damit, dass sie nach dem Aufstehen den BF3 für den Kindergarten fertig macht, während der BF1 das Frühstück vorbereitet. Vormittags kümmert sich die BF2 um den Haushalt und die Vorbereitung des Mittagessens, bis ihr Mann den BF3 wieder vom Kindergarten abgeholt hat. Gelegentlich geht sie alleine, manchmal auch in Begleitung ihres Mannes einkaufen. Am Nachmittag geht sie öfters mit den Kindern spazieren. Manchmal geht sie auch alleine spazieren.

Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, die für sie zu einem bedeutenden Bestandteil ihrer Identität wurde und aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre, wenn sie diese auch in Afghanistan auslebte.

Den BF droht bei einer Neuansiedlung in Afghanistan keine konkret gegen sie gerichtete, individuelle physische oder psychische Gewalt.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen den BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Der BF3 und der BF4 haben ihren Lebensmittelpunkt bei ihren Eltern, die in der Lage sind, die minderjährigen BF zu schützen. Sie werden altersgerecht in Afghanistan eine Schule besuchen können. Falls ihnen der Schulbesuch verweigert werden sollte, beruht diese Verweigerung nicht auf Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

II.3. Zum (Privat-)Leben der BF in Österreich:

Der BF1 und die BF2 reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und halten sich zumindest seit dem 08.06.2016 durchgehend in Österreich auf. Sie sind nach ihren Anträgen auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Der BF3 und der BF4 halten sich jeweils seit ihrer Geburt durchgehend in Österreich auf. Im Familienverfahren und aufgrund ihrer Anträge auf internationalen Schutz sind auch sie aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig.

Der BF1 besuchte mehrere Deutschkurse bis zum Niveau A2. Er bestand die Prüfung auf dem Niveau A1.

Der BF1 arbeitete seit Juli 2016 regelmäßig in seinen Wohngemeinden im Bereich des Bauhofs, wofür er teils Anerkennungsbeträge erhielt. Von Juli bis November 2018 war er ehrenamtlich in einem Sozialmarkt tätig. Seit 20.01.2021 verrichtet er bei einem Sozialhilfeverband im Rahmen der Freibetragsgrenze gemeinnützige Tätigkeiten im Küchendienst. Zuvor verrichtete er seit Juli 2020 gemeinnützige Tätigkeiten (Unterstützung Gartenarbeit) in einem Alten- und Pflegeheim im Ausmaß von 22 Stunden pro Monat. Ebenso beschäftigt er sich ehrenamtlich in seiner Unterkunft. Zwischen dem 08.04.2020 und 16.05.2020 war der BF als Erntehelfer beschäftigt. Dafür erhielt er netto insgesamt € XXXX . Ab Mai 2021 hat der BF1 eine Arbeitsplatzzusage.

Der BF3 besucht den Kindergarten. Der BF4 ist zu Hause. Innerhalb der Familie wird ausschließlich auf Dari kommuniziert. Aufgrund der afghanischen Nachbarschaft der Familie und dem Umstand, dass sich die Familie ansonsten nicht in die österreichische Gesellschaft integrierte, versteht und spricht, soweit letzteres in seinem Alter möglich ist, der BF4 nur Dari.

Die BF sind strafrechtlich unbescholten. Sie beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

II.4. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Der Vater des BF1 ist verstorben. Seine Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern leben in der Provinz Takhar am früheren Wohnort des BF1. Eine Schwester ist verheiratet. Ein weiterer Bruder des BF1 lebt in der Türkei. Der Aufenthaltsort eines weiteren verheirateten Bruders ist dem BF1 unbekannt. Der in der Türkei lebende Bruder arbeitet. Ebenso arbeiten seine volljährigen, in Afghanistan lebenden Brüder. In der Provinz Kunduz verfügt die Familie noch über landwirtschaftliche Grundstücke, die derzeit aufgrund der dortigen Sicherheitslage brachliegen. In Takhar hat die Familie landwirtschaftliche Grundstücke angemietet und lässt diese durch Angestellte bestellen. Die Erträge daraus fließen der Familie zu.

Der Vater, die Mutter sowie fünf Brüder und zwei Halbbrüder der BF2 leben in Afghanistan in der Provinz Takhar am früheren Wohnort der BF2. Ebenso leben dort zwei ältere und eine jüngere Schwester der BF2. Die älteren Schwestern haben Lehramt studiert und arbeiten als Lehrerinnen. Die jüngere Schwester hat die Schule ebenfalls bereits abgeschlossen. Weitere (Halb-)Schwestern der BF2 leben ebenfalls in Afghanistan. Eine davon lebt in Kabul. Die Schwager der BF2 arbeiten ebenfalls, zwei arbeiten als Wachleute. Die Familie verfügt im Heimatort nach wie vor über ein hohes Ansehen sowie die landwirtschaftlich genutzten Grundstücke, Häuser und das große Geschäft für Autoersatzteile. Die Familie der BF2 ist für afghanische Verhältnisse überdurchschnittlich reich.

In Afghanistan leben weiters ein Onkel väterlicherseits, zwei Onkel mütterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits der BF2.

Sowohl der BF1 als auch die BF2 haben Kontakt zu ihren Familien.

Die BF können bei einer Ansiedlung in Afghanistan von ihren Angehörigen umfassend finanziell und organisatorisch unterstützt werden. Die Angehörigen sind unterstützungsfähig und –willig. Sie haben die BF auch bisher unterstützt. Ebenfalls können die BF Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Die BF sind anpassungsfähig und der BF1 und die BF2 können einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr an ihren letzten Wohnort droht den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit. Das Dorf ist für sie sicher erreichbar. Die BF könnten bei einer Rückkehr dorthin in einem Haus der Familie wohnen. Der BF1 wäre dort in der Lage, wieder als Bäcker zu arbeiten und dadurch den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Er könnte auch im Unternehmen seines Schwiegervaters mitarbeiten. Die BF wären dort in der Lage, grundlegende Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, zu befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können dabei von ihrer Familie unterstützt werden.

Den BF wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Kabul, Herat Stadt oder Mazar-e Sharif kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Die Städte sind über den Luftweg sicher erreichbar.

Die BF können bei einer Rückkehr nach und Ansiedlung in Afghanistan auch in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat von ihren Angehörigen finanziell in außergewöhnlich hohem Ausmaß sowie organisatorisch unterstützt werden. Sie können auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und den vom BF1 angesparten Betrag für ihre Rückkehr nutzen. Die BF können mithilfe ihrer Verwandten in Afghanistan auch bereits aus dem Bundesgebiet eine Unterkunft organisieren. In Kabul können sie vorübergehend bei der Schwester der BF2 leben. In Herat und Mazar-e Sharif können sie sich mithilfe der finanziellen Unterstützung ihrer Familienangehörigen eine Wohnung oder ein Haus mieten. Dadurch stehen den BF mit der Ankunft eine sofortige Unterkunft, grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und die notwendigen Lebensgrundlagen zur Verfügung. Dem BF1 ist es durch seine Kontakte am Arbeitsmarkt und seine Berufserfahrung möglich, sich am jeweiligen Arbeitsmarkt (wieder) einzugliedern und einen Beruf auszuüben. Bereits bisher war er in der Lage, in verschiedenen Orten und Städten als Bäcker zu arbeiten. Auch die BF2 könnte, so sie dies wollte, durch ihre eigene Arbeitstätigkeit, allenfalls auch von zu Hause aus, zum Familieneinkommen beitragen.

Die BF sind in ihrem letzten Wohnort, in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif keiner realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt. Sie wären aufgrund der bloßen Anwesenheit wegen der dortigen jeweiligen Lage keiner integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt. Die BF wären im Stande, aus Eigenem für ein ausreichendes Einkommen zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zu sorgen. Sie können grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es wäre den BF möglich, ein Leben wie ihre Landsleute zu führen. Hinzu kommt, dass sie mit einer außerordentlich hohen Unterstützung ihrer Familienmitglieder rechnen dürfen. Die minderjährigen BF haben ihren Lebensmittelpunkt in der Familie. Ihnen droht keine reale Gefahr einer Gewalt durch die Familie oder in der Schule. Sie werden von ihrer Familie beschützt werden.

II.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (LIB);

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR);

- UNHCR: Afghanistan, Compilation of Country of Origin Information (COI) Relevant for Assessing the Availability of an Internal Flight, Relocation or Protection Alternative (IFA/IRA/IPA) to Kabul, December 2019;

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019);

- EASO Country Guidance Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO 2020);

- EASO Country Guidance 2020 vom 29.01.2021

- EASO Bericht Afghanistan Networks (EASO Netzwerke);

- EASO: Afghanistan - Key-socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City (August 2020) (EASO Indikatoren);

- EASO: Afghanistan - Security Situation (September 2020) (EASO Security);

- EASO: Afghanistan - State Structure and Security Forces (August 2020) (EASO State);

- EASO: Afghanistan - Afghanistan, Anti-Government Elements (AGEs) (August 2020) (EASO AGEs);

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif);

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat) und

- Ecoi.net-Themedossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Sharif (ecoi).

II.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktszentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten (LIB, Kapitel 5). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B). Zwischen 01.03.2019 und 30.06.2020 wurden 15.287 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, wovon 573 Vorfälle sich gegen Zivilisten richteten (EASO Security, 1.3.). Während des ersten Viertels 2020 blieb der Konflikt in Afghanistan einer der tödlichsten der Welt für Zivilisten. Zwischen 01.01.2020 und 30.06.2020 dokumentierte UNAMA 3.458 zivile Vorfälle, inkludierend 1.282 Tote und 2.176 Verletzten. Das stellt einen Rückgang von 13% zur Vorjahresperiode dar. Dieser allgemeine Rückgang ist auf einen Rückgang von Luftschlägen und einer Reduzierung der IS Aktivitäten zurückzuführen (EASO Security, 1.4.1.). Zwischen 01.01.2020 und 30.09.2020 wurden von UNAMA 5.939 zivile Opfer gezählt, das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang um 13% und den niedrigsten Wert seit 2012. Im gesamten Jahr 2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013. Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 7).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus. High-Profile Angriffe (HPAs) ereigneten sich insbesondere in der Hauptstadtregion (LIB, Kapitel 5). Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant (LIB, Kapitel 5).

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 4).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet, wobei die afghanische Regierung daran weder beteiligt war noch von ihr unterzeichnet wurde. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen ist von der Einhaltung der Taliban an ihren Teil der Abmachung abhängig. Die Taliban haben im Abkommen unter anderem zugesichert, terroristischen Gruppierungen keine Zuflucht zu gewähren und innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (LIB, Kapitel 4).

Die Taliban haben jedoch die politische Krise aufgrund der Präsidentschaftswahl als Vorwand genutzt, den Einstieg in die Verhandlungen hinauszuzögern. Außerdem werfen sie der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung nicht einzuhalten und setzen ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4). Diese Angriffe der Taliban richten sich gegen die ANDSF und nicht gegen internationale Kräfte (EASO Security, 1.3.). Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar. Die Gewalt hat allerdings trotzdem nicht nachgelassen (LIB, Kapitel 4).

II.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant (LIB, Kapitel 22).

Einer Prognose der Weltbank vom Juli 2020 zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Afghanistans im Jahr 2020 als Folge der COVID-19-Maßnahmen zwischen 5,5 und 7,4 % schrumpfen, was die Armut verschlimmern und zu einem starken Rückgang der Staatseinnahmen führen werde. Schon 2019 ist das absolute BIP trotz Bevölkerungswachstums das zweite Jahr in Folge gesunken. Seit 2013 ist auch das Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf stark zurückgegangen, von rund 660 auf 540 US-Dollar im Jahr 2019 (EASO Indikatoren, Kapitel 2.1.1.). Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB, Kapitel 22).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tägliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 22).

Die Lage am afghanischen Arbeitsmarkt, der vom Agrarsektor dominiert wird, bleibt angespannt und die Arbeitslosigkeit hoch. Es treten viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, der nicht in der Lage ist, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit, allerdings beratende Unterstützung, die auch Rückkehrende in Anspruch nehmen können (LIB, Kapitel 20).

Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020 Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5). In den ländlichen Gebieten leben bis zu 60% der Bevölkerung unter der nationalen Armutsgrenze, in den urbanen Gebieten rund 41,6% (LIB, Kapitel 22).

Afghanistan ist weit von einem Wohlfahrtsstaat entfernt. Afghanen rechnen auch nicht mit staatlicher Unterstützung. Die fehlende staatliche Unterstützung wird von verschiedenen Netzwerken ersetzt und kompensiert (LIB, Kapitel 22).

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungssicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. Im ersten Halbjahr 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben, wobei gemäß des WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um zwischen 18-31% gestiegen sind. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die COVID-19-Krise führte zu einem deutlichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit und einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein (LIB, Kapitel 3).

Ebenfalls infolge der COVID-19-Maßnahmen, insbesondere aufgrund von Grenzschließungen und Exporteinschränkungen, kam es ab März 2020 zu einem starken Anstieg der Nahrungsmittelpreise. So ist etwa der Preis für Weizenmehl in ganz Afghanistan gestiegen. Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) geht davon aus, dass viele Haushalte aufgrund reduzierter Kaufkraft nicht in der Lage sein werden, ihren Ernährungs- und essentiellen Nicht-Ernährungs-Bedürfnissen nachzukommen. UNOCHA zufolge hat sich der Ernährungszustand von Kindern unter fünf Jahren in den meisten Teilen Afghanistans verschlechtert, wobei in 25 der 34 Provinzen Notfalllevels an akuter Unterernährung erreicht würden (EASO Indikatoren, Kapitel 2.4.1.).

Zur Beeinflussung des Arbeitsmarkts durch COVID-19 gibt es keine offiziellen Regierungsstatistiken, es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat. Die afghanische Regierung warnt vor einer Steigerung der Arbeitslosigkeit um 40%. Aufgrund der Lockdown-Maßnahmen habe in einer Befragung bis Juli 2020 84% angegeben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Fall einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten, bei einer vierwöchigen Quarantäne steigt diese Zahl auf 98%. Insgesamt ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen negativ betroffen sind. Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (LIB, Kapitel 3).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war. 2019 waren 10,2 Millionen von Lebensmittelunsicherheit betroffen, während 11,3 Millionen humanitäre Hilfe benötigen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich und es gibt mittlerweile mehrere Banken. Auch ist es relativ einfach, ein Bankkonto zu eröffnen. Außerdem kann über das sogenannte Hawala-System Geld einfach und kostengünstig weltweit transferiert werden (LIB, Kapitel 22).

II.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge gab es 2018 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei rund 87 % der Bevölkerung eine solche innerhalb von zwei Stunden erreichen könnten. Laut WHO gab es 2018 134 Krankenhäuser, 26 davon in Kabul (EASO Indikatoren, Kapitel 2.6.1.; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Staatsbürger zur Verfügung zu stellen. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Voraussetzung dafür ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis oder Tazkira. Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung findet jedoch kaum bis gar nicht statt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist allerdings sichergestellt, weniger dagegen auf der Ebene von Distrikten und Dörfern. Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen – auch bei kleineren Eingriffen – ins Ausland. Das ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (LIB, Kapitel 23).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 23).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sowie auch spezialisierte Kliniken sind grundsätzlich verfügbar. Außerdem werden sie als in der afghanischen Gesellschaft als schutzbedürftig betrachtet und werden als Teil der Familie gepflegt (LIB, Kapitel 23.1).

II.5.3.1. COVID-19

Der erste offizielle Fall in Afghanistan wurde Ende Februar 2020 festgestellt. Nach einer Umfrage des afghanischen Gesundheitsministeriums hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (LIB, Kapitel 3).

Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Bevölkerung unabhängig von etwaigen Ausgangsbeschränkungen dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).

Durch die COVID-19-Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. 53% der Bevölkerung haben nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten (LIB, Kapitel 3).

II.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 18).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlich politischen Einfluss im Land. In Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 18.2.)

II.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 17).

II.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 12).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

II.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 20).

Nach Schließung einiger Grenzübergänge aufgrund der COVID-19 Pandemie sind nunmehr alle Grenzübergänge wieder geöffnet. Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandahar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen. Auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt. Ebenso verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führ zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (LIB, Kapitel 3).

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten. In Kabul ist die Fluktuation aufgrund verschiedener Faktoren größer, was oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht, dass man seine Nachbarn nicht mehr kenne (LIB, Kapitel 20).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 20.1).

II.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 5).

Taliban:

Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und –pflichten einer typischen Regierung. Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt. Sie bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (LIB, Kapitel 5).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 5).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug geschätzt etwa 40.000-85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf 100.000 ansteigt. (LIB, Kapitel 5).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind. Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami bekannt ist. Diese Gruppe ist gegen den US-Taliban Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (LIB, Kapitel 5).

Laut dem unabhängigen Afghanistan-Experten Borhan Osman rekrutieren die Taliban in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos, in Madrasas und ethnisch paschtunisch ausgebildet sind. Die Rekrutierung erfolgt normalerweise über die Militärkommission der Gruppe und den Einsatz in Moscheen sowie über persönliche Netzwerke und Familien von Kämpfern, von denen viele motiviert sind, „die westlichen Institutionen und Werte, die die afghanische Regierung ihren Verbündeten abgenommen hat, zutiefst zu verabscheuen“. Anstatt Gehälter zu zahlen, übernehmen die Taliban die Kosten (EASO AGEs, 2.4.). Die Taliban Kämpfer werden von einem Bericht in zwei Kategorien eingeteilt. Einerseits professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind. Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch sind (LIB, Kapitel 5).

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida und verfügt über Kontakte zu IS. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 5).

Islamischer Staat (IS/Daesh) – Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):

Der IS bezeichnet sich in Afghanistan selbst als Khorosan Zweig des IS. Eine Verbindung mit dem IS im Irak und in Syrien ist aber nicht erwiesen Die Stärke des ISKP variiert zwischen 2.500 und 4.000, bzw. 4.500 und 5.000 Kämpfern (LIB, Kapitel 5).

Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. In letzter Zeit geriet der ISKP unter großem Druck und verlor auch seine Hochburg in Ostafghanistan. Er soll jedoch weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein. Die landesweite Mannstärke des ISKO hat sich seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf zwischen 200 und 300 Kämpfern reduziert (LIB, Kapitel 5).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Verlust des Territoriums ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB, Kapitel 5).

Der ISKP ist mit den Taliban verfeindet und betrachtet diese als Abtrünnige. Während die Taliban ihre Angriffe auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken, zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (LIB, Kapitel 5).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 5).

II.5.9 Provinzen und Städte

II.5.9.1. Herkunftsprovinz Takhar

Takhar liegt im Nordosten Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.093.092 Personen geschätzt. Zwei Drittel der Bevölkerung sind Tadschiken, ein Viertel Usbeken, weiters leben in der Provinz Paschtunen, Hazara, Gujari, Paschai und Araber. Eine Verbindungsstraße führt von Kunduz durch die Provinz Takhar (Distrikte Kalafgan, Taloqan und Bangi) nach Badakshan. Die Taliban betreiben Kontrollpunkte entlang der Strecke (LIB, Kapitel 5.31).

Takhar zählt zu den volatilen Provinzen. Der Großteil der Distrikte ist zwischen Aufständischen und Regierungstruppen umkämpft beziehungsweise unter Kontrolle der Taliban. Sechs Distrikte waren umkämpft, vier wurden von den Taliban kontrolliert, sieben sind unter Regierungskontrolle. Die Taliban heben in der Provinz Steuern von Landwirten und Wirtschaftstreibenden ein. Die Taliban griffen auch die Provinzhauptstadt an. Der Angriff konnte jedoch abgewehrt werden. Neben den Taliban sind auch andere islamistische Gruppierung in der Provinz aktiv, unter anderem auch Zellen des IS. Für das Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 240 zivile Opfer (88 Tote und 152 Verletzte). Das entspricht einer Steigerung von 25% gegenüber 2019. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 5.31.; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 3.3.).

In der Provinz Takhar kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 3.3.).

II.5.9.2. Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 5.5).

Balkh zählte zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, auch wenn sich im Jahr 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge ereignet haben. Diese fanden meist in der Nähe der Blauen Moschee statt. Ziel der Anschläge sind Sicherheitskräfte, es fallen ihnen jedoch auch Zivilisten zum Opfer. Im Jahr 2020 gab es 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (LIB, Kapitel 5.5). Balkh zählt zwar nach wie vor zu einer Provinz, in der die Taliban eine kleinere Präsenz als im übrigen Nordens Afghanistans haben, allerdings hat sich ihr Einfluss im Jahr 2019 vergrößert (EASO Security, 2.5.2.).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

Im Jahr 2020 zählte die Provinz nach Angaben des UN Generalsekretärs zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (LIB, Kapitel 5.5.). Das Konfliktmuster im Distrikt Mazar-e Sharif, zu dem auch die Provinzhauptstadt gehört, unterschied sich vom allgemeinen Muster in der Provinz Balkh und in den verschiedenen Distrikten. Auch Mazar-e Sharif war einer der Bezirke in der Provinz Balkh, in denen eine geringere Anzahl von Vorfällen gemeldet wurde (EASO Security, 2.5.3.1.).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt sowie im Distrikt Marmul findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

II.5.9.3. Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.140.662 Einwohner, davon geschätzt 574.276 in der Provinzhauptstadt Herat Stadt. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 5.13).

Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktsebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte als unsicher gelten, kam es in Herat Stadt in den letzten Jahren zwar zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, allerdings nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die einen Einfluss auf das tägliche Leben gehabt hätten. Je weiter man sich von der Stadt Herat (die als sehr sicher gilt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban. Im Jahr 2020 gab es 339 zivile Opfer (124 Tote und 215 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 15% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (LIB, Kapitel 5.13, EASO Security 2.13.3.1.).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

II.5.9.4. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat geschätzt 4.434.550 Einwohner. Andere Berichte schätzen die Einwohnerzahl zwischen 3.5 und 6.5 Millionen. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 5.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 5.1 und Kapitel 5.35).

In den von neu eingewanderten Bewohnern bewohnten Stadtvierteln entsteht eine dofgesellschaftsähnliche Gemeinschaft. Die Verbindung dieser zu ihren früheren Herkunftsorten ist meistens direkter als zum Zentrum Kabuls (LIB, Kapitel 5.5.).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul und alle Distrikte gelten las unter Regierungskontrolle. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen in den letzten Jahren insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2020 gab es 817 zivile Opfer (255 Tote und 562 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren gezielte Tötungen, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordanschlägen (LIB, Kapitel 5.1). Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen in Kabul richten sich zumeist gegen Regierungsinstitutionen, militärische und zivile Einrichtungen der afghanischen Regierung und internationaler Organisationen sowie Justizbedienstete, Gesundheitsbedienstete, Entwicklungshelfer und Menschenrechtsaktivisten. Zusätzlich wird auch von Angriffen gegen Medien berichtet. Vom 01.03.2019 bis zum 30.06.2020 richteten sich demnach von insgesamt 142 Vorfällen 22 gegen Zivilisten. Die Zahl der Anschläge ging nach einem Anstieg im ersten Halbjahr 2018 zudem seitdem bis 2019 zurück, während sich im dritten Quartal 2019 – wie in gesamt Afghanistan – die Zahl der Anschläge wieder erhöhte. Seitdem ging die Zahl wieder zurück, während sie seit dem zweiten Quartal 2020 wieder stieg. Die Anschläge richten sich jedoch nicht mehr so häufig wie früher auf „high-profile“ Ziele, sondern es stieg vielmehr die Zahl gezielter Tötungen vor allem von Regierungsangehörigen. Die Anschläge richteten sich in der überwiegenden Zahl gegen Regierungseinrichtungen (EASO Security, 2.1.3.1.).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO 2019, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

Rund ein Drittel aller Rückkehrer nach Afghanistan lebt entweder in Kabul oder Nangarhar. Während 2018 landesweit 46 % der Binnenvertriebenen angaben, der Zugang ihres Haushalts zu wichtigen Lebensgrundlagen wäre eingeschränkt, war die Situation in Kabul mit einem Anteil von 33 % etwas besser (EASO Indikatoren, Kapitel 2.2.3.). Während aus Kabul keine gewaltbedingte Vertreibung feststellbar ist, nimmt Kabul nach wie vor gewaltbedingt Vertriebene und Rückkehrer auf (EASO Security, 2.1.3.2.).

Intern Vertriebene in Kabul siedeln sich oftmals in den Außenbezirken der Stadt wie Bagrami an, wo sie sich oftmals mit anderen vulnerablen Gruppen, wie Armen, Rückkehrern und Wirtschaftsmigranten vermischen. Der Mangel an adäquaten Land und leistbaren Häusern im städtischen Gebiet zwingt die meisten neuen und langwierig Binnenvertriebene in Zelten, Lehmhäusern oder unter Planen in einen der mehr als 55 informell und illegalen Siedlungen zu leben. Diese Informalen (Kabul) Siedlungen (ISET oder KIS) variieren in Größe von dutzenden bis hunderten Wohnungen und inkludieren einige der ärmsten und vulnerabelsten Haushalte in der Stadt. Aufgrund der limitierten Jobmöglichkeiten, der geringen oder keiner schützenden sozialen Netze, der schlechten Unterbringungs-/Lebensbedingungen, des behinderten Zugangs zu Bildung und Gesundheitsversorgung und der anhaltenden Angs vor Räumung sind die Vertriebenen an den KIS Standorten prekären Lebensbedingungen und erhöhten Schutzrisiken in ihrem täglichen Leben ausgesetzt. Sie werden häufig zu sekundären Vertreibungs- und negativen Bewältigungsstrategien wie Kinderarbeit, Drogenkonsum / Sucht, frühzeitiger Heirat und Verringerung der Quantität und Qualität von Lebensmitteln gezwungen (EASO Security, 2.1.3.2.).

Abgesehen von internen Vertreibungen aufgrund von Konflikten kommen in Kabul große Zuströme afghanischer Flüchtlinge aus den Nachbarländern (Pakistan und Iran) oder aus der Türkei (nach der Deportation aus Europa), was die Dienstleistungen der Stadt und ihre Wiedereingliederungskapazität weiter belastet. Viele Rückkehrer landen in der Hauptstadt wegen der relativ höheren Sicherheit als in ihren Herkunftsregionen und wegen der Erwartung von mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, besseren Unterstützungsdiensten und Aussichten auf soziale Akzeptanz. Es werden nur wenige Spannungen gemeldet, aber ein erhöhter Druck auf die lokalen Ressourcen, Arbeitsplätze, Dienstleistungen und Einrichtungen, die sowohl bei Rückkehrern als auch bei Aufnahmegemeinschaften Angst hervorrufen, werden aus mehreren Quellen beschrieben. Die meisten Rückkehrer in Kabul Stadt sind auf Verwandte angewiesen, um Unterkunft und andere Sachleistungen zu erhalten. Die Bedeutung sozialer Netzwerke wird als entscheidend für Rückkehrer angegeben. Wenn Rückkehrer ursprünglich nicht aus Kabul stammen und kein Sicherheitsnetz oder keine Großfamilie in der Hauptstadt haben, haben sie Schwierigkeiten, sich selbst zu ernähren, Arbeit zu finden oder eine Unterkunft zu mieten. Hazara-Rückkehrer, die nach Kabul kommen, können im Allgemeinen auf eine bessere Unterstützung durch eine Reihe hoch entwickelter sozialer Netzwerke in ihrer gut organisierten und zusammenhängenden Gemeinschaft zählen (EASO Security 2.1.3.2.).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 72% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

II.5.9.5. Mazar-e Sharif, Herat Stadt und Kabul Stadt

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 5.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 5.35). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (LIB, Kapitel 22). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis: Afghanistan, 5).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. In Mazar-e Sharif sind die Häuser zu 66,5% im Eigentum der dort lebenden, während etwa 24,5% ihre Unterkunft mieten (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

Die in der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und Rückkehrerinnen letztlich unterkommen, teilt UNHCR in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie ist das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. In der zweiten Kategorie befinden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“), welche sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden. Dort gibt es ein gewisses Maß an Infrastruktur, und humanitäre Organisationen bieten dort ein gewisses Ausmaß an Unterstützung an. Es gibt dort einen gewissen Zugang zu soliden Unterkünften, Bildung und medizinischer Versorgung. Die beiden größten längerfristigen Siedlungen bzw. Stätten sind das Sakhi-Camp (20 km nordöstlich der Stadt), Qalen Bafan (im westlichen Teil von Mazar-e Scharif), sowie Zabihullah (etwa 20 km südöstlich der Stadt). Die dritte Kategorie von Gebieten sind jene Siedlungen oder Stätten, die erst vor kürzerer Zeit und aufgrund der anhaltenden und zunehmenden Vertreibung entstanden sind. Diese Siedlungen, die in der Regel von der Regierung nicht anerkannt werden, befinden sich häufig auf Landstrichen mit unklaren Eigentumsverhältnissen. In diesen neueren Siedlungen leben viele Menschen in Zelten, oft unter prekären Bedingungen und mit stark eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe. Es mangelt dort an Wasser, Strom und sozialen Einrichtungen. Im Prinzip ist die Situation hinsichtlich des Zugangs zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasser und anderen Dienstleistungen umso schlimmer, je weiter außerhalb der Stadt jemand lebt, wobei die Situation in den informellen Siedlungen bzw. Stätten am schlimmsten ist. Ob allerdings die Situation in der Innenstadt besser ist, hängt von den individuellen - insbesondere finanziellen - Umständen eines Binnenvertriebenen oder Rückkehrers ab (ACCORD Masar-e Sharif).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Mazar-e Sharif befindet sich auf einer Karte zur Ernährungssicherheit auf Stufe 2, was „stressed“ bedeutet. Das heißt, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ecoi 3.1.).

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 5.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 5.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 3.3.).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 22).

In der Stadt Herat gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Herat).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

Die größten und bedeutendsten IDP- und Rückkehrerinnen-Siedlungen in Herat- Stadt und Umgebung sind: Shahrak-e-Sabz (im Distrikt Gusara), Kahddestan (im Distrikt Indschil), Shaidayee (5km östlich der Stadt Herat) und Urdo Bagh. Die Versorgung der dort lebenden Menschen ist schlecht, der Zugang zur Grundversorgung ist eingeschränkt (ACCORD Herat).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (90,7%), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81% zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Herat befindet sich auf einer Karte zur Ernährungssicherheit auf Stufe 2, was „stressed“ bedeutet. Das heißt, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ecoi 3.1.).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Zu den wichtigsten Arbeitsgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 22).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. In Kabul gibt es zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO 2019, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V; EASO 2020, Kapitel Common analysis, 5). Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist in Kabul einfacher als in anderen Städten. Die große Zahl an Neuankömmlingen hat den Zugang jedoch eingeschränkt, insbesondere für jene, die sich private Krankenhäuser nicht leisten können. 2019 gaben 33 % der Haushalte in Kabul an, keinen Zugang zu einem – öffentlichen oder privaten – Gesundheitszentrum in ihrer Nähe zu haben, was 72 % davon auf die sehr hohen Kosten der Leistungen zurückführten (EASO Indikatoren, Kapitel 2.6.2.).

II.5.10. Situation für Rückkehrer und Rückkehrerinnen

In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Der Großteil der Rückkehrer kommt aus den Nachbarländern Iran und Pakistan. Aufgrund der sinkenden Anerkennungszahlen von Flüchtlingen in Europa steigt auch die Zahl der freiwilligen Rückkehrer aus dieser Region. Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (LIB, Kapitel 24). Als Vorsichtsmaßnahme in Zusammenhang mit COVID-19 hat UNHCR die freiwillige Rückführung registrierter afghanischen Flüchtlinge aus Pakistan, dem Iran und anderen Ländern mit 04.03.2020 eingestellt. Für den Iran wurde diese ab 30.04.2020 auf Wunsch iranischer Behörden wiederaufgenommen (EASO Indikatoren, Kapitel 1.2.2.). Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan war im September 2020 über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (LIB, Kapitel 24).

UNHCR zufolge haben die COVID-19-Pandemie und die Lockdown-Maßnahmen dazu geführt, dass viele afghanische Flüchtlinge im Iran und Pakistan ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen können, und deshalb aus beiden Ländern trotz weiterhin bestehender Risiken und Unsicherheit nach Afghanistan zurückkehren. Dies könne medizinische und soziale Leistungen in Afghanistan massiv unter Druck setzen (EASO Indikatoren, Kapitel 1.2.2.).

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder nach Iran, Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (LIB, Kapitel 24).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 24).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 24).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 24).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 24).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 24).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 24). Unter Rückkehrern aus den Jahren 2016-17 lebten 58 % nach ihrer Rückkehr in gemieteten Unterkünften, 22 % in „anderen Arrangements“ (bei der Familie, in einem leerstehenden/besetzten Haus, in informellen Siedlungen) und 20 % in einem eigenen Haus. Der Eigenheimanteil ist damit deutlich geringer als in der allgemeinen Bevölkerung (EASO Indikatoren, Kapitel 2.7.4.).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 24).

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen. Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden. Die Umsetzung des Programms ist aufgrund der Korruption schwierig und nicht immer möglich (LIB, Kapitel 24).

Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 24).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Kapitel 24).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

- Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

- Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten)

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Kapitel 24).

IOM hat mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union das Projekt „RADA“ (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. Innerhalb dieses Projektes gibt es eine kleine Komponente (PARA - Post Arrival Reception Assistance), die sich speziell an zwangsweise rückgeführte Personen wendet. Der Leistungsumfang ist stark limitiert und nicht mit einer Reintegrationsunterstützung vergleichbar. Die Unterstützung umfasst einen kurzen medical check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.). Diese ist jedoch nur für Rückkehrer zugänglich die über den internationalen Flughafen von Kabul reisen (LIB, Kapitel 24).

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2019), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht. Die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul liegt durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard muss zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden. Auch in Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Dies gilt auch für Rückkehrer. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankt unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich. Einer anderen Quelle zufolge liegen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat. Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden. Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel. Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen. Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls sind höher. In ländlichen Gebieten kann man mit mind. 50 % weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (LIB, Kapitel 24).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 24.1.).

II.5.11. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Von ca. acht Millionen Schulkindern sind etwa drei Millionen Mädchen. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. UNAMA zählte 2020 2.019 zivile minderjährige Opfer, darunter 565 getötete und 1.454 verletzte Kinder, das ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr von 25%. 2019 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus (LIB, Kapitel 18.2.).

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt – mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt bei 18,4 Jahren, die Volljährigkeit beginnt mit dem 18. Geburtstag (LIB, Kapitel 18.2.).

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (LIB, Kapitel 18.2.).

Schulbildung in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundarbildung) verpflichtend. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung, ob ein Kind tatsächlich in der Schule eingeschrieben wird, hängt vom Bildungsstand der Familie ab. Vom Staat wird Bildung bis zum Hochschulabschluss in staatlichen Bildungseinrichtungen grundsätzlich kostenlos zur Verfügung gestellt, das Bildungsministerium hat aber keine ausreichenden Ressourcen, um die Bedürfnisse für ganz Afghanistan abzudecken. Weiterhin werden 3,7 Millionen Kindern zwischen 7 und 17 Jahren Schulbildung vorenthalten, 60% davon sind Mädchen (LIB, Kapitel 18.2.).

In Afghanistan existieren zwei Bildungssysteme parallel zueinander. Für den Religionsunterricht sind die Mullahs in den Moscheen zuständig, für den kostenlosen akademischen Unterricht an den staatlichen Schulen sorgt die Regierung (LIB, Kapitel 18.2.).

Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen. Der Unterricht in öffentlichen Bildungseinrichtungen ist bis einschließlich der Universität kostenlos. Nur private Schulen und Universitäten erheben Studiengebühren. Die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern, jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend (LIB, Kapitel 18.2.).

Gemäß Schätzungen der CSO besuchten im Zeitraum 2016-17 landesweit 56,1% der Kinder im Grundschulalter eine Grundschule. Es existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts und Wohnorts: Während 77,5% der Buben in urbanen Gebieten und 66% in ländlichen Gebieten eine Grundschule besuchten, waren es bei den Mädchen nur 45,5% im städtischen Raum und 40,3% auf dem Land. Nur schätzungsweise 6,6% der Angehörigen der nomadischen Gruppe der Kuchi im Grundschulalter besuchten im Zeitraum 2016-17 eine Grundschule (10% der Buben und 2,5% der Mädchen). Im Bereich der sekundären und tertiären Schulbildung (Mittelschule/höhere Schule, bzw. Universität) sind die Schulbesuchsraten in allen genannten Gruppen niedriger. Die Schulbesuchsrate unter Buben aus Rückkehrerfamilien lag bei 55%, während es bei den Mädchen nur 30% waren. Unter den Binnenvertriebenen (internally displaced persons, IDPs) besuchten 64% der Buben und 42% der Mädchen eine Schule. Damit beispielsweise Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern und Rückkehrerinnen aus Pakistan auch die Möglichkeit zum Schulbesuch haben, arbeitet das Norwegian Refugee Council (NRC) mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern (LIB, Kapitel 18.2.).

Als Gründe für die niedrigen Schulbesuchsraten werden insbesondere bei Mädchen kulturelle Gegebenheiten, wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit und die Distanz bis zur nächsten Schule genannt. Für alle Kinder ist Armut neben Wohnort, Geschlecht und etwaigen Behinderungen, ein bestimmender Faktor für den Schulbesuch oder -abbruch, bzw. Nichteintritt. Kinder mit psychischen Problemen, Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten, unterschiedlichem linguistischen Hintergrund, Bewohner von Slums, Straßenkinder, Kinder von saisonal migrierenden Familien, Flüchtlinge und Binnenvertriebene gehen einer Studie zufolge überproportional oft nicht zur Schule. Ebenso wirkt sich Kinderarbeit negativ auf den Bildungsverlauf der betroffenen Kinder aus (LIB, Kapitel 18.2.).

Neben der Qualität der Ausbildung ist die niedrige Schuleintrittsrate ein Hauptproblem des afghanischen Bildungssystems, auch wird von Mängeln hinsichtlich der Infrastruktur der Schulen – beispielsweise bei der Strom- und Wasserversorgung sowie den Sanitäranlagen – bzw. fehlenden Schulgebäuden berichtet. Die Gelder für die Instandhaltung der Schulen sind sehr gering und so werden diese oft von den Eltern zur Verfügung gestellt, oder internationale Organisationen wie UNICEF führen Wartungsarbeiten bzw. Reparaturen durch. In einigen Fällen, z.B. wenn das Schulgebäude zu klein und die Zahl der Schüler zu groß ist, wird der Unterricht in Zelten durchgeführt. Hierbei stellen die Wetterbedingungen oft eine Herausforderung dar: Herat ist z.B. oft starken Winden ausgesetzt, dadurch sind Zelte dort nicht als Unterrichtstätten geeignet. Bezüglich der Schulzeit wird Afghanistan in „kalte“ und „warme“ Provinzen aufgeteilt: In ersteren schließen die Schulen mangels Heizmöglichkeiten im Winter und in letzteren wird der Unterricht wegen der hohen Temperaturen im Sommer unterbrochen (LIB, Kapitel 18.2.).

Auch wird Korruption als ein Problem des afghanischen Bildungssektors genannt. Lehrer sind oftmals unterqualifiziert und das Lernumfeld für die Kinder inadäquat. Die Anzahl der Lehrer korreliert zudem nicht mit der Anzahl an Schülern und ist regional ungleich verteilt. Es besteht der Verdacht, dass Lehrposten aufgrund von Nepotismus und Bestechung vergeben werden. Insbesondere in den Provinzen wird der Lehrberuf aufgrund der niedrigen Bezahlung und der Sicherheitsrisiken als wenig attraktiv wahrgenommen (LIB, Kapitel 18.2.).

Sicherheitsaspekte

Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden viele Schulen geschlossen. Trotz Erklärung der Führungselite der Taliban, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien, kam es zu Angriffen auf Schulen auch durch die Taliban. Insbesondere in den von Taliban kontrollierten Gebieten schränken gewalttätige Angriffe den Zugang zur Bildung ein (LIB, Kapitel 18.2.).

Kinderarbeit

Afghanistan hat die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children’s Situation Summary Report vom 14.Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt. Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (LIB, Kapitel 18.2.).

Trotz Verbesserungen mangelt es nach wie vor an einer wirksamen Regelung zur Verhinderung von Kinderarbeit. Nach afghanischem Recht ist das Mindestalter für eine Erwerbstätigkeit 18 Jahre, jedoch können Kinder zwischen 15-17 Jahren arbeiten, wenn „die Arbeit nicht schädlich ist, weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt und eine Form der Berufsausbildung darstellt“. Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht arbeiten. Armut ist ein wesentlicher Grund, warum Kinder arbeiten. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung (LIB, Kapitel 18.2.).

CSO schätzte den Anteil der arbeitenden Kinder gemäß der Definition von Kinderarbeit der International Labour Organization (ILO) unter den fünf- bis 17-Jährigen im Zeitraum 2013-14 auf 26,5%. Gemäß der Definition von Kinderarbeit durch UNICEF waren nach CSO-Schätzung im selben Zeitraum 29,4% der fünf- bis 17-Jährigen in Kinderarbeit involviert, wobei UNICEF – anders als ILO – auch Tätigkeiten im Haushalt berücksichtigt. Bei beiden Definitionen von Kinderarbeit lag der Anteil der arbeitenden Buben (ILO: 32,7%; UNICEF: 34,1%) über jenem der Mädchen (ILO: 19,6%; UNICEF: 24,2%). Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (LIB, Kapitel 18.2.).

Arbeitsgesetze sind meist unbekannt und Vergehen werden oftmals nicht sanktioniert. Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen (LIB, Kapitel 18.2.).

Neben Kinderarbeit, welche ausschließlich dem Gelderwerb dient, existieren in Afghanistan auch Beschäftigungsverhältnisse von Kindern, welche sich an einem Lehrmodell orientieren. Eltern geben ihre Kinder dabei bei einem Arbeitgeber in die Lehre, um dem Kind das Erlernen eines Berufs zu ermöglichen. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 erfüllen viele Arbeitgeber ihre Pflichten gegenüber den Kindern und behandeln diese entsprechend, jedoch können Arbeitgeber bei Vergehen gegenüber den Kindern kaum zur Rechenschaft gezogen werden (LIB, Kapitel 18.2.).

Waisenhäuser

Die Lebensbedingungen in afghanischen Waisenhäusern sind schlecht. Laut NGOs sind bis zu 80% der vier- bis 18-Jährigen in den Waisenhäusern keine Waisen, sondern Kinder, deren Familien nicht für ihre Verpflegung, Unterkunft oder Bildung sorgen können. Kinder in Waisenhäusern berichteten von psychischem, physischem und sexuellem Missbrauch, manchmal werden sie auch zu Opfern von Menschenschmuggel. Sie haben keinen regelmäßigen Zugang zu Wasser, Heizung im Winter, Sanitäranlagen innerhalb des Hauses, Gesundheitsleistungen, Freizeiteinrichtungen oder Bildung (LIB, Kapitel 18.2.).

Sexueller Missbrauch und körperliche Züchtigung von Kindern

In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Obwohl gesetzlich verboten, bleibt die körperliche Bestrafung in Schulen, Rehabilitationszentren und anderen öffentlichen Einrichtungen weit verbreitet. Ein im Jahr 2017 erlassenes Gesetz zur Bekämpfung von Belästigungen stellt physische, verbale, psychologische und sexuelle Belästigung von Frauen und Kindern unter Strafe. Das novellierte Strafrecht sieht unter anderem bei Kindesmisshandlung, bzw. körperlicher Züchtigung Geldbußen und Gefängnisstrafen vor (LIB, Kapitel 18.2.).

Die afghanische Polizei war im Jahr 2018 nur begrenzt zur Bekämpfung von Sexualverbrechen fähig, teilweise aufgrund der niedrigen Anzahl von Frauen in der Polizei (rund 1.8% der Kräfte). Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA in dieser Hinsicht 37 Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Fünf Vergewaltigungen und eine Zwangsheirat wurden von UNAMA bestätigt, welche von Konfliktparteien begangen wurden – unter anderem von Mitgliedern der Taliban sowie einer weiteren nicht identifizierten Person einer regierungsfeindlichen Gruppierung. In fünf von sechs Fällen wurden die Angeklagten von den Behörden belangt und verurteilt. UNAMA hat auch zwei Fälle von sexueller Gewalt gegen Buben durch Mitglieder der afghanischen Nationalpolizei überprüft; in einem Fall handelte es sich um Bacha Bazi (LIB, Kapitel 18.2.).

Berichten zufolge schlug die Polizei Kinder und missbrauchte sie sexuell. Kinder, welche sich in Missbrauchsfällen an die Polizei wandten, berichteten von weiteren Belästigungen durch Exekutivbeamte – insbesondere bei Fällen von Bacha Bazi. Es wird von von sexuellen Übergriffen durch die Streitkräfte, der Afghan Local Police (ALP) und Afghan National Police (ANP) berichtet (LIB, Kapitel 18.2.).

Bacha Bazi

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden. In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Es wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, da die Mehrheit der Vorfälle nicht angezeigt wird. UNAMA konnte in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 aufgrund der mit dem Thema verbundenen gesellschaftlichen Befindlichkeiten lediglich vier Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjährige überprüfen und dokumentieren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden. Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt. Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht. Aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet. Missbrauchte Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen und stigmatisiert; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt (LIB, Kapitel 18.2.).

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft (LIB, Kapitel 18.2.).

Rekrutierung Minderjähriger

Das Problem der Rekrutierung, einschließlich Zwangsrekrutierung sowie Entführungen und sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch regierungsfeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte besteht weiter fort. Im ersten Halbjahr 2020 konnte UNAMA 23 Rekrutierungen verifizieren, im Jahr 2019 waren es 64. Die UNO verifizierte im Jahr 2018 die Rekrutierung und den Einsatz von 45 Buben sowie einem Mädchen – einige von ihnen wurden bereits im Alter von 8 Jahren rekrutiert; sie sollten kämpfen, improvisierte Sprengkörper bauen, Selbstmordanschläge ausführen usw., wurden aber auch Opfer sexueller Ausbeutung. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 22 Buben getötet. 67% dieser Verstöße, gegen insgesamt 31 Kinder, wurden bewaffneten Gruppierungen zugeschrieben, wie z.B. der Teherik-e Taliban Pakistan, den Taliban, dem ISKP und einer weiteren nicht identifizierten bewaffneten Gruppe. 15 Kinder wurden von der ALP, der ANP und regierungsnahen Milizen rekrutiert und eingesetzt (LIB, Kapitel 18.2.).

In Bezug auf die afghanischen Sicherheitskräfte ist die Rekrutierung von Minderjährigen zum einen auf fehlende Mechanismen zur Überprüfung des Alters von Rekruten zurückzuführen. Zum anderen setzt sich die Praxis einiger Distrikt-Kommandeure fort, die formale Rekrutierungsvorschriften bewusst umgehen, um Minderjährige in die Sicherheitskräfte einzugliedern – zum Teil, um sich an ihnen sexuell zu vergehen. Die afghanische Regierung bemüht sich, diese Art von Rekrutierung zu unterbinden und hat die Rekrutierung Minderjähriger mittels Präsidialdekret unter Strafe gestellt. Das Dekret ist am 02.02.2015 in Kraft getreten, die Umsetzung verläuft schleppend. Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch die afghanischen Sicherheitskräfte ist deutlich zurückgegangen. Laut UNAMA zeigen die sog. „Child Protection Units“ der ANP Rekrutierungszentren erste Erfolge und haben dazu geführt, dass 2019 bei über 400 Minderjährigen der Rekrutierungsprozess rechtzeitig unterbunden wurde. Im Jahr 2019 wurden 266 Kindersoldaten aus bewaffneten Oppositionsgruppen freigelassen oder befreit und bei der Wiedereingliederung unterstützt (LIB, Kapitel 18.2.).

II.5.12. Frauen

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (LIB, Kapitel 18.1.).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (LIB, Kapitel 18.1.).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt. In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif und den angrenzenden Distrikten sind die Lebensumstände gut. Hier gibt es Frauen, die sich frei bewegen, studieren und arbeiten, wobei derartige Möglichkeiten auch von der Einstellung der Familie abhängig sind (LIB, Kapitel 18.1.).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben, der sich bemüht Gewalt gegen Frauen – beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken – zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen. Allerdings mehren sich in letzter Zeit Berichte über sexuelle Belästigungen, speziell innerhalb der afghanischen Regierungsinstitutionen. Gleichzeitig wurden auch mehre Stellen eingerichtet, die sich der Gewalt gegen Frauen annehmen und es wurden auch Regelungen implementiert, die die Vertretung von Frauen im öffentlichen und politischen Leben implementieren (LIB, Kapitel 18.1.).

Im Zuge der Friedensverhandlungen bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten, die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass „im Namen der Frauenrechte“ Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden. Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte – einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit – vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben. Die afghanischen Frauen sind ob der Verhandlungen mit den Taliban besorgt und fürchten um ihre mühsam erkämpften Rechte. Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (LIB, Kapitel 18.1.).

Das afghanische Frauenministerium dokumentierte innerhalb eines Jahres 6.449 Fälle von Gewalt und Missbrauch gegen Frauen. 2.886 Fälle davon wurden an Ermittlungsbehörden und Gerichte weitergeleitet, 2.425 an Organisationen, die sich für Frauenrechte einsetzen. 682 dieser Fälle wurden durch Mediation gelöst. Das hohe Maß an Gewalt gegen Frauen ist auf verschiedene Faktoren, wie die Sensibilisierung der Frauen für ihre Menschenrechte und die Reaktion auf häusliche Gewalt, ein geringes öffentliches Bewusstsein für die Rechte der Frauen, eine schwache Rechtsstaatlichkeit und die Ausbreitung von Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes, zurückzuführen. Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (LIB, Kapitel 18.1.).

Bildung für Mädchen

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten. Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen. Untersuchungen von Human Rights Watch (HRW) und anderen belegen eine steigende Nachfrage nach Bildung in Afghanistan, einschließlich einer wachsenden Akzeptanz in vielen Teilen des Landes, dass Mädchen die Schule besuchen sollten. NGOs, die „gemeindebasierte Bildung“ unterstützen - Schulen, die sich in Häusern in den Gemeinden der Schülerinnen und Schüler befinden - waren oft erfolgreicher, wenn es darum ging, Mädchen den Schulbesuch in Gegenden zu ermöglichen, in denen sie aufgrund von Unsicherheit, familiärem Widerstand und Gemeindeeinschränkungen nicht in der Lage gewesen wären, staatliche Schulen zu besuchen. Doch das Versäumnis der Regierung, diese Schulen in das staatliche Bildungssystem zu integrieren, hat in Verbindung mit der uneinheitlichen Finanzierung dieser Schulen dazu geführt, dass vielen Mädchen die Bildung vorenthalten wurde (LIB, Kapitel 18.1.)

Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. Die Angriffe auf Schulen haben sich verstärkt, was auch damit zusammenhängt, dass diese als Zentren für die Wahl dienten (LIB, Kapitel 18.1.).

Schätzungen zufolge, sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule – Mädchen machen dabei 60% aus, in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85%. 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen. Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (LIB, Kapitel 18.1.).

Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen: Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt – speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen. Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u.a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (LIB, Kapitel 18.1.).

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien, kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen. Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab. Obwohl die Taliban offiziell erklären, dass sie nicht mehr gegen die Bildung von Mädchen sind, gestatten nur sehr wenige Taliban-Beamte Mädchen tatsächlich den Schulbesuch nach der Pubertät. Andere gestatten Mädchenschulen überhaupt nicht. Diese Ungereimtheiten führen zu Misstrauen in der Bevölkerung. Beispielsweise haben Taliban in mehreren Bezirken von Kunduz den Betrieb von Mädchen-Grundschulen zugelassen und in einigen Fällen Mädchen und jungen Frauen erlaubt, in von der Regierung kontrollierte Gebiete zu reisen, um dort höhere Schulen und Universitäten zu besuchen. Im Gegensatz dazu gibt es in einigen von den Taliban kontrollierten Bezirken in der Provinz Helmand keine funktionierenden Grundschulen für Mädchen, geschweige denn weiterführende Schulen - einige dieser ländlichen Bezirke hatten keine funktionierenden Mädchenschulen, selbst als sie unter Regierungskontrolle standen. Ihre inkonsistente Herangehensweise an Mädchenschulen spiegelt die unterschiedlichen Ansichten der Taliban-Kommandeure in den Provinzen, ihre Stellung in der militärischen Kommandohierarchie der Taliban und ihre Beziehung zu den lokalen Gemeinschaften wider. In einigen Distrikten hat die lokale Nachfrage nach Bildung die Taliban-Behörden überzeugt oder gezwungen, einen flexibleren Ansatz zu wählen (LIB, Kapitel 18.1.).

Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv. Aufgrund der Einschränkungen für Mädchen in Bezug auf Bildung, ist es besonders für Mädchen und junge Frauen schwer, daran erfolgreich teilzunehmen. Ende 2020 waren rund 28% der Studierenden weiblich. Im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung wurden sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten, aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen – Bamyan und Kunar – sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen. Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für „Frauen- und Genderstudies“. Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (LIB, Kapitel 18.1.).

Berufstätigkeit von Frauen

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach. In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten. Diese Ansicht wird auch von vielen afghanischen Männern geteilt (LIB, Kapitel 18.1.).

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht. Erfolgreiche Frauen arbeiten etwa als Juristinnen, Filmemacherinnen, Pädagoginnen und anderen Berufen. Neben dem Ausbildungsniveau hängt die Berufstätigkeit auch von der Einstellung und dem Verhalten ihrer Familie ab. Frauen berichten weiterhin, mit Missgunst konfrontiert zu sein, wenn sie nach beruflicher oder finanzieller Unabhängigkeit streben - sei es von konservativen Familienmitgliedern, Hardlinern islamischer Gruppierungen oder gewöhnlichen Männern. Auch die afghanische Regierung ist bemüht, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen (LIB, Kapitel 18.1.).

Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv – manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden. Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden. Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen; traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig – was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird. Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet. Mittlerweile wurden landesweit mehr als 1.000 Unternehmen von Frauen gegründet, die sie selbst auch leiten. Die im Jahr 2017 gegründete afghanischen Gewerbebehörde „Women’s Chamber of Commerce and Industry“, zählt mittlerweile 850 von Frauen geführten Unternehmen zu ihren Mitgliedern (LIB, Kapitel 18.1.).

Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (LIB, Kapitel 18.1.).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis, um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer aufständischen Gruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (LIB, Kapitel 18.1.).

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender – Radio Roshani – nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen. Zan TV, der einzige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (LIB, Kapitel 18.1.).

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Häusliche Gewalt wird nicht als legitimer Scheidungsgrund angesehen. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den „Familienfrieden“ durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert. Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen. Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs. Gesellschaftlicher Widerstand erschwert es den FRUs Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsheirat und Menschenhandelt anzuzeigen (LIB, Kapitel 18.1.).

Es existieren Projekte zur Verbesserung des Rechtszugangs von Frauen. Es besteht beispielsweise ein Netzwerk aus Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, welches Fälle aufspürt, bei denen Personen Rechtsbeistand benötigen. Das Programm richtet sich nicht ausschließlich an Frauen, unterstützt diese aber auch bei Rechtsproblemen mittels Fürsprache und der Vermittlung von Rechtsbeiständen. So wurde beispielsweise für eine Frau, welche aufgrund verschiedener Vorwürfe im Gefängnis saß, eine Rechtsvertretung bereitgestellt (LIB, Kapitel 18.1.).

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt. EVAW sowie ergänzende Gesetze werden nur unzureichend umgesetzt. Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie. Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsidialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern – das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (LIB, Kapitel 18.1.).

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen – auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert. Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (LIB, Kapitel 18.1.).

Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (LIB, Kapitel 18.1.).

Frauenhäuser

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Es gibt 27-28 Frauenhäuser in Afghanistan, die teils vom Staat und teils von NGOs betrieben werden (LIB, Kapitel 17.1.).

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für „unmoralische Handlungen“ und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren. Auch das Ministerium für Frauenangelegenheiten arrangiert manchmal Ehen für solche Frauen (LIB, Kapitel 18.1.).

Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (LIB, Kapitel 18.1.).

Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden. Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (LIB, Kapitel 18.1.).

Manchmal werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sei begangen worden sind, anzeigen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäuser nicht möglich ist, werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt von Familienmitgliedern zu beschützen. Die Schutzzentren sind insbesondere in den Großstädten überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert. Es kommt auch vor, dass Frauen stellvertretend für männliche Verwandte inhaftiert werden, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (LIB, Kapitel 18.1.).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt und kommen auch weiterhin vor. Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (LIB, Kapitel 18.1.).

Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre. Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden. In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht. Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert. Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens ein Kind unter 18 Jahren verheiratet (LIB, Kapitel 18.1.).

Mahr ist eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet, insbesondere im ländlichen Raum und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen – das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist – selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen. Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist. Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (LIB, Kapitel 18.1.).

Die Praktiken des Badal und Ba‘ad/Swara, bei denen Bräute zwischen Familien getauscht werden, sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt. Obwohl Ba’ad Ehen wie auch die Einmischung in die Auswahl des Ehepartners gesetzlich verboten ist, wird derartiges nach wie vor praktiziert, insbesondere in abgelegenen Provinzen. Die Praxis des Brauttauschs zwischen Familien wurde nicht kriminalisiert und blieb weit verbreitet. Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden. Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die Frauen oder Mädchen fügen (LIB, Kapitel 18.1.).

Die Praxis des Ba‘ad bzw. Swara ist in Afghanistan gesetzlich verboten, jedoch in ländlichen Regionen – vorwiegend in paschtunischen Gebieten - weit verbreitet. Dabei übergibt eine Familie zur Streitbeilegung ein weibliches Familienmitglied als Braut oder Dienerin an eine andere Familie. Das Alter der Frau spielt keine Rolle, es kann sich dabei auch um ein Kleinkind handeln. Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (LIB, Kapitel 17.1.).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (LIB, Kapitel 18.1.).

Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (LIB, Kapitel 18.1.).

Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, USAID’s Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), das bis Jänner 2020 lief, zielte darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel war das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden (LIB, Kapitel 18.1.).

Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter. Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 638 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (zum Vergleich Österreich: 4). Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (LIB, Kapitel 18.1.).

Reisefreiheit von Frauen

Diesbezüglich gibt es verschiedene Aussagen, allerdings ist die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung durch die sozialen Normen definitiv eingeschränkt. Generell hängt das Ausmaß an Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit der Frauen unter anderem vom Wohnort, der Einstellung ihrer Familien, der Sicherheitslage und dem Bildungsgrad ab. In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert. In den Städten ist es auch möglich, sich ohne männlichen Begleiter zu bewegen (LIB, Kapitel 18.1.).

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (LIB, Kapitel 18.1.).

 

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zu den BF:

Die Feststellungen zu den Verfahrensidentitäten beruhen auf den eigenen Angaben der BF. Die Identität kann mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente jedoch nicht festgestellt werden. Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit beruhen auf den eigenen, nicht anzuzweifelnden Angaben der BF (S. 5f, 17 VP).

Die Feststellungen zum Aufwachsen der BF in Afghanistan beruhen weitestgehend ebenfalls auf den eigenen Angaben der BF, die das ganze Verfahren über gleichbleibend waren (S. 6, 18 VP). Dass ihr Vater reich war, bestätigte die BF2 selbst (BF2: AS 182, S. 7 VP). Einzig den Angaben der BF2 dazu, dass sie keine Schule besucht habe (S. 5 VP), kann nicht gefolgt werden. In der Erstbefragung gab die BF2 abweichend dazu noch an, sehr wohl eine Grundschule besucht zu haben (BF2: AS 1). Obwohl sie in der Einvernahme einige Angaben aus der Erstbefragung, insbesondere zum Alter ihrer Familienangehörigen, korrigierte, korrigierte sie gerade diese Angabe nicht (BF2: AS 180). Bei ihren späteren Behauptungen kann es sich daher nur um Schutzbehauptungen handeln. Es ist nämlich einerseits wenig nachvollziehbar, warum alle ihre Schwestern die Schule und teils sogar ein Universitätsstudium abschließen konnten (S. 5 VP) und die BF2 laut ihren Angaben als einziges Kind ihrer Eltern nicht einmal die Schule besuchen konnte.

Andererseits machte die BF2 als Grund dafür ein (zunächst) nicht näher konkretisiertes Problem geltend. Dieses Problem will sie jedoch erst ab ihrem fünfzehnten Lebensjahr gehabt haben (S. 5 VP). Unabhängig davon, dass sie auch dieses Problem, nämlich die Bedrohung aufgrund ihrer Heirat, nicht glaubhaft machen konnte (siehe noch näher unten II.3.1.), konnte sie damit auch nicht nachvollziehbar erklären, warum sie die Schule nicht zumindest zuvor besuchen konnte. So ist durchaus üblich, dass Kinder ab dem sechsten oder siebten Lebensjahr die Schule in Afghanistan besuchen. Selbst bei Wahrunterstellung hätte die BF2 somit vor Beginn ihrer Probleme zumindest für acht Jahre die Schule besuchen können. Soweit sie die allgemeine Lage für den angeblich nicht erfolgten Schulbesuch verantwortlich zu machen versucht (S. 6 VP), ist auch dieses Vorbringen nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen. Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, weshalb und wie in einem derartigen Fall ihre Schwestern jeweils die Schule besuchen und abschließen konnten. Aufgrund dieser Erwägungen war daher festzustellen, dass auch die BF2 die Schule besucht hat.

Die Feststellung zur Heirat des BF1 und der BF2 war aufgrund ihrer Aussage in Verbindung mit der vorgelegten Heiratsurkunde zu treffen (BF1: AS 247). Dass der BF3 und der BF4 deren gemeinsame Kinder sind, ist unstrittig und ergibt sich aufgrund deren Geburtsurkunden.

Die Feststellung zur Vertrautheit mit den afghanischen Gepflogenheiten folgt hinsichtlich des BF1 und der BF2 bereits daraus, dass sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Europa in Afghanistan verbrachten, wo neben ihren Familien weitere Familienangehörige lebten. Dort nahmen sie am gesellschaftlichen Leben teil, besuchte die BF2 die Schule und war der BF1 berufstätig. Der Vater der BF2 wurde überhaupt zum Ältesten gewählt und eine Moschee sowie ein Stadtteil nach ihm benannt. Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum die BF nicht mit den kulturellen und religiösen Gepflogenheiten ihres Heimatlandes vertraut sein sollten. Auch im Bundesgebiet leben die BF in afghanischer Nachbarschaft und erziehen ihre Kinder nach den afghanischen Traditionen (S. 17 VP). Es ist daher nicht ersichtlich, dass sie sich im Bundesgebiet davon entfernt hätten (zur BF2 siehe noch ausführlicher unter II.3.2.). Folglich sind auch ihre Kinder, obwohl diese in Österreich geboren wurden, altersgemäß damit vertraut.

Die Feststellungen zur gesundheitlichen Situation der BF beruhen auf ihren eigenen Angaben (S. 4 VP) und dem Umstand, dass sie keine Dokumente vorlegten, aus denen ein gegenteiliger Schluss zu ziehen wäre. Aus der Gesundheit der BF folgt auch die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF1 und der BF2. Auch dazu ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Auftreten in der Verhandlung Gegenteiliges. Vielmehr zeigen die vom BF1 geleisteten Tätigkeiten in den Bauhöfen verschiedener Gemeinden wie auch seine Arbeit als Erntehelfer und seine Einstellungszusage die Arbeitsfähigkeit des BF1.

III.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der BF:

III.3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass sowohl der BF1 als auch die BF2 in ihrer Erstbefragung eine Bedrohung durch die Taliban geltend machten. Auch der Vater und laut dem BF1 ein, laut der BF2 zwei Brüder des BF1 seien deswegen umgebracht worden (BF1: AS 9, BF2: AS 9). Abgesehen davon, dass sich die BF damit bereits in der Erstbefragung widersprachen, wie viele Brüder des BF1 nun umgebracht worden sein sollen, gründeten sie im weiteren Verfahrensverlauf ihre Ausreise nicht mehr auf dieses Vorbringen. Der BF1 gab zwar auch noch in der Einvernahme eine Mitnahme eines Bruders durch die Taliban an (BF1: AS 252f). Er befürchtete aber deswegen jedenfalls außerhalb von Kunduz selbst keine Verfolgung mehr (BF1: AS 253). Eine Ermordung auch seines Vaters durch die Taliban und eine auch den BF1 deshalb betreffende Bedrohung fand dagegen bereits in der Einvernahme vor dem BFA keine Erwähnung mehr. In der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnte er dann überdies auch die Ermordung seines Bruders durch die Taliban nicht mehr, sondern betonte, es habe keine ihn betreffenden Vorfälle im Heimatland gegeben (S. 23 und S. 24 VP).

Das Vorbringen der BF in der Erstbefragung erweist sich somit als nicht glaubhaft. Vielmehr handelte es sich dabei um ein von Anfang an konstruiertes Vorbringen, das zur Gewährung eines Schutzstatus dienen sollte. Dies zeigt, dass die BF gewillt sind, die Behörden zu täuschen, um ihren Aufenthalt zu legalisieren, was auch im Rahmen der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der später vorgetragenen Fluchtgründe zu beachten ist. Dass es sich dabei nur um ein Konstrukt handeln kann, zeigt sich auch daran, dass der BF1 in der Einvernahme vor dem BFA noch angab, die Grundstücke in Kunduz seien von den Taliban konfisziert worden (BF1: AS 249). Das behauptete er aber in der Beschwerdeverhandlung nicht mehr. Vielmehr sind danach die Grundstücke doch noch im Besitz der Familie, allerdings sollen sie sich in einem verlassenen, wüstenähnlichen umkämpften Gebiet befinden (S. 19 VP). Auch wenn ein Umzug der Familie des BF1 innerhalb Afghanistans aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage durchaus nachvollziehbar erscheint, fand diese jedenfalls nicht aufgrund einer gegen den BF1 oder dessen Familie persönlich gerichteten Bedrohungslage statt und ergibt sich daraus keine persönliche Bedrohung für die BF.

Auch den später vorgetragenen Fluchtgründen, wonach ein älterer mächtiger Mann um die Hand der damals 15jährigen BF2 angehalten haben soll, was vom Vater der BF2 abgelehnt worden und weshalb dieser Mann zur Bedrohung geworden sei, kann keine Glaubhaftigkeit zukommen. So hätte die BF2 eine derartige, sie persönlich betreffende Bedrohungslage bereits in der Erstbefragung vorgebracht und sich nicht auf die Verfolgung des BF1 und eine allgemeine Angst vor den Taliban gestützt. Auch der gänzliche Austausch des Vorbringens – im Vergleich der Erstbefragung mit dem Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung – zeigt neben dem oberflächlichen, wenig detaillierten Vortrag der BF klar auf, dass das Fluchtvorbringen nicht der Wahrheit entsprechen kann.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die BF bereits ihr Kennenlernen völlig widersprüchlich und daher nicht glaubhaft schilderten. Diese unglaubhaften Angaben legen bereits nahe, dass auch das weitere diesbezügliche Vorbringen, wonach die BF2 derart von einem anderen Mann begehrt worden sein soll, dass sie das Haus nicht verlassen konnte, und beide BF ab der Verlobung von diesem Mann bedroht worden sein sollen, nicht der Wahrheit entspricht. Auch ist davon auszugehen, dass sich die BF sich nicht zufällig an einer Wasserquelle, sondern durch die Vermittlung der Verwandten kennengelernt haben, wie dies für ihren Kulturkreis üblich ist.

So ist einerseits das Vorbringen der BF2, wonach sie nicht habe hinausgehen dürfen, schon wenig nachvollziehbar. Wie sie nämlich selbst angab, haben alle ihre Geschwister die Schule besucht. Ihre älteren Schwestern konnten nicht nur die Schule abschließen, sondern nach einem entsprechenden Studium als Lehrerinnen arbeiten, auch die jüngere Schwester konnte die Schule abschließen (S. 5 VP). Es ist dann aber nicht plausibel, dass die BF2 als Einzige in der Familie ihr Haus nicht verlassen durfte. Selbst wenn man davon ausginge, dass der um ihre Hand werbende Mann die Ablehnung des Vaters nicht akzeptieren würde, ist kein Grund zu sehen, weshalb die BF2 bereits vor dem Werben um ihre Hand und der beginnenden Bedrohung im Alter von 15 Jahren zuhause hätte bleiben müssen. Zudem steht damit im groben Widerspruch, wenn die BF2 angab, sie habe ihren Mann das erste Mal beim Wasserbrunnen gesehen. Das zweite Mal hätten sie am Haustor miteinander gesprochen. Wenn die BF2 tatsächlich das Haus nicht hätte verlassen dürfen, ist nicht nachvollziehbar, wie sie ihren Mann am Brunnen hätte kennenlernen können. Überdies ist wenig plausibel, dass die BF2 sich vor diesem Mann, der sie heiraten wollte, aus großer Angst jahrelang verstecken sollte und sie trotz dieser Angst und Vorsicht in Kontakt mit einem ihr damals gänzlich fremden Mann tritt. Nicht zuletzt würde dies auch gegen die Benimmregeln ihrer Kultur verstoßen, soll sie doch laut BF1 beim zweiten Kontakt im Hof der Familie keine Burka (S. 21 VP) getragen und mit dem BF1 gesprochen und Telefonnummern ausgetauscht haben.

Das Vorbringen der BF dazu ist nicht nur wenig plausibel und ohne Details vorgetragen, sondern überdies widersprüchlich. Die BF2 gab nämlich an, der BF1 habe damals am Brunnen nicht mit ihr gesprochen (S. 9 VP). Hingegen gab der BF1 an, damals sehr wohl mit der BF1 gesprochen zu haben (S. 21 VP). Wenn man aber der Aussage der BF2 folgen würde, also davon ausginge, dass am Brunnen nicht gesprochen wurde, ist nicht nachvollziehbar, wie der BF1 die BF2 überhaupt hätte wiedererkennen sollen, weil sie ja angeblich auch eine Burka getragen habe (S. 20 VP). Zudem ist davon auszugehen, dass –dies wäre ja außerhalb der gesellschaftlichen Regeln – die BF sich an ein derartiges Kennenlernen auch Jahre später gut erinnern und dies konkret und lebensnah übereinstimmend schildern könnten. Zwar schildern die BF das zweite Zusammentreffen weitgehend in Übereinstimmung, wonach dieses zwei oder drei Tage später und laut BF1 hinter der Türe, aber zirka fünf bis zehn Meter vom Wohnhaus der BF2 (S. 21 VP) entfernt bzw. laut BF2 hinter dem Haustor stattgefunden habe (S. 9 VP). Erneut erschließt sich aber nicht, weshalb die BF sich derart leicht hätten wiedererkennen können und weshalb der BF1 sich überhaupt hätte trauen sollen, mit der BF2 bei deren Wohnhaus ein derartiges Gespräch zu führen. Dies gilt auch für den Fall, dass der BF1 wusste, wo sich das Haus der BF2 befand, weil deren Familie entsprechend bekannt war. Gänzlich unplausibel wird dieses Vorbringen auch, wenn die BF2 gleichermaßen angibt, versteckt vor dem anderen Mann gelebt zu haben und sie gleichermaßen derart ohne Burka am Hofeingang steht, dass der BF1 sie problemlos wiedererkennen konnte.

Die Umstände des Kennenlernens und dieser beiden ersten Treffen sind daher nicht glaubhaft, auch wenn festgestellt werden konnte, dass der BF1 und die BF2 miteinander verheiratet sind. Letzteres wird bereits durch die gemeinsame Flucht und ihre beiden gemeinsamen Kinder in Zusammenschau mit dem Kulturkreis, aus dem die BF stammen, indiziert.

Auch die angebliche Bedrohung durch diesen anderen Mann, den die BF2 selbst nie gesehen haben will (BF2: AS 185), schilderte die BF2 widersprüchlich. Abgesehen von den oben ausgeführten Bedenken ist es den BF daher nicht gelungen, diese Bedrohung glaubhaft zu machen. So gab die BF2 vor dem BFA an, die Familie eines Mannes, der sie wohl beim Augenarzt gesehen habe, habe um ihre Hand angehalten, als sie fünfzehn gewesen sei. Ihr Vater habe dieses Ansinnen zurückgewiesen. Als dieser Mann jedoch von der Verlobung mit dem BF1 erfahren habe, habe er den Vater der BF2 angerufen und diesem gedroht. Er würde die Person erschießen, die sich getraut habe, die BF2 zu heiraten. Nach dem Anruf am Abend habe ihr Vater gesagt, dass die Familie alles zusammenpacken müsse. Am nächsten Tag in der Früh sei die Familie noch in der Dunkelheit zu einem Onkel mütterlicherseits gefahren. Zwei Tage danach sei auch der BF1 zu ihnen gekommen. Dann habe ihr Vater ihnen überhaupt erst von der Drohung erzählt. Der Vater habe dort dann die Trauung organisiert, diese sei durchgeführt worden und danach seien sie losgereist (BF2: AS 185).

Abweichend davon gab die BF2 vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass sie nicht erst am nächsten Tag in der Früh zum Onkel gegangen seien, sondern die Flucht dorthin noch am selben Tag erfolgt sei (S. 12 VP). Ebenfalls widersprüchlich sind die Angaben dazu, wer in diesem Telefonat bedroht worden sein soll. Nach den Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht sei nämlich nicht nur ihrem Mann mit dem Umbringen gedroht worden, sondern auch ihr selbst (S. 12 VP). Damit widerspricht sie sich aber nicht nur zwischen ihren Aussagen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht, sondern auch innerhalb der Beschwerdeverhandlung. Im Rahmen dieser gab sie zunächst nämlich noch keine eigene Bedrohung an, sondern führte aus, sie sei nicht bedroht worden, sondern ihr Vater (S. 11 VP). Wenn aber die BF2 die von ihr geschilderte Situation tatsächlich selbst erlebt hätte, wäre zu erwarten, dass sie sowohl zum Zeitpunkt der Flucht aus ihrem Heimatort, als auch dazu, wer wann wie bedroht worden sein soll, gleichbleibende Angaben tätigen könnte.

Nicht zuletzt sind auch die diesbezüglichen zeitlichen Angaben widersprüchlich. So gibt die BF2 an, dass der sie bedrohende Mann eine Woche nach der Verlobung ihren Vater angerufen habe, weshalb sie noch am selben Tag nach Darbahu gezogen seien, wo sie einen Monat verbracht hätten (S. 11f VP). Vor dem BFA führte sie aus, dass der BF1 erst zwei Tage später zu ihnen gekommen sei und ihr Vater sie dann verheiratet habe und einfach nur wollte, dass sie weggingen (BF2: AS 185), was im Widerspruch zum einmonatigen Aufenthalt steht. Der BF1 führte hingegen aus, bereits 1 Woche nach der Verlobung geheiratet zu haben (S. 23 VP) und für zwei Monate in Darbau (BF1: AS 248) gewesen zu sein. Auffällig ist auch, dass der Vater der BF2 den Eheleuten von der Bedrohung erzählt haben soll, der BF1 aber in der Beschwerdeverhandlung selbst angibt, zu dieser Bedrohungslage nichts vorbringen zu können, im Heimatland nicht persönlich bedroht worden sein will und wiederholt hervorhebt, dass es keine Vorfälle im Heimatland gab, die ihn betroffen hätten (S. 23 und 24 VP). Hätte er aber diese Bedrohungslage und die Flucht der Familie in die Ortschaft miterlebt, könnte er hierzu auch nähere Details schildern.

Darüber hinaus gab die BF2 vor dem BFA wie vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass sie zum Zeitpunkt des Anrufs noch nicht mit dem BF1 verheiratet, sondern erst verlobt gewesen sei (BF2: AS 185, S. 12 VP). Hingegen schilderte sie den Inhalt des Gesprächs vor dem Bundesverwaltungsgericht derart, dass dieser Mann gesagt habe, die BF1 sei seine Frau und habe seine Ehre verletzt, weil sie jemand anderen geheiratet habe (S. 12 VP). Wenig nachvollziehbar ist letztlich auch, wie dieser Mann derart schnell von der Verlobung der BF erfahren sollte. Zusammengefasst konnten die BF deshalb diese Bedrohung nicht glaubhaft machen, weshalb festzustellen war, dass die BF nicht von jemandem bedroht wurden und werden, der früher um die Hand der BF2 angehalten hatte, was deren Vater ablehnte.

Selbst wenn man diesem Vorbringen aber folgen würde, würde es sich lediglich um eine private Bedrohung handeln. Überdies gab selbst die BF2 in der Beschwerdeverhandlung – befragt nach ihren Rückkehrbefürchtungen in weniger volatile Gebiete – nicht an, dass sie auch dort eine Verfolgung durch diesen Mann befürchte (S. 14 VP). Die BF2 beschränkte diese Bedrohung damit selbst auf ihre Heimatprovinz, sodass ihr auch bei Wahrunterstellung am Ort der innerstaatlichen Flucht- und Aufenthaltsalternative keinerlei Bedrohung droht.

II.3.2. Die Feststellungen zur Lebenssituation der BF2 in Österreich beruhen auf ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem BFA sowie den vorgelegten Dokumenten, an deren Echtheit und Richtigkeit kein vernünftiger Grund zu zweifeln besteht.

Die Feststellung, dass die BF2 keine „westliche“ Lebensweise angenommen hat, basiert darauf, dass sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend darlegen konnte, dass sie einen „westlichen“ Lebensstil führt, eine diesbezügliche innere Einstellung hat und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte.

Die BF2 gab, befragt zu ihrer Rückkehrbefürchtung, zwar an, sie könne in Afghanistan nicht in Sicherheit leben. In Österreich lebe sie in einer Freiheit, die sie in Afghanistan nicht gehabt habe. Sie könne etwas lernen und einen Beruf ausüben, was ihr in Afghanistan nicht möglich gewesen wäre (S. 14 VP). Abgesehen davon, dass das vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und auch dem eigenen Vorbringen der BF2, wonach ihre Schwestern die Schule und teils Studien abgeschlossen haben und auch als Lehrerinnen tätig waren, nicht zutrifft, setzte die BF2 im Bundesgebiet keinerlei Schritte in diese Richtung, um ihre Freiheiten im Bundesgebiet auszuleben. Sie besuchte etwa nur wenige Deutschkurse und kann auch jetzt, fast fünf Jahre nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet, kaum Deutsch. Auch sonst hat die BF2 die ihr im Bundesgebiet zukommenden Freiheiten in keiner Weise genützt. Sie hat sich weder ehrenamtlich noch sonst betätigt und war auch kein Mitglied in einem Verein (S. 16 VP). Dabei wird nicht verkannt, dass die BF2 im Bundesgebiet zwei Kinder gebar. Auch unter diesen Umständen wäre es ihr aber jedenfalls möglich gewesen, mehr am öffentlichen Leben teilzunehmen. Es wäre etwa auch möglich gewesen, dass der BF1 die Aufsicht über die Kinder übernimmt, während die BF2 Kurse oder sonstige Veranstaltungen besucht oder irgendwelche Tätigkeiten ausübt.

Besonders der von der BF2 geschilderte und entsprechend ihren Schilderungen (S. 15f VP) festgestellte Tagesablauf zeigt kein Verhalten, das sie nicht auch in Afghanistan leben könnte. Vielmehr ist sie im Wesentlichen zu Hause und kümmert sich um den Haushalt beziehungsweise die Kindererziehung. All das wäre ihr aber auch in Afghanistan problemlos möglich. Es ergibt sich aus diesem Tagesablauf insbesondere kein Verhalten, das einer verfestigten Lebenseinstellung entspringt, aus dem sich die Inanspruchnahme ihrer Grundrechte ergibt und einen Bruch zu ihrem früheren Leben darstellen würde.

Die BF2 schilderte auch auf Nachfrage nach den Unterschieden zwischen ihrem Leben im Bundesgebiet von dem in Afghanistan nichts, was auf einen geänderten Lebensstil hindeuten würde, der sie bei einer Rückkehr gefährden würde. Dazu gab sei an, sie könne hier ihre Entscheidungen selbst treffen und habe den Wunsch einen Beruf zu erlernen, um eines Tages auf eigenen Beinen stehen zu können (S. 16 VP). Dabei handelt es sich jedoch offensichtlich wie beim Fluchtvorbringen nur um ein aufgesetztes Vorbringen und entspricht nicht ihrer tatsächlich gelebten inneren Einstellung. Die BF2 setzte nämlich im Bundesgebiet keinerlei Schritte in diese Richtungen und lernte beispielsweise auch nicht besonders intensiv Deutsch, obwohl sie für ihren angeblichen Berufswunsch nach ihrer eigenen Aussage B1-Kenntnisse aufweisen müsste (S. 15 VP). Trotz ihres angeblich so großen Wunsches nach Eigenständigkeit zeigte die BF2 damit keinerlei Bestreben, diesen Wunsch auch wirklich umzusetzen. Auch daran kann die Geburt ihrer zwei Kinder nichts ändern, zumal sie, abgesehen davon, dass während des Kursbesuchs auch ihr Mann auf die Kinder aufpassen könnte, etwa auch zu Hause im Selbststudium lernen könnte. Auch sonst zeigt die BF2 wenig Eigenständigkeit, wenn sie beispielsweise ihre eigenen Unterlagen, aber auch die ihrer Kinder (BF4: AS 23) nicht selbst vorlegte, sondern ihren Mann erledigen ließ (BF2: AS 181). Irgendwelche Schritte in Richtung Selbstständigkeit hat die BF2 damit nicht unternommen, weswegen es sich bei den – ohnehin nur allgemeine Schilderungen – beinhaltenden Ausführungen nicht um ihre tatsächliche innere verfestigte Einstellung handeln kann. Das Leben der BF2 entspricht daher auch in Österreich in den wesentlichen Zügen ihrem Leben in Afghanistan. Dass sie aber deswegen verfolgt werden würde, ist nicht ersichtlich.

Würde die BF2 daher ihren derzeit gelebten Lebensstil in Afghanistan fortführen, würde ihr keine Gefahr einer Verfolgung drohen, auch wenn es ihr vermutlich nicht mehr möglich wäre, Rad zu fahren und sie ihren aktuellen Kleidungsstil, wonach sie das Kopftuch nur locker gebunden trägt, ändern müsste. Es ist jedoch insgesamt nicht ersichtlich, dass die BF2 aufgrund ihres Lebensstils einer Verfolgung in Afghanistan unterliegt, weil ihre Lebensweise in Österreich keine ist, die einen nachhaltigen Bruch mit in Afghanistan verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellt. Dem Bundesverwaltungsgericht ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich – vor allem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten – vergleichbar ist. Allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der BF2 um eine in ihrer Grundeinstellung „westlich“ orientierte Frau handeln würde, die die ihr gegebenen Freiheiten in Österreich nützt und die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde.

II.3.3. Hinsichtlich der beiden minderjährigen Söhne, dem BF3 und dem BF4, wurden außer dem Verweis auf die unglaubhafte Bedrohung der BF2 geltend gemacht, dass sie die Schule nicht besuchen könnten. Dazu ergibt sich aus den unbekämpft gebliebenen Länderfeststellungen, dass die für Kinder hauptsächlich bestehenden Gefahren, insbesondere von Gewalt und sexuellem Missbrauch betroffen zu sein, zumeist von der eigenen Familie ausgehen. Ausgehend vom Auftritt des BF1 und der BF2 während des Verfahrens und in der Beschwerdeverhandlung ist jedoch nicht anzunehmen, dass auch die minderjährigen BF diese Gefahren betreffen, zumal auch das gegen den BF1 geführte Verfahren wegen einer fahrlässigen Körperverletzung seines Sohnes eingestellt wurde. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich im Übrigen auch, dass in Hinblick auf die Verletzungen auch für das behandelnde Spital keine Bedenken dahingehend bestanden, dass der BF1 seinen Sohn tatsächlich körperlich misshandelt haben könnte (OZ 7).

Allenfalls von den Taliban ausgehende Gefahren sind nach den Länderfeststellungen im Wesentlichen auf ein Gebiet beschränkt, das sie kontrollieren. Alle Gebiete, in die die Familie zurückkehren könnte, stehen jedoch unter Regierungskontrolle. Es ist daher auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF3 oder der BF4 dort einer Gefahr durch die Taliban ausgesetzt wären. Ebenso ergibt sich aus den Länderfeststellungen nicht, dass den minderjährigen BF der Schulbesuch aus in der GFK genannten Gründen verwehrt wäre. Vielmehr ergibt sich daraus, dass der Schulbesuch grundsätzlich bis zu einem gewissen Alter verpflichtend und grundsätzlich kostenlos ist. Gründe für eine fehlende Schulbildung sind insbesondere wahrgenommene oder tatsächliche Unsicherheit, die Distanz bis zur nächsten Schule, Armut, Wohnort, Geschlecht und etwaige Behinderungen. Besonders betroffen davon sind Mädchen, zumal auch die Taliban erklärten, dass Bildungseinrichtungen kein Angriffsziel sind und sich die wenigen trotzdem ereignenden Anschläge gegen Mädchenschulen richteten. Daraus ergibt sich zunächst, dass in Afghanistan, insbesondere in den Städten, nicht nur Schulen bestehen, sondern die minderjährigen BF eine solche auch besuchen konnen. Das ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass alle Familienmitglieder der BF2 in ihrem Heimatort eine Schule besuchen konnten. Hinzu kommt, dass die BF2 aus einer besonders gut situierten und angesehenen Familie stammt, weshalb es den BF jedenfalls – allenfalls mit Hilfe des Vaters der BF2 – gelingen wird, die minderjährigen Söhne entsprechend gegen negative Einflüsse oder etwaige Übergriffe zu schützen und diesen eine gute Schulbildung zukommen zu lassen.

III.4. Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben der BF in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben der BF in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, den Deutschkenntnissen, den Kurs- und Schulbesuchen sowie zur Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, die Angaben der BF in der Beschwerdeverhandlung sowie auf die von den BF im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug, die zur Grundversorgung aus einem aktuellen GVS Auszug.

III.5. Zu den Feststellungen zur Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Den Angaben der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht zu ihren Familienangehörigen und insbesondere zu ihren Aufenthalten und ihrer sonstigen finanziellen Situation in der Beschwerdeverhandlung kann weitestgehend nicht gefolgt werden. Einerseits ist auch in diesem Zusammenhang der bereits geschilderte Wille der BF, die Behörden und Gerichte zu täuschen, zu beachten. Andererseits kommt hinzu, dass die vorgebrachten Bedrohungen nicht der Wahrheit entsprechen, wie bereits umfassend dargelegt wurde. Folglich ergibt sich daraus kein Grund und konnten die BF auch nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb geradezu alle Verwandten das Heimatland verlassen haben und der reiche Vater der BF2 seine bereits bisher von Angestellten bewirtschafteten Grundstücke wie auch das Unternehmen veräußern musste.

Bei der Beurteilung dieser Angaben ist hervorzuheben, dass laut den BF der Grund für die Ausreise der Familie der BF2 die gegen sie ausgesprochene Drohung gewesen sein soll. Da diese von den BF nicht annähernd glaubhaft gemacht werden konnte, ist auch den darauf aufbauenden Angaben zur Ausreise der Familie wenig Glauben zu schenken. Die Angaben dazu sind zudem völlig oberflächlich gehalten. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, warum die BF keinerlei Angaben dazu tätigen können wollen, wo ihre Familien konkret leben oder als was diese arbeiten. Die BF2 konnte auch nicht nachvollziehbar schildern, warum ihr Vater alles hätte verkaufen müssen. Auch bisher hat dieser die Grundstücke und das Geschäft ja nicht selbst bestellt beziehungsweise betrieben, sondern wurde dies weitgehend durch Angestellte erledigt. Dies wäre ihm aber selbst vom Iran aus möglich. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass die BF2 nicht wissen will, wo ihre Familie lebt (S. 7 VP), während ihr Mann dazu genaue Angaben tätigen konnte (S. 22 VP).

Ebenso gab die BF2 an, ihre Familie sei Anfang 2019 gemeinsam mit der Familie ihres Mannes ausgereist (S. 9 VP), was für sich schon wenig nachvollziehbar ist. So gab der BF1 ja an, selbst im Heimatland keine ihn bedrohenden Vorfälle erlebt zu haben und brachten die BF auch nicht vor, dass seine Familie nach der Verlobung mit ins Dorf fliehen musste. Weshalb es also zur gemeinsamen Ausreise kam, leuchtet nicht ein. Zum Ausreisedatum gab der BF1 in der Beschwerdeverhandlung jedoch vor allem hierzu im groben Widerspruch an, seine Familie habe Afghanistan erst ein Jahr zuvor (S. 20 VP), also Anfang 2020, verlassen. Wenig nachvollziehbar ist auch, wenn die BF2 angibt, ihre in Kabul lebende Schwester sei ausgereist, weil die gesamte Familie ausgereist sei und die – bereits bisher nicht bei der Familie lebende – Schwester habe bei der Familie bleiben wollen (S. 14 VP).

Es handelt sich daher bei den Angaben zu den Familienangehörigen offensichtlich um Schutzbehauptungen, um vulnerabler zu erscheinen. Den Angaben konnte daher nicht gefolgt werden, sondern es war vielmehr festzustellen, dass die Angehörigen noch in Afghanistan leben und dort auch noch ihre Grundstücke und Geschäfte besitzen. Es ist daher auch nach wie vor davon auszugehen, dass der Vater der BF2 für afghanische Verhältnisse überdurchschnittlich reich ist, wie die BF2 ja auch selbst bestätigte (BF2: AS 182, S. 7 VP).

Da die Angaben zu den Familienangehörigen insgesamt unglaubhaft sind, ist auch den Angaben zum fehlenden Kontakt nicht zu folgen. Soweit die BF das im Verfahren teilweise damit zu begründen versuchen, dass dort kein Telefonnetz vorhanden sei, ist auch das nicht glaubhaft. Einerseits gab der BF1 nämlich an, er habe nach der Telefonnummer der BF2 gefragt (S. 21 VP), was aber nur dann Sinn machte, wenn diese auch ein funktionierendes Telefon hatte. Auch gab die BF2 vor dem BFA noch an, dass sie mit ihrem Bruder in Takhar Kontakt habe (BF2: AS 182). Von einer vollständig netzlosen Gegend in der Provinzhauptstadt kann andererseits nicht ausgegangen werden. Da der Vater überdies ein großes Geschäft und entsprechendes Vermögen hat, ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Kontakt dank moderner Kommunikationswege problemlos aufrechterhalten werden konnte und auch wurde. Nicht zuletzt lebt eine Schwester der BF2 in Kabul und ist diese dort jedenfalls für sie erreichbar.

Aus der finanziellen Situation der Familie folgt auch die Unterstützungsfähigkeit der Familie. Die Unterstützungswilligkeit der Familie ergibt sich einerseits aus dem traditionellen Zusammenhalt in Afghanistan und andererseits auch aus den Angaben der BF. Insbesondere die BF2 bestätigte, dass sie sich mit ihrer Familie gut verstehe und sie von ihrem Vater versorgt worden sei, da das in Afghanistan so üblich sei (BF2: AS 182f). Auch die Fluchtkosten in Höhe von zumindest USD 10.000 konnten von der Familie bestritten werden, ohne etwas verkaufen zu müssen, was ebenfalls für die Leistungsfähigkeit der Familie spricht. Auch die Flucht für beide BF wurde innerhalb einer kurzen Zeit vom Vater der BF2 organisiert, was zeigt, dass die traditionelle Unterstützung auch tatsächlich gelebt wird. Das zeigt sich im Übrigen auch daran, wenn der BF1 angibt, dass seine gesamte Familie nur von einem Bruder versorgt werde (S. 20 VP). Auch wenn deren Umzug zwar, wie oben ausgeführt, nicht glaubhaft ist, zeigt auch diese Aussage, dass der BF1 selbstverständlich von einer Unterstützung durch die Familie ausgeht, so das nötig ist.

Die Feststellung zum Bezug einer Rückkehrhilfe war aufgrund der unbestrittenen Länderfeststellungen zu treffen. Diesen ist zu entnehmen, dass im Rahmen des Projekts Restart III eine Bargeldunterstützung von 500 Euro wie auch die Unterstützung durch Sachleistungen in der Höhe von 2.800 Euro sowie eine Unterstützung und Beratung von IOM vorgesehen ist. Zusätzlich hat IOM mit finanzieller Unterstützung der EU das Projekt RADA (Reintegration Assistance and Development in Afghanistan) entwickelt. Dabei erhalten zwangsweise rückgeführte Personen einen kurzen medizinischen Check (unmittelbare medizinische Bedürfnisse) und die Auszahlung einer Bargeldunterstützung in der Höhe von 12.500 Afghani (rund 140 EUR) zur Deckung unmittelbarer, dringender Bedürfnisse (temporäre Unterkunft, Weiterreise, etc.).

Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte konnte auch festgestellt werden, dass die BF anpassungsfähig sind und der BF1 und die BF2 einer regelmäßigen Arbeit nachgehen können. Auch im Bundesgebiet war es den BF schließlich möglich, sich in einem ihnen völlig fremden Kulturkreis grundsätzlich zurechtzufinden.

Die Feststellung zur Möglichkeit der Rückkehr an den letzten Wohnort ergibt sich aus den Länderfeststellungen in Zusammenschau mit den übrigen Feststellungen, insbesondere zu den Familienangehörigen. So ist den Feststellungen, die dazu insbesondere auf der aktuellen EASO Country Guidance und dem aktuellen Länderinformationsblatt beruhen, zu entnehmen, dass es in dieser Provinz zwar zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf einem hohen Niveau. Es ist daher ein höheres Maß an Risikofaktoren erforderlich, um eine Rückkehr zu verneinen. Derartige Risikofaktoren liegen zwar in der Minderjährigkeit des BF3 und des BF4 sowie den besonderen Bedürfnissen einer Familie vor, sie können allerdings durch die BF und durch Unterstützung ihrer dortigen Familie ausgeglichen werden. Dabei ist vor allem darauf hinzuweisen, dass dort sowohl die Familie des BF1 als auch jene der BF2 wohnt. Die Familien leben nur wenige Gehminuten voneinander entfernt in Häusern. Die Familie des BF1 lebt in einem Mietshaus, die Familie der BF2 in einem Eigentumshaus. Letztere hat gleich mehrere Häuser in ihrem Eigentum. Auch bisher lebten in den jeweiligen Familienhäusern viele Familienangehörige, zumal vor allem die Familie der BF2 sehr groß ist. Teils sind die Geschwister der BF2 jedoch aufgrund ihres Alters mittlerweile aus dem Elternhaus ausgezogen. Es ist daher auch genügend Platz, um die vierköpfige Familie aufzunehmen. Ihr wohlhabender Vater kann und wird ihr auf ihren Wunsch jedoch auch ein eigenes Haus besorgen, so sie dies bevorzugt.

Durch ihre dort bereits jahrelang lebenden Familien können die BF mit der aktuellen Sicherheitslage vertraut gemacht werden. Auch sonst können die BF umfassend von ihrer Familie unterstützt werden, etwa auch in Bezug auf den Schulbesuch der minderjährigen BF, waren doch alle Kinder der Familie der BF2 in der Schule. Die BF gehören auch der Mehrheitsbevölkerung der Provinz an. Auch unter diesem Aspekt sind sie keinen besonderen Gefahren in Bezug auf die Sicherheitslage ausgesetzt und ergibt sich keine besondere Vulnerabilität. Die minderjährigen BF können dort im Schutz ihrer großen Familien leben, heranwachsen und etwa auch von den Großeltern und weiteren Verwandten betreut werden. Auch sie sind daher trotz ihrer größeren Vulnerabilität keinen besonderen Gefahren mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt. Die Provinzhauptstadt ist, wie den Feststellungen entnommen werden kann, auch auf dem Landweg zu erreichen. Die Taliban betreiben zwar Kontrollpunkte entlang der Strecke. Selbst wenn die BF in eine solche Kontrolle geraten sollten, besteht in diesem Fall für sie keine Gefahr, da sie keine Feindschaft mit den Taliban haben. Die Provinz ist darüber hinaus nicht nur innerhalb Afghanistans, sondern etwa auch über Tadschikistan zu erreichen. Die BF können bei der Reise auch von ihrer Familie unterstützt werden. Gerade die Familie der BF2 – und ihr Vater als gewählter Ältester – wird den BF helfen können, sicher an den Wohnort zu gelangen.

Die BF werden dort auch in der Lage sein, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu decken. Einerseits ist nämlich kein Grund ersichtlich, warum der BF1 nicht wieder als Bäcker tätig sein könnte, um auf diese Weise die Lebenserhaltungskosten der Familie zu bestreiten. Er hat dort beziehungsweise in der Region bereits gearbeitet, sodass er dazu auch auf seine früheren Kontakte zurückgreifen kann. Es wird ihm möglich sein, seine Familie alleine zu ernähren und zu versorgen. Andererseits können die BF zumindest anfänglich bei ihren Verwandten unterkommen und umfassend auch über einen längeren Zeitraum von ihren Familien unterstützt werden, zumal vor allem die Familie der BF2 für afghanische Verhältnisse überdurchschnittlich reich ist. Beide Familien besitzen Grundstücke, die entweder überhaupt brachliegen (jene des BF1) oder bewirtschaftet werden (jene des Vaters der BF2), und bei besonderem Bedarf entsprechend verwertet werden könnten. Auch arbeiten die Geschwister der BF und könnten und würden ebenfalls finanziell zu deren Unterhalt beitragen, sollte dies erforderlich sein. Hiervon ist jedoch nicht auszugehen.

Darüber hinaus hat der BF1 im Frühjahr des letzten Jahres in Österreich etwa € 2.000 verdient. Trotz seines Verdienstes bezogen die BF im Wesentlichen die gesamte Zeit die volle Grundversorgung. Nach dem Akteninhalt und ihrer Aussage haben die BF keine teuren Aktivitäten, eigenfinanzierte Weiterbildungen etc. unternommen. Es ist daher davon auszugehen, dass die BF dieses Geld nach wie vor haben und auch dieses zur Rückkehr nutzen können. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zu den Lebenserhaltungskosten in Afghanistan, wonach in der Stadt Kabul die monatlichen Lebenserhaltungskosten bis zu USD 350 betragen, während am Land diese Kosten um mindestens 50% sinken und dem Umstand, dass sie – da sie bei ihren Familien leben können – keine Kosten für die Unterkunft bestreiten müssen, können sie daher jedenfalls in der Anfangszeit problemlos überleben, selbst wenn der BF1 nicht sofort einen Arbeitsplatz finden sollte.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung der BF in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ergeben sich – unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan – aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben der BF. Die Feststellung zur Prognose, dass sich die BF dort eine Existenz aufbauen können, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Aus den Länderinformationen ergibt sich zunächst, dass etwa die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif als ausreichend sicher gelten und unter der Kontrolle der Regierung stehen und über den Luftweg sicher erreichbar sind. Die dort stattfindenden Anschläge zielen nach den Länderfeststellungen im Wesentlichen darauf ab, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie richten sich daher hauptsächlich gegen Regierungsinstitutionen oder ausländische Organisationen. Die BF sind daher davon nicht überproportional betroffen, insbesondere sind auch die minderjährigen BF davon nicht überproportional betroffen. Vielmehr ist der Anteil der Kinder an den Opfern insgesamt zurückgegangen. Auch in Kabul könnten die BF zudem bei den Verwandten der BF2 leben und von diesen mit der aktuellen Sicherheitslage vertraut gemacht werden.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich auch, dass die Versorgung der Bevölkerung in diesen Regionen auch trotz der Ausbreitung des Coronavirus und der zur Eindämmung seitens der Regierung gesetzten Maßnahmen jedenfalls grundlegend gesichert ist. Die BF sind mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Sie können sich daher in den afghanischen Großstädten zurechtfinden. Der BF1 hat auch bereits in Kabul gelebt und gearbeitet. Auch dort verfügt er daher über Kontakte am Arbeitsmarkt, die für ihn auch bei einer nunmehrigen Rückkehr nutzbar sind. Darüber hinaus ist besonders der Vater der BF2 ein einflussreicher und wohlhabender Mann in Afghanistan, nach dem sogar ein Stadtteil und eine Moschee benannt sind. Insbesondere dessen Fürsprache wird den BF daher bei einer Integration am Arbeitsmarkt zugutekommen. Die BF können in Kabul auch bei den Verwandten der BF2 zumindest kurzfristig wohnen. Darüber hinaus ergibt sich aus den unbestrittenen Länderfeststellungen, dass in Kabul aber auch in den anderen Städten ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht und es auch Rückkehrern möglich ist, Wohnraum zu mieten. Die Mietkosten in Kabul betragen nach den Feststellungen für eine Wohnung im Stadtzentrum USD 200 bis 350. In Mazar-e Sharif schwanken die Mietkosten zwischen USD 100 und 300. Nach einer anderen Quelle betragen die Mietkosten in Afghanistan für eine einfache Wohnung zwischen USD 80 bis 100. Die Lebenserhaltungskosten betragen in Kabul rund USD 350, in ländlichen Gebieten mindestens 50% weniger. Betriebskosten müssen mit ungefähr USD 40 veranschlagt werden. Selbst wenn man nun von den jeweils höchsten Angaben ausginge, wäre es den BF einerseits durch das Ersparte und andererseits durch die umfassend gesicherte familiäre finanzielle Unterstützung jedenfalls möglich, alle diese Kosten anfangs problemlos zu bestreiten. Da der BF1 innerhalb kürzester Zeit auch wieder am Arbeitsmarkt teilnehmen wird können, werden die BF auch auf längere Sicht in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ein Leben wie ihre Landsleute zu führen.

Aufgrund dieser eigenen Geldmittel und der umfangreichen Unterstützung durch die Familienangehörigen aus Afghanistan stehen insbesondere auch die verschlechterte wirtschaftliche Lage aufgrund der zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus gesetzten Maßnahmen einer Rückkehr nicht entgegen. Davon ist darüber hinaus hauptsächlich der Arbeitsmarkt der Tagelöhner betroffen. Der BF1 ist durch seine langjährige hochqualifizierte Tätigkeit am Arbeitsmarkt und aufgrund seiner vielschichtigen Kontakte darauf nicht angewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund all dieser Umstände davon aus, dass sich die BF auch als Familie mit minderjährigen Kindern ohne anfängliche Schwierigkeiten in den genannten Regionen niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen können.

III.6. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und die Berichte des EASO) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.

Den BF wurden die Berichte mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt, wovon sie keinen Gebrauch machten (S. 27 VP). Es sind daher keine Zweifel an der Richtigkeit der verwendeten Informationen hervorgekommen.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zum Spruchpunkt A)

IV.1.1. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge dieser Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).

Im gegenständlichen Fall sind diese Voraussetzungen, nämlich eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wie oben beweiswürdigend ausführlich dargelegt, nicht gegeben, zumal die BF ihr – teils ohnehin nicht asylrelevantes – Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen konnten. Auch ist die BF2 nicht „westlich“ orientiert (zu den Voraussetzungen dazu siehe etwa VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026). Grundsätzlich kann auch eine Verweigerung des Schulbesuchs ein asylrelevantes Vorbringen sein (VwGH 16.01.2019, Ra 2018/18/0239). Da jedoch amtswegig festgestellt werden konnte, dass der BF3 und der BF4 eine Schule besuchen werden können und selbst ein allfällig möglicher Grund für die Verweigerung des Schulbesuchs nicht auf Asylgründen beruht, kann auch sonst kein Grund für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gesehen werden. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. war daher als unbegründet abzuweisen.

IV.1.2. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

IV.1.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Diese Entscheidung ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Zur erforderlichen Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 18.02.2020, Ra 2020/18/0032).

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174).

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).

Grundsätzlich hat der Fremde das Bestehen einer realen Gefahr im Sinne des § 8 AsylG glaubhaft zu machen. Dabei sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat geht, liegt es dagegen an den Behörden die allgemeine Lage festzustellen und nachzuweisen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um in diesem Sinn eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314 mwN).

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

Die BF lebten zuletzt in der Provinzhauptstadt von Takhar, was auch als ihre Heimatsregion zu behandeln ist, zumal die BF2 dort ihr gesamtes Leben bis zur Flucht verbrachte und auch der BF1 dort wiederholt gelebt und gearbeitet hat sowie seine Familie noch dort lebt. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, steht dort die Sicherheitslage einer Rückkehr nicht entgegen. Die Provinz ist nach den Länderfeststellungen zwar eine volatile. Die willkürliche Gewalt hat aber noch kein Ausmaß erreicht, dass jeder, der dorthin zurückkehrt, von einer realen Gefahr betroffen wäre, was aber für die Verneinung einer Rückkehr nötig wäre (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137). Das entspricht auch der Einschätzung des EASO in seiner aktuellsten Country Guidance. Im Besonderen gilt diese Einschätzung für die Provinzhauptstadt, die unter Regierungskontrolle steht und die auch trotz eines Angriffs der Taliban nicht eingenommen werden konnte. Es müssten daher besondere Unterscheidungsmerkmale vorliegen, die eine Rückkehr unmöglich machen würden. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Minderjährigkeit der BF3 und der BF4 und die Anzahl der zurückkehrenden Personen zu berücksichtigen, weswegen die Familie besonders vulnerabel ist. Die BF sind jedoch in der Lage, diese besondere Vulnerabilität auszugleichen. Einerseits ist ihnen nämlich die dortige Lage grundsätzlich vertraut, sodass sie auch wissen, wie und wo sich die minderjährigen BF sicher bewegen können. Dazu kommt, dass dort die Familien des BF1 und der BF2 leben. Diese können die BF daher mit der aktuellen Sicherheitslage vertraut machen und sie in ihren schützenden Verband aufnehmen. Da sie der Mehrheitsbevölkerung der Provinz angehören, sind sie auch insofern keinen besonderen Gefahren ausgesetzt beziehungsweise reduziert dieser Umstand die Gefahrenlage. Die BF sind auch sonst nicht besonders exponiert, zumal sie keine wichtigen Staatsaufgaben oder Ähnliches übernehmen. Hingegen entstammt die BF2 gerade einer sehr angesehenen Familie, wobei nicht nur ein Stadtteil und eine Moschee nach ihrem Vater benannt wurden, sondern dieser auch als Ortsältester gewählt wurde. Es entspricht der Erfahrung der erkennenden Richterin, dass gerade über diese Ältesten Probleme ihrer Bürger mit den Taliban geklärt werden können.

Auch eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK liegt bei den BF bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz nicht vor. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 30.07.2020, Ra 2020/14/0255).

Vorliegend handelt es sich in diesem Zusammenhang risikoerhöhend um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern, dem BF3 und dem BF4. Familien mit minderjährigen Kindern stellen in Hinblick auf die minderjährigen Kinder eine besonders vulnerable und besonders schutzbedürftige Personengruppe dar (vgl. Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 20 Abs. 3 Statusrichtlinie und Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU ). Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob den BF bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0036).

Dies verlangt wiederum – auch bei Kindern, die mit ihren Eltern leben – nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die BF am angenommenen Rückkehrort vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474-0479, und VfGH 11.10.2017, E 1803-1805/2017). Dabei sind auch konkrete Feststellungen zu den Möglichkeiten, eine entsprechende Unterkunft zu finden, zu treffen (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).

Nach der Judikatur der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts besteht somit die Verpflichtung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern, eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die eine Familie mit minderjährigen Kindern bei einer Rückkehr zu erwarten hat, durchzuführen (VwGH 13.02.2020, Ra 2019/19/0245 mwN). Auch der UNHCR und das EASO halten in ihren Berichten fest, dass die Minderjährigkeit besonders zu berücksichtigen ist. EASO führt dazu etwa aus: „In order to ensure their subsistence and access to basic services, it is relevant to assess the social and economic background of the family and the possibility to receive assistance by a support network. The best interests of the child shall be a primary consideration. The question of access to basic education should be assessed in relation to the general situation in the respective city, as well as the individual circumstances of the family. In general, IPA would not be reasonable for children in a family, if the family lacks sufficient financial means or a support network in the respective part of Afghanistan. The situation of children should also be taken into account when assessing the safety criterion for a potential IPA, as they are particularly vulnerable, including to risks of child-specific forms of persecution or serious harm, such as child marriages and child labour.“ (EASO 2020, S. 175f).

Auch dieser Risikofaktor steht einer Rückkehr jedoch nicht entgegen. Vielmehr verfügt die Familie dort über eine sofortige Wohnmöglichkeit bei einer ihrer Familien bzw. in einem der Häuser des Vaters der BF2. Dort werden sie auch anfangs, solange der BF1 noch keine Arbeit gefunden hat, mit dem Notwendigsten versorgt und sie haben Zugang zu allen lebensnotwendigen Infrastrukturleistungen. Der BF1 könnte auch mit seiner Rückkehr sogleich im Unternehmen des Vaters der BF2 arbeiten, so er dies wünscht. Zusätzlich kommt noch der vom BF1 angesparte Betrag, den sie bei einer Rückkehr ebenfalls verwenden können. Es ist daher trotz der Minderjährigkeit des BF3 und des BF4 nicht ersichtlich, dass die BF dort nicht in der Lage sein sollten, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu decken. Aufgrund der eigenen Ersparnisse und der familiären Unterstützung ist auch die angespannte Situation am Arbeitsmarkt aufgrund der Covid-19 Pandemie nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.

In der angenommenen Rückkehrregion besteht ein großes familiäres Netzwerk, das die BF bei einer Rückkehr unterstützen wird. Die BF werden bei ihrer Rückkehr dort in einem der Häuser leben können, wie sie das auch vor ihrer Ausreise taten. Sie werden innerhalb der Großfamilie unterstützt und können dort auch arbeiten. Hinsichtlich der Minderjährigkeit ist auch noch einmal darauf hinzuweisen, dass sie dort in den schützenden Verband der Großfamilie zurückkehren werden. Der BF1 wird die Familie durch seine Arbeitstätigkeit ernähren können. Auch in Bezug auf die Versorgungslage begründet die Minderjährigkeit daher in Bezug auf die Heimatprovinz kein Rückkehrhindernis.

Die BF werden daher ihre existenziellen Grundbedürfnisse bei einer Rückkehr ins Heimatdorf der BF2 decken können. Da dieses auch sicher erreichbar ist, ist den BF eine Rückkehr in den Herkunftsort aufgrund der oben näher dargelegten umfassenden Unterstützung und der eigenen Fähigkeiten möglich, zumal dort mehrere Verwandten leben, bei denen sie leben und arbeiten können. Es besteht daher auch keine Gefahr, dass der BF3 oder der BF4 von Kinderarbeit oder Unterernährung betroffen sein werden. Da alle Familienangehörigen der BF2 dort auch bereits Schulen besuchten und ihre Schwestern teilweise auch ein Studium abschließen konnten, wird die Familie das auch dem BF3 und dem BF4 ermöglichen.

Die BF haben sohin – auch unter eingehender Berücksichtigung aller denkbar risikoerhöhender Merkmale (minderjährige Kinder) – nicht substantiiert aufgezeigt, dass bei ihnen bei einer Rückkehr die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden könnten oder sie sonst einer „realen Gefahr“ oder „ernsthaften Bedrohung“ im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wären. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. ist daher bereits aus diesem Grund als unbegründet abzuweisen.

IV.1.2.2. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständige Voraussetzungen zu prüfen (UNHCR, Kapitel III. C). Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Das als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet muss zudem sicher und legal zu erreichen sein (Analyse der Relevanz). Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann beziehungsweise ob von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen (Analyse der Zumutbarkeit; siehe auch VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118). Der Prüfmaßstab der Zumutbarkeit spiegelt den Umstand wieder, dass ein Asylwerber, der nicht in seine Herkunftsprovinz zurückkehren kann, in der Regel in einem Gebiet einer vorgeschlagenen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht über jene finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie lokalen Kenntnisse und sozialen Netzwerke verfügen wird wie an seinem Herkunftsort und somit eine zusätzliche Prüfung stattzufinden hat, ob die Ansiedelung in dem vorgeschlagenen Gebiet auch zumutbar ist (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221).

Aus den Feststellungen geht für die Stadt Kabul hervor, dass dort „high-profile“ Angriffe regierungsfeindlicher, bewaffneter Gruppierungen nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Dennoch hat der Grad an Gewalt in Kabul nicht ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass es geradezu wahrscheinlich erscheint, dass jeder der dorthin zurückkehrt, tatsächlich Opfer eines Gewaltakts wird. Davon kann nämlich nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016). Der Einschätzung steht insbesondere auch nicht die Tatsache entgegen, dass in der Stadt Kabul die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet wird. Diese bezieht sich auf die absolute Opferzahl, die jedoch nicht isoliert zu sehen ist, sondern in Relation zur Einwohnerzahl der Stadt Kabul von ungefähr fünf Millionen (manche Quellen sprechen von bis zu sechs Millionen) gesetzt werden muss. Insofern ergibt die Opferzahl keine überdurchschnittliche Bedrohungslage für in der Stadt Kabul lebenden Zivilisten. Insbesondere ist dabei auch in Betracht zu ziehen, dass die gesamte Provinz und damit auch die Stadt Kabul von der Regierung kontrolliert wird.

Diese Einschätzung wird auch von EASO geteilt, das in seiner Country Guidance von Juni 2019 wie auch in den aktuellen von Dezember 2020 bzw. Jänner 2021 ebenfalls festhält, dass in Kabul willkürliche Gewalt herrscht, jedoch nicht auf einem hohen Niveau, sodass spezifische gefahrenerhöhende Umstände vorliegen müssten, um einen Schutzbedarf zu begründen (ua. EASO Country Guidance Juni 2019, S. 102). Derartige gefahrenerhöhende Umstände wurden von den BF jedoch nicht glaubhaft gemacht. Im Gegenteil wohnen auch in Kabul Verwandte der BF, zu denen die BF2 auch stets Kontakt hielt. Sie könnten daher anfangs auch bei ihren Verwandten leben und von diesen mit der aktuellen Sicherheitslage vertraut gemacht werden. Insofern sind die BF daher im Vergleich zu Rückkehrern ohne familiären Anschluss in einer besseren Situation, was auch in Betracht auf die Sicherheitslage zu beachten ist. Deswegen steht auch Vulnerabilität der BF als Familie einer Rückkehr nicht entgegen. Darüber hinaus richten sich Anschläge des IS und der Taliban, so sie Zivilisten zum Ziel haben, gegen schiitische Hazara und damit nicht gegen die Volksgruppe der BF.

Auch im Bericht von September 2020 hält das EASO fest, dass sich die Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen Regierungsinstitutionen, militärische und zivile Einrichtungen der afghanischen Regierung und internationaler Organisationen sowie Justizbedienstete, Gesundheitsbedienstete, Entwicklungshelfer und Menschenrechtsaktivisten richten. Zusätzlich wird auch von Angriffen gegen Medien berichtet. Vom 01.03.2019 bis zum 30.06.2020 richteten sich demnach von insgesamt 142 Vorfällen „nur“ 22 gegen Zivilisten. Die Zahl der Anschläge ging nach einem Anstieg im ersten Halbjahr 2018 zudem seitdem bis 2019 zurück, während sich im dritten Quartal 2019 – wie in gesamt Afghanistan – die Zahl der Anschläge wieder erhöhte. Dann ging die Zahl wieder zurück, während sie ab dem zweiten Quartal 2020 wieder stieg. Die Anschläge richten sich jedoch nicht mehr so häufig wie früher auf „high-profile“ Ziele, sondern es stieg vielmehr die Zahl gezielter Tötungen vor allem von Regierungsangehörigen. Die Anschläge richteten sich in der überwiegenden Zahl gegen Regierungseinrichtungen (S. 60ff EASO Country of Origin Information Report: Afghanistan – Security Situation vom September 2020). Insgesamt kann daher nicht von einer derartigen Gewalt ausgegangen werden, dass jeder, der zurückkehrt, einer realen Gefahr nach Art. 2 EMRK ausgesetzt wäre. Das zeigt sich auch daran, wie EASO ebenso aufzeigt, dass von 01.03.2019 bis 30.06.2020 keine gewaltbedingte Vertreibung aus Kabul stattfand, sondern Kabul vielmehr nach wie vor ein Zufluchtsort für innerstaatlich Vertriebene darstellt (S. 64 des genannten EASO Berichts). Dabei wird nicht verkannt, dass es jüngst gerade auch zu mehreren Angriffen des IS gegen die Zivilbevölkerung kam.

Auch das aktuelle Länderinformationsblatt, das den Feststellungen unter anderem zugrunde liegt, zeigt keine Situation auf, die eine Rückkehr alleine aufgrund der Sicherheitslage ausschließen würde. Auch dort wird vielmehr berichtet, dass die Regierung die Kontrolle über die Stadt hat, auch wenn terroristische Anschläge nicht auszuschließen sind und auch vorkommen. Das gleiche gilt für die EASO Country Guidance aus Dezember 2020. Auch dort hält das EASO an seiner bisherigen Beurteilung fest, dass in der Provinz und der Stadt Kabul zwar willkürliche Gewalt herrscht, jedoch nicht auf einem hohen Niveau, sodass spezifische gefahrenerhöhende Umstände vorliegen müssten, um einen Schutzbedarf zu begründen (S. 131 EASO Country Guidance Dezember 2020; auch Country Guidance 2020 von Januar 2021).

Es wird nicht verkannt, dass der UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 zur Beurteilung kommt, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Der UNHCR stützt seine Ansicht neben dem Verweis auf UNAMA-Statistiken des ersten Halbjahres 2018 (die daher mittlerweile bereits veraltet sind) vorrangig auf den Bericht des EASO vom Juni 2018, wonach dieses festgestellt habe, dass in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrsche (FN 688). EASO führte dazu jedoch weiter aus, dass eine reale Gefahr nach den unionsrechtlichen Vorgaben nur dann begründet sein könne, wenn der Betroffene spezifisch aufgrund bestimmter Faktoren betroffen sei, während der Grad der willkürlichen Gewalt nicht derart hoch sei, dass allein dieser eine Rückkehr ausschließe (S. 83 des EASO Berichts aus Juni 2018). Daran hält das EASO auch derzeit noch fest. Das ergibt sich darüber hinaus auch aus dem aktuellen Länderinformationsblatt und der dort geschilderten Sicherheitslage in Kabul, die auch den Feststellungen zugrunde liegt.

Ebenso wenig wird verkannt, dass der UNHCR in seinen Richtlinien vom August 2018 zum Schluss kommt und diese Sicht im Wesentlichen auch nach wie vor aufrecht hält, dass „angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.“ (S. 129). EASO kommt zur Stadt Kabul nicht nur in seinem Bericht vom Juni 2018, sondern auch in den aktuelleren Berichten von Juni 2019 und Dezember 2020 sowie Jänner 2021 zu einer davon abweichenden Beurteilung. Aufgrund der Aktualität ist daher den Berichten des EASO zu folgen, die die Situation zudem auch differenzierter als der UNHCR betrachten. Darüber hinaus legen die Feststellungen dar, dass sich die Situation insofern verändert hat, als sich die Anschläge in Kabul gezielt gegen bestimmte Einrichtungen oder wichtige Persönlichkeiten richten. Anschläge, die auch Zivilisten betreffen, finden dagegen nicht mehr im gleichen Ausmaß statt. Auch deswegen kann der UNHCR Einschätzung nicht gefolgt werden.

Zu Mazar-e Sharif und Herat ist den Feststellungen zu entnehmen, dass das Niveau an willkürlicher Gewalt dort so gering ist, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein. Es hat sich zwar in beiden Regionen die Sicherheitslage in abgelegenen Distrikten etwas verschlechtert, die Städte gelten allerdings nach wie vor als sicher, Herat Stadt sogar als sehr sicher. Sowohl Kabul, als auch Herat und Mazar-e Sharif sind durch einen Flughafen über den Luftweg sicher und legal erreichbar.

Auch in Bezug auf die Bewegungsfreiheit ergeben sich aus den Länderfeststellungen und den Schilderungen der BF keine Einschränkungen, die die Schwelle des Art. 2, 3 EMRK überschreiten würden. So ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass Kinder in Kabul übermäßig von Anschlägen betroffen sind. Die BF haben etwa auch keine diesbezüglichen Einschränkungen ihrer in Kabul lebenden Verwandten berichtet. Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die BF von irgendwelchen maßgeblichen Bewegungseinschränkungen betroffen wären, zumal das auch die anderen Bewohner der Stadt Kabul nicht sind. Das gleiche gilt sinngemäß auch für Herat und Mazar-e Sharif. Auch dort ergibt sich aus den Länderfeststellungen keine überproportionale Betroffenheit von Kindern. Im Gegenteil ist im gesamten Staatsgebiet Afghanistans der Anteil von Kindern an den zivilen Opfern deutlich gesunken.

Die Länderberichte zeigen zwar durchaus auf, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Gewalt in Schulen ist dabei eher im ländlichen Gebiet als in Städten gebräuchlich. Aus den Feststellungen ergibt sich jedoch, dass diese Gefahren in Bezug auf die minderjährigen BF aufgrund der konkreten familiären Situation nicht zutreffen. Vielmehr berichteten die BF selbst von keiner erlebten Gewalt in der Familie und traten auch vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht in einer Weise auf, woraus geschlossen werden könnte, dass Gewalt in der Familie vorkommen würde, zumal auch die Verletzungen des BF4 nicht durch den BF verursacht wurden, wie sich aus dem Akteninhalt ergibt. Es zeigt sich demnach nicht, dass die minderjährigen BF Opfer von Gewalt (körperlichen Übergriffen, einschließlich sexueller Gewalt) innerhalb oder außerhalb der Familie werden würden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der BF1 und die BF2 ihre Kinder vor derartigen Übergriffen schützen und solche auch nicht selbst verüben werden.

Die Sicherheitslage steht daher einer Rückkehr nicht entgegen. Auch die Versorgungslage begründet – selbst unter Bedachtnahme auf die Minderjährigkeit des BF3 und des BF4 – keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK. Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in den Städten dennoch auch trotz der Einschränkungen aufgrund der Covid-19 Pandemie zumindest grundlegend gesichert.

So hat die Wirtschaft der Provinz Kabul einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten. Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul.

Herat gehört zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft, zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Als Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt.

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten.

Wie festgestellt ist der BF1 arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Er ist gesund, daher arbeitsfähig und auch -willig. Er verfügt über langjährige, durchaus erfolgreiche Berufserfahrung als Bäcker; dies als Angestellter wie auch Beteiligter an einem Betrieb und in verschiedenen Städten, so etwa auch in Kabul. Diese beruflichen Vorerfahrungen werden ihm auch bei einer Rückkehr in Afghanistan zugutekommen. In Kabul Stadt leben auch Verwandte, dessen Kontakt dem BF1 ebenfalls behilflich sein werden. Gleichfalls ist vor allem der Vater der BF2 ein in Afghanistan bekannter und geschätzter Mann. Auch dessen Kontakte werden daher dem BF1 zugutekommen und ihm die Integration am Arbeitsmarkt erleichtern. Die BF können sich in den afghanischen Städten auch zurechtfinden und sich Ortskenntnisse aneignen, zumal sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Heimatlandes vertraut sind. Besonders leicht wird ihnen das durch die familiäre Unterstützung zwar in Kabul fallen. Es ist aber auch für Herat und Mazar-e Sharif davon auszugehen, dass ihnen das aufgrund der ihnen durch die Familie zukommenden überdurchschnittlich hohen finanziellen Mittel sowie des Netzwerkes der Familie (ua Ortsältester, Lehrerinnen) innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Zu erwähnen ist überdies, dass die BF auch in Österreich ihr eigenes Netzwerk erweitern konnten und sie auch darauf vertrauen dürfen, dass die Familien ihrer hier gewonnenen, ua aus Herat stammenden Freunde, sie zumindest organisatorisch unterstützen werden. Dadurch können sie ihre Rückkehr auch bereits von Österreich aus vorbereiten und sich rechtzeitig eine passende Unterkunft besorgen.

Im Hinblick auf die Minderjährigkeit und die daher erhöhte Prüfpflicht aufgrund der besonderen Vulnerabilität ist auszuführen, dass es den BF, wie in der Beweiswürdigung bereits näher dargelegt, möglich sein wird, in den jeweiligen Städten auch eine sofortige Unterkunft zu beziehen. Auch in diesem Zusammenhang wird ihnen das in Kabul leichter möglich sein, weil dort Verwandte leben. Es ist aber kein Grund ersichtlich, warum sie nicht auch in den anderen Städten bereits vom Bundesgebiet aus eine Unterkunft organisieren können sollten. Dabei können und werden ihnen auch die in Afghanistan lebenden Verwandten sowie deren Netzwerk wie auch ihr eigenes Netzwerk behilflich sein. Die BF werden daher in allen drei Städten eine sofortige Unterkunft zur Verfügung haben. Ebenso werden sie dadurch ihre existenziellen Grundbedürfnisse decken können. Für alle drei Städte kommt den BF auch noch das eigene Ersparte des BF1 sowie die außergewöhnlich hohe familiäre Unterstützung zugute. Es ist deshalb auch in diesen Städten nicht zu befürchten, dass die BF bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende beziehungsweise wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würden.

Den BF ist es aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich dort aus Eigenem mithilfe des Ersparten und der Arbeitstätigkeiten des BF1, etwa auch mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, und – falls überhaupt notwendig – mit Unterstützung der Familie eine Existenz aufzubauen. Dabei wird der BF1, wie auch bisher, arbeiten und sich und die BF2, den BF3 und den BF4 dadurch versorgen können. Dem BF3 und dem BF4 wird auch der Zugang zur Bildung gewährleistet sein, zumal in allen Städten auch öffentliche Schulen bestehen und die Familie aufgrund ihres Reichtums nicht auf Kinderarbeit angewiesen ist, wie sich insbesondere in der Familie der BF2 gezeigt hat. Es ist es den BF daher möglich, ihre Existenz längerfristig zu sichern. Außerdem können die BF auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und so zumindest übergangsweise das Auslangen finden. Dafür, dass die BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse, wie z.B. Nahrung und Unterkunft, einer unzumutbaren Situation ausgesetzt wären, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Damit liegt die erste Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor.

Ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab, insbesondere von persönlichen Umständen des Betroffenen, der Sicherheit, der Achtung der Menschenrechte und der Aussichten auf wirtschaftliches Überleben. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Antragsteller bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 13.02.2020, Ra 2019/01/0005).

Vor der oben bereits wiedergegebenen Einschätzung des EASO ist den BF eine Rückkehr nicht nur möglich, sondern auch zumutbar. Auch in diesem Zusammenhang ist wieder auf die Arbeitsfähigkeit und Arbeitserfahrung des BF1 und die umfassende familiäre finanzielle Unterstützung zu verweisen. Gerade diese finanzielle Unterstützung ist aber nach EASO ein Grund, der eine Rückkehr auch für eine Familie mit minderjährigen Kindern zumutbar machen kann. Genau das liegt hier, aufgrund des Reichtums des Vaters der BF2 vor. Alle BF, auch die minderjährigen BF, sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut. Die kulturelle Umgebung ist daher auch keinem der BF fremd. Ebenso ist jedenfalls der BF1 mit dem Arbeitsmarkt vertraut und kann durch seine Verwandten, Freunde und Bekannten in Afghanistan mit der aktuellen Situation vertraut gemacht werden. Aufgrund seiner Kontakte und jener des Vaters der BF2 sowie seiner langjährigen beruflichen Vorerfahrungen hat der BF1 am afghanischen Arbeitsmarkt Vorteile gegenüber seinen Mitbewerbern. Die BF2 kann, wenn dies gewünscht ist, ebenfalls zum Familieneinkommen beitragen. Die Rückkehr können die BF auch bereits von Österreich aus vorbereiten. Damit liegt auch die zweite Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor.

Der Verfassungsgerichtshof schließt zwar aus der Einschätzung des UNCHR zu Kabul, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für Familien mit minderjährigen Kindern dort grundsätzlich ausgeschlossen ist. Allerdings können auch nach ihm besondere außergewöhnliche Umstände beziehungsweise allenfalls auch Einschätzungen anderer internationaler Organisationen einen gegenteiligen Schluss zulassen (VfGH 11.12.2019, E 2438-2443/2019; 28.11.2019, E 3478-3483/2019; 10.10.2019, E 28-33/2019; 03.10.2019, E 490-492/2018). Derartige außergewöhnliche Umstände hat er etwa dann bejaht, wenn die Familie über ein wertvolles Grundstück verfügt oder der Familie außerordentlich hohe finanzielle Unterstützung zugutekommen wird (VfGH 28.11.2019, E 3419-3422/2019; 24.09.2019, E 4740-4741/2018 sowie E 4742-4743/2018). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat die Rückkehr einer Familie in ihre Heimatstadt Kabul mit mehreren minderjährigen Kindern bereits als nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßend angesehen, die dort ebenfalls über eine sofortige Wohnmöglichkeit und finanzielle Unterstützung verfügten (VwGH 13.05.2020, Ra 2020/20/0133).

Derartige außergewöhnliche Umstände liegen folglich hier vor, verfügen die BF doch über ein familiäres Netz in Kabul, bei dem auch eine sofortige Wohnmöglichkeit besteht. Ebenso kommt den BF außergewöhnlich hohe finanzielle Unterstützung des reichen Vaters der BF2 zu. Alle vom Verfassungsgerichtshof geforderten außergewöhnlichen Umstände liegen hier vor, auch wenn nicht verkannt wird, dass in Herat und Mazar-e Sharif kein familiäres Netzwerk besteht. Allerdings steht auch das einer Rückkehr aufgrund der außergewöhnlich hohen finanziellen Unterstützung nicht entgegen und konnten die BF ihr Netzwerk in Österreich ausweiten. Die Netzwerke ihrer Familienangehörigen werden ihnen wie die Netzwerke ihrer Freunde zugutekommen. Die BF sind auch voll arbeitsfähig und –willig und im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung gut ausgebildet. Sie sind durch den nach wie vor aufrechten Kontakt zur Familie wie auch die Pflege der Freundschaften zu anderen Afghanen in Österreich auch mit den aktuellen Gepflogenheiten vertraut.

Die BF stammen aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass sie bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würden. Vielmehr ist auch ihnen ein Leben, wie es ihre Landsleute in Kabul Stadt führen, möglich und zumutbar, wie auch aus der oben wiedergegebenen Einschätzung des EASO hervorgeht, das von der Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Rückkehr einer Familie mit minderjährigen Kindern ausgeht, wenn dort entweder ein familiäres Netzwerk und / oder ausreichend hohe finanzielle Unterstützung vorhanden ist.

Das steht auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, der zu Familien mit minderjährigen Kindern ausgesprochen hat, dass bei gemeinsamer Betrachtung der UNCHR-Richtlinien und des EASO Country Guidance bei Fehlen eines familiären Netzwerks vor Ort, das heißt am angenommenen Neuansiedlungsort, jedenfalls (das heißt wechselseitig kompensierend zu einem familiären Anschluss) – und insbesondere auch ausreichende – finanzielle Mittel vorhanden sein müssen, um bei Familien mit Kindern eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar erscheinen zu lassen (VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0382). Diese Aussage des Verwaltungsgerichtshofs beruht zwar auf der Vorgängerversion der EASO Country Guidance aus Juni 2019. Diese traf allerdings zu Familien mit minderjährigen Kindern eine ähnliche Aussage. Die Erwägungen sind daher nach wie vor beachtlich und lassen aufgrund der finanziellen Unterstützung eine Rückkehr der Familie zumutbar erscheinen.

Der UNHCR verweist für seine Ansicht im Übrigen auch wesentlich auf den Umstand, dass Rückkehrer im Allgemeinen arm sind, was bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müsse. Wie festgestellt, gehören die BF mit Blick auf die familiären Vermögensverhältnisse nicht zu dieser Personengruppe, sodass der Ansicht des UNHCR im konkreten Fall auch deswegen nicht gefolgt werden kann. Nicht zu vernachlässigen ist im gegenständlichen Fall, dass die BF über Familienmitglieder in Kabul Stadt verfügen, bei denen sie zumindest anfangs unterkommen und von denen sie unter Heranziehung ihrer eigenen Geldmittel versorgt werden können (s. auch S. 66 EASO-Bericht September 2020 über die Bedeutung des sozialen Netzwerkes bei Rückkehr nach Kabul). Darüber hinaus steht dieser Einschätzung die des EASO entgegen, die aktueller und differenzierter ist.

Der Vollständigkeit halber ist aufgrund der aktuellen und zeitlich begrenzten Situation festzuhalten, dass auch die Ausbreitung des Coronavirus einer Rückkehr nicht entgegensteht. So sind sie BF im erwerbsfähigen Alter und jedenfalls soweit gesund, dass sie nicht zur Risikogruppe der alten oder chronisch kranken Personen zählen. Auch die notorisch bekannten Zahlen der an COVID-19 Erkrankten in Afghanistan (s. insbes. WHO, Daily Brief Afghanistan, COVID-19, mit Verweis auf die aktuellen Daten der Johns Hopkins University) zeigen aktuell kein für eine Schutzgewährung hinreichend signifikantes Risiko für die BF auf, wobei nicht verkannt wird, dass zahlreiche Landsleute aus dem stark betroffenen Iran über Herat in ihre Heimatorte zurückkehrten und dass die Dunkelziffern weit höher liegen dürften, weshalb auch in Afghanistan so wie in Österreich teils bereits (vorübergehende) Ausgangsbeschränkungen beziehungsweise -sperren verfügt werden mussten .

Insbesondere spricht die konkrete Situation der BF jedoch nicht für eine reale Gefahr einer Verletzung nach Art. 2, 3 EMRK. Dabei ist zunächst aufgrund der gesundheitlichen Situation der BF und deren Alter insbesondere hervorzuheben, dass selbst bei einer Infektion aufgrund dieser Umstände davon auszugehen ist, dass sie diese, statistisch gesehen, relativ komplikationslos überstehen werden. So zeigen die notorisch bekannten Statistiken, dass eine Infektion bei jungen, gesunden Personen in den weitaus meisten Fällen ohne schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen überstanden wird beziehungsweise diese Gruppe selbst bei einer Infektion überhaupt keine Symptome zeigt. Auch wenn einzelne dieser Personengruppe zwar auch schwer erkranken oder versterben können, besteht nach den derzeit verfügbaren Informationen jedoch jedenfalls keine „reale“ Gefahr. Eine bloße Möglichkeit einer Verletzung der in der EMRK genannten Rechte ist aber für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend.

Auch die aufgrund der Präventionsmaßnahmen erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen machen eine Rückkehr weder unmöglich noch unzumutbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Möglichkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Zusammenhang mit Afghanistan und den Auswirkungen und Folgen der Covid-19-Pandemie bereits klargestellt, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (zuletzt etwa VwGH 18.03.2021, Ra 2020/18/0249 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung sowie weiters 09.11.2020, Ra 2020/20/0373).

Dem gegenständlichen Erkenntnis liegen umfangreiche Feststellungen zu den Folgen und Auswirkungen der Pandemie zugrunde. Aus diesen ergibt sich zwar unstrittig, dass sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert hat, es ergibt sich daraus jedoch nicht, dass eine Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse nicht mehr als gegeben anzunehmen wäre. Derartiges zeigten die BF auch in der Verhandlung nicht auf. Insbesondere ist bei den BF nochmals die außergewöhnlich hohe finanzielle Unterstützung wie auch der vom BF1 angesparte Betrag hervorzuheben. Ebenso ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass der BF1 aufgrund seiner Vorerfahrungen und Kontakte (insbesondere seines Schwiegervaters) nicht auf den besonders betroffenen Markt der Tagelöhner angewiesen ist.

Zusätzlich kommt den BF Rückkehrhilfe zugute. Diese sowie die weiteren Verwandten inner- und außerhalb Afghanistans werden sie bei einer Rückkehr sowohl finanziell als auch organisatorisch unterstützen. In einer Zusammenschau dieser umfangreichen Unterstützungsmöglichkeiten werden die BF daher jedenfalls Zugang zu allen notwendigen Leistungen haben und sie werden in der Lage sein, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dadurch ist es ihnen auch unter den derzeit erschwerten Bedingungen möglich, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Vor diesem Hintergrund und den festgestellten Umständen zur Situation in Afghanistan ergibt sich, dass die Wirtschaft Afghanistans in den hier relevanten Regionen Afghanistans nicht in einem Ausmaß betroffen ist, dass die Möglichkeit einer Existenzsicherung für Rückkehrer (faktisch) ausgeschlossen wäre. Zwar stellt sich die wirtschaftliche Situation noch angespannter als bisher dar, die BF können dies jedoch aufgrund der oben dargelegten Umstände soweit kompensieren, dass das „real risk“ einer existenziellen Notlage in den hier relevanten Regionen für sie nicht besteht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. war daher auch aus diesem Grund als unbegründet abzuweisen.

IV.1.3. Zu den Spruchpunkten III. bis VI. der angefochtenen Bescheide:

IV.1.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder für Opfer von Gewalt, wenn eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO erlassen wurde oder erlassen werden hätte können und die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

Der Aufenthalt der BF ist nicht geduldet, sie sind nicht Zeuge oder Opfer strafbarer Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies im gesamten Verfahren nicht behauptet worden ist.

IV.1.3.2. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die BF sind als Staatsangehöriger von Afghanistan keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Es ist daher grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben eingegriffen, ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf die in § 9 Abs. 2 BFA-VG aufgezählten Kriterien begründet abzusprechen, ob diese zulässig ist. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist somit eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien, vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Es leben keine Familienangehörigen der BF im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung kann die BF nicht in ihrem Recht auf Familienleben verletzen, da sie alle Familienangehörigen gleichermaßen trifft. Der Eingriff in das von Art. 8 EMRK geschützte Privatleben ist aber gerechtfertigt:

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

Die Dauer des Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet seit Juni 2016 wird dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste zumindest dem BF1 und der BF2 bewusst gewesen sein, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen können. Zudem war der Aufenthalt ab der erstinstanzlichen Ablehnung der Anträge auf internationalen Schutz durch das zuständige BFA gemäß der Judikatur des EuGH illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115 , dies unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde (EuGH 19.06.2018, Gnandi, C-181/16, Rn 59).

Nach dem Verwaltungsgerichtshof kommt einem Aufenthalt von unter fünf Jahren für sich noch keine maßgebliche Bedeutung zu (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070). Dementsprechend muss bei Aufenthalten von unter fünf Jahren eine außergewöhnliche Konstellation vorliegen, um die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu rechtfertigen. Eine solche liegt etwa auch dann nicht vor, wenn besondere Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und eines Lehrverhältnisses gezeigt, keine Leistungen aus der Grundversorgung bezogen werden und auch Anstrengungen zur sozialen Integration in seiner Heimatgemeinde unternommen wurden. Alleine dadurch besteht noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass bereits von außergewöhnlichen Umständen gesprochen werden kann, sodass ihm schon unter diesem Gesichtspunkt ein Aufenthaltstitel aus den Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen wäre, zumal diesem das öffentliche Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenübersteht (VwGH 02.09.2019, Ra 2019/01/0088; 22.08.2019, Ra 2019/21/0149; 10.04.2019, Ra 2019/18/0058 mH auf VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, wonach eine Lehre in einem Mangelberuf nicht bereits ihrerseits als besonderes öffentliches Interesse zu berücksichtigen ist).

Mit der Dauer des Aufenthalts nimmt zwar grundsätzlich das persönliche Interesse des Fremden zu, allerdings ist die bloße Aufenthaltsdauer alleine nicht maßgeblich, sondern es ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit die in Österreich verbrachte Zeit genützt worden ist, sich beruflich und sozial zu integrieren. Das gilt auch bei einem etwas mehr als fünfjährigen Aufenthalt (VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0414; 05.10.2020, Ra 2020/19/0330; 28.09.2020, Ra 2020/20/0348).

Bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände darf im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG) maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518). Minderjährigen Kindern, hier also dem BF3 und dem BF4, ist dieser Vorwurf zwar nicht zu machen, gleichwohl muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (VwGH 28.02.2020, Ra 2019/14/0545).

Ist das Alter eines minderjährigen BF mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbunden, kann davon ausgegangen werden, dass für den minderjährigen BF der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat – nach der Rechtsprechung des EGMR, welcher dies in seiner Entscheidung vom 26.01.1999, Sarumi, 43.279/98, bei Kindern im Alter von sieben und elf Jahren als gegeben sah – nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. dazu VfGH 20.09.2012, U423/12 u.a.; weiters VwGH 03.10.2017, Ra 2017/01/0288). Auch bei Kindern im Alter von fünf, vier und zwei Jahren wird vom Verwaltungsgerichtshof die Anpassungsfähigkeit bejaht (VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0139).

Führt die Überprüfung des Kriteriums nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG zu dem Ergebnis, dass ein Minderjähriger zum Heimatland keine oder nur mehr äußerst geringe Bindungen aufweist, wird das – vorausgesetzt, er ist unbescholten und hat in Österreich einen ausreichenden Grad an Integration erreicht – in der Regel dafür sprechen, ihm den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und zwar jedenfalls dann, wenn nicht – in zumutbarer Weise – erwartet werden kann, dass er sich im Falle einer Rückführung an die Verhältnisse im Heimatland, etwa das Erlernen der dortigen Sprache, den Aufbau neuer Kontakte, die Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung, usw., wieder anpassen kann. In einem solchen Fall kommt auch bei einer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich den fehlenden Bindungen der Minderjährigen zum Heimatstaat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung großes Gewicht zu (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).

Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es notwendig ist, sich bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen (VwGH 21.08.2020, Ra 2020/14/0368). Demzufolge sind im Rahmen der Abwägung bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder beziehungsweise Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 05.03.2020, Ra 2020/19/0010).

Unter Berücksichtigung dieser höchstgerichtlichen Leitlinien, liegt bei den BF keine Situation vor, die bereits zur einer Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung führen müsste. Einerseits war der BF1 zwar verschiedentlich ehrenamtlich und teils auch gegen Entgelt beschäftigt. Allerdings handelt es sich dabei im Wesentlichen um die einzige Integration der Familie in die österreichische Gesellschaft. So haben etwa weder der BF1 noch die BF2 besondere Bemühungen beim Erlernen der deutschen Sprache gezeigt, sodass sie die deutsche Sprache auch beide nach wie vor relativ schlecht beherrschen – dies umso mehr gemessen an ihrer Aufenthaltsdauer. Beide waren auch nie in einem Verein tätig und sie verfügen auch über keinen großen Freundeskreis in Österreich. Selbst den spärlich gesetzten Integrationsschritten steht zudem, wie bereits oben ausgeführt, das Bewusstsein über ihren unsicheren Aufenthaltsstatus maßgeblich relativierend gegenüber. Während des gesamten Aufenthalts waren die BF darüber hinaus von staatlichen Unterstützungsleistungen abhängig.

Auch die Bindungen der BF zu ihrem Herkunftsstaat überwiegen die zum Bundesgebiet bei weitem. Dort lebten der BF1 und die BF2 ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise. Auch im Bundesgebiet leben sie im Wesentlichen nach den afghanischen Gepflogenheiten und erziehen auch ihre Kinder danach, was sich auch daran zeigt, dass der BF4 aufgrund der afghanischen Nachbarschaft ausschließlich Dari versteht und, soweit das einem Kind in seinem Alter möglich ist, spricht.

Bei den minderjährigen Kindern ist zwar zu beachten, dass sie im Bundesgebiet geboren wurden und der BF3 den Kindergarten in Österreich besucht. Allerdings leben beide bis auf diesen Besuch des Kindergartens in einem kulturellen und sozialen afghanischen Umfeld. Sie sprechen zu Hause nur Dari und werden entsprechend der afghanischen Tradition aufgezogen, zumal sie auch in einer afghanischen Nachbarschaft leben. Beide BF befinden sich auch noch in einem besonders anpassungsfähigen Alter, sie haben ihren Lebensmittelpunkt in ihrer Familie. Bei einer Rückkehr werden sie auch keinem besonderen Maß an Schwierigkeiten gegenüberstehen, wie oben bei der Beurteilung zum Status der subsidiär Schutzberechtigten bereits ausgeführt wurde. Besonders hervorzuheben ist hier noch einmal, dass sie einerseits im Familienverband zurückkehren und andererseits auch dort Unterstützung durch ihre große Familie erfahren werden. Das Kindeswohl steht einer Rückkehr daher nicht entgegen.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass für einen weiteren Verbleib der BF im Bundesgebiet die teilweise sprachliche Integration des BF1 und der BF2 sowie das (teilweise ehrenamtliche) Engagement des BF1 und die Minderjährigkeit des BF3 und des BF4, die im Bundesgebiet geboren sind, sowie die lange Verfahrensdauer sprechen. Dagegen stehen die illegale Einreise, der unbegründete Antrag auf internationalen Schutz, die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus und das Bewusstsein darüber, die Bindungen zum Herkunftsstaat, der Aufenthalt des BF1 und der BF2 in Afghanistan während ihrer prägenden Jugendjahre (EGMR 01.06.2017, 30441/09, Külecki v Austria; 02.04.2015, 27945/10, Sarközi and Mahran v Austria), die vergleichsweise kurze Aufenthaltsdauer in Österreich und die weitgehend fehlende soziale Integration. Die wenigen privaten Beziehungen können die BF telefonisch oder über soziale Medien aufrechterhalten.

Vor diesem Hintergrund kommt auch der Einstellungszusage des BF1 keine maßgebliche Bedeutung für die Interessensabwägung zu (siehe zB VwGH 14.09.2020, Ra 20220/21/0335; 29.06.2010, 2010/18/0195). Insgesamt überwiegen daher die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, denen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig. Auch in diesem Umfang ist die Beschwerde daher abzuweisen.

IV.1.3.3. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Dazu kann – zumal dazu auch nichts gesondert vorgebracht wurde und auch (iSd § 50 Abs. 3 FPG) keine Empfehlung des EGMR vorliegt – auf die Ausführungen im Zusammenhang mit der Beurteilung des Antrags auf internationalen Schutz verwiesen werden, weil die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 FPG jenen des § 8 AsylG und die des § 50 Abs. 2 FPG jenen des § 3 AsylG entsprechen und ein inhaltliches „Auseinanderfallen“ der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG und der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgeschlossen ist (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, Rn 40 mwN).

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Da von den BF keine Gründe geltend gemacht wurden, die eine längere als die gesetzlich vorgesehene Frist rechtfertigen würden, war die Beschwerde insgesamt als unbegründet abzuweisen.

IV.2. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, ob den BF der Status der Asylberechtigten zu gewähren ist, im Wesentlichen um die Lösung von Tatfragen, zu deren Lösung der Verwaltungsgerichtshof nicht berufen ist. Bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

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