VwGH Ra 2020/20/0314

VwGHRa 2020/20/03147.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M J in L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 2020, W241 2194694‑1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200314.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Pakistan, stellte am 21. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheid vom 4. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 21. April 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Juni 2020, E 1394/2020‑9, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In der Revision wird die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts, das dem vom Revisionswerber zum Grund seiner Flucht erstatteten Vorbringen die Glaubwürdigkeit versagt hat, bekämpft.

9 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN). Dass dies hier gegeben wäre, wird mit dem Vorbringen in der Revision, mit dem in erster Linie bloß die eigenen sachverhaltsbezogenen Behauptungen wiedergegeben und zur Beweiswürdigung lediglich ausgeführt wird, das Verwaltungsgericht hätte die Echtheit und den Wahrheitsgehalt des Inhalts der vorgelegten, vom Heimatland ausgestellten Urkunden nicht wegen der darin enthaltenen Rechtschreibfehler in Zweifel ziehen dürfen, nicht dargelegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers ausführlich auseinandergesetzt und im Rahmen seiner beweiswürdigenden Überlegungen zahlreiche Argumente angeführt, warum dem Vorbringen nicht zu folgen sei. Dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel litte, ist weder zu sehen noch wurde dies in der Revision vorgebracht. Im Übrigen ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Zweifel an der Echtheit und Richtigkeit der vom Revisionswerber vorgelegten Urkunden ‑ anders als in der Revision behauptet ‑ nicht allein mit den darin enthaltenen Rechtschreibfehlern begründet, sondern weitere ‑ vom Revisionswerber nicht angegriffene ‑ Widersprüchlichkeiten ins Treffen geführt hat.

10 Der Revisionswerber macht weiters geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe zum Thema „Auswirkungen der Corona-Pandemie in Pakistan“ keine Erhebungen durchgeführt und dazu auch keine (ausreichenden) Feststellungen getroffen. Diese Auswirkungen seien vom Verwaltungsgericht „offensichtlich verharmlost dargestellt“ worden. Das „Corona‑Virus“ breite sich in Pakistan „weiter exponentiell“ aus. Weiters verweist der Revisionswerber auf ‑ im angefochtenen Erkenntnis getroffene und in der Revision wiedergegebene ‑ Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Pakistan. Zudem ergebe sich aus im Internet abrufbaren Berichten, dass die von der pakistanischen Regierung angeordneten Ausgangsbeschränkungen und Schutzmaßnahmen zu einer „weiteren dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Pakistan geführt hätten. Im Zusammenhang mit der „vulnerablen Situation“ des Revisionswerbers sei davon auszugehen, dass er im Fall der Rückführung in sein Heimatland in eine lebensbedrohliche Lage geraten werde.

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat (auch) das Bundesverwaltungsgericht bei der Feststellung der entscheidungsmaßgeblichen Lage im Heimatland eines Asylwerbers die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Berichte zugrunde zu legen. Eine Verletzung dieser Vorgabe stellt einen Verfahrensmangel dar, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).

12 Der Revision gelingt es ‑ schon mit Blick auf die nachstehend dargestellte Rechtslage ‑ nicht, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK ‑ nur eine solche wird vom Revisionswerber der Sache nach ins Treffen geführt ‑ eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

14 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein ‑ im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen ‑ höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

15 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen.

16 Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zum Ganzen VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, mwN).

17 Dass diese Voraussetzungen fallbezogen ‑ selbst unter Zugrundelegung des Revisionsvorbringens ‑ erfüllt sein könnten, ist nicht zu sehen.

18 Beim Revisionswerber handelt es sich nach den Feststellungen um einen jungen, ledigen, gesunden, arbeitsfähigen und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertrauten Mann, der über eine abgeschlossene Schulausbildung verfügt und im Heimatland auch ein (Medizin‑)Studium begonnen hatte. Er hat bereits im Heimatland Berufserfahrung durch die Tätigkeit in der Apotheke seines Vaters gesammelt und kann zudem im Fall der Rückkehr auf die Unterstützung durch seine Familienangehörigen zurückgreifen. Der Revisionswerber ist nicht an Covid‑19 erkrankt (und gehört in Bezug auf eine solche Erkrankung zudem keiner „Risikogruppe“ an). Die auf eine solche Erkrankung abstellenden Ausführungen des Revisionswerbers sind rein theoretischer und spekulativer Natur. Schon deswegen sind diese nicht geeignet darzulegen, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung die oben dargestellten Leitlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

19 Es ist zudem darauf zu hinzuweisen, dass, selbst wenn sich für den Revisionswerber infolge der seitens pakistanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; 2.7.2020, Ra 2020/20/0212; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255). Zwar wird vom Revisionswerber behauptet, er werde im Heimatland in eine lebensbedrohliche Lage geraten, weil er als vulnerabel einzustufen sei. Es wird aber ‑ abgesehen von bloß kursorisch angesprochenen Umständen, die weder die erste noch die zweite Annahme zu tragen vermögen ‑ nicht dargestellt, worauf sich die Behauptung des Revisionswerber gründet und dementsprechend auch nicht durch ein konkretes auf seine Situation abstellendes Vorbringen untermauert.

20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. September 2020

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