BVwG W276 2197400-2

BVwGW276 2197400-213.1.2020

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W276.2197400.2.00

 

Spruch:

W276 2197400-2/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Gert WALLISCH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.11.2019 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Der Beschwerdeführer ("BF") reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26.10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.10.2015 gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil es dort Krieg gäbe, es dort nicht sicher sei und er in Österreich etwas lernen wolle.

 

I.3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz ("BFA") am 08.11.2017 bzw am 07.03.2018 gab der BF an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Er sei in der Provinz Ghazni, im Distrikt Jaghuri, im Dorf XXXX geboren worden. Als er fünf Jahre alt war hätten seine Eltern beschlossen, das Heimatdorf zu verlassen und mit der ganzen Familie nach Kabul zu gehen. Den Grund für diesen Umzug nach Kabul kenne er nicht. In Kabul hätte der BF gemeinsam mit seiner Familie im Stadtteil XXXX (korrekte Schreibweise, Anm) gelebt. In Kabul habe der BF sieben Jahre die Schule besucht und habe danach als Strassenverkäufer gearbeitet. Der ältere Bruder hätte in einer Bäckerei gearbeitet. Dieser sei am 29.09.2017 in der Nähe seiner Arbeit, bei einem Anschlag auf eine Moschee, getötet worden. Der Vater des BF habe beim Militär gearbeitet und sei sieben Jahre vor der Einreise des BF in Österreich ums Leben gekommen. Man hätte seine Leiche nach Hause gebracht, den Grund für den Tod des Vaters kenne er nicht. Nach dem Tod des älteren Bruders hätten die Eltern des BF und dessen Geschwister beschlossen, in den Iran zu gehen. Seit diesem Zeitpunkt hätte der BF keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Im September 2015 habe der BF beschlossen, Afghanistan zu verlassen.

 

Der Vater des BF sei bereits verstorben und heiße XXXX , die Mutter heiße XXXX und lebe im Iran. Weiters habe der BF einen bereits verstorbenen Bruder, XXXX , der am 29.09.2017 bei einem Anschlag in Kabul ums Leben gekommen sei und einen weiteren Bruder, XXXX , der mit seiner Mutter im Iran lebe. Eine Schwester, XXXX , lebe ebenfalls mit seiner Mutter im Iran. Der BF habe weiters einen Onkel und eine Tante väterlicherseits. Den Aufenthalt der Tante kenne er nicht, der Onkel lebe in der Türkei. Zudem habe der BF eine Tante mütterlicherseits, sie lebe im Iran, ob sie gemeinsam mit der Mutter lebe, wisse er nicht.

 

Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, er habe Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage und den ständigen Selbstmordanschlägen verlassen, deren Zeuge er selbst mehrfach geworden sei. Nach einem dieser Anschläge habe der BF für 24 Stunden nichts mehr gehört. Auf der Straße sei er immer beschimpft worden. Es gebe keine Sicherheit für ihn als Hazara und Schiit.

 

I.4. Im Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit vierzehn Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI).

 

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF lediglich aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen nach Österreich gereist sei. Asylrelevante Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates habe der BF nicht geltend gemacht, zumal sich die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe nur allgemein auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan bezogen habe, aber keine individuell gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen umfassten. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.

 

I.5. Gegen den Bescheid des BFA vom XXXX , zugestellt am 11.07.2018, erhob der BF am 01.08.2018 Beschwerde.

 

I.6. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde. Es wurde versucht, die Beweiswürdigung der belangten Behörde zu entkräften. Der BF habe sein Heimatland wegen der schlechten Sicherheitslage, wegen des Todes seines Bruders bei einem Selbstmordanschlag und wegen des Todes des Vaters verlassen. Außerdem drohe ihm Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Dazu wurde auf diverse Länderberichte und Rechtsprechung verwiesen. Dem BF drohe unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung sowie eine Verletzung seines Rechts auf Leben. Durch die Rückkehrentscheidung werde er in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt.

 

Im Auftrag der Behörde erstattete der gerichtlich beeidete, medizinische Sachverständige DDr XXXX ein Gutachten zum Zweck der Altersfeststellung des BF auf Basis einer multifaktoriellen Altersdiagnostik (AS 131 ff). Auf Basis dieses Gutachtens legte das BFA das Geburtsdatum des BF mit XXXX fest.

 

I.7. Am 08.11.2019 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters und einer Vertreterin der belangten Behörde statt. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts sowie Akteneinsicht wurde verzichtet. Der BF legte weitere Bescheinigungsmittel vor. Vom erkennenden Richter wurden Länderberichte und zahlreiche weitere Länderinformationen in das Verfahren eingebracht (vgl Pkt II.2 dieses Erkenntnisses). Der BF und sein Rechtsvertreter verzichteten auf eine schriftliche Stellungnahme.

 

I.8. Am 19.11.2019 wurden dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, und die EASO-Leitlinien zu Afghanistan aus Juni 2019 zur Stellungnahme ins Parteiengehör übermittelt.

 

I.9. Am 03.12.2019 langte eine Stellungnahme samt Urkundenvorlage des BF beim BVwG ein. Der BF führte darin aus, dass es in Afghanistan zu keiner Verbesserung der Sicherheitslage im Sinne des § 3 Abs 4a AsylG gekommen sei. Weiters würden im aktuellen LIB die Konsequenzen der letzten Präsidentenwahlen nicht berücksichtigt. Verwiesen wird weiters auf den Abbruch der Friedensgespräche der USA mit den Taliban. Verwiesen wird weiters auf die nach wie vor volatile Sicherheitslage in Afghanistan. Verwiesen wird insbesondere auf die Sicherheitslage in Kabul und allgemein auf die Menschenrechtslage und die Grundversorgung verwiesen.

 

Die Stellungnahme beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der Inhalte des Länderinformationsblattes vom 13.11.2019.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

II.1. Feststellungen:

 

II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der BF führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

 

Der BF ist im Dorf XXXX , im Distrikt Jaghuri, in der Provinz Ghazni geboren. Der BF gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Als er fünf Jahre alt war haben seine Eltern beschlossen, das Heimatdorf zu verlassen und mit der ganzen Familie nach Kabul zu gehen. Den Grund für diesen Umzug nach Kabul kennt der BF nicht. In Kabul hat der BF gemeinsam mit seiner Familie im Stadtteil XXXX gelebt. In Kabul hat der BF sieben Jahre die Schule besucht und hat danach als Straßenverkäufer gearbeitet. Der ältere Bruder hat in einer Bäckerei gearbeitet. Er wurde am 29.09.2017 in der Nähe seiner Arbeit, bei einem Anschlag auf eine Moschee, getötet. Der Vater des BF hat beim Militär gearbeitet und ist sieben Jahre vor der Einreise des BF in Österreich ums Leben gekommen. Den Grund für den Tod des Vaters kennt der BF nicht.

 

Der Vater des BF ist bereits verstorben und heißt XXXX , die Mutter heißt XXXX und lebt im Iran. Weiters hat der BF einen bereits verstorbenen Bruder, XXXX , der am 29.09.2017 bei einem Anschlag in Kabul ums Leben gekommen ist und einen weiteren Bruder, XXXX , der mit seiner Mutter im Iran lebt. Eine Schwester, XXXX , lebt ebenfalls mit seiner Mutter im Iran. Der BF hat weiters einen Onkel und eine Tante väterlicherseits. Den Aufenthalt der Tante kennt er nicht, der Onkel lebt in der Türkei. Zudem hat der BF eine Tante mütterlicherseits, sie lebt im Iran, ob sie gemeinsam mit der Mutter lebe, weiß der BF nicht.

 

Der BF hat nach wie vor Kontakt zu seiner im Iran befindlichen Familie.

 

Der BF ist unverheiratet, lebt in keiner Lebensgemeinschaft, hat keine Kinder und hat keine Sorgepflichten.

 

II.1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

II.1.2.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan und der immer wiederkehrenden Selbstmordanschläge einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre.

 

Dem BF drohen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weder Eingriffe in seine körperliche Integrität noch Lebensgefahr durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

 

II.1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim vor seiner Ausreise aus Afghanistan bedroht wurde bzw. ihm bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat deswegen konkret und individuell physische oder psychische Gewalt droht.

 

II.1.2.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen seines Aufenthalts in einem europäischen Land oder wegen seiner Lebensführung in Österreich konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

 

II.1.2.4. Der BF ist mittlerweile volljährig. Da er kein Kind mehr ist, droht ihm jedenfalls bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine physische oder psychische Gewalt aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der verlassenen Kinder.

 

II.1.3. Zur Situation des BF in Österreich:

 

Der BF befindet sich spätestens seit 26.10.2015 durchgehend im Bundesgebiet und ist illegal eingereist. Er ist gesund und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Er lebt derzeit von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und somit nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat in Österreich keine Familienangehörigen.

 

Der BF besucht derzeit einen Deutschkurs auf dem Niveau B1, Teil 2 und hat die Prüfung zum Niveau A2 erfolgreich abgelegt. Er absolvierte Veranstaltungen der XXXX (Österreichischer Freiwilligenpass der XXXX , Beilage ./13) sowie der " XXXX " (Beilage ./14). Weiters besucht er das Abendgymnasium ( XXXX ) und hat die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden. Er hat an Orientierungskursen und Basisbildungsveranstaltungen teilgenommen und bei der Vorbereitung des XXXX mitgewirkt (Urkundenvorlage vom 07.10.2019). Im Jahr 2017 unterzog sich der BF einer Ohrenoperation, die erfolgreich durchgeführt werden konnte (AS 365 ff). Er nahm an Sommerkursen und Werteorientierungskursen (AS 383 ff) sowie an Kursen des Lernzentrums XXXX teil und besuchte das Sprachcafe (AS 395). Auch an Kursen und freiwilligen Hilfstätigkeiten des Unabhängigen Landesfreiwilligenzentrums (ULF) nahm der BF teil (AS 397).

 

In den verschiedenen Empfehlungsschreiben (Beilagen ./15 und ./16) wird der BF durchwegs als umgänglicher, interessierter und fleißiger Mensch beschrieben. Er hat auch soziale Kontakte zu seinen Betreuern geknüpft, geht ins Fitnesscenter und spielt in seiner Freizeit gerne Fußball.

 

II.1.4. Zur Situation im Fall der Rückkehr nach Afghanistan:

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

 

Der BF kann sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der schlechten Sicherheitslage zwar nicht in die Provinz Ghazni zurückbegeben, allerdings kann er sich erneut in seinem Herkunftsort in der Stadt Kabul niederlassen.

 

Ihm steht aber auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

II.1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

II.1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:

 

Allgemeine Sicherheitslage:

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (LIB 13.11.2019, S. 18). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18-19).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 13.11.2019, S. 23)

 

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (LIB 13.11.2019, S. 24).

 

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

 

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel (LIB 13.11.2019, S. 26).

 

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

 

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

 

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (LIB 13.11.2019, S. 27). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 28).

 

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (LIB 13.11.2019, S. 29).

 

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

 

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

 

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

 

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

 

Balkh

 

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

 

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, S. 61).

 

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (LIB 13.11.2019, S. 61).

 

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (LIB 13.11.2019, S. 61).

 

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (LIB 13.11.2019, S. 62).

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 63).

 

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (LIB 13.11.2019, S. 63).

 

Herat

 

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden. Herat ist in 16 Distrikte unterteilt. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (LIB 13.11.2019, S. 105).

 

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (LIB 13.11.2019, S. 107).

 

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 106).

 

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (LIB 13.11.2019, S. 106).

 

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 13.11.2019, S. 106).

 

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:

Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 106).

 

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (LIB 13.11.2019, S. 106-107). 2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (LIB 13.11.2019, S. 107).

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 108).

 

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 108). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 109). Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 109).

 

Ghazni

 

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze (UNOCHA 4.2014). Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie den Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt (AAN 22.5.2018)), De Hyak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan (CSO 2019). Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt (PAJ o.D.). Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken (NPS o. D.).

 

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung (CJ 13.8.2018). Einem Bericht vom Dezember 2018 zufolge steht die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und ist für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt, wobei die Aufständischen weiterhin Druck auf die Kabul-Kandahar-Autobahn ausüben (AAN 30.12.2018), bzw. Straßenkontrollen durchführen (PAJ 31.1.2019). Im Mai 2019 war die Ghazni-Paktika-Autobahn seit einem Jahr geschlossen (PAJ 13.5.2019a). Auch die Ghazni-Paktia-Autobahn war Anfang März 2019 trotz einer 20-tägigen Militäroperation (PAJ 27.2.2019) gegen die Taliban immer noch gesperrt (BAMF 4.3.2019; vgl. PAJ 27.2.2019). Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch (KP 16.5.2019). Die Kontrolle über die Straße nach Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia ist bedeutsam für die Verteidigung von Ghazni, da sich die Militärbasis des für die Provinz zuständigen Corps dort befindet (AAN 25.7.2018).

 

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Ghazni 2018 nicht zu den zehn wichtigsten schlafmohnanbauenden Provinzen Afghanistans. Während die Provinz zwischen 2013 und 2016 schlafmohnfrei war, wurden 2017 etwa 1.000 Hektar angebaut. Im Jahr 2018 nahm die Anbaufläche um 64% ab. Der größte Teil von Ghazni's Schlafmohn wurde 2018 im volatilen Distrikt Ajristan angebaut (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben (KP 27.5.2019).

 

Aufgrund der Präsenz von Taliban-Aufständischen in manchen Regionen der Provinz, gilt Ghazni als relativ unruhig (XI 22.9.2019), so standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban gestanden haben, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft (AAN 30.12.2018). Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen (PAJ 27.1.2019). Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste (PAJ 19.4.2019).

 

In Ergänzung zur Afghan National Police (ANP), der Afghan Local Police (ALP) und der paramilitärischen Kräfte des National Directorate of Security (NDS) entsteht im Distrikt Jaghuri im Rahmen eines Pilotprojekts eine neu eingerichtete Afghan National Army Territorial Force (ANA TF). Diese lokale Einheit soll die Bevölkerung schützen und Territorium halten, ohne von lokalen Machthabern oder Gruppeninteressen vereinnahmt zu werden (AAN 15.1.2019). Während des Angriffs auf Ghazni-Stadt im August 2018 wurden die afghanischen Regierungskräfte von US-amerikanischen Streitkräften unterstützt - laut einer Quelle nicht nur durch Luftangriffe, sondern auch von US-Spezialeinheiten am Boden (TM 23.8.2018). Ghazni liegt im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps (USDOD 6.2019; vgl. AAN 25.7.2018) das der Task Force Southeast untersteht, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (UNAMA 24.2.2019). Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Ghazni mit insgesamt 186 zivilen Opfern (77 Tote, 109 Verletzte) zu den fünf Provinzen mit den größten Auswirkungen des Konflikts auf Zivilisten in Afghanistan (UNAMA 30.7.2019).

 

Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. Mehr als die Hälfte aller Luftangriffe fanden in diesem Zeitraum in den Provinzen Helmand und Ghazni statt. Anfang April 2019 beschloss die Regierung die "Operation Khalid", welche unter anderem auf Ghazni fokussiert (UNGASC 14.6.2019). Auch die Winteroperationen 2018/2019 der ANDSF konzentrierten sich unter anderem auf diese Provinz (UNGASC 28.2.2019). In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (z.B. KP 27.7.2019; KP 25.7.2019; KP 22.7.2019, MENAFN 22.7.2019); ebenso werden Luftangriffe in der Provinz durchgeführt (PAJ 17.3.2019). Bei manchen militärischen Operationen werden beispielsweise Taliban getötet (KP 25.7.2019; vgl. KP 22.7.2019). Außerdem kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (PAJ 30.3.2019; vgl. PAJ 16.2.2019, SP 15.8.2018). Auch verlautbarte die Regierung im September 2019 nach wie vor Offensiven gegen die Aufständischen in der Provinz zu führen, um das Territorium der Taliban zu verkleinern (XI 22.9.2019).

 

Mitte August 2018 eroberten die Taliban große Teile der Stadt Ghazni, was zu heftigen Kämpfen zwischen den Aufständischen und den Regierungskräften führte (SP 15.8.2018). Nach fünf Tagen erlangte die Regierung wieder die Kontrolle über die Provinzhauptstadt (AAN 16.12.2018). Die dabei durchgeführten Luftangriffe führten zu zivilen Opfern und zerstörten Häuser von Zivilisten (AAN 16.12.2018; vgl. UNAMA 24.2.2019). UNAMA verzeichnete 262 zivile Opfer (79 Tote, 183 Verletzte) im Zusammenhang mit dem Talibanangriff im August 2018 (UNAMA 24.2.2019). Zeitgleich mit dem Angriff auf die Stadt Ghazni eroberten die Taliban den Distrikt Ajristan westlich der Provinzhauptstadt (NYT 12.8.2018; vgl. TN 13.8.2018). Im November 2018 starteten die Taliban eine Großoffensive gegen die von Hazara dominierten Distrikte Jaghuri und Malistan, nachdem die Aufständischen bereits Ende Oktober das benachbarte Khas Uruzgan in der Provinz Uruzgan angegriffen hatten (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 29.11.2018). Bis Ende November 2018 wurden die Taliban aus Jaghuri und Malistan vertrieben (AAN 29.11.2018).

 

Die Parlamentswahlen, die im Oktober 2018 hätten stattfinden sollen, wurden in Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage zunächst auf April 2019 verschoben (AAN 16.8.2018). Ende Dezember 2018 kündigte die Unabhängige Wahlkommission (independent election commission, IEC) an, dass die Parlamentswahlen in Ghazni sowie die Präsidentschaftswahlen in ganz Afghanistan im Juli 2019 mit dreimonatiger Verspätung stattfinden würden (F24 30.12.2018). Neben der Sicherheitslage nannte ein Bericht des UN-Generalsekretärs auch Proteste, welche die Provinzzentrale der IEC blockierten, als einen Grund für die Verschiebung der Wahl in Ghazni (UNGASC 28.2.2019).

 

Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:

 

Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 13.11.2019, S. 229). Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt. Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts. Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 230-231).

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (LIB 13.11.2019, S. 236).

 

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. Mehrere internationale Airlines fliegen nach Kabu- (LIB 13.11.2019, S. 237).

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet. Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif:

Turkish Airlines aus Istanbul. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (LIB 13.11.2019, S. 237).

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (LIB 13.11.2019, S. 238).

 

Religionsfreiheit:

 

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).

 

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 13.11.2019, S. 277).

 

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).

 

Schiiten

 

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.1.2019).

 

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).

 

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).

 

Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).

 

Ethnische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen (LIB 13.11.2019, S. 287).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 287-288).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.6.2019).

 

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht "man kenne seine Nachbarn nicht mehr" (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

 

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).

 

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.3.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o. D.c). Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o. D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).

 

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 21.6.2019).

 

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.3.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt(MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).

 

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).

 

Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o. D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

 

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

 

Arbeitsmarkt

 

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

 

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

 

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

 

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

 

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

 

Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif

 

Mazar-e Sharif

 

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

 

Herat

 

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

 

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

 

Armut und Lebensmittelsicherheit

 

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen, wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist. Gegenüber dem Zeitraum 2011-12 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Im Zeitraum 2016-17 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (LIB 13.11.2019, S. 337-338).

 

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht.

 

Dürre und Überschwemmungen

 

Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (LIB 13.11.2019, S. 337).

 

Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018. Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daikundi, Herat und Ghor zu IDPs, zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah. Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (LIB 13.11.2019, S. 330-331).

 

Medizinische Versorgung

 

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).

 

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).

 

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte "Out-of-pocket"-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

 

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab.

Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).

 

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).

 

Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).

 

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).

 

Medizinische Versorgung in der Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif

 

Kabul:

 

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden (WB 30.9.2018).

 

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (WHO 4.2018).

 

Herat:

 

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

 

Mazar-e Sharif:

 

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

 

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

 

Psychische Erkrankungen

 

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA 4.2018). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 2.9.2019). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (BFA 4.2018). In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung (AA 2.9.2019).

 

Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können (BDA 18.12.2018).

 

Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (AA 2.9.2019). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019).

 

Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan (BFA 4.2018).

 

In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei

Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten:

 

Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae mental hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäusern in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.4.2019). In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (BFA 4.2018).

 

Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50% der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen (AA 2.9.2019).

 

Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychisch Erkrankte sind oftmals einer gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt (BDA 18.12.2018).

 

Rückkehr:

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

 

Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (LIB 13.11.2019, S. 354).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

 

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

 

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig. Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (LIB 13.11.2019, S. 355).

 

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet. Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

 

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben.

 

Unterstützung durch IOM

 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (LIB 13.11.2019, S. 356-357).

 

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

 

IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (LIB 13.11.2019, S. 358).

 

Freiwillige Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer bewilligt wurde (IOM 23.9.2019).

 

In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (IOM o.D.).

 

Wohnungen

 

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (LIB 13.11.2019, S. 359). Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

 

1.5.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation

Aghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018:

 

Dürre:

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014. Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen.

 

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Lage in der Stadt Herat und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2108, S. 5f). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt.

 

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt. Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung.

 

II.2. Beweiswürdigung:

 

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./1 bis ./17 (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem (Beilage ./1);

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierung vom 04.06.2019 (Beilage ./2);

UNHCR - Richtlinien zur Beurteilung internationaler Schutzbedürftigkeit von AsylwerberInnen aus Afghanistan (Entwicklungen in Afghanistan; Sicherheitslage; Auswirkungen des Konflikts auf ZivilistInnen; Menschenrechtslage; humanitäre Lage;

Risikoprofile; interne Fluchtalternative; Ausschlussgründe, etc) vom 30.08.2018 in deutscher Übersetzung (Beilage ./3); EASO-Leitlinien zu Afghanistan (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz;

staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe) vom Juni 2019 (Beilage ./4); Bericht Landinfo, Afghanistan, Organisation und Struktur der Taliban, 23.08.2017 (Beilage ./5); Bericht Landinfo, Afghanistan, der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, 23.08.2017 (Beilage ./6); Bericht Landinfo, Afghanistan, Rekrutierung durch die Taliban, 29.06.2017 (Beilage /7); Bericht, EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018 (Beilage ./8); Accord, Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Allg. Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul 18.01.2019 (Beilage ./9); Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan; Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre, 13.09.2018 (Beilage ./10); Entwicklung der wirtschaftlichen Situation sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Mazar e-Sharif und Herat 2010 bis 2018, Stand 7.12.2018 (Beilage ./11); BM f Inneres, Abteilung V/10 - Rückkehr, Reintegration und Qualitätsentwicklung, Afghanistan - Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung, Stand 20.09.2019 (Beilage ./12); Pass XXXX betreffend Bestätigung Teilnahme an freiwilligen Veranstaltungen (Beilage ./13); XXXX Bestätigung vom 17.10.2019 (Beilage ./14); Empfehlungsschreiben XXXX vom 3.11.2019 (Beilage ./15); Empfehlungsschreiben XXXX vom 04.11.2019 (Beilage ./16); Kopie Berliner Symposium, Auszug Asylmagazin 8-9/2019 (Beilage ./17)).

 

II.2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA, in der Beschwerde und vor dem BVwG. Die getroffenen Feststellungen zum Namen des BF gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren.

 

Die Feststellung zum Geburtsdatum des BF beruhen auf dem Ergebnis des medizinischen Gutachtens zur Altersfeststellung (AS 131 ff), auf das in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen und vom BF nicht bestritten wurde.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Muttersprache gründen auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das BVwG hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des BF in Afghanistan, insbesondere zu seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung als Straßenverkäufer, ergeben sich aus seinen widerspruchsfreien und schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung

 

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF ergeben sich aus seinen schlüssigen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

 

Die Feststellung zum nach wie vor aufrechten Kontakt zu seiner im Iran lebenden Familie beruht auf den Angaben des BF zu seinem zunächst aufrechten Kontakt. Keinen Glauben war der Behauptung des BF zu schenken, dass dieser Kontakt abgebrochen sei. Vor dem BFA gab der BF noch an, mit seiner Familie, konkret seinen Eltern und seinen Geschwistern, per Facebook, Internet und Messenger in Kontakt zu stehen (AS 100). Das letzte Mal hätte der BF sechs oder sieben Tage vor seiner Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2017 Kontakt gehabt (AS 100). Hier passen die Aussagen des BF nicht zusammen, weil er einerseits angab, seine Eltern hätten nach dem Anschlag auf eine Moschee am 29.09.2017, bei dem sein älterer Bruder ums Leben gekommen sei, Afghanistan verlassen, andererseits hat er aber noch einige Tage vor seiner Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2017 Kontakte mit den Eltern eingeräumt. Offenbar hat der BF daher auch nach der Ausreise der Eltern aus Afghanistan noch Kontakt mit den Eltern, was mit den modernen Kommunikationsmedien (Internet, Facebook) auch durchaus nachvollziehbar erscheint. Dass die Eltern seit Jahren keinen Versuch unternommen haben sollen, den Kontakt mit ihrem in Österreich befindlichen Sohn herzustellen und auch der BF selbst keinen solchen Versuch unternommen haben will (Aussage des BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 08.11.2019, Verhandlungsschrift ["VHS"] S. 8), die Eltern zu kontaktieren, ist nicht glaubwürdig. Dies umso weniger, wenn man berücksichtigt, dass der BF alleine nach Europa gegangen ist und der Plan der Eltern war (zunächst noch mit dem älteren Bruder) nachzukommen, sobald der BF einen gesicherten Status in Österreich hat (VHS S. 10).

 

Es war daher vom nach wie vor aufrechten Kontakt des BF zu seinen Eltern und seinen Geschwistern auszugehen.

 

II.2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

Der BF konnte keine Belege für sein Vorbringen beibringen. Besondere Bedeutung kommt daher dem Vorbringen eines Asylwerbers zu, das auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein.

 

Laut der Rechtsprechung des VwGH bedarf es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Es ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden; es ist in der Beurteilung zu berücksichtigen, dass die Erzählung der Fluchtgeschichte aus der Perspektive eines Minderjährigen erfolgt. Der BF war bis zum XXXX minderjährig. Sein Fluchtvorbringen ist unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen.

 

II.2.2.1. Zur Bedrohung des BF aufgrund der regelmäßigen Selbstmordanschläge in Afghanistan:

 

Der BF gab sowohl im Rahmen seiner Erstbefragung vor der Polizei am 27.10.2015 als auch bei seinen Einvernahmen vor dem BFA am 08.11.2017 bzw am 07.03.2018 aber auch vor dem erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung am 08.11.2019 an, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan das Land verlassen habe. Das BVwG sieht keine Veranlassung an den diesbezüglich stringenten und während des gesamten Verfahrens gleichgebliebenen Aussagen des BF zu zweifeln. Auch die vom BF geschilderten Angaben zum Ableben des Bruders, der Opfer eines Anschlages auf eine Moschee, nahe seiner Arbeitsstätte geworden ist, waren glaubwürdig und lebensnahe geschildert.

 

Aus den Ausführungen des BF ist aber klar erkennbar, dass er bis zum Entscheidungszeitpunkt keiner konkreten und individuellen gegen seine Person gerichteten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt war. Das Vorbringen des BF zu einer Gefährdung bzw. Verfolgung in Afghanistan ist vielmehr allgemein gehalten und reicht nicht über Angaben über die allgemein schlechte Sicherheitslage in Afghanistan hinaus. Eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung durch die Regierung, die Taliban oder andere Personen wurde von ihm verneint (VHS S. 11: "R: Wurden Sie in Afghanistan persönlich bedroht? Was genau wurde zu Ihnen gesagt? BF: Nein, weil ich damals noch recht jung war, ob meine Familie mit ihnen Probleme hatte, weiß ich nicht.").

 

Bedrohungen des BF durch Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppierungen bzw konkret gegen den BF gerichtete, asylrelevante Verfolgungshandlungen konnten daher nicht festgestellt werden.

 

II.2.2.2. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Muslim:

 

Die Feststellungen, dass dem BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara in seinem Herkunftsstaat keine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw. physische Gewalt drohe, ergeben sich aus seinem lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen im verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

In seiner Einvernahme vor dem BFA am 13.06.2017 gab der BF zu seinen Fluchtgründen zunächst an, dass er auf der Straße beschimpft worden und die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt schlecht sei (AS 101). Konkrete gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen, weil er der Volksgruppe der Hazara angehöre, machte er nicht.

 

Zuletzt antwortete der BF in der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2019 zu Problemen aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit befragt, folgendes: "R: Hatten Sie in Afghanistan Probleme auf Grund Ihrer Religionszugehörigkeit? BF: Wo ich gewohnt habe, dort waren wir die einzigen Schiiten und Hazara. Die sagten immer zu mir, ich sei kein Mensch, weil ich Hazara bin."

(VHS S. 11). Auch dieses Vorbringen des BF bleibt damit vage und sehr allgemein. Eine konkrete, für die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung ausreichende Bedrohung bzw Verfolgung kann aus den Angaben des BF nicht abgeleitet werden.

 

Auch der vom BFV im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte Auszug aus der Zeitschrift "Asylmagazin" (Beilage ./17) vermag an dieser Wertung nichts zu ändern, weil auch dort zwar die allgemein schlechte Sicherheitslage in Afghanistan beschrieben wird, sich daraus aber keine konkret gegen den BF gerichtete Bedrohung ableiten lässt.

 

Der BF hat im gesamten Verfahren - außer den Schikanen durch einige Mitbewohner im Stadtteil in Kabul, in dem der BF und seine Familie lebten, keine konkret, gegen seine Person gerichtete Drohung oder Verfolgung auf Grund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit vorgebracht. Auch aus dem Vorbringen in der Beschwerde und in der Stellungnahme ist eine individuelle und konkrete Betroffenheit seiner Person im Hinblick auf Gewalthandlungen nicht ableitbar.

 

Somit hat der BF in Bezug auf sein allgemeines Vorbringen nicht hinreichend dargelegt, warum er konkret auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Glaubensrichtung in seinem Herkunftsstaat einer aktuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnte.

 

Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage in Afghanistan kann trotz der nach wie vor bestehenden Spannungen unter den einzelnen Volks- und Religionsgruppen und der zuletzt berichteten Zunahme von terroristischen Anschlägen gegen Hazara und Schiiten derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der BF ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Umstände als Angehöriger der schiitischen Hazara mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bloß aus ethnischen oder religiösen Gründen verfolgt werden würde.

 

Zur behaupteten Gruppenverfolgung wird auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

II.2.2.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der dem BF nicht drohenden Gewalt auf Grund seines mehrjährigen Aufenthalts im Westen:

 

Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Davon waren 32.260 zwangsweise und

31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan. Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan Schon anhand dieser beträchtlichen Anzahl von Rückkehrern kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF allein auf Grund seiner Rückkehr aus Europa eine Gefahr drohen würde. Der BF ist bis zu seinem 15. Lebensjahr in Afghanistan aufgewachsen, hat dort sieben Jahre lang die Schule besucht und als Straßenverkäufer gearbeitet. Er spricht eine der beiden Landessprachen Dari und ist mit den kulturellen und örtlichen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut.

 

Afghanen, die längere Zeit in Europa verbracht haben, mögen Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Reintegration in die afghanische Gesellschaft haben, dies ist jedoch nicht mit einer asylrelevanten Verfolgung gleichzusetzen. Daraus, dass - wie in dem in der Stellungnahme zitierten Länderbericht ausgeführt wird - Rückkehrer dem Stigma des Versagens sowie der Gefahr der angenommenen Verwestlichung und teilweise unterstellten Apostasie im Zuge des Aufenthalts in Europa ausgesetzt seien, lässt sich noch keine konkrete, persönliche Verfolgung des BF ableiten.

 

Überdies ist auf Grund der Kürze seines Aufenthalts in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des erkennenden Richters nicht davon auszugehen, dass der BF eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Der BF wurde in der mündlichen Verhandlung gebeten, seinen Alltag in Afghanistan und in Österreich zu beschreiben. In Kabul arbeitete der BF als Verkäufer. Sein Tagesablauf in Österreich gestaltet sich derart, dass er nach dem Aufstehen zu einem Deutschkurs geht, danach ins Fitnesscenter geht oder Fußball spielt (VHS S. 13). Er würde gerne bei einem " XXXX " arbeiten, hat aber keine Arbeitserlaubnis erhalten (VHS S. 13).

 

Folglich vermochte der BF schon mangels Vorliegens einer "westlichen Lebenseinstellung" nicht darzutun, dass ihm aufgrund einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt drohte.

 

Zur behaupteten Gruppenverfolgung wird auf die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

II.2.2.4. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der verlassenen Kinder bzw. Minderjährigen ist Folgendes auszuführen:

 

Der BF ist seit XXXX volljährig weshalb er jedenfalls nicht mehr unter die Gruppe der Kinder bzw. Minderjährigen zu subsumieren ist. Eine aktuelle und konkrete Bedrohung oder Verfolgung des BF lässt sich daraus nicht ableiten.

 

II.2.2.5. Zu den Feststellungen zur Situation des BF in Österreich:

 

Die Feststellungen zur unrechtmäßigen Einreise in Österreich und dem Antragstellungszeitpunkt stützt sich auf die Aussagen des BF bei seiner Erstbefragung (AS. 1 ff.).

 

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Österreich, insbesondere seinen integrativen Aktivitäten, stützen sich auf seine Angaben dazu in der mündlichen Verhandlung und den von ihm im Lauf des Verfahrens vorgelegten Unterlagen (Beilagen ./13 bis 17).

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung und in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./1).

 

II.2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Fall der Rückkehr nach Afghanistan:

 

Die Feststellungen zur Rückkehr des BF in seinen Herkunftsort in der Provinz Ghazni bzw. in die Stadt Kabul, gründen sich auf die o.a. Länderberichte zu Ghazni und Kabul.

 

Das Gericht verkennt nicht, dass UNHCR der Auffassung ist, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative idR nicht zumutbar ist (englische Version, S. 114; deutsche Version, S. 129). In Bezug auf den BF handelt es sich bei der Stadt Kabul jedoch nicht um eine interne Schutzalternative, sondern um die Rückkehr in seinen Herkunftsort, wo sich der BF in seine gewohnten sozialen Netzwerke wiedereingliedern kann (vgl. Ausführungen unter Punkt II.3.3.2.)

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des BF in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den o. a. Länderberichten spezifisch zur Lage in der Provinz Balkh und der Stadt Mazar-e Sharif bzw. zur Provinz Herat und der Stadt Herat.

 

Zwar kommt es in einigen Gebieten der Provinz Balkh zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Insgesamt ist die Provinz Balkh aber eine der relativen stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans (Feststellungen im LIB zu Balkh). Auch aus den aktuellen Kurzinformationen im LIB ergeben sich keine Hinweise auf eine grundsätzliche Gefährdung aller in der Provinz Balkh und Stadt Mazar-e Sharif ansässigen Personen. Das Gericht geht auf Basis der in den Feststellungen zitierten Länderinformationen davon aus, dass die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif stabil ist, so dass dem BF bei einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kein reales Risiko eines Eingriffes in seine körperliche Integrität droht.

 

Die Provinz Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen abgelegenen Distrikten der Provinz, wie Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol, aktiv (Feststellungen im LIB zu Herat). In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Stadt Herat ebenfalls als eines der Gebiete aufgezählt, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Herat nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

 

Die Grundversorgung ist in Afghanistan generell - und so auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat - grundlegend gesichert ist. Zwar ist die Situation, insbesondere in Herat, wegen der Zahl der Binnenvertriebenen und der Dürre im Jahr 2018 angespannt. Der aktuellen Quellenlage ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung (mit Nahrungsmittel und Trinkwasser) in Mazar-e Sharif oder Herat generell nicht mehr gewährleistet oder das Gesundheitsversorgungssystem zusammengebrochen wäre.

 

Dass die Wohnraum-, Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif angespannt ist, ergibt sich aus den Länderberichten, wonach in großen Städten zwar an sich Wohnraum zur Verfügung steht, es jedoch eine erhebliche Anzahl an Rückkehrern gibt. Aus den in den Feststellungen zitierten Länderberichten, insbesondere aus dem EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018 geht aber hervor, dass es auf Grund der aktuellen Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt zwar schwierig, aber insbesondere im Bereich der Gelegenheitsarbeiten ohne besondere Vorkenntnisse möglich ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und auf diese Weise ein Einkommen auf dem dort üblichen Niveau zu erzielen.

 

Bezüglich der Unterkunft besteht für den BF in Herat oder Mazar-e Sharif ebenfalls die Möglichkeit, in einem Teehaus ("Tea House") zu wohnen, bis der BF eine dauerhafte Unterkunft gefunden hat. Diese Möglichkeit besteht nach dem EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, S. 31, in den großen Städten, somit auch in Mazar-e Sharif und Herat.

 

Nach den vorliegenden Länderberichten besteht Bedarf am Arbeitsmarkt überwiegend in Hinblick auf manuelle Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018). Es sind im Beweisverfahren keine Hinweise darauf hervorgekommen, dass der BF nicht in der Lage sein sollte, sich mit Hilfsarbeiten entsprechend den dortigen Anforderungen ein ausreichendes Einkommen zu sichern.Der BF hat in Afghanistan sieben Jahre lang die Schule besucht und danach als Straßenverkäufer gearbeitet. Er hat dadurch zu seinem Lebensunterhalt zumindest beigetragen. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig und arbeitsfähig. Die Feststellung zu den fehlenden Sorgepflichten des BF ergibt sich daraus, dass er ledig ist und keine Kinder hat.

 

Das Gericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der BF nach anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen könnte. Der BF erklärte in der mündlichen Verhandlung zur finanziellen Unterstützung durch seine Familie befragt, dass sie ihn nicht unterstützen würden (VHS S. 12). Dies ist aber vor dem Hintergrund der ausgeprägten Familienkultur bei afghanischen Staatsangehörigen generell (siehe dazu die Ausführungen im LIB in den Feststellungen) und auch konkret im Fall des BF nicht glaubwürdig. Seine Mutter und seine Geschwister leben im Iran, sein Onkel in der Türkei. Somit ist es nicht glaubwürdig, dass er durch seine Familienangehörigen im Iran und in der Türkei im Fall einer Rückkehr und Neuansiedelung in seinem Herkunftsstaat nicht - zumindest nach Kräften - anfänglich finanziell unterstützt werden würde. Darüber hinaus könnte der BF staatliche /NGO- Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und käme auch aus diesem Grund nicht in eine Notlage.

 

Der BF verwies in seiner Beschwerde auf Anschläge auf Hazara und ihre Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit. Hierzu wird auf die Ausführungen unter Punkt II.2.2.2 verwiesen. Allein der Umstand, dass es zu Diskriminierungen kommt und bei religiösen Feierlichkeiten bzw. auf schiitsche Moscheen ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet jedoch bei der derzeitigen Gefahrenlage für den BF noch keine stichhaltigen Gründe für eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit.

 

Der BF verwies in seiner Beschwerde auf die schwierige Situation von Rückkehrern. Das Beweisverfahren hat aber keine Hinweise auf eine besondere Vulnerabilität ergeben, die dazu führen könnten, dass dem BF unverhältnismäßige Schwierigkeiten bei der Rückkehr nach Afghanistan drohen würden. Aus den in den Feststellungen zitierten Ausführungen des aktuellen LIB geht hervor, dass es sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Unterstützung von Rückkehrern gibt, die der BF in Mazar-e-Sharif oder Herat in Anspruch nehmen könnte. Es ist somit nicht erkennbar, warum gerade der BF gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

 

Es ist weder den Angaben des BF noch den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen‑)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

 

II.2.4. Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF ergeben sich aus den jeweils darunter angeführten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrundeliegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Die Berichte, auf denen die Länderfeststellungen basieren, sind damit nicht als veraltet zu bewerten.

 

Der BF hatte im Verfahren vor dem Gericht Gelegenheit, zu den angeführten Berichten (Beilage ./1 bis ./12) Stellung zu nehmen. Der vertretene BF verzichtete in der mündlichen Verhandlung auf eine schriftliche Stellungnahme zu den wiedergegebenen Länderberichten und Erkenntnisquellen und trat diesen daher nicht entgegen.

 

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, wurde dem BF zur Stellungnahme ins Parteiengehör übermittelt.

 

Insoweit in dem vom BFV vorgelegten Fachbeitrag (Beilage ./17) auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018, zur spezifischen Bedrohungslage, die im Hazarajat für Hazara bestehe, Bezug genommen wird, ist festzuhalten, dass darin allgemeine Aussagen zu Sicherheitslage in Afghanistan und zur Situation von Rückkehrern getroffen werden, für jeden Fall aber eine einzelfallbezogene Auseinandersetzung zu erfolgen hat. Es handelt sich um eine - einzelne - Autorin, die eine subjektive Quellenauswahl und -interpretation vorgenommen hat. Weiters beruhen die Schlussfolgerungen der Autorin teils auf subjektiven Wahrnehmungen, anhand derer sie verallgemeinernde Aussagen trifft (wie z.B. zu Unterstützungsleistungen oder dass alleine aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan die Gefahr eines ernsthaften Schadens hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit bestünde). Die im Gutachten herangezogenen Quellen beziehen sich auch teils auf ältere Berichte, als jene im LIB, Gesamtaktualisierung 13.11.2019. Insgesamt weist das Gutachten für das erkennende Gericht nicht denselben Beweiswert auf, wie länderkundliche Informationen (LIB, UNHCR-Richtlinien, EASO-Berichte oder Landinfo-Berichte), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage in Herkunftsstaat durchliefen. Zu den in dem Gutachten vorgenommenen rechtlichen Bewertungen wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

 

II.3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Zu A)

 

II.3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - Nichtzuerkennung von Asyl:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.09.1998, 98/01/0224).

 

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.

 

Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

 

Die Gefahr der Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist.

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der VwGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

 

Eine auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden kann. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich entscheidend auch darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (vgl. VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059).

 

Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.06.2005, 2002/01/0414).

 

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die von einem Beschuldigten bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (VwGH 26.01.1996, 95/02/0289). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz 3.2. mwN).

 

II.3.3. Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich für den Fall des BF Folgendes:

 

II.3.3.1. Zur Bedrohung aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan:

 

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, war das Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insgesamt nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

II.3.3.2. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und als schiitischer Muslim:

 

Der BF konnte - wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt - eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung mit asylrechtlich relevanter Intensität in Bezug auf seine Eigenschaft als Hazara und Schiit nicht glaubhaft machen.

 

In Ermangelung von dem BF individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt vor dem Hintergrund des getätigten Fluchtvorbringens im Lichte der Rechtsprechung des VwGH zu prüfen, ob der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Nach der Judikatur des VwGH ist für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet, jedoch ist für das BVwG aus folgenden Gründen nicht ersichtlich, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt zu sein:

 

Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zu entnehmen, dass Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt sind. Im Allgemeinen hat sich deren Situation seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert, dennoch bestehen gesellschaftliche Spannungen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf. Es kommt zweifelsohne zu Diskriminierung und Schikanen, wie sich aus den Berichten ergibt, auch gibt es gezielte Anschläge auf diese Personengruppe. Eine generelle Verfolgung von Schiiten und/oder Hazara in Afghanistan ist aber angesichts ihrer Repräsentation in Armee, Sicherheitsbehörden und Politik nicht zu bejahen.

 

In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht die Gefährdung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan bzw. in der Herkunftsprovinz des BF nach Ansicht des BVwG nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung dieser Volksgruppe in Afghanistan für gegeben zu erachten.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwies in seiner Judikatur auf die schlechte Situation für Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan, verneinte jedoch eine automatisch vorliegende Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr allein auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

 

II.3.3.3. Zu den Feststellungen hinsichtlich der dem BF nicht drohenden Gewalt auf Grund seines mehrjährigen Aufenthalts im Westen:

 

Es ist dem BF weder in der mündlichen Verhandlung noch in seinem schriftlichen Vorbringen gelungen, eine "westliche" Lebenseinstellung, die ihn in Afghanistan asylrelevant exponieren würde, auch glaubhaft zu machen (siehe Punkt II.2.2.3).

 

Im Übrigen ist ihm entgegen zu halten, dass aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar ist, dass eine "westliche" Geisteshaltung bei Männern alleine bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (so etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch der VwGH verneint in seiner Judikatur eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

 

Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" kann auf Basis der Quellenlage nicht erkannt werden.

 

Aus den oben angeführten Länderberichten kann zwar abgeleitet werden, dass Afghanen, die längere Zeit in Europa verbracht haben, möglicherweise Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Reintegration in die afghanische Gesellschaft haben sowie Diskriminierungen erfahren. Es mag auch Einzelfälle geben, in denen Rückkehrer von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein und der Spionage verdächtigt werden. Diese Diskriminierungen und Angriffe erreichen jedoch nach Ansicht des BVwG nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um von einer spezifischen Verfolgung aller Rückkehrer aus Europa ausgehen zu können.

 

II.3.3.4. Zur vorgebrachten Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der verlassenen Kinder bzw. Minderjährigen:

 

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, war das Vorbringen des BF zu Verfolgung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der verlassenen Kinder bzw. Minderjährigen nicht geeignet, eine mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aus asylrelevanten Gründen darzutun, weshalb es dem BF insoweit nicht gelungen ist, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

II.3.3.5. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich konkret für den BF kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur des VwGH nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798, sowie VwGH vom 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.

 

II.3.4. Insgesamt ist es daher dem BF nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 aus den aufgezeigten Gründen abzuweisen.

 

II.3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides - Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes:

 

II.3.3.1. Rechtliche Grundlagen zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz

 

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre. Das BVwG hat somit zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006). Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09; s. dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Auch in seinen jüngeren Erkenntnissen hat der VwGH zur spezifischen Situation von Afghanistan erneut auf seine Vorjudikatur und die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Ebenso sprach der VwGH aus, dass nicht verkannt werde, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt sei. Davon ist aber das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK zu unterscheiden, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2017/19/0229 mwN).

 

Eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum- oder Arbeitsplatzsuche, reicht nach der Judikatur des VwGH explizit nicht aus, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (vgl. zB VwGH 29.5.2018, Ra 2018/20/0146, mwN).

 

Auch der VfGH hat sich mit den erforderlichen Feststellungen iZm der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul unter dem Aspekt der Willkür auseinandergesetzt (vgl. VfGH 12.12.2017, E2068/2017) und ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sicher, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden könne.

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013; U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012; 13.09.2013, U370/2012).

 

Der VwGH verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Asylwerber konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül somit insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Zumutsbarkeitskriterium), d. h. es muss eine Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort erfolgen. Für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, hat der VwGH ausgesprochen, dass es, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können nicht ausreiche, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er keine Folter oder unmenschliche Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

II.3.3.2. Zur Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz im Fall des BF

 

Gemäß den getroffenen Feststellungen zur Herkunftsprovinz des BF (Ghazni) gehört diese zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. So standen beispielsweise Ende 2018, einem Bericht zufolge, acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans, weshalb dem BF eine Rückkehr in seinen Heimatort im Entscheidungszeitpunkt nicht zugemutet werden kann.Auch die Stadt Kabul ist im Fall des BF grundsätzlich als sein Herkunftsort anzusehen, da er bereits im Alter von fünf Jahren mit Familie dorthin übersiedelt ist und bis zu seiner Ausreise dort gelebt hat. Was die Sicherheitslage in der Stadt Kabul betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen zwar nicht verkannt, dass die Situation nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktszentren hat. Darüber hinaus ist Kabul eine durch den vorhandenen internationalen Flughafen sicher erreichbare Stadt.

 

Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass "high-profile" Angriffe regierungsfeindlicher, bewaffneter Gruppierungen in Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Das Gericht verkennt nicht, dass der UNHCR in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 festgestellt hat, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Die Aussage in den Länderberichten (so auch in der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018), wonach in der Provinz Kabul, speziell in der Stadt Kabul die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet wird, bezieht sich auf die absolute Opferzahl - diese ist jedoch nicht isoliert zu sehen, sondern wird der gegenständlichen Bewertung in Relation zur ungefähren Einwohnerzahl der Stadt Kabul von ca. 5 Millionen (manche Quellen sprechen von bis zu sechs Millionen) betrachtet. Insofern ergibt die Opferzahl keine überdurchschnittliche Bedrohungslage für in der Stadt Kabul lebende Zivilisten. Die in der Stadt Kabul und in größeren Städten verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGO¿s und finden gezielt auf (internationale) Sicherheitskräfte, Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen - in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren - statt, dies aus Gründen der Propaganda und der hohen medialen Aufmerksamkeit. Wenn es dabei auch zu zivilen Opfern kommt, so sind in erster Linie Regierungsinstitutionen und internationale Einrichtungen Anschlagsziele. Aus den Festhaltungen in der UNHCR-Richtlinien ergibt sich auch nicht, dass eben diese Zivilisten, die ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, primär Ziele der Anschläge sind. Die genannten Gefährdungsquellen sind hingegen in reinen Wohngebieten bzw. abseits der genannten "high-profile" Ziele nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen. Somit ist - auch nicht bei Heranziehung der vom BF zur Sicherheitslage in der Stadt Kabul vorgelegten Informationen - nicht der Schluss zu ziehen, dass das Ausmaß der Gewalt bereits ein Niveau erreicht hat, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der BF tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Kabul Opfer eines Gewaltaktes werden würde.

 

Dem BF steht jedoch vor dem Hintergrund der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan und der angeführten Länderberichte in Zusammenschau mit den festgestellten persönlichen Lebensumständen des BF auch eine Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) den Städten Mazar-e-Scharif oder Herat rif zur Verfügung.

 

Die folgende Prüfung einer IFA für den BF erfolgt anhand der kursiv wiedergegebenen Prüfkriterien des Leitfadens zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan der UNHCR-Österreich vom November 2018 (im Folgenden "UNHCR IFA Leitfaden"), soweit diese Kriterien für den BF relevant sind. Der UNHCR IFA Leitfaden fasst die Kriterien der UNHCR RL 2018 für die Analyse, ob in einem Fall an einem bestimmten Ort eine IFA vorliegt zusammen. Inhaltlich erfolgt die Prüfung der IFA anhand der in den Feststellungen zitierten Länderinformationen:

 

 

Als IFA kommen nach Ansicht des BVwG die Städte Mazar-e-Sharif und Herat in Betracht.

 

 

Mazar-e-Sharif und Herat stehen nach den vorliegenden Länderinformationen nicht unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen Kräften. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, in der Region Fuß zu fassen.

 

 

Mazar-e Sharif: Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

 

In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Provinz Balkh, und insbesondere die Stadt Mazar-e Sharif, als eine jener Gebiete definiert, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

 

Herat: Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen abgelegenen Distrikten der Provinz, wie Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol, aktiv (LIB).

 

In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Stadt Herat ebenfalls als eines der Gebiete aufgezählt, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Herat nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.

 

 

Mazar-e Sharif: Wie dargestellt, ist die Sicherheitslage in der Provinz Balkh und konkret in Mazar-e-Sharif derzeit als stabil und ruhig zu bezeichnen. Auf Basis der vorliegenden Staateninformationen ist nicht davon auszugehen, dass dem BF in Mazar-e-Sharif eine Verfolgung (eine solche konnte unter Punkt II.3.2. nicht festgestellt werden) oder ein anderer schwerer Schaden droht.

 

Dabei wird nicht verkannt, dass nach vorliegenden Länderinformationen Terroranschläge insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, auch in Mazar-e-Sharif nicht auszuschließen sind. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in Mazar-e-Sharif verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Mazar-e-Sharif nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

 

Herat: Wie festgestellt, wird Herat als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz aktiv. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Die Stadt Herat ist derzeit als ruhig und stabil zu bezeichnen. Auf Basis der vorliegenden Länderinformationen, insbesondere im Hinblick auf die EASO Leitlinien 2019 ist nicht davon auszugehen, dass dem BF in Herat eine neue Verfolgung oder ein anderer schwerer Schaden droht. Die Stadt Herat wird in den EASO Leitlinien 2019 als einer der Städte bzw. Provinzen angeführt, in denen willkürliche auf so niedrigem Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein echtes Risiko für eine Zivilperson besteht (EASO Leitlinien 2019, S. 29).

 

 

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist. Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Leitlinien 2019, S. 130), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher.

 

Herat hat einen Flughafen, der 10 km von der Stadt entfernt ist und von Kabul aus auf diesem Weg sicher zu erreichen ist.

 

 

Wie festgestellt wurde, ist der BF ledig, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Zudem spricht der BF eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau. Er hat sieben sechs Jahre lang in Kabul die Schule besucht. Anschließend hat er als Straßenverkäufer gearbeitet. Er ist in Afghanistan geboren und hat bis zu seiner Ausreise dort gelebt. Daher ist er mit den sozialen Normen und Gepflogenheiten des Landes vertraut.

 

Der BF ist, wie bereits ausgeführt wurde arbeitsfähig, weshalb eine Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzlich vorausgesetzt werden kann. Auf Grund dieser Erfahrungen ist vor dem Hintergrund der sonstigen Umstände des BF (Gesundheit, Arbeitsfähigkeit) davon auszugehen, dass er sich bei einer Neuansiedelung in Mazar-e-Sharif in gleicher Weise wie andere Rückkehrer in der gleichen Situation zurechtfinden wird. Insbesondere ist auch nicht hervorgekommen, dass sich der BF bei Neuansiedlung in Mazar-e Sharif häufig an den oben angegebenen - mit höherer Wahrscheinlichkeit von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente betroffenen - Orten aufhalten wird.

 

Wird der BF im IFA-Gebiet auf Dauer in Sicherheit leben können?

 

Auf Grund der anhaltenden Stabilität in der Region Balkh und der dargestellten grundsätzlich ruhigen Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif, sowie auch in der Stadt Herat, ist davon auszugehen, dass der BF in Mazar-e-Sharif oder Herat trotz der Schwankungen der allgemeinen Sicherheitslage auf Grund des bewaffneten Konflikts auch auf Dauer sicher wird leben können. Insbesondere sind beim BF keine individuellen Umstände hervorgekommen, die gegen diese Einschätzung sprechen.

 

 

Es ergeben sich aus den Länderberichten keine Hinweise darauf, dass die für den BF persönlich wichtigen, grundlegenden Menschenrechte in Mazar-e-Sharif oder Herat nicht geachtet werden.

 

 

Da der BF arbeitsfähig ist, spricht nichts dagegen, dass der BF in Mazar-e-Sharif oder Herat durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten auch entsprechend seiner Vorerfahrung seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Nach den vorliegenden Länderberichten besteht Bedarf am Arbeitsmarkt überwiegend in Hinblick auf manuelle Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018).

 

Insgesamt ist festzuhalten, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer auch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat schwierig sind. Der Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ist jedoch gegeben. Die Arbeitslosigkeit ist zwar hoch, jedoch wäre nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass ganz generell nicht die Grundlage bzw. (Lebens‑) Bedingungen an sich für die - in weiterer Folge, wie nachstehend auch erwogen, dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig - Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines - auch der übrigen dortigen Bevölkerung entsprechenden - angemessenen Lebensstandards vorhanden wären (s. dazu auch EASO Leitlinien 2019, S. 34, Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31).

 

Es wird dabei nicht verkannt, dass die Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie die wirtschaftlichen Lebensumstände bei einer Neuansiedelung für den BF schwierig sein können. Dies ist aber für sich betrachtet nicht ausreichend, um eine IFA in einem bestimmten Gebiet zu verneinen (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0411).

 

 

Mazar-e Sharif: Die Wohnsituation in der Stadt Mazar-e-Sharif ist angespannt. Es stehen nach den Länderinformationen aber ausreichende (wenn auch einfache) Unterkünfte zur Verfügung. Insbesondere kann - wie dies Landinfo im EASO-Bericht Netzwerke Januar 2018 aufzeigte - anstelle einer ganzen Wohnung ein einzelnes (und damit gegenüber einem ganzen Apartment deutlich günstigeres) Zimmer gemietet werden, z. B. vorübergehend in einem "Teehaus" ("tea house"). Es ist zu berücksichtigen, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine einzelne Person eine ganze Wohnung für sich mieten müsste. So könnte auch eine Wohnung von mehreren Personen/Rückkehren, jedenfalls für eine Übergangszeit, geteilt werden, was die Mietkosten (erheblich) senken würde.

 

Herat: Da Stämme in Herat weniger Rolle spielen, ist es für MigrantInnen leichter, sich dort niederzulassen. Aufgrund der Dürre im Herbst 2018 zogen zusätzlich 60.000 Personen aus dem Umland in die Stadt Herat. Zudem besteht für den BF auch in Herat die Möglichkeit vorübergehend in einem "Teehaus" ("tea house") zu wohnen (EASO Leitlinien 2019, S. 132-133).

 

 

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in diesen Städten dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Die grundsätzliche Versorgung mit Gütern wird nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen - s. dazu auch die Hinweise der UNHCR RL 2018 S. 111 - auch nicht durch eine auch die Provinzen Balkh und Herat betreffende Trockenperiode (Dürre) beeinträchtigt. Dies ist auch der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018 zu entnehmen. In dieser wird zwar festgehalten, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im Umland von Mazar-e Sharif kommt, allerdings - ansonsten kann im Hinblick auf eine Großstadt von entsprechenden Berichten bzw. Hinweisen ausgegangen werden - nicht in der Stadt selbst.

 

Aufgrund der Dürre fiel die Getreideernte in Afghanistan im Jahr 2018 deutlich geringer aus als in den vorangegangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

 

Und auch die Löhne für Gelegenheitsarbeit lagen in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

Die Nahrungsmittelversorgung ist aufgrund der Dürre im Jahr 2018 in der Stadt Herat schwieriger als in Mazar-e Sharif. Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-1.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft", jedoch trotz der angespannten Lage grundsätzlich sichergestellt.

 

 

Der BF kann sich - möglicherweise nach Anfangsschwierigkeiten - durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten eine Lebensgrundlage schaffen. Es kamen im Verfahren keine Umstände hervor, die darauf schließen lassen, dass der BF nicht in der Lage wäre, für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen, wie dies auch andere in Mazar-e Sharif oder Herat ansässige Personen tun können.

 

Der BF kann nach den vorliegenden Länderinformationen sowohl staatliche als auch NGO-Hilfe für Rückkehrer nach Afghanistan in Anspruch nehmen und damit die Grundlage für sein weiteres Leben in Mazar-e Sharif oder Herat schaffen.

 

 

Die Eltern und zwei Geschwister leben im Iran. Der BF steht mit ihnen nach wie vor in Kontakt. Es ist angesichts der ausgeprägten Familienkultur in afghanischen Gesellschaften davon auszugehen, dass seine Familienangehörigen den BF im Fall einer Neuansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat anfangs - zumindest nach Kräften - finanziell, in Form von Geldtransfers, unterstützen würden. Eine räumliche Trennung steht dem nicht entgegen. Davon abgesehen kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mazar-e Sharif oder Herat das Auslangen finden.

 

Im Ergebnis wird mit dem Hinweis auf die schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche und in wirtschaftlicher Hinsicht keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und damit keine Verletzung von Art 3 EMRK dargetan. Das Faktum, dass der BF nicht über hinlängliche Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Mazar-e-Sharif und Herat verfügt, reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus (vgl. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017-7; VwGH 26.07.2017, Ra 2017(01/0016). Zu einem Verweis auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 in der Stellungnahme des BF vom 11.04.2019 ist ergänzend anzumerken, dass der VwGH wiederholt ausgesprochen hat, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative eine Rechtsfrage darstellt (vgl. Punkt II.2.5.).

 

Somit steht dem BF nach Ansicht des BVwG eine IFA in Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung, auf die er entsprechend den Anforderungen der UNHCR RL 2018 sowie den Kriterien der EASO Leitlinien 2019 in zumutbarer Weise verwiesen werden kann.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF eine Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat möglich und auch zumutbar ist.

 

Die Rückverbringung des BF nach Afghanistan steht daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb dem BF nach den genannten Bestimmungen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen ist.

 

Die reale Gefahr, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, kann somit nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, sind ebenfalls nicht erkennbar, weswegen die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ebenfalls abzuweisen war.

 

II.3.4. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides - Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG:

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen.

 

II.3.5. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides - Zur Rückkehrentscheidung:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

II.3.5.1. Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist....

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre."

 

II.3.5.1.1. Zum Familienleben

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

 

Der BF hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet.

 

II.3.5.1.2. Zum Privatleben

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der VwGH geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der VwGH bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Der VfGH misst in ständiger Rechtsprechung auch dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Der BF stellte am 26.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sein bisheriger Aufenthalt im Bundesgebiet war ihm bis jetzt nur durch diesen Antrag auf internationalen Schutz möglich und es musste ihm bekannt sein, dass die damit verbundene sogenannte vorübergehende Aufenthaltsberechtigung lediglich ein Aufenthaltsrecht nur für die Dauer des Asylverfahrens darstellt. Es war demnach vorhersehbar, dass es im Falle einer negativen Entscheidung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich der BF nicht darauf verlassen konnte, sein Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, sich also zum Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen.

 

Der BF lebt derzeit von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und somit nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Der BF besucht derzeit einen Deutschkurs im Niveau B1, Teil 2 und hat die Prüfung zum Niveau A2 erfolgreich abgelegt. Er absolvierte Veranstaltungen der XXXX (Österreichischer Freiwilligenpass der XXXX , Beilage ./13) sowie der " XXXX " (Beilage ./14). Weiters besucht er das Abendgymnasium ( XXXX ) und hat die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden. Er hat an Orientierungskursen und Basisbildungsveranstaltungen teilgenommen und bei der Vorbereitung des XXXX mitgewirkt (Urkundenvorlage vom 07.10.2019). Im Jahr 2017 unterzog sich der BF einer Ohrenoperation, die erfolgreich durchgeführt werden konnte (AS 365 ff). Er nahm an Sommerkursen und Werteorientierungskursen (AS 383 ff) sowie an Kursen des Lernzentrums XXXX teil und besuchte das Sprachcafe (AS 395). Auch an Kursen und freiwilligen Hilfstätigkeiten des Unabhängigen Landesfreiwilligenzentrums (ULF) nahm der BF teil (AS 397).

 

Er hat auch soziale Kontakte zu seinen Betreuern geknüpft, geht ins Fitnesscenter und spielt in seiner Freizeit gerne Fußball.

 

Auch ein Vergleich seiner Lebensumstände im Herkunftsstaat zeigt keine unzumutbaren Härten auf. Bei dem BF handelt es sich um einen volljährigen jungen Mann, welcher an keinen sein Alltagsleben oder seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Erkrankungen leidet. Der BF ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen. Er spricht Dari, hat sieben Jahre lang die Schule besucht und danach seinen Lebensunterhalt durch Straßenverkäufe verdient. Vor dem Hintergrund seiner individuellen Umstände sind keine Gründe erkennbar, welche einer Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat und eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts entgegenstehen würden, zumal er sich vor seiner Ausreise aus Afghanistan selbstständig versorgen konnte.

 

Darüber hinaus ist der Zeitraum des Aufenthalts des BF mit ca. vier Jahren im Sinne der Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen als relativ kurz zu werten.

 

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

II.3.5.1.3. Zur Interessenabwägung

 

Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des BF am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

II.3.5.2. Zum Aufenthaltstitel plus gemäß § 55 Abs 1 AsylG

 

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

Obigen Erwägungen zufolge sind daher auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor. Da der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Der BF hat weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen, noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

 

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. als unbegründet abzuweisen

 

II.3.6. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides - Zulässigkeit der Abschiebung:

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG auf Grund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneint (siehe Punkt II.3.3.2.).

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des BVwG verneint (siehe Punkt. II.3.2.1.).

 

Die Abschiebung ist nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Die Abschiebung des BF nach Afghanistan ist daher zulässig. Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt V. als unbegründet abzuweisen.

 

II.3.7. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides - Ausreisefrist:

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

 

Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

 

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt VI. als unbegründet abzuweisen

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2017, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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