BVwG W163 1413318-3

BVwGW163 1413318-315.3.2021

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §59
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W163.1413318.3.00

 

Spruch:

 

W163 1413318-3/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.09.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Indien, reiste unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am 06.05.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 10.05.2010 den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.11.2010, Zl. C8 413318-1/2010/4E, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

4. Am 17.12.2010 wurde der BF vor der Bundespolizeidirektion XXXX niederschriftlich einvernommen. Er wurde über die Rechtskraft der ausgesprochenen Ausweisung mit 01.12.2010 informiert und zusammengefasst aufgefordert, an der Erlangung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken.

5. Mit Schreiben vom 20.12.2010 wurde durch die Bundespolizeidirektion XXXX um Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der Botschaft der Republik Indien ersucht. Ein vom BF ausgefülltes Formblatt wurde dem Ersuchen angeschlossen.

6. Mit Schreiben vom 16.02.2011 erfolgte ein Erinnerungsschreiben an die Botschaft der Republik Indien.

7. Am 08.04.2011 beantragte der rechtsfreundliche Vertreter die „Erteilung einer Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX .

8. Am 17.04.2011 wurde der BF wegen unrechtmäßigem Aufenthalts gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG angezeigt.

9. Mit Schreiben vom 21.04.2011, 15.07.2011 und 25.10.2011 erfolgten Erinnerungsschreiben an die Botschaft der Republik Indien betreffend Ausstellung eines Heimreisezertifikates.

10. Mit Bescheid vom 07.05.2012 wies das Amt der XXXX den Antrag des BF auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ab.

11. Mit Schriftsatz vom 11.09.2013 regte der rechtsfreundliche Vertreter des BF bei der Landespolizeidirektion XXXX die Ausstellung einer Karte für Geduldete an.

12. Am 14.05.2014 wurde dem BF eine Karte für Geduldete mit einer Gültigkeitsdauer bis 13.05.2015 ausgestellt. Als Grund für die Ausstellung wurde im Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Nachfolgenden: BFA) vom 14.05.2015 im zusammengefasst festgehalten, dass die Beschaffung von Heimreisezertifikaten bei der Botschaft Indiens seit „geraumer Zeit nicht möglich“ sei, und die Abschiebung des BF aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

13. Am 27.02.2015 beantragte der BF die Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG, Duldung des Aufenthalts i. S. des § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG.

14. Mit Aktenvermerk vom 06.08.2015 wurde durch das BFA festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Duldung weiterhin vorliegen und der Fremde eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gem. § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG erhalte. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragt und trotz mehrfacher Urgenzen des Bundesministeriums für Inneres nicht erlangt werden konnte.

15. Am 09.06.2016 beantragte der BF die Verlängerung des Aufenthaltstitels „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG. Am 07.07.2016 wurde der BF zum Verlängerungsantrag vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

16. In weiterer Folge wurde dem BF die Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG für ein weiteres Jahr erteilt. Im Aktenvermerk vom 12.08.2016 wurde zusammengefasst festgestellt, dass ein Heimreisezertifikat nicht erlangt werden könne und die Voraussetzungen des § 57 weiterhin vorlägen.

17. Am 10.07.2018 beantragte der BF die Verlängerung des Aufenthaltstitels „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG. Dem Antrag wurden unter anderem Kopien eines gültigen indischen Reisepasses angeschlossen.

18. Am 28.08.2019 wurde der BF vor dem BFA im Verfahren zum Verlängerungsantrag niederschriftlich einvernommen. Der vom BF vorgelegte Reisepass, ausgestellt am 03.12.2015 wurde sichergestellt.

19. Mit Bescheid vom 23.09.2019, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag vom 10.07.2018 auf Verlängerung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AslyG ab (Spruchpunkt I.). Gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

20. Gegen diesen am 24.09.2019 ordnungsgemäß zugestellten Bescheid richtet sich die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde vom 18.10.2019.

21. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 23.10.2019 vom BFA vorgelegt.

22. Mit verfahrensleitender Anordnung vom 11.01.2021, Zl. Fr 2020/21/0041-3, wurde dem BVwG der Fristsetzungantrag des rechtfreundlichen Vertreters mit der Aufforderung zugestellt, binnen zwei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen.

23. Das BVwG führte am 17.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und sein rechtsfreundlicher Vertreter persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grunde des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

Der unter Punkt I.1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt und der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Kapurthala, Bundesstaat Punjab (Indien). Er ist Staatsangehöriger Indiens.

Der BF besuchte in Indien sieben Klassen der Schule und hat im Lebensmittelgeschäft seines Vaters gearbeitet.

Der BF ist nicht verheiratet, nicht verlobt und lebt nicht in einer Lebensgemeinschaft. Der BF hat keine Kinder. Die Eltern des BF leben in Indien und der BF steht in telefonischem Kontakt mit seinen Eltern. Der BF hat seine Eltern in den Jahren 2016 und in Indien besucht.

Mit Zustellung der abweisenden Entscheidung des Asylgerichtshofs am 01.12.2010 wurde das Asylverfahren mit einer durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung gegen den BF abgeschlossen.

Dem BF war ein auf ihn ausgestellter gültiger indischer Reisepass zugänglich. Der BF hat dies weder im Rahmen der Bemühungen um Erlangung eines Heimreisezertifikates noch in Verfahren auf Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen bis zum Verlängerungsantrag am 10.07.2018 bekanntgeben und sogar in Abrede gestellt, weshalb ihm Aufenthaltsberechtigung erteilt wurden, obwohl die Voraussetzungen somit nicht vorlagen.

Der BF hält sich seit zehn Jahren und zehn Monaten im österreichischen Bundesgebiet auf. Von 06.05.2010 bis 01.12.2010 hielt sich der BF im Rahmen des Verfahrens auf internationalen Schutz rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der BF ist seiner Ausreiseverpflichtung nach abweisender Entscheidung seines Antrages auf internationalen Schutz nicht nachgekommen. Der weitere Aufenthalt stützt sich auf den Umstand, dass der BF seinen gültigen Reisepass vor den Behörden verborgen und dessen Existenz in Abrede gestellt hatte, weshalb ihm Aufenthaltsberechtigungen ausgestellt wurden.

Der BF hat nur rudimentäre Deutschkenntnisse und versteht einfache Fragen nur zum Teil und kann diese nur teilweise sinnzusammenhängend beantworten. Eine Deutschprüfung des ÖIF (Österreichischer Integrations Fonds) hat der BF nicht bestanden.

Der BF arbeitet als Speisenzusteller und verdient durchschnittlich € 1.000,-- pro Monat. Gelegentlich verteilt der BF gemeinsam mit einem Freund zusätzlich Reklame ohne vertragliche Regelung und verdient damit im Monat zwischen € 400 – 450,--.

Der BF verfügt über keine ausgeprägten sozialen Kontakte, seine Freizeit verbringt er zu Hause. Der BF nimmt keine Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch und geht weder kulturellen noch sportlichen Aktivitäten nach, er ist auch nicht Mitglied in einem Verein.

Der BF teilt sich eine Wohnung mit einem Freund. Der Mietvertrag für die Wohnung lautet auf den BF und er bezahlt für diese Wohnung monatlich € 361,71.

Der BF ist gesund und erwerbsfähig.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom 11.11.2020:

Politische Lage

Letzte Änderung: 23.10.2020

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 5.10.2020; vgl. AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2 .2020a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2 .2020a; vgl. AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 8.2020a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9 .2020a). Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9 .2020a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 8.2020a).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 8.2020a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 8.2020a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 7.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Mai_2019),_19.07.2019.pdf , Zugriff 15.10.2020

 AA – Auswärtiges Amt (9.2020a): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048 , Zugriff 15.10.2020

 BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 20.10.2020

 CIA - Central Intelligence Agency (5.10.2020): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html , Zugriff 15.10.2020

 DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverhältnis/a-52556817 , Zugriff 28.2.2020

 FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html , Zugriff 28.2.2020

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2020a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/ , Zugriff 15.10.2020

 KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626 , Zugriff 14.2.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi , Zugriff 20.2.2020

 SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf , Zugriff 18.2.2020

 SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/ , Zugriff 16.1.2020

 TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law , Zugriff 28.2.2020

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 1.11.2020).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Punjab

Letzte Änderung: 23.10.2020

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015).

Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders als im übrigen Indien dar. Jüngste Berichte internationaler Menschenrechts-NGOs (Amnesty International, Human Rights Watch), aber auch jene des US State Department enthalten keine gesonderten Informationen zum Punjab (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Per 13.10.2020 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 13.10.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

 BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463 , Zugriff 18.10.2018

 MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html , Zugriff 18.10.2018

 ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 SATP - South Asia Terrorism Portal (13.10.2020): Datasheet – Punjab, Data View, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab , Zugriff 15.10.2020

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

 USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004219.html , Zugriff 13.8.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 05.11.2020

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 4.3.2020). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums vom September 2018 hat ergeben, dass von insgesamt 1.079 Planstellen an den 24 Obergerichten des Landes 414 Stellen nicht besetzt waren (USDOS 11.3.2020). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 4.3.2020). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 23.9.2020).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge. Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 23.9.2020).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 11.3.2020). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 11.3.2020).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 9.2020).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse („Public Interest Litigation petitions“, PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 4.3.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Mai_2019),_19.07.2019.pdf , Zugriff 19.3.2020

 CM – Citizen Matters (2.8.2017): A guide to filing a Public Interest Litigation (PIL), http://citizenmatters.in/a-guide-to-filing-a-public-interest-litigation-pil-4539 , Zugriff 13.8.2019

 Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html , Zugriff 9.3.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 05.11.2020

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 7.2020) und untersteht den Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 7.2020).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 7.2020; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 7.2020). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 23.9.2020; vgl. BICC 7.2020). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 7.2020).

Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2020).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 23.9.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 23.9.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 23.9.2020).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 23.9.2020). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 9.2020). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 23.9.2020).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force") unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

 BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf , Zugriff 11.2.2020

 Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html , Zugriff 9.3.2020

 HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html , Zugriff 17.1.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020) Asylländerbericht Indien

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

 War Heros of India (15.1.2017): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html , Zugriff 19.3.2020

Korruption

Letzte Änderung: 05.11.2020

Korruption ist weit verbreitet (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2019 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019).

NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 13.3.2019). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 11.3.2020).

Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 4.3.2020). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 11.3.2020).

Die breite Öffentlichkeit hat im Allgemeinen Zugang zu Informationen über die Regierungsgeschäfte, dennoch ist der gesetzliche Rahmen, welcher Transparenz gewährleisten soll, in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Die Änderungen des Whistleblowers Protection Act seit seiner Verabschiedung im Jahr 2014 wurden dahingehend kritisiert, dass sie die Effektivität des Gesetzes aushöhlen, die ohnehin als begrenzt eingestuft wurde. Das Gesetz über das Recht auf Information (RTI) von 2005 wird weithin genutzt, um die Transparenz zu erhöhen und korrupte Aktivitäten aufzudecken. Jedes Jahr werden Millionen von Anträgen auf der Grundlage dieses Gesetzes eingereicht. Laut der Menschenrechtsinitiative des Commonwealth wurden jedoch mehr als 80 Nutzer des Informationsrechts und Aktivisten ermordet und Hunderte wurden angegriffen oder bedroht (FH 4.3.2020).

Gemäß Angaben der Zentralen Untersuchungsbehörde (Central Bureau of Investigation - CBI) unterhält jeder Bundesstaat in Indien mindestens ein Büro unter der Leitung eines Polizeichefs, in welchem Beschwerden per Post, Fax oder persönlich eingereicht werden können. Dabei kann auf Wunsch auch die Identität des Beschwerdeführers geheim gehalten werden. 2018 und 2019 wurden 43.946 Beschwerden im Zusammenhang Korruption registriert. 41.775 Beschwerden wurden abgelehnt. Im Untersuchungszeitraum zwischen Jänner und Anfang Mai 2019 wurden vom CBI insgesamt 412 Korruptionsfälle registriert (CBI o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020).

Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu haben, lag 2019 bei 51 Prozent (2017: 45 Prozent). Die drei korruptionsanfälligsten Bereiche sind Grundbucheintragungen und Grundstücksangelegenheiten, sowie die Polizei und die kommunalen Vertretungen (IT, 26.11.2019; vgl. IT 11.10.2018).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 CBI (o.D.): Join us in Fighting Corruption, http://www.cbi.gov.in/contact.php , Zugriff 7.11.2018

 Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html , Zugriff 9.3.2020

 IT – India Times (26.11.2019): Incidents of bribery in India reduced by 10 pc since last year: Survey., https://www.indiatoday.in/india/story/incidents-of-bribery-in-india-reduced-by-10-pc-since-last-year-survey-1622859-2019-11-26 , Zugriff 17.3.2020

 IT – India Times (11.10.2018): Bribery records 11 per cent growth in one year, finds survey, https://www.indiatoday.in/india/story/56-per-cent-paid-bribe-in-last-one-year-91-per-cent-don-t-know-about-anti-corruption-helpline-survey-1360392-2018-10-11 , Zugriff 7.11.2018

 TI - Transparency International (2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019 , Zugriff 20.2.2020

 TI - Transparency International (2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018 , Zugriff 30.1.2019

 TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017#regional , Zugriff 7.11.2018

 TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index 2016, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016 , Zugriff 7.11.2018

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

Ombudsmann

Letzte Änderung: 23.10.2020

Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) gegründet. Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtgesetzes aus dem Jahre 1993. Die Kommission verkörpert das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte (NHRC 2.8.2018).Die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) ist ein unabhängiges und unparteiisches Untersuchungs- und Beratungsorgan der Zentralregierung. Sie hat das Mandat sich mit Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu befassen, sich in Gerichtsverfahren einzuschalten, die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und das öffentliche Bewusstsein für Menschenrechte zu fördern. Die NHRC ist direkt dem Parlament rechenschaftspflichtig. Sie hat die Möglichkeit Zeugen zu laden, Dokumentationen zu erstellen und öffentliche Berichte einzufordern. Sie empfiehlt auch angemessene Entschädigungen in Form von Kompensationen für Familien von Getöteten oder Verletzten. Sie kann aber weder die Umsetzung ihrer Empfehlungen durchsetzen noch Vorwürfen gegen militärisches oder paramilitärisches Personal nachgehen (USDOS 11.3.2020).

24 Bundesstaaten haben eigene Menschenrechtskommissionen, die eigenständige Untersuchungen durchführen, aber unter der NHRC arbeiten. Menschenrechtsgruppen mutmaßen, dass die Menschenrechtskommissionen durch die lokale Politik in ihrer Tätigkeit eingeschränkt sind (USDOS 11.3.2020).

Es gibt Vorwürfe von Menschenrechtsgruppen, wonach Fälle, die älter als ein Jahr sind, nicht untersucht werden. Sie kritisieren weiter, dass nicht alle Beschwerden registriert werden, Fälle willkürlich abgewiesen werden, nicht gründlich untersucht werden und Beschwerden zurück zum angeblichen Verursacher geleitet werden, sowie, dass die Beschwerdeführer nicht ausreichend geschützt werden (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

 NHRC -The National Human Rights Commission India (2.8.2018): The National Human Rights Commission India, http://www.nhrc.nic.in/about-us/about-the-Organisation , Zugriff 22.10.2020

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 06.11.2020

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 7.2020). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, ÖB 9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 20.10.2020

 FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html , Zugriff 18.3.2020

 ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien

 USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html , Zugriff 22.7.2020

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 13.3.2020

 

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 22.10.2020

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 23.9.2020).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Myanmar. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 9.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html , Zugriff 17.3.2020

 

 

Meldewesen

Letzte Änderung: 05.11.2020

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Allerdings besteht für alle EinwohnerInnen (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen. Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 23.10.2020

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Mio. Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und 2017/18 bei 6,75 Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4,9 Prozent. Für 2020 wurde ein Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Doch schrumpfte im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2020/2021 (1. April 2020 bis 30. Juni 2021) aufgrund der COVID-19-Pandemie das Wirtschaftswachstum um beispiellose 23,9 Prozent. Der private Konsum und die Investitionen gingen stark zurück. Gleichzeitig verringerte sich in derselben Periode der Output der Industrie (Minus 38 Prozent) und des Dienstleistungssektors (Minus 21 Prozent) dramatisch. Für das am 1.4.2020 begonnene Geschäftsjahr erwarten Experten, dass die indische Wirtschaft um 9,6 Prozent schrumpfen und danach nur sehr langsam eine Erholung einsetzen wird. Die schwächelnde Nachfrage im In- und Ausland dürfte auch die Handelsbilanz in beide Richtungen belasten (WKO 10.2020).

2017 lag die Erwerbsquote bei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Frauen sind weniger häufig als Männer berufstätig (FES 9.2019). Indien besitzt mit ca. 520 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote bei 7,6 Prozent, 2020 bei 10,8 Prozent. Für 2021 wird eine Arbeitslosenrate von 9,5 Prozent erwartet (WKO 10.2020).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (Shah-Paulini 2017).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2019; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2019).

Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 7.2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 2019).

Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).

55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2019): Länderinformationsblatt Indien, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf , Zugriff 22.10.2020

 BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world's largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787 , Zugriff 17.1.2019

 BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 20.10.2020

 FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in India, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf , (Zugriff 18.3.2020

 HRW – Human Rights Watch (14.1.20120): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html , Zugriff 17.1.2020

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html , Zugriff 17.1.2019

 ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/ , Zugriff 17.1.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=180854 , Zugriff 13.3.2020

 Shah-Paulini, Purvi (2017): Chefsache Integrales Business mit Indien. Den Subkontinent aus verschiedenen Perspektiven verstehen. Springer Gabler Verlag. Seite 40

 StBA – Statistisches Bundesamt (26.8.2019): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicationFile , Zugriff 15.3.2020

 Wiemann, Kristina N. (2019): Qualifizierungspraxis deutscher Produktionsunternehmen in China, Indien und Mexiko: Eine Analyse der Übertragbarkeit dualer Ausbildungsansätze. Springer Verlag. Seite 201

 WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 21.10.2020

 WKO - Aussenwirtschaft Austria (1.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 11.2.2020

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 05.11.2020

Eine gesundheitliche Minimalversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 9.2020; vgl. BAMF 3.9.2018). Sie ist aber durchwegs unzureichend (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten europäische Standards. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 23.9.2020). Darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 3.9.2018). Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 3.9.2018).

Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.500 solcher Kliniken in Indien, von denen 15.700 von nur einem Arzt betrieben werden. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 3.9.2018).

Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 9.2020).

Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 26.8.2019) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (GTAI 23.4.2020). In ländlichen Gebieten ist der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden. Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen (WKO 10.2020).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 3.9.2018).

Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan begonnen (auch „Modicare“ genannt), einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können. Diese Krankenversicherung deckt die wichtigsten Risiken und Kosten ab. Dazu kommen noch verschiedene öffentliche Krankenversicherungen in einzelnen Unionsstaaten mit unterschiedlichem Empfänger- und Leistungsumfang (ÖB 9.2020). Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 3.9.2018).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 23.9.2020). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden. (BAMF 3.9.2018). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 23.9.2020). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 3.9.2018).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.9.2018): Länderinformationsblatt Indien, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_India_DE.pdf , Zugriff 18.3.2020

 GTAI – German Trade and Invest (23.4.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Indien, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/covid-19-gesundheitswesen-in-indien-234420 , Zugriff 15.5.2020

 StBA – Stadistisches Bundesamt (26.8.2019): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.pdf?__blob=publicationFile , Zugriff 19.3.2020

 ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 21.10.2020

Rückkehr

Letzte Änderung: 23.10.2020

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Auswärtiges_Amt,_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_(Stand_Juni_2020),_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

 ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien

 

Covid-19-Pandemie

WHO, Coronavirus disease (COVID-19), Weekly Epidemiological Update, 07.03.2021

In Indien sind mit Stand 07.03.2021 11210799 Erkrankungen und einer Gesamtzahl von 157756 Todesfällen. Die entspricht 11,4 Todesfällen pro 100 000 Einwohner.

II. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

II.1. Zum Verfahrensgang

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG.

II.2. Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

2. Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des BF und zu seiner Staatsangehörigkeit beruhen auf den im Verfahren vorgelegten Reisepass ersichtlichen Daten (AS 19 – 21). Die Feststellungen zum Herkunftsort basieren auf den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung, die mit seinen Angaben im Asylverfahren in Einklang stehen.

3. Die Feststellung zum Bildungs- und Berufsweg des BF in Indien beruht auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (Protokoll der mV S. 4).

4. Die Feststellungen zu seinem Familienstand, seinen familiären Verhältnissen und dem Aufenthalt seiner Familienangehörigen in Indien fußen auf den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung (Protokoll der mV S. 4).

5. Die Feststellung, dass dem BF im Bundesgebiet ein gültiger indischer Reisepass zugänglich war, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Der BF hat dem „Verlängerungsantrag `Besonderer Schutz´ gemäß § 59 AsylG“ vom 10.07.2018 unter anderem die Kopie eines auf ihn ausgestellten indischen Reisepasses, ausgestellt von der indischen Botschaft in Wien am 03.12.2015, gültig bis 02.12.2025, vorgelegt. Auf Seite 34 dieses Reisepasses ist vermerkt, dass der Reisepass des BF Nr. XXXX , ausgestellt am 04.08.2004 in Jalandhar, entwertet und dem BF retourniert wurde („OLD PPT CLD AND RETURNED“). Der BF hat in der Beschwerdeverhandlung auf konkrete Frage angegeben, dass dieser Reisepass bis zum Jahr 2014 gültig gewesen sei und bestätigt, diesen anlässlich der Beantragung eines neuen Reisepasses vorgelegt zu haben. Der BF hat in seinem Verfahren auf internationalen Schutz im Rahmen der Erstbefragung am 15.04.2010 auf konkrete Frage angegeben, dass ihm sein Reisepass gegen seinen Willen in Moskau von einem Schlepper abgenommen worden sei. Wäre dem BF sein Reisepass im Jahr 2010 vom Schlepper bereits in Moskau abgenommen worden, hätte er diesen im Jahr 2015 nicht der indischen Botschaft in Wien vorlegen können. In der Beschwerdeverhandlung gab der BF auf konkrete Frage vage an, „ein Freund“ habe ihm den Reisepass im Jahr 2015 gegeben. Auf Grund dieser widersprüchlichen Angaben und dem Faktum, dass der BF seinen Reisepass im Jahr 2015 der indischen Botschaft in Wien vorgelegt hat, gelangt das erkennende Gericht zu Auffassung, dass der BF während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet im Besitz eines gültigen Reisepasses war und die Behauptung, dieser Reisepass sei ihm bereits im Jahr 2010 in Moskau abgenommen worden, dem Zweck der Verhinderung einer Abschiebung diente. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 46 Abs 2 AsylG lagen daher nicht vor, das diese Bestimmung auf Fremde, die über kein Reisedokument verfügen abstellt.

6. Die Feststellung, dass sich der BF zehn Jahre und zehn Monate dauernden Aufenthalt auf den Umstand stützt, dass der BF seinen gültigen Reisepass vor den Behörden verborgen und dessen Existenz in Abrede gestellt hatte, stützt sich auf folgenden Erwägungen:

Wie oben dargelegt, geht das erkennende Gericht davon aus, dass der BF im Besitz eines gültigen Reisepasses war. Der BF hat im Rahmen der Bemühungen der Bundespolizeidirektion XXXX um Ausstellung eines Heimreisezertifikates am 20.12.2010 ein Formblatt der indischen Botschaft ausgefüllt, aus dem sich ergibt, dass der BF keinen gültigen Reisepass hätte und er seinen Reisepass im Jahr 2010 verloren hätte (Akt zum Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom 10.01.2011, AS 93 bis 97). In der „Anregung“ auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 06.09.2013 führte der BF, vertreten durch einen rechtsfreundlichen Vertreter aus, er könne nicht ausreisen, weil er kein Heimreisezertifikat bekomme. Mit Verbesserungsauftrag vom 23.06.2015 wurde der BF vom BFA zum Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung `besonderer Schutz´ aufgefordert, eine Geburtsurkunde oder einen gültigen Reisepass zu übermitteln. Der BF übermittelte eine Geburtsurkunde, den Reisepass übermittelte der BF nicht (Akt zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ vom 27.02.2015, AS 151 bis 157). Im Verfahren auf Verlängerung des Antrages „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG vom 09.06.2016 wurde der BF am 07.07.2016 niederschriftlich einvernommen. Auf konkrete Frage verneinte der BF, einen Reisepass zu besitzen. Er gab an, der Schlepper habe ihm den Reisepass abgenommen und er hätte bis dato noch keinen Reisepass an der indischen Botschaft beantragt (Akt zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ vom 09.06.2016, AS 76). Diese Angaben waren wahrheitswidrig, zumal dem BF am 03.12.2015 durch die indische Botschaft Wien ein neuer Reisepass ausgestellt worden war. Die wahrheitswidrigen Angaben führten dazu, dass die Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, da die belangte Behörde davon ausgehen musste, dass nach wie vor die Voraussetzungen für die Erteilung weiterhin gegeben waren.

Den von 2004 bis 2014 gültigen Reisepasse hat der BF im Verfahren nicht vorgelegt. Den am 03.12.2015 von der indischen Botschaft Wien ausgestellten Reisepass legte der BF erst im Rahmen des Verlängerungsantrages „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG am 10.07.2018 vor.

7. Die Feststellungen zur fehlenden Sprachkompetenz und zum Nicht-Bestehen der ÖIF-Deutschprüfung auf Niveau A2 beruhen auf der Befragung in der Beschwerdeverhandlung und die vorgelegte Bestätigung vom 17.07.2017 in Zusammenhalt mit den dort präsentierten Deutschkenntnissen (Protokoll der mV S. 5).

8. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit und zum Einkommen des BF beruhen auf den im Verfahren vorgelegten Unterlagen und seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung

9. Die Feststellungen zur mangelnden sozialen Integration des BF beruhen auf die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung.

10. Die Feststellung zum Mietverhältnis beruht auf dem in Vorlage gebrachten Mietvertrag.

11. Dass der BF keine Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt und auch sonst nicht kulturell, sportlich oder durch Vereinszugehörigkeit Integrationsschritte gesetzt hat, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben im Verfahren (Protokoll der mV S. 5).

12. Dass der Beschwerdeführer gesund und erwerbsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er keine Erkrankung vorbrachte und in Österreich erwerbstätig ist.

13. Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, stützt sich auf die Einsichtnahme in das Strafregister.

II.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welchen der BF nicht substantiiert entgegentritt, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der vom Bundesamt getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben, sodass sie auch gegenständlich als aktuell zu bewerten sind.

III. Rechtliche Beurteilung:

III.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu Spruchteil A):

III.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

 

II.2.1. Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 lautet:

 

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

Der mit "Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 59 AsylG lautet:

 

"§ 59. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginnt mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

(3) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

(4) Das Bundesamt hat der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass

1. die Voraussetzung des § 57 weiterhin vorliegen,

2. der Antragsteller das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat, und

3. die Voraussetzungen des § 60 Abs 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind.

Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.

(5) Im Falle einer Mitteilung gemäß Abs 4 ist der Ablauf der Frist gemäß Abs 4 letzter Satz gehemmt. Das Bundesamt hat den Antragsteller von der Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs 3 NAG ist das Verlängerungsverfahren formlos einzustellen."

 

II.2.2. Wie in den Feststellungen und der Beweiswürdigung dargelegt war der BF im Besitz eines Reisepasses, gültig vom Jahr 2004 bis 2014 und wurde dem BF am 03.12.2015 ein weiterer Reisepass durch die indische Botschaft in Wien ausgestellt. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG lagen im beschwerdegegenständlichen Verfahren auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nicht vor.

Die in der Beschwerde und in der Beschwerdeverhandlung dargelegte Erwerbstätigkeit sowie die dargelegten Integrationsbemühungen des BF stellen keinen Sachverhalt dar, welcher unter § 57 AsylG subsumierbar ist.

 

Es kann daher nicht beanstandet werden, dass das BFA im bekämpften Bescheid den Antrag vom 10.07.2018 auf Verlängerung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG abgewiesen hat.

 

Der BF ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §57 AsylG 2005 liegen daher nicht ebenfalls nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde zudem nicht behauptet wurde.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

 

III.3. Zu den Spruchpunkten II. bis IV. des angefochtenen Bescheides:

 

III.3.1. Im Fall eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG ist das BFA für die Erteilung und die Verlängerung zuständig, weshalb auch eine gemeinsame Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die Aufenthaltsbeendigung möglich ist. Eine solche gemeinsame Entscheidung sieht § 52 Abs 3 FPG (iVm § 10 Abs 3 AsylG) vor (vgl. E 14.04.2016, Ra 2016/21/0077):

 

Nach dieser Bestimmung hat das BFA unter einem mit Beschied eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Auf (nur bei Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG mögliche) Verlängerungsanträge wird zwar nicht ausdrücklich Bezug genommen, es handelt sich dabei aber um Unterfälle von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln. Die Entscheidung über den Verlängerungsantrag und die Erlassung der Rückkehrentscheidung "unter einem" [wobei allerdings über den Verlängerungsantrag vorrangig zu entscheiden ist (VwGH E 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024)] stellt auch sicher, dass der Antrag nicht unerledigt bleibt. In diesem Sinn gibt es in § 59 AsylG 2005 auch eigenständige Regelungen über das Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, die allenfalls - so ausdrücklich die ErlRV zur Schaffung des § 59 AsylG 2005 (1803 BlgNR 24. GP 51) - darauf hinauslaufen, dass "das Bundesamt den Antrag abzuweisen und gegebenenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einzuleiten" hat." (VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0200)

Daraus ergibt sich, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung durch das BFA zu erlassen war.

III.3.2. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat-oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat-und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei-und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat-und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat-und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat-und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs-und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

III.3.3. Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.03.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; vgl. auch VwGH 08.06.2006, 2003/01/0600 sowie VwGH 26.01.2006, 2002/20/0235, wonach das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der BF hat keine Familienangehörige oder Verwandte im Bundesgebiet und lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Mit der erlassenen Rückkehrentscheidung geht sohin kein Eingriff in das Recht auf Familienleben des BF einher.

III.3.4. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen (vgl. VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100, mwN). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach der Judikatur des VwGH regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zuletzt VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325; auch VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249; 30.08.2011, 2008/21/0605; 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

Nach der Judikatur des VwGH ist aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer. (VwGH 17.10.2016 Ro, 2016/22/0005; 23.02.2017 Ra2016/21/0340).

Ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale können gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 10. November 2015, Ro 2015/19/0001; B 3. September 2015, Ra 2015/21/0121; B 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (zB AuslBG, E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062; B 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. B 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0039; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. E 31. Jänner 2013, 2012/23/0006). Eine Mitberücksichtigung einer zwischenzeitlichen Ausreise wurde vom Verwaltungsgerichtshof nicht beanstandet (VwGH 26.03.2015, Ra 2014/22/0078).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Auch der Verfassungsgerichtshof verweist darauf, dass ein allein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken könne. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfSlg. 19.086/2010 mwH).

Dem Umstand, dass der Aufenthaltsstatus des Fremden ein unsicherer war, kommt zwar Bedeutung zu, er hat aber nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 253). Allerdings ist der Umstand zu berücksichtigen, dass der Inlandsaufenthalt überwiegend unrechtmäßig war (Hinweis E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 11. November 2013, 2013/22/0072).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Außerdem ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe das soeben zitierte Erkenntnis vom 30.07.2015).

Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam, bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Der VwGH geht davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch rechtskräftige Verurteilungen durch inländische Gerichte (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).

Im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119 mwN).

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 mwN).

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Bei dieser Abwägung kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (Hinweis Erkenntnisse vom 29. Februar 2012, 2010/21/0310 bis 0314 und 2010/21/0366, mwN).

III.4.4. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Die Aufenthaltsdauer des BF in Österreich ist mit insgesamt 10 Jahren und 10 Monaten jedenfalls sehr lang, sodass ihr grundsätzlich ein entsprechend schweres Gewicht zugunsten des BF zukommt.

Diese lange Aufenthaltsdauer ist aber dadurch stark relativiert, dass dem BF dies nur möglich war, weil er seinen gültigen Reisepass vor den Fremdenbehörden verborgen hielt, anlässlich der Bemühungen der Fremdenbehörden um Ausstellung eines Heimreisezertifikates in den Formularen seiner Vertretungsbehörden den Verlust seines Reisepasses behauptete und es ihm möglich gewesen wäre, seiner Ausreisverpflichtung nach rechtswirksamen Abschluss seines Antrages auf internationalen Schutz ab 01.12.2010 nachzukommen. Ausgehend von einer Anregung des BF, der seinen Reisepass weiterhin verborgen hielt, wurden daher Aufenthaltsberechtigungen ausgestellt und verlängert, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren (siehe Feststellungen und Beweiswürdigung). Anlässlich seines Antrages auf Verlängerung „Besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG vom 09.06.2016 erfolgten durch den BF im Verfahren bewusst wahrheitswidrige Angaben zu seinem Reisepass, die zur Stattgebung seines Antrages führten (siehe Feststellungen und Beweiswürdigung). Durch Verbergen seines Reisepasses und den wahrheitswidrigen Angaben des BF, die zur Ausstellung von Aufenthaltsberechtigungen führten, kommt das Gewicht seiner Aufenthaltsdauer trotz ihrer Länge nur abgeschwächt zu tragen.

Die Verfahrensdauer des Verfahrens auf internationalen Schutz (sieben Monate einschließlich des Rechtsmittelverfahren) und des Beschwerdeverfahrens gegen die Abweisung seines Antrages auf Verlängerung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ ist angemessen, sodass dies nicht zugunsten des BF gewichtet wird.

Der BF verfügt über Bindungen zum Herkunftsstaat: Er hat dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht. Er lebte dort im Kreis seiner Familie, spricht eine Landessprache als Muttersprache durchlief eine umfassende Schulbildung und arbeitete im Lebensmittelgeschäft seines Vaters, sodass er umfassend in Indien sozialisiert wurde. Der BF steht in Kontakt mit seinen Eltern leben im Heimatort und hat diese in den Jahren 2016 und 2018 besucht. Wenn auch seine Bindung an Indien durch die lange Abwesenheit abgeschwächt ist, so besteht sie aufgrund dieser Faktoren fort. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren und sich eine Existenzgrundlage zu schaffen.

Unter Berücksichtigung der Feststellungen zur allgemeinen Lage in Indien ist festzuhalten, dass die Situation, die der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat vorfinden wird, sich hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von den Verhältnissen in Österreich zwar unterscheidet, in Hinblick auf die persönliche Situation des BF – er ist gesund, arbeitsfähig, verfügt über Schulbildung und Berufserfahrung – ist festzustellen, dass seine persönliche Situation im Herkunftsland nicht zu einer wesentlichen Verstärkung seiner Interessen am Verbleib in Österreich führt. Auch aus den in den Feststellungen zum Herkunftsstaat getroffenen Angaben zur Covid-19 Situation führen in Hinblick zu seiner persönlichen Situation zu keiner anderen Bewertung.

Zu Ungunsten des BF wird gewertet, dass sich dieser trotz des langen Aufenthalts nur rudimentäre Deutschkenntnisse angeeignet und eine Deutschprüfung auf Niveau A2 nicht bestanden hat.

Zu Gunsten des BF wird gewertet, dass dieser regelmäßig erwerbstätig war und derzeit als Speisenzusteller und gelegentlicher Reklameverteiler ca. € 1.400,-- pro Monat verdient.

Darüber hinaus hat der BF keine Integrationsschritte gesetzt – so nimmt er etwa keine Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch und geht weder kulturellen noch sportlichen Aktivitäten nach, er ist auch nicht Mitglied in einem Verein. Der BF verfügt zudem über keine nennenswerten sozialen Kontakte.

Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seines Privatlebens ist dadurch geschwächt, dass dem BF nur eine bestimmte berufliche Integration gelang. Zudem musste er sich bei diesem Integrationsschritt bewusst sein, nur aufgrund des Verbergens seines Reisepasses und seinen falschen Angaben bis zur Antragstellung im gegenständlichen Verfahren aufenthaltsberechtigt zu sein.

Mangels Erkrankung des BF oder Hervorkommens sonstiger entsprechend beachtenswerter Umstände sind keine zusätzlichen, für die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens sprechenden Aspekte hervorgekommen.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten, wobei dieser Aspekt neutral bewertet wird, da davon auszugehen ist, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

Trotz der zehn Jahre und zehn Monate dauernden und damit sehr langen und schwerwiegenden Aufenthaltsdauer des BF in Österreich und trotz der in wirtschaftlicher Hinsicht BF erfolgten Integration steht, wie oben unter Gewichtung sämtlicher Aspekte aufgezeigt, seinen persönlichen Interessen ein insbesondere durch sein oben aufgezeigtes Verhalten, das für den langen Verbleib des BF kausal war ein gravierend verstärktes, gegen seinen Verbleib im Inland sprechendes öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, entgegen, sodass in einer Gesamtbetrachtung die persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich nicht überwiegen, sondern die öffentlichen Interessen gewichtiger sind und die Aufenthaltsbeendigung verhältnismäßig ist.

Aufgrund dieser Erwägungen ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Allein ein durch Verbergen eines Reisepasses und ein durch bewusst wahrheitswidrige Angaben erwirkter Aufenthalt kann keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfGH 12. 06. 2010, U 613/10-10, vgl. idS VwGH 11. 12. 2003, 2003/07/0007).

Der durch die Ausweisung des BF verursachte Eingriff in sein Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung ist zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

III.3.2. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Der Verwaltungsgerichtshof hielt in seinem Erkenntnis vom 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, (in einer Verfahrenskonstellation nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005) fest, dass eine Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung im Rahmen des Rückkehrentscheidungsverfahrens inhaltlich nicht von einer bereits ausgesprochenen Entscheidung über die Gewährung subsidiären Schutzes abweichen könne, sondern lediglich die notwendige Folge eines negativen Abspruchs über einen Antrag auf internationalen Schutz darstelle. In seinem Erkenntnis vom 24.05.2016, Ra 2016/21/0101, konkretisierte der Verwaltungsgerichtshof diese Erwägungen, indem er ausführte, dass dies nur bei unveränderter Sachlage gelte. Stehe dagegen im Raum, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat maßgeblich verändert – aus der Sicht des Fremden: verschlechtert – hätten, so sei eine Überprüfung dahingehend vorzunehmen, ob eine Abschiebung in den Herkunftsstaat (noch) zulässig sei.

Entsprechend dieser Judikatur ergibt sich verfahrensgegenständlich die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat bereits aus Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 10.05.2010. Unabhängig davon sind im vorliegenden Fall keine Abschiebungshindernisse im Sinne des § 50 FPG zu erkennen:

Aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat allein ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Lage derart maßgeblich verschlechtert hätte, sodass der BF im Sinne des § 50 FPG bedroht wäre. Es konnte nicht festgestellt werden, dass in Indien derzeit eine "extreme Gefahrenlage" (vgl. etwa VwGH 16. 4. 2002, 2000/20/0131) im Sinne einer dermaßen schlechten wirtschaftlichen oder allgemeinen (politischen) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe.

Zudem haben sich die hier relevanten persönlichen Umstände des BF nicht maßgeblich verändert, sodass nicht von einer völligen Perspektivenlosigkeit des BF auszugehen ist. Im Hinblick auf die Feststellungen zur allgemeinen Situation, derzufolge die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist, ist es dem BF als einem arbeitsfähigen, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter zumutbar, sich in seiner Heimat den notwendigen Unterhalt zu sichern. Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung sowie Familienangehörige in Indien, die er in den Jahren 2016 und 2018 besuchte. Es kann nicht angenommen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage geriete. Schwierige Lebensumstände genügen für eine Schutzgewährung im Sinne des § 50 FPG nicht.

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Indien nicht. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien ist daher zulässig.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids war daher als unbegründet abzuweisen.

III.3.3. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom BFA vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Derartige Gründe sind nicht hervorgekommen und wurden vom Beschwerdeführer auch nichts substantiiert geltend gemacht.

Die Beschwerde ist sohin auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. dazu die jeweils in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur, (insb. zur gewichtigen Gefährdung öffentlicher Interessen durch beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Trotz des mehr als zehnjährigen Aufenthalts und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale mussten im gegenständlichen Fall gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (bzw. an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden (etwa Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, vgl. etwa zum AuslBG, E 16. Oktober 2012, 2012/18/0062; B 25. April 2014, Ro 2014/21/005; eine zweifache Asylantragstellung, vgl. B 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0039; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082; unrichtige Identitätsangaben, die für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165); auch eine Mitberücksichtigung einer zwischenzeitlichen Ausreise wurde vom Verwaltungsgerichtshof nicht beanstandet (VwGH 26.03.2015, Ra 2014/22/0078).Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

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