BVwG W234 2135275-3

BVwGW234 2135275-311.2.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W234.2135275.3.00

 

Spruch:

W234 2009362-3/10E

 

W234 2135281-3/5E

 

W234 2135279-3/9E

 

W234 2135277-3/9E

 

W234 2135275-3/9E

 

W234 2195577-2/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 und § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX ) XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 und § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

 

III. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1.1. Mit den hier angefochtenen Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) wurden Folgeanträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 27.07.2018 für den Status von Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (jeweils Spruchpunkte I und II). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden den Beschwerdeführern nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 gegen die Beschwerdeführer erlassen (jeweils Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V). Den Beschwerdeführern komme keine Frist für Ihre freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 zu (jeweils Spruchpunkt VI). Schließlich wurde gegen sämtliche Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 FPG 2005 ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (jeweils Spruchpunkt VII).

 

1.2. Die Zurückweisung der Folgeanträge auf internationalen Schutz begründet das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass kein - verglichen mit dem letzten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren - wesentlich geänderter Sachverhalt vorliege.

 

Der Erstbeschwerdeführer habe keine seit Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 wesentlich geänderten Fluchtgründe glaubhaft vorgebracht; auch die übrigen Beschwerdeführer würden ihre Anträge mit der Bedrohung des Erstbeschwerdeführers im Herkunftsstaat begründen. An der mangelnden Glaubwürdigkeit der nunmehr behaupteten Fluchtgründe würden auch die durch den Erstbeschwerdeführer beigebrachten Beweismittel - insbesondere ein Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 21.06.2018, wonach der Erstbeschwerdeführer in Abwesenheit zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, sowie ein Video, das eine Abbildung des Erstbeschwerdeführers als Teil einer Kollektion von Abbildungen polizeilich zur Fahndung ausgeschriebener Personen zeigen soll, nichts ändern. Auch hätten sich die örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation seit der letzten inhaltlichen Asylentscheidung nicht maßgeblich geändert.

 

Auch in der Erkrankung der Drittbeschwerdeführerin - sie leide an Hypothyreose - liege keine wesentliche Sachverhaltsänderung.

 

Da sich auch die maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht wesentlich geändert hätten, seien die Anträge auf internationalen Schutz mithin wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Den Beschwerdeführern seien auch keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

 

Gegen die Beschwerdeführer seien Rückkehrentscheidungen zu erlassen. Da sämtliche Familienmitglieder von Rückkehrentscheidungen betroffen seien, werde in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens nicht eingegriffen. Der mit der Rückkehrentscheidung einhergehende Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens erscheine gerechtfertigt: Ihr Aufenthalt in Österreich sei nur auf wiederholte Asylanträge zurückzuführen. Nie sei den Beschwerdeführern ein Aufenthaltsrecht abseits jenes in Asylverfahren zugekommen. Auch würden bei den Beschwerdeführern keine Erkrankungen vorliegen, welche ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Ferner sei keine Gefährdung der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation erkennbar, welche der Zulässigkeit ihrer Abschiebung dorthin entgegenstehen würde.

 

Schließlich komme den Beschwerdeführern wegen der Zurückweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 keine Frist für eine freiwillige Ausreise zu.

 

Gegen sämtliche Beschwerdeführer würden ein befristete Einreiseverbote in der Dauer von zwei Jahren erlassen.

 

Diese Bescheide wurden den Beschwerdeführern am 05.12.2018 zugestellt.

 

Gegen diese Bescheide richten sich die hier zu erledigenden Beschwerden (BF1-AS 555 ff), welche am 14.12.2018 beim Bundesamt einlangten sowie die ergänzenden Beschwerdeschriften vom 19.12.2018. Die Beschwerdeführer rügen im Wesentlichen die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens des Bundesamtes und die Fehlerhaftigkeit von dessen rechtlicher Beurteilung. Es liege nämlich keine res iudicata vor. Die Drittbeschwerdeführerin leide an Hypothyreose. Die Behörde habe zur Behandlungsmöglichkeit in Russland keine ausreichende Ermittlungstätigkeit gesetzt. Das Kindeswohl der Drittbeschwerdeführerin und des Viert-, Fünft-, und Sechstbeschwerdeführers sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der lange Aufenthalt der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin hätte zu einem Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 in Österreich führen müssen. Den Beschwerdeführern drohe wegen der prekären Sicherheitslage in der Russischen Föderation im Fall ihrer Rückkehr eine Verletzung von Art. 3 und Art. 2 EMRK. Das Verfahren sei nicht mit der erforderlichen Tiefe geführt worden. Die Beschwerdeführer berufen sich auf näher genannten Berichte, wonach die Sicherheitslage im gesamten Nordkaukasus stark risikobehaftet sei. Es liege damit keine entschiedene Rechtssache vor. Zudem erscheine die Verhängung von Einreiseverboten als unzulässig.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage sämtlicher Asylanträge der Beschwerdeführer, ihrer Einvernahmen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der bisherigen Verfahrensergebnisse des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide vom 30.11.2018, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, das Zentrale Melderegister, das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister der Republik Österreich werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zu den bisherigen Verfahren:

 

Der Erstbeschwerdeführer reiste im Oktober 2013 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.10.2013 einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz ein. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern im Februar 2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte für sich und die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer am 26.02.2015 (erste) Anträge auf internationalen Schutz. Diese (ersten) Anträge auf internationalen Schutz der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer wies letztlich das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 13.10.2017 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, sodass Erst- bis Fünftbeschwerdeführer durch Rückkehrentscheidungen zum Verlassen des Bundesgebiets verpflichtet wurden.

 

Nach der Geburt des minderjährigen Sechstbeschwerdeführers am 20.12.2017 im österreichischen Bundesgebiet, stellten die Beschwerdeführer am 26.01.2018 (weitere) Anträge auf internationalen Schutz. Diese wurden in der Sache behandelt und mit Sammelerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2018 W236 2009362-2, 2135281-2, 2135279-2, 2135277-2, 2135275-2, 2195577-1 (hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status von Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten) als unbegründet abgewiesen; dieses Sammelerkenntnis sah Rückkehrentscheidungen gegen sämtliche Beschwerdeführer vor. Dieses Sammelerkenntnis begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlich damit, dass das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers nicht als glaubhaft gemacht habe festgestellt werden können. Konkret habe nicht festgestellt werden können, dass der Erstbeschwerdeführer den Ehemann seiner Cousine, welcher dem Vorbringen nach Widerstandskämpfer gewesen sei und dem seitens der Behörden ein im September 2011 auf den Polizeiabteilungsleiter der Stadt XXXX verübtes Attentat vorgeworfen worden sei, seit dem Jahr 2001 mittels Obdachgewährung unterstützt hätte. Es habe weiters nicht festgestellt werden können, dass der Erstbeschwerdeführer wegen dieser Unterstützungsleistungen bzw. der Beteiligung an dem Attentat am 09.09.2013 von Polizisten von zu Hause mitgenommen, drei Tage lang festgehalten, verhört und zu bestimmten Personen befragt worden sei, wobei er erst nach Intervention durch einen Bekannten, welcher der Polizeileiter der Stadt gewesen sein soll, wieder freigekommen sei, um unmittelbar darauf die Flucht nach Europa anzutreten. Es habe ferner nicht festgestellt werden können, dass das Haus der Beschwerdeführer im Februar 2014 umstellt worden sei und die Zweitbis Fünftbeschwerdeführer sich fortan dort nicht mehr hätten aufhalten können. Ebenso habe auch sonst nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätten. Weiters seien auch keine stichhaltigen Gründe dafür vorgelegen, dass die Beschwerdeführer konkret Gefahr gelaufen wären, in ihrem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

 

Beweiswürdigend hielt die meritorische Entscheidung vom 26.01.2018 W236 2009362-2, 2135281-2, 2135279-2, 2135277-2, 2135275-2, 2195577-1 fest, dass infolge der gravierenden Widersprüche zwischen den Angaben des Erstbeschwerdeführers und seiner Gattin die Fluchtgründe als unglaubwürdig gewertet würden. Die seitens des Erstbeschwerdeführers und seines Vertreters vorgelegten Filmaufnahmen könnten sein Vorbringen weder belegen noch die aufgezeigten Widersprüche aufklären. Vielmehr würden in diesen Filmsequenzen einerseits Autoverfolgungen ohne Möglichkeit jeglicher Personenidentifizierung gezeigt, andererseits würden Aufnahmen von Militärfahrzeugen in einer Ortschaft gezeigt, die ebenfalls keinerlei Beleg für eine Verfolgung des Beschwerdeführers bildeten. Der Erstbeschwerdeführer nehme gegen seine psychische Belastung diverse Medikamente ein. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin leide an Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Der Erstbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin würden damit an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Wie den aktuellen Länderfeststellungen entnommen werden könne, sei die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat grundsätzlich gewährleistet, sodass auch die Krankheiten der Beschwerdeführer behandelbar seien. Weder der Erstbeschwerdeführer noch die minderjährige Drittbeschwerdeführerin würden an akut lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, welche einer Überstellung in die Russische Föderation entgegenstehen würden.

 

1.2. Zum nunmehrigen Vorbringen

 

Das im nunmehrigen Verfahren erstattete Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, dass er - ausgelöst durch die Vorkommnisse um seinen Cousin und seine Unterstützung desselben im Jahre 2013 - wegen einer fingierten Strafsache seit Abschluss des zuletzt in der Sache behandelten Asylverfahrens durch ein russisches Gericht in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre und dass nach ihm polizeilich gefahndet würde, weist keinen glaubhaften Kern auf, der es gestatten würde, die hier maßgeblichen Folgeanträge in der Sache zu erledigen.

 

Zu den Beschwerdeführern

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute und die Eltern der übrigen Beschwerdeführer. Sämtliche Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der awarischen Volksgruppe und weisen die im Spruch bezeichneten Identitäten auf. Der Erstbeschwerdeführer hält sich seit Oktober 2013 durchgehend im Bundesgebiet auf. Die Zweitbeschwerdeführerin sowie die minderjährige Drittbeschwerdeführerin sowie der Viert- und Fünftbeschwerdeführer halten sich seit Februar 2015 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Der Sechstbeschwerdeführer wurde bereits im Bundesgebiet geboren und hat dieses noch nie verlassen. Die Beschwerdeführer wohnen im gemeinsamen Haushalt und die minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer sind von den Eltern in sozialer und ökonomischer Hinsicht abhängig.

 

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über die Kernfamilie hinaus über keine weiteren Angehörigen.

 

Der Erstbeschwerdeführer nimmt Medikamente gegen erhöhten Blutdruck und absolviert deswegen kardiologische Kontrolltermine; schon zumindest seit dem 06.01.2018 leidet er unter erhöhtem Blutdruck. Zudem leidet der Erstbeschwerdeführer an einer Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst, F41.0) und einer rezidivierenden depressiven Störung mittleren Grades mit somatischem Syndrom (F33.11), steht deswegen in medikamentöser Behandlung und absolviert seit fünf Jahren Termine bei einem Psychiater, zuletzt im Intervall von ein- bis zweimal pro Monat. Auch leidet er schon zumindest seit dem 06.01.2018 an latenter Tuberkulose und Schuppenflechte. Ansonsten ist der Erstbeschwerdeführer gesund. Die Drittbeschwerdeführerin leidet an Hyperthyreose (Schilddrüsenunterfunktion) und absolviert zweimal im Jahr ärztliche Kontrolltermine; ansonsten ist sie gesund. Die übrigen Beschwerdeführer sind gesund.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin ist nicht schwanger.

 

Die Angehörigen der Beschwerdeführer leben im Herkunftsstaat in XXXX (so der Bruder, die Schwestern und der Vater des Erstbeschwerdeführers sowie die Mutter, der Bruder und die Schwestern, Tanten, Onkel und Cousins der Zweitbeschwerdeführerin). Die Drittbeschwerdeführerin, der Viert- und Fünftbeschwerdeführer besuchen gegenwärtig die Volksschule XXXX . Die Drittbeschwerdeführerin, der Viert- und Fünftbeschwerdeführer verfügen bereits über einen guten Grundwortschatz der deutschen Sprache und können sich auf Deutsch verständlich mitteilen. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen über Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Der Erstbeschwerdeführer ist im Forstwesen erwerbstätig und erzielt damit ein monatliches Einkommen in Höhe von etwa 350 bis 400 Euro und arbeitet zudem unregelmäßig als Trainer für Freestyle-Wrestling. Zudem verfügt er über eine Einstellungszusage eines Handelsunternehmens, das keine der Höhe nach bestimmte Bezahlung zusichert.

 

Die anderen Beschwerdeführer sind in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

 

Der Erstbeschwerdeführer wie die Zweitbeschwerdeführerin sind arbeitsfähig. Mit Blick auf ihre Arbeitsfähigkeit, das umfangreiche familiäre Netzwerk vor Ort sowie mit Blick darauf, dass die Grundversorgung der Bevölkerung dort gesichert ist und auch Sozialleistungen zur Verfügung stehen (siehe dazu sogleich die Länderfeststellungen) ist nicht zu erwarten, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine ihre Existenz bedrohende Notlage geraten würden.

 

Die Beschwerdeführer werden in Österreich von Angehörigen einer Schule, insbesondere durch deren Direktor, unterstützt. Auch besucht die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig eine Beratung für schwangere Frauen und erhält dort Gutscheine.

 

Die Beschwerdeführer sind unbescholten. Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin beherrschen die russische Sprache.

 

Darüber hinaus konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer weiterreichenden Integration der Beschwerdeführer in Österreich festgestellt werden. Die Beschwerdeführer reisten trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidungen bislang nicht aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Die Beschwerdeführer verfügten über keine Aufenthaltsberechtigung außerhalb von Asylverfahren.

 

Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in den Personen der Beschwerdeführer gelegenen Umständen. Insbesondere konnten keine wesentlichen Änderungen ihres Gesundheitszustandes bzw. ihrer Krankheitsbilder festgestellt werden; auch in den Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat sind keine wesentlichen Änderungen eingetreten (siehe zu alledem auch die folgenden Länderfeststellungen unten). Eine wesentliche Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation konnte keine seit Abschluss des letzten in der Sache geführten Asylverfahrens maßgeblich geänderte Situation festgestellt werden.

 

1.3. Zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere in Dagestan, stellt das Bundesverwaltungsgericht folgende Ausführungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 31.08.2018 in der Fassung der Kurzinformation vom 12.11.2018 als örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat fest:

 

Änderungen seit Mai 2018:

 

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value ) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig. Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

 

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/ ) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

 

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

 

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

 

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren. Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

 

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt. Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

 

Quellen:

 

 

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

 

Quellen:

 

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018). Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b). Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a). Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dagestan

 

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017). Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018). Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018). Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017). Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Dagestan

 

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden Dagestans Anfang 2017 kämpften etwa 1.200 Männer aus Dagestan in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak. Mittlerweile werden Radikale, die sich terroristischen Organisationen im Ausland anschließen wollen, von den russischen Behörden an der Ausreise gehindert und festgenommen, was die Terrorgefahr in Dagestan erhöht (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar. Relativ häufig kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekundeten jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem sog. IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten, während die Vertreter des sog. "traditionellen" Islams als korrupt angesehen werden und im Verdacht stehen, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region Untertan zu sein. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der sog. IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Inwieweit der IS nach der territorialen Niederlage im Nahen Osten entsprechende Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus weitere terroristische Umtriebe zu entfalten oder die regionale Zweigstelle weiterhin zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen, wird von den russischen Sicherheitskräften genau verfolgt werden (ÖB Moskau 12,2017). Im gesamten Jahr 2017 gab es in Dagestan 55 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 47 Todesopfer (38 Aufständische, vier Zivilisten, fünf Exekutivkräfte) und acht Verwundete (ein Militanter, fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Regelmäßig kommt es auch im Jahr 2018 in Dagestan zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (ACCORD 16.8.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Dagestan 17 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon elf Todesopfer (vier Aufständische, eine Exekutivkraft, sechs Zivilisten) und sechs Verwundeter (vier Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018). In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen:

So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018). 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018). Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018). Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018). Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018). Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017). Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017). Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Dagestan

 

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. Mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds gehen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einher, darunter Entführungen und spurloses Verschwinden. Von dem Vorgehen der Sicherheitsbehörden wegen Verdachts auf Extremismus sind nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch NGOs im sozialen/humanitären Bereich betroffen. Die Menschenrechtslage gilt in Dagestan jedoch grundsätzlich als besser als im benachbarten Tschetschenien. Im Gegensatz zu Tschetschenien können NGOs in Dagestan tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO "Komitee zur Verhinderung von Folter" arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan i.S. Strafvollzug zusammen (AA 21.5.2018). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung. So werden von den Sicherheitskräften mitunter auch Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Aus der Perspektive der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, für einen Teil der muslimischen Bevölkerung stellen diese Maßnahmen jedoch ungebührliche Schikanen dar (ÖB Moskau 12.2017). Während der Vorjahresbericht von Human Rights Watch in Bezug auf Salafisten festhielt, dass die Polizei Salafisten auf spezielle Beobachtungslisten setzte, sie wiederholt einsperrte und sie ohne speziellen Grund befragte (HRW 12.1.2017), wird im aktuellen HRW-Bericht erwähnt, dass die Behörden verlautbart haben, dass keine Salafisten mehr auf polizeiliche Beobachtungslisten gesetzt werden. Die Verfolgung von salafistischen Muslimen, einschließlich willkürlicher Verhaftungen und Einschüchterungen, dauern jedoch an (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2017). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017). Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016). Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramzan Kadyrow bei einem Auftritt in Grozny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017). Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015). Im November 2013 wurden in Russland Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden (SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine ist die Republik Tschetschenien zu verlassen, aber das kann sich nicht jeder leisten, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017). Nach der Terrorattacke auf Grozny am 4.12.2014 hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 Häuser, die niedergebrannt wurden (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall, wo ein Haus niedergebrannt wurde, ist jener von Ramazan Dschalaldinow aus dem Jahr 2016. Er hat sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso im Jahr 2016 wurden nach einer Attacke von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US DOS, Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern, als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. In allen rezenten Jahresberichten dieser Organisationen (AI, US DOS, HRW und FH) mit Berichtszeitraum 2017 kamen keine Informationen zum Niederbrennen von Häusern vor (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018). In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes dran sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017). Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSB-Leiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12. Dezember 2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden, die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor Saudi-Arabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der IS-Kämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2. Dezember 2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27. Juli 2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB kommuniziert, dass 220 zurückgekehrte Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen stünden. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet. In Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein. Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebenden IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben. Prominentestes Beispiel für die terroristischen Umtriebe zwischen dem Nordkaukasus, der Diaspora in Mitteleuropa und den Kampfgebieten des sog. IS im Nahen Osten war wohl der Austro-Dschihadist tschetschenischer Provenienz namens Akhmed Chatayev, der vom Al-Qaida-Sanktionskomitee des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wegen der Rekrutierung russischsprachiger IS-Kämpfer gelistet wurde, als Drahtzieher hinter dem verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 gilt und bei einer Anti-Terror-Operation in Tiflis in Georgien getötet worden ist. Deutsche Medien berichteten im Jahr 2017 über Verdachtsmomente, dass Russland die Migration von Tschetschenen nach Mitteleuropa fördern könnte, unter denen auch radikale Islamisten zu befürchten seien, um so die durch die Migrationskrise angespannte Lage weiter zu destabilisieren. Anderen Berichten zufolge könnte der russische Geheimdienst FSB mitunter als Migranten getarnte Agenten nach Mitteleuropa schleusen. Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie UTair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. Auch in der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meinungs- und Pressefreiheit, Internet

 

Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt. Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen Unterstützung erhalten. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird auch durch die im August 2012 erfolgte Überarbeitung des Straftatbestandes der Verleumdung (etwa: wissentliche Verbreitung falscher Tatsachen gegen die Ehre oder das Ansehen einer anderen Person) eingeschränkt. Journalisten müssen z.B. fürchten, dass Enthüllungen oder auch nur Berichte über öffentliche russische Persönlichkeiten zu Klagen und Verurteilungen führen können. Das Strafmaß kann sich auf Geldstrafen von bis zu 5 Mio. Rubel oder bis zu 480 Stunden Pflichtarbeit belaufen (AA 21.5.2018). Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle (ÖB Moskau 12.2017, vgl. GIZ 7.2018a), und sie werden von den Behörden genutzt, um Menschenrechtsverteidiger, Oppositionelle und andere kritische Stimmen zu verleumden. Überall im Land werden Initiatoren von Protestbewegungen und politische Aktivisten, die kritischen Stimmen Gehör verschafften, von Regierungsanhängern und "unbekannten" Personen, die vermutlich den Sicherheitsbehörden angehören oder mit ihnen zusammenarbeiten, schikaniert und körperlich attackiert (AI 22.2.2018). Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV Sender Dozhd, Radiosender Echo Moskvy, Zeitung Novaya Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt. Kritische Journalisten müssen in Russland weiterhin mit Drohungen und physischer Gewalt rechnen. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. GIZ 7.2018a), wie etwa die Ermordungen von Natalia Estemirova, Hajimurad Kamalov oder Akhmednabi Akhmednabiev im Nordkaukasus im Laufe der letzten Jahre. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtsaktivisten an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert und ihre Fahrzeuge in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2017). 2017 kamen zwei investigative Journalisten gewaltsam ums Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018). Im Lichte der einschlägigen US-amerikanischen Gesetzgebung wurde im Herbst 2017 auch in Russland eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018). Nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien ist es ausländischen Personen bzw. Unternehmen verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus. Es sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund seiner vagen Formulierung häufig missbräuchlich angewendet (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zahlreiche Internetseiten sind bislang aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt worden. In den vergangenen Jahren sind überdies mehrere Personen, von denen die meisten politisch nicht aktiv waren, unter dieser verschärften Gesetzgebung wegen Extremismus verurteilt worden, beispielsweise weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer befürwortet hatten (darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim). Zwischen 2014 und 2016 standen etwa 85% der Verurteilungen wegen extremistischer Äußerungen wegen im Internet veröffentlichter Aussagen (ÖB Moskau 12.2017). Die Strafen reichten von Bußgeldern über gemeinnützige Arbeiten bis zu Haftstrafen (HRW 7.2017). Allgemein ist eine Ausweitung der staatlichen Kontrolle über das Internet festzustellen, die durch eine gezielte Verschärfung der zugrundeliegenden rechtlichen Regeln zur Cyber-Sicherheit erfolgt. Im April 2016 rief der Leiter des einflussreichen Ermittlungskomitees der Russischen Föderation (vgl. FBI in den USA) Alexander Bastrykin zu umfangreichen Gesetzesverschärfungen und Maßnahmen nach dem Vorbild Chinas auf, um das Internet besser kontrollieren zu können. Im Juni 2016 hat die Staatsduma Änderungen zum Informationsgesetz angenommen, wonach Suchmaschinen mit mehr als einer Million Nutzern pro Tag für die Korrektheit der von ihnen angezeigten Inhalte verantwortlich sein sollen, außer wenn diese von registrierten Massenmedien publizierte Nachrichten wiedergeben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Weitere Einschränkungen folgten durch das Verbot virtueller privater Netzwerke (VPN) und Anonymisierungsprogramme im Sommer 2017, welche anonyme Internet-Nutzung sowie den Zugang zu von russischer Seite blockierten Internetseiten ermöglichen. Weitere Gesetzesänderungen schufen neue Verpflichtungen für Telekommunikationsanbieter zur örtlichen und zeitlichen Speicherung von Daten, auf welche unter bestimmten Voraussetzungen auch die Sicherheitsbehörden zugreifen können (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018, HRW 7.2017, AA 21.5.2018). In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 76,4% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist einer der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob; Blogger Navalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wachsen (GIZ 7.2018a). Da die meisten Massenmedien vom Staat kontrolliert werden, finden unabhängige Diskussionen vor allem Online statt, im Besonderen in den Sozialen Medien (HRW 7.2017). Dem Inlandsgeheimdienst ist die Möglichkeit gegeben, bei Verdacht, auf z. B. "terroristische Handlungen", "prophylaktisch" gegen Internetaktivisten vorzugehen. Seit 2012 können mit dem (vorgeblichen) Argument des Kinder- und Jugendschutzes Webinhalte oder sogar ganze Webseiten auf einfache behördliche Anordnung hin beanstandet oder gesperrt werden. Seit 2014 unterliegen Blogger und Twitter-Seiten mit jeweils mehr als 3.000 "followern" u.a. Registrierungspflichten. Seit dem 1.1.2017 sind Nachrichtenportale (wie z.B. yandex.news, rambler.news, google.news, mail.ru) mit Medien gleichgesetzt. Die "online news aggregators" mit mehr als 1 Mio. Besuchern pro Tag sind für den "Wahrheitsgehalt" ihrer Veröffentlichungen verantwortlich (AA 21.5.2018).

 

In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit nimmt die Russische Föderation derzeit den 148. Platz von 180 ein (ÖB Moskau 12.2017, vgl. RoG 2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch die Exekutive jedoch in der Praxis häufig eingeschränkt oder nur selektiv gewährt (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018). Opposition und kritische Vertreter der Zivilgesellschaft müssen bei Versammlungen mit erheblichen Restriktionen rechnen, während linientreue Gruppen Unterstützung erhalten (AA 21.5.2018). Auf Basis der Verschärfung des Versammlungsrechts 2012 werden öffentliche Kundgebungen bzw. Proteste von oppositionellen Gruppen häufig verboten. Im August 2014 wurden die im Versammlungsgesetz vorgesehenen Geldstrafen weiter erhöht und wiederholte Verletzungen des Gesetzes als strafrechtliches Vergehen eingestuft, mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Haft. Wenn es den Organisatoren von regierungskritischen Kundgebungen dennoch gelingt, eine Genehmigung für die Veranstaltungen zu erlangen, so müssen sie diese mitunter in den Randbezirken bzw. in Vorstädten von Moskau durchführen. Mit derartigen Problemen war beispielsweise der Oppositionsaktivist Alexej Nawalny konfrontiert, der im Jahresverlauf 2017 mehrere landesweite Proteste gegen die grassierende Korruption im Land orchestrierte (ÖB Moskau 12.2017). 2017 gab es im ganzen Land so viele Protestkundgebungen wie seit Jahren nicht mehr. Hunderte friedlich Demonstrierende, Passanten und Journalisten wurden festgenommen. Viele von ihnen erfuhren grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Sie wurden über lange Zeiträume willkürlich in Haft gehalten und in unfairen Verfahren zu hohen Geldstrafen oder mehrtägiger Verwaltungshaft verurteilt. Im März 2017 kam es in mindestens 97 Städten zu Protesten gegen Korruption. Vielerorts löste die Polizei friedliche Kundgebungen mit exzessiver und unnötiger Gewalt auf. Mehr als 1.600 Personen wurden festgenommen, unter ihnen mindestens 14 Journalisten, die über die Proteste berichtet hatten (AI 22.2.2018, vgl. FH 1.2018). An den größten Protestkundgebungen nahmen viele Schüler und Studierende teil. Um sie unter Druck zu setzen, sprachen Lehrkräfte an Schulen und Universitäten auf Anweisung der Behörden informell Warnungen aus und drohten ihnen mit Ausschluss vom Unterricht (AI 22.2.2018, vgl. HRW 18.1.2018). In einigen Fällen, in denen die Protestierenden minderjährig waren, drohten die Behörden damit, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen (AI 22.2.2018). In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen der Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel 8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (US DOS 20.4.2018). Oppositionelle Politiker und Aktivisten waren weiter Ziel von fabrizierten Kriminalfällen und anderen Formen von behördlichen Schikanen, die offensichtlich dazu dienten, die Teilnahme am politischen Prozess zu verhindern. Der Oppositionelle Alexej Nawalny wurde im Jahr 2017 mehrmals aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert und von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Behörden schikanierten seine Unterstützer, indem sie verhaftet wurden (FH 1.2018) oder seine Kampagnen-Büros, die er im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in ganz Russland eröffnet hatte, durchsuchten und Materialien konfiszierten (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen, und das Problem systemischer Natur ist (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Strafvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge auf Grund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12 bzw. 13% gesunken ist, Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 12.2017). Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018) und Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018). Amnesty International übte Kritik an der häufig vorkommenden Verbringung von Häftlingen in weit entfernte Strafkolonien unter dürftigen Transportbedingungen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zum Jahresende 2017 waren laut offiziellen Daten etwas über 600.000 Personen in Haft. Die Anzahl an inhaftierten Personen erreichte bereits im Jänner 2017 einen historischen Tiefstand. Derzeit nimmt Russland weltweit den vierten Platz der größten Häftlingspopulationen ein (nach den USA, China und Brasilien). Dies entspricht einer Quote von 420 pro 100.000 Einwohner (Platz 15 weltweit) (ÖB Moskau 12.2017). Die Regierung ist bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen noch weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als "Folterkolonien" berüchtigt seien. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist in der Regel nur einmal wöchentlich möglich. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung sollen vorkommen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist u.a. die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer stellten die Gerichte Notwendigkeit und Dauer der U-Haft nicht in Frage und verlängerten die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 21.5.2018). Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen von Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese sind unzulänglich. Es gibt 13 Einrichtungen, in denen auch Kleinkinder von Insassinnen leben können (US DOS 20.4.2018).

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017). Laut Berichten einzelner NGOs müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. In den Fällen, in denen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich "normaler" Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Republik verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen besser als im Durchschnitt Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien i. d. R. als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes "sachfremdes" Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien i.d.R. eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 21.5.2018). Die öffentlichen Aufsichtskommissionen, die der unabhängigen Überwachung der Haftanstalten dienten, verloren weiter an Bedeutung und erzielten kaum Wirkung, nicht zuletzt wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Mitglieder der Kommissionen wurden von öffentlichen Kammern ernannt, bei denen es sich um beratende Gremien handelte, die sich aus staatlich ausgewählten Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammensetzten. Eine Änderung der Ernennungsregeln führte dazu, dass einige Aufsichtskommissionen weniger Mitglieder umfassten. Dies wirkte sich zum Teil auf die Unabhängigkeit der Kommissionen aus, weil bestimmte Menschenrechtsverteidiger faktisch von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren. Es gab Berichte, wonach Mitgliedern der öffentlichen Aufsichtskommissionen und des Menschenrechtsrats des Präsidenten sowie anderen unabhängigen Beobachtern der Zugang zu Strafkolonien von der jeweiligen Gefängnisverwaltung willkürlich verweigert wurde (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Seit 1996 gilt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Die Bevölkerung ist Befragungen zufolge mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe. Im Hinblick auf die Europaratsmitgliedschaft hat das russische Verfassungsgericht trotz des de-iure-Fortbestehens der Todesstrafe bereits 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland auch weiterhin nicht verhängt werden darf; man kann somit von einer de facto-Abschaffung der Todesstrafe sprechen. Die letzte Hinrichtung fand am 2. September 1996 statt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013). Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018). Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen]. Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018). Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017). Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018). Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018). Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018). Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017). Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b). Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit

10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit

7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018). Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2018a, vgl. ÖB Moskau 12.2017), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Aufgrund der Transferzahlungen aus dem föderalen Budget hat sich die wirtschaftliche Situation Tschetscheniens in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Trotz der Versuche Moskaus, die sozio-ökonomische Situation im gesamten Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen abhängig. Die Wirtschaftskrise während der vergangenen Jahre und damit einhergehenden budgetären Einsparungen stellen eine potentielle Gefahr für die Nachhaltigkeit der Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2017). Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt, und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen, und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grozny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die volatile Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus, und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014). Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c). Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c). Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017). Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Familienhilfe: Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 Euro). Bei einem zweiten Kind sowie weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 Euro). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaft: Mutterschaftsurlaub kann man bis zu 140 Tage beantragen und erhält weiterin 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann dieser auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden Vollzeitjob. Der Maximalbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 35.901 Rubel (ca. 513 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaftskapital: Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich - innerhalb von zehn Jahren stiegen sie inflationsbereinigt von 250.000 auf 453.026 Rubel, also von 4.152 auf mehr als 7.500 Euro. Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Das Programm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017).

 

Behinderung: ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Behinderung, der Beitragsdauer und Arbeitsstatus. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung: Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn 4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen: BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017). Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter Prophylaxe-Programme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018). Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017). Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Dagestan

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Dagestan eine eigene Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen (spezialisierte und zentrale Krankenhäuser, Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfallambulanzen, etc.) managt. Auch in Dagestan gibt es sowohl öffentliche als auch private Gesundheitseinrichtungen. Öffentliche Einrichtungen haben keine offiziellen Preislisten ihrer Behandlungen, da prinzipiell Untersuchungen, Behandlungen und Konsultationen gratis sind. Jedoch muss auf die informelle Zuzahlung hingewiesen werden (beispielsweise, um die Wartezeit zu verkürzen). Die Zahlungen sind jedoch geringer als in privaten Institutionen. Die Qualität der Behandlung ist aber in öffentlichen Einrichtungen nicht schlechter - viele Spezialisten arbeiten sowohl in öffentlichen als auch privaten Einrichtungen. Die Ausstattung und die Geräte sind meist in privaten Einrichtungen besser (BDA CFS 25.3.2016).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten (z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS/PTSD, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754). Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979). Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979). Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017). Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017). Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017). Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018). Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zum Vorbringen des Erstbeschwerdeführers:

 

Als Neuerungen seit dem rechtskräftigen Abschluss des zuletzt in der Sache behandelten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 bringt der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, in der Zwischenzeit im Herkunftsstaat in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden zu sein. Auch hält der Erstbeschwerdeführer seine früheren Fluchtgründe vollinhaltlich aufrecht; die nunmehrige Verurteilung stehe mit diesen in Zusammenhang. Denn das Strafgericht habe sich wegen der Vorkommnisse um seinen Cousin im Jahre 2013, den der Erstbeschwerdeführer versteckt hätte, obwohl nach diesem wegen eines Mordversuches an einem Polizeichef gefahndet worden wäre, veranlasst gesehen, nunmehr ein strafgerichtliches Fehlverhalten des Erstbeschwerdeführers zu fingieren und ihn in Abwesenheit zu verurteilen (BF1-AS 79). Als Beweismittel dazu legte der Erstbeschwerdeführer nunmehr ein Urteil des Bezirksgerichts XXXX vor, das mit " XXXX , am 21.06.2018" datiert ist (BF1-AS 91 ff). Trotz der Vorlage des genannten Gerichtsurteils und weiters vorgelegter Fotografien und eines Videos weist das nun erstattete Vorbringen keinen glaubhaften Kern auf, der es gestatten würde, die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer in der Sache zu behandeln.

 

Zunächst ist zu dem Vorbringen, der Erstbeschwerdeführer wäre in Abwesenheit strafgerichtlich verurteilt worden, weil man eine Straftat gegen ihn fingiert habe, Folgendes anzuführen: Zwar hat der Erstbeschwerdeführer eine Urteilsurkunde vorgelegt, doch wird deren Beweiskraft durch die sonstigen Schwächen seines Vorbringens dazu massiv erschüttert. Diese betreffen schon die Angaben des Erstbeschwerdeführers dazu, weswegen gegen ihn in der Heimat vorgegangen worden sein soll. So gab der Erstbeschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt trotz wiederholter Nachfrage dazu lediglich an, man suche wegen Hehlerei nach ihm und habe sich nun "eine zweite Sache" ausgedacht; nähere Angaben zu dem Tatvorwurf, der dem Urteil zugrunde lag, traf der Erstbeschwerdeführer trotz mehrmaligen Nachfragens nicht. Der Urteilsurkunde zufolge wurde der Erstbeschwerdeführer wegen des Verbrechens nach Teil 2 gemäß § 208 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (wegen "Beteiligung an einer bewaffneten Vereinigung, welche vom Gesetz nicht vorgesehen wurde") verurteilt (BF1-AS 91 ff). Eingehend wird in dem Urteil beschrieben, dass der Erstbeschwerdeführer die Mitglieder der betreffenden Vereinigung mit seinem privaten Pkw transportiert, mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt und diesen mehrmals sein Haus überlassen hätte; letztlich wäre der Erstbeschwerdeführer der Vereinigung auch formell beigetreten; von Hehlerei ist in dem genannten Urteil gar nicht die Rede. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass es dem Erstbeschwerdeführer zumindest möglich sein müsste, im Groben den Tatvorwurf zu schildern, dessentwegen er in Abwesenheit strafgerichtlich verurteilt wurde, sollte es die behauptete Strafsache tatsächlich gegeben haben, zumal zu erwarten wäre, dass Adressaten eines Strafurteils dieses im Detail studieren, sobald es ihnen zugeht. Dass der Erstbeschwerdeführer nicht einmal dazu in der Lage war, den Tatvorwurf, dessentwegen er verurteilt worden sein soll, annähernd zutreffend zu schildern, erschüttert die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens über die fingierte Strafsache nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts daher sehr. Hinzu kommt, dass der Erstbeschwerdeführer die Umstände, wie das Urteil in seinen Besitz gelangt sein soll, nur vage und nicht nachvollziehbar schilderte. Der Erstbeschwerdeführer gab dazu an, sein Vater habe das Urteil einem Freund gegeben, der damit nach Bratislava geflogen wäre. Der Erstbeschwerdeführer habe "seine Leute" nach Bratislava geschickt, um durch diese das Urteil zu erhalten. Auf die konkrete Nachfrage der Behörde, wer "seine Leute" seien, antwortete der Erstbeschwerdeführer nur vage "Ein Freund von mir" (AS 79 f). Hierzu geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer bestrebt sein müsste, den Weg des Urteils aus dem Herkunftsstaat in seine Hände möglichst nachvollziehbar und überprüfbar darzustellen, um die Stichhaltigkeit seiner Angaben zu untermauern, sollte sich die Überbringung des Urteils wie behauptet zugetragen haben. Dass der Erstbeschwerdeführer es vermeidet anzugeben, welche konkreten Personen an der Überbringung des Urteils beteiligt waren, erschüttert die Beweiskraft desselben und dieses Teils des Vorbringens daher ebenso beträchtlich. Zudem sind den Länderfeststellungen zufolge in der Russischen Föderation echte Dokumente unwahren Inhalts und Gefälligkeitsbescheinigungen von Behörden erhältlich; Verfälschungen, Fälschungen und der Handel mit jeder Art von Dokumenten sei weit verbreitet, sodass Dokumente mittels persönlicher Beziehungen oder durch Bestechung ohne größeren Aufwand zu beschaffen seien. Mit Blick auf die leichte Verfügbarkeit von Dokumenten jedweden Inhalts im Herkunftsstaat reicht nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts hier nicht schon die bloße Vorlage der Urteilsurkunde aus, um die darin genannte strafgerichtliche Verurteilung des Erstbeschwerdeführers zu belegen und diesem Vorbringen einen glaubhaft Kern zu verleihen. Schließlich führten auch die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin nicht zu einem glaubhaften Kern des Vorbringens, gab doch auch sie zur Herkunft des Urteils lediglich an, ein Freund hätte es ihrem Gatten ausgehändigt, wobei sie wegen ihres schlechten Gedächtnisses nicht mehr angeben könnte, wann dies erfolgt sei (BF2-AS 83).

 

Auch das durch den Erstbeschwerdeführer vorgelegte Video, das eine Abbildung seiner Person in einer Vitrine mit dem Titel "Nach diesen Personen wird polizeilich gefahndet" (AS 80) zeigen soll, begründet keinen glaubhaften Kern seines Vorbringens: Zunächst belegt das Video nicht, dass es sich tatsächlich um eine Vitrine der Polizei handelt. Zudem blieben auch die Angaben des Erstbeschwerdeführers zu den Umständen, wann er in Besitz des Videos gelangt sei, vage. Zwar gibt der Erstbeschwerdeführer an, ihm sei das Video durch einen Freund per WhatsApp übermittelt worden. Jedoch konnte der Erstbeschwerdeführer nicht mehr eruieren, wann konkret er das Video erhielt. Auch durch Nachschau auf seinem Mobiltelefon konnte er dies nicht mehr nachvollziehen. Denn zwischenzeitlich habe sein Handy Schaden genommen und das Video sei ihm erst am Tag der Einvernahme durch das Bundesamt erneut durch seine Gattin übermittelt worden (BF1-AS 80 ff). Mit Blick darauf, dass daher weder nachvollzogen werden kann, von welcher Nummer das Video ursprünglich übersandt wurde, noch wann es ursprünglich übersandt wurde, und da es nicht klar belegt, dass es tatsächlich eine Vitrine der Polizei zeigt, begründet das Video nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts keinen glaubhaften Kern des nunmehrigen Vorbringens des Erstbeschwerdeführers. Schließlich sind die durch den Erstbeschwerdeführer vorgelegten Internetartikel, die ein Foto beinhalten sollen, das seine Mutter bei einer Demonstration zeige, mit "07.07.2016" datiert und stammen daher aus der Zeit vor dem rechtskräftigen Abschluss des letzten inhaltlichen Asylverfahrens. Daher können diese Fotos allenfalls eine Wiederaufnahme des letzten inhaltlichen Asylverfahrens nach sich ziehen, aber keinen glaubhaften Kern des Vorbringens für den hier maßgeblichen Folgeantrag begründen.

 

Daher kommt den nunmehr erstatteten Vorbringen des Erstbeschwerdeführers kein glaubhafter Kern zu, der eine Behandlung der Folgeanträge in der Sache gestatten würde.

 

Der unter Pkt. II.1.1. festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalten der Verwaltungsakten des Bundesamts und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

 

2.2. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Volksgruppe, Herkunft, Erwerbstätigkeit in Österreich und Familienverhältnissen der Beschwerdeführer gründen sich auf die Akten des Bundesamts und Bundesverwaltungsgerichts und ihre insofern unbedenklichen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt sowie in ihrer Beschwerde.

 

Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin folgt dem Strafregister der Republik Österreich.

 

Die Feststellung der Russischkenntnisse von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin folgt aus dem Umstand, dass sie sich in ihren Einvernahmen im Verfahren vor dem Bundesamt mit den Dolmetschern in russischer Sprache problemlos verständigen konnten.

 

2.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers und die Feststellung dazu, wie lange die Erkrankungen bei ihm bereits vorliegen, folgen seinen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt und den vorgelegten medizinischen Unterlagen, insbesondere der Behandlungsbestätigung eines Facharztes für Psychiatrie vom 23.08.2018 (AS 57) und einem internistischen Befund des Landeskrankenhauses - Universitätsklinikum XXXX vom 06.01.2018 (AS 117).

 

2.4. Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer ansonsten gesund und arbeitsfähig ist stützt sich auf seine Aussagen im Verfahren vor dem Bundesamt sowie auf den Umstand, dass der im Bundesgebiet erwerbstätig war. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit und den Erwerbsmöglichkeiten des Erstbeschwerdeführers folgen seinen Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt und der vorgelegten Einstellungszusage (BF1-AS 55).

 

Die Feststellung der Arbeitsfähigkeit der Zweitbeschwerdeführerin gründet sich darauf, dass sie gesund ist.

 

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat nicht in eine ihre Existenz bedrohende Notlage geraten würden, gründet sich auf die Arbeitsfähigkeit von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin, dem im Herkunftsstaat vorhandenen Familienverband und auf die Länderfeststellungen, wonach dort die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist und Sozialhilfen zur Verfügung stehen.

 

2.5. Die Feststellung, dass die Drittbeschwerdeführerin an Hyperthyreose leidet und ansonsten gesund ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass für sie im Verfahren vor dem Bundesamt wie in der Beschwerde ausschließlich diese Erkrankung vorgebracht wurde.

 

2.6. Die Feststellung, dass sich an der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer nichts Wesentliches geändert hat, beruht auf einem Vergleich der Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten in den angefochtenen Bescheiden und jener der Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018, mit welchen zuletzt inhaltliche Asylverfahren der Beschwerdeführer abgeschlossen wurden. Im Verfahren zur Erlassung der angefochtenen Bescheide wurden die darin als örtliche Gegebenheiten festgestellten Berichte den Beschwerdeführern vorgehalten. Die Beschwerdeführer brachten keine Berichte bzw. Länderdokumente vor, die ein anderes Bild der Lage im Herkunftsstaat substantiiert zeichnen würden. Feststellungen, wonach die Beschwerdeführer bei Rückkehr in die Russische Föderation aufgrund der dortigen allgemeinen Situation Übergriffe ernstlich zu befürchten hätten oder aufgrund der dortigen allgemeinen Situation in eine ihre Existenz bedrohende Notlage geraten würden, konnten sohin nicht getroffen werden.

 

2.7. Die Feststellung zum Gesundheitszustand der übrigen Beschwerdeführer folgt ihren Angaben in den bisherigen Asylverfahren und ihren Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt.

 

2.8. Die Feststellung, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht schwanger ist, folgt aus ihren glaubhaften Angaben im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesamt.

 

2.9. Die Feststellungen zum Schulbesuch der Drittbeschwerdeführerin, des Viert- und Fünftbeschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben und den vorgelegten Bestätigungen. Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen von Erstbeschwerdeführern Zweitbeschwerdeführerin folgen aus den vorliegenden Akten des Bundesamts und des Bundesverwaltungsgerichts. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen der Drittbeschwerdeführerin und des Viert- und Fünftbeschwerdeführers folgen Briefen ihrer Klassenlehrer, welche im September 2018 verfasst wurden (BF3-AS 41, BF4-AS 43 und BF5-AS 43).

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Zur Zurückweisung der Folgeanträge durch das Bundesamt

 

3.2.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Eine "Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

 

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

 

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/ Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

 

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Ein neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

 

3.2.2. Die Beschwerdeführer begründeten ihren zuletzt in der Sache erledigten Antrag auf internationalen Schutz damit, dass der Erstbeschwerdeführer den Ehemann seiner Cousine, welcher Widerstandskämpfer gewesen sei und dem seitens der Behörden ein im September 2011 auf den Polizeilabteilungsleiter der Stadt XXXX verübtes Attentat vorgeworfen worden sein soll, seit dem Jahr 2011 mittels Obdachgewährung unterstützt und deswegen Repressionen zu erwarten hätte.

 

Den neuen gegenständlichen Asylantrag begründen die Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass der Erstbeschwerdeführer von den russischen Strafverfolgungsbehörden gesucht würde. Der Erstbeschwerdeführer sei wegen einer fingierten Strafsache im Herkunftsstaat in Abwesenheit zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Motivation der Behörden für diese Verurteilung liege darin, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2013 seinen Cousin bei sich versteckt hätte, nach welchem wegen der Ermordung eines Polizeichefs gefahndet worden wäre. Zum Beweis dafür legte der Erstbeschwerdeführer ein russisches Gerichtsurteil vor. Zudem legte er ein Video, das eine Abbildung des Erstbeschwerdeführers in einer Vitrine mit Abbildungen der durch die Polizei gesuchten Personen zeigen soll sowie Fotos einer Demonstrationsteilnahme der Mutter des Erstbeschwerdeführers als Teil eines Internetartikels vor.

 

Zunächst behaupten die Beschwerdeführer - entgegen der in den gegenständlichen Beschwerden vertretenen Auffassung - keinen neuen Sachverhalt im Sinne der unter Punkt II.3.1 dargelegten Judikatur, sondern machen den selben Fluchtgrund unter Bekräftigung des im ersten Verfahren angeführten Sachverhalts geltend. Sie behaupten letztlich bloß dessen "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) und beabsichtigen im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung ihres mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2018 bereits rechtskräftig entschiedenen Antrages auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321). Die behauptete behördliche Fahndung nach dem Erstbeschwerdeführer - dem Vorbringen nach durch die vorgelegte Verurteilung und das Video untermauert - könnte zwar ein gefahrvergrößerndes Bedrohungsbild gegenüber der letzten meritorischen Entscheidung zeichnen, müsste aber einen glaubhaften Kern besitzen, um eine Behandlung der Folgeanträge in der Sache zu gestatten (vgl. VwGH 26.07.2005, 2005/20/0343; VwGH 27.09.2005, 2005/01/0363 und VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0066).

 

Wie festgestellt kommt dem Vorbringen zu den hier maßgeblichen Folgeanträgen erstatteten Vorbringen über die Fahndung nach dem Erstbeschwerdeführer und der Bedrohung seiner Person - insbesondere wegen der jüngst erfolgten Verurteilung in Abwesenheit - jedoch kein glaubhafter Kern im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung zu. Vom Erstbeschwerdeführer losgelöste Bedrohungen der übrigen Beschwerdeführer im Herkunftsstaat wurden nicht behauptet. Schon mangels eines glaubhaften Kerns des nur für den Erstbeschwerdeführer neu erstatteten Vorbringens scheidet eine Behandlung der hier maßgeblichen Folgeanträge in der Sache wegen dieses Vorbringens aus.

 

Wie festgestell, deuten auch die Länderberichte nicht darauf hin, dass sich die örtlichen Gegebenheiten in der Russischen seit Abschluss des letzten Asylverfahrens wesentlich geändert hätten, sodass sie eine neu zu entscheidende Sache begründen würden. Denn die Länderfeststellungen der hier angefochtenen Bescheide des Bundesamts stehen mit den Länderfeststellungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.05.2017 weitestgehend in Einklang. Es sind keine Änderungen erkennbar, die als wesentliche Sachverhaltsänderung qualifiziert werden könnten.

 

3.2.3. Insoweit der neuerliche Antrag der Beschwerdeführer unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG 2005) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK keine Anhaltspunkte erkennbar sind, wonach die Rückführungen der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zu einer Situation führen würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte.

 

Vor allem liegt hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Erstbeschwerdeführers keine Änderung vor, die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine wegen maßgeblicher Sachverhaltsänderungen neu zu entscheidende Rechtssache hätte entstehen lassen. Schon vor Abschluss des mit Erkenntnis vom 22.05.2018 beendeten Asylverfahrens litt der Erstbeschwerdeführer an Bluthochdruck (dieser wurde schon damals medikamentös behandelt), latenter Tuberkulose und Schuppenflechte. An diesen Erkrankungen leidet der Erstbeschwerdeführer nach wie vor; auch derzeit wird sein Bluthochdruck medikamentös behandelt. In den physischen Erkrankungen des Beschwerdeführers ist seit Abschluss des zuletzt in der Sache geführten Asylverfahrens somit keine wesentliche Änderung eingetreten.

 

Auch litt der Erstbeschwerdeführer schon vor Abschluss des zuletzt in der Sache geführten Asylverfahrens unter einer "psychischen Belastung", wurde dagegen medikamentös behandelt und suchte schon damals einen Psychiater auf. Nunmehr lautet die psychiatrische Diagnose betreffend den Erstbeschwerdeführer "Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst, F41.0) und eine rezidivierende depressive Störung mittleren Grades mit somatischem Syndrom (F33.11)"; der Erstbeschwerdeführer wird auch dagegen medikamentös und durch die fortgesetzte Konsultation eines Psychiaters im Intervall von ein- bis zweimal pro Monat behandelt. Mit Blick darauf, dass sich die psychiatrische Behandlung des Beschwerdeführers letztlich als seit insgesamt schon fünf Jahren fortgesetzt darstellt (vgl. seine Angabe vor dem Bundesamt BF1-AS 76) und das Bundesverwaltungsgericht keine graduelle Verschlechterung seines psychischen Zustandes zu erkennen vermag, ist auch hinsichtlich der psychischen Erkrankung des Erstbeschwerdeführers keine wesentliche Änderung eingetreten. Insbesondere deuten die medizinischen Einschätzungen nicht auf eine Suizidalität des Erstbeschwerdeführers hin. Sein Zustand stellt sich auch als nach wie vor arbeitsfähig dar.

 

Auch hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin liegt keine maßgebliche Änderung ihres Gesundheitszustandes vor. Schon vor Abschluss des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 abgeschlossenen Asylverfahrens litt die Drittbeschwerdeführerin an Hypothyreose. Dies ist nach wie vor der Fall, weswegen die Drittbeschwerdeführerin zweimal jährlich ärztliche Kontrolltermine wahrnimmt. Letztlich stellt sich das bei ihr vorliegende Krankheitsbild als seit Abschluss des letzten in der Sache geführten Asylverfahrens nahezu unverändert dar. Diesem Krankheitsbild der Drittbeschwerdeführerin ist mithin keine wesentliche Sachverhaltsänderung zu entnehmen.

 

Auch lässt keine der Erkrankungen der Beschwerdeführer lässt erwarten, dass sie im Falle der Beendigung des Aufenthalts der Beschwerdeführer in Österreich wesentlich verschlechtert oder lebensbedrohlich würde. Auch erscheinen die Länderfeststellungen seit Abschluss des zuletzt in der Sache geführten Asylverfahrens mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 als darin unverändert, dass sämtliche Erkrankungen der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat behandelbar sind; es ist auch kein Grund erkennbar, weswegen die Beschwerdeführer keinen Zugang zu diesen Behandlungen im Herkunftsstaat erlangen sollten.

 

3.2.4. Auch sonst ist in den Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation seit Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnissen vom 22.05.2018 keine wesentliche Änderung eingetreten, welche auf die Zuerkennung des Status von Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten an die Beschwerdeführer erwarten ließe und daher eine Behandlung ihrer Folgeanträge in der Sache gebieten würde. Vielmehr stellt sich die örtliche allgemeine Sicherheitslage, die Versorgungslage im Gesundheitssystem wie auch die allgemeine Versorgungslage der Bevölkerung als in der Zwischenzeit nicht verändert dar. Sie lässt nach wie vor nicht erwarten, dass den Beschwerdeführern schon wegen der allgemeinen örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation Rechtsverletzungen ernstlich drohen könnten, welche die Zuerkennung des Status von Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten nach sich ziehen würden.

 

3.2.5. Da zunächst in der maßgeblichen Sachlage - und zwar weder im Hinblick auf das Vorbringen noch die Erkrankungen der Beschwerdeführer noch im Hinblick auf die örtlichen Gegebenheit in der Russischen Föderation - eine wesentliche Änderung eingetreten ist und da ferner auch in den anzuwendenden Rechtsnormen keine wesentliche Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch zu entscheiden ist. Die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache erfolgte durch das Bundesamt daher zu Recht, sodass die Beschwerden insoweit als unbegründet abzuweisen sind.

 

3.3. Zu den Rückkehrentscheidungen, der Zulässigkeit der Abschiebungen und den Fristen für die freiwillige Ausreise:

 

3.3.1. Vorauszuschicken ist, dass das Bundesamt zu Recht davon ausgeht, dass auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 - soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden sind (siehe VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

 

3.3.2. Im Sinne der angeführten Judikatur ist dabei gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Nichts deutet darauf hin, dass bei den Beschwerdeführern die Tatbestandsvoraussetzungen der Erteilung dieses Aufenthaltstitels vorliegen könnten. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam sonst ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts hervor.

 

3.3.3. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.3.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Der Erstbeschwerdeführer hält sich seit Oktober 2013 im österreichischen Bundesgebiet auf und somit etwas mehr als fünf Jahre. Die Zweitbeschwerdeführerin sowie die minderjährigen Dritt- und Fünftbeschwerdeführer halten sich seit Februar 2015 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf und damit fast fünf Jahre. Der Sechstbeschwerdeführer wurde im Bundesgebiet geboren und hält sich seit mehr als einem Jahr im Bundesgebiet auf.

 

3.3.3.2. Zum Familienleben der Beschwerdeführer ist Folgendes festzuhalten:

 

Die Beziehung der Beschwerdeführer zueinander fällt als schützenwertes Familienleben in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK. Die gegenständliche Entscheidung betrifft jedoch sämtliche Beschwerdeführer. Zu weiteren Personen unterhalten die Beschwerdeführer im Bundesgebiet kein Familienleben, sodass die Rückkehrentscheidungen in ihr Recht auf Achtung desselben nicht eingreifen (VwGH 18.03.2010, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/22/0143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vgl. EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99).

 

3.4.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen zu verstehen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. Sisojeva ua. v. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine starre Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta,

Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086; VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721, und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

 

3. Zur Integration der erwachsenen Beschwerdeführer:

 

Ihre grundlegenden Deutschkenntnisse sind zugunsten von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin zu werten. Ferner ist ihre Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Jahren (beim Erstbeschwerdeführer) und fünf Jahren (bei der Zweitbeschwerdeführerin) zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführer sind zudem wirtschaftlich leicht integriert. Der Erstbeschwerdeführer ist im Forstwesen regelmäßig erwerbstätig und erzielt damit ein Einkommen in Höhe von € 350 bis € 400 monatlich; ferner ist er unregelmäßig als Trainer für Freestyle-Wrestling tätig. Zudem verfügt der Erstbeschwerdeführer über eine Einstellungszusage eines Handelsunternehmens, das jedoch keine der Höhe nach bestimmte Bezahlung zusichert.

 

Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin verfügen auch über freundschaftliche Beziehungen im Bundesgebiet. So stehen sie in Kontakt zu Angehörigen einer Schule, durch welche sie auch finanziell unterstützt werden. Auch besucht die Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig eine Beratung für schwangere Frauen, wo sie Gutscheine erhält.

 

All diese Integrationsleistungen sind zugunsten von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin zu berücksichtigen.

 

Jedoch wurden diese Integrationsleistungen in Österreich in Zeiträumen erbracht, in denen sich der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ihres unsicheren Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein mussten: Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur aufgrund ihrer wiederholten Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Auch stellt sich die wirtschaftliche Integration der Beschwerdeführer wegen des geringen Einkommens des Erstbeschwerdeführers im Forstwesen und seiner nur gelegentlich ausgebübten Trainertätigkeit als nur leicht fortgeschritten dar. Daran ändert auch die Einstellungszusage des Erstbeschwerdeführers nichts. Auch ist die Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet gar nicht erwerbstätig. Keinesfalls sind die Beschwerdeführer selbsterhaltungsfähig.

 

Dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin strafgerichtlich unbescholten sind, verstärkt ihre Integrationsleistungen nicht.

 

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin verfügen zudem über starke Bindungen zum Herkunftsstaat: Sie haben dort den weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht und sprechen die Landessprache. Zudem halten sich Familienangehörige (Bruder, Schwestern, Vater, Mutter, Cousins) von ihnen im Herkunftsland auf, sodass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen.

 

In Zusammenschau aller angeführter Aspekte überwiegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin deren private Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet.

 

Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 6.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

 

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt, der sich ebenso nur auf unbegründete Asylanträge gründete, subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann (vgl. VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013, VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua.).

 

Den privaten Interessen der minderjährigen Beschwerdeführer kommt erhebliches Gewicht zu: Drittbeschwerdeführerin sowie Viert- bis Fünftbeschwerdeführer besuchen die Volksschule, weswegen das Bundesverwaltungsgericht auch davon ausgeht, dass sie über freundschaftliche Beziehungen zu in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigen Personen verfügen. Die Drittbeschwerdeführerin, der Viert und Fünftbeschwerdeführer verfügen ferner bereits über einen guten Grundwortschatz der deutschen Sprache und können sich auf Deutsch verständlich mitteilen. Neben dieser Integration - die auch nicht dadurch gemindert wird, dass die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer diese im Zuge der sie treffenden Kindergarten- und Schulpflicht erwarben - haben diese die Hälfte bzw. sogar mehr als die Hälfte ihrer Lebenszeit in Österreich zugebracht. Anders als bei ihren Eltern ist bei ihnen auch nicht von einem Bewusstsein ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bei Eingehen ihrer sozialen Bindungen im Bundesgebiet auszugehen, weil einem Kind in diesem Alter eine Ahnung über staatliche Aufenthalts- und Einreisenormen nicht unterstellt werden kann und vernünftigerweise auch nicht davon auszugehen ist, dass ihm dies seitens der Eltern während der Zeit im Aufenthaltsstaat laufend bewusstgemacht wird (vgl. auch VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013).

 

Dennoch ist festzuhalten, dass sich die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in einem anpassungsfähigen Alter befinden, das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen wird (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.), sodass ihnen die Anpassung an die Lebensverhältnisse bei einer Rückkehr im Verbund mit ihrer gesamten Kernfamilie und auch angesichts der in der Russischen Föderation noch lebenden weiteren Verwandten leichter gelingen wird. Darüber hinaus sind die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer im Familienverband mit ihren Eltern aufgewachsen, weshalb davon auszugehen ist, dass sie mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes und mit der Landessprache vertraut gemacht wurden, weswegen eine Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft bei einer Rückkehr im Verbund mit ihrer gesamten Kernfamilie für sie eher bewältigbar erscheint. Auch ist die Schilddrüsenerkrankung der Drittbeschwerdeführerin auch im Herkunftsstaat behandelbar.

 

Die Sozialisation des einjährigen Sechstbeschwerdeführers hat gerade erst begonnen. Es ist nicht zu erkennen, weswegen diese nicht auch in seinem Herkunftsstaat erfolgen kann, zumal er im Heimatland weiter in Obsorge seiner Eltern sein wird und ihm deren Begleitung die Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtern wird (zur Sozialisation von Kindern etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres vgl. VwSlg. 14972 A/1998 und VwGH 19.01.2006, 2005/21/0297).

 

In Zusammenschau aller genannter Aspekte geht das Bundesverwaltungsgericht auch für die minderjährigen Beschwerdeführer davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet ihre privaten Interessen an einem Verbleib überwiegt und sich die gegen sich gerichteten Rückkehrentscheidungen als rechtmäßig erweisen.

 

3.3.3.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist daher nicht nur nicht geboten, sondern es war dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch verwehrt, über diesen überhaupt abzusprechen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Auch unter Berücksichtigung des Art. 24 Abs. 2 GRC oder des BVG Kinderrechte, nach dessen Art. 1 jedes Kind Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge hat, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit, erscheinen die Rückkehrentscheidungen nicht rechtswidrig. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Nach Art. 2 leg.cit. hat jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. Jedes Kind, das dauernd oder vorübergehend aus seinem familiären Umfeld, welches die natürliche Umgebung für das Wachsen und Gedeihen aller ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder ist, herausgelöst ist, hat Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates. Eine Beschränkung der in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Rechte und Ansprüche ist gemäß Art. 7 leg.cit. nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Wie bereits dargelegt, wird durch die gemeinsame Rückkehr der minderjährigen Beschwerdeführer mit ihren Eltern nicht in ihr Familienleben eingegriffen und sie nicht aus ihrem familiären Umfeld herausgelöst. Ein Eingriff in Art. 2 leg.cit. liegt sohin nicht vor. Zudem ist die Erkrankung der Drittbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat behandelbar und die übrigen minderjähren Beschwerdeführer sind gesund. Auch der Lebensunterhalt der minderjährigen Beschwerdeführer im Wege ihrer Eltern erscheint gesichert. Ein unzulässiger Eingriff in das Kindeswohl ist nicht ersichtlich.

 

3.3.4. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Zusammenhang gegeben.

 

3.3.5. Mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

3.3.5.1. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts wurde bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 rechtskräftig verneint. Wie schon zur Zurückweisung der Folgeanträge ausgeführt, lassen die nunmehrigen Vorbringen der Beschwerdeführer keine Verletzung dieser Rechte erwarten. Auch die Länderfeststellungen lassen Rechtsverletzungen iSd § 50 Abs. 1 FPG nicht erwarten.

 

3.3.5.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde ebenso mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.05.2018 rechtskräftig verneint. Maßgebliche Änderungen des Sachverhalts , die auf die Gefahr solcher Rechtsverletzungen schließen lassen, liegen wie ausgeführt weder auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführer noch in der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation vor.

 

3.3.5.3. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

 

3.3.5.4. Die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ist daher zulässig.

 

3.3.6. Ebenso rechtmäßig ging das Bundesamt davon aus, dass bei Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer festzusetzen war.

 

3.3.7. Somit waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkt III, IV, V und VI der angefochtenen Bescheide gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 FPG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Zu den Einreiseverboten:

 

Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet auszugsweise wie folgt:

 

"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

 

1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

 

2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

 

3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

 

4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

 

5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

 

6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

 

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

 

8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

 

9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

 

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

 

5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

 

7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

 

8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

 

9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt. [...]"

 

3.7.1. Die Zulässigkeit der Verhängung eines Einreiseverbotes setzt eine Einzelfallprüfung voraus, wobei das gesamte Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu werten ist, inwieweit der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349). Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stellt dabei keine derartige Gefährdung dar (vgl. VwGH 24.06.2018, Ra 2018/19/0125). Der Katalog ist des Abs. 2 ist zwar nur demonstrativ; eine Gefährdung ist aber in den Fällen Z 1 bis Z 9 als erfüllt anzunehmen (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349).

 

Wie oben unter Punkt 3.3. und 3.4. näher ausgeführt, läuft das bisherige Verhalten der Beschwerdeführer, die rechtskräftig auferlegten Ausreiseverpflichtungen nicht nachkamen, und ihr fortgesetzter Aufenthalt im Bundesgebiet den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen massiv zuwider.

Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin ignorierten bereits zwei rechtskräftige behördliche Entscheidungen, welche ihnen die Verpflichtung auferlegten, das Bundesgebiet zu verlassen.

 

Die beschriebenen Verstöße von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin lassen somit ein bisheriges (Fehl-) Verhalten erkennen, das die Schlussfolgerung zulässt, dass ihre Aufenthalt im Sinne des § 53 Abs. 2 zweiter Satz zumindest die öffentliche Ordnung insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung unkontrollierter und illegaler Zuwanderung jedenfalls gefährdet (vgl. dazu auch VwGH 26.06.2014, Ro 014/21/0026, VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237; vgl auch VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349). Das bisherige Verhalten von Erst- und Zweitbeschwerdeführerin lässt den Schluss zu, dass diese auch künftig nicht gewillt sein werden, jene fremdenrechtlichen Vorschriften zu respektieren, die ihnen den Aufenthalt im Bundesgebiet verwehren. Angesichts ihres beharrlichen, die Rechtsordnung negierenden Verhaltens erscheint es sehr wahrscheinlich, dass sie weiterhin versuchen werden, ihren (nach wie vor) unrechtmäßigen Aufenthalt durch weitere Antragstellungen und Außerachtlassung von Ausreiseverpflichtungen fortzusetzen.

 

Aufgrund des zu prognostizierenden künftigen Fehlverhaltens kommt eine Behebung der an Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin befristeten Einreiseverbote nicht in Betracht und kann auch für die Zukunft nicht davon ausgegangen werden, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin ihr Verhalten ändern und die fremdenrechtlichen Vorschriften beachten werden.

 

Für die Bemessung der Länge von Einreiseverboten ist darauf abzustellen, wie lange die von Fremden ausgehende Gefährdung prognostiziert ist; außerdem ist auch auf die privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof wies in seiner Entscheidung vom 22.05.2013, Zl. 2011/18/0259, jedoch darauf hin, dass das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen darf, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 8 bzw. des Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt. Eine einzelfallbezogene Bemessung ist vielmehr unabdingbar.

 

Dem öffentlichen Interesse an der Verfügung des Einreiseverbotes, um Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin daran zu hindern, nach der Beendigung ihres Aufenthalts nicht ins Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten zurückzukehren, kommt hohes Gewicht zu. Trotz des damit verbundenen Eingriffes in ihre privaten Interessen hält das Bundesverwaltungsgericht die Bemessung des an sie gerichteten Einreiseverbots mit zwei Jahren nicht für überschießend, sondern angemessen. Denn die Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin missachteten mittlerweile schon zweimal rechtskräftig verfügte Ausreiseverpflichtungen beharrlich und es ist nicht erkennbar, weswegen sie nunmehr willens sein sollten, die Vorschriften zu beachten, welche ihnen den Aufenthalt im Bundesgebiet verwehren. Insofern ist auch künftig zu erwarten, dass Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin bereit sein würden, das Gebiet der Mitgliedsstaaten einschließlich des Bundesgebiets beliebig aufsuchen würden, ohne rechtliche Beschränkungen zu respektieren. Angesichts dieser Prognose hält auch das Bundesverwaltungsgericht die Bemessung des Einreiseverbots für Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin mit zwei Jahren als angemessen, aber auch als ausreichend, um sie zu einem Umdenken in Richtung der Beachtung fremdenrechtlicher Vorschriften zu bewegen. In dieser Länger stellt es auch keinen ungerechtfertigt intensiven Eingriff in die privaten Interessen von Erstbeschwedeführer und Zweitbeschwerdeführerin dar.

 

Die minderjährigen Beschwerdeführer wiederum wohnen mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt und sind sowohl sozial als auch ökonomisch von diesen abhängig. Ihre Verstöße gegen die Ausreiseverpflichtungen stellen sich wegen ihres kindlichen Alters als bloße Folgen der Missachtung der Ausreiseverpflichtung durch die Eltern dar. Sie lassen insofern nicht auf eine Bereitschaft der minderjährigen Beschwerdeführer schließen, künftig fremdenrechtliche Vorschriften zu missachten, zumal sich die minderjährigen Beschwerdeführer noch längere Zeit in einem Alter befinden werden, in dem sie Ortswechsel nicht ohne ihre Eltern vornehmen können, die ihrerseits von Einreiseverboten betroffen sind. Der allenfalls bloß rechtswidrige Aufenthalt der minderjähren Beschwerdeführer allein rechtfertigt die Erlassung eines Einreiseverbotes nicht (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311). Die Einreiseverbote bezüglich der Drittbeschwerdeführerin und des Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführers sind daher aufzuheben.

 

3.4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

 

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann - unter anderem - eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

 

Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 2 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).

 

3.4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei sich resultierend für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien ergeben: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

 

3.4.2. Im vorliegenden Fall findet sich die Rechtsgrundlage für den Entfall der mündlichen Verhandlung in § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach der Entfall einer mündlichen Verhandlung unter die Voraussetzung zulässig ist, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

 

Eine mündliche Verhandlung konnte hier deshalb unterbleiben, weil aus dem Inhalt des dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsaktes die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Die belangte Behörde kam ihrer Ermittlungspflicht durch Befragungen der erwachsenen Beschwerdeführer nach. Die vorgelegten medizinischen Befunde belegen auch den Gesundheitszustand der Beschwerdeführer eindeutig. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Beschwerdeführern in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern. Im Beschwerdeverfahren wurden auch keine neuen Länderberichte, die über jene hinausgingen, die in den angefochtenen Bescheiden enthalten sind, eingeführt; eine mündliche Verhandlung war daher auch in dem Sinne nicht von Nöten, dass den Beschwerdeführern der Inhalt der Länderfeststellungen vorzuhalten gewesen wäre. Die Lebensumstände der Beschwerdeführer in Österreich waren deren Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren ausreichend zu entnehmen.

 

Vor diesem Hintergrund konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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