European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190382.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerber. Alle sind Staatsangehörige Afghanistans und gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Sämtliche Revisionswerber, bis auf die in Österreich nachgeborene Viertrevisionswerberin, stammen aus der Provinz Kabul und stellten am 5. Jänner 2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Für die Viertrevisionswerberin wurde von den Eltern am 23. Februar 2018 internationaler Schutz beantragt. Diese Anträge begründeten sie im Wesentlichen damit, dass der Bruder des Zweitrevisionswerbers für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet habe und die Taliban sie deshalb mit dem Umbringen bedroht hätten.
2 Mit Bescheiden vom 24. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz der Erst- bis Drittrevisionswerber vollinhaltlich ab, erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Betreffend die Viertrevisionswerberin wurde ein inhaltlich gleichlautender Bescheid mit 22. Mai 2018 erlassen.
3 Die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber wies das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung legte das Bundesverwaltungsgericht dar, dass die Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgung hätten glaubhaft machen können. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass den Revisionswerbern die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazare Sharif zumutbar sei. Ein familiäres Netzwerk der Revisionswerber unmittelbar in der Stadt Mazar-e Sharif existiere nicht. Jedoch könnten die Angehörigen des Zweitrevisionswerbers die Revisionswerber bei deren Rückkehr in einem erheblichen Ausmaß finanziell unterstützen. Im gegenständlichen Fall sei insbesondere durch den Vater des Zweitrevisionswerbers bzw. dessen vermögende Familie nicht bloß von einer allfälligen, sondern einer konkreten Unterstützungsmöglichkeit in relevantem Umfang auszugehen. 5 Das Bundesverwaltungsgericht verkenne nicht, dass es sich bei dem Drittrevisionswerber und der Viertrevisionswerberin um vulnerable Personen handle. Sprengkörper und Sprengfallen, einschließlich Landminen, würden zwar eine Gefahr besonders für Kinder darstellen, diesbezüglich sei jedoch zu erwarten, dass die Eltern den Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin vor diesen spezifischen Gefahrenquellen entsprechend schützen würden. Die Länderfeststellungen würden auch nicht aufzeigen, dass im Gegensatz zu anderen Gebieten in Afghanistan, gerade die Stadt Mazar-e Sharif, welche nicht umkämpft sei und in der die Anzahl von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente nach Art und Häufigkeit eher als gering einzustufen sei, vom verstärkten Einsatz solcher Sprengkörper betroffen wäre.
6 Mit Beschluss vom 24.September 2019, E 4740-4741/2018 sowie E 4742-4743/2018, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse gerichteten Beschwerden gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG ab.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Bundesverwaltungsgericht setze sich über die Auffassung des UNHCR hinweg, eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative könne in Afghanistan für Familien mit Kindern grundsätzlich nur an Orten angenommen werden, an denen soziale Anknüpfungspunkte bestehen würden. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien lediglich für alleinstehende leistungsfähige Männer und Paare im erwerbsfähigen Alter vorgesehen. Überdies ergebe sich aus den Feststellungen keineswegs, dass die für Kinder bestehende Gefahr, Opfer von "explosiven Kriegsmassen" zu werden, durch die Auswahl der Spielorte oder Aufklärung ausgeräumt werden könne. Es handle sich dabei um eine bloße Mutmaßung des Bundesverwaltungsgerichts, die eine grundsätzliche Verkennung kindlicher Verhaltensmuster offenbare.
11 Soweit die Revision vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht setze sich über die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 hinweg, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach diesen Richtlinien besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).
12 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich im vorliegenden Fall ausführlich mit den UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 auseinander und stellte sie dem EASO Länderleitfaden Afghanistans gegenüber. Dabei ist es zu der Auffassung gekommen, dass bei gemeinsamer Betrachtung der mit Indizwirkung ausgestatteten Richtlinien des UNHCR und des EASO bei Fehlen eines familiären Netzwerks vor Ort, das heißt am angenommenen Neuansiedlungsort, jedenfalls (das heiße wechselseitig kompensierend) - und insbesondere auch ausreichende - finanzielle Mittel vorhanden sein müssten, um bei Familien mit Kindern eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar erscheinen zu lassen.
13 Im Hinblick auf die Revisionswerber sei davon auszugehen, dass die sehr vermögenden Eltern des Zweitrevisionswerbers die Revisionswerber bei deren Rückkehr in einem erheblichen Ausmaß - das bedeute in überdurchschnittlichem Umfang - bei deren Neuansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif finanziell unterstützen könnten. Es kann daher - entgegen den Behauptungen in der Revision - nicht gesagt werden, dass sich das Bundesverwaltungsgericht ohne nähere Auseinandersetzung über die genannten UNHCR-Richtlinien hinweggesetzt hat.
14 Die Revision zeigt zudem nicht auf, dass die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Revisionswerber im konkreten Einzelfall in der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative vorfinden würden, deren Inanspruchnahme ihnen auch zumutbar sei, unvertretbar wäre. 15 Sofern die Revision geltend macht, dass für den Drittrevisionswerber und die Viertrevisionswerberin die Gefahr bestehe, durch einen explosiven Sprengkörper verletzt oder getötet zu werden und sie als Kinder besonders vulnerabel seien, ist diesbezüglich auszuführen, dass die Einschätzung des BVwG, die unter Berücksichtigung der besonderen Vulnerabilität der minderjährigen Revisionswerber und der Länderberichte getroffen wurde, im vorliegenden Einzelfall würde bei Neuansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte des Drittrevisionswerbers und der Viertrevisionswerberin eintreten, nicht unvertretbar ist. Angesichts der in der Revision unbestritten gebliebenen Feststellungen zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif kann dem Bundesverwaltungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten verneint hat. Die Revision zeigt nicht konkret auf den vorliegenden Fall bezogen auf, warum entgegen der festgestellten Situation eine Rückkehr zu einer Verletzung der minderjährigen Revisionswerber in ihren Rechten nach Art. 2 oder 3 EMRK führen würde. 16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 28. November 2019
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