BVwG L521 2170811-1

BVwGL521 2170811-119.2.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L521.2170811.1.00

 

Spruch:

L521 2170811-1/22E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXXalias XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch GCP Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017, Zl. 1089759205-151483207, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24.07.2018 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 04.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, den im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXXinXXXX geboren und habe dort zuletzt auch gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem und ledig.

 

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 15.09.2015 legal von XXXX ausgehend im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Istanbul sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und in der Folge zunächst mit der Fähre auf das Festland gefahren und anschließend mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln nach Österreich verbracht worden. Zuletzt habe er nach dem Passieren der österreichischen Grenze ein Taxi genommen und sei dermaßen nach Wien gelangt.

 

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Irak von Milizen bedroht worden sei.

 

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 12.07.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

 

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, einvernahmefähig zu sein und die arabische Sprache zu verstehen.

 

Zur Person und seinen Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, er sei Atheist und bekenne sich nicht mehr zum Islam, sei ledig und habe keine Kinder. Im Irak habe er zwölf Jahre die Schule besucht und neun Jahre als Elektriker gearbeitet. Sein Vater sei im Jahr 1987 im Krieg gegen den Iran gefallen, seine Mutter und seine drei Brüder sowie die Schwester würden derzeit in XXXX leben. Er verfügte überhaupt über zahlreiche Verwandte im Irak und stehe mit seiner Familie in Kontakt.

 

Den Irak habe er verlassen, da er für "ausländische Firmen" gearbeitet habe und deshalb öfters bedroht worden sei. In seiner Post habe er einige Drohbriefe gefunden, ferner sei die Arbeitsstätte mit Raketen angegriffen worden. Am 10.09.2015 sei er nach der Arbeit gemeinsam mit Arbeitskollegen auf dem Nachhauseweg bedroht worden. Am selben Tag wären zwei Arbeitskollegen ermordet worden. In der Folge habe er am 12.09.2015 eine schriftliche Drohung erhalten. Seine Mutter habe ihm dies mitgeteilt, da er am Arbeitsplatz gewesen sei, ferner habe er erfahren, dass Kämpfer der Miliz von dem Haus der Familie auf ihn warten würden. Diese Kämpfer hätten anschließend die Türe des Hauses aufgebrochen und seine Mutter geschlagen. Er selbst sei nicht mehr nach Hause gegangen, sondern habe sich zu seinem Onkel begeben. Am 23.09.2019 habe er dann den Irak im Luftweg verlassen und sei in der Folge nach Österreich gelangt.

 

Nach der Ausreise sei seine Mutter noch zwei weitere Male von Milizen aufgesucht worden, die nach ihm gesucht hätten. Er könne zwei Drohbriefe in Vorlage bringen.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt gewesen sei oder eine solche zukünftig zu befürchten habe. Die vorgebrachte Bedrohung durch schiitische Milizen aufgrund einer Tätigkeit für ausländische Unternehmen werde als nicht glaubhaft erachtet. Der Beschwerdeführer verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak und sei ihm eine Rückkehr zumutbar und möglich.

 

In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, der Beschwerdeführer habe sich widersprüchlich geäußert und sein Vorbringen im Verlauf der Einvernahme gesteigert. Nicht plausibel sei, dass der Beschwerdeführer öfters von Milizen angehalten und schriftlich bedroht worden sei, ohne dass es zu gravierenden Vorkommnissen gekommen sei. Die vorgebrachte atheistische Einstellung werde ebenfalls nicht geglaubt.

 

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

 

4. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

 

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 28.08.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der gewillkürten rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

 

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten bzw. einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zuzuerkennen und die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

 

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe die in Vorlage gebrachten Beweismittel unzureichend gewürdigt und den Beschwerdeführer zu seinem Ausreisevorbringen unzureichend befragt. Dem Beschwerdeführer werde im Irak aufgrund seiner Erwerbstätigkeit für ein ausländisches Unternehmen eine politische Gesinnung unterstellt. Die Verfolgung erweise sich als aktuell, da die Tante des Beschwerdeführers in einer rezenten E-Mail bestätigen würde, dass die Miliz "Al Asab" im Juli 2017 zweimal in das Haus der Mutter des Beschwerdeführers eingedrungen sei und nach ihm gesucht habe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers finde auch Deckung in den Länderberichten, zumal Mitarbeiter ausländischer Unternehmen als gefährdete Personengruppe eingestuft würden.

 

6. Die Beschwerdevorlage langte am 15.07.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

 

7. Der Beschwerdeführer übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht mit Eingaben vom 04.01.2018 und vom 13.07.2018 Urkunden zu seiner Integration.

 

8. Am 24.07.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak erörtert, ferner wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, XXXX, als Zeugin einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte anlässlich der mündlichen Verhandlung länderkundliche Informationen zur Lage im Irak sowie Kursbestätigungen und Empfehlungsschreiben im Hinblick auf seine Integration in Österreich in Vorlage.

 

9. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 07.08.2018 eine Anfrage zur Lage von Mitarbeitern ausländischer Unternehmung im Südirak sowie zu den vom Beschwerdeführer getätigten Angaben über seine Beschäftigung und den vorgelegten Beweismitteln an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die bezughabende Anfragebeantwortung langte am 18.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

10. Der Beschwerdeführer übermittelte seinerseits am 20.08.2018 elektronisch und am 22.08.2018 postalisch im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung ein Konvolut an Beweismitteln zu seiner Integration im Bundesgebiet einerseits und zahlreiche länderkundliche Berichte zur Lage im Südirak sowie zur Lage von Atheisten andererseits und seinen Lebenslauf.

 

Am 12.09.2018 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung von ihm eingeholte Anfragebeantwortungen von ACCORD zur Lage im Südirak.

 

11. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.12.2019 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers seitens des Bundesverwaltungsgerichtes die in seiner Sache eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie aktuelle länderkundliche Berichte zur allgemeinen Lage im Irak zur Stellungnahme übermittelt. Eine diesbezügliche Stellungnahme langte am 18.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte dort zuletzt im Bezirk

 

XXXX (in der Verhandlungsschrift: XXXX) gemeinsam mit seiner Mutter in einer Haus im Eigentum der Familie. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

 

Der Beschwerdeführer stammt aus einer schiitischen Familie, bezeichnet sich selbst als religionslos und ist am 27.06.2017 im Bundesgebiet aus des islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten.

 

Der Beschwerdeführer besuchte in XXXX die Grundschule und die Mittelschule im Gesamtausmaß von zwölf Jahren und erlangte die Matura. Nach dem Schulbesuch trat der Beschwerdeführer in das Erwerbsleben ein und arbeitete als Elektriker bis zur Ausreise. Zuletzt war der Beschwerdeführer etwa bei der irakischen Niederlassung des türkischen Unternehmens Pals Construction Trading and Manufacturing Ltd. Co. erwerbstätig und führte für dieses Unternehmen seit dem Jahr 2012 Reparaturen und Installationstätigkeit bei den Anlagen der BP p.l.c. auf dem Ölfeld in Rumaila bei XXXX durch. Eigenen Angaben wurde er im Jahr 2012 von der BP p.l.c. als Dienstnehmer übernommen.

 

Der Vater des Beschwerdeführers fiel im irakisch-iranischen Krieg im Jahr 1987. Seine Mutter und seine Geschwister leben derzeit in XXXX. Die Mutter des Beschwerdeführers bezieht eine Witwenpension. Zwei Brüder des Beschwerdeführers sind als Taxi- bzw. Busfahrer erwerbstätig, ein dritter arbeitet bei der staatlichen irakischen Ölgesellschaft. Die Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt bei ihrer Familie, ebenfalls in XXXX. Der Beschwerdeführer steht mit seinen Angehörigen in Kontakt.

 

Am 23.09.2015 im Juli 2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal von XXXX ausgehend im Luftweg in die Türkei. In weiterer Folge gelangte er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und von dort aus mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln nach Österreich, wo er am 04.10.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen einer schiitischen Miliz oder eines ihrer Mitglieder aufgrund seiner Tätigkeit für die BP p.l.c. auf dem Ölfeld in Rumaila bei XXXX ausgesetzt war.

 

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer infolge einer tatsächlichen oder ihm unterstellten Abkehr vom Islam im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung unterliegen würde oder psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

 

Dem Beschwerdeführer steht im Falle einer Rückkehr in den Irak - sollte er eine Rückkehr nach XXXX nicht in Erwägung ziehen - auch eine zumutbare und taugliche innerstaatliche Aufenthaltsalternative in einem schiitischen Viertel in Bagdad oder einer schiitischen Großstadt im Südirak (wie etwa in Nadschaf, Nasiriya, Kut oder Amara) zur Verfügung. Er hat dort ebenfalls nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt zu rechnen und verfügt dort über eine gesicherte Existenzgrundlage.

 

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

 

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hervorragender Ausbildung in der Schule und mehrjähriger Berufserfahrung als Elektriker. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über ein abgelaufenes irakisches Reisedokument im Original sowie einen irakischen Personalausweis im Original.

 

1.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 04.10.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

 

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war zunächst im 13. Bezirk in Wien in einer Unterkunft für Asylwerber untergebracht. Seit dem 22.07.2017 lebt er in einer Unterkunft für Asylwerber in 1030 Wien. Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig und es wurde ihm auch keine bestimmte Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in verbindlicher Weise durch Abschluss eines (bedingten) Dienstvertrages zugesichert. Neben den Leistungen der Grundversorgung bezieht er finanzielle Zuwendungen seiner Mutter aus dem Irak. Dem Beschwerdeführer wurde eine Tätigkeit als Reinigungskraft in einem Pflegeheim "unter Vorbehalt eines positiven Asylbescheides" sowie als Transport- und Verkaufshilfe in einem Lebensmittelhandel in Aussicht gestellt.

 

Der Beschwerdeführer verrichtet in seiner vom Arbeiter-Samariter-Bund betriebenen Unterkunft Wien Remunerationstätigkeiten, indem er bei der Grundreinigung mitwirkt und dafür EUR 4,00 pro Stunde erhält. Seit dem 20.10.2017 (zumindest bis zum 26.06.2018) war er beim der Wohngemeinschaft Rotenhofgasse der Haus der Barmherzigkeit Integrationsteam GmbH als freiwilliger Helfer tätig und unterstützte zumindest zwei Mal in der Woche das dort tätige Betreuerteam im Gesamtausmaß von 10 Stunden.

 

Der Arbeiter-Samariter-Bund beschreibt den Beschwerdeführer in einem "Sozialbericht" vom 12.12.2018 als pünktlich und hilfsbereit. Er habe Integrationsangebote in Anspruch genommen und sich regelmäßig an Remunerationstätigkeiten beteiligt. Die Aufnahme in eine Höhere Technische Lehranstalt für Elektrotechnik sei ihm nicht bewilligt worden, da er Asylwerber sei.

 

Der Beschwerdeführer besuchte Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der deutschen Sprache bei der Volkshochschule Hietzing und nahm am Projekt Integrationsarbeit und Gesundheitsförderung im öffentlichen Raum teil. Im Rahmen dieses Projektes wurden Asylsuchenden Freizeitangebote wie Gartenarbeit, Musik- und Malkurse und Deutschunterricht angeboten. Der Beschwerdeführer nahm am Deutschkurs, dem Sprachen-Café, der Gartenwerkstatt und der Nähwerkstatt teil und wirkte bei Modeschauen und Events mit.

 

Vom 19.04.2017 bis zum 02.06.2017 absolvierte der Beschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Niveau A2. Der Leiter des Kurses attestiert dem Beschwerdeführer Lernbereitschaft, großes Interesse am Unterrichtsgeschehen und Engagement im Umgang mit anderen Teilnehmern. Vom 24.07.207 bis zum 16.10.2017 besuchte der Beschwerdeführer einen Deutschkurs auf dem Niveau B1. Die Leiterin dieses Kurses attestiert dem Beschwerdeführer Zuverlässigkeit, Interesse und Motivation. Vom 23.10.2017 bis zum 06.02.2018 absolvierte der Beschwerdeführer einen weiterführenden Deutschkurs auf dem Niveau B1. Die Leiterin dieses Kurses attestiert dem Beschwerdeführer Pflichtbewusstsein, Interesse und Motivation sowie Humor. In der Folge absolvierte der Beschwerdeführer weite Deutschkurse auf dem Niveau B1 vom 05.02.2018 bis zum 16.03.2018 und vom 30.04.2018 bis zum 14.06.2018. Die Leiterin dieses Kurses attestiert dem Beschwerdeführer Interesse und Motivation, Genauigkeit und Zuverlässigkeit.

 

Am 16.05.2018 absolvierte der Beschwerdeführer eine Prüfung über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau B1. Er verfügt über gute Sprachkenntnisse, die eine Verständigung im Alltag in deutscher Sprache zulassen und verbessert diese weiter, etwa durch den Besuch einer Deutsch-Lerngruppe auf dem Niveau B2 und eines Deutschkurses der Caritas der Erzdiözese Wien für Fortgeschrittene auf dem Niveau B2, der bis zum 29.01.2019 andauerte. Die Leiterin dieses Kurses attestiert dem Beschwerdeführer regelmäßige Kursteilnahme, Engagement und Erfolg und ein großes Potential.

 

Der Beschwerdeführer absolvierte einen zweistündigen Kurs "Hilfe im Notfall" am 26.01.2017, am 13.02.2017 eine Veranstaltung zum Thema "Bewegung, Gesundheit und gesunde Ernährung", er nahm an fünf Informationsmodulen der Veranstaltungsreihe Start Wien teil, absolvierte einen Werte- und Orientierungskurs am 19.02.2018 und fungierte beim Seminar "Sicherheit und Polizei am 02.07.2018 als Dolmetscher.

 

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.

 

Er unterhält eine Beziehung mit der österreichischen Staatsangehörigen XXXX, die er im zweiten Halbjahr 2016 beim Deutschunterricht kennenlernte und mit der er seit dem ersten Halbjahr 2017 eine Beziehung unterhält. Die Beziehung verschwieg er gegenüber dem belangten Bundesamt und brachte diese im Rechtmittelverfahren erst in der mündlichen Verhandlung vor. Der Beschwerdeführer strebt keine Eheschließung an, schließt eine solche aber auch nicht aus.

 

Der Beschwerdeführer lebt mit XXXX nicht im gemeinsamen Haushalt, da er bis zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in der Unterkunft für Asylweber leben möchte. Der Beschwerdeführer unternimmt mit seiner Freundin und deren Kindern Freizeitaktivitäten, verbringt mehrere Tage in der Woche in ihrer Wohnung und übernachtet auch fallweise dort. Eine Tochter der Freundin des Beschwerdeführers attestiert ihm einen ruhigen und respektvollen Umgang, Besonnenheit und Bestreben nach Integration und Weiterbildung.

 

1.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

 

1.6. Zu den Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quelle getroffen:

 

Die Liga der Rechtschaffenen (Asa'ib Ahl al-Haqq) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte in erster Linie die US-Truppen im Irak. Nach dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 fand die Miliz im Kampf gegen den Islamischen Staat eine neue Raison d'être. Unter den Milizen gilt die Asa'ib Ahl al- Haqq als besonders gewalttätig und teils kriminell motiviert. Qais al-Khaz'ali ist einer der prominentesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten und für seine Brutalität berüchtigt. Er und seine Organisation berufen sich Er und seine Organisation berufen sich zwar immer noch auf Muhammad Sadiq as-Sadr, den Begründer der Sadr-Bewegung, doch ist Khaz'alis Nationalismus einer starken Abhängigkeit von den iranischen Revolutionsgarden gewichen, ohne die er den bewaffneten Kampf gegen die USA nicht hätte führen können. Darum bekennt sich die Asa'ib Ahl al-Haqq neben Sadr auch zu Khomeini, Khamenei und der Herrschaft des Rechtsgelehrten. Die iranische Führung dankt es mit großzügiger Unterstützung.

 

Nach dem amerikanischen Abzug versuchte sich die Organisation als politische Kraft in Konkurrenz zur Sadr-Bewegung zu etablieren, gewann bei den Parlamentswahlen 2014 aber nur ein einziges Mandat und blieb eine Splittergruppe. Trotzdem wuchs ihre Miliz bis 2015 auf mindestens 3000 Mann an. Sie hat ihre politischen Aktivitäten ausgeweitet und eine Reihe von politischen Büros in Bagdad, Basra, Nadschaf, Hilla, al-Chalis und Tal Afar eröffnet habe. Darüber hinaus habe die Organisation politische Vertreter in die südlichen Provinzen Dhi Qar, al-Muthanna und Maysan gesandt, um Vertreter von Minderheiten und Stammesführer zu treffen. Trotz Berichten über religiös motivierte Verbrechen und Kriegsverbrechen wurde Asa'ib Ahl al-Haqq im November 2016 formell vom irakischen Parlament als Teil der Volksmobilisierungseinheiten anerkannt.

 

Das Institute for the Study of War (ISW), veröffentlicht im Dezember 2012 einen Bericht über das Wiedererstarken der Gruppe Asa'ib Ahl al-Haqq nach dem Abzug der US-Truppen 2003, sowohl als militärische, als auch als politische und religiöse Organisation. Laut dem Bericht habe die Miliz seit 2010 in Bagdad eine große politische Präsenz aufgebaut. Derzeit unterhalte die Organisation zwei politische Büros in der Hauptstadt, eines in Kadhimiya und eines in Rusafa. Asa'ib Ahl al-Haqq habe eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen organisiert, an denen die zentralen Führungspersönlichkeiten der Organisation sowie Vertreter der irakischen Regierung teilgenommen hätten. Die Miliz nutze die politischen Aktivitäten in Bagdad, um ihr neues öffentliches Erscheinungsbild einer nationalistischen, islamischen Widerstandsgruppe zu fördern. Darüber hinaus seien politische Delegationen zu Treffen mit Anführen von Stämmen und Minderheiten in die Provinzen Dhi Qar, Muthanna und Maysan entsandt worden. Die politische Expansion der Organisation in ganz Irak verdeutliche die Fähigkeit von Asa'ib Ahl al-Haqq, in Gebiete, in der die Sadr-Bewegung Rückhalt habe, vorzudringen.

 

In Hinblick auf den bewaffneten Arm der Organisation erwähnt der Bericht, dass Asa'ib Ahl al-Haqq während des Irakkriegs [gegen die USA] die Miliz in Bataillone eingeteilt habe, von denen jedes einer bestimmten Region zugeteilt worden sei, das Imam Askari-Bataillon in Samarra, das Musa al-Kazim-Battaillon in Bagdad, das Imam Ali-Bataillon in Nadschaf und das Abu Fadl Abbas-Bataillon in Maysan. Im Dezember 2011 habe sich Qais al-Khazali mit den mutmaßlichen Anführern der Kata'ib Hezbollah (KH), der am besten ausgebildeten und geheimsten der vom Iran unterstützen Milizen, getroffen. Trotz der Verschwiegenheit der Miliz würden die Verbindungen zwischen führenden Mitgliedern von Asa'ib Ahl al-Haqq und Kata'ib Hezbollah darauf hindeuten, dass die Organisation Asa'ib Ahl al-Haqq ihren bewaffneten Arm neu geordnet und ihre Macht als Schirmorganisation für schiitische Milizen im Irak gefestigt habe.

 

Das britische Innenministerium (UK Home Office) gibt in seinem Bericht zu Herkunftsländerinformationen und Handlungsempfehlungen für britische Asylentscheider vom August 2016 Informationen von Jane-s, einem in den USA ansässigen Unternehmen, das unter anderem Analysen zum Thema Sicherheit erstellt, wieder, dass Asa'ib Ahl al-Haqq an einer Reihe von Angriffen auf die US-Truppen bis zu deren Abzug 2011 beteiligt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe Asa'ib Ahl al-Haqq ihre Absicht bekannt gegeben, dem politischen Prozess beizutreten. Die Miliz unterhalte mehrere politische Büros im Land, sei aber auch bewaffnet und werde verdächtigt, an mehreren Angriffen mit selbstgebauten Spreng- und Brandvorrichtungen und gezielten Tötungen von Sunniten beteiligt zu sein. Militärische Ausbildung erfolge durch die libanesische Hisbollah und die iranische Quds-Einheit, was Asa'ib Ahl al-Haqq zu einer de facto-Stellvertretermiliz des Iran im Irak mache. Kämpfer der Asa'ib Ahl al-Haqq hätten die irakische Armee in der Provinz al-Anbar beim Kampf gegen den Islamischen Staat unterstützt.

 

Das an der Stanford University angesiedelte Mapping Militants Project, das die Herausbildung militanter Organisationen und deren Zusammenspiel in Konfliktzonen beobachtet und visuell darstellt, schreibt in einem zuletzt im Jänner 2017 aktualisierten Überblick zur Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq, dass es 2013 Berichte gegeben habe, laut denen die Regierung unter Premierminister al-Maliki statt der irakischen Polizei Kämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq in der Provinz al-Anbar und als Bereitschaftspolizei in Bagdad eingesetzt habe.

 

Al Araby Al Jadeed, ein 2014 in London gegründetes Medienunternehmen, berichtet in einem Artikel vom Juni 2014 über die Situation in Bagdad, wo Bewaffnete in Zivilkleidung zusammen mit dem Militär das Straßenbild bestimmen würden. Die Regierung habe eine Ausgangssperre verhängt und gleichzeitig die Präsenz der Sicherheitskräfte erhöht. Dabei greife sie auf Milizen zurück, um die eigene mangelnde Truppenstärke zu kompensieren. Das Straßenbild gleiche einer Kaserne. Freiwillige Milizkämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq würden in den Gegenden, die sie beschützen würden, Kontrollen durchführen. Insbesondere in der Nähe sunnitischer Wohngebiete habe Asa'ib Ahl al-Haqq "falsche Checkpoints" eingerichtet und eine Waffenparade in der Palästina-Straße abgehalten.

 

CEDOCA, die Herkunftsländerinformationsstelle des belgischen Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose (CGRA) schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage in der Provinz Diyala vom Juli 2015, dass Berichten zufolge Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq Angriffe auf die Dörfer Bulour, Matar, Aruba, Hurriya, Sudur und Harouniya im Distrikt Muqdadiya durchgeführt hätten, wo ungefähr tausend sunnitische Familien leben würden. Die Miliz habe im Winter bis zu 50 Häuser niedergebrannt und weitere Wohnhäuser mit Mörsern und Raketen beschossen habe. Die lokale Bevölkerung habe berichtet, dass Kämpfer der Asa'ib Ahl al-Haqq zusammen mit freiwilligen schiitischen Milizkämpfern und irakischen Antiterror-Einheiten begonnen hätten, im Juni 2014 die Einwohner von Dörfern nahe Muqdadiya zu schikanieren. Im Oktober 2014 hätten die geflohenen Dorfbewohner gehört, dass die Milizen die Gegend verlassen hätten und seien daraufhin zurückgekehrt. Jedoch hätten sich kurz darauf die Milizen wieder gezeigt und damit begonnen, Personen zu entführen, in den Straßen um sich zu schießen und auf Wohnhäuser zu zielen. In einigen Fällen seien Personen hingerichtet worden. Human Rights Watch berichtet im Juli 2014, dass sie zwischen dem 1. Juni und dem 9. Juli 2014 die Tötung von 61 sunnitischen Männern, sowie im März und April die Tötung von mindestens 48 weiteren sunnitischen Männern in Dörfern und Kleinstädten um Bagdad dokumentiert habe. Laut Angaben von nicht näher genannten Zeugen, medizinischem Personal und Regierungsquellen seien in allen Fällen Milizen für die Tötungen verantwortlich gewesen. In vielen, jedoch von der Quelle nicht exakt quantifizierten Fällen hätten Zeugen Asa'ib Ahl al-Haqq als Täter identifiziert. Zeugen hätten außerdem bemerkt, dass Asa'ib Ahl al-Haqq illegale Festnahmen in vielen Gegenden der Provinzen Bagdad und Diyala vornehme.

 

Reuters berichtet in einem weiteren Artikel vom Jänner 2016, dass die in diesem Monat vorgefallenen Entführungen und Tötungen zahlreicher sunnitischer Zivilisten im Osten des Irak, sowie Angriffe auf deren Besitztümer durch vom Iran gestützte Milizen Menschenrechtsverletzungen darstellen könnten. Schiitische Milizkämpfer seien diesen Monat nach Muqdadiya entsandt worden, nachdem zwei Bombenexplosionen nahe einem Café, in dem sich oft Milizen aufgehalten hätten, 23 Menschen getötet hätten. Zu dem Anschlag habe sich der Islamische Staat bekannt und erklärt, dass Schiiten das Ziel gewesen seien. Mitglieder der Milizorganisationen Badr und Asa'ib Ahl al-Haqq hätten Vergeltungsangriffe durchgeführt.

 

Asa'ib Ahl al-Haqq wird außerdem beschuldigt, für ein Massaker in einem mutmaßlichen Bordell in Bagdad im Juli 2014 verantwortlich gewesen sei, bei dem 29 mutmaßliche Prostituierte erschossen wurden.

 

Die International Crisis Group (ICG) erwähnt in einer Fußnote zu einem Bericht über die konfessionell gespaltene, junge irakische Generation und deren Mobilisierung für Milizen, die Aussage eines Asa'ib Ahl al-Haqq-Mitglieds in Basra aus einem Interview im September 2015 zu den Zielen der Organisation. Das Mitglied erläutert, dass Asa'ib Ahl al-Haqq nicht bloß eine militärische Organisation sei. Sie habe das Ziel, einen Staat aufzubauen. Man plane, die staatlichen Institutionen zu reformieren und die Volksmobilisierungseinheiten in eine zivile Organisation umzuformen. Die Regierungsführung politischer Parteien sei in Basra und im gesamten Irak gescheitert. Asa'ib Ahl al-Haqq habe militärische Siege errungen und in Demonstrationen für Veränderungen eingetreten, nun sei die Organisation bereit, ein Teil der politischen Führung der Provinz und des gesamten Staates zu werden.

 

Human Rights Watch berichtet im November 2016, dass Mitglieder einer Miliz der von der Regierung gestützten Volksmobilisierungseinheiten in einem Dorf nahe der Stadt Mossul Hirten, darunter einen Jungen, festgenommen und geprügelt hätten, da man ihnen unterstellt habe, Verbindungen zum IS zu haben. Opfer und Zeugen hätten berichtet, dass es Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq gewesen seien, die zehn Hirten festgehalten und mindestens fünf von ihnen, darunter auch den Jungen verprügelt hätten. Die Hirten, die aus dem Dorf Aadaya geflohen seien, seien festgenommen und mehrere Stunden lang festgehalten worden. Die Milizkämpfer hätten sie schließlich freigelassen, aber 300 Schafe gestohlen.

 

Amnesty International schreibt in einem Bericht zur Verbreitung von Waffen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten und deren Menschenrechtsverletzungen vom Jänner 2017, dass es in der Provinz Diyala weiterhin verbreitet zu Vorfällen von Verschwindenlassen, Entführungen, Folter und Tötungen komme, die mit Straflosigkeit auf sunnitische Männer und Jungen abzielen würden. In Diyala würden die von der Regierung gestützten Milizen, darunter insbesondere die Badr-Organisation und Asa'ib Ahl al-Haqq, eine strenge Kontrolle ausüben, es gebe konfessionelle Spannungen und sunnitische Binnenvertriebene würden daran gehindert, in ihre angestammten Gebiete zurückzukehren. Der Bruder eines jungen Mannes, der im Jänner 2016 in Muqdadiya von Milizkämpfern entführt und tot auf der Straße aufgefunden worden sei, habe erwähnt, dass Asa'ib Ahl al-Haqq, die in Muqdadiya aktiv sei, alle Sunniten als Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Saddam Hussein ansehe, und viele Sunniten auf der Straße oder in ihren Häusern aufgegriffen und getötet worden seien. In den ersten Wochen dieser Vorfälle seien Milizen mit Lautsprechern herumgefahren und hätten Sunniten dazu aufgefordert, aus ihren Häusern zu kommen. Am 13. Jänner 2016 seien mehr als hundert Männer entführt worden, deren Verbleib seither unbekannt sei.

 

Das US-Außenministerium schreibt in seinem im März 2017 veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum: 2016), dass ethnisch motivierte Kämpfe in ethnisch gemischten Gebieten nach den Befreiungsoperationen eskaliert seien. Es bestünden viele Berichte darüber, dass schiitische Volksmobilisierungseinheiten Sunniten nach der Befreiung von Gebieten vom Islamischen Staat verhaftet hätten. Milizen, darunter die Asa'ib Ahl al-Haqq, hielten bis zu 3.000 Gefangene illegal fest. Unter den Gefangenen seien Sunniten gewesen sowie weitere Personen, die verdächtigt worden seien, mit dem Islamischen Staat zusammengearbeitet zu haben. Die Gefangenen seien in provisorischen Gefängnissen festgehalten worden, einige wegen Verbrechen, die man ihnen vorgeworfen habe, andere, um Lösegeld zu erhalten, die bei der Finanzierung der Aktivitäten der Milizen helfen sollten.

 

Laut Angaben des Sprechers der Volksmobilisierungseinheiten habe das Justizministerium einen Richter ernannt, der Ende des Jahres 2016 die 300 Fälle bearbeitet habe, die mit Verstößen von Milizen-Mitgliedern zu tun gehabt hätten, wobei es um mutmaßliche Misshandlungen von Gefangenen bis hin zu summarischen Hinrichtungen gegangen sei. Laut dem Sprecher habe es sich nur bei einem Viertel derer, die beschuldigt worden seien, um "echte" Mitglieder von Milizen gehandelt, bei den anderen habe es sich um Mitglieder von Freiwilligengruppen gehandelt.

 

Einem Medienbericht vom Mai 2017 zufolge wurde bei Auseinandersetzungen zwischen der nationalen Polizei und Mitgliedern der Asa'ib Ahl al-Haqq in der Palästina-Straße in Bagdad ein Polizist getötet. Die Ursache der Auseinandersetzungen sei nicht bekannt.

 

Sot al-Iraq, berichtet im Juli 2017, dass laut einer in der Provinz Suleimaniya in der Region Kurdistan ansässigen Organisation der Faili-Kurden Mitglieder ihrer Gemeinschaft in Bagdad schikaniert würden, seitdem der Termin für das Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans angekündigt worden sei. Laut Angaben eines Mitglieds der Organisation seien Faili-Kurden in Bagdad Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Asa'ib Ahl al-Haqq sei laut der Organisation für die Tötung von drei Faili-Kurden in der letzten Zeit verantwortlich, weitere seien direkt von der Miliz bedroht worden. Asa'ib Ahl al-Haqq habe auch kurdische Unternehmen in diesem Zusammenhang bedroht.

 

Quelle:

 

 

 

 

 

1.7. Zur Lage von Atheisten, säkular orientierten Personen und Personen, die sich vom Islam abgewandt haben, werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

 

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) gibt in einer Mitschrift eines Herkunftsländertreffens bezüglich Irak vom Juli 2017 die Aussage von Mark Lattimer, dem Leiter der Initiative Ceasefire Centre for Civilian Rights zum Thema Atheismus im Irak wieder. Laut Lattimer seien im Irak junge Menschen einer Reihe von Einflüssen ausgesetzt und es gebe auch eine Menge älterer Leute, die nicht religiös seien. Nur weil das Land immer stärker konfessionell geprägt sei, bedeute dies nicht notwendigerweise, dass alle Menschen religiöser würden. Es gebe eine starke kommunistische Strömung mit einer säkularen Einstellung im Irak, die immer noch stark in der irakischen Zivilgesellschaft verankert sei. Religion werde unterschiedlich stark praktiziert, dies heiße jedoch nicht, dass es leicht sei, sich als Atheist zu identifizieren, und nur selten geschehe so etwas öffentlich. Manchmal würden Personen angeben, sie seien Muslime, würden sich aber im Privaten als Atheisten definieren.

 

Die in den USA ansässige Online-Zeitung Al-Monitor berichtet in mehreren Artikeln über Atheismus im Irak. In einem älteren Artikel vom März 2013 wird die Auffassung vertreten, dass der Atheismus im Irak tiefgehende historische Wurzeln habe, seine Verbreitung in allen gesellschaftlichen Gruppen und Altersgruppen allerdings neu sei. Zusätzlich zum Atheismus gebe es Personen, die sich als Agnostiker bezeichnen würden, und solche, die gewisse religiöse Erscheinungsformen oder Überzeugungen kritisieren würden, ohne den allgemeinen Rahmen der Religiosität zu verlassen. Al-Monitor habe sich mit einer Reihe von nicht gläubigen Personen getroffen, um über ihre Forderungen zu erfahren. Unter anderem hätten sie die Notwendigkeit einer rechtlichen und sozialen Anerkennung ihrer Existenz, einer Richtigstellung des Bildes, das die Gesellschaft von ihnen habe, sowie einer Gewährleistung öffentlicher Freiheiten betont. Die vorherrschende gesellschaftliche Meinung sei, dass es sich bei ihnen um moralisch verdorbene Personen oder Agenten ausländischer Gruppen wie den Zionisten oder Freimaurern ("Masons") handle. Es sei notwendig, Atheisten, Agnostiker und Säkularisten vor religiösem Fundamentalismus zu schützen. Atheisten, Agnostiker und Säkularisten wären als Gruppe nicht anerkannt und es gebe keine irakischen oder internationalen Einrichtungen, die sie schützen oder verteidigen würden.

 

In einem Artikel vom 06.04.2014 wird ebenfalls dargelegt, dass der Atheismus im Irak tiefe historische Wurzeln bis ins 9. Jahrhundert habe. Neu sei jedoch die breite und umfassende Verbreitung durch alle Gesellschafts- und Altersklassen. Während es Atheismus ein "elitäres Phänomen" gewesen sei, das auf Intellektuelle und Gelehrte beschränkt war, sei es heutzutage ein allumfassendes Phänomen und nehme immer mehr zu. Der Artikel stellt fest, dass einer der möglichen Gründe dafür der religiöse Extremismus sein könnte, der in den letzten zwei Jahrzehnten im Irak präsent sei sowie die Auswirkungen von Religiosität auf das tägliche Leben sowie seinen autoritären Einfluss auf die Gesellschaft. Es gebe neben Atheisten auch jene Iraker, die sich als Agnostiker und nicht als vollwertige Atheisten bezeichnen. Darüber hinaus gebe es auch eine große Anzahl von Menschen, die bestimmte religiöse Manifestationen oder Glaubensvorstellungen kritisieren, jedoch den allgemeinen Rahmen der Religiosität nicht aufgeben. Viele von ihnen wären Absolventen religiöser Schulen. Al-Monitor stellt jedoch fest, dass das Phänomen (Atheismus und Agnostizismus) nicht auf junge Menschen beschränkt ist.

 

Im Jahr 2017 berichtet Al-Monitor in einem weiteren Artikel vom 22.06.2017, dass islamische Bewegungen im Irak in den letzten Wochen ihre gegen Atheismus gerichtete Rhetorik intensiviert hätten, Iraker über die Verbreitung des Phänomens gewarnt und von einer Notwendigkeit gesprochen hätten, Atheisten entgegenzutreten. Die islamischen Bewegungen und Parteien seien besorgt, dass die öffentliche Stimmung sich gegen sie richten und sich dies wiederum auf die Wahlen auswirken könne, die für Ende 2017/Anfang 2018 angesetzt seien. Ammar al-Hakim, der Führer des zumeist schiitischen Parteienbündnisses Irakische Nationalallianz, das die große Mehrheit im Parlament und in der Regierung stelle, habe gegen die Verbreitung des Atheismus gewarnt. Er rufe dazu auf, diesen fremden atheistischen Ideen mit gutem Denken zu konfrontieren und den Unterstützern solchen Gedankengutes mit einer "eisernen Faust" entgegenzutreten, indem man die Methoden offenlege, mit denen sie ihre Ideen propagieren würden. Hakims Aufruf richte sich gegen die irakische Verfassung, die Glaubensfreiheit und freie Meinungsäußerung garantiere sowie Anstiftung gegen Andere und Zwang, eine bestimmte Glaubensrichtung zu übernehmen oder abzulehnen, kriminalisiere. Während des Ramadan hätten religiöse Predigten in schiitischen Städten im Zentral- und Südirak die Verbreitung säkularer und atheistischer Ideen angegriffen, da diese als Bedrohung der irakischen Gesellschaft aufgefasst würden. Wer die fundamentalen Glaubensvorstellungen des Islam und / oder die Grundprinzipien von Religion im Allgemeinen in Frage stellen würde, würde von der Gesellschaft geächtet.

 

Al-Monitor berichtet weiter zum Phänomen Atheismus im Irak, dass ein bekannter Buchladen in Bagdad eine steigende Anzahl junger Leute verzeichnet habe, die Bücher über Atheismus kaufen würden. Selbst in der heiligen Stadt Najaf und innerhalb religiöser schiitischer Einrichtungen habe Al-Monitor mit mehreren religiösen Studenten gesprochen, die nicht nur damit begonnen hätten, die grundsätzlichen Bekenntnisse des Islam in Frage zu stellen, sondern sogar die grundsätzlichen Prinzipien von Religion im Allgemeinen. Diese Studenten würden unverzüglich von der Gesellschaft ausgeschlossen wenn sie ihre Auffassungen offen kundtun würden. Der Menschenrechtsaktivist, Autor und Satiriker Faisal al-Mutar habe al-Monitor gegenüber berichtet, dass Atheisten im Irak unter schwierigen Umständen leben würden, da die Regierung mehrheitlich aus islamischen Parteien bestehe und islamisch geprägte Milizen die Gesellschaft kontrollieren würden. Laut Faisal, der irakischen Atheisten auf sozialen Medien folgen würde, sei die Anzahl von Atheisten in verschiedenen Regionen des Irak steigend. Er habe vor kurzem die Organisation Ideas Beyond Borders gegründet, die irakische Atheisten verteidige und ihnen helfe, sich zu organisieren und ihre Rechte einzufordern. Viele (eine genaue Anzahl wird nicht genannt) Atheisten seien aufgrund von Schikanen und Drohungen gezwungen gewesen, aus dem Irak zu fliehen.

 

In einem Artikel vom 01.04.2018 berichtet Al-Monitor, dass Aussagen über die Dimension Atheismus im Irak sei aufgrund von Missverständnissen über das Konzept schwierig wären. Viele Kleriker, die den islamischen politischen Parteien nahestehen, setzen den Säkularismus mit dem Atheismus gleich. Andere Geistliche würden den Standpunkt einnehmen, dass liberale und kommunistische Ideen inhärent antireligiös sind und lehren würden, dass Gott nicht existiert. Nach dem gleichen Artikel haben gegen Atheismus gerichtet Aktivitäten starke politische Verbindungen zu islamischen Parteien, die den Irak seit 2003 regieren. Einer Gallup-Studie zufolge waren im Jahr 2012 88% der Iraker im Jahr 2012 religiös.

 

Senyar, eine Online-Zeitschrift für Kultur und Unterhaltung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, berichtet im März 2015 über die Mutanabbi-Straße in Bagdad, die als Kulturzentrum bekannt sei und in der man allerlei Bücher mit sensiblem Inhalt kaufen könne, darunter auch die Werke des britischen Atheisten Richard Dawkins oder "Die Satanischen Verse" des Schriftstellers Salman Rushdie. Der Artikel erwähnt, dass zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels die meisten strenggläubigen Strafverfolgungsbeamten, die normalerweise den Bücher- und Alkoholverkäufern hinterherjagen würden, an der Front gegen den Islamischen Staat kämpfen würden. Daher gebe es weniger Aufsicht von offizieller Seite. Wie es scheine, seien die Behörden stärker darauf bedacht, Bücher und Websites zu verbieten, die die konfessionellen Spaltungen anheizen würden, als Atheisten zu verfolgen.

 

Die Religion News Service (RNS) berichtet im Dezember 2013, dass es laut Abdul Sattar Jawad, einem Gastprofessor an der Duke University (USA) und Experten für Nahost-Studien, falsch, anzunehmen, dass es im Nahen Osten eine weit verbreitete Verfolgung nicht religiöser Menschen gebe. Obwohl es religiöse Führer gebe, die nicht gläubige Menschen hassen oder ablehnen würden, werde die meiste Gewalt von "Extremisten" verübt. Atheismus könne toleriert werden, wenn man sich nicht gegen die herrschenden Familien, Parteien, aufwiegelnden Geistlichen, Politiker und despotischen Herrscher und Regierungen stelle.

 

Die irakische Nachrichtenwebsite The Baghdad Post schreibt im Jänner 2017, dass laut Angaben von Experten die Anzahl junger irakischer Männer und Frauen, die sich dem Atheismus zuwenden würden, steige. Sie würden meist aus einem intellektuellen Milieu kommen und ihre radikalen Meinungen auf sozialen Medien verbreiten. Dort würden sie Gott, sowie den Propheten Mohammed und seine Familie angreifen. Das Phänomen des Atheismus habe soziale und intellektuelle Gründe, so The Baghdad Post weiters. Laut Experten habe sich der Atheismus ausgebreitet, da sunnitische und schiitische Politiker und Milizen die Religion missbraucht hätten, um mehr Anhänger zu gewinnen.

 

Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph schreibt im August 2017, dass sich in den letzten Jahren das Phänomen des Atheismus insbesondere unter jungen Leuten im Irak ausgebreitet habe. Dies sei auf die Korruption in der Regierung und die Verbreitung von Technologie in allen Bereichen des Lebens zurückzuführen. Andere würden das Phänomen hingegen nicht als einen "echten Atheismus", sondern viel mehr als eine Reaktion auf religiöse politische Parteien deuten. Der Autor des Artikels, der aus Bagdad berichtet, habe sich schließlich mit jemandem, der sich als Atheist bezeichne und weder an Gott noch die Propheten glaube, in einem Café getroffen. Weit entfernt von allen anderen Cafébesuchern habe der Atheist begonnen, von seiner Überzeugung zu erzählen und davon, wie er vor Jahren Zweifel an der Existenz Gottes bekommen habe und diese dann durch das Töten bestätigt worden sei, das gerade im Irak vorherrsche. Ein Bettler, der das Café betreten habe, habe laut zum Gebet aufgerufen. Der Atheist habe laut hörbar den Ruf mit der gebräuchlichen Antwort erwidert.

 

Über die Lage einzelner Atheisten geben nachstehende Berichte Aufschluss:

 

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Times veröffentlicht im August 2017 einen Artikel über die Lage von Atheisten in der arabischen Welt. Sie berichtet unter anderem über Lara Ahmed, eine Studentin an der Universität Babylon (Provinz Babil) die ein Kopftuch trage und sich wie eine Muslimin verhalte, jedoch Atheistin sei. Sie wage es nicht, ihre Ansichten mit Fremden zu teilen. Es sei auch schwierig, im Südirak kein Kopftuch zu tragen, und die wenigen Frauen, die sich kein Kopftuch anziehen würden, würden laufend schikaniert. Viele Atheisten in der arabischen Welt würden angeben, sich weniger davor zu fürchten, für ihre Ansichten bestraft zu werden, als von gewaltsamen konfessionellen Gruppen, die die politische Unterstützung der Gläubigen suchen würden, angegriffen zu werden. Osama Dakhel, ein 21-jähriger Student der bildenden Künste in Bagdad, berichtet wie seine atheistischen Freunde sich zunächst ausgiebig mit dem Islam befasst, dann die Werke islamischer Reformatoren gelesen und sich schließlich mit Atheisten online ausgetauscht und so zu ihrer atheistischen Weltanschauung gekommen seien.

 

Khaleej Online berichtet in einem Artikel vom November 2016 über den 26-jährigen Hussein al-Nujaifi, der, obwohl er aus einer muslimischen Familie stamme, nun der atheistischen Strömung angehöre. Hussein habe vor drei Jahren sein Studium beendet und arbeite nun in einem Büro in Bagdad. Laut ihm seien "die Gläubigen" für das Töten und die Zerstörung verantwortlich, die es seit 2003 im Land gebe. Hussein und viele andere Leute, so Al-Khaleej Online, seien davon überzeugt, dass der Irak von einer Gruppe Geistlicher kontrolliert werde, die das Töten Unschuldiger und die Zerstörung des Landes unterstützen würden. Für gebildete junge Leute stelle der Atheismus eine Art Zuflucht für ihre Ambitionen dar, da sie nach Frieden suchen würden und davon ausgehen würden, dass die Klasse von Politikern, die islamischen Gremien vorstehen und religiöse Predigten halten würden, diesen verloren hätten.

 

Ahmad al-Dschumaili, ein Maler, habe al-Khaleej Online gesagt, dass Atheismus für ihn die Rettung vor der "Brutalität der Extremisten" sei, jedoch sei es für eine Person nicht leicht, sich zu ihrem Atheismus zu bekennen, dies gelte insbesondere in den Gebieten, in denen Einheiten der Volksmobilisierung Kontrolle ausüben würden. Dort, so al-Dschumaili, würden solche Personen bestimmt getötet.

 

Dschamal al-Bahadli, ein Atheist der auf sozialen Medien offen über seine Auffassungen spreche, hat gegenüber Al-Monitor angegeben dass er Todesdrohungen von schiitischen Milizen in Bagdad erhalten habe, was ihn 2015 dazu veranlasst habe, nach Deutschland zu emigrieren.

 

Die schwedische non-profit Organisation und Medienplattform Your Middle East berichtet in einem Beitrag zum Thema Atheismus im Irak vom Februar 2014 über einen irakischen Aktivisten, dessen Mission es sei, seine Freunde und andere junge Menschen über Atheismus aufzuklären. Der Aktivist, der sich den Namen Omar al-Baghdadi gegeben habe, lebe in einem zumeist von Sunniten bewohnten Viertel in Bagdad. Seine Freunde und Eltern wüssten, dass er Atheist sei. In einer 2011 veröffentlichten Umfrage der nicht mehr existenten kurdischen Nachrichtenagentur AKnews seien irakische Bürger befragt worden, ob sie an Gott glauben würden. Vier Prozent hätten mit "wahrscheinlich nicht" und sieben Prozent mit "Nein" geantwortet. Laut Nawaf Al-Kaabi, einem Studenten aus Basra, könne die Zahl der Atheisten 2014 noch weit höher liegen. Junge Iraker seien des religiösen Extremismus und der Politiker überdrüssig, die für die konfessionellen Spaltungen im Land verantwortlich seien. Sie würden reisen, lesen, Fernsehen und Internet nutzen; durch die vielen verfügbaren Informationen seien sie daher zunehmend der Religion gegenüber skeptisch eingestellt. Al-Kaabi stimme jedoch auch zu, dass viele Atheisten im Irak, wenn sie offen über ihre Auffassungen sprechen würden, einer Gefahr durch Extremisten und Milizen, die in Verbindung mit religiösen Gruppen stehen würden, ausgesetzt sein könnten.

 

Zur Rechtslage wird berichtet, dass die Verfassung der Republik Irak besagt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und dass kein Gesetz, das dem widerspricht, erlassen werden kann. Die Verfassung sieht vor, dass "jeder Einzelne die Freiheit des Denkens, des Gewissens und des Glaubens" (Artikel 42) hat, und garantiert "die vollen religiösen Rechte aller Menschen auf Glaubensfreiheit und Religionsfreiheit wie Christen, Yeziden und Saba-Mandäer" (Artikel 2) und sieht vor, dass alle Iraker vor dem Gesetz gleich sind und nicht aufgrund der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert werden dürfen.

 

Atheismus ist im Irak nicht unter Strafe gestellt. Nach Artikel 372 des irakischen Strafgesetzbuches 1969 ist jedoch die Beleidigung einer Religion bzw. einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Praktiken, oder die öffentliche Beleidigung eines Symbols oder einer Person, die Gegenstand der Heiligung, des Gottesdienstes oder des Gottesdienstes ist, strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren oder einer Geldstrafe von bis zu 300 irakischen Dinar bestraft.

 

Einer Quelle zufolge kann der Straftatbestand der Religionsbeleidigung von Behörden in der Praxis auch gegen Atheisten eingesetzt werden. Als Beispiel dafür wie die Ausstellung von Haftbefehlen gegen vier Personen im Distrikt Garraf (Provinz Dhi Qar) angeführt. Den Personen werde vorgeworfen, "Seminare während geselliger Treffen abzuhalten, um die Idee von der Nichtexistenz Gottes zu verbreiten und den Atheismus zu verbreiten und zu popularisieren". Ein Richter habe erklärte, dass die örtliche Gerichtsverwaltung den Auftrag erteilt habe, das "Atheismusphänomen" zu unterdrücken. Weitere Berichte in Medien betreffen Ahmad Sherwan, der 16-jährigen Schüler aus Erbil, der im Jahr 2014 behauptete, er sei von der kurdischen Polizei gefoltert worden, weil er sich zum Atheisten erklärt habe. Er behauptete, er sei zu Hause verhaftet worden, nachdem sein Vater ihn als Atheist der Polizei gemeldet hatte. Laut seiner Aussage wurde er auf der Polizeiwache Azadi in Erbil und anschließend im Strafgefängnis Erbil gefoltert, wo er nach 13 Tagen gegen eine Sicherheitsleistung freigelassen wurde. Sherwan erklärte auch, dass er während seiner Haft von einem Sozialarbeiter und einem Richter beleidigt und bedroht wurde. Der Richter, der ihn schließlich gegen Kaution freiließ, nannte ihn angeblich einen "Ungläubigen". Die Polizei von Erbil erklärte, dass der Jugendliche festgenommen worden sei, bestritt jedoch, dass er gefoltert worden sei. Weitere Informationen zu einem späteren Gerichtsverfahren konnten nicht gefunden werden.

 

Zu allfälligen Einschränkungen für Atheisten beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt liegen keine Erkenntnisse vor.

 

Quellen:

 

 

 

1.8. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

 

1. Aktuelle Ereignisse

 

27.06.2018: Papst Franziskus kreierte Patriarch Mar Louis I Sako, Oberhaupt der Chaldäisch Katholischen Kirche, als Kardinal. Ägypten betonte, dass es sich weiter am Wiederaufbau und an der Stabilisierung des Irak beteiligen wird. Muqtada al-Sadr gab bekannt, dass er alle Operationen seiner Miliz Saraya al-Salam in Basra einstellen lassen wird, nachdem es Zwischenfälle mit den örtlichen Kräften gegeben hatte.

 

01.07.2018: Die nationale irakische Ölgesellschaft kündigte an, dass sie mit Zustimmung der OPEC eine schwimmende Ölspeicherplattform bauen wird um ihre Kapazität auf sechs Millionen Barrel zu erhöhen.

 

02.07.2018: Die Sicherheitssituation an der irakisch-syrischen Grenze entspannt sich wegen der Militäroperationen gegen die konzentrierten IS-Zellen in der Region.

 

02.0.7./04.07.2018: Die Bundespolizei verlegte einige ihrer Truppen in die Provinz Kirkuk um die Sicherheit zu gewährleisten, da sich IS-Kämpfer im Süden formierten. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), die PMUs und die Peshmerga starteten eine gemeinsame Offensive in der Region.

 

10.07.2018: Gemäß einer Aussage von Premier Abadi habe sich die Sicherheitssituation in Mosul seit dem erklärten Sieg über den IS im Dezember 2017 massiv verbessert.

 

13.07.2018: Laut den Aussagen von PMU-Patrouillen bleibt die Sicherheitssituation in der Region westlich von Bayji wegen der IS-Zellen angespannt.

 

16.07./17.07.2018: Der irakische Elektrizitätsminister kündigte an, dass Teheran keine Elektrizität mehr in den Irak exportieren wird. Daraufhin reiste der irakische Minister für Planung nach Jeddah um die Energiekrise mit einer saudischen Delegation zu besprechen.

 

23.07.2018: Kuwait bot dem Irak mit der Sendung von mobilen Generatoren Hilfe an um seine Energiekrise zu lösen.

 

14.08.2018: Die Türkei und der Irak einigten sich auf ein Abkommen um einen neuen Grenzübergang nahe dem Grenzübergang Fish-Khabour zu eröffnen. Jordanien unterzeichnete mit dem Irak ein Sicherheitsabkommen um die Straße zwischen Amman und Bagdad und um die Grenze zu öffnen.

 

16.08./21.08.2018: Durch das Wiederinkrafttreten der Iransanktionen ist der damals amtierende Premierminister Abadi bemüht das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran auszubalancieren. Dank einer intensiven wirtschaftlichen Kooperation reiste eine irakische Delegation nach Washington um Ausnahmen von den Sanktionen zu verhandeln.

 

19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.

 

20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.

 

20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.

 

25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.

 

03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.

 

04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.

 

07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.

 

2. Politische Lage

 

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

 

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

 

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

 

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

 

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

 

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).

 

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

 

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 12.02.2018). Die ethnische und religiöse Zusammensetzung der einzelnen Regionen des Irak ist aus der Grafik im Punkt Minderheiten ersichtlich.

 

2.1. Parteienlandschaft

 

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

 

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018). Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)

 

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

 

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

 

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

 

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Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al-Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

 

2.2. Protestbewegung

 

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

 

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

 

3. Sicherheitslage

 

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich verbessert, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv und ist die Sicherheitslage regional unterschiedlich (CRS 4.10.2018).

 

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates in allen Fällen sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten und zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA 12.02.2018).

 

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.02.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es weiterhin zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

 

Die im Folgenden dargestellte Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle und ziviler Opfer ist im Kontext der Bevölkerungsanzahl eines Gouvernements zu sehen. Im Folgenden findet sich eine Tabelle mit Schätzungen der Bevölkerungszahlen der irakischen Provinzen (herausgegeben von der Republik Irak, mit Stand 2009):

 

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(Quelle: Republik Irak, zitiert bei UK HO 3.2017)

 

3.1. Islamischer Staat (IS)

 

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 03.07.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 06.10.2018).

 

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 04.10.2018; vgl. ISW 02.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 04.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Rückzugsgebiete des IS, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und wo sich IS-Kämpfer tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 06.10.2018). Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

 

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 06.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.08.2018).

 

3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

 

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 06.02.2018).

 

So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 06.10.2018).

 

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt, im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak im dritten Quartal 2018, nach Provinzen aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 12.11.2018).

 

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(Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) zusammengestellt von ACCORD, 12.11.2018)

 

Laut Angaben von UNAMI, der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak, wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge. Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017. für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben. da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai. Juli. August und Dezember (UNAMI 3.1.2017).

 

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle. dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016

935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).

 

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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence, https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 31.10.2018)

 

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(IBC - Iraq Body Count (9.2018): Database - Documented civilian deaths from violence. https://www.iraqbodycount.org/database/ , Zugriff 31.10.2018)

 

Der sich im Jahr 2018 bereits in der ersten Jahreshälfte abzeichnende Trend einer sich stetig verbessernden Sicherheitslage setzte sich bis zuletzt fort, was aus den untenstehenden Grafiken ersichtlich ist.

 

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(MOI - Musings on Iraq (12.2018):

http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/12/large-drop-in-violence-in-iraq-november.html , Zugriff 04.12.2018)

 

Im November 2018 wurde die geringste Anzahl ziviler Opfer im Irak seit sechs Jahren verzeichnet (UNAMI 3.12.2018).

 

3.3. Sicherheitslage Bagdad

 

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen während des Bürgerkrieges von 2006-2007 aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen.

 

Die Sicherheit der Provinz obliegt dem "Baghdad Operations Command", das auf Kräfte aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zurückgreifen kann. Daneben werden auch schiitische Milizen eingesetzt, deren Bedeutung als steigend beschrieben wird (OFPRA 10.11.2017).

 

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch, als die Zurückeroberung Mosuls begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 stark ab auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad stetig zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivitäten, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Davon abgesehen sind sunnitische Bewohner weiterhin der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt. Die Bedrohung durch schiitische Milizen stieg ab dem Jahr 2013 an und erreichte im Jahr 2015 ihren Höhepunkt (OFPRA 10.11.2017).

 

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.04.2018).

 

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die jedoch bis in den Juni 2018 signifikant abnahm und auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

 

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad in absoluten Zahlen höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 06.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt und die Einwohnerzahl bedenkt, sind die Angriffe selten (Joel Wing 09.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

 

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(MOI - Musings on Iraq (9.2018):

http://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/violence-remained-steady-in-iraq-august.html , Zugriff 04.12.2018)

 

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

 

3.4. Sicherheitslage Süden

 

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

 

In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).

 

Den Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project zufolge wurden im zweiten Quartal 2018 im Gouvernement Basra 9 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, davon keine Vorfälle mit Todesopfern. Im dritten Quartal 2018 ereigneten sich in Basra 49 Vorfälle, davon 10 Vorfälle mit Todesopfern und insgesamt 24 Toten, dies bei einer Einwohnerzahl von mehr als 2,5 Millionen Menschen.

 

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018). Dies war auch im Juli und September 2018 der Fall, als Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei getötet wurden (Al Jazeera 16.7.2018; vgl. Joel Wing 5.9.2018, AI 7.9.2018).

 

4. Rechtsschutz / Justizwesen

 

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.02.2018).

 

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.02.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.04.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.02.2018).

 

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

 

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.02.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.02.2018).

 

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.04.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

 

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.04.2018).

 

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

 

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.04.2018).

 

5. Sicherheitskräfte und Milizen

 

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.04.2018).

 

5.1. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces) und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.04.2018).

 

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es keine gesetzliche Regelung der Befugnisse der Polizei, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung. Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.02.2018).

 

Es gibt Berichte über nicht näher quantifizierbare Fälle von Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.04.2018).

 

5.2. Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.:

popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.04.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.02.2018).

 

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.02.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.04.2018).

 

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.02.2018).

 

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

 

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

 

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

 

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

 

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

 

Überblick über die wichtigsten PMF:

 

 

 

Name *Gründung

Anführer und Gruppengröße

Verbindungen, Zusammenarbeit

Bekannte regionale Aktivität

1

Badr-Organisation () *1983/84

Hadi al-Amiri 20.000 - 50.000

Kata'ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata'ib Hizbullah (, Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) *2007

Abu Mahdi al-Muhandis ca. 30.000

Badr, Kata'ib Sayyid Shuhada, Kata'ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa'ib Ahl al-Haqq (, Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) *2006

Qaiz al-Khaz'ali mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam (, Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) *2014

Muqtada as-Sadr mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata'ib al-Imam Ali (, Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) *2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata'ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

6

Saraya Tali'a al-Khorasani (, Khorasan Brigade) *2013

Ali Yasiri mind. 3.000

unbekannt

Kommandozentrum in Qadir Kerem, aktiv in Kirkuk und Salah ad-Din

7

Kata'ib Sayyid ash-Shuhada (, Bataillone der Märtyrer Sayyids, Martyrs of Sayyid Batallions) *2013

Hajj Abu Ala

Badr, Kata'ib Hizbullah, Asa'ib Ahl al-Haqq

Unterstützungsbasis vor allem im Südirak, aktiv in Salah ad-Din

8

Harakat (Hizbullah) an-Nujaba (, Bewegung der Edlen) *2013

Eqrem al-Qaibi

Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah

aktiv in Babel, Samarra und um Bagdad

9

Liwa Abu al-Fadel al-Abbas (, Abu Fadel Abbas Brigade) *2012

10.000

unbekannt

Kommandozentrum in Kerbela; aktiv in Bagdad und Umgebung sowie Salah ad-Din

10

Hizbullah al-Mujahidun f-il Iraq (, Kämpfer der Partei Gottes im Irak) *2014

Abbas al-Muhammadawi

unbekannt

unbekannt

11

Faylaq al-Wa'ad as-Sadiq (, Legion des wahren Versprechens)

Mohammad Hamza at-Tamimi

unbekannt

unbekannt

12

Kata'ib al-Imam al-Hussein (, Bataillone des Imam Hussein) *2014

unbekannt

unbekannt

aktiv in Salah ad-Din

13

Kata'ib al-Imam al-Gha'ib (, Bataillone des abwesenden Imam)

unbekannt

Splittergruppe von Kata'ib Hizbullah

aktiv in Falluja und Samarra

14

Kata'ib Ansar al-Hijja (, Bataillone der Unterstützer von al-Hijja)

Mohammad al-Qinani

Kata'ib Martyr Sadr

aktiv in Salah ad-Din und Anbar

15

Kata'ib al-Ghadab (, Bataillone der Wut) *2014

Abu Fakkar ash-Shammari

unbekannt

aktiv in Bagdad, Tikrit und Samarra

16

Kata'ib Ruhallah (, Bataillone der Seele Allahs)

Abu Talib al-Mayahi

Kata'ib Ahrar al-Iraq

aktiv im Norden Bagdads und in Salah ad-Din

17

Kata'ib Ahrar al-Iraq (, Bataillone der freien Männer Iraks) *2014

Abbas al-Maliki

Kata'ib Ruhallah

unbekannt

18

Saraya Ansar al-Aqida (, Brigade der Unterstützer des Glaubensbekenntnisses) *2014

Jalal ad-Din Sagir

unbekannt

um Bagdad und Samarra, am aktivsten in Dhi Qar and Kerbela

19

Saraya al-Jihad (, Brigade des Heiligen Krieges) *2014

Hasan as-Sari

unbekannt

Kommandozentrum in Wasit

20

Liwa Youm al-Qaim (, Brigade des Tages des Auferstehenden)

unbekannt

Kata'ib al-Mawt al-Istishariyya

Bagdad

21

Liwa Dhu al-Fiqar (, Zulfiqar-Brigade) *2013

Abu Shahad al-Juburi

unbekannt

Schutz eines Heiligen Schreins in Syrien

22

Liwa Assadullah al-Ghalip (, Brigade der erobernden Löwen Gottes)

Suhail al-Araji

unbekannt

aktiv in Wasit und Bagdad

23

Liwa al-Muntadar (, Brigade der Erwarteten)

Daghir al-Musavi

Kata'ib Sayyid al-Shuhada

Kommandozentrum in Basra

24

Liwa al-Youm al-Mau'ud (, Brigade des versprochenen Tages) *2008

unbekannt

Saraya as-Salam

unbekannt

 

Weitere Milizen: Harakat al-Abdal, Hizbollah as-Sairun, Hizbullah al-Abrar, Kata'ib ad-Difa al-Muqaddas/Quwwa Shaheed al-Sadr, Kata'ib al-Fatah al-Mobin, Kata'ib al-Shaheed al-Awal, Kata'ib al-Shaheed al-Awal: Quw w-al-Buraq, Kata'ib at-Tayyar ar-Risali, Liwa al-Imam al-Hasan al-Mujtaba, Liwa al-Imam al-Qaim, Liwa al-Qa'im, Liwa al-Qaria, Saraya Ashura, Liwa Ammar ibn Yasir, Liwa ash-Shabab ar-Risali, Liwa as-Sadeqeyn, Saraya az-Zahra.

 

 

 

     

 

(Süß 21.8.2017)

 

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

 

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

 

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

 

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/2004 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, die hauptsächlichen Opfer sind zahlungsfähige Iraker (Posch 8.2017).

 

6. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung sind der irakischen Verfassung zufolge ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.02.2018).

 

Es gibt Berichte, dass die Polizei in nicht quantifizierbaren Fällen mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin bestehen Vorwürfe dahingehend, dass Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen misshandeln und foltern. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten verschiedene Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.04.2018).

 

7. Korruption

 

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch öffentlich Bedienstete vor, die Rechtslage wird jedoch nicht in allen Fällen wirksam angewendet. Im Laufe des Jahres 2017 gab es zahlreiche Berichte über staatliche Korruption. Auf allen Ebenen des Staates sind einzelne Amtsträger in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Erwägungen hinsichtlich Familienzugehörigkeit, Stammeszugehörigkeit und Religionszugehörigkeit beeinflussen Regierungsentscheidungen auf allen Ebenen maßgeblich. Bestechung, Geldwäsche, Vetternwirtschaft und Veruntreuung öffentlicher Gelder sind üblich. Medien und NGOs versuchen Korruption unabhängig aufzudecken, obwohl ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 20.04.2018).

 

Die im ganzen Land grassierende Korruption ist bei fast allen Reformvorhaben ein wesentliches Hindernis, ihre Bekämpfung wurde nach dem militärischen Sieg gegen den IS von Ministerpräsident Abadi als dringlichste politische Aufgabe ausgerufen. Positiv zu vermerken ist die (demokratische) Absetzung einiger besonders korrupter Gouverneure, insbesondere in Ninewa. Abzuwarten bleibt, ob eine konsequentere Strafverfolgung auch unabhängig von der jeweiligen Zugehörigkeit zu bestimmten politischen Lagern erfolgen wird (AA 12.02.2018).

 

Es kommt wiederholt zu Demonstrationen gegen Korruption, sowohl im Süden des Landes, als auch in Bagdad, sowie in den kurdischen Autonomiegebieten (Rudaw 19.12.2017; vgl. Rudaw 9.2.2018, Qantara 16.7.2018).

 

Auf dem Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International wird der Irak mit 18 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 21.2.2018).

 

8. Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

 

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die zuvor bestehende allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.02.2018; vgl. CIA 12.7.2018). Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere (Niqash 24.3.2016; vgl. Rudaw 15.12.2015).

 

9. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.02.2018).

 

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.04.2018).

 

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch noch im Jahr 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

 

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.04.2018).

 

10. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

10.1. Versammlungsfreiheit

 

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration "nach den Regeln des Gesetzes" vor (USDOS 20.04.2018). Einfachgesetzliche Bestimmungen zur Ausführung der Verfassung fehlen jedoch. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende "Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit" eingeschränkt, welches etwa die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht (AA 12.02.2018).

 

Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird in der Praxis zunehmend respektiert. obwohl es immer noch zu tödlicher Gewalt kommt (FH 1.2018). Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor. dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter. Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch jegliche Äußerungen, die gegen die Verfassung oder gegen die Gesetze verstoßen oder die zu Gewalt. Hass oder Mord ermutigen, ferner ist eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, von Religionen, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen untersagt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 20.04.2018).

 

Bei den Demonstrationen im Süd- und Zentralirak im Juli 2018 feuerten irakische Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf Demonstranten (AI 19.7.2018). Die größtenteils vom Innenministerium eingesetzten Kräfte verwendeten scheinbar unverhältnismäßige Gewalt, die in Basra zum Tod von drei Menschen führte (HRW 24.7.2018). Auch in Nadschaf, Simawa und Kerbala starben Menschen (CNN 17.7.2018). Auch im September kam es zu Gewalt und Todesopfern. als Sicherheitskräfte auf Demonstranten schossen (AI 7.9.2018). Berichten zufolge werden Demonstranten und Aktivisten von schiitischen Milizen willkürlich festgenommen. eingeschüchtert und bedroht (ToI 23.9.2018).

 

10.2. Vereinigungsfreiheit / Opposition

 

Die Verfassung garantiert. mit einigen Ausnahmen. das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen. die Unterstützung für die Ba'ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 20.04.2018). Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche. nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure. die abschrecken sollen. neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 12.02.2018).

 

11. Haftbedingungen

 

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 12.02.2018). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten bleiben die Bedingungen aufgrund von Überbelegung, Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung hart und lebensbedrohlich. In staatlichen Haftanstalten und Gefängnissen fehlt es zuweilen an ausreichender Nahrung und Wasser. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist uneinheitlich. Einige Haftanstalten verfügten über keine eigene Apotheke oder Krankenstation. Existierende Apotheken sind oft unterversorgt. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der mutmaßlichen IS-Mitglieder, die im Berichtszeitraum festgenommen wurden, noch verschärft wird. Es gibt keine Unterkünfte für Häftlinge mit Behinderungen. Häftlinge, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden vom Rest der Gefangenen isoliert und bleiben häufiger in Gewahrsam des Innen- bzw. Verteidigungsministeriums (USDOS 20.04.2018).

 

Es fehlt an Jugendstrafanstalten; laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 12.02.2018)

 

Die UN-Mission für den Irak (UNAMI) konnte ihr Mandat zum Besuch irakischer Haftanstalten nicht umfassend wahrnehmen. Die irakischen Behörden verweigerten in mehreren Fällen den Zugang zu Haftanstalten. Das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 12.02.2018).

 

12. Todesstrafe

 

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.02.2018; vgl. HRW 18.01.2018, AI 12.4.2018).

 

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben veröffentlicht werden. Laut Berichten von NGOs sind 1.816 Personen aktuell zum Tode verurteilt (AA 12.02.2018), gemäß einer anderen Quelle sind es sogar über 3.000 (AI 21.3.2018). Human Rights Watch berichtet von mindestens 78 Hinrichtungen von verurteilten IS-Mitgliedern im Jahr 2017. Es gibt seit kurzem Berichte über wöchentlich 3-4 Vollstreckungen der Todesstrafe, was die jährliche Zahl verdoppeln würde (AA 12.02.2018). Hintergrund könnte sein, dass aktuell insbesondere ehemalige IS-Kämpfer - oder Personen die dessen beschuldigt werden - massenhaft in unzulänglichen Prozessen zu Tode verurteilt werden (AA 12.02.2018; vgl. AI 21.3.2018).

 

Problematisch sind bereits seit Jahren die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art. Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.02.2018).

 

13. Religionsfreiheit

 

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.02.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (USDOS 29.5.2018; vgl. RoI 15.10.2005). In Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 29.5.2018).

 

Art. 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.02.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018). Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.02.2018). Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).

 

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).

 

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018).

 

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.02.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.02.2018).

 

Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnisch-konfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).

 

Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar-Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).

 

Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).

 

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).

 

Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik

 

Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. EASO 7.2017, EASO 11.4.2018, Landinfo 29.8.2018). Die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 29.5.2018).

 

Der Irak ist ein zutiefst religiöses Land, in dem Atheismus selten ist (PRI 17.1.2018; vgl. RDC 31.1.2018). Trotzdem berichten Universitätsstudenten landesweit, dass es noch nie so viele Atheisten im Irak gegeben habe wie heute (WZ 9.10.2018). Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität. Manchmal sagen sie, dass sie Muslime seien, insgeheim sind sie jedoch Atheisten (EASO 7.2017). Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahe stehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018). Einige Politiker führender konfessioneller Parteien verurteilten Säkularismus und Atheismus und reagierten damit offenbar auf einen Wandel in der öffentlichen Meinung nach dem IS-Konflikt, gegen religiösen Extremismus und den politischen Islam (FH 1.2018).

 

Berichten zufolge gibt es auch eine wachsende Bewegung von Agnostikern. Dazu kommen viele Menschen, die zwar bestimmte religiöse Erscheinungen oder Überzeugungen kritisieren, den generellen Rahmen der Religiösität jedoch nicht aufgeben (Al-Monitor 6.3.2014). Eine wachsende Gruppe junger Iraker spricht frei über Säkularismus, Atheismus und den Bedarf ihres Landes an nicht-konfessionellen Institutionen. Während ihr Einfluss begrenzt ist, spiegelt ihre Frustration über die konfessionelle Politik einen breiteren Trend im Land wider. Die Welle des "Facebook-Säkularismus" muss die irakische Politik jedoch erst erreichen (Defense One 5.7.2018).

 

14. Minderheiten

 

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.02.2018). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.02.2018).

 

Offiziell anerkannte Minderheiten. wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden. genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte. sind jedoch im täglichen Leben. insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan. oft benachteiligt (AA 12.02.2018).

 

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.02.2018). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

 

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.02.2018).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.02.2018).

 

In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.02.2018; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).

 

Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.04.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.02.2018).

 

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Religiöse/konfessionelle Verteilung im Irak (Anmerkungen zur Karte siehe unten)

 

(Quelle: BMI 2016)

 

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Ethnische und linguistische Verteilung im Irak (Quelle BMI 2016)

 

Anmerkungen zu den beiden Karten: Die irakische Bevölkerung ist sehr heterogen bezüglich der religiösen und konfessionellen Zugehörigkeit. Deshalb, sowie auf Grund von teilweise inkonsistenten Quellen zeigt diese Karte nur die ungefähre Verteilung, wo sich die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen/konfessionellen Gruppen befinden, bzw. bis zum Frühling 2014 befanden. Insbesondere in Städten kann die Verteilung der konfessionellen/religiösen Gruppen deutlich von der Verteilung in der ländlichen Umgebung abweichen. Durch den Vorstoß des IS seit dem Sommer 2014 kam es darüber hinaus zu drastischen Veränderungen in der ethnischen und konfessionellen Zusammensetzung/Verteilung der irakischen Bevölkerung (BMI 2016).

 

15. Bewegungsfreiheit

 

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit. Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.04.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas. nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

 

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern. ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften. die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken. Ausgangssperren zu verhängen. Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte. dass Sicherheitskräfte (ISF. Peshmerga. PMF) Bestimmungen. die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben. um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken. selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.04.2018).

 

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.04.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte. muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.02.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen. Genehmigungen einzuholen. die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger. die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen. benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger. die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten. auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.04.2018).

 

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.04.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

 

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

 

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.04.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.02.2018).

 

16. Grundversorgung und Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.02.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung. Bildung. Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsrate, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert im gesamten Land erheblich (K4D 18.05.2018).

 

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten. Die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.02.2018).

 

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel teilweise erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.02.2018).

 

Wirtschaftslage

 

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staates und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg und Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

 

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.02.2018).

 

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 02.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.04.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 02.10.2018).

 

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

 

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch, wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.04.2018).

 

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.02.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.06.2018).

 

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.

 

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

 

Stromversorgung

 

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.02.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.02.2018).

 

Wasserversorgung

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.02.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.07.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.08.2018).

 

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.08.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.02.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

 

Nahrungsversorgung

 

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.02.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

 

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

 

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.05.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.04.2018).

 

17. Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.02.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. Öffentliche Gesundheitsdienstleister bieten Behandlungen kostengünstiger sind als private. Die Preise von Medikamenten variieren je nach Diagnose des Patienten. In staatlichen Krankenhäusern oder Kliniken sind zumeist nur wenige Medikamente erhältlich, diese jedoch zu einem günstigen Preis, in privaten Krankenhäusern und Kliniken sind alle Medikamente zumeist erhältlich, jedoch zumeist mit höheren Kosten verbunden (IOM 13.6.2018).

 

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018). Der Patient sollte zunächst seine lokale Klinik aufsuchen, wo die Diagnose erstellt wird. Danach wird er/sie weiter zu einem Spezialisten überwiesen (IOM 13.06.2018).

 

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

 

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.02.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

 

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.02.2018).

 

18. Rückkehr

 

Eine freiwillige Rückkehr in den Irak aus dem österreichischen Bundesgebiet ist über Vermittlung entsprechender Rückkehrberatungseinrichtungen und nach erteilter Zustimmung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit Unterstützung von IOM möglich. IOM stellt im Gefolge der administrativen Abwicklung Flugtickets zur Verfügung und gewährt in Einzelfällen besonderer Hilfsbedürftigkeit auch finanzielle Überbrückungshilfe. Aktuell erfolgt eine solche Rückkehr in den Irak über die Flughäfen in Bagdad, Erbil, Basra und Najaf. Im Rahmen des Rückkehrprogramms AVRR (Assisted Voluntary Return and Reintegration) von IOM kehrten im Jahr 2015 insgesamt über 3.000 ehemalige Asylwerber aus 14 verschiedenen europäischen Ländern freiwillig in den Irak, nach Bagdad, Erbil, Suleimanyia und Basra, zurück. Dies stellt eine Zunahme von ca. 200% gegenüber dem Jahr 2014 dar. IOM unterstützt die Rückkehrer neben der Organisation der Reise selbst mit Reintegrationsmaßnahmen wie Mikrokrediten, provisorischen Unterkünften, Arbeitssuche und wichtigen Gütern des täglichen Lebens und arbeitet dabei mit dem irakischen Migrationsministerium und dem Migrationsbüro der kurdischen Autonomieregierung zusammen.

 

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.02.2018).

 

ERRIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERRIN ist eine Spezifische Maßnahme (Specific Action) im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service (R&DS) - Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet und zu 90% aus Europäischen Mitteln finanziert. Im Rahmen eines zentralen Ausschreibungsverfahrens werden Leistungsanbieter (Service Provider) zur Umsetzung von Reintegrationsprojekten in Drittstaaten ausgewählt. Im Anschluss werden mit ihnen, im Namen der partizipierenden Partnerorganisationen (Mitgliedsstaaten und assoziierende Saaten), Verträge geschlossen. Die Höhe und der Umfang der Reintegrationsleistung, also jene Leistung, die ein Rückkehrer oder eine Rückkehrerin erhält, wird von jeder Partnerorganisation selbst bestimmt (BMI 12.2018).

 

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.02.2018).

 

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

 

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.02.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

 

19. Dokumente und Staatsbürgerschaft

 

Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen. Sie können nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, diese Pässe auszustellen (AA 12.02.2018).

 

Der irakische Personalausweis (Civil Status ID bzw. CSID oder National Identity Card) heißt auf Arabisch Bitaqa shakhsiya bzw. Bitaqa hawwiya (UKHO 9.2018; vgl. IRBC 25.11.2013). Die CSID- Karte ist gesetzlich vorgeschrieben und wird jedem irakischen Staatsbürger, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Irak, gegen Vorlage einer Geburtsurkunde ausgestellt. Sie gilt als das wichtigste persönliche Dokument und wird für alle Kontakte mit Behörden, dem Gesundheits- und Sozialwesen, Schulen sowie für den Kauf und Verkauf von Wohnungen und Autos verwendet. Die CSID-Karte wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente wie z.B. Reisepässe benötigt (UKHO 9.2018).

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist im Irak gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.02.2018).

 

Laut Verfassung kann jede Person, die über zumindest einen irakischen Elternteil verfügt, irakischer Staatsbürger werden (USDOS 20.04.2018). Das irakische Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch widersprüchlich bezüglich der Möglichkeit der Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter. Einerseits bestehen Widersprüche zwischen der Verfassung und Teilen des Staatsbürgerschaftsgesetzes; außerdem ist das Staatsbürgerschaftsgesetz in sich selbst widersprüchlich. Wie auch die irakische Verfassung, besagt Artikel 3 des Nationalitätsgesetzes, dass sowohl Väter als auch Mütter die irakische Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weitergeben können. Laut Artikel 4 des Nationalitätsgesetzes ist dies jedoch im Falle der Mutter, wenn das Kind im Ausland geboren ist, nur unter bestimmten Umständen (Vater unbekannt oder staatenlos) möglich. In der Praxis ist den Quellen zufolge die Weitergabe der irakischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter an ihre im Ausland geboren Kinder, deren Väter nicht Iraker und auch nicht staatenlos oder unbekannt sind, nicht gewährleistet (BFA 8.8.2017).

 

1.9. Zur Lage in Basra und den dortigen Aktivitäten internationaler Unternehmungen in Zusammenhang mit der Förderung von Erdöl werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Im Jahr 2009 erlangte die BP p.l.c. zusammen mit PetroChina (CNPC) und in Kooperation mit der staatlichen irakischen South Oil Company (vor kurzem umbenannt in Basra Oil Company BOC), einen technischen Serviceauftrag mit Laufzeit bis in das Jahr 2034. Ziel der Kooperation ist es, das Rumaila-Ölfeld zu modernisieren und die Produktion zu steigern. Der Vertrag wurde von der Staatlichen Öl-Marketingorganisation ebenfalls unterzeichnet. Irak will mit Hilfe ausländischer Konzerne seine Rohölförderung auf 4 Mio. Barrel zu 159 Liter pro Tag steigern, um mit den Einnahmen den Aufbau nach dem Krieg voranzubringen. Da es nationaler Konsens im Irak ist, dass andere Länder oder Firmen das Öl des Irak nicht mehr kontrollieren sollen, werden befristete technische Serviceaufträge vergeben und die Preise vorab festgesetzt, die die staatliche irakische Ölgesellschaft je gefördertem Barrel bezahlt.

 

Heute arbeiten BP, PetroChina und BOC gemeinsam an der Entwicklung des Rumaila-Ölfeldes. 2010 wurde die Rumaila Operating Organisation (ROO) als Joint Venture zwischen diesen Unternehmen gegründet, mit dem Auftrag, das Feld zu betreiben und zu sanieren, mit BP als Hauptauftragnehmer. Die irakische Regierung erhält etwa 95% der Einnahmen des drittgrößten Ölfeldes der Welt, welches derzeit ein Drittel des irakischen Öls liefert. Die Einnahmen machen etwa fünfzig Prozent der irakischen Staatseinnahmen aus. Darüber hinaus unterstützte BP auch die North Oil Company bei der Modernisierung des Ölfeldes in Kirkuk.

 

Auf dem Rumaila-Ölfeld sind mehr als 7.000 Menschen (davon 93% Iraker) bei BOC, BP und PetroChina beschäftigt. Außerdem erbringen mehr als 22.000 Auftragnehmer (die meisten davon aus Basra) Dienstleistungen für die auf dem Rumaila-Ölfeld tätigen Unternehmungen.

 

Drohungen oder Gewalt gegen Personen, die mit ausländischen Firmen zu tun gehabt oder weiterhin zu tun hätten, von Seiten schiitischer Milizen waren ein relevantes Problem in der Zeit vor dem Abzug der Streitkräfte der Vereinigten Staaten im Dezember 2011 aus dem Irak, insbesondere während des besonders gewaltsamen Zeitraums von 2005 bis 2008. Bevor die US-Truppen den Irak verlassen hätten, seien Personen, die für die von den USA angeführte Koalition gearbeitet hätten, Opfer von Misshandlungen durch Milizen, geworden, die den Irak von den Besatzungstruppen hätten befreien wollen. Dies habe nicht nur Personen betroffen, die die Truppen direkt unterstützt hätten, sondern auch Personen, die im Zivilbereich zum Beispiel in der Ölindustrie gearbeitet hätten. Gegenwärtig sei die Lage allerdings eine andere. Die schiitischen Milizen seien gerade, trotz interner Auseinandersetzungen und Machtkämpfe, besonders darauf konzentriert, den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Eine Rückkehr ausländischer Truppen in den Irak könne möglicherweise diese schiitischen Milizen wieder dazu veranlassen, ausländische Kräfte und ihre örtlichen Partner zu bedrohen. Sowohl schiitische Milizen als auch die irakischen Behörden und das US-Militär hätten ein gemeinsames Ziel in der Bekämpfung des IS und die Beteiligung der USA sei speziell daran geknüpft. Irakische Soldaten, die eng mit ausländischen Truppen zusammengearbeitet hätten, seien derzeit unter den am meisten gefährdeten Personengruppen. Die Gefahr von Angriffen auf sie ginge aber vom Islamischen Staat aus, nicht von schiitischen Milizen aus.

 

ACCORD berichtet über verschiedene Vorfälle zwischen 2012 und April 2018. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Entführungen oder Angriffe auf Mitarbeiter von Ölkonzernen in West Qurna und Basra, aber auch über die Erschießung eines Angestellten im Ölsektor in Basra. Die Motive unterscheiden sich nach Zeitpunkt und Kontext. Die Angriffe im Jahr 2012 und davor betrafen hauptsächlich Personen, die für die von den USA geführten Koalition, für internationale Organisationen oder in der Ölindustrie gearbeitet hätten. Bei den Vorfällen zwischen Mai 2015 und April 2018 wurden hauptsächlich Schutzgelderpressungen, Stammeskämpfe und Auseinandersetzungen um Geld und Macht im Ölsektor zwischen den internationalen Ölkonzernen, örtlichen Stämmen und korrupten Beamten als Hauptmotiven genannt. Im Mai 2017 wurde ein Selbstmordanschlag auf einen Bus verübt, der dem Islamischen Staat zugeschrieben wird und der elf Tote forderte. An Einzelfällen in den Jahren 2015 und später werden die Entführung eines irakischen Bauunternehmers in der Nähe des Ölfeldes West Qurna 2 nach der bereits erwähnten (und auf Stammeskonflikte zurückzuführenden) Entführung von drei Ingenieuren genannt, ferner die Entführung von zwei Mitarbeitern der irakischen South Oil Company im Januar 2017 (diese wurden nach der Zahlung von USD 40.000 Lösegeld wieder freigelassen) und von einem Mitarbeiter der irakischen Basra Oil Company im September 2017. Im Hinblick auf Schutzgelderpressungen wird in einem Bericht vom April 2018 von einem Mord an einem "oil contractor". In Basra würden sich die Probleme bei den internationalen Konzernen um korrupten Beamten und habgierigen Stammesanführer drehen. Internationale Ölkonzerne hätten dunkle Geschäfte mit den örtlichen Stämmen und korrupten Bürokraten gemacht, um Zugang zu den Ölfeldern zu erhalten. Im Zuge dieser Geschäfte seien große Summen an Bestechungsgeldern geflossen. Drei lokale Stämme, Battat, Halaf und A'awaji, hätten eine Gesamtsumme von 105 Millionen Dollar an Kompensationen erhalten, um Ölkonzernen die Förderung auf ihrem Grund und Boden zu erlauben. Die anhaltende Gewalt gehe auf die in dieser Gegend operierenden Ölfirmen zurück. Im Jahr 2017 sei ein Kleinbus mit Angestellten eines Ölkonzerns vom Ölfeld West Qurna II nach Basra unterwegs gewesen, als er von bewaffneten Männern in einem Kleintransporter angegriffen worden sei. Die Männer hätten auf den Kleinbus geschossen, um die Fahrgäste zu erschrecken, es habe keine Toten oder Verwundeten gegeben. Man habe den Angriff als ein Ultimatum von einem der Stämme verstanden:

Entweder der Konzern zahle, oder die Mitarbeiter würden beim nächsten Mal nicht unverletzt davonkommen.

 

Seit dem Montag Juni 2018 gibt es in der Provinz Basra immer wieder Proteste, wobei auch Anlagen und Gebäuden der Ölindustrie gestürmt oder belagert wurden. Die Demonstranten fordern Arbeitsplätze und eine gesicherte Energie- und Wasserversorgung. Außerdem bemängeln sie, dass Basra aus dem Öl, das aus der Provinz exportiert wird, selbst kaum etwas profitiere.

 

Quellen:

 

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der im Gefolge seiner Einvernahme in Vorlage gebrachten Unterlagen sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei in der vor dem erkennenden Gericht am 24.07.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und die vom Bundesverwaltungsgericht und vom Beschwerdeführer in das Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortungen und Berichte (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 07.09.2018 zur Person des Beschwerdeführers, Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.09.2018 betreffend Schiitische Milizen - Mechanismen der Gebietskontrolle, Konkurrenz zur Polizei, Unterwanderung der Polizei, Einfluss auf die Ministerien, die Justiz und andere staatliche Institutionen; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.09.2018 betreffend Informationen zu den seit Sommer 2018 stattfindenden Protesten sowie die Rolle der Milizen und der übrigen Sicherheitskräfte bei den Protesten; Schutzgewährung des Staates bei Verfolgung durch Milizen; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.09.2018 betreffend Lage von JournalistInnen, insbesondere sunnitischen JournalistInnen, Drohungen gegen RadiomoderatorInnen/KarikaturistInnen von schiitischen Milizen; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.09.2018 betreffend Informationen zu den seit Sommer 2018 stattfindenden Protesten sowie die Rolle der Milizen und der übrigen Sicherheitskräfte bei den Protesten; Schutzgewährung des Staates bei Verfolgung durch Milizen; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 28.08.2018 betreffend Angriffe auf das Rumaila-Ölfeld und dortige Angestellte; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.08.2018 betreffend Links zu Struktur und Verbreitung schiitischer Milizen, insbesondere von Asa'ib Ahl al-Haqq und der Badr-Organisation; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.08.2018 betreffend Lage von MitarbeiterInnen internationaler Firmen; Bedrohung durch schiitische Milizen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq; Anfragebeantwortung von

ACCORD vom 29.03.2018 betreffend Autonome Region Kurdistan: Lage von

Rückkehrern aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem;

Schwierigkeiten für Rückkehrer aus Europa; Anfragebeantwortung von ACCORD vom 08.03.2018 betreffend Sicherheitslage in Basra;

Anfragebeantwortung von ACCORD vom 18.09.2017 betreffend Bagdad:

Berichte über Verfolgungshandlungen gegen AtheistInnen und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen;

Anfragebeantwortung von ACCORD vom 20.02.2017 betreffen Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq; Analyse von EASO vom 11.04.2018 betreffend Atheismus im Irak; Medienbericht vom 09.08.2018 über einen Überfall auf einen Öltransport, Medienbericht vom 18.07.2018 betreffend Proteste in Basra, Medienbericht vom 09.08.2018 betreffend Entführungen in Basra; Ausdruck eines Newsletters der Mesopotamischen Gesellschaft mit einem Artikel über Beschäftigung im öffentlichen Sektor im Irak und Proteste in verschiedenen Städten des Irak, Ausdruck des Blogs Musings on Iraq vom 08.08.2018; Bericht von Human Rights Watch vom 24.07.2018 über den Einsatz von Sicherheitskräften gegen Protestierende; Medienbericht vom 26.06.2017 betreffend Mangel an medizinischem Personal im Südirak, Medienbericht vom 15.07.2018 betreffend Interventionen zum Schutz der Ölgesellschaften im Irak, Medienbericht vom 27.07.2014 betreffend Aktivitäten der Al-Ubeib-Milizen; Medienbericht vom 08.10.2015 betreffend Entführungen von Mitarbeitern ausländischer Unternehmen im Irak; Medienbericht vom 18.01.2016 betreffend Entführungen von Ausländern im Irak sowie Kurzübersichten über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project im Irak im 2. und 3. Quartal 2018)

 

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde, die ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

 

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem erkennenden Gericht, sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig. Die Identität des Beschwerdeführers wurde von diesem im Wege der Vorlage von irakischen Identitätsdokumenten im Original (Reisepass und Personalausweis) hinreichend dargetan. Anhand der Angaben seines irakischen im Original vorgelegen irakischen Reisepasses konnte der vollständige Name des Beschwerdeführers korrigierend festgestellt werden. Aus dem vom Beschwerdeführer im Original vorgelegten "Safety Pass" geht seine Beschäftigung auf dem Rumaila-Ölfeld zweifelsfrei hervor, zum Ausstellungsdatum 2012 war er bei der irakischen Niederlassung des türkischen Unternehmens Pals Construction Trading and Manufacturing Ltd. Co. beschäftigt, was auch aus dem selbst vorgelegten Lebenslauf hervorgeht. Wenn der Beschwerdeführer darüber hinaus behauptet, seit dem Jahr 2012 bis zur Ausreise für die BP p. l.c. als Dienstnehmer tätig gewesen, liegen keine gegenteiligen Beweisergebnisse vor.

 

Lediglich der behaupteten atheistischen Einstellung des Beschwerdeführers ist nicht zu folgen und lediglich die Feststellung zu treffen, dass sich der Beschwerdeführer als religionslos bezeichnet. In dieser Hinsicht wurde der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung zu seinem Standpunkt zu Weltanschauung des Atheismus betrifft. Dass sich der Beschwerdeführer der Weltanschauung des Atheismus tatsächlich näher auseinandergesetzt und entsprechend gelebt hätte, ergab die Befragung gerade nicht. Der Beschwerdeführer legte im Ergebnis lediglich dar, dass er sich nicht religiös betätigt und Religion in seinem Leben keinen Stellenwert einnimmt.

 

Auf die entsprechende Frage des Bundesverwaltungsgerichts, was es für ihn bedeute, Atheist zu sein führte der Beschwerdeführer in diesem Sinn zunächst aus, er ich "habe keine Religion, .. bete nicht .. [und] lebe ganz normal in Frieden". Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer einerseits als Grund seiner Anschauung dar, dass ihm der "Islam nicht gefallen" habe. Er verspüre keine Bindung zu dieser Religion und möge sie nicht. Im Alltag habe er sich nur um die Arbeit gekümmert. Er habe nicht am Gebet teilgenommen und sich "nicht um die Religion gekümmert". Seine Familie habe davon gewusst.

 

Eine fundierte materielle Auseinandersetzung der Weltanschauung des Atheismus kann den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden. Insbesondere beschränkt sich der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes bei seinen Darlegungen darauf, dass er zwar mehrmals seine mangelnde religiöse Betätigung betonte und sein Desinteresse an Religion hervorkehrte und glaubhaft schilderte, im Herkunftsstaat nicht an religiösen Aktivisten wie der Verrichtung der Gebete teilgenommen zu haben. Dem Vorbringen kann daher allenfalls noch die Ablehnung von bestimmten religiösen Verhaltensvorschriften des Islam entnommen werden. Eine über die Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Aktivitäten hinausgehende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Atheismus bzw. der Frage, was es nunmehr heißt, Atheist zu sein, sowie ein Leben entsprechend dieser Einstellung zu führen, ist in Ansehung des Beschwerdeführers nicht erkennbar. Insbesondere konnte den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden, ob er sich dem Atheismus zugewandt habe, weil er die Existenz (eines) Gottes bzw. eines transzendenten Wesens leugnet oder eines solche nur anzweifelt, oder er lediglich die Auseinandersetzung mit dieser Frage als sinnlos erachtet bzw., die Annahme der Existenz von Göttern zwar nicht bestritten, aber als uninteressant oder überflüssig abgelehnt wird. Der Beschwerdeführer äußerte sich auch nicht kritisch über die Lehren anderer Religionsgemeinschaften. Ausgehend davon, dass sich der Beschwerdeführer - abseits der artikulierten Ablehnung bestimmter islamischer religiöser Vorschriften - nicht näher deklarierte, kann seine Gesinnung auch keiner bestimmten atheistischen Strömung zugeordnet werden (positiver, explizite Atheismus bzw. impliziter Atheismus und deren Strömungen).

 

Der Beschwerdeführer brachte auch kein Schlüsselerlebnis vor, welches seine Einstellung zum Islam im Besonderen und zu Religionen im Allgemeinen entscheidend beeinflusst hätte. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Atheismus bzw. der Frage, was es heißt Atheist zu sein, wäre aber in Anbetracht des dahingehenden Vorbringens zu erwarten gewesen, zumal gerade bei einer behaupteten Ablehnung jeglicher Religion - eine Überzeugung, die nicht durch (religiöse oder anderweitige) Aktivitäten nach Außen tritt und daher besonders schwierig zu überprüfen ist - aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes gesteigerte Anforderungen an die Schlüssigkeit und Ausführlichkeit des dahingehenden Vorbringens zu stellen sind. Da der Beschwerdeführer nichts Substantielles zu seiner behaupteten atheistischen Einstellung vorbringen konnte, als die Ablehnung religiöser Verhaltensvorschriften des Islam, kann das Bundesverwaltungsgericht beim Beschwerdeführer keine aktuelle innere atheistische (Glaubens-)Überzeugung erkennen.

 

Der Beschwerdeführer hinterließ bei seiner Befragung vielmehr den Eindruck, dass er - wie von ihm selbst dargelegt - die die Beachtung religiöser Verhaltensvorschriften hintanstellte und im Irak kein religiöses Leben führte und demgemäß religiösen Verhaltensvorschriften schon vor der Ausreise keine Beachtung schenkte. Dass nunmehr im Bundesgebiet dahingehende Erleichterungen insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit eines Religionsaustrittes bestehen belegt noch keine atheistische (Glaubens-)Überzeugung, sondern lediglich den Wunsch, religionslos zu leben. Hinsichtlich des Austrittes aus der islamischen Glaubensgemeinschaft überrascht im Übrigen, dass dieser erst kurz vor der mündlichen Verhandlung und demnach erst nach einem nahezu zweijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und nach Zustellung der Ladung zur Verhandlung erfolgte. Das Bundesverwaltungsgericht kann daher kein dringendes Bedürfnis des Beschwerdeführers erkennen, aus der islamischen Glaubensgemeinschaft rasch auszutreten.

 

Da Bundesverwaltungsgericht geht in einer Gesamtwürdigung der erörterten Umstände davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht einer inneren atheistischen

 

(Glaubens-)Überzeugung anhängt, sondern er lediglich kein Interesse für Religion aufbringt und religionslos bzw. allenfalls säkularistisch lebt. Ausgehend davon ist nicht feststellbar, dass sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Irak offen atheistisch positionieren würde oder er das Bedürfnis hegt, in anderer Weise einen Abfall vom Islam öffentlich darzulegen und/oder öffentlich eine atheistische (Glaubens-)Überzeugung zu vertreten.

 

Davon abgesehen brachte der Beschwerdeführer keine diesbezüglichen Schwierigkeiten vor der Ausreise substantiiert vor und trat in der mündlichen Verhandlung in keinster Weise zu Tage, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise gegenüber Dritten eine Ablehnung des Islam artikuliert hätte bzw. er solche Äußerungen im Rückkehrfall beabsichtigen würde. Die Ausführungen des Beschwerdeführers beschränkten sich darauf, dass er kein Interesse für Religion aufbringt und religionslos lebt. Ein gegenwärtiges oder vor der Ausreise bestehende Bedürfnis, Kritik am Islam (oder einer anderen Religion) zu üben oder, trat nicht zu Tage. Der Beschwerdeführer gab in diesem Zusammenhang auch nur an, dass ihm der "Islam nicht gefallen" habe. Weitergehende substantiierte Kritik an den Lehren des Islam äußerte er nicht.

 

Darüber hinaus musste der Beschwerdeführer auf Nachfrage zugestehen, dass er selbst im Irak keinen Schwierigkeiten im Hinblick auf die mangelnde Beachtung religiöser Verhaltensvorschriften ausgesetzt war. Weshalb er in Lebensgefahr sein sollte, hätten dritte Personen von seiner Religionslosigkeit erfahren, ist nicht nachvollziehbar. Im Irak ist der Islam zwar Staatsreligion, jedoch besteht - im Unterschied etwa zum Nachbarstaat Iran - keine Religionspolizei, die die Einhaltung religiöser Verhaltensvorschriften kontrolliert bzw. ahndet. Auch wenn säkularistisch orientierte Personen im Irak ausweislich der dazu getroffenen Feststellungen fallweise unter gesellschaftlicher Ausgrenzung und öffentlicher Geringschätzung leiden, existieren auch keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen oder sich nicht religiös betätigen. Schwierigkeiten mit der eigenen Familie können ausgeschlossen werden, zumal der Beschwerdeführer keine diesbezüglichen Schwierigkeiten vorbrachte, obgleich seine Familie von einem mangelnden religiösen Interesse wisse. Eine systematische Verfolgung durch Privatpersonen wie etwa Kämpfer schiitischer Milzen geht aus den getroffenen Feststellungen zur Lage von Atheisten, säkular orientierten Personen und Personen, die sich vom Islam abgewandt haben, nicht hervor.

 

Zusammenfassend gelangt das Bundesverwaltungsgerichte zum Ergebnis, dass die vage skizzierte Furcht vor Verfolgung aus religiösen Gründen im Rückkehrfall nicht glaubhaft ist. Der in der mündlichen Verhandlung vertretener Standpunkt des Beschwerdeführers ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes - durchaus in Übereinstimmung mit der Quellenlage - jene eines von den Errungenschaften der modernen Konsumgesellschaft geprägten jungen Mannes, der einen archaisch erscheinenden religiösen Ritus ablehnt und keinen persönlichen Nutzen in einer religiösen Betätigung sieht. Der Beschwerdeführer wird im Rückkehrfall weiterhin - wie schon vor der Ausreise - nicht gezwungen sein, Gebete zu verrichten, die Moschee zu besuchen oder zu pilgern, da im Irak keine Religionspolizei besteht und er keine Verfolgung seitens seiner Familie zu befürchten hat. Eine über die Ablehnung religiöser Verwaltungsvorschriften des Islam hinausgehende atheistische Einstellung des Beschwerdeführers bzw. die glaubhafte Absicht, sich in diesem Sinne im Rückkehrfall öffentlich bzw. missionarisch betätigen zu wollen, trat im Beschwerdeverfahren - wie vorstehend ausführlich erörtert - nicht hinreichend zutage. Der Beschwerdeführer brachte auch keine mit seinen Anschauungen zu religiösen Themen zusammenhängenden Rückkehrbefürchtungen substantiiert vor und legte auf die diesbezügliche Frage lediglich dar, dass er ohnehin nicht in den Irak zurückkehren werde.

 

Die Feststellungen zur Lage von Atheisten, säkular orientierten Personen und Personen, die sich vom Islam abgewandt haben im Irak sprechen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ebenfalls erheblich gegen eine Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund einer religionslosen bzw. säkularistisch orientierten Lebensweise (zur Verpflichtung, den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte zur erheben und die Glaubwürdigkeit von Behauptungen auch im Vergleich zu den diese Ereignisse betreffenden Berichten zu messen siehe VwGH 11.04.2018, Ra 2018/20/0040), wobei auf die diesbezügliche rechtliche Beurteilung unter Punkt 3.1.3. verwiesen wird.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug, die weiteren Feststellungen zu seinen Lebensumständen im Bundesgebiet und den hier gesetzten Aktivitäten beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers sowie der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht sowie den in Vorlage gebrachten Urkunden, Lichtbildern und Unterstützungserklärungen.

 

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes legte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung dar, gesund zu sein und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen. Befragt nach einer Eheschließung mit seiner Freundin antwortet der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung "Ich habe nichts dagegen.", die Intention, eine Ehe in absehbarer Zeit eingehen zu wollen, war sohin nicht erkennbar. Die Freundin des Beschwerdeführers äußerte sich in ähnlicher Weise, sodass nicht festgestellt werden kann, dass derzeit eine Eheschließung angestrebt wird. In diesem Zusammenhang gewann das Bundesverwaltungsgericht der Befragung des Beschwerdeführers und seiner Freundin sowie in Anbetracht der vorgelegten Lichtbilder auch den Eindruck, dass die Beziehung vorwiegend der Freizeitgestaltung dient und weniger dem Aufbau einer gemeinsamen Existenz und der Familiengründung. Dafür spricht nicht zuletzt auch, dass der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem belangten Bundesamt seine Freundin unrichtig nur als eine Person aus seinem Freundeskreis vorstellte (AS 36). Im Beschwerdeverfahren ließ er seinen rechtsfreundlichen Vertreter trotz der erstinstanzlich erlassenen Rückkehrentscheidung bis kurz vor der mündlichen Verhandlung in Unkenntnis über die eingegangene Beziehung, sodass auch die Beschwerde keine diesbezüglichen Ausführungen enthält. In Anbetracht dessen bleiben aus Restzweifel zurück, ob die Beziehung tatsächlich in der vorgebrachten Dauer besteht. Jedenfalls kann kein Interesse des Beschwerdeführers erkannt werden, die Beziehung bereits frühzeitig als wesentlichen Aspekt seines Privatlebens in sein Asylverfahren einzubringen.

 

2.4. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Der Beschwerdeführer ist den ihm mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.12.2018 zur Stellungnahme übermittelten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Irak und den zur Stellungnahme übermittelten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation betreffend seine Person und von ACCORD Angriffe auf das Rumaila-Ölfeld und dortige Angestellte nicht entgegengetreten.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vielmehr selbst im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung zahlreiche Anfragebeantwortungen und Medienberichte in Vorlage, diese sind wie folgt zu würdigen:

 

Zu den Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq konnte auf Grundlage der vorgelegten Anfragebeantwortung von ACCORD vom 20.02.2017 betreffen Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq und den in der in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.08.2018 betreffend Links zu Struktur und Verbreitung schiitischer Milizen angeführten weiteren Quellen Feststellungen getroffen werden. Die Feststellungen werden im Rahmen der Beweiswürdigung als Hintergrund des vom Beschwerdeführer vorgetragenen Ausreisevorbringens zur Überprüfung von dessen Glaubhaftigkeit herangezogen.

 

Aufgrund der weiteres vorlegten Analyse von EASO vom 11.04.2018 betreffend Atheismus im Irak und der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 18.09.2017 betreffend Berichte über Verfolgungshandlungen gegen AtheistInnen und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen, konnten darüber hinaus Feststellungen zur Lage von Atheisten, säkular orientierten Personen und Personen, die sich vom Islam abgewandt haben getroffen werden, auch diese finden im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung Berücksichtigung.

 

Die in das Verfahren eingeführten Berichte zur Lage von Mitarbeitern ausländischer Unternehmen, zur Person des Beschwerdeführers, zu Angriffen auf das Rumaila-Ölfeld und dortige Angestellte sowie zu Aktivitäten schiitischer Milizen in Basra zeichnen ein im Kern übereinstimmendes Gesamtbild und finden ebenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung als Hintergrund des vom Beschwerdeführer vorgetragenen Ausreisevorbringens zur Überprüfung von dessen Glaubhaftigkeit Berücksichtigung und wird insoweit auf die untenstehenden Ausführungen verwiesen. Soweit in Medienberichten und Anfragebeantwortungen auf Proteste der Zivilbevölkerung in Basra aufgrund der dortigen wirtschaftlichen und politischen Situation eingegangen wird, sind diese bei der Beurteilung der Lage des Beschwerdeführers im Rückkehrfall einschlägig und finden ebenfalls bei der untenstehenden Beweiswürdigung Berücksichtigung.

 

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hat, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der Behörden des Herkunftsstaates nicht geboten.

 

Schließlich kann in Ansehung der Anfragebeantwortungen vom 29.03.2018 betreffend Autonome Region Kurdistan (Lage von Rückkehrern aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem; Schwierigkeiten für Rückkehrer aus Europa), des Ausdrucks des Blogs Musings on Iraq vom 08.08.2018, des Medienberichts vom 27.07.2014 betreffend Aktivitäten der Al-Ubeib-Milizen und des Medienberichtes vom 26.06.2017 betreffend Mangel an medizinischem Personal im Südirak eine Relevanz für das gegenständliche Verfahren nicht erkannt werden. Das Bundesverwaltungsgericht geht zunächst nicht von einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Autonome Region Kurdistan aus. Schwierigkeiten mit den Al-Ubeib-Milizen brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Da er nicht behandlungsbedürftig ist, muss auch nicht auf den Zustand des örtlichen Gesundheitssystems eingegangen werden. Die angeführten Berichte könnend daher für die folgende Beweiswürdigung außer Betracht bleiben.

 

2.4. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356).

 

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

2.5. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Gefährdung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Im Einzelnen:

 

2.5.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich ausweislich seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung im Irak von der schiitischen Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für die BP p.l.c. als verfolgt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das vorgebrachte Bedrohungsbild indes als im Kontext der erhobenen Lage im Herkunftsstaat nicht plausibel, darüber hinaus verstrickte sich der Beschwerdeführer in Widersprüche und es erfuhr das Vorbringen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine wesentliche und im Widerspruch zum Vorbringen im Verfahren erster Instanz stehende Steigerung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers wäre außerdem selbst im Fall des Zutreffens nicht geeignet, eine asylrelevante Gefährdung im Fall einer Rückkehr in den Irak glaubhaft zu machen.

 

2.5.3. Bevor auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen wird, ist auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht erfolgte Beanstandung der im Verfahren erster Instanz angefertigten Niederschrift einzugehen. Der Beschwerdeführer brachte in dieser Hinsicht zur seinerzeitigem Einvernahmesituation befragt vor, dass er vom Dolmetscher wohl nicht verstanden worden sei und brachte in der Folge mehrere Korrekturen an.

 

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes handelt es sich bei den angebrachten Korrekturen indes teilweise um den Versuch, aufgetretenen Widersprüche im Nachhinein aufzulösen, andererseits liegen teilweise gar nicht vor. So wurde in der Niederschrift vom 12.07.2017 sehr wohl vermerkt, dass der letzte Drohbrief beim Haus des Beschwerdeführers abgegeben worden sein soll (AS 34). Ferner wurde niederschriftlich festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer nach der schriftlichen Bedrohung am 05.09.2015 mit seiner Mutter besprochen haben will, das Land zu verlassen (AS 35).

 

Im Hinblick auf die persönlich erlittenen Bedrohungen legte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt explizit dar, dass er "ungefähr 3 Mal" bedroht worden sei und nach der dritten persönlichen Drohung die schriftliche Drohung eingelangt sei (AS 36). Wenn der Beschwerdeführer nunmehr in der mündlichen Verhandlung darlegt, er sei nur einmal "auf der Straße" persönlich und zwei Mal schriftlich bedroht worden, weicht er vom Inhalt der Niederschrift ab. In diesem Zusammenhang ist wesentlich, dass Beschwerdeführer im Zuge der Beendigung der Einvernahme explizit danach gefragt, ob er die Gelegenheit gehabt habe, alles vorzubringen, was ihm von Bedeutung erscheine - was vom Beschwerdeführer in der Folge bejaht wurde. Für eine mangelhafte Ermittlungstätigkeit besteht sohin kein Anhaltspunkt. Der Inhalt der Niederschrift wurde ihm in der Folge rückübersetzt, was in der Niederschrift selbst festgehalten und im Rechtsmittelverfahren nicht bestritten wurde. Der Beschwerdeführer brachte nach der Rückübersetzung keine Korrekturen an. Der Beschwerdeführer legte ausweislich der Niederschrift explizit dar, dass er "ungefähr 3 Mal" bedroht worden sei und nach der dritten persönlichen Drohung die schriftliche Drohung eingelangt sei. Auf Nachfrage schilderte er außerdem, dass er "beim dritten Mal" geschlagen worden sei. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist es höchst unwahrscheinlich, dass in der dem Beschwerdeführer rückübersetzten Niederschrift an drei Stelle von drei Vorfällen die Rede ist und dies - sollte tatsächlich ein Missverständnis vorgelegen sein - bei der Rückübersetzung nicht auffällt. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt erhielt, jedoch auch in der Folge bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Richtigstellung seiner Angaben begehrte. Entscheidend ist, dass auch der von seiner rechtsfreundlichen Vertretung verfassten Beschwerde kein Vorbringen in Bezug auf die angebliche Unrichtigkeit der im Verfahren erster Instanz angefertigten Niederschrift entnommen werden kann. Wäre die Einvernahme indes derart fehlerhaft verlaufen, wie in der mündlichen Verhandlung in den Raum gestellt, wäre aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer dies bereits bei der Beschwerdeerhebung mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung erörtert bzw. ist anderseits davon auszugehen, dass allfällige Verfahrensmängel im Verfahren erster Instanz in einem Beratungsgespräch vom Rechtsfreund erhoben werden, um der Diligenzpflicht zu entsprechen. Da die Beschwerde jedoch keinerlei Ausführungen zur behaupteten Mangelhaftigkeit der Einvernahme vor dem belangten Bundesamt und dabei angeblich unterlaufenen Verständigungsschwierigkeiten enthält, erachtet das Bundesverwaltungsgericht das erst in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen betreffend Verständigungsschwierigkeiten als nicht zutreffend und nur dem Zweck dienend, Wiedersprüche und Ungereimtheiten in Kenntnis der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung zu bereinigen. Die Einwendungen gegen die Einvernahmesituation im Verfahren erster Instanz überzeugen demnach nicht und hindern insbesondere nicht die Heranziehung der im Übrigen auch in formaler Hinsicht mängelfreien Niederschrift der Einvernahme vom 12.07.2017 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

Darüber ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem Asylwerber - auch in Anbetracht seiner Mitwirkungspflicht - zu verlangen, dass dieser die wesentlichen Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates eigeninitiativ darlegt (vgl. hiezu insbesondere § 15 Abs. 1 AsylG 2005). Wohl hat die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen (§ 18 AsylG 2005). Aus dieser Gesetzesstelle kann jedoch keine Verpflichtung abgeleitet werden, Umstände ermitteln zu müssen, die ein Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0202). Ferner zieht § 18 AsylG 2005 nicht die Pflicht nach sich, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (VwGH 15.10.2018, Ra 2018/14/0143).

 

2.5.4. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die behauptete Verfolgung durch schiitische Milizen aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für ein "ausländisches Unternehmen" hält der der vorgenommenen Überprüfung des realen Hintergrundes der vorgetragenen Fluchtgeschichte nicht stand und ist schon deshalb nicht glaubhaft (zur Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichtes, bei der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in die Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit der Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen siehe allgemein statt aller VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108).

 

Im gegenständlichen Verfahren wurden sowohl seitens des Beschwerdeführers als auch seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Ermittlungen zur behaupteten Bedrohung von Mitarbeitern internationaler Unternehmungen im Raum Basra bei ACCORD und bei der Staatendokumentation beauftragt. Sämtliche dermaßen erlangten länderkundlichen Berichte zeichnen ein ähnliches Lagebild. Demzufolge kommt es zwar vereinzelt zu Entführungen zum Zweck der Erpressung von Schutzgeldern bzw. von Lösegeld und es hat sich die allgemeine Sicherheitslage im Großraum Basra infolge des Abzuges einer Infanteriedivision zur Teilnahme am Kampf gegen die Milizen des Islamischen Staates ab dem Jahr 2014 verschlechtert. Dafür, dass schiitische Milizen Dienstnehmer internationaler Organisationen aus religiösen oder politischen Gründen attackieren (mithin ohne einen kriminellen Hintergrund wie eine beabsichtigte Erpressung von Schutzgeld vom Unternehmen bzw. von Lösegeld vom Unternehmen oder den Angehörigen) gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt.

 

So schätzt der Verbindungsbeamte des Bundesministeriums für Inneres die Lage derart sein, dass die auf dem Rumaila-Ölfeld tätigen Unternehmen BP p.l.c. und CNPC unter dem Schutz der irakischen Sicherheitskräfte stehen, da sie staatliche Auftragnehmer sind. Übergriffe gegen Mitarbeiter wären nicht bekannt, allenfalls versuchte Schutzgelderpressungen hinsichtlich der Unternehmen selbst.

 

ACCORD berichtet zwar von verschiedenen Vorfällen zwischen 2012 und April 2018. Dabei konnten nach Zeitpunkt und Kontext unterschiedliche Motive erhoben werden. Die Angriffe im Jahr 2012 und davor betrafen hauptsächlich Personen, die für die von den USA geführten Koalition, für internationale Organisationen oder in der Ölindustrie gearbeitet hätten. Bei den Vorfällen zwischen Mai 2015 und April 2018 wurden hauptsächlich Schutzgelderpressungen, Stammeskämpfe und Auseinandersetzungen um Geld und Macht im Ölsektor zwischen den internationalen Ölkonzernen, örtlichen Stämmen und korrupten Beamten als Hauptmotive genannt. ACCORD zufolge lassen Sicherheitsberichte aus der Region darauf schließen, lassen, dass die meiste Gewalt auf Stammesauseinandersetzungen zurückzuführen ist, darunter auch die Entführung von drei Ingenieuren beim Ölfeld West Qurna im Mai 2015. Obwohl die Ingenieure später wieder freigelassen worden wären, bestehe insbesondere infolge der Abwesenheit von Polizei und Militär in der Region ein hohes Risiko weiterer Entführungen. Im Mai 2017 habe ein Selbstmordattentäter einen Autobus in der Nähe eines Checkpoints bei Rumaila angegriffen. Die Explosionen hätten elf Menschen getötet und mehr als 30 weitere verletzt. Das Attentat wird dem Islamischen Staat zugeschrieben.

 

In den in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.08.2018 zitierten Quellen kommt deutlich zum Ausdruck, dass Drohungen oder Gewalt gegen Personen, die mit ausländischen Firmen zu tun gehabt oder weiterhin zu tun hätten, von Seiten schiitischer Milizen ein relevantes Problem zu der Zeit gewesen wären, bevor die Amerikaner im Dezember 2011 ihre Truppen aus dem Irak abgezogen hätten, insbesondere während des besonders gewaltsamen Zeitraums von 2005 bis 2008. Bevor die US-Truppen den Irak verlassen hätten, seien Personen, die für die von den USA angeführte Koalition gearbeitet hätten, Opfer von Misshandlungen durch Milizen geworden, die den Irak von den Besatzungstruppen hätten befreien wollen. Dies habe nicht nur Personen betroffen, die die Truppen direkt unterstützt hätten, sondern auch Personen, die im Zivilbereich zum Beispiel in der Ölindustrie gearbeitet hätten. Gegenwärtig sei die Lage allerdings eine andere. Die schiitischen Milizen seien gerade, trotz interner Auseinandersetzungen und Machtkämpfe, besonders darauf konzentriert, den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Eine Rückkehr ausländischer Truppen in den Irak könne möglicherweise diese schiitischen Milizen wieder dazu veranlassen, ausländische Kräfte und ihre örtlichen Partner zu bedrohen. Sowohl schiitische Milizen als auch die irakischen Behörden und das US-Militär hätten ein gemeinsames Ziel in der Bekämpfung des IS und die Beteiligung der USA sei speziell daran geknüpft. Irakische Soldaten, die eng mit ausländischen Truppen zusammengearbeitet hätten, seien derzeit unter den am meisten gefährdeten Personengruppen. Die Gefahr von Angriffen auf sie ginge aber vom Islamischen Staat aus, nicht von schiitischen Milizen aus.

 

An Einzelfällen in den Jahren 2015 und später werden die Entführung eines irakischen Bauunternehmers in der Nähe des Ölfeldes West Qurna 2 nach der bereits erwähnten (und auf Stammeskonflikte zurückzuführenden) Entführung von drei Ingenieuren genannt, ferner die Entführung von zwei Mitarbeitern der irakischen South Oil Company im Januar 2017 (diese wurden nach der Zahlung von USD 40.000 Lösegeld wieder freigelassen) und von einem Mitarbeiter der irakischen Basra Oil Company im September 2017. Im Hinblick auf Schutzgelderpressungen wird in einem Bericht vom April 2018 von einem Mord an einem "oil contractor". In Basra würden sich die Probleme bei den internationalen Konzernen um korrupten Beamten und habgierigen Stammesanführer drehen. Internationale Ölkonzerne hätten dunkle Geschäfte mit den örtlichen Stämmen und korrupten Bürokraten gemacht, um Zugang zu den Ölfeldern zu erhalten. Im Zuge dieser Geschäfte seien große Summen an Bestechungsgeldern geflossen. Drei lokale Stämme, Battat, Halaf und A'awaji, hätten eine Gesamtsumme von 105 Millionen Dollar an Kompensationen erhalten, um Ölkonzernen die Förderung auf ihrem Grund und Boden zu erlauben. Die anhaltende Gewalt gehe auf die in dieser Gegend operierenden Ölfirmen zurück. Im Jahr 2017 sei ein Kleinbus mit Angestellten eines Ölkonzerns vom Ölfeld West Qurna II nach Basra unterwegs gewesen, als er von bewaffneten Männern in einem Kleintransporter angegriffen worden sei. Die Männer hätten auf den Kleinbus geschossen, um die Fahrgäste zu erschrecken, es habe keine Toten oder Verwundeten gegeben. Man habe den Angriff als ein Ultimatum von einem der Stämme verstanden:

Entweder der Konzern zahle, oder die Mitarbeiter würden beim nächsten Mal nicht unverletzt davonkommen.

 

ACCORD schließt die Ausführungen mit der Bemerkung, dass bei der Recherche keine Informationen zu Angriffen, Drohungen und anderen Übergriffen vonseiten schiitischer Milizen auf Mitarbeiter ausländischer Organisationen gefunden werden konnten.

 

Ausgehend davon ist einerseits erwiesen, dass eine hohe Anzahl irakischer Bürger im Gouvernement Basra direkt oder indirekt für die BP p.l.c. und CNPC auf dem Rumaila-Ölfeld tätig sind. Die BP p.l.c. und CNPC ihrerseits sind vom irakischen Staat beauftragt und arbeiten mit der lokalen staatlichen irakischen Ölgesellschaft South Oil Company bzw. nach der Umbenennung Basra Oil Company zusammen.

 

Die zitierten Berichte und Einschätzen gelangen darüber hinaus übereinstimmend zur Einschätzung, dass Übergriffe schiitischer Milizen aus politischen oder weltanschaulichen Gründen auf die Zeit vor dem Abzug der Streitkräfte der Vereinigten Staaten im Jahr 2011 und insbesondere den besonders gewaltsamen Zeitraum von 2005 bis 2008 datieren. Für das Jahr 2015 und die folgenden Jahre sind keine solchen Übergriffe dokumentiert und wird in den Quellen vielmehr als neue Herausforderung das Verhältnis von internationalen Konzernen, korrupten Beamten und habgierigen Stammesanführern genannt. Die dokumentierten Einzelfälle, die angesichts der Zahl von mehr als 7.000 direkt und mehr als 22.000 indirekt für internationale Konzerne tätigen Irakern eine verschwindend geringe Zahl von Personen tatsächlich betroffen haben, gründen sich auf terroristische oder kriminelle Motive.

 

In Anbetracht der erhobenen Situation im Herkunftsstaat kann die vom Beschwerdeführer gezeichnete Lage in Basra, wonach schiitische Milizen im Gouvernement Basra willkürlich Dienstnehmer internationale Konzerne auf der Straße mit Waffengewalt attackieren würden, sich alle Dienstnehmer internationale Konzerne im Gouvernement Basra in Lebensgefahr befinden würden und "andere Kollegen" ebenfalls hätten ausreisen müssen (AS 35) schlicht nicht nachvollzogen werden. Hätte sich die Lage tatsächlich dermaßen dargestellt, wäre aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vielmehr einerseits damit zu rechnen, dass entsprechende Berichte über die angebliche evidente Bedrohung zehntausender Menschen vorhanden wären bzw. in den vorhandenen Berichten entsprechende Anhaltspunkte für die behauptete Verfolgungssituation bestehen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.08.2018 zitierte Bericht von Landinfo vom April 2016 zur Lage von Personen, die für ausländische Organisationen gearbeitet haben, zeichnet vielmehr ein vollkommen gegenteiliges Bild, nämlich, dass schiitischen Milizen gerade im Jahr 2015, trotz interner Auseinandersetzungen und Machtkämpfe besonders darauf konzentriert wären, den Islamischen Staat zu bekämpfen. Andererseits verdeutlichen die Berichte enorme finanzielle Interessen sowohl des irakischen Staates als auch der beteiligten internationalen Konzerne, sodass im Fall der tatsächlichen Bedrohung der tausenden Dienst- und Auftragnehmer mit Gegenmaßnahmen zu rechnen gewesen wäre, die ihrerseits Niederschlag in den bezughabenden Berichten gefunden hätten. Auch derartiges ist nicht dokumentiert.

 

In Anbetracht der durchgeführten Erhebungen und der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten länderkundlichen Berichte ist zusammenfassend davon auszugehen, dass im Gouvernement Basra in den Jahren 2015 und folgende bis zum Entscheidungszeitpunkt ein leicht erhöhtes Risiko besteht, als Dienst- oder Auftragnehmer einer kriminell motivierten Entführung zur Erpressung von Schutz- und/oder Lösegeldern von der Familie bzw. dem beschäftigenden Unternehmen zum Opfer zu fallen. In Anbetracht der wenigen dokumentierten Einzelfälle und im Kontext der Anzahl der potentiell Betroffenen ist jedoch keinesfalls von einem maßgeblichen Risiko zu sprechen. Zwei der dokumentierten Entführungen richtetetn sich außerdem gegen Angestellte der lokalen staatlichen irakischen Ölgesellschaft South Oil Company bzw. Basra Oil Company, sodass von einer Gefährdung nur von Dienst- oder Auftragnehmer internationaler Konzerne keine Rede sein kann.

 

Ferner besteht in der Nähe der Anlagen zur Ölförderung ein leicht erhöhtes abstraktes Risiko terroristischer Aktivitäten, wobei in Bezug auf das Rumaila-Ölfeld bei nur einem dokumentierten terroristischen Vorfall ebenfalls kein maßgebliches derartiges Risiko vorliegt.

 

Die vom Beschwerdeführer gezeichnete Situation hält hingegen der vorgenommenen Überprüfung des realen Hintergrundes der vorgetragenen Fluchtgeschichte nicht stand und stellt sind in Anbetracht der Aussagen in den zitierten Quellen als nahezu absurd dar. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist weder glaubhaft, dass im Jahr 2015 in Basra grundsätzlich die behauptete Verfolgungswelle schiitischer Milizen gegen Dienst- und Auftragnehmer internationaler Konzerne stattfand, noch, dass der Beschwerdeführer individuell von einer solchen Maßnahme betroffen war. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die angeblich den Beschwerdeführer bedrohenden Milizen selbst in Kampfeinsätze gegen den Islamischen Staat involviert waren, wie dies in den zitierten Berichten zum Ausdruck gebracht wird. Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei auch nach der Ausreise wiederholt von Kämpfern von Milizen gesucht worden und wären Kollegen von ihm ermordet bzw. nach der Rückkehr ermordet worden (AS 36), stellt sich im Kontext der festgestellten Lage im Herkunftsstaat als nahezu absurd dar. Dass schiitische Milizen wie Katiba al-Mawt und Asa'ib Ahl al-Haqq in einer Zeit, in welcher sich die Kämpfe mit dem Islamischen Staat auf dem Höhepunkt befanden und in die sie involviert waren, Ressourcen darauf verwenden sollten, gewöhnliche Arbeiter wie den Beschwerdeführer über Monate und Jahre zu suchen und zu verfolgen, ist vollkommen abwegig.

 

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die ausreisekausale Gefährdungssituation ist im Ergebnis schon aus den vorstehenden Erwägungen die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

 

2.5.5. Die an den Beschwerdeführer gerichteten Drohbriefe - angeblich von Katiba al-Mawt (in der Verhandlungsschrift: "Saraya Almaut") und Asa'ib Ahl al-Haqq - liegen lediglich als Kopien vor.

 

Ausweislich der Feststellungen zur Lage im Irak ist dort jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen ist. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer nur in Vorlage bringen konnte, sodass deren fachkundige Überprüfung schon mangels Zugriffs auf das Original nicht möglich ist. Mangels vorhandenem Vergleichsmaterial sind im Übrigen auch keine Überprüfungen der vorhandenen Kopien möglich, eigenen hoheitlichen Ermittlungen der Asylbehörden im Herkunftsstaat des Asylwerbers stehen ferner nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes allgemeine Prinzipien des Völkerrechts entgegen. Danach sind Staaten grundsätzlich verpflichtet, in fremden Hoheitsräumen keine Amtshandlungen ohne Genehmigung des Territorialstaates vorzunehmen. Dieser Grundsatz wird meist streng gehandhabt und gestattet nicht einmal eine hoheitliche Tätigkeit, die keine unmittelbare Auswirkung im Territorialstaat hat, z.B. polizeiliche Erhebungen oder amtliche Vorladungen. Ermittlungen, die diesen Prinzipien widersprechen, sind von den Ermittlungspflichten des § 18 AsylG 2005 daher nicht umfasst und den Asylbehörden auch nicht erlaubt (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197). Eine Überprüfung des Drohbriefes bei Katiba al-Mawt respektive Asa'ib Ahl al-Haqq im Irak scheidet demnach aus.

 

Die vorgelegten Drohbriefe sind darüber hinaus jedenfalls keine behördlichen Urkunden, sie weisen ferner mit Ausnahme einer Stampiglie auf dem Drohbrief der Asa'ib Ahl al-Haqq keine handschriftlichen Elemente auf.

 

Ausgehend vom Erscheinungsbild des Drohbriefes der Katiba al-Mawt (erster Drohbrief, angeblich erhalten am 05.09.2015), kann ein solches Schriftstück von jedermann mit Kenntnissen der arabischen Sprache als Ausdruck selbst hergestellt werden. Der Beweiswert der Urkunde ist schon deshalb als gering anzusehen. Der abgedruckte Text erschöpft sich ferner in schwülstigen Ausführungen über die "Kreuzfahrerbesetzung" und dass beschlossen worden sei, den Beschwerdeführer zu liquidieren, um den irakischen Boden von "unreinen Amerikanern" zu säubern. Im letzten Satz wird dem Beschwerdeführer eine Frist von zehn Tagen eingeräumt, binnen dieser er sich zu seinen von "Affen und Schweinen" abstammenden Vorfahren begeben solle, sonst werde er getötet. Die Ausführungen im Drohbrief stellen sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als sinnentleert dar. In Ansehung des Beschwerdeführers ist festzustellen, dass er kein "unreiner Amerikaner" ist und die BP p. l.c. ein britisches Mineralölunternehmen mit Sitz in London ist. Die Anschuldigungen gehen demgemäß ins Leere. Die an den Beschwerdeführe zuletzt gerichtete Aufforderung kann inhaltlich gar nicht nachvollzogen werden, insbesondere ist nicht erkennbar, zu welchen Vorfahren er sich begeben solle. Der Drohbrief selbst wäre im Übrigen im Kontext der Quellenlage allenfalls in die Zeit vor dem Abzug der Streitkräfte der Vereinigten Staaten im Dezember 2011 einzuordnen und nicht in das Jahr 2015.

 

Der Drohbrief von Asa'ib Ahl al-Haqq - angeblich die letzte Warnung vor der Ermordung - liegt in schlecht lesbarer Qualität vor. Auf dem Schreiben ist der Abdruck eines Ovalsiegels erkennbar, er weist Logo auf und besteht nur aus Text. Ausgehend vom Erscheinungsbild erscheint der Aufwand, ein derartiges Schreiben selbst herzustellen, ebenfalls überschaubar.

 

Im gegebenen Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass sich aus den in das Verfahren eingeführten länderkundlichen Informationen nicht der geringste Hinweis darauf ergibt, dass Dienst- oder Auftragnehmer internationaler Konzerne von schiitischen Milizen aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden. In den eingesehenen Berichten ist auch keine Rede davon, dass Dienst- oder Auftragnehmer internationaler Konzerne Drohbriefe erhalten würden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht im Kontext des erhobenen Hintergrundes davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die vorgelegten Drohbriefe authentisch sind, nicht als besonders hoch einzuschätzen ist.

 

2.5.6. In diesem Zusammenhang offenbaren sich auch mehrere nicht plausible Aspekte an der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers.

 

Der Beschwerdeführer brachte als Motiv seiner Verfolgung zunächst vor, er hätte den Milizionären Informationen liefern sollen (AS 35), ihm sei auch Geld weggenommen worden. Zuletzt habe er eine Frist von drei Tagen erhalten (AS 36). Vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholte der Beschwerdeführer das vorbringen. In der Folge war er jedoch nicht in der Lage, substantiierte Angaben zu den von ihm abverlangten Informationen zu tätigen, sondern sprach vage von "CD's über die Firmen, wie viele Mitarbeiter in der Firma arbeiten, wie viele auch Ingenieure seien und was wir genau arbeiten und was unsere Aufgaben seien". Er konnte ferner auf Nachfrage nicht angeben, wohin er diese Informationen hätte liefern sollen. Ausgehend von diesen Schilderungen ist nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Milizionäre überhaupt an den Beschwerdeführer wandten, zumal dieser nicht in leitender Position tätig war, sondern behauptetermaßen als Elektriker. Weshalb er Firmengeheimnisse liefern können sollte bleibt vollkommen offen. Der angebliche Auftrag ist auch nicht fassbar und bleibt offen, welche sensiblen Informationen die Milizionäre überhaupt erlangen wollten. Angaben über auf dem Rumaila- Ölfeld tätige Unternehmen, die dort laufenden Projekte und die Tätigkeitsbereiche der jeweiligen Unternehmen sind im Übrigen - wie die Staatendokumentation selbst durch ihre Anfragebeantwortung demonstriert - im Wege einer einfachen Internetrecherche zu erlangten. Dass zur Erlangung solcher bedeutungslosen Informationen in Basra bewaffnete Milizionäre wahllos Personen in Fahrzeugen auf der Straße anhalten - wie vom Beschwerdeführer suggeriert wird - erscheint vollkommen abwegig. Dass der Beschwerdeführer nicht angeben konnte, wohin er die Informationen hätte liefern sollte und vielmehr lediglich auf die Möglichkeit einer neuerlichen Anhaltung auf der Straße verwies, rundet das Bild ab. Ein ernsthafter Erpressungsversuch kann in der beschriebenen, vollkommen dilettantisch anmutenden Vorgehensweise nicht erblickt werden.

 

Im gegebenen Zusammenhang ist auch nicht nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer nicht umgehend an seinen Arbeitgeber wandte, obwohl angeblich Betriebsgeheimnisse von ihm erpresst werden sollte. Der Beschwerdeführer gab selbst an, dass es an seinem Arbeitsplatz sicher gewesen sei. Im Fall einer tatsächlichen Bedrohung aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit wäre es naheliegend gewesen, sich an den Arbeitgeber zu wenden, zumal dieser ein vitales Interesse daran haben muss, dass es zu keinem Informationsfluss an extremistische Gruppierungen kommt. Weshalb der Beschwerdeführer diese naheliegende Möglichkeit nicht in Betracht zog - obwohl er zuletzt sogar mehrere Tage an seinem Arbeitsplatz gelebt haben will - konnte er in der mündlichen Verhandlung nicht erklären.

 

Ausgehend von den zu Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq getroffenen Feststellungen ist zunächst festzuhalten, dass Verhaltensweisen wie etwa das Versenden von Drohbriefen in den herangezogenen Quellen keinen Platz einnehmen und in keinster Wiese dokumentiert ist, dass Übergriffen dieser Miliz das Versenden von Drohbriefen vorausgehen würde. Schon deshalb gebietet sich der Schluss, dass das Versenden von Drohbriefen nicht dem Handlungsmuster von Asa'ib Ahl al-Haqq entspricht. Die Feststellungen zeichnen das Bild einer paramilitärisch organisierten und gut ausgebildeten Miliz, die eine entsprechende Schlagkraft besitzt. Aus welchem Grund und zu welchem Zweck eine solche Miliz Drohbriefe versenden sollte, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht. Vielmehr legen die Feststellungen nahe, dass Asa'ib Ahl al-Haqq ohne Vorwarnung Übergriffe begeht. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang weiterhin in der mündlichen Verhanldung ausführt, es sei das Ziel der der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq gewesen, ihn am 12.09.2015 zu töten, ist die vorangehende Zumittlung eines Drohbriefes ein geradezu wiedersinniger Akt, zumal das angebliche Ziel des Angriffes dadurch gewarnt wird. Vielmehr ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes im Fall eines Mordkomplotts mit einem Überraschungsangriff zu rechnen, zumal eine solche Vorgehensweise am erfolgreichsten erscheint. Besonders abwegig ist, dass ausweislich der Schilderungen des Beschwerdeführers die Kämpfer von Asa'ib Ahl al-Haqq zunächst seiner Mutter den Drohbrief übergeben haben sollen und danach vor dem Haus auf den Beschwerdeführern warteten, um zuzugreifen. Diese Abfolge gestattete es der Mutter des Beschwerdeführers, die von den Kämpfern auch nicht festgesetzt oder zumindest ihres Telefone beraubt wurde, den Beschwerdeführern zu kontaktieren, sodass dieser leicht fliehen konnte. Eine derart dilettantische Vorgehensweise, nämlich das präsumtive Opfer vor dem eigenen Angriff zu warnen und danach (!) vor dem Haus zu warten, kann der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq in Anbetracht ihrer festgestellten Professionalität nicht zugesonnen werden. Wenn ein Mordanschlag auf den Beschwerdeführern geplant gewesen sein sollte, wäre davon auszugehen, dass das Terrorkommando schlicht zuwartet, bis der Beschwerdeführern erscheint, anstatt davor dessen Mutter einen Drohbrief zu überreichen und sich dann zurückzuziehen.

 

Der von den Beschwerdeführern insoweit in den Raum gestellte Geschehnisverlauf deutet insgesamt auf ein Konstrukt zum Zweck der Asylerlangung hin, anstatt auf einen tatsächlich erlebten Sachverhalt. Entsprechendes gilt für die andere schriftliche Bedrohung, angeblich von Katiba al-Mawt. Das Bundesverwaltungsgericht kann im Fall eines tatsächlich geplanten Übergriffes keinen sinnvollen Nutzen darin sehen, der Zielperson davor einen Drohbrief (noch dazu mit schwülstigen und sinnentleerten Formulierungen) zukommen zu lassen, zumal die Miliz damit selbst das Ziel ihrer geplanten Operation vereitelt.

 

Schließlich ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer überhaupt jahrelang auf dem Rumaila-Ölfeld unbehelligt arbeiten konnten, wenn Dienstnehmer internationaler Konzerne in Basra der behaupteten systematischen Verfolgung durch schiitische Milizen unterliegen. Ferner hätte sich der Beschwerdeführer der Gefährdung leicht entziehen können, entweder durch einen Wechsel zur lokalen irakischen Ölgesellschaft oder die Annahme einer anderweitigen Beschäftigung außerhalb des Ölfeldes. Weshalb ihm dies nicht möglich war konnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar erklären. Die langjährige - angeblich lebensgefährliche - Tätigkeit für die BP p.l.c. und davor für Subunternehmer, ohne sich im Lauf der Jahre eine Alternative zu suchen, spricht entschieden gegen eine Gefährdung infolge der ausgeübten beruflichen Tätigkeit.

 

2.5.7. Bei der neuerlichen Darlegung seiner Ausreisegründe in der mündlichen Verhandlung hinterließ der Beschwerdeführer einen unsicheren und angespannten Eindruck. In einem Vortrag traten dementsprechend auch Inkonsistenzen auf. Darüber hinaus erwies sich das selbständige Vorbringen zum Ausreisegrund als knapp gehalten und oberflächlich und es offenbarten sich zentrale Aspekte des Vorbringens er auf gezielte Nachfrage des Richters.

 

In diesem Zusammenhang legte der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht dar, dass er im Irak von "Milizen angegriffen und geschlagen" worden sei. Seinen weiteren Ausführungen konnte jedoch kein Hinweis auf einen tatsächlich erlittenen Eingriff in die körperliche Integrität entnommen werden. Selbst auf gezielte Nachfrage nach dem Verlauf des angeblichen Vorfalls am 05.09.2015 legte der Beschwerdeführer nur mehr dar, dass er mit seinen Arbeitskollegen auf dem Boden habe sitzen und die hinter dem Kopf verschränken habe müssen. Dabei sei er mit einer Waffe bedroht worden, indem auf ihn gezielt worden sei. Von Schlägen sprach der Beschwerdeführer nicht. Insoweit offenbart sich eine auffällige Parallele zum Verfahren erster Instanz. Auch dort sprach der Beschwerdeführer - erst auf wiederholte Nachfrage - davon, dass er auf der Straße geschlagen worden sei, sein diesbezügliches Vorbringen war aber nicht stringent. Bei der zeitlichen Einordnung dieses Vorfalls traten ebenfalls Inkonsistenzen auf. So legte der Beschwerdeführer vor dem belangen Bundesamt dar, dass er am 10.09.2015 "gemeinsam mit Freunden auf dem Weg nach Hause bedroht" wurden sei. Vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte der Beschwerdeführer, dass er schon vor dem Erhalt des ersten Drohbriefes am 05.09.2015 "davor an einem anderen Tag auf der Straße attackiert und bedroht" worden sei. Bei der Darlegung der Vorfälle am 10.09.2015 schilderte der Beschwerdeführer keine Bedrohung ("Ich wollte anmerken, dass am 10.12.2015, als ich mit meinem Kollegen am Weg nach Hause war von der Arbeit. Ich habe mich von meinem Kollegen verabschiedet und bin nach Hause gegangen. Ich habe danach erfahren, dass zwei von meinen Kollegen von den Milizen getötet wurden."). Die Unsicherheiten bei der Schilderung des Beschwerdeführers erweisen sich als auffällig, gerade wenn eine Person Schläge erlitten haben will, kann davon ausgegangen werden, dass dieses zentrale Ereignis stringent und aus eigenem und nicht erst auf mehrfache Nachfrage geschildert wird.

 

Wenn der Beschwerdeführer ferner vorbringt, bereits der erste Drohbrief sei persönlich bei seiner Mutter abgegeben wurde, setzt er sich damit in Wiederspruch zu seinem Vorbringen im Verfahren erster Instanz, wobei bereits erörtert wurde, dass die dabei angeblich unterlaufenen Verständigungsschwierigkeiten nicht als glaubhaft erachtet werden. Ferner legte der Beschwerdeführer ergänzend dar, er habe sich bereits aufgrund des ersten Drohbriefes fünf Tage auf dem Firmengelände versteckt, was er jedenfalls unerwähnt ließ. Ebenso brachte der Beschwerdeführer nunmehr vor, dass er sich bereits am 10.09.2015 versteckt habe, nämlich bei seinem Bruder.

 

Im Hinblick auf den behaupteten Raketenangriff auf das Rumaila-Ölfeld im Jahr 2015 vor der Ausreise des Beschwerdeführers ist schließlich festzuhalten, dass dieser Angriff im Wege der dazu beauftragten Recherche nicht verifiziert werden konnte und lediglich Berichte über ein Selbstmordattentat im Mai 2017 vorliegen.

 

2.5.8. Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde können der vorgelegten E-Mail vom 04.09.2017, die angeblich von einer Tante des Beschwerdeführers geschrieben wurde, auch keine Hinweise auf konkrete Verfolgungshandlungen entnommen werden. Vielmehr ist lediglich allgemein davon die Rede, dass der Beschwerdeführer von Milizen gesucht und er im Rückkehrfall getötet oder entführt werde und dass für Personen, die für ausländische Firmen gearbeitet hätten, gäbe es im Irak keinen sicheren Ort.

 

Eine aktuelle Verfolgungsgefahr wird mit der E-Mail sohin einerseits nicht aufgezeigt. Andererseits steht der Inhalt der E-Mail in diametralem Wiederspruch zur eingangs erläuterten Lage im Gouvernement Basra und dass seit dem Abzug der Streitkräfte der Vereinigten Staaten im Jahr 2011 keine Anzeichen einer Bedrohung von Dienst- oder Auftragnehmern internationale Konzerne durch schiitische Milizen aus politischen oder konfessionellen Gründen mehr bestehen sowie aktuelle Probleme auf Stammeskonflikte und Korruption zurückzuführen sind. Sollte es im Übrigen - wie in der E-Mail suggeriert wird - im Irak keinen sicheren Ort für Personen geben, die für "ausländische Firmen" gearbeitet hätten, stellt sich die Frage, weshalb auch gegenwärtig mehrere zehntausend Iraker gerade das tun und es zu keiner Massenflucht dieses Personengruppe kam. Die Umstände des Falles belegen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes eindeutig, dass die gegenständliche E-Mail - sollte diese überhaupt von der Tante des Beschwerdeführers stammen - aus Gefälligkeit verfasst wurde.

 

2.5.9. Selbst wenn sich - entgegen den vorstehenden Erwägungen - der ausreisekausale Vorfall wie behauptet zugetragen hätte, würde dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt dennoch nicht zur Zuerkennung von internationalem Schutz führen.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, eine Verfolgungssituation pro futoro im Rückkehrfall glaubhaft zu machen. Seit der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak sind nahezu dreieinhalb Jahre vergangen. Der Beschwerdeführer ist nicht mehr für die BP p.l.c. tätig, ein weiteres Interesse schiitischer Milizen an seiner Person ist deshalb auszuschließen. Insbesondere wird der Beschwerdeführer nicht mehr dazu in der Lage sein, "Informationen" über das Rumaila-Ölfeld und dort tätige Unternehmen zu liefern. Wären solche "Informationen"tatsächlich benötigt worden, ist ferner davon auszugehen, dass diese mittlerweile anderweitig beschafft wurden. Dass der Beschwerdeführer nach wie vor von Interesse für schiitische Milizen sein könnte und in deren Blickfeld im Fall einer Rückkehr an seinen Herkunftsort rücken würde, ist demgemäß nicht glaubhaft und kann das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund erkennen, weshalb eine Rückkehr des Beschwerdeführers für irgendjemanden in Basra von Interesse sein sollte. Dass schiitische Milizen Todeslisten und dergleichen führen, um Einzelpersonen auch noch nach Jahren zu belangten, ist aus länderkundlichen Berichten im Übrigen nicht ablesbar. Aus diesen ergibt jedoch deutlich, dass es die behauptete Verfolgungswelle gegen Dienst- und Auftragnehmer internationaler Konzerne im Jahr 2015 und den folgenden Jahren nicht gab und auch derzeit keine derartige Gefährdungssituation erkannt werden kann.

 

Selbst wenn das Vorbringen entgegen der vorstehenden Erwägungen hinsichtlich der ausreisekausalen Bedrohungen zutreffen würde, wäre es somit nicht geeignet, eine individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall nach mehr als dreieinhalb Jahren der Abwesenheit aufzuzeigen.

 

2.5.10. Soweit von einer zumutbaren und tauglichen Aufenthaltsalternative in einem schiitischen Viertel in Bagdad oder einer schiitischen Großstadt im Südirak (wie etwa in Nadschaf, Nasiriya, Kut oder Amara) ausgegangen wird, sind dafür unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, konkretisierten Kriterien folgende Erwägungen maßgeblich:

 

Im Irak herrscht Reise- und Niederlassungsfreiheit. Nach der militärischen Niederlage der Milizen des Islamischen Staates hat sich die Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet stabilisiert. Die Hauptstadt Bagdad und der Süden des Irak waren nicht von Kampfhandlungen betroffen, sodass die Infrastruktur intakt ist und auch keine Guerillaaktivitäten des Islamischen Staates zu gewärtigen sind. Die angeführten Städte sind allesamt schiitisch dominiert und weisen eine Einwohnerzahl von zumindest 300.000 Personen auf.

 

Der Beschwerdeführer selbst ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger und arbeitswilliger Mensch. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann in Anbetracht der den Feststellungen zu entnehmenden Informationen zur sozioökonomischen Lage davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in einer der angeführten Großstädte auch ohne unmittelbar präsenten familiären Rückhalt Fuß fassen kann und dort infolge eigener Erwerbstätigkeit als Elektriker, als Arbeiter auf Baustellen oder im Wege einer selbständigen Tätigkeit ein Leben ohne unbillige Härten führen können wird, wie es auch andere Landsleute führen können. Darüber hinaus sind finanzielle Unterstützungsleistungen seitens der Familie jedenfalls möglich, zumal diese den Beschwerdeführer angeblich auch im Bundesgebiet unterstützt.

 

Dass der Beschwerdeführer in den genannten Städten frei von Verfolgung, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung leben kann und auch die sichere Erreichbarkeit der genannten Städte gewährlistet ist, bedarf in Anbetracht der vorstehenden Beweiswürdigung und den Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keiner weiteren Erörterung. Sein Desinteresse an religiöser Betätigung wird sich nicht als Hindernis erweisen, da es im Irak keine Verpflichtung zur religiösen Betätigung gibt und auch keine Religionspolizei eingerichtet ist. Der Beschwerdeführer wird deshalb nicht gezwungen sein, die Moschee zu besuchen oder Gebete zu verrichten. Dass er mit einer solchen Verhaltensweise in einer Großstadt von mehreren hunderttausend Menschen Aufmerksamkeit erregt, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ausgeschlossen.

 

2.5.11. Zusammenfassend hält das Vorbringen des Beschwerdeführers der vorgenommenen Überprüfung des realen Hintergrundes der vorgetragenen Fluchtgeschichte nicht stand, es erweist sich ferner als in wesentlichen Aspekten als nicht plausibel und es was die Schilderung von vagen Angaben und von Unsicherheiten gekennzeichnet. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist sohin in einer Gesamtwürdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens als nicht glaubhaft zu qualifizieren.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kann in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen daher nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise Drohungen oder Übergriffen einer schiitischen Miliz oder eines ihrer Mitglieder aufgrund seiner Tätigkeit für die BP p.l.c. auf dem Ölfeld in Rumaila bei Basra ausgesetzt war.

 

Da der vorgebrachte ausreisekausale Vorfall nicht festgestellt werde kann, ergibt sich daraus auch keine Rückkehrgefährdung. Im Hinblick auf die vorgebrachte Religionslosigkeit wurde bereits eingangs erörtert, dass sich aus diesem Aspekt ebenfalls keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefährdung im Rückkehrfall ableiten lässt. Deshalb kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer infolge einer tatsächlichen oder ihm unterstellten Abkehr vom Islam im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung unterliegen würde oder psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

 

2.6. Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung des Beschwerdeführers sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer keine mit seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit oder seinen religiösen Anschauungen in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise substantiiert vor.

 

2.7. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt hat, war dem Folgend zur Feststellung zu gelangen, dass er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in Basra nicht, dass sich in Basra einerseits gelegentlich terroristische Anschläge und auf Stammeskonflikte ereignen, die zu einer gewissen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen führen. Darüber hinaus fanden mit gewaltsamen Ausschreitungen verbundene Massenproteste infolge der schlechten Versorgungslage sowie gegen Misswirtschaft und Korruption statt, die zu einem Einschreiten der Sicherheitskräfte führte, was fallweise Verletzte und Tote nach sich zog. Dem steht gegenüber, dass Basra ausweislich der statistischen Daten zu den sichereren Provinzen des Irak gehört. Offene Kampfhandlungen finden in Basra nicht statt. Ausweislich der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 08.03.2018 zur Sicherheitslage in Basra waren vom Islamischen Staat ausgehende terroristische Aktivitäten in Basra zur in geringerem Umfang zu verzeichnen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in Basra im Wege einer Gegenüberstellung der Einwohnerzahl zu den sicherheitsrelevante Vorfällen dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Basra davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, eine Stammeskonfliktes oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad).

 

Im Hinblick auf die bei Massenprotesten erfolgten gewaltsamen Ausschreitungen ist ferner aus den in das Verfahren eingeführten und den vom Beschwerdeführer vorgelegten länderkundlichen Berichten nicht erkennbar, dass die fallweise Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte gegen andere Personen als Protestierende gerichtet wäre. Aufgrund der stattfindenden Proteste hat der Beschwerdeführer deshalb nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, als im Gouvernement Basra präsente Zivilperson Opfer von Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte zu werden. Darüber hinaus ist aus den länderkundlichen Berichten ersichtlich, dass sich mehrere Protestwellen ereigneten, sich die Lage jedoch zwischenzeitlich immer wieder beruhigte und die Opferzahlen an sich gegen eine hohe Anzahl von Gewaltexzessen sprechen. In jedem Fall kann keine Rede davon sein, dass aufgrund der im Gouvernement Basra fallweisen stattfindenden Proteste - mögen diese auch wieder fallweise mit Ausschreitungen verbunden sein - von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen werden müsste.

 

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört nicht den staatlichen Sicherheitskräften an und es ist kein Grund erkennbar, weshalb er in bewaffnete Stammeskonflikte verwickelt werden sollte. Er brachte schließlich auch nicht vor, sich im Fall einer Rückkehr in das Gouvernement Basra an den dortigen Protesten beteiligen zu wollen, sodass eine sich daraus potentiell ergebende Gefährdung an dieser Stelle grundsätzlich ausgeschlossen werden kann.

 

Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.3. beruhen schließlich auf den Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Lebenslauf und zu seiner Verfassung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer ist in XXXX geboren und aufgewachsen und mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seinem Herkunftsstaat vertraut. Er hat in XXXX hervorragende Schulbildung konsumiert und sein Auskommen mehrere Jahre durch eigene Erwerbstätigkeit als unselbständig und selbständig beschäftigter Elektriker bestritten. Es steht dem Beschwerdeführer frei, dieser Erwerbstätigkeit im Rückkehrfall neuerlich nachzugehen. Da er über Berufserfahrung im Ölsektor verfügt, kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass er in dieser Branche neuerlich eine Beschäftigung finden wird.

 

Da der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise Unterkunft in einem Haus im Eigentum seiner Familie in XXXX nahm und der ausreisekausale Vorfall als nicht glaubwürdig zu verwerfen ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall neuerlich eine Wohnmöglichkeit vorfinden wird. Er ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt und dermaßen eine Grundsicherung bei der Nahrungsmittelversordnung hergestellt wird.

 

Davon abgesehen gehört der Beschwerdeführer keiner ethnischen Minderheit an, er ist arbeitsfähig und gesund, sodass auch diesbezüglich keine Vulnerabilität in Ansehung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr erkannt werden kann.

 

Da der Beschwerdeführer nach wie vor über Verwandte in XXXX verfügt, nämlich seine Mutter, drei Brüder und eine Schwester, wird er auch sozialen Anschluss im Irak vorfinden. Seine Brüder sind allesamt erwerbstätig und seine Mutter bezieht eine Witwenpension, sodass von einem hinreichend hohen Familieneinkommen ausgegangen werden kann, welches im Rückkehrfall auch eine anfängliche Unterstützung des Beschwerdeführers zulässt.

 

Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die durchlaufende Ausbildung und die im Herkunftsstaat ausgeübte Berufstätigkeit und dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck. Ferner brachte der Beschwerdeführer keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden.

 

Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Seitens des Beschwerdeführers wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in seinen Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist. Der Beschwerdeführer gab diesbezüglich auch explizit an, dass die Versorgung mit Grundnahrungsmittelung und Trinkwasser keine Schwierigkeit darstelle.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

 

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

 

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z 2 GFK liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.

 

Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist demgemäß nicht zu beanstanden und kommt der Beschwerde insoweit keine Berechtigung zu.

 

3.1.3. Im Übrigen ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen zur Lage von Atheisten im Irak aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes eindeutig, dass Personen mit säkularer, religionsloser Einstellung im Irak keine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

 

Den Feststellungen zufolge hat der Atheismus im Irak tiefgehende historische Wurzeln und ist infolge des gesellschaftlichen Wandels mittlerweile in allen gesellschaftlichen Gruppen und Altersgruppen verbreitet. Zwar deklarieren sich Personen noch selten öffentlich als säkular orientiert bzw. als Atheist, jedoch zeugen die Feststellungen von einem intensiven Diskurs unter säkular orientierten Personen und Atheist - vorrangig im Internet unter Verwendung sozialer Netzwerke, jedoch auch im Wege einschlägiger Buchhandlungen etwa in Bagdad, die von offizieller Seite offenbar geduldet werden. Die festgestellten Aussagen zum Atheismus im Irak zeugen ferner davon, dass gerade rezente Phänomene wie Korruption, Gewalt und religiöse Gegensätze im Irak das Phänomen des Atheismus bzw. einer säkularen Einstellung insbesondere unter jungen Leuten fördern, da die vorherrschenden religiösen Auffassungen als Grund für die Schwierigkeiten im Irak identifiziert werden.

 

Im Hinblick auf die festgestellten Einzelschicksale ist zunächst von wesentlichen Bedeutung, dass keine Erkenntnisse über Übrigriffe oder Gewaltanwendung gegenüber Atheisten oder säkular orientierten Personen im Irak vorliegen. Zwar berichten einige der von Medien befragten Atheisten davon, dass die Gefahr einer Verfolgung durch religiöse Extremisten bestehen könne. Tatsächliche Übergriffe sind jedoch nicht dokumentiert. Lediglich in einem Einzelfall im Jahr 2015 ist eine Bedrohung feststellbar, die zu einer Auswanderung führte. Ausgehend von einer erwiesener Maßen ansteigenden Anzahl junger irakischer Männer und Frauen, die sich dem Atheismus zuwenden (bereits im Jahr 2011 verneinten sieben Prozent der Befragten, an Gott zu glauben), kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes demnach nicht von einer Verfolgung von Atheisten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Irak auszugehen. Eine nur entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt in dieser Hinsicht nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

 

Die getroffenen Feststellungen deuten vielmehr darauf hin, dass der Atheismus im Irak gerade für junge Menschen eine Form der Ablehnung der herrschenden Klasse von Politikern, die islamischen Gremien vorstehen und religiöse Predigten halten würden, darstellt und sich deshalb aufgrund der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Lage sowie der religiösen Differenzen - auch infolge der Kampfhandlungen mit dem Islamischen Staat - als Phänomen eines zunehmenden gesellschaftlichen Wandels darstellt. Die dagegen gerichtete politische Rhetorik und die Äußerungen radikaler religiöser Vertreter sind als Teil dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sehen. Ferner ist zu erwarten, dass eine atheistische Betätigung gewisse Folgen in Form von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung seitens gläubiger Muslime oder religiöser Gruppierungen zeitigt. Dass daraus eine asylrelevante Verfolgung von säkular orientierten Personen, Atheisten oder Personen, denen Atheismus unterstellt wird, erwachsen ist, kann aus den getroffenen Feststellungen jedoch nicht abgeleitet werden. Insbesondere fehlen jegliche Anhaltspunkte für tatsächlich erfolgte Übergriffe auf Atheisten mit maßgeblicher Intensität und in nennenswerter Anzahl.

 

Atheismus ist im Irak nicht unter Strafe gestellt. Soweit das irakische Strafgesetzbuch die Beleidigung einer Religion bzw. einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Praktiken, oder die öffentliche Beleidigung eines Symbols oder einer Person, die Gegenstand der Heiligung, des Gottesdienstes oder des Gottesdienstes ist, unter Strafe stellt, ist darauf hinzuweisen, dass die Herabwürdigung religiöser Lehren und die Störung einer Religionsübung auch im Bundesgebiet nach Maßgabe der §§ 188 und 189 StGB strafbar sind. Die angeführten Strafbestimmungen sind vom Gedanken getragen, dass das Menschenrecht der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 14 StGG, Art, 9 EMRK) neben der negativen Glaubensfreiheit dem Einzelnen auch ermöglichen soll, seinen Glauben frei und zu ungestört leben. Ein gewisser - auch strafrechtlicher - Schutz der Religionsausübung ist daher nicht nur hinzunehmen, sondern in der freien und demokratischen Gesellschaft notwendig. Das Strafmaß des Art. 372 des irakischen Strafgesetzbuches 1969 ist in diesem Zusammenhang nicht als exzessiv anzusehen. Im Verbot der Beleidigung einer Religion bzw. einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Praktiken kann demnach noch keine potentiell asylrelevante Verfolgung erkannt werden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die zitierte Strafbestimmung zweckwidrig gegen Atheisten eingesetzt werden kann. Die dazu erhobenen Sachverhalte beschränken sich jedoch auf zwei Einzelfälle, wobei eine Verurteilung eines Atheisten nicht festgestellt werden konnte. Der Vorfall betreffen einen Schüler in Erbil liegt ferner bereit mehrere Jahre zurück. Die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, als Atheist Opfer von justizieller Willkür im Irak zu werden, ist demnach in Anbetracht der getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht gegeben.

 

Selbst im Fall einer nach außen tretenden säkularen oder gar atheistischen Einstellung des Beschwerdeführers wäre demnach aufgrund der getroffenen Feststellungen keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat gegeben.

 

3.1.4. Soweit in den einschlägigen Berichten von einem geringfügig erhöhten Entführungsrisiko in XXXX zum Zweck der Erpressung von Lösegeld ausgegangen wird, ist schließlich festzuhalten, dass eine nur auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Konvention genannten Gründe zugeordnet werden kann und demgemäß nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führen kann (VwGH 24.02.2004, Zl. 2002/01/0085; 26.11.2014, Ra 2014/19/0059). Nur wenn der Heimatstaat aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu.

 

Das abstrakte Risiko, einer auf kriminellen Motiven - nämlich der Erpressung von Lösegeld - beruhenden Entführung ausgesetzt zu sein, würde somit ebenfalls nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führen, zumal diesem Risiko die im Irak lebende Bevölkerung unterschiedslos ausgesetzt ist. Im gegenständlichen Fall wurde auch nicht vorgebracht, dass der Beschwerdeführer die Verweigerung staatlichen Schutzes fürchtet bzw. dass dies aus einem den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Grund geschehen würde. Für eine solche Befürchtung besteht demgemäß kein Anlass. Im Übrigen berichten die länderkundlichen Berichte zwar von Insuffizienzen im Hinblick auf die irakischen Sicherheitskräfte, dass diese jedoch bestimmten Bevölkerungsteilen im Irak aus in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK genannten Gründen staatlichen Schutz vor kriminellen Aktivitäten von vornherein verweigern würden, kann nicht erkannt werden. Der Beschwerdeführer gehört ferner dem in XXXX mehrheitlich vertretenen schiitischen Glauben sowie der mehrheitlich vertretenen arabischen Volksgruppen an, sodass eine Diskriminierung beim Zugang zu staatlichen Leistungen und staatlichem Schutz unter diesen Aspekten ausgeschlossen werden kann.

 

3.2. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

 

Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der EGMR aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

 

3.2.2. Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

 

3.2.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).

 

3.2.4. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

 

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07 ). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen:

ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

 

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

 

3.2.5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

 

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage in XXXX nicht, dass sich in XXXX einerseits gelegentlich terroristische Anschläge und auf Stammeskonflikte ereignen, die zu einer gewissen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen führen. Darüber hinaus fanden mit gewaltsamen Ausschreitungen verbundene Massenproteste infolge der schlechten Versorgungslage sowie gegen Misswirtschaft und Korruption statt, die zu einem Einschreiten der Sicherheitskräfte führte, was fallweise Verletzte und Tote nach sich zog. Dem steht gegenüber, dass Basra ausweislich der statistischen Daten zu den sichereren Provinzen des Irak gehört. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in Basra im Wege einer Gegenüberstellung der Einwohnerzahl zu den sicherheitsrelevante Vorfällen dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Basra davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, eine Stammeskonfliktes oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Offene Kampfhandlungen finden in Basra nicht statt.

 

Außerdem hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen im Sinn der vorstehend zitierten Rechtsprechung dahingehend erstattet, noch kann aus den allgemeinen Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in Basra mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch terroristische Anschläge oder auf kriminellen oder stammesbezogenen Motiven beruhenden Gewalttaten ausgesetzt wäre.

 

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hervorragender Ausbildung in der Schule und langjähriger Berufserfahrung im Herkunftsstaat als Elektriker. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden, zumal dieser sein Auskommen im Irak mehrere Jahre durch eigene unselbständige und abschnittsweise auch selbständige Erwerbstätigkeit bestritten hat.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht demnach davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak und dort in seiner Heimatstadt XXXX grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener Erwerbstätigkeit als Elektriker ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften. Ferner ist davon auszugehen, dass er bei seinen Angehörigen Unterstützung durch Zurverfügungstellung von Wohnraum und Nahrung sowie durch sozialen Anschluss finden wird. Das Haus inXXXXsteht nach wie vor im Eigentum seiner Mutter, sodass das Wohnbedürfnis des Beschwerdeführers im Rückkehrfall jedenfalls befriedigt ist. Seine Mutter und seine drei Brüder sind durch eigene Einkommen abgesichert, sodass von einer Unterstützungsmöglichkeit durch das familiäre Netz zumindest in der Anfangsphase einer Rückkehr auszugehen ist.

 

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht vor. Dass die Versorgungssituation in Basra an sich unzureichend sei, wurde nicht vorgebracht und diesbezügliche Schwierigkeiten vom Beschwerdeführer auch auf Nachfrage nicht dargelegt. Der Beschwerdeführer selbst ist in Anbetracht seines persönlichen Profils auch keine in diesem Kontext vulnerable Person. Soweit in den Feststellungen zur Lage im Irak und den vorgelegten Beweismitteln abschnittsweise auf eine prekäre Versorgungssituation in Basra - insbesondere nach Verunreinigungen des Trinkwassers - hingewiesen wird, kann trotz dieser Unzulänglichkeiten nicht von einer derart schlechten Versorgungssituation gesprochen werden, dass eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen würde. Ungeachtet der prekären Versorgungssituation ist nämlich keine erhöhte Anzahl von Erkrankungen bzw. Todesfällen infolge Mangelversorgung festzustellen. Darüber hinaus leben die Angehörigen des Beschwerdeführers weiterhin in XXXX und es wurde im Verfahren nicht vorgebracht, dass diese mit maßgeblichen Schwierigkeiten in Bezug auf die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und Trinkwasser konfrontiert wären.

 

3.2.6. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

 

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

 

3.3. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

3.3.1. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16928/2003).

 

Der Begriff des Familienlebens ist nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein. Maßgebend sind etwa das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR U 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74; GK 22.04.1997, X, Y u. Z gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21830/93).

 

Der Beschwerdeführer lernte im zweiten Halbjahr 2016 beim Deutschunterricht die österreichische Staatsbürgerin XXXX, kennen und unterhält mit dieser seit dem Halbjahr 2017 eine Beziehung. Er lebt mit seiner Freundin allerdings nicht im gemeinsamen Haushalt zusammen, er beabsichtigt keine Eheschließung und es hat sich die Verbundenheit auch nicht durch gemeinsame Kinder oder auf eine andere Weise - etwa durch ein gemeinsames Unternehmen, gemeinsames Eigentum oder anderweitige Abhängigkeiten - manifestiert. Der Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Verhandlung auch den Eindruck, dass ihm ein selbständiges Leben wichtig ist und er deshalb auch weiterhin in der im Rahmen der Grundversorgung zur Verfügung gestellten Unterkunft seinen Wohnsitz unterhalten möchte. Ein greifbarer Wunsch nach einer Eheschließung konnte seinen Ausführungen ebenfalls nicht entnommen werden. In Anbetracht der vorgebrachten gemeinsamen Aktivitäten und der vorgelegten Lichtbilder gelangt das Bundesverwaltungsgericht zur Auffassung, dass die Beziehung vorwiegend der gemeinsamen Freizeitgestaltung dient, diese jedoch nicht die Intensität erreicht, dass von einem Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK gesprochen werden kann, auch wenn der Beschwerdeführer seine Freundin oft besucht, im Haushalt hilft und auch bei ihr übernachtet.

 

Es ist daher im Ergebnis nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein schützenswertes Familienleben führt, wobei die Klärung dieser Frage aber ohnehin dahingestellt bleiben kann, da - wie in weiterer Folge aufzuzeigen sein wird - vom Vorliegen eines Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich auszugehen ist und die eingegangenen Beziehung einen Aspekt dieses Privatlebens darstellt, die sodann vorzunehmende Interessenabwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich und den öffentlichen Interessen an einer Außerlandesschaffung verläuft beim Recht auf Privat- und beim Recht auf Familienleben im Übrigen gleich.

 

3.3.2. Der Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff im Sinn des Art 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist voranzustellen, dass die Rückkehrentscheidung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.

 

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Die Konventionsstaaten sind nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (EGRM U 30.10.1991, Vilvarajah u.a. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 13163/87).

 

Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen des Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten regelmäßig ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfSlg. 17.516/2005).

 

3.3.3. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).

 

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99; vgl. VwGH 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.

 

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann - ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

 

Bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen § 9 Abs. 2 BFA-VG entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erkenntnissen VfSlg. 18.224/2007 und VwGH 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Leitlinien, welche im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 19.203/2010 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (vgl. auch VfSlg. 19.357/2011).

 

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten wie insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes, relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich (VwGH 2.10.1996, Zl. 95/21/0169; 28.06.2007, Zl. 2006/21/0114; VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

 

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

 

Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).

 

Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

 

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat.

 

3.3.4. In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung des Beschwerdeführers ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:

 

Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.2015 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des sohin erst noch nicht einmal dreieinhalbjährigen faktischen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ist noch dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt im Übrigen ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031 mwN). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, Zl. 2007/10/0479, davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte.

 

Der Beschwerdeführer hat hierorts keine belegten Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen und ist zum Entscheidungszeitpunkt zur Sicherstellung seines Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Der Beschwerdeführer hat zudem weder eine bestimmte Erwerbstätigkeit in Aussicht noch verfügt er über eine diesbezügliche verbindliche Einstellungszusage. Ihm wurde zwar eine Erwerbstätigkeit als Reinigungskraft in einem Pflegeheim "unter Vorbehalt eines positiven Asylbescheides" sowie als Transport- und Verkaufshilfe in einem Lebensmittelhandel in Aussicht gestellt, der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist damit jedoch keineswegs gewiss, zumal die Zusage nicht als (vorvertragliche) Bindung des präsumtiven Arbeitsgebers anzusehen ist und in ersterem Fall sogar an die (hier nicht erfolgte) Gewährung von internationalem Schutz geknüpft ist.

 

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zl. 98/18/0420).

 

Im gegenständlichen Verfahren ist insgesamt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer festzustellen, die den zuständigen Behörden zur Last zu legen wäre (vgl. hiezu auch VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).

 

Zugunsten des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass er gemeinnützige Arbeiten leistete und in seiner Unterkunft Remunerationstätigkeiten leistet, indem er bei der Grundreinigung mitwirkt und dafür EUR 4,00 pro Stunde erhält. Ferner wirkt er als freiwilliger Helfer in einer Wohngemeinschaft der Haus der Barmherzigkeit Integrationsteam GmbH und unterstützte zumindest zwei Mal in der Woche das dort tätige Betreuerteam im Gesamtausmaß von 10 Stunden.

 

Der Beschwerdeführer besuchte außerdem zahlreiche Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau B2, und absolvierte die Prüfung auf dem Niveau B1 am 16.05.2018. Der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, stellen zweifellos ein Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar. Die gesamte Stufe "A" (A1 und A2) bezieht sich nach dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts auf den Standard der elementaren Sprachverwendung und reichen die derartigen Ausbaustufen aber bis zum Stand "C2", welcher einer nahezu muttersprachlichen Verwendung der jeweiligen Sprache - hier Deutsch - gleichkommt. Ausgehend davon wird mit der Absolvierung der Prüfung auf dem Niveau B1 nach drei Jahren Aufenthalt und eines Kurses auf dem Niveau B2 nach dreieinhalb Jahren Aufenthalt Engagement beim Spracherwerb dargetan.

 

Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über soziale Kontakte im festgestellten Umfang. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und hat hier keine Verwandten. Personen aus seinem Umfeld und seine Sprachlehrer attestieren ihm Zuverlässigkeit, Interesse und Motivation. Ein vereinsmäßiges Engagement war nicht feststellbar, der Beschwerdeführer nimmt allerdings an Integrationsangeboten teil und absolvierte insbesondere Kurse und Veranstaltungen der Volkshochschule Hietzing und des Projekts Integrationsarbeit und Gesundheitsförderung im öffentlichen Raum.

 

Demgegenüber verbrachte der Beschwerdeführer den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens - nämlich 31 Jahre - im Herkunftsstaat, wurde dort sozialisiert und spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er dort über Bezugspersonen in Form seiner Kernfamilie - seiner Mutter, seiner drei Brüder und seiner Schwester - verfügt. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Aufgrund der Präsenz von nahen Angehörigen im Herkunftsstaat ist auch gegenwärtig von starken Bindungen zu diesem auszugehen, wobei eine Existenzgrundlage des Beschwerdeführers bereits vorstehend bejaht wurde (siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 2.7, vgl. VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296, zur Maßgeblichkeit der Bindungen zum Herkunftsstaat vgl. auch VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323).

 

Der sohin grundsätzlich nicht unbeachtlichen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Auch wenn der Beschwerdeführer über mannigfache soziale Kontakte verfügt, mit der Ablegung der Prüfung auf dem Niveau B1 und des Kursbesuchs auf dem Niveau B2 einen leicht überdurchschnittlichen Spracherwerb aufweist und sich sozial engagiert, stehen dem die insgesamt vertretbare Verfahrensdauer, die unberechtigte Antragstellung, die unrechtmäßige Einreise und der erst vergleichsweise kurze Aufenthalt von nicht einmal dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet, währenddessen sich der Beschwerdeführer und sein soziales Umfeld - insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides - der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein mussten. Darüber hinaus ist der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht gewiss.

 

Ergänzend zu den vorstehend in Betracht gezogenen Gesichtspunkten des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist - wie eingangs erwähnt - von einem weiteren Aspekt des Privatlebens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufgrund der eingegangenen Beziehung auszugehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betont in diesem Zusammenhang, dass bei der Abwägung in Betracht zu ziehen ist, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

 

Nach der zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist bei der Bewertung der Zulässigkeit des Eingriffs in familiäre und private Beziehungen darauf zu achten, ob die vorhandenen Familienbande zu Staatsbürgern des Aufenthaltsstaates während einer rechtmäßigen Niederlassung des Fremden begründet wurden oder nicht und ob sich im Fall einer Unrechtmäßigkeit der Niederlassung der Fremde dieser der Unsicherheit seines weiteren rechtlichen Schicksals bewusst sein musste (VwGH 31.03.2008, Zl. 2007/18/0483 mwN). Werden die Familienbande zu einem Zeitpunkt begründet, in dem der Fremde im Inland weder rechtmäßig niedergelassen war, noch mit einer Bewilligung seiner Niederlassung rechnen konnte, so erfahren die aus der familiären Bindung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung (VwGH 27.02.2003, Zl. 2002/18/0207). In Ansehung des Beschwerdeführers wurde das Privatleben mit seiner Freundin zu einem Zeitpunkt begründet, in dem sich der Beschwerdeführer im laufenden Asylverfahren befand und er sich demgemäß der Unsicherheit seines weiteren rechtlichen Schicksals bewusst gewesen sein musste. Ausgehend davon erfährt das von der eingegangenen Bindung abzuleitende persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet im Sinn der zitierten Rechtsprechung eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung und vermag bei einer Gesamtwürdigung das bereits erörterte öffentliche Interesse an einer Außerlandesbringung nach Abschluss des asylrechtlichen Verfahrens und der Einhaltung der aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen nicht aufzuwiegen. Auch der Verwaltungsgerichtshof betont, dass, ein durch Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt - hier herbeigeführt durch eine unberechtigte Asylantragstellung - keinen Anspruch aus Art. 8 EMRK bewirken kann (z.B. VwGH 24.01.2018, Ra 2016/01/0127; 14.12.2018, Ra 2017/01/0169). Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu verhaltenden Drittstaatsangehörigen führen (EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06; VfSlg. 19.086/2010

 

Im gegebenen Zusammenhang ist ferner von Bedeutung, dass sich der Beschwerdeführer hinsichtlich der gemeinsamen Zukunft mit seiner Freundin wenig entschlossen zeigte und er die eingegangene Beziehung gegenüber dem belangten Bundesamt verschwieg und diese im Rechtmittelverfahren auch erst in der mündlichen Verhandlung vorbrachte. Ein erkennbares beachtliches Interesse des Beschwerdeführers, seine Beziehung als wesentlichen Aspekt seines schützenswerten Privatlebens im Bundesgebiet in das behördliche und gerichtliche Verfahren einzubringen, kann demgemäß nicht erkannt werden.

 

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren - etwa durch die Erlangung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger nach einer Eheschließung - und dermaßen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet bei seiner Freundin im Wege einer rechtmäßigen Einreise herbeizuführen. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

 

Soweit der Beschwerdeführer über private Bindungen in Österreich verfügt, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wäre, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, oder zu seiner Freund, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch gemeinsame Urlaubsaufenthalte etwa in der Türkei, die von irakischen Staatsbürgern mit einem Touristenvisum leicht aufgesucht werden kann, etc.) aufrecht zu erhalten.

 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes würde es ferner einen Wertungswiderspruch und eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Fremden, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, darstellen, zumal diese letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde). Dem Beschwerdeführer steht es ferner - wie bereits angesprochen - frei, sich um einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu bemühen und die dafür gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltstitel zu beantragen.

 

Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht - wie bereits das belangte Bundesamt - zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen des Beschwerdeführers im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK gerade noch nicht so ausgeprägt sind, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen. Wiewohl sich der Beschwerdeführer sich sozial engagierte, gute Kenntnisse der deutschen Sprache erwarb und eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen eingegangen wurde, überwiegen dennoch gerade noch die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung in Anbetracht der vertretbaren Verfahrensdauer, der unberechtigten Antragstellung, der unrechtmäßigen Einreise und des erst vergleichsweise kurzen Aufenthaltes von nicht einmal dreieinhalb Jahren im Bundesgebiet, währenddessen sich der Beschwerdeführer und sein soziales Umfeld - insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides - der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein mussten, sowie schließlich die mangelnde wirtschaftliche Verankerung.

 

In diesem Zusammenhang ist abschließend auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).

 

3.3.5. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht ferner vor, dass eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn etwa - wie hier - der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

 

Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde vom Beschwerdeführer selbst nichts dahingehend dargetan. Dem Beschwerdeführer ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

3.3.6. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.

 

3.3.7. Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen zutreffend festgestellt, dass eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu unterbleiben hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.

 

4. Schließlich sind im Hinblick auf §§ 52 Abs. 9 iVm 50 FPG und die dazu oben getroffenen länderkundlichen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak unzulässig wäre.

 

5. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Die eingeräumte Frist ist angemessen und es wurde diesbezüglich auch in der Beschwerdeschrift kein Vorbringen erstattet.

 

6. Der angefochtene Bescheid erweist sich ob der vorstehenden Ausführungen als rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene Beschwerde in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen ist.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz und zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

 

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

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