VwGH Ra 2020/20/0133

VwGHRa 2020/20/013313.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in den Rechtssachen der Revisionen von 1. M J P,

2. F P, 3. T P, 4. S P, 5. M P, 6. M W P, und 7. S P, alle in L, alle vertreten durch Mag. Julian Alen Motamedi, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Baumannstraße 9/12A, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 4. März 2020, Zlen. 1. W158 2217782-1/14E, 2. W158 2217779-1/12E,

3. W158 2217790-1/10E, 4. W158 2217787-1/9E, 5. W158 2217780- 1/10E, 6. W158 2217784-1/11E und 7. W158 2217788-1/10E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200133.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind afghanische Staatsangehörige und stellten am 21. Mai 2016 (der Viertrevisionswerber am 23. Oktober 2018) Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet, die weiteren revisionswerbenden Parteien sind ihre minderjährigen Kinder.

2 Mit Bescheiden je vom 27. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diese Anträge sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) ab. Unter einem sprach es aus, dass den revisionswerbenden Parteien kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt (jeweils Spruchpunkt III.), gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG jeweils mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (jeweils Spruchpunkt VI.). 3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer Verhandlung mit den Erkenntnissen vom 4. März 2020 (betreffend den Viertrevisionswerber irrtümlich mit 3. April 2020 datiert) als unbegründet ab und sprach jeweils aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 4 Das BVwG stellte fest, dass die revisionswerbenden Parteien mit Ausnahme des 2018 in Österreich geborenen Viertrevisionswerbers aus der Stadt Kabul stammten. Die Zweitrevisionswerberin habe keine Schule besucht, jedoch sechs Jahre lang als Köchin in einem Kindergarten gearbeitet, "um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen und die Familie finanziell zu unterstützen". Der Erstrevisionswerber habe in der Stadt Kabul zwölf Jahre lang die Schule besucht und danach bis kurz vor seiner Ausreise als Beamter beim Nationalen Sicherheitsdienst gearbeitet. Er habe fünf Schwestern und fünf Brüder. Eine seiner Schwestern lebe in London, eine in Pakistan, seine übrigen Geschwister und seine Mutter lebten in Kabul. Alle fünf Brüder des Erstrevisionswebers seien berufstätig, einer arbeite in einer Bank, einer im Finanzministerium, einer arbeite als Chauffeur, einer verwalte ein Gasthaus, in dem auch Nächtigungen angeboten würden, und einer arbeite als Koch. Der Erstrevisionswerber habe alle zehn Tage Kontakt zu seiner Familie.

5 Die Familie der Zweitrevisionswerberin sei "liberal" eingestellt, ebenso wie die Familie des Erstrevisionswerbers, die auch den weiblichen Familienangehörigen eine Schul- und Berufsausbildung ermögliche.

6 Die revisionswerbenden Parteien könnten sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan im Herkunftsort Kabul, aber auch in Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln. Die Familie habe vor ihrer Ausreise in Kabul in ihrem Eigentumshaus gewohnt und ihren Lebensunterhalt durch die Arbeitstätigkeiten des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin "problemlos bestreiten" können. Das Eigentumshaus sei vermietbar. Durch die Mieteinnahmen könne die Familie auch "über sofortige finanzielle Mittel verfügen", wodurch ihre Versorgung sichergestellt sei, bis der Erstrevisionswerber und seine Frau wieder Arbeit fänden. Diesen sei es aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung und der dadurch vorhandenen Kontakte am Arbeitsmarkt möglich, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern oder ihren früheren Berufen nachzugehen. Dadurch sei die grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) der Familie gesichert. Bei einer Rückkehr in die Heimatstadt Kabul könne die Familie zumindest vorübergehend bei den Familienangehörigen wohnen oder im Gasthaus, das vom Bruder des Erstrevisionswerbers verwaltet werde, unterkommen. Dort würden die grundlegenden Bedürfnisse der revisionswerbenden Parteien "durch die Familienmitglieder versorgt" und sie würden von diesen "finanziell und organisatorisch bei der Suche einer Wohnung, von

Arbeit und Schulplätzen ... unterstützt werden". In Herat oder

Mazar-e Sharif stehe den revisionswerbenden Parteien durch Mieteinnahmen ein laufendes Einkommen zur Verfügung, wodurch sie ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Eine "für afghanische Verhältnisse überdurchschnittliche finanzielle Unterstützung durch die Familienangehörigen" komme ihnen auch in Herat oder Mazar-e Sharif zugute.

7 Das BVwG traf unter anderem Feststellungen betreffend die politische Lage und die Sicherheitslage in Afghanistan, weiters zur Sicherheits-, Wirtschafts- und Versorgungslage in (und zur Erreichbarkeit von) Mazar-e Sharif (Provinz Balkh), Herat und Kabul. Weiters traf es allgemeine Feststellungen zur Lage von Frauen und zu Bildungsmöglichkeiten für Mädchen sowie zur Situation von Kindern (u.a. hinsichtlich Schulbildung, Sicherheitsaspekte und Kinderarbeit).

8 Die vom Erstrevisionswerber vorgebrachten Fluchtgründe (Bedrohung durch die Taliban) bewertete das BVwG mit näherer Begründung als unglaubwürdig. Zu dem von der Zweitrevisionswerberin vorgebrachten Fluchtgrund einer "westlichen Orientierung" stellte es fest, dass deren Familie, ebenso wie die Familie ihres Mannes "liberal" seien und den weiblichen Familienangehörigen eine Schul- und Berufsausbildung ermöglichten. Die Zweitrevisionswerberin habe in Österreich mehrere Deutschkurse und ein Frauencafe besucht. Sie spreche schlecht Deutsch. Weiters besuche sie einen Nähkurs, habe zweieinhalb Jahre in einer Caritaseinrichtung freiwillig als Köchin gearbeitet, sei "beim Projekt Integrationstätigkeit für Asylwerber" angemeldet und habe in diesem Rahmen Hilfstätigkeiten erbracht. Ihren Alltag verbringe die Zweitrevisionswerberin im Kreis ihrer Familie und kümmere sich um den Haushalt. Gelegentlich erledige sie die Einkäufe des täglichen Lebens in ihrem Wohnort. Sie habe "keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde", und sei "nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als ‚westlich' bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert". 9 Disloziert im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung traf das BVwG ferner - näher begründete - Feststellungen zur Situation der minderjährigen revisionswerbenden Parteien im Fall einer Rückkehr der Familie in das Heimatland Afghanistan. Danach seien der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin mit der Situation in Kabul "sehr gut vertraut" und wüssten, "welche Gegenden von ihnen und insbesondere von ihren Kindern zu meiden sind und wie diese sich weitestgehend sicher durch diese Stadt bewegen können". Durch ihren Aufenthalt im dortigen Gebiet seien sie zudem auch mit den kulturellen und religiösen Gepflogenheiten und Bräuchen in der Stadt bekannt. Darüber hinaus lebten, auch wenn das nicht entscheidungswesentlich sei, ihre Familienangehörigen in Kabul und könnten sie über die aktuelle Sicherheitslage und die Änderungen seit ihrer Ausreise informieren. Den revisionswerbenden Parteien stehe bei einer Rückkehr zudem durch das Gasthaus des Bruders des Erstrevisionswerbers und sein Eigentumshaus eine sofortige Wohnmöglichkeit zur Verfügung. Die Kinder hätten ihren Lebensmittelpunkt - ihrem Alter entsprechend - im Wesentlichen in der Familie, so dass auch unter diesem Blickwinkel keine Gefahr drohe. Die "allgemeinen Länderfeststellungen" legten zwar nahe, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität habe durchsetzen können und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien. Auch in diesem Zusammenhang hätten sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die minderjährigen revisionswerbenden Parteien "in ihrer konkreten Lebenssituation von Derartigem betroffen" sein könnten. Vielmehr ergebe sich aus den übereinstimmenden Angaben des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin, dass in der Familie keine Gewalt vorgekommen sei. Ebensowenig hätten sie über Gewalt in der Schule oder durch die Polizei berichtet, weswegen es keinen Grund zu der Annahme gebe, dass sich das bei einer Rückkehr ändern würde.

10 Der Erstrevisionswerber sei ein gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter, bei dem insbesondere aufgrund seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es sei daher anzunehmen, dass er selbst die Grundbedürfnisse seiner Familie abdecken könne, wie es auch bisher der Fall gewesen sei. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass auch seine Frau die Familie durch ihre Arbeitstätigkeit unterstützen könne, wie sie das bisher in Afghanistan getan habe. Es sei nicht aufgezeigt worden, dass besondere Umstände vorliegen würden, wonach bei der Familie der revisionswerbenden Parteien ein - im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung Afghanistans - höheres Risiko bestünde, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

11 In seiner Begründung dieser Annahmen setzte sich das BVwG mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und dem "EASO Country Guidance" zu Afghanistan vom Juni 2019 auseinander. 12 In rechtlicher Hinsicht hielt das BVwG zur Abweisung der Beschwerden im Umfang des Antrags auf Gewährung von subsidiärem Schutz zusammengefasst fest, dass sich aus den Feststellungen nicht ergebe, dass für die revisionswerbenden Parteien in Kabul eine Situation vorliege, die eine Verletzung der in § 8 AsylG 2005 genannten Rechte befürchten ließe. Zwar werde Kabul immer wieder von Anschlägen getroffen, diese träten jedoch insgesamt nicht in einer Dichte und Intensität auf, dass die revisionswerbenden Parteien in einer Stadt, in der laut Schätzungen bis zu sieben Millionen Menschen lebten, in ihrem täglichen Leben einem nicht bloß möglichen, sondern einem realen Risiko ausgesetzt wären. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreichend, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (Hinweis auf VwGH 18.7.2019, Ra 2019/19/0197). Auch unter Beachtung der Vulnerabilität der revisionswerbenden Parteien als Familie mit fünf minderjährigen Kindern bestehe nicht die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK.

13 Im Rahmen der für die Rückkehrentscheidungen maßgeblichen Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG insbesondere die in Österreich gesetzten Aktivitäten der revisionswerbenden Parteien, die (weniger als fünfjährige) Dauer des Aufenthalts, die Unsicherheit des Aufenthalts, die Bindungen zu Familienangehörigen im Herkunftsland und das anpassungsfähige Alter der minderjährigen revisionswerbenden Parteien.

14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 17 Die Revision stützt ihre Zulässigkeit zunächst darauf, dass das BVwG bei der Beurteilung der Asylrelevanz der "westlichen Orientierung" der Zweitrevisionswerberin von der (näher genannten) Rechtsprechung abgewichen wäre. Worin fallbezogen eine solche Abweichung liege, führt die Revision in der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht näher aus, sondern spricht in diesem Kontext letztlich nur Fragen der Beweiswürdigung an. Der Sache nach gegen die Beweiswürdigung gerichtet ist auch das Vorbringen, das BVwG habe die Aussage der revisionswerbenden Parteien unberücksichtigt gelassen, wonach das in ihrem Eigentum befindliche Haus in Kabul "ein Gemeinschaftshaus" sei und sie nicht wüssten, "was mit diesem passiert sei".

18 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 5.11.2018, Ra 2018/14/0166, mwN).

19 Das BVwG hat sich in seiner Beweiswürdigung mit der Glaubwürdigkeit der Behauptung, die revisionswerbenden Parteien wüssten nicht, was mit dem Haus passiert sei, in nicht unschlüssiger Weise auseinandergesetzt. Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung zeigt die Revision auch sonst nicht auf, etwa in Bezug auf jene Überlegungen des BVwG, mit denen es aus den Aussagen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin sowie den sonstigen Beweisergebnissen den Schluss zog, dass die revisionswerbenden Parteien im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit der Unterstützung - unter anderem - von Familienangehörigen rechnen könnten, und bezüglich der näher begründeten Beurteilung des BVwG, dass sich bei der Zweitrevisionswerberin kein "nachhaltige(r) Bruch" mit den in Afghanistan verbreiteten Werten manifestiert habe, die das BVwG auch darauf stützte, dass ihr "Leben in Österreich" im Wesentlichen jenem Leben entspreche, "das sie bereits in Afghanistan führte". Entgegen den Zulassungsausführungen ist in diesem Zusammenhang auch kein Widerspruch darin zu erblicken, dass die Familien der Zweitrevisionswerberin und des Erstrevisionswerbers "liberal" eingestellt seien.

20 Ihre Zulässigkeit vermag die Revision in diesem Zusammenhang auch mit der Behauptung von Ermittlungsmängeln nicht aufzuzeigen. Soweit sie auf das in der Verhandlung vor dem BVwG gestellte (auf S. 11 der Niederschrift vom 27. November 2019 protokollierte), in der Revision als "Beweisantrag" bezeichnete Ersuchen des Erstrevisionswerbers um Vornahme von Vor-Ort-Recherchen Bezug nimmt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Erstrevisionswerber dieses Ersuchen nicht in Zusammenhang mit der in der Zulässigkeitsbegründung thematisierten Frage der "westlichen Orientierung" seiner Frau stellte, sondern zum Beweis seines eigenen Fluchtvorbringens. Dazu hat das BVwG Feststellungen getroffen, die die Revision nicht bestreitet, weshalb die Relevanz des behaupteten Ermittlungsmangels nicht erkennbar ist. Im Übrigen besteht nach der Rechtsprechung kein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat (vgl. VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0051, mwN).

21 Soweit die Revision darüber hinaus sonstige Ermittlungsmängel behauptet, ist ihr zu entgegnen, dass die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Solchen Fragen kann (nur) dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2018/20/0496, mwN).

22 Derartiges zeigt das Zulässigkeitsvorbringen (etwa mit der Behauptung, dass die Einvernahme von österreichischen Bekannten der revisionswerbenden Parteien ergeben habe, dass diese "sehr wohl positiv verankert" seien, oder dass hätte ermittelt werden müssen, ob die afghanischen Familienangehörigen der revisionswerbenden Parteien zu deren Unterstützung überhaupt bereit seien) nicht auf.

23 Dasselbe gilt für das Vorbringen, das BVwG hätte die

minderjährigen revisionswerbenden Parteien einzuvernehmen und

festzustellen gehabt, dass "die in Österreich gelebten Sitten" in

Afghanistan für diese nicht aufrecht zu erhalten wären und dass

infolge "zum Teil erheblicher Anschläge ... den minderjährigen,

schulpflichtigen (revisionswerbenden Parteien) ein Schulbesuch in

Afghanistan ... verwehrt wäre", weswegen diesen der Status der

Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre. Die Revision übersieht mit diesem Vorbringen, dass die Zweitrevisionswerberin im Verfahren vor dem BFA als gesetzliche Vertreterin (vgl. § 10 Abs. 2 BFA-VG) ihrer minderjährigen Kinder angegeben hat, dass diese "keine eigenen Fluchtgründe" hätten. Die Begründungen der die Anträge der minderjährigen revisionswerbenden Parteien abweisenden Bescheide des BFA stützten sich ausdrücklich auf dieses Vorbringen und weder in dem gegen die Bescheide eingebrachten gemeinsamen Beschwerdeschriftsatz noch in der Verhandlung vor dem BVwG wurde davon Abweichendes vorgebracht. 24 Eine Verpflichtung des BVwG, weitere Ermittlungen, etwa durch persönliche Einvernahmen der minderjährigen Kinder zu pflegen, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht erkennen (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0370 bis 0372; 15.10.2018, Ra 2018/14/0143 bis 0145; zum Erfordernis der Ermittlung eigener Fluchtgründe im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 sowie zum Umfang der Ermittlungspflicht des § 18 Abs. 2 AsylG 2005 in diesem Zusammenhang vgl. VwGH 24.3.2015, Ra 2014/19/0063; 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, jeweils mwN).

25 Zu ihrer Zulässigkeit im Umfang der Entscheidung über die Gewährung von subsidiärem Schutz (jeweils Spruchpunkt II. der Bescheide des BFA) behauptet die Revision, das BVwG hätte keine "konkrete(n) Feststellungen" zur persönlichen Situation der minderjährigen revisionswerbenden Parteien "bei einer Rückkehr nach Afghanistan" getroffen und dazu kein mängelfreies Verfahren geführt. Auch dazu ist festzuhalten, dass es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 26.6.2018, Ra 2018/20/0192, mwN). Welche individuellen Feststellungen zu den einzelnen minderjährigen revisionswerbenden Parteien zu treffen gewesen wären, präzisiert das Zulässigkeitsvorbringen jedoch nicht, so dass dem Vorbringen die erforderliche Relevanzdarstellung fehlt.

26 In diesem Zusammenhang gibt das Zulässigkeitsvorbringen ferner im Anschluss an wörtliche Zitate aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018 einzelne Aussagen aus Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes wieder, ohne darzulegen, unter welchem Gesichtspunkt diese Ausführungen eine Revisionszulässigkeit im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründen sollen.

27 Soweit das Zulässigkeitsvorbringen weitere Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes anführt, zeigt es nicht auf, inwiefern diese einschlägig wären und die angefochtenen Erkenntnisse daher von ihnen abweichen (das Erkenntnis vom 13.12.2016, Ra 2016/20/0098, betraf die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz unter Heranziehung veralteter Informationen zur Lage in der Ukraine; das Erkenntnis vom 30.8.2017, Ra 2017/18/0036 bis 0041, betraf eine Zurückweisung nach § 5 AsylG 2005 wegen der Zuständigkeit Bulgariens; das Erkenntnis vom 26.2.2020, Ra 2019/18/0459 bis 0464, erging zu einer - auf die aus Kabul stammenden revisionswerbenden Parteien nicht übertragbaren - Konstellation, in dem die "Ansiedelung in Kabul" nach dem für die Inanspruchnahme einer "zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative" geltenden Maßstab zu prüfen war). Soweit das Zulässigkeitsvorbringen mit weiteren Zitaten (etwa VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0089 bis 0095; 21.3.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) auf Rechtsprechung zur Berücksichtigung der besonderen Vulnerabilität von Familien hinweist, wird nicht aufgezeigt, dass das BVwG von dieser abgewichen wäre, zumal eine solche Berücksichtigung in den angefochtenen Erkenntnissen nicht fehlt.

28 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN).

29 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026, mwN).

30 Das zur Revisionszulässigkeit erstattete Vorbringen, dass der in Österreich geborene Viertrevisionswerber nie in Afghanistan gewesen sei, vermag nicht aufzuzeigen, dass dem BVwG bei der Gesamtbeurteilung der Umstände - die auch die Anpassungsfähigkeit der minderjährigen revisionswerbenden Parteien einbeziehen durfte (vgl. dazu VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274) - eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.

31 Von den revisionswerbenden Parteien werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 13. Mai 2020

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