BVwG L524 2214743-2

BVwGL524 2214743-26.4.2020

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:L524.2214743.2.00

 

Spruch:

L524 2214743-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2019, Zl. XXXX , betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt befristetem Einreiseverbot, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 9 FPG, § 55 Abs. 1 bis 3 FPG und § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und Z 5 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.01.2019 mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, da er zwei Mal von einem inländischen Gericht verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer gab dazu eine schriftliche Stellungnahme ab.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und ein befristetes Einreiseverbot erlassen.

3. Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.10.2019, L524 2214743-1/5E der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

4. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 21.10.2019 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Am 13.11.2019 wurde mit Hilfe eines Dolmetschers für die türkische Sprache die Ehegattin des Beschwerdeführers vor dem BFA als Zeugin niederschriftlich einvernommen.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2019, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

II. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde in der Türkei geboren, ist dort aufgewachsen und besuchte fünf Jahre die Volksschule. Der Beschwerdeführer spricht Türkisch und Deutsch. Seine Eltern, die österreichische Staatsangehörige sind, leben (wieder) in der Türkei. Er steht mit seinen Eltern in Kontakt. Außerdem leben weitschichtige Verwandte in der Türkei. In Österreich leben ein Bruder und zwei Schwestern sowie mehrere Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen.

Der Beschwerdeführer reiste am 14.06.2002 legal mit einem Visum C in das österreichische Bundesgebiet ein. Ihm wurden zunächst Niederlassungsbewilligungen erteilt. Er verfügt nunmehr über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".

Der Beschwerdeführer ist seit August 2005 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet und hat mit ihr fünf gemeinsame Kinder im Alter von 17 Jahren, elf Jahren, zehn Jahren, sechs Jahren und vier Jahren, die ebenso türkische Staatsangehörige sind. Drei Kinder gehen in die Schule und zwei Kinder besuchen den Kindergarten. Die Ehegattin und zwei Kinder verfügen über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus". Die älteren drei Kinder verfügen über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU". Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist nicht berufstätig. Sie bezieht für sich und ihre Kinder eine bedarfsorientierte Mindestsicherung. Sie spricht nicht Deutsch und hat bisher keinen Deutschkurs besucht. Sie hat keine Familienangehörige in Österreich. Sämtliche Familienangehörige der Ehegattin des Beschwerdeführers leben in der Türkei. Die Ehegattin hat Kontakt zu ihren Eltern.

Der Beschwerdeführer hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. Er arbeitete in einer Bäckerei, als Bauhilfsarbeiter und in einem Supermarkt. Der Beschwerdeführer war in Österreich ca. fünfeinhalb Jahre berufstätig und bezog etwa drei Jahre Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage, die von seiner Schwester ausgestellt wurde.

Der Beschwerdeführer war von ca. 2009 bis 2012 unbeschränkt haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft. Der Beschwerdeführer befand sich infolge Zahlungsunfähigkeit ab Juli 2012 in einem Schuldenregulierungsverfahren. Der Beschwerdeführer hat Schulden in Höhe von ca. € 500.000.

Mit Bescheid des XXXX vom 19.04.2016 wurde gegen den Beschwerdeführer gem. § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 2 FSG eine Geldstrafe, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 21 Tagen und 18 Stunden verhängt.

Der Beschwerdeführer befand sich von 22.04.2016 bis 25.10.2016 in Untersuchungshaft und verbüßte in dieser Zeit auch Verwaltungsstrafen. Seit 06.12.2017 befindet sich der Beschwerdeführer durchgehend in Haft. Der Beschwerdeführer war zunächst wiederum in Untersuchungshaft und verbüßte auch eine Ersatzfreiheitsstrafe. Seit 19.04.2018 befindet er sich in Strafhaft. Der errechnete Entlassungszeitpunkt ist der 22.07.2022. Der Beschwerdeführer befindet sich im gelockerten Vollzug und ist Freigänger gemäß § 126 Abs. 2, 3 und 4 StVG. Er arbeitet als Koch. Er hält sich ein Mal pro Monat für zehn Stunden bei seiner Familie auf. Zudem hat der Beschwerdeführer telefonischen Kontakt zu seiner Frau.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 31.10.2017, ZI. XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden, des Vergehens des Betruges und des Vergehens der Nötigung gemäß § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall und Abs. 2 Z 3 zweiter Fall SMG, § 12 zweiter Fall StGB; § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG; § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG; § 224a StGB; § 146 StGB und § 15 iVm § 105 Abs. 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Der zunächst bedingt nachgesehene Teil der Strafe im Ausmaß von 15 Monaten wurde anlässlich der späteren, zweiten strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers widerrufen.

Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum von April 2015 bis 22. April 2016 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge gemäß § 28b SMG übersteigenden Menge, in zahlreichen Angriffen in der Slowakei das Suchtgift "Pico" ("Crystal Meth") erworben und von dort nach Österreich eingeführt (insgesamt 215,6 Gramm "Pico"). Der Beschwerdeführer hat ca. 313 Gramm "Pico" an zumindest 14 Personen verkauft. Einer Person hat er auch geringe Mengen Kokain verkauft. Außerdem hat er im selben Zeitraum das Suchtgift zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen. Anfang Februar 2016 hat er seinen Picolieferanten dazu bestimmt, das Suchtgift aus der Slowakei nach Österreich einzuführen, wo es der Beschwerdeführer dann vom Lieferanten abholte. Am 22.04.2016 hat der Beschwerdeführer einen gefälschten Dienstausweis der österreichischen Polizei mit dem Vorsatz besessen, dass er diesen zum Beweis der Stellung als österreichischer Polizeibeamter gebraucht. Am 04.04.2015 hat er vorgegeben, dass eine namentlich genannte Person zahlungsfähig sei und dadurch Angestellte eines Unternehmens verleitet, mit dieser Person einen Handyvertrag abzuschließen, was zu einem Schaden in Höhe von € 1.799 führte, da die Person keinerlei Zahlungen leistete. Am 23.08.2015 hat er einer Person gedroht, ihn umzubringen, wenn dieser den Beschwerdeführer wegen des Verkaufs von Suchtgift anzeigen werde.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 19.04.2018, ZI. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 1 und abs. 4 Z 3 SMG und § 12 zweiter Fall StGB; § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 3 SMG; § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 40 Monaten verurteilt.

Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer hat aus Geldmangel spätestens ab Anfang Februar 2017 bis 06. Dezember 2017 Suchtgift, nämlich "Pico" ("Crystal Meth") in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge nach Österreich eingeführt oder sich liefern lassen, um es in Österreich gewinnbringend zu verkaufen. Er hat 880 Gramm "Pico" selbst in der Slowakei abgeholt. Insgesamt 1,76 Kilogramm "Pico" hat er sich nach Österreich bringen lassen. Der Beschwerdeführer hat 400 Gramm "Pico" selbst konsumiert. Den Rest von 2,24 Kilogramm hat er verkauft. Den Großteil seiner Tathandlungen setzt der Beschwerdeführer während des Verfahrens zur ZI. XXXX , welches zu seiner ersten Verurteilung führte. Der Beschwerdeführer wurde am 25.10.2016 aus der Untersuchungshaft entlassen und bereits Anfang Februar 2017 begann er erneut mit dem Suchtgifthandel. Die Anklageschrift zum Verfahren ZI. XXXX stammt vom Mai 2017, die Hauptverhandlung fand am 31.10.2017 statt. Auch nach der Verurteilung vom 31.10.2017 und während der festgelegten Probezeit führte der Beschwerdeführer den Suchtgifthandel fort.

Zur Lage in der Türkei:

Sicherheitslage

Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018).

Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten "Gülen-Bewegung", die nur in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* AA - Auswärtiges Amt (10.10.2018a): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_28DF483ED70F2027DBF64AC902264C1D/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TuerkeiSicherheit_node.html , Zugriff 9.10.2018

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 18.9.2018

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.9.2018): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html , Zugriff 19.9.2018

* OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (3.2018): Report on the impact of the state of emergency on human rights in Turkey, including an update on the South-East; January - December 2017, März 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428849/1930_1523344025_2018-03-19-second-ohchr-turkey-report.pdf , Zugriff 20.9.2018

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK, bis 2017 "Hoher Rat der Richter und Staatsanwälte", HSYK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Im Februar 2014 wurden im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des HSK vorgenommen. Sie führten zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenzen an den Justizminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Rates ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers ist der Einfluss der Exekutive im HSK deutlich gestiegen. Seitdem kam es zu Hunderten von Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten. Im ersten Halbjahr 2015 wurde auch gegen Richter und Staatsanwälte ermittelt, die als mutmaßliche Gülen-Anhänger illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben sollen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet. Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK zur Hälfte von Staatspräsident und Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen einer Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde von 22 auf 13 reduziert (AA 3.8.2018).

Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: Der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte), und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danistay), der Kassationshof (Yargitay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyusmazlik Mahkemesi). Die Staatssicherheitsgerichte (Devlet Güvenlik Mahkemeleri-DGM) wurden im Zuge der Reformen für die EU-Beitrittsverhandlungen 2004 abgeschafft und die laufenden Fälle an die Großen Strafkammern (Agir Ceza Mahkemeleri) abgegeben (ÖB 10.2017).

Obwohl Richter immer noch gelegentlich gegen die Interessen der Regierung entscheiden, hat die Ernennung Tausender neuer, der Regierung gegenüber loyaler Richter, die bei einem Urteil gegen die Exekutive in bedeutenden Gerichtsfällen mit potenziellen beruflichen Konsequenzen zu rechnen haben, die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei stark geschwächt. Gleiches gilt für die Auswirkungen der laufenden Säuberung insgesamt. Diese Entwicklung setzte zwar schon weit vor dem Putschversuch im Juli 2016 ein, verstärkte sich aber bis Ende 2017 angesichts der Massenentlassungen von Richtern und Staatsanwälten. In hochkarätigen Fällen werden Richter und Gerichtsverfahren transferiert, so dass das Gericht der Position der Regierung wohlgesonnen ist. Eine langfristige Erosion der Garantie für ordnungsgemäße Verfahren hat sich im Ausnahmezustand beschleunigt. Antiterroranschuldigungen, die seit dem Putschversuch erhoben werden, beruhen oft auf sehr schwachen Indizienbeweisen, geheimen Zeugenaussagen oder einer sich ständig erweiternden Schuldvermutung durch die Festlegung neuer Verbindungspunkte. In vielen Fällen wurden Rechtsanwälte, die die Angeklagten wegen Terrorismusdelikten verteidigen, selbst verhaftet. Längere Untersuchungshaft ist zur Routine geworden (FH 1.2018).

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der PKK oder ihrem zivilen Arm KCK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten (AA 3.8.2018).

Die Verfassung sieht das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, obwohl Anwaltsverbände und Rechtsvereinigungen geltend machten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und Maßnahmen der Regierung durch Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährdet hätten. Richter können den Zugang von Rechtsanwälten zu den Akten der Angeklagten während der Strafverfolgungsphase einschränken. Zwar haben Angeklagte das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und rechtzeitig einen Anwalt hinzuzuziehen, doch stellten Beobachter fest, dass die Gerichte es insbesondere in hochkarätigen Fällen verabsäumen, den Angeklagten diese Rechte auch einzuräumen (USDOS 20.4.2018).

Die Regierung setzte auch ihre groß angelegte Entlassung von Beamten aus dem öffentlichen Dienst fort. Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden insgesamt 115.158 Beamte, Richter und Staatsanwälte entlassen. Das breite Spektrum und der kollektive Charakter dieser Maßnahmen wirft ernsthafte Fragen im Hinblick auf die mangelnde Transparenz der Verwaltungsverfahren, die zur Entlassung aus dem öffentlichen Dienst führen, und die Unklarheit der Kriterien für die Bestimmung angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung und die persönliche Beteiligung am Putschversuch auf. Von den Entlassungen waren vor allem das Innen- und Bildungsministerium betroffen. Tausende von Polizeibeamten, Lehrern, Akademikern, Gesundheitspersonal und Angehörigen der Justiz gehören zu denen, die aus dem Amt entfernt wurden (EC 17.4.2018).

Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen, die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereinen und Firmen entgegenzunehmen (HDN 8.8.2017). Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund 70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden (bianet 7.8.2017, vgl. EC 17.4.2018). Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden (HDN 8.8.2017). Bis zur Einsetzung der Kommission wurden 3.604 Personen per Dekret wieder ins Amt eingesetzt, während weitere 36.000 Wiedereinsetzungen nach einem unklaren und undurchsichtigen Verwaltungsverfahren in verschiedenen Institutionen erfolgten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat auch etwa 28.000 bei ihm eingegangene Beschwerden an die Berufungskommission weitergeleitet. Infolgedessen hat die Beschwerdekommission bis Anfang März 2018 insgesamt rund 107.000 Beschwerdeanträge erhalten. Die Urteilsverkündungen begannen im Dezember 2017. Bis Anfang März 2018 wurden insgesamt 6.400 Fälle untersucht, darunter 1.984 vorläufige Prüfungsentscheidungen zu Personen, die per Dekret wieder eingegliedert wurden. Die Beschwerdekommission hat über 4.400 Prüfungsentscheidungen getroffen. Von diesen waren 100 positiv und 4.316 wurden abgelehnt. Es bedarf laut Europäischer Kommission einer größeren Transparenz der Arbeit der Beschwerdekommission und einer klaren Begründung für ihre Entscheidungen auf der Basis einer individuellen Prüfung jeder Akte nach ihren eigenen Gesichtspunkten (EC 17.4.2018).

288 Prozesse wurden landesweit wegen des Putschversuches durchgeführt, bei denen die Gerichte 180 Urteile gefällt haben. 636 Verdächtige erhielten eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe, während 888 zu lebenslangen und 653 zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zwei Monaten bis zu 20 Jahren verurteilt wurden. In den Prozessen wegen des Putschversuches wurden 1.552 Verdächtige freigesprochen, und in 595 Fällen wurde eine sog. Nichtverfolgungsentscheidung getroffen (SCF 20.6.2018, HDN 7.6.2018). So verhängte ein Gericht in Izmir gegen 104 der 280 Angeklagten wegen "versuchten Umsturzes der Verfassungsordnung" sogenannte "verschärfte" lebenslange Haftstrafen. 21 weitere Angeklagte wurden zu zwanzigjährigen Haftstrafen wegen der versuchten Ermordung von Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verurteilt. 31 Angeklagte müssen wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" für zehneinhalb Jahre in Haft. Alle Angeklagten seien frühere Angehörige des Militärs gewesen, darunter mehrere Generäle und ranghohe Offiziere (ZO 21.5.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* https://www.ecoi.net/de/dokument/1425117.html , Zugriff 19.9.2018

* Bianet - BIA News Desk (7.8.2017): Constitutional Court Rejects 70,771 Applications Regarding State of Emergency, http://bianet.org/english/law/188906-constitutional-court-rejects-70-771-applications-regarding-state-of-emergency , Zugriff 18.9.2018

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 18.9.2018

* FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1426448.html , 19.9.2018

* HDN - Hürriyet Daily News (8.8.2017): Turkish state of emergency commission receives over 38,000 appeals, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-state-of-emergency-commission-receives-over-38000-appeals-.aspx?pageID=238&nID=116469&NewsCatID=338 , Zugriff 18.9.2018

* HDN - Hürriyet Daily News (7.6.2018): Over 2,000 suspects given jail terms in Turkey coup trials: Ankara, http://www.hurriyetdailynews.com/over-2-000-suspects-given-jail-terms-in-turkey-coup-trials-ankara-132964 , 21.9.2018

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

* SCF - Stockholm Center for Freedom (20.6.2018): Turkish gov't investigates 203,518 people over links to Gülen movement thus far, https://stockholmcf.org/turkish-govt-investigates-203518-people-over-links-to-gulen-movement-thus-far/ , Zugriff 21.9.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html , Zugriff 19.9.2018

* ZO - Zeit Online (21.5.2018): Gericht verhängt mehr als 100 lebenslange Haftstrafen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/tuerkei-militaerputsch-lebenslange-haft-putschisten , 21.9.2018

Sicherheitsbehörden

Die Polizei übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Auch das traditionelle Selbstverständnis der türkischen Armee als Hüterin der von Staatsgründer Kemal Atatürk begründeten Traditionen und Grundsätze, besonders des Laizismus und der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus), ist in Frage gestellt (AA 3.8.2018).

Am 9.7.2018 erließ Staatspräsident Erdogan ein Dekret, das die Kompetenzen der Armee neu ordnet. Der türkische Generalstab wurde dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der Oberste Militärrat wurde aufgelöst. Erdogan hat auch den Nationalen Sicherheitsrat und das Sekretariat für nationale Sicherheit der Türkei abgeschafft. Ihre Aufgaben werden vom Komitee für Sicherheit und Außenpolitik (Board of Security and Foreign Policy) übernommen, einem von neun beratenden Gremien, die dem Staatspräsidenten unterstehen. Ebenfalls per Dekret wird der Verteidigungsminister nun zum wichtigsten Entscheidungsträger für die Sicherheit. Landstreitkräfte, Marine- und Luftwaffenkommandos wurden dem Verteidigungsminister unterstellt. Der Präsident kann bei Bedarf direkt mit den Kommandeuren der Streitkräfte verhandeln und Befehle erteilen, die ohne weitere Genehmigung durch ein anderes Büro umgesetzt werden sollen. Hiermit soll die Schwäche der Sicherheitskommando-Kontrolle während des Putschversuchs in Zukunft vermieden werden (AM 17.7.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* AM - Al Monitor (17.7.2018): Erdogan makes major security changes as he starts new term, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/07/turkey--revamping-national-security-apparatus.html , Zugriff 18.9.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (Optional Protocol to the Convention Against Torture/ OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert. Menschenrechtsinstitutionen in der Türkei geben an, dass Fälle von Folterungen in Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden sind. Folter bleibt in vielen Fällen straflos - wenngleich es ebenso Fälle gibt, in welchen Anklage erhoben wird und Verurteilungen erfolgen (ÖB 10/2017).

Die deutliche Zunahme von Folter und anderen Formen der Misshandlung in amtlichen Haftanstalten während des Ausnahmezustands infolge des gescheiterten Militärputsches und während des Konflikts in Südost- und Ostanatolien nach Juli 2015, setzte sich auch 2017 fort, wenn auch in deutlich geringerem Maße als in den Wochen nach dem Putschversuch im Juli 2016 (IHD 6.4.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018). Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Vorwürfen zu Folter und anderer Misshandlungen von Häftlingen und Festgenommenen auf der Basis des Ausnahmezustandes. Bei Demonstrationen wurde von Sicherheitskräften Gewalt die gegen Personen angewendet wurden, die ihr Demonstrations- und Versammlungsrecht ausübten, die das Ausmaß von Folter und anderer Misshandlung erreichte. Nach Angaben des Menschenrechtsverbandes (IHD) sind 2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlung ausgesetzt gewesen (IHD 6.4.2018).

Folter und Misshandlungen betreffen insbesondere Personen, die unter dem Anti-Terror-Gesetz festgehalten werden. Es gibt weit verbreitete Berichte, dass die Polizei Häftlinge geschlagen, misshandelt und mit Vergewaltigung bedroht, Drohungen gegen Anwälte ausgestoßen und sich bei medizinischen Untersuchungen eingemischt hat (HRW 18.1.2018). Es gibt keine funktionierende nationale Stelle zur Verhütung von Folter und Misshandlung, die ein Mandat zur Überprüfung von Hafteinrichtungen hat. Ebenso wenig sind Statistiken zur Untersuchung von Foltervorwürfen verfügbar. (AI 22.2.2018).

Quellen:

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425117.html , Zugriff 24.8.2018

* HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World report 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1422518.html , Zugriff 24.8.2018

* IHD - Insan Haklari Dernegi (6.4.2018): 2017 BALANCE - SHEET OF HUMAN RIGHTS VIOLATIONS IN TURKEY - The year that Passed under State of Emergency, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_report-2.pdf , Zugriff 18.9.2018

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

Allgemeine Menschenrechtslage

Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen (OHCHR) erhielt Informationen über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Missbräuche, die im Berichtszeitraum in der Südosttürkei im Rahmen der Sicherheitsoperationen seitens türkischer Organe begangen wurden. Die NGO "Human Rights Association" veröffentlichte Statistiken über solche Verletzungen, die angeblich im ersten Quartal 2017 in der ost- und südöstlichen Region Anatoliens stattgefunden haben. Demnach belief sich die Gesamtzahl der Verstöße auf 7.907, darunter 263 Vorfälle von Folterungen in Haft, und über 100 Vorfälle von Kriminalisierung von Personen für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung (OHCHR 3.2018).

Die Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte eingeschränkt. Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten. Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. Seit September 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in 163 (von 168) Fällen festgestellt, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Freiheit und Sicherheit bezogen (EC 17.4.2018).

In einer Resolution Anfang Februar 2018 zur Menschenrechtslage erkennt das Europäische Parlament (EP) das Recht und die Pflicht der türkischen Regierung an, die Täter des Putschversuches vom 16.7.2016 vor Gericht zu stellen. Es hebt jedoch hervor, dass die gescheiterte Machtübernahme durch das Militär als Vorwand dafür herangezogen wird, die legitime und gewaltfreie Opposition noch stärker zu unterdrücken und die Medien und die Zivilgesellschaft durch unverhältnismäßige und unrechtmäßige Handlungen und Maßnahmen daran zu hindern, dass sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Die Lage in den Bereichen Grundrechte und Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei verschlechtert sich stetig und es mangelt der Justiz an Unabhängigkeit. Justiz und Verwaltung machen Gebrauch von willkürlichen Verhaftungen und Schikanen, um Zehntausende zu verfolgen. Deshalb fordert das EP die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihrer rechtmäßigen Tätigkeit nachgegangen sind und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, und die in Gewahrsam gehalten werden, obwohl keine eindeutigen Beweise für Straftaten vorliegen (EP 8.2.2018).

Quellen:

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 14.8.2018

* EP - Europäisches Parlament (8.2.2018): Die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei - Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Februar 2018 zur aktuellen Lage der Menschenrechte in der Türkei (2018/2527(RSP)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML TA P8-TA-2018-0040 0 DOC PDF V0//DE, Zugriff 20.8.2018

* OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (3.2018): Report on the impact of the state of emergency on human rights in Turkey, including an update on the South-East; January - December 2017, März 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428849/1930_1523344025_2018-03-19-second-ohchr-turkey-report.pdf , Zugriff 20.9.2018

* OHCHR - The Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (20.3.2018): Turkey: UN report details extensive human rights violations during protracted state of emergency, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22853&LangID=E , Zugriff 21.8.2018

Todesstrafe

Die Türkei ist Vertragspartei des Protokolls Nr. 13 der EMRK zur Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen. Die problematischste Situation besteht nach wie vor im Südosten des Landes angesichts der mangelnden Untersuchungen der gemeldeten Tötungen durch Sicherheitsorgane im Kontext von Sicherheitsoperationen und PKK-Angriffen. Erklärungen zur Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe wurden von Beamten - einschließlich des Präsidenten - Anfang 2017 gemacht (EC 17.4.2018). Anlässlich einer Konferenz zum 12. Welttag gegen die Todesstrafe (2014) unterzeichnete auch der türkische Außenminister den Appell zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe (WCADP 9.10.2014).

Quellen:

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 18.7.2018

* WCADP - World Coalition Against the Death Penalty (9.10.2014): World Day - Dialogue should make death penalty "a sentence of the past" - foreign ministers, http://www.worldcoalition.org/foreign-ministers-declaration-world-day-against-death-penalty.html , Zugriff 18.7.2018

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen und Männer sind nach den umfassenden Reformen im Zivil-, Arbeits-, Straf- und Verfassungsrecht der letzten Jahre in der Türkei gesetzlich weitgehend gleichgestellt (AA 11 .2017a; vgl. EC 17.4.2018). Die gesellschaftliche Wirklichkeit bleibt in weiten Teilen des Landes jedoch hinter den gesetzlichen Fortschritten zurück. Gehobenen Positionen von Frauen an Hochschulen, als Anwältinnen und Ärztinnen oder in der Wirtschaft in den Städten stehen traditionell-konservative Gesellschaftsstrukturen in ländlich-konservativen Gebieten (einschließlich der von Binnenmigranten bewohnten städtischen Räume) gegenüber (AA 11 .2017a).

Das Gesetz sieht die Bestrafung sexueller Übergriffe, inklusive Vergewaltigung in der Ehe, vor. Bei versuchtem sexuellen Missbrauch ist eine Gefängnisstrafe von zwei bis zehn Jahren vorgesehen und bei Vergewaltigung oder tatsächlichem sexuellen Missbrauch nicht weniger als zwölf Jahre Haft. In einigen Fällen hat die Regierung die entsprechenden Gesetze effektiv bzw. zur Gänze zum Schutz der Opfer umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen bestehen aber weiter große Defizite. Mit einem im März 2012 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienangehörigen vor häuslicher Gewalt haben nun auch unverheiratete Frauen Anspruch auf staatlichen Schutz. Insgesamt bleibt jedoch die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelungen lückenhaft (AA 3.8.2018). 2016 zeigte sich das UN-Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) besorgt hinsichtlich des Fortbestehens systematischer und weit verbreiteter geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im privaten Bereich, einschließlich sexueller und psychologischer Gewalt und dem Entzug des Zugangs zu lebenswichtigen Gütern. Besorgnis herrschte zudem wegen der hohen Zahl von Frauen, die von ihren (ehemaligen) Partnern oder Ehemännern oder Familienmitgliedern ermordet wurden, und Anordnungen zum Schutz der Frauen selten umgesetzt und mangelhaft überwacht wurden (UN-CEDAW 25.7.2016). Häusliche Gewalt führte 2017 zum Tod von 282 Frauen. Es gibt nur sehr begrenzte Folgemaßnahmen zu Fällen von häuslicher Gewalt ohne die Verweisung an die Sozialdienste. Es gibt keine umfassenden Daten über geschlechtsspezifische Gewalt, und die Zahl der gemeldeten Fälle blieb gering, was Zweifel am berichteten Ausmaß aufkommen lässt (EC 17.4.2018). Anzeigen wegen Gewaltakten sind merkbar gering, was der Stigmatisierung und der Furcht vor Repressionen sowie der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Täter geschuldet ist, aber auch der Rechtsunkundigkeit, Sprachbarrieren und dem mangelnden Vertrauen in die Rechtsvollzugsorgane. Täter sexueller Gewalt, einschließlich derjenigen, die der Vergewaltigung von Mädchen für schuldig befunden werden, erwarten nicht nur milde Urteile, sondern sie werden wegen des "guten Benehmens" während des Prozesses mit reduzierten Strafen belegt (UN-CEDAW 25.7.2016).

Es gibt 137 Frauenhäuser bzw. Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt (EC 17.4.2018; vgl. ÖB 10.2017), die Kapazität betrug nach Angabe des türkischen Familien- und Sozialministeriums im Dezember 2016 3.433 Personen (ÖB 10.2017). Allerdings wurden im Südosten des Landes einige dieser Einrichtungen geschlossen. Elf unabhängige Frauen-NGOs wurden unter dem Ausnahmezustand geschlossen. In 68 Provinzen sind seit Januar 2018 Zentren für Gewaltprävention und -überwachung in Betrieb. (EC 17.4.2018). Die Zufluchtsmöglichkeiten für und die Versorgung von Gewalt betroffenen Frauen - etwa in staatlichen Frauenhäusern - sind ungenügend (AA 3.8.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Laut einer Studie der Kadir Has Universität vom März 2016 war für 77,8% der Befragten das größte Problem von Frauen in der Türkei die Gewalt. Unter den 1.200 Studienteilnehmerinnen waren auch "Ungleichheit" (41,8%), "mangelnde Bildung" (34,8%), "Gruppenzwang" (30,7%) und "Familiendruck" (26,5%) brennende Themen. Die Studie ergab, dass 64,8% der Befragten arbeitslos waren und 70,2% nie einen Arbeitsplatz hatten. In einem der auffälligsten Befunde antworteten 72,2% der Frauen negativ auf die Frage: "Würden Sie gerne arbeiten?" Nebst dem Bildungsfaktor und der Sicherheit am Arbeitsplatz nannten mit 47,9% an erster Stelle die Zustimmung des Vaters, Ehemannes und der Familie als Kriterium überhaupt eine Arbeit aufnehmen zu wollen (AM 8.3.2016).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* AA - Auswärtiges Amt (11.2017a): Staatsaufbau/Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/innen/202096 , Zugriff 10.7.2018

* AM - Al Monitor (8.3.2016): Why Turkish women are opting out of the workforce, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/turkey-women-do-not-have-incentive-to-work.html#ixzz42RQ3PUY2 , Zugriff 10.7.2018

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 10.7.2018

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

* UN-CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (25.7.2016): Concluding observations on the seventh periodic report of Turkey' [CEDAW/C/TUR/CO/7], paragraph 32, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1484750203_n1623344.pdf , Zugriff 10.7.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html , Zugriff 10.7.2018

Kinder

Die Umsetzung der 2013 verfassten Kinderrechtestrategie und der Aktionsplan sind unzureichend. Es besteht keine nationale Strategie zur Vermeidung von Gewalt gegen Kinder oder ein effektives System zum Monitoring von Rehabilitationszentren und vorhandenen Institutionen. Es gibt nicht in allen Provinzen Jugendgerichte, und mehr als die Hälfte der jugendlichen Straftäter werden weiterhin von nicht spezialisierten Gerichten verurteilt. Die Zahl der Kinder in Untersuchungshaft stieg auf 1.746. 130 Jugendliche wurden festgenommen oder wegen Terror oder organisierter Kriminalität verurteilt. Die Qualität der Rechtshilfe für Jugendliche und der Rehabilitationsmaßnahmen in den Gefängnissen ist besorgniserregend. Mehrere zivil-gesellschaftliche Organisationen, die sich mit Jugendrechten befassen, wurden von den Behörden geschlossen (EC 17.4.2018).

Kindesmisshandlung ist ein Problem. Das Gesetz ermächtigt Polizeibeamte und Beamte der Lokalverwaltung, Opfern von Gewalt oder von Gewalt gefährdeten Personen verschiedene Schutz- und Unterstützungsleistungen zu gewähren. Das Gesetz verpflichtet die Regierung, den Opfern Dienstleistungen wie Unterkünfte und vorübergehende finanzielle Unterstützung zu gewähren, und ermächtigt die Familiengerichte, Sanktionen gegen die Täter zu verhängen. Die Strafen für sexuellen Kindesmissbrauch liegen zwischen acht und 15 Jahren Gefängnis. Bei Vergewaltigung beträgt das Mindeststrafmaß 16 Jahre Haft. Wenn das Kind unter zwölf Jahre alt ist, erhöhen sich die Mindeststrafen für die jeweiligen Delikte um zwei Jahre (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

* EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf , Zugriff 9.7.2018

* USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html , Zugriff 9.7.2018

Grundversorgung/Wirtschaft

Für die Türkei werden Marktturbulenzen, starke Währungsabwertungen und erhöhte Unsicherheiten erwartet, die Investitionen und die Konsumnachfrage belasten und eine deutliche negative Korrektur der Wachstumsaussichten rechtfertigen. In der Türkei führten die Besorgnis über die zugrundeliegenden Fundamentaldaten und die politischen Spannungen mit den Vereinigten Staaten zu einer starken Abwertung der Währung (27 % zwischen Februar und Mitte September 2018) und sinkenden Vermögenswerten. Das Wachstum in der Türkei war 2017 und Anfang 2018 sehr stark, dürfte sich aber deutlich abschwächen. Das reale BIP-Wachstum wird für 2018 mit 3,5% prognostiziert, soll aber entgegen den positiven ursprünglichen Prognosen 2019 auf 0,4% sinken. Die türkische Wirtschaft ist nach wie vor sehr anfällig für plötzliche Veränderungen der Kapitalströme und geopolitischen Risiken (IMF 8.10.2018).

Quellen:

* IMF - International Monetary Found (8.10.2018): World Economic Outlook - Challenges to Steady Growth, https://www.imf.org/~/media/Files/Publications/WEO/2018/October/English/main-report/Text.ashx?la=en , Zugriff 17.10.2018

Sozialbeihilfen/-versicherung

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (AA 3.8.2018).

Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.), Kindergeld (10-20 EUR pro Kind/pro Monat, nach Alter und Geschlecht gestaffelt, Mädchen bekommen etwas mehr), finanzielle Unterstützung für Schwangere (ca. 50 EUR pro Schwangerschaft), Wohnprogramme, Einkommen für Behinderte und Altersschwache (50-130 EUR/Monat nach Alter und Grad der Behinderung gestaffelt). Des Weiteren beziehen Witwen die sogenannte "Witwenunterstützung", die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (ca. 70% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch Max. 250 EUR/Monat) (ÖB 10.2017).

Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden (SGK 2016b).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

* SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das Türkische Soziale Sicherheitssystem, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische , Zugriff 4.7.2018

* SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of Social Security, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/social_security_system , Zugriff 4.7.2016

Arbeitslosenunterstützung

Alle Arbeitnehmer, einschließlich derer, die in der Landwirtschaft, im Forstwesen und im Bereich Dienstleistung tätig sind, sind unterstützungsberechtigt, wenn sie zuvor ein geregeltes Einkommen im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung erhalten haben. Selbständige sind nicht anspruchsberechtigt. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe ist auf den Betrag des Mindestlohnes begrenzt. Benötigte Dokumente sind: ein entsprechender Antrag an das Direktorat des Türkischen Beschäftigungsbüros (ISKUR) innerhalb von 30 Tagen nach Verlust des Arbeitsplatzes, einschließlich schriftlicher Bestätigung vom Arbeitnehmer und der Personalausweis (IOM 12.2015). Der Arbeitnehmer muss die letzten 120 Tage vor dem Leistungsbezug ununterbrochen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben. Für die Dauer des Leistungsbezugs übernimmt die Arbeitslosenversicherung die Beiträge zur Kranken- und Mutterschutzversicherung (ÖB 10.2017).

Unterstützungsleistungen: 600 Tage Beitragszahlung ergeben 180 Tage Arbeitslosenhilfe; 900 Tage Beitragszahlung ergeben 240 Tage Arbeitslosenhilfe; 1.080 Tage Beitragszahlung ergeben 300 Tage Arbeitslosenhilfe (IOM 2017; vgl. ÖB 10.2017). Das zentrale Arbeitsamt nimmt Bewerbungen entgegen und bietet türkischen Staatsbürgern Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche an. Die Behörde verfügt über Filialen im ganzen Land. Weitere Informationen stehen hier zur Verfügung: www.iskur.gov.tr (IOM 2017).

Quellen:

* IOM - International Organisation for Migration (12.2015): Länderinformationsblatt - Türkei 2015

* IOM - International Organisation for Migration (2017): Country Fact Sheet Türkei 2017, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2017_T ürkei_DE.pdf, Zugriff 4.7.2018

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

Medizinische Versorgung

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, aufgrund der staatlichen sanitären Zustände in den Spitälern und der Hygienestandards, die nicht dem westlichen Standard entsprechen. Dies gilt v.a. in staatlichen Spitälern in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2017). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2016 1.510 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 217.771 Betten, davon ca. 58% in staatlicher Hand (AA 3.8.2018). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist, und dies von der Welt Bank als eine der größten Erfolgsgeschichten bezeichnet wird. Allerdings warnt die Welt Bank vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen (aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient) (ÖB 10.2017).

Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 3.8.2018).

Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es nach wie vor üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden (AA 3.8.2018). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2017).

Um vom türkischen Gesundheits -und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Sobald man bei der SGK versichert ist, erhält man folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig (zwischen 65,88 TRY und 395,28 TRY) (IOM 2017). Die SGK refundiert auch die Kosten in privaten Hospitälern, sofern mit diesen ein Vertrag besteht. Die Kosten in privaten Krankenhäusern unterliegen, je nach Qualitätsstandards, gewissen, von der SGK vorgegebenen Grenzen. Die Kosten dürfen maximal 90% über denen von der SGK verrechneten liegen. Notfalldienste, Intensivmedizin, Verbrennungen, Krebstherapie, Neugeborenenversorgung, alle Transplantationen, Operationen bei angeborenen Anomalien, Hämodialyse und kardiovaskuläre Chirurgie sind von diesen zusätzlichen Zahlungen im privaten Sektor ausgenommen. Für die stationäre Versorgung kann das Privatkrankenhaus dem Patienten einen Zuschlag für Unterbringungsleistungen in Rechnung stellen (IBZ 10.7.2015).

Die meisten Rückkehrer, die über keine Krankenversicherung verfügen und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und bereits mindestens ein Jahr in der Türkei leben, müssen monatlich in den Fond einzahlen. Dazu müssen sie im System registriert sein und mindestens 180 Tage Beitragszahlungen leisten. Rückkehrer werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Kinder gelten automatisch als versichert, sobald die Eltern bei der SGK registriert sind (IOM 2017).

Der Mindestbetrag für die Grundversorgung - sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht - beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 15 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2017).

Die Einrichtungen sind auf Personen mit besonderen Bedürfnissen abgestimmt (Familien, Kinder, Senioren und erkrankte Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen) sowie auf ökonomisch benachteiligte Menschen. Der Patient kann sich direkt an eine Apotheke (ECZANE) wenden, ohne vorher einen Anmeldevorgang durchlaufen zu müssen. Apotheken sind überall verfügbar. Für einige Medikamente benötigt man ein grünes bzw. ein rotes Rezept. Andere Medikamente können ohne Rezept gekauft werden (IOM 2017).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

* IBZ - Federal Public Service Home Affairs General Directorate Aliens' Office Belgium, MedCOI - Belgian Desk on Accessibility (10.7.2015): Country Fact Sheet Access to Healthcare: Turkey, Zugriff 4.7.2018

* IOM - International Organisation for Migration (2017): Country Fact Sheet Türkei 2017, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2017_T ürkei_DE.pdf, Zugriff 2.7.2018

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

Behandlung nach Rückkehr

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl: Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çigdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com ; Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/ ; TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2017).

Quellen:

* ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

III. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seinem Schulbesuch, seinen Sprachkenntnissen, den Wohnorten seiner Verwandten und der Staatsangehörigkeit seiner Eltern stützen sich auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers in Österreich und den erteilten Aufenthaltstiteln ergeben sich aus den Reisepasskopien des Beschwerdeführers (AS 4, 41, 60, 89, 90, 91) und einem aktuellen IZR-Auszug.

Die Feststellungen zur Eheschließung mit einer türkischen Staatsangehörigen, zu seinen Kindern, den Aufenthaltstiteln seiner Ehegattin und seiner Kinder ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (AS 369), seiner Ehegattin (AS 388) und IZR-Auszügen. Die Feststellungen zum Schulbesuch bzw. Kindergartenbesuch der Kinder ergeben sich aus den Angaben der Ehegattin (AS 391). Die Feststellung zum Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung ergibt sich aus den Angaben der Ehegattin und den vorgelegten Dokumenten (AS 390f, 403ff). Die Feststellung, dass die Ehegattin nicht Deutsch spricht und keinen Deutschkurs besucht hat, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, der erklärte, dass seine Frau nicht Deutsch spreche und für die Zeugeneinvernahme einen Dolmetscher benötige (AS 371) sowie dem Umstand, dass die Einvernahme der Ehegattin mit Hilfe eines Dolmetschers für die türkische Sprache erfolgte (AS 386) und sie keine Bestätigung über einen besuchten Deutschkurs vorlegte. Die Feststellung, dass die Ehegattin nicht berufstätig ist, stützt sich auf ihre Angaben in der Einvernahme (AS 391). Die Feststellungen, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers keine Familienangehörige in Österreich hat, sämtliche ihrer Familienangehörigen in der Türkei leben und sie Kontakt zu ihren dort lebenden Eltern hat, ergeben sich ebenso aus ihren eigenen Angaben (AS 389f).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Berufsausbildung hat, zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit und dem Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe stützen sich auf den Auszug aus dem AJ-Web (AS 424ff) und die Angaben des Beschwerdeführers (AS 370). Die Feststellungen zur Tätigkeit als unbeschränkt haftender Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft und zum Schulderegulierungsverfahren ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, einem Auszug aus dem Firmenbuch (AS 371, AS 397ff) und der Einsichtnahme in die Ediktsdatei. Die Feststellungen zur Höhe der Schulden ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (AS 371). Die Feststellung zur Einstellungszusage ergibt sich aus ebendieser (AS 377) und den Angaben der Ehegattin des Beschwerdeführers (AS 391). Die Feststellungen, dass sich der Beschwerdeführer ein Mal pro Monat für zehn Stunden bei seiner Familie aufhält und telefonischen Kontakt zu seiner Frau hat, gründen sich auf die Angaben der Ehegattin (AS 389).

Die Feststellungen zu seinen beiden strafrechtlichen Verurteilungen stützen sich auf die diesbezüglichen Urteile (AS 144ff und 170ff). Die Feststellungen zur Verwaltungsstrafe, der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe, der Untersuchungshaft, der Verbüßung von Verwaltungsstrafen der Strafhaft und dem errechneten Entlassungszeitpunkt ergeben sich aus der Vollzugsinformation (AS 435ff). Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer im gelockerten Vollzug und Freigänger ist sowie als Koch arbeitet, ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (AS 370) und der Vollzugsinformation (AS 435ff).

Die Feststellungen zur Situation in der Türkei beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Diese wurden dem Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA zur Kenntnis gebracht und ihm die Gelegenheit geboten, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer trat diesen Feststellungen nicht konkret und substantiiert entgegen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst war, das Ermittlungsverfahren diesbezüglich zu wiederholen bzw. zu ergänzen (vgl. zB VwGH 20.01.1993, 92/01/0950; 14.12.1995, 95/19/1046; 30.01.2000, 2000/20/0356; 23.11.2006, 2005/20/0551 ua.). Auch in der Beschwerde wurde den Feststellungen zur Situation in der Türkei nicht entgegengetreten.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach § 21 Abs. 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen (vgl. VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0052; 28.05.2014, Ra 2014/20/0017,0018; 16.10.2014, Ra 2014/21/0039) - trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das VwG von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0007 unter Hinweis auf VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179; 30.06.2016, Ra 2016/21/0163).

Ein solch eindeutiger Fall liegt hier auf Grund der Rückfälle des Beschwerdeführers und der in der Gravidität gesteigerten Delinquenz des Beschwerdeführers vor (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0275).

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lauten auszugsweise:

"Rückkehrentscheidung

§ 52. (1) - (4) ...

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) - (8) ...

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Einreiseverbot

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(2) ...

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. - 3. ...

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6. - 9. ...

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) - (6) ..."

§ 9 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides):

1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und hat einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU". Eine Rückkehrentscheidung kann daher nur unter den in § 52 Abs. 5 FPG genannten Voraussetzungen erlassen werden.

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Dabei muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden, wobei im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung seiner Art und Schwere eine Gefährdungsprognose zu treffen ist (vgl. VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194 unter Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Bei der im Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109 unter Hinweis auf VwGH 24.03.2015, Ra 2014/21/0049, und 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum von April 2015 bis 22. April 2016 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge gemäß § 28b SMG übersteigenden Menge, in zahlreichen Angriffen in der Slowakei das Suchtgift "Pico" ("Crystal Meth") erworben und von dort nach Österreich eingeführt (insgesamt 215,6 Gramm "Pico"). Der Beschwerdeführer hat ca. 313 Gramm "Pico" an zumindest 14 Personen verkauft. Einer Person hat er auch geringe Mengen Kokain verkauft. Außerdem hat er im selben Zeitraum das Suchtgift zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen. Anfang Februar 2016 hat er seinen Picolieferanten dazu bestimmt, das Suchtgift aus der Slowakei nach Österreich einzuführen, wo es der Beschwerdeführer dann vom Lieferanten abholte. Am 22.04.2016 hat der Beschwerdeführer einen gefälschten Dienstausweis der österreichischen Polizei mit dem Vorsatz besessen, dass er diesen zum Beweis der Stellung als österreichischer Polizeibeamter gebraucht. Am 04.04.2015 hat er vorgegeben, dass eine bestimmte Person zahlungsfähig sei und dadurch Angestellte eines Unternehmens verleitet, mit dieser Person einen Handyvertrag abzuschließen, was zu einem Schaden in Höhe von € 1.799 führte, da die Person keinerlei Zahlungen leistete. Am 23.08.2015 hat er einer Person gedroht, ihn umzubringen, wenn dieser den Beschwerdeführer wegen des Verkaufs von Suchtgift anzeigen werde. Auf Grund dessen wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 31.10.2017, ZI. XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden, des Vergehens des Betruges und des Vergehens der Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Der zunächst bedingt nachgesehene Teil der Strafe im Ausmaß von 15 Monaten wurde anlässlich der späteren, zweiten strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers widerrufen.

Der Beschwerdeführer befand sich von 22.04.2016 bis 25.10.2016 in Untersuchungshaft bzw. verbüßte Verwaltungsstrafen.

Der Beschwerdeführer hat aus Geldmangel spätestens ab Anfang Februar 2017 bis 06. Dezember 2017 (seither befindet er sich durchgehend in Haft) Suchtgift, nämlich "Pico" ("Crystal Meth") in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge nach Österreich eingeführt oder sich liefern lassen, um es in Österreich gewinnbringend zu verkaufen. Er hat 880 Gramm "Pico" selbst in der Slowakei abgeholt. Insgesamt 1,76 Kilogramm "Pico" hat er sich nach Österreich bringen lassen. Der Beschwerdeführer hat 400 Gramm "Pico" selbst konsumiert. Den Rest von 2,24 Kilogramm hat er verkauft. Den Großteil dieser Tathandlungen setzte der Beschwerdeführer während des Verfahrens zur ZI. XXXX , welches zu seiner ersten Verurteilung führte. Die Anklageschrift zum Verfahren ZI. XXXX stammt vom Mai 2017, die Hauptverhandlung fand am 31.10.2017 statt. Auch nach der Verurteilung vom 31.10.2017 und während der festgelegten Probezeit führte der Beschwerdeführer den Suchtgifthandel bis 06.12.2017 fort. An diesem Tag wurde der Beschwerdeführer erneut in Untersuchungshaft genommen. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 19.04.2018, ZI. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 40 Monaten verurteilt.

Hinsichtlich der Suchtgiftmenge hat der Beschwerdeführer den Suchtgifthandel nach der ersten Verurteilung in noch größerem Ausmaß fortgesetzt. Nur fünfeinhalb Monate nach der ersten Verurteilung wurde der Beschwerdeführer erneut verurteilt. Selbst der Umstand, dass er mehrere Monate in Untersuchungshaft angehalten wurde und er sich nach seiner ersten Verurteilung innerhalb seiner Probezeit befand, schreckte den Beschwerdeführer nicht von der Fortsetzung seines kriminellen Verhaltens ab, was auf eine erhebliche kriminelle Energie des Beschwerdeführers und eine besonders verwerfliche Haltung gegenüber der österreichischen Rechtsordnung hinweist. Die enorme Menge an Suchtgift, die der Beschwerdeführer in zahlreichen Angriffen über einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren nach Österreich einführte und auch von Mittätern einführen hat lassen und der Umstand, dass er das Suchtgift an zahlreiche Abnehmer gewinnbringend verkaufte, lassen auf einen professionell strukturierten Suchtgifthandel schließen, was gleichsam die von ihm ausgehende Gefährlichkeit erhöht. Zudem hat der Beschwerdeführer auch einer Person gedroht, ihn umzubringen, wenn dieser den Beschwerdeführer wegen des Verkaufs von Suchtgift anzeigen werde, was ebenso auf eine hohe kriminelle Energie hinweist. Angesichts der hohen Verschuldung des Beschwerdeführers von ca. € 500.000 und der daraus resultierenden angespannten finanziellen Situation sowie des Umstands, dass der Beschwerdeführer selbst auch Suchtgift konsumiert, ist auch die Gefahr der neuerlichen Aufnahme des Suchtgifthandels groß, dass der neuerlich den Suchtgifthandel aufnehmen wird, um seine Schulden begleichen zu können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249, mwN). Die wiederholte Suchtgiftdelinquenz führt zu einem besonders ausgeprägten öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers (vgl. VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0001). Wegen des generell besonders großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung von Suchtgiftdelikten und angesichts eines raschen einschlägigen Rückfalls und der Begehung von gewerbsmäßigem Suchtgifthandel ist von einer maßgeblichen Vergrößerung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung auszugehen (vgl. VwGH 20.03.2012, 2010/21/0147 unter Hinweis auf VwGH 09.11.2010, 2010/21/0199).

Zur Suchtgiftdelinquenz des Beschwerdeführers und der damit in Zusammenhang stehenden Nötigung kommen noch der Besitz eines gefälschten Dienstausweises der österreichischen Polizei und ein Betrugsdelikt hinzu, womit sich seine erhebliche kriminelle Energie also gegen verschiedenste Rechtsgüter richtet.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 06.12.2017 in Haft. Der errechnete Entlassungszeitpunkt ist der 22.07.2022. Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. VwGH 27.01.2017, Ra 2016/22/0094 unter Hinweis auf VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009). Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 22.05.2014, Ra 2014/21/0014). Es liegt daher kein Wohlverhalten vor.

Der Beschwerdeführer ist Freigänger. Aus dem Status eines Strafhäftlings als "Freigänger" lässt sich keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118 unter Hinweis auf VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0143).

Aus all diesen Gründen stellt der weitere Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gerechtfertigt ist.

2. Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 20.10.2016, Ra 2016/21/0198). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG 2005, sondern auch für das - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige - Einreiseverbot iSd § 53 FPG 2005, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289 unter Hinweis auf VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179).

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und lebte vor seiner Inhaftierung mit seiner Ehegattin und den fünf gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Durch die Rückkehrentscheidung erfolgt daher ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers.

Es ist zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Der Beschwerdeführer ist seit August 2005 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet und hat mit ihr fünf gemeinsame Kinder im Alter von 17 Jahren, elf Jahren, zehn Jahren, sechs Jahren und vier Jahren, die ebenso türkische Staatsangehörige sind. Die Ehegattin und zwei Kinder verfügen über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus". Die älteren drei Kinder verfügen über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".

Die Rückkehrentscheidung bewirkt daher eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehegattin und seiner Kinder. Dies ist aber gerechtfertigt, da dem öffentlichen Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf Grund der mehrfachen Verbrechen des Suchtgifthandels und der mehrfachen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften ein sehr großes Gewicht zukommt.

Eine Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner ist im Ergebnis nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0162 unter Hinweis auf VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0199; VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271). Die durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkte Trennung von Familienangehörigen ist im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in bestimmten Konstellationen in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0162 unter Hinweis auf VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0174; VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 06.12.2017 durchgehend in Haft. Er befindet sich im gelockerten Vollzug gemäß § 126 Abs. 2, 3 und 4 StVG und arbeitet als Koch. Ein Mal pro Monat besucht er für zehn Stunden seine Familie.

Es liegen auch unter Beachtung des Kindeswohles keine außergewöhnlichen Umstände vor, die eine Verletzung des Art. 8 EMRK erkennen lassen. So ist insbesondere nicht erkennbar, dass die Kinder vom Beschwerdeführer in einer besonderen Weise abhängig wären. Die Ehegattin kümmert sich durchgehend seit 2005 um die Kinder und geht selbst keiner Erwerbstätigkeit nach. Während der mehrmonatigen Untersuchungshaft im Jahr 2016 und seit der Inhaftierung des Beschwerdeführers im Dezember 2017 kümmert sich die Beschwerdeführerin alleine um ihre Kinder. Der Beschwerdeführer besucht seine Familie ein Mal im Monat für zehn Stunden. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte für eine enge Bindung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern. Die Ehegattin bestreitet den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder mittels Sozialleistungen. In der Vergangenheit war der Beschwerdeführer nur ca. fünfeinhalb Jahre berufstätig und bezog ansonsten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Der Beschwerdeführer hat außerdem Schulden in Höhe von ca. € 500.000. Es ist daher auch eine finanzielle Abhängigkeit vom Beschwerdeführer auszuschließen. Der Beschwerdeführer war zuletzt im März 2015 erwerbstätig und bezog seither (bis zur Inhaftierung im Dezember 2017) Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer in der Zukunft in der Lage sein wird, für den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sorgen.

Dem Beschwerdeführer stünde es frei, seine Bindungen in Österreich durch briefliche, telefonische oder elektronische Kontakte aufrecht zu erhalten (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235). Zu beachten ist hierbei, dass das jüngste Kind des Beschwerdeführers in wenigen Monaten das fünfte Lebensjahr vollenden wird. Zum Zeitpunkt der Haftentlassung des Beschwerdeführers im Juli 2022 wird dieses Kind beinahe sieben Jahre alt sein. Das jüngste Kind des Beschwerdeführers ist daher kein Kleinkind mehr, weshalb die Aufrechterhaltung des Kontakts mittels elektronischer Kommunikationsmittel möglich ist. Damit ist auch Art. 24 Abs. 3 GRC (der Art. 2 Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern entspricht), wonach jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen hat, nicht verletzt, weil der Kontakt nicht ausgeschlossen oder verunmöglicht wird.

Schließlich ist der Ehegattin und den gemeinsamen fünf Kindern auch eine Wiederansiedelung in der Türkei zumutbar. Sie sind alle türkische Staatsangehörige und es kann davon ausgegangen werden, dass die Kinder die türkische Sprache beherrschen. Dies deshalb, da die Ehegattin bzw. Mutter der Kinder - trotz Aufenthalts in Österreich seit 2007 - keinerlei Deutschkenntnisse hat und die Einvernahme vor dem BFA mit Hilfe eines Dolmetschers für die türkische Sprache erfolgen musste. Die Ehegattin des Beschwerdeführers ist auch nicht berufstätig, weshalb bei einer Rückkehr in die Türkei eine Berufstätigkeit nicht aufgegeben werden müsste. Die Familie müsste daher bloß ihre Mietwohnung aufgeben. In der Türkei müsste eine Wohnung und für vier Kinder (die älteste Tochter wird in etwa neun Monaten volljährig) eine Schule gesucht werden. Dabei können aber sowohl die Eltern der Ehegattin des Beschwerdeführers als auch die Eltern des Beschwerdeführers behilflich sein, die in der Türkei leben.

Die Kinder des Beschwerdeführers sind derzeit im Alter von 17 Jahren, elf Jahren, zehn Jahren, sechs Jahren und vier Jahren und leben gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Haushalt. Drei Kinder besuchen die Schule, zwei Kinder den Kindergarten, weshalb davon auszugehen ist, dass sie hier Freunde haben. Die beiden jüngsten Kinder haben ihre Sozialisierung in Österreich eben erst begonnen und werden zum Zeitpunkt der Haftentlassung des Beschwerdeführers in einem anpassungsfähigen Alter sein, weshalb eine Rückkehr in die Türkei zumutbar ist. Die beiden Kinder im Alter von elf und zehn Jahren befinden sich ebenso in einem anpassungsfähigen Alter, weshalb eine Rückkehr in die Türkei zumutbar ist. Die älteste Tochter wird in wenigen Monaten volljährig, weshalb eine Berücksichtigung des Kindeswohls hier nicht mehr relevant ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Kinder mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes vertraut gemacht wurden. Sie beherrschen die türkische Sprache. In der Türkei leben sowohl ihre Großeltern mütterlicher- als auch väterlicherseits. Es kann daher erwartet werden, dass sie sich im Falle einer Rückkehr an die Verhältnisse in der Türkei anpassen werden, neue Kontakte aufbauen können und die begonnene Ausbildung fortsetzen können. Aus den getroffenen Feststellungen zur Türkei ergibt sich, dass es für mittellose Familien, z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.), Kindergeld (10-20 EUR pro Kind/pro Monat, nach Alter und Geschlecht gestaffelt, Mädchen bekommen etwas mehr), finanzielle Unterstützung für Schwangere (ca. 50 EUR pro Schwangerschaft), Wohnprogramme, Einkommen für Behinderte und Altersschwache (50-130 EUR/Monat nach Alter und Grad der Behinderung gestaffelt) gibt. Außerdem gibt es Arbeitslosenunterstützung. Es ist daher den Kindern zumutbar, dass sie und ihre Mutter mit dem Beschwerdeführer in die Türkei zurückkehren.

Der Beschwerdeführer hält sich seit 2002 legal in Österreich auf. Er verfügt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0185).

Diese Rechtsprechungslinie betraf aber nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2018/19/0479 unter Hinweis auf VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).

Auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ist dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0132).

Der Beschwerdeführer hält sich seit knapp 18 Jahren legal in Österreich auf und spricht Deutsch. In Österreich leben auch ein Bruder und zwei Schwestern des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer war nur etwa fünfeinhalb Jahre berufstätig. Der Beschwerdeführer war zwar von 2009 bis 2012 selbständig, daraus resultierte aber eine Zahlungsunfähigkeit und Schulden in Höhe von ca. € 500.000.

Eine künftige Selbsterhaltungsfähigkeit vermag auch durch die vorgelegte Einstellungszusage vom 29.10.2019 nicht dargetan werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt hat, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/0612 und 29.06.2010, 2010/18/0195 jeweils mwN). Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass die Einstellungszusage von seiner Schwester stammt, die ihr Unternehmen seit 2007 führt. Der Beschwerdeführer war zuletzt im März 2015 erwerbstätig und bezog ab diesem Zeitpunkt bis November 2017 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Wenn sich der Beschwerdeführer daher erst nach der Einvernahme vor dem BFA anlässlich der beabsichtigen Erlassung einer Rückkehrentscheidung um eine legale Arbeit bemüht, davor aber jahrelang Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, zeugt dies nicht von der Ernsthaftigkeit des Beschwerdeführers, tatsächlich einer Arbeit nachgehen zu wollen. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK muss außerdem nicht akzeptiert werden, dass der Fremde mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 28.02.2019, Ro 2018/01/0003 mwN).

Der Beschwerdeführer vermochte zum Entscheidungszeitpunkt daher keine entscheidungserheblichen integrativen Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet darzutun.

Maßgeblich relativierend ist schließlich die Straffälligkeit des Beschwerdeführers. Er wurde innerhalb eines halben Jahres wegen mehrerer gravierender Verstöße gegen das SMG, wegen Betrugs, wegen Nötigung und wegen Besitzes falscher besonders geschützter Urkunden (Dienstausweis der österreichischen Polizei) zu insgesamt fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet hatten ihn nicht von der Straffälligkeit abgehalten. Ihm musste auch klar sein, dass seine Straffälligkeit zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn führen kann.

Zu beachten ist auch, dass der Beschwerdeführer in der Türkei geboren wurde und dort seine ersten 18 Lebensjahre verbracht hat. Er besuchte dort die Schule und spricht Türkisch. Er ist daher mit den dortigen kulturellen Gegebenheiten vertraut, weshalb ihm eine Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft zugemutet werden kann. Auch kann bei ihm angesichts seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Berufserfahrung und seiner deutschen Sprachkenntnisse die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Türkei zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes angenommen werden.

Auf Grund der genannten Umstände überwiegen in einer Gesamtabwägung derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet. Insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens und an der Hintanhaltung strafbarem Verhaltens wiegt in diesem Fall schwerer als die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet. Durch die angeordnete Rückkehrentscheidung liegt eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

3. Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Es ist daher zu prüfen, ob die Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen würde oder die Rückkehr für ihn als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Der Beschwerdeführer ist nicht durch die Todesstrafe und auch nicht durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bedroht. Der Beschwerdeführer ist aktuell nicht lebensbedrohlich erkrankt. Es ergeben sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen im Falle einer Rückverbringung des Beschwerdeführers in die Türkei. Auch aus den getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei ergeben sich keine Hinweise auf eine Unzulässigkeit einer Abschiebung in die Türkei.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei ist daher gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig.

4. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Die eingeräumte Frist ist angemessen und es wurde diesbezüglich auch in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet.

Einreiseverbot (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Bei der im Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109 unter Hinweis auf VwGH 24.03.2015, Ra 2014/21/0049, und 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbotes ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dabei ist das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen, aber auch darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A/2011, zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011). Diese Rechtsprechung ist auch für die Rechtslage nach dem FrÄG 2018 aufrechtzuerhalten (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109 unter Hinweis auf VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237).

Wie bereits oben unter Punkt 1. zur Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG ausgeführt, stellt der weitere Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 31.10.2017, ZI. XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden, des Vergehens des Betruges und des Vergehens der Nötigung gemäß § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall und Abs. 2 Z 3 zweiter Fall SMG, § 12 zweiter Fall StGB; § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG; § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG; § 224a StGB; § 146 StGB und § 15 iVm § 105 Abs. 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Der zunächst bedingt nachgesehene Teil der Strafe im Ausmaß von 15 Monaten wurde anlässlich der späteren, zweiten strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers widerrufen.

Nur sechs Monate später wurde der Beschwerdeführer erneut verurteilt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 19.04.2018, ZI. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §§ 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 1 und abs. 4 Z 3 SMG und § 12 zweiter Fall StGB; § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 3 SMG; § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 40 Monaten verurteilt.

Mit der ersten Verurteilung zu 20 Monaten Freiheitsstrafe ist § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt. Die letzte Verurteilung zu 40 Monaten Freiheitsstrafe rechtfertigt sogar die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG.

Die Motivation, sich durch seinen organisierten, grenzüberschreitenden Suchtgifthandel ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, bewog den Beschwerdeführer dazu, kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft am 25.10.2016 seinen Suchtgifthandel wiederaufzunehmen und diesen während des bereits weiteren anhängigen Strafverfahrens gegen ihn und sogar nach der ersten strafrechtlichen Verurteilung am 31.10.2017 bis zur neuerlichen Festnahme am 06.12.2017 fortzusetzen. Gerade dieses Verhalten des Beschwerdeführers ist als besonders verwerflich anzusehen.

Selbst unter Berücksichtigung seiner unter Punkt 2. angeführten familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, seiner sprachlichen Integration, der langen rechtmäßigen Aufenthaltsdauer und der - teilweisen - beruflichen Integration des Beschwerdeführers kam der aus dem dargestellten Sachverhalt abzuleitenden Gefährdungsprognose zu Lasten des Beschwerdeführers ein höheres Gewicht zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass bei derart schweren Verbrechen nach dem SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Einreiseverbot entgegensteht (vgl. zu beiden Gesichtspunkten VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0050 unter Hinweis auf VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022, Rn. 14, mwN).

Im Falle des Beschwerdeführers ist die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots möglich. Der Beschwerdeführer hat im Zeitraum von April 2015 bis 22. April 2016 in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge gemäß § 28b SMG übersteigenden Menge, in zahlreichen Angriffen in der Slowakei das Suchtgift "Pico" ("Crystal Meth") erworben und von dort nach Österreich eingeführt (insgesamt 215,6 Gramm "Pico"). Er hat ca. 313 Gramm "Pico" an zumindest 14 Personen verkauft. Einer Person hat er auch geringe Mengen Kokain verkauft. Der Beschwerdeführer hat aus Geldmangel spätestens ab Anfang Februar 2017 bis 06. Dezember 2017 Suchtgift, nämlich "Pico" ("Crystal Meth") in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge nach Österreich eingeführt oder sich liefern lassen, um es in Österreich gewinnbringend zu verkaufen. Er hat 880 Gramm "Pico" selbst in der Slowakei abgeholt. Insgesamt 1,76 Kilogramm "Pico" hat er sich nach Österreich bringen lassen. Der Beschwerdeführer hat 400 Gramm "Pico" selbst konsumiert. Den Rest von 2,24 Kilogramm hat er verkauft. Den Großteil seiner Tathandlungen setzt der Beschwerdeführer während des ersten Strafverfahrens. Nach Entlassung aus der mehrmonatigen Untersuchungshaft hat er erneut mit dem Suchtgifthandel begonnen und während der auf Grund der ersten Verurteilung festgelegten Probezeit den Suchtgifthandel fortgeführt. Der Beschwerdeführer hat im Zusammenhang mit dem Suchtgifthandel eine Nötigung begangen, er hat einen Betrug und einen gefälschten Dienstausweis der österreichischen Polizei begangen.

Die von der belangten Behörde verhängte Dauer des Einreiseverbotes im Ausmaß von sieben Jahren steht im Vergleich zur insgesamt verhängten, unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren, dem schweren Unrechtsgehalt der begangenen Straftaten sowie dem bisherigen persönlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers in angemessener Relation (vgl. VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0054, wonach der Handel mit Suchtgift in einem das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigendem Ausmaß ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren rechtfertigt).

Das BFA stützte im Spruch des angefochtenen Bescheides das verhängte Einreiseverbot auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG. Aus der Begründung geht jedoch klar hervor, dass das Einreiseverbot im Hinblick auf § 53 Abs. 3 Z 5 geprüft wurde. Es erfolgte daher die entsprechende Anpassung im Spruch dieses Erkenntnisses.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes übereinstimmt.

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