European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200373.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 29. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom 13. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision, die nur im Umfang der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der rechtlich davon abhängenden Ansprüche erhoben wurde, wendet sich gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe in namentlich genannten afghanischen Städten eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme ihm auch zumutbar sei, offen.
8 Dazu bringt der Revisionswerber vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich mit der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers hinsichtlich der aktuellen, „augenscheinlich relevanten“ Thematik der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan und ihre Folgen für die Beurteilung einer innerstaatlichen Fluchtalternative und der Unzulässigkeit der Abschiebung nicht auseinandergesetzt. Das Gericht habe es unterlassen, ausgehend von aktuellen und konkreten Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und den bei einer Rückkehr zu erwartenden persönlichen Lebensumständen des Revisionswerbers nachvollziehbare, auf überprüfbare Ermittlungsergebnisse gegründete Feststellungen zu den konkret dem Revisionswerber in Afghanistan begegnenden Risiken sowie zu der Frage zu treffen, ob ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Verletzung grundlegender, auch einfachgesetzlich gewährleisteter Menschenrechte drohe.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat (auch) das Bundesverwaltungsgericht bei der Feststellung der entscheidungsmaßgeblichen Lage im Heimatland eines Asylwerbers die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Berichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).
10 Der Revision gelingt es ‑ schon mit Blick auf die nachstehend dargestellte Rechtslage ‑ nicht, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK ‑ nur eine solche wird vom Revisionswerber der Sache nach ins Treffen geführt ‑ eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
12 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. zum Ganzen VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0314, mwN).
13 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. dazu VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0196 bis 0198; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, jeweils mwN).
14 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. u.a. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0578).
15 Das Bundesverwaltungsgericht traf fallbezogen unter Bezugnahme auf Länderberichte, die EASO‑Guidelines zu Afghanistan 2018 und 2019 wie auch die UNHCR‑Richtlinien vom 30. August 2018 hinreichend aktuelle Feststellungen zur Situation in namentlich genannten afghanischen Städten (Sicherheits- und Versorgungslage) sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers auseinander. In diesem Zusammenhang verwies das Bundesverwaltungsgericht ‑ was in der Revision nicht bestritten wird ‑ darauf, dass es sich beim Revisionswerber um einen gesunden, volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über Schulbildung verfüge und dem die Unterstützung durch Hilfsorganisationen freistünde.
16 Entgegen den Ausführungen in der Revision setzte sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit den Auswirkungen und Folgen der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan im Allgemeinen und in den für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Frage kommenden Städte im Besonderen unter Heranziehung diverser Länderberichte (vorwiegend datiert mit Mai 2020) auseinander und traf dazu Feststellungen im Hinblick auf die medizinische Versorgung, die (Versorgungs‑)Lage in Provinzen und Städten und die Situation der Rückkehrer. Ausgehend davon bejahte das Verwaltungsgericht die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in den besagten Städten.
17 In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung bereits klargestellt wurde, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0297; 2.7.2020, Ra 2020/20/0212; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255).
18 Vor diesem Hintergrund werden mit dem vorliegenden Revisionsvorbringen, das sich in einem Verweis auf wirtschaftliche Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus erschöpft, ohne aufzuzeigen, von welchen konkreten Auswirkungen der Revisionswerber (im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses) betroffen gewesen wäre, keine exzeptionellen Umstände dargelegt, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Orten die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/20/0329; 1.7.2020, Ra 2020/20/0196 bis 0198, mwN).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 9. November 2020
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