BVwG W245 2153750-1

BVwGW245 2153750-17.3.2018

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W245.2153750.1.00

 

Spruch:

W245 2153749-1/8E

 

W245 2153750-1/6E

 

W245 2153751-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX und 3. XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 31.03.2017, 1. Zahl: XXXX , 2. Zahl: XXXX und 3. Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerden werden gemäß §§ 3, 8, 10, 55 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Erstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge kurz "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin XXXX (in der Folge kurz "BF2") sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers

XXXX (in der Folge kurz "BF3"). Sie sind afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Sadat, reisten illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen der am 15.02.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF1 an, dass in seinem Land seit langer Zeit Krieg herrsche. In den letzten Jahren seien die Taliban sehr stark geworden. Sie würden Hazara hassen und ohne Grund töten. Zudem sei in den letzten zwei bis drei Jahren auch eine IS-Gruppe nach Afghanistan gekommen. Diese seien noch viel schlimmer und würden ihr gesamtes Volk töten. Sie haben keine Chance mehr in Afghanistan, da ihre Volksgruppe verfolgt und getötet werde. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor den Taliban und den IS.

 

Die BF2 gab bei ihrer Erstbefragung am 15.02.2016 - für sich und in Bezug auf den BF3 als gesetzliche Vertreterin - an, dass sie Angst davor habe, dass die Taliban sie und ihre Familie töten würden. Bei einer Rückkehr habe die BF2 Angst davor, dass die Taliban und der IS sie als Hazara töten würden.

 

3. Der BF1 und die BF2 wurden am 21.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") niederschriftlich einvernommen.

 

Der BF1 gab an, dass in Afghanistan seit Jahrzehnten Krieg herrsche und es dort sehr unsicher sei. Als die Taliban nach Mazar-e Sharif gekommen seien, sei er am linken Bein von zwei oder drei Patronen getroffen und verletzt worden. Ferner sei er vor vier Jahren mit Freunden unterwegs zu einer Pilgerstätte in XXXX gewesen. Da sei plötzlich auf sie geschossen und er sei am rechten Bein und am rechten Zeigefinger getroffen worden. Zudem würden die Schiiten und die Minderheit der Sadat von den Taliban und dem Daesh verfolgt werden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst um sein Leben, weil die Sicherheitslage dort schlecht sei.

 

Die BF2 gab - für sich und in Bezug auf den BF3 als gesetzliche Vertreterin - an, dass sie wegen der schlechten Sicherheitslage Afghanistan verlassen haben. Eine Rückkehr sei für sie nicht möglich, da sie dort keine Rechte habe. Zudem sei Afghanistan ein sehr schlechtes Land.

 

4. Das BFA hat mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Den Beschwerdeführern wurden gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen jeweils gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig seien. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

 

5. Mit Verfahrensanordnung vom 31.03.2017 wurde den Beschwerdeführern (in der Folge kurz "BF") gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG

XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

 

6. Gegen die oben genannten Bescheide des BFA wurde am 18.04.2017 jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass die BF Afghanistan aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und aufgrund der Mitgliedschaft bei der Haraket-e Islami verfolgt worden seien und deshalb ihr Heimatland verlassen hätten müssen. Zudem habe die BF2 auch ihr Heimatland aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen verlassen. Hinsichtlich des Non-Refoulements wurde im Wesentlichen auf die prekäre Sicherheitslage in Mazar-e Sharif bzw. in Kabul hingewiesen. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass die BF noch nie in Kabul gelebt hätten und dort nicht ortskundig seien. Zudem würden sie dort auch über kein soziales Netzwerk verfügen. Gemeinsam mit den Beschwerden wurden Vollmachten für die XXXX vom 11.04.2017 für die Vertretung der BF im Asylverfahren übermittelt.

 

7. Die gegenständliche Beschwerden und die bezugshabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 19.04.2017 vom BFA vorgelegt.

 

8. Mit Ladung zur Beschwerdeverhandlung wurden den BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 02.03.2017 (zuletzt aktualisiert am 21.12.2017), sowie weitere Länderberichte im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht. Dazu langte bis zur Beschwerdeverhandlung keine Stellungnahme ein.

 

9. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 21.02.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die BF im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahmen. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

10. Am 01.03.2018 übermittelten die BF im Wege ihrer Rechtsvertretung eine Stellungnahme.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der gegenständlich erhobenen Anträge auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des BF1 und der BF2 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, der Stellungnahmen der BF, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakte, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zum sozialen Hintergrund der BF:

 

Der BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Sadat und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF1 ist Dari. Zudem spricht er auch Farsi. Er ist im erwerbsfähigen Alter und leidet an keiner ernsthaften Krankheit.

 

Der BF1 stammt nach seinen Angaben aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Balkh. Da es in seinem Wohngebiet keine Schulen gab, wurde er von Privatpersonen unterrichtet. Er kann lesen und schreiben. Bis zur Ausreise aus Afghanistan konnte der BF1 als Bauer, Schweißer, Brotbäcker und Straßenverkäufer Berufserfahrungen sammeln. Der BF1 war ab dem 15. bzw. 16. Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der Lage, sich bzw. seine Familie selbst zu versorgen. Die Familie des BF1 besitzt in Afghanistan Grundstücke. Er kann diese auch als Familienoberhaupt wirtschaftlich nutzen.

 

Die BF2 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Sadat und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF2 ist Dari. Zudem spricht sie auch Farsi. Sie ist im erwerbsfähigen Alter und leidet an keiner ernsthaften Krankheit.

 

Die BF2 stammt nach ihren Angaben aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Balkh. Die BF2 hat Koran lesen und zuhause lesen und schreiben gelernt. Danach hat sie Teppiche geknüpft. Sie hat dafür etwas Geld bekommen, weil die Teppiche von einem Angehörigen auf dem Bazar verkauf wurden. Ansonsten war die BF2 bis zu ihrer Ausreise hauptsächlich mit Hausarbeit beschäftigt.

 

Der BF3 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Sadat und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF3 ist Dari. Zudem spricht er auch Farsi und Englisch. Der BF3 ist gesund.

 

Der BF3 wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Balkh geboren. Er hat drei Jahre in der Stadt Mazar-e Sharif die Schule besucht. Er hat in Afghanistan seiner Mutter beim Kochen, Putzen und Einkaufen geholfen. In seiner Freizeit hat er in Afghanistan Playstation gespielt und sich mit Freunden zum Spielen verabredet. Er hat viele Freunde in Afghanistan, die er vermisst.

 

Vor ihrer Ausreise haben die BF als Familie in der Stadt Mazar-e Sharif gelebt, ihr Heimatdorf ist XXXX , wobei dieses ein Unterdorf von XXXX ist.

 

BF1 und BF2 sind verheiratet und leben mit ihrem gemeinsamen Sohn BF3 in Österreich. Die Verfahren von BF1, BF2 und BF3 wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Ferner haben der BF1 und die BF2 noch zwei Söhne und eine Tochter. Ein Sohn und eine Tochter leben im Iran, der zweite Sohn lebt in Griechenland.

 

Darüber hinaus hat der BF1 noch eine Mutter, drei Brüder und vier Schwestern. Mit Ausnahme seiner Mutter und seines Bruders XXXX haben alle Angehörigen Afghanistan verlassen und leben im Iran bzw. in Deutschland.

 

Die BF2 hat noch Eltern, zwei Brüder und drei Schwestern. Ihre Geschwister leben im Iran.

 

Der BF1 und die BF2 haben noch Kontakt zu Freunden bzw. Familienangehörigen in Afghanistan sowie zu ihren Angehörigen im Iran.

 

Die BF sind strafgerichtlich unbescholten. Nach ihren eigenen Angaben sind sie in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und hatten keine Probleme mit Behörden.

 

Die BF haben Afghanistan im Jänner 2016 verlassen.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

 

Die BF stellten am 15.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Ihren Antrag auf internationalen Schutz begründeten die BF im Wesentlichen damit, dass sie Angst vor den Taliban und dem IS gehabt hätten, die Hazara verfolgen und töten würden. Dieses Vorbringen war nicht geeignet, eine asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung zu begründen.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt waren oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätten.

 

Die BF2 führt in Österreich kein selbstbestimmtes Leben und strebt die Führung eines solchen auch nicht an. Ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nicht im Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Die persönliche Wertehaltung der BF2 orientiert sich nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild.

 

Die BF2 hat keine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Ihre Lebensführung in Österreich ist nicht zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden, sodass von ihr erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen.

 

Es wird festgestellt, dass der BF1 und die BF2 persönlich nicht glaubwürdig sind.

 

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr der BF:

 

Im Falle einer Verbringung der BF in ihren Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

 

Den BF steht - abgesehen von ihrer Rückkehr nach XXXX - auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Mazar-e Sharif zur Verfügung. Die BF haben bis zu ihrer Ausreise regelmäßig in Mazar-e Sharif gelebt. Die BF können Mazar-e Sharif - über Kabul - sicher mit dem Flugzeug erreichen. Von dort ist auch eine sichere Rückreise nach XXXX möglich.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif bzw. XXXX Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF1 ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine (einfache) Unterkunft zu finden, bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Weiters war der BF1 schon vor der Ausreise aus Afghanistan in der Lage, sich und seine Familie zu versorgen.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Mutter des BF1 sowie sein Bruder XXXX Afghanistan verlassen haben und sich nun im Iran aufhalten. Diese Verwandten leben nach wie vor in XXXX . Als weitere familiäre Anknüpfungspunkte hat der BF1 sehr viele Cousins väterlicherseits in Afghanistan. Die genaue Anzahl dieser Cousins konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund des traditionell starken Zusammenhalts innerhalb der Familien in Afghanistan ist davon auszugehen, dass dem BF1 und seiner Familie bei einer Rückkehr von dieser Seite (Mutter, Bruder, Cousins) Unterstützung geleistet wird. Aufgrund der Nähe des Ortes XXXX zu Mazar-e Sharif (zwei Autostunden entfernt) ist eine Unterstützung durch die Verwandten (z.B. Versorgung mit Nahrung, Herstellung von Kontakten, etc.) möglich.

 

Auch die BF2 verfügt über Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihre Eltern Afghanistan verlassen haben. Sie leben nach wie vor in XXXX . Als weitere familiäre Anknüpfungspunkte hat die BF2 noch Cousins in Afghanistan. Eine genaue Anzahl diese Cousins kann nicht festgestellt werden.

 

Darüber hinaus hat der BF1 noch die Möglichkeit, familiäre Grundstücke in seinem Heimatdorf zu nutzen. Die vorhandenen Vermögenswerte mögen "der Familie" gehören, es gibt aber kein Anzeichen, dass die BF bei Bedarf nicht davon partizipieren könnten. In diesem Zusammenhang kommt dem BF1 als Familienoberhaupt der Familie hinsichtlich der Nutzung der Grundstücke eine vorrangige Stellung zu.

 

Beim BF1 handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden Erwachsenen, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF kann lesen und schreiben und hat in Mazar-e Sharif als Schweißer, Brotbäcker und Straßenverkäufer gearbeitet. Zudem konnte er Berufserfahrungen als Bauer sammeln. Der BF war ab seinem 15. bzw. 16. Lebensjahr in der Lage, für sich bzw. seine Familie zu sorgen. Aufgrund seiner Berufserfahrungen, ist der BF mit dem Arbeitsmarkt in Afghanistan vertraut und er kann eine entsprechende Tätigkeit wieder aufnehmen. Durch seine vormaligen Erwerbstätigkeiten und das familiäre Netz, das ihm insbesondere bei der Arbeitssuche helfen und Kontakte vermitteln kann, hat er auch maßgebliche Vorteile bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit in Afghanistan.

 

Die BF haben die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Die BF wurden in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

 

Der BF1 und die BF2 leiden an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; der BF3 ist gesund. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr der BF nach Mazare-e Sharif ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

 

Die BF sind mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache ihres Herkunftsstaates vertraut. Zudem verfügen sie über umfassende Ortskenntnisse in Mazar-e Sharif bzw. in XXXX .

 

Aus dem konkreten Umfeld, in das die BF nach Mazar-e Sharif zurückkehren, ergeben sich keine Faktoren, welche eine Gefahrenverdichtung in der Person des BF3 aufgrund seiner Minderjährigkeit verursachen. Für den BF3 besteht aufgrund seiner Minderjährigkeit keine erhöhte Gefahr, in Mazar-e Sharif ziviles Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzung zu werden. Er läuft in Mazar-e Sharif nicht Gefahr, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden.

 

1.4. Zum Leben in Österreich:

 

Die BF halten sich seit Februar 2016 in Österreich auf.

 

Die BF haben in Österreich sehr entfernte Verwandte. Diese leben in Wien. Die BF leben mit diesen nicht zusammen. Besondere Merkmale der Abhängigkeit zu diesen Familienangehörigen sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

De BF1 und die BF2 sind nicht in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Jedoch ist der minderjährige BF3 in der Lage, bei klarer Sprache über vertraute Dinge aus Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Der BF3 unterstützt die BF2 im Alltagsleben dadurch, dass er für sie in Österreich dolmetscht.

 

Die BF pflegen in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern (Deutschlehrern) und Afghanen. Neben den erwähnten Freundschaften, sind der BF1 und die BF2 keine Mitglieder von Vereinen und politischen Parteien und waren bisher auch sonst politisch nicht aktiv. Der BF1 geht in der Freizeit spazieren und unterhält sich mit den Bewohnern in der Unterkunft. Die BF2 beteiligt sich in Österreich an Freizeitaktivitäten (Yoga, Schwimmen, Ausflüge, usw.) einer afghanischen Frauengruppe. Im Übrigen kümmert sie sich um Hausarbeiten und kocht und putzt. Der BF3 ist neben seiner Schule in einem Fußballverein aktiv.

 

Da der BF1 und die BF2 keine Arbeitserlaubnis haben, waren sie bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Die BF leben von der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügen der BF1 und die BF2 über keine Einstellzusage. Der BF1 hat vereinzelt gemeinnützige Aufgaben übernommen, indem er zwei bis dreimal für die Gemeinde im Wald gearbeitet hat. Die BF2 hat in der Unterkunft als Reinigungskraft gearbeitet.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

 

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

 

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

 

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

 

Zivilist/innen

 

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

 

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

 

High-profile Angriffe:

 

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

 

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

 

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

 

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

 

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

 

Interreligiöse Angriffe

 

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

 

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

 

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

 

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

 

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

 

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Taliban

 

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

 

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

 

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

 

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

 

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

 

Politische Entwicklungen

 

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

 

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

 

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

 

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

 

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

 

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

 

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

 

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle

 

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

 

Zivilist/innen

 

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

 

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

 

High-profile Angriffe:

 

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichneten in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

 

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

 

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In

 

Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

 

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

 

"Green Zone" in Kabul

 

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

 

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

 

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

 

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

 

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

 

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

 

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Taliban

 

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

 

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

 

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

 

Politische Entwicklungen

 

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

 

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

 

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q2.2017

 

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

 

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

 

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

 

High-profile Angriffe:

 

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

 

Hauptstadt Kabul

 

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

 

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

 

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

 

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

 

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

 

Herat

 

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

 

Mazar-e Sharif

 

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

 

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

 

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

 

Taliban

 

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

 

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

 

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

 

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

 

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

 

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q1.2017

 

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

 

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

 

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

 

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

 

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

 

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

 

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

 

High-profile Angriffe

 

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

 

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

 

Taliban

 

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

 

Helmand

 

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vgl. auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten, Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge, wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).

 

Kunduz

 

Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vgl. auch: LWJ 9.5.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

 

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vgl. auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017).

 

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vgl. auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

 

Politische Lage

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

 

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9 .2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9 .2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017).

 

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017).

 

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016).

 

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9 .2016).

 

Parteien

 

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

 

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016).

 

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

 

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9 .2016).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess:

 

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9 .2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

 

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

 

Sicherheitslage

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

 

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

 

 

 

1.12.2015 - 15.2.2016

16.2.2016 - 19.5.2016

20.5.2016 - 15.8.2016

16.8.2016 - 17.11.2016

1.12.2015 - 17.11.2016

Sicherheits-relevante Vorfälle

4.014

6.122

5.996

6.261

22.393

Bewaffnete Zusammenstöße

2.248

3.918

3.753

4.069

13.988

Vorfälle mit IED¿s

770

1.065

1.037

1.126

3.998

gezielte Tötungen

154

163

268

183

768

Selbstmord-attentate

20

15

17

19

71

      

 

(UN GASC 13.12.2016; UN GASC

7.9.2016; UNGASC10.6.2016; UN GASC 7.3.2016; Darstellung durch die Staatendokumentation des BFA).

 

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

 

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

 

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

 

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

 

Al-Qaida

 

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

 

Siehe Kapitel - Politische Lage - Friedens- und Versöhnungsprozesse

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

 

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

 

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

 

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums, vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10% im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis, verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen, im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40%) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potentielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus - eine Steigerung von 43% (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkter Beseitigungsbemühungen, aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen, zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie z.B. des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

 

Zivile Opfer

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

 

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

 

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

 

Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an - nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge, sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Int. Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden 5 Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015).

 

Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

Distrikt Kabul

 

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Provinz Kabul

 

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

Internationaler Flughafen Kabul

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (NYT 4.1.2016; vgl. auch: Hamid Karzai Airport 2015). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neuer internationaler Terminal wurde hinzugefügt und der alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (Hamid Karzai Airport 2015).

 

Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif, liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.:

Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich. Die Provinz Kunduz lieg im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y). Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten an: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.353.626 geschätzt (CSO 2016).

 

Im Zeitraum 1.1. - 31.8.2015 wurden in der Provinz Balkh 226 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

 

Die zentral gelegene Provinz Balkh - mit ihrer friedlichen Umgebung, historischen Denkmälern und wunderschönen Landschaft - wird als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt (Xinhua 12.12.2016; DW 4.8.2016). Obwohl Balkh zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan zählt, versuchen dennoch bewaffnete Aufständische die Provinz zu destabilisieren. In den letzten Monaten kam es zu Vorfällen in Schlüsselbezirken der Provinz (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Xinhua 11.11.2016; Xinhua 1.10.2016). Laut dem Gouverneur Noor würden Aufständische versuchen, in abgelegenen Gegenden Stützpunkte zu errichten (Khaama Press 30.3.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Khaama Press 30.3.2016; vgl. auch: Tolonews 26.5.2016; Tolonews 18.4.2016). In der Provinz wurden militärische Operationen durchgeführt (Kabul Tribune 5.1.2017). Dabei hatten die Taliban Verluste zu verzeichnen (Khaama Press 14.12.2016; Tolonews 26.5.2016). Auf Veranlassung des Provinzgouverneur Atta Noor wurden auch in abgelegenen Gegenden großangelegte militärische Operationen durchgeführt (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Khaama Press 7.3.2016).

 

Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014). Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan. Grund dafür ist das Machtmonopol, das der tadschikisch-stämmige Gouverneur und ehemalige Warlord Atta Mohammed Noor bis in die abgelegensten Winkel der Provinz ausübt. Nichtsdestotrotz ist die Stabilität stark abhängig von den Beziehungen des Gouverneurs zum ehemaligen Warlord und nunmehrigen ersten Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum. Im Juni 2015 haben sich die beiden Rivalen darauf geeinigt, miteinander zu arbeiten, um die Sicherheit in Nordafghanistan wiederherzustellen. Die Stabilität der Provinz Balkh war ein Hauptfokus der NATO-Kräfte (RFE/RL 8.7.2015). Im Distrikt Balkh wird die Reduzierung von Rebellenaktivitäten der Leistungsfähigkeit der ANSF und des neuen Distriktpolizeichefs zugeschrieben (APPRO 1.2015)

 

High-profile Angriff:

 

Bei einem Angriff auf das deutsche Konsulat in Mazar-e Sharif waren am 10.11.2016 sechs Menschen getötet und fast 130 weitere verletzt worden (Die Zeit 20.11.2016). Nach Polizeiangaben attackierte am späten Abend ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto das Gelände des deutschen Generalkonsulats in Mazar-e Sharif. Die Autobombe sei gegen 23:10 Uhr Ortszeit am Tor der diplomatischen Einrichtung explodiert, sagte der Sicherheitschef der Provinz Balkh. Bei den Toten soll es sich um Afghanen handeln. Alle deutschen Mitarbeiter des Generalkonsulats seien bei dem Angriff unversehrt geblieben (Die Zeit 10.11.2016). Das Gebäude selbst wurde in Teilen zerstört. Der überlebende Attentäter wurde dem Bericht zufolge wenige Stunden später von afghanischen Sicherheitskräften festgenommen (Die Zeit 20.11.2016).

 

Außerhalb von Mazar-e Sharif, in der Provinz Balkh, existiert ein Flüchtlingscamp - auch für Afghan/innen - die Schutz in der Provinz Balkh suchen. Mehr als 300 Familien haben dieses Camp zu ihrem temporären Heim gemacht (RFE/RL 8.7.2015).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh eröffnet (Pajhwok 9.6.2013).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

 

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

 

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

 

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9 .2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

 

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

 

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

 

Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9 .2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9 .2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9 .2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

 

Ausführliche Informationen zu den Hazara, können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden. In Zusammenhang mit sozialen Netzwerken der Hazara wird in diesem Dossier wie folgt ausgeführt: In Afghanistan besteht das traditionelle soziale Netz größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können. Die Hazara haben eine ethnische Identität. Deshalb wird ein Hazara immer einem anderen Hazara in Not helfen, selbst, wenn er nicht der eigenen Familie oder dem Klan angehört. Dies trifft insbesondere im Ausland zu, dort werden die Hazara in den Flüchtlingslagern oder ähnlichen Situationen stets anderen Hazara helfen (Dossier, Seite 77).

 

Frauen

 

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

 

Bildung

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

 

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

 

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

 

Frauenuniversität in Kabul

 

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

 

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

 

Berufstätigkeit

 

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

 

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen im öffentlichen Dienst

 

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9 .2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

 

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9 .2016).

 

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9 .2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

 

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

 

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

 

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

 

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

 

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9 .2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Strafverfolgung und Unterstützung

 

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9 .2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9 .2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9 .2016)

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9 .2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

 

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9 .2016).

 

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9 .2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9 .2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

 

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

 

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

 

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

 

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

 

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9 .2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

 

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9 .2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9 .2016).

 

Ehrenmorde

 

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

 

Legales Heiratsalter:

 

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9 .2016).

 

Frauenhäuser

 

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9 .2016).

 

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

 

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

 

Medizinische Versorgung - Gynäkologie

 

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9 .2016).

 

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9 .2016)

 

Kinder

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9 .2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9 .2016).

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016).

 

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

 

In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen oder verharmlost (AA 9 .2016). Üblicherweise sind die Jungen zwischen 10 und 18 Jahre alt (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9 .2016); viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben (SBS 21.12.2016). Viele der Jungen wurden entführt und manchmal werden sie von ihren Familien, aufgrund von Armut, an die Täter verkauft (SBS 20.12.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. (AA 9 .2016)

 

Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetzesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Schaffung einer Organisation - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015).

 

Die UNAMA unterstütze weiterhin Bemühungen der AIHRC Bacha Bazi, und andere Formen sexuellen Missbrauchs, vorzubeugen und zu kriminalisieren: sie drängte die afghanische Regierung Bacha Bazi zu kriminalisieren, indem die von einer Kommission entworfenen und vorgeschlagenen Gesetze, durch ein Präsidialdekret bestätigt werden sollen. Derzeit gibt es sehr wenige Leistungen und Unterstützungsmechanismen für Opfer von Bacha Bazi - oftmals werden sie selbst bestraft (UNAMA 6.2.2017).

 

Kinderarbeit

 

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest, erlaubt 14 -Jährigen als Lehrlinge zu arbeiten, sowie 15-Jährigen (und älter) "einfache Arbeit" zu verrichten. Ebenso dürfen 16- und 17-Jährige bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Unter 14-Jährigen ist es unter gar keinen Umständen erlaubt zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert - dazu zählen:

Arbeit in Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen, sowie großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC (Children's Situation Summary Report vom 14. Dezember 2014) 51,8% der Kinder auf die ein oder andere Weise gearbeitet. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen. 6,5 Millionen Kinder gelten als Gefahren ausgesetzt (AA 9 .2016). Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (USDOS 13.4.2016).

 

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigerte Schätzungen zu den Zahlen der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründete dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkte, die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge, wurden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. In einem Bericht der AIHRC, gaben 22% der Befragten an, arbeitende Kinder zu haben. Kinder sind bei der Arbeit einer Anzahl von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt; Berichte existieren wonach Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt waren (USDOS 13.4.2016).

 

Das Gesetz besagt, dass die Verhaftung eines Kindes als letztes Mittel und nur für die kürzest mögliche Zeit vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kinder in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquatem Essen, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Verhafteten Kindern wurden oftmals Basisrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe usw., sowie das Recht nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor, limitierte Ressourcen ermöglichten bisher aber nur Jugendgerichte in sechs Gebieten: Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Jalalabad und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. In manchen Fälle nahmen die Behörden die Opfer, als zu bestrafende wahr, da sie Schande über die Familie gebracht haben, indem sie Missbrauch anzeigten. In manchen Fällen wurden misshandelte Kinder von den Behörden verhaftet, wenn sie nicht zu ihren Familien zurückgebracht werden konnten und keine anderen Zufluchtsstätten existierten. Auch gab es Vorwürfe wonach die Behörden Kinder oft stellvertretend für verwandte Täter verhafteten (USDOS 13.4.2016).

 

Bildungssystem in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9 .2016).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge, verkomplizieren rückkehrende Flüchtlinge die Situation der bereits mehr als eine Million Binnenvertriebenen, deren Anzahl sich aufgrund des Aufstandes im Jahr 2016 erhöht hat. Nach Meinung des IWF wird dies die Kapazitäten des Landes überfordern (DAWN 28.1.2017).

 

Die Zahl der Internvertriebenen im Jahr 2017 betrug 9.759 (Stand 4. Februar 2017) (UN OCHA 5.2.2017). 636.503 Menschen wurden insgesamt im Jahr 2016 aufgrund des Konfliktes vertrieben (UN OCHA 29.1.2017). Mehr als die Hälfte dieser Menschen (56%) waren Kinder unter 18 Jahren. Von Binnenvertreibung betroffen waren 31 Provinzen in unterschiedlichem Ausmaß; alle 34 Provinzen beherbergten Binnenvertriebene. Im Jahr 2016 stammten die meisten Binnenvertriebenen aus den Provinzen Kunduz, Uruzgan, Farah und Helmand. Gleichzeitig nahmen die Provinzen Helmand, Takhar, Farah, Kunduz und Kandahar die meisten Binnenvertriebenen auf. Viele Menschen suchen also in der Nähe ihrer Heimat Schutz. Binnenvertriebene tendieren dazu aus ländlichen Gebieten in die Provinzhauptstädte zu ziehen, oder in die angrenzenden Provinzen zu gehen. Sobald der Konflikt zu Ende ist, versuchen sie bald wieder nach Hause zu kehren (AAN 28.12.2016).

 

Der verhängnisvollste Monat war Oktober, in welchem die Taliban mehrere Provinzhauptstädte gleichzeitig angriffen: Kunduz City, Farah City, Maimana, und Lashkar Gah. Der Anstieg der IDP-Zahlen ist auch auf den Rückzug internationaler Truppen zurückzuführen, die durch Luftangriffe unterstützten; mittlerweile haben die Taliban ihre Angriffstaktik geändert und sind zu Bodenoffensiven übergegangen. Bodenoffensiven sind nicht nur die Ursache für Tote und Verletzte innerhalb der Zivilbevölkerung, sondern zwingen die Menschen aus ihren Heimen zu fliehen (AAN 28.12.2016).

 

Im Rahmen von humanitärer Hilfe wurden Binnenvertriebene, je nach Region und Wetterbedingungen, unterschiedlich unterstützt: Bargeld, Paket für Familien, winterliche Ausrüstung, Nahrungspakete, Hygienepakete, Decken, Zelte, und andere Pakete, die keine Nahrungsmittel enthielten usw. Auch wurde Aufklärung in Bereichen wie Hygiene betrieben (UN OCHA 5.2.2017; vgl. auch: UN OCHA 29.1.2017; UN OCHA 1.11.2016; UN OCHA 1.10.2016; vgl. ACBAR 7.11.2016).

 

Unterschiedliche Organisationen, wie z.B. das Internationale Rote Kreuz (IRC) oder das Welternährungsprogramm (WFP) usw. sind je nach Verantwortungsbereichen für die Verteilung von Gütern zuständig.

Dazu zählten: Nahrung, Zelte, sowie andere Güter, die keine Nahrungsmittel waren (IOM 17.4.2016; vgl. auch ACBAR 15.5.2016).

 

UNHCR unterstützt Rückkehrer/innen mit finanziellen Beihilfen in vier Geldausgabezentren, außerdem mit Transiteinrichtungen und elementaren Gesundheitsleistungen. Zusätzlich wurden sie in anderen Bereichen aufgeklärt, wie z.B. Schuleinschreibungen, Gefahren von Minen etc. (UNHCR 6.2016).

 

2017

 

Im Jänner 2017 wurde ein humanitärer Plan für US$ 550 Millionen aufgestellt, mit dem Ziel im Jahr 2017 die vulnerabelste und marginalisierteste Bevölkerung des Landes zu unterstützen. Ziel sind strategische und lebensnotwendige Interventionen: Nahrung, Unterkunft, Gesundheitsvorsorge, Ernährung, sauberes Wasser und Hygiene. Im Rahmen des "Afghanistan 2017 Humanitarian Response Plan" sollen etwa 5,7 Millionen Menschen erreicht werden (UN News Centre 23.1.2017).

 

2016

 

Im September 2016 suchten die Vereinten Nationen um 152 Millionen US Dollar an, um lebensnotwendige Hilfe für Internvertriebenen, nicht-dokumentierten Rückkehrer/innen und registrierten Flüchtlingen bieten zu können. Von den zugesagten 42 Millionen US Dollar wurden 40,2 Millionen US Dollar bereits entgegengenommen. Somit stand die gesamte humanitäre Unterstützung für Afghanistan im November 2016 bei 401 Millionen US Dollar (UN GASC 13.12.2016).

 

Flüchtlinge in Afghanistan:

 

Laut UNHCR sind derzeit in Afghanistan rund 55.000 registrierte Flüchtlinge (darunter viele pakistanische Staatsangehörige) und ca. 300 Asylwerber. Der Großteil der Menschen aus Pakistan ist im Juni 2014 vor Auseinandersetzungen aus der Nord-Waziristan-Region nach Afghanistan geflüchtet (AA 9 .2016).

 

Informationen und Zahlen zu Rückkehrer/innen nach Afghanistan siehe Kapitel Rückkehr

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit, sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011, stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte; verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung - Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit, nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen, sowie Gewalt, sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Medizinische Versorgung

 

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9 .2016).

 

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)].

 

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9 .2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vgl. auch: AA 9 .2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

 

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9 .2016).

 

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge, verwenden 23% der Frauen in gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar und somit müssen bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst (IOM 21.9.2016). Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Physisch und geistig Behinderte, sowie Opfer von Missbrauch müssen eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Für verschiedene Krankheiten und Infektionen ist medizinische Versorgung nicht verfügbar. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten geboten werden, welche zudem meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Diagnostische Ausstattungen wie Computer Tomographie ist in Kabul (1 in Kabul) verfügbar (IOM 2016).

 

Medikamente

 

Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (IOM 2016). Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war vielen Frauen nicht erlaubt alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 13.4.2016).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Eine begrenzte Zahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Um Zugang zu erhalten, benötigt man die afghanische Nationalität (Ausweis/Tazkira). Man kann sich mit seinem Ausweis in jedem afghanischen Krankenhaus registrieren und je nach gesundheitlicher Beschwerde einem Arzt zugewiesen werden. Sollten Operation und Krankenhausaufenthalt nötig sein, wird dem Patienten in dem Krankenhaus ein Bett zur Verfügung gestellt (IOM 2016).

 

In Kandahar eröffnete eine pädiatrische Abteilung im Mirwais Krankenhaus, mit dem Ziel die extrem hohe Säuglingssterberate zu reduzieren: unter anderem verdoppelte sich die Zahl der Säuglingsschwestern; die neue Brutkasteneinheit unterstützt die Spezialist/innen der Neonatalogie (The Guardian 1.12.2016).

 

Telemedizinprojekt durch den Mobilfunkanbieter Roshan

 

Das Telemedizinprojekt, verbindet Ärzte in ländlichen Gegenden mit Spezialist/innen im französischen Kindermedizininstitut in Kabul und dem Aga Khan Universitätskrankenhaus in Pakistan. Durch eine Hochgeschwindigkeits-Videoverbindung werden arme Patient/innen auf dem Land von Expert/innen diagnostiziert. Die von Roshan zur Verfügung gestellte Technologie ermöglicht es afghanischen Ärzten im Institut zudem, durch komplizierte Behandlungen geleitet zu werden, für die sie sonst nicht die Expertise hätten (Good Impact 17.12.2016).

 

Rückkehr

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017).

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

 

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

 

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

 

Memorandum of Understanding (MoU)

 

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU - Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u. a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 2. Oktober 2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9 .2016).

 

Frauen in urbanen Zentren

 

1. Wie sind die Kleidungs- und Kopftuchvorschriften in den drei Großstädten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat?

 

Den nachfolgend zitierten Quellen (inklusive Bildquellen) ist zu entnehmen, dass Kleidungs- und Kopftuchvorschriften in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat erheblich variieren. Dies gilt auch für die Erwartungen, die an Frauen bezüglich ihrer Bekleidung gestellt werden. Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten.

 

2. Wie gestaltet sich das Alltagsleben für Frauen in den genannten Städten?

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig ist. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen - rechtlich, beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen, und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt.

 

3. Wie gestalten sich die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen in Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif? Welche Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung haben Frauen (e.g. Sport, etc.)?

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv sind. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Die Quellen erläutern die mannigfaltigen Schwierigkeiten mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen. Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, laut nachfolgend zitierten Quellen, eine Vielzahl von Beispielen. Konkrete Informationen können den Einzelquellen entnommen werden.

 

4. Wie gestalten sich medizinische und psychosoziale Leistungen für Frauen in Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif?

 

Staatliche Krankenhäuser bietet kostenfreie medizinische Versorgung in Afghanistan an. Die PatientInnen müssen jedoch ihre Medikamente selbst kaufen. Dies, sowie die Behandlung in privaten Klinken, ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen oft nicht leistbar. Während in Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif die medizinische Grundversorgung generell gewährleistet ist, hängt es von der sozio-ökonomischen Lage der Betroffenen ab, ob sie sich bestimmte Behandlungen leisten können. Verschiedene Arten der Empfängnisverhütung sind im Handel erhältlich und werden unentgeltlich in öffentlichen Gesundheitszentren, sowie gefördert in privaten Gesundheitszentren und durch Gesundheitsarbeiter angeboten. Die Gesundheitslage von Frauen und Kindern bleibt, trotz Verbesserungen, schwierig. Wohlhabende Afghan/innen reisen zur medizinischen Behandlung oft nach Pakistan oder Indien. Die öffentliche psychiatrische Versorgung ist unzureichend. Dies gilt vor allem auch für Binnenflüchtlinge und Rückkehrer/innen. Trotzdem wird das Gesundheitswesen für Frauen in Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif stetig ausgebaut. Das größte Problem bleibt der ungleiche Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, vor allem für Frauen aus armen und ärmsten Schichten.

 

(Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan: Frauen in urbanen Zentren, vom 18.09.2017)

 

Risikogruppen

 

In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016" schreibt UNHCR (zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016):

 

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

 

Ausweichmöglichkeiten

 

Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragstellerinnen und Antragsteller müssen folgende Aspekte erwogen werden:

 

(i) der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan in Hinblick auf die Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind; und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit ausgedehnten Einsatz improvisierter Sprengkörper und Landminen, Angriffen und Straßenkämpfen und von regierungsfeindlichen Kräften erzwungene Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten nicht gegeben ist. Außerdem ist nach Ansicht von UNHCR keine interne Schutzalternative in jenen Teilen des Landes gegeben, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte befinden; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller ehemals Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet hergestellt hatten.

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von Afghaninnen und Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben sind, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn die Person Zugang zu (i) einer Unterkunft, (ii) zu wesentlichen Grundleistungen wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung hat, und zudem (iii) Erwerbsmöglichkeiten geboten werden. Darüber hinaus ist laut UNHCR nur dann eine interne Schutzalternative in Erwägung zu ziehen, wenn die (erweiterte) Familie oder die ethnisch zugehörige Gemeinschaft der Person willens und in der Lage ist, diese in der Praxis tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzige Ausnahme von dieser Anforderung der externen Unterstützung sind alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten. Solche Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbaner und semiurbaner Umgebung leben, welche die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bietet und unter wirksamer staatlicher Kontrolle steht. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

 

(UNHCR, Eligibility Guidelines, vom April 2016, zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016)

 

2. Beweiswürdigung:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG. Die Protokolle im Rahmen der Erstbefragung (in der Folge kurz "Erstbefragung" bezeichnet), dem Verfahren vor dem BFA (in der Folge kurz "Niederschrift" bezeichnet) sowie der Verhandlung vor dem BVwG (in der Folge kurz "Verhandlungsprotokoll" bezeichnet) wurden vom BF1 und von der BF2 durch ihre Unterschrift hinsichtlich ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit bestätigt.

 

Die Feststellungen zum Auftreten der BF in der Beschwerdeverhandlung ergeben sich aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters.

 

Im vorliegenden Fall ist im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten, dass es sich beim BF3 im Antragszeitpunkt, bei den Einvernahmen im Asylverfahren und bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht um einen Minderjährigen gehandelt hat. Die Ausführungen des BF3 sind daher unter diesem Aspekt zu würdigen.

 

2.1. Zum sozialen Hintergrund der BF:

 

Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) des BF1 beruhen auf dem im Verfahren vorgelegten Reisepass. Hinsichtlich der BF2 und dem BF3 beruhen die Feststellungen zur Identität auf den Angaben der BF2 vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität der BF2 und des BF3 getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person der BF2 und des BF3 im Asylverfahren, da ihre Identitäten - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel - nicht abschließend geklärt werden konnten.

 

Die BF stammen aus dem Dorf XXXX . Dieses Dorf ist ein Unterdorf von XXXX (Beschwerdeverhandlung, Seite 17). Bei den Befragungen vor dem BFA wurde XXXX als XXXX protokolliert (z.B. Niederschrift des BF1, Seite 4). Auch wenn dieser Ort unterschiedlich protokolliert wurde, ist zweifelsfrei davon auszugehen, dass damit derselbe Ort gemeint war und dass die nicht übereinstimmende Schreibweise auf unterschiedliche Übersetzungen der Dolmetscher im Asylverfahren beruht.

 

Die Herkunftsprovinz der BF ist Balkh, wobei sie dort zwei Aufenthaltsorte gehabt haben, nämlich in der Stadt Mazar-e Sharif und im Dorf XXXX . Den Winter haben die BF in der Stadt Mazar-e Sharif verbracht. Im Sommer haben sie im Dorf XXXX gelebt. In XXXX bzw. im Dorf XXXX haben die BF zahlreiche Familienangehörige. Ferner befindet sich dort die Landwirtschaft der Familie des BF1. In diesem Zusammenhang ist notorisch bekannt, dass dem BF1 als Familienoberhaupt eine bevorzugte Nutzungsmöglichkeit der Landwirtschaft zukommt.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft der BF, insbesondere zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung in Zusammenschau mit den im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

 

Zu seinem Gesundheitszustand führte der BF1 bei der Befragung vor dem BFA zunächst aus, dass er gesund und vollkommen arbeitsfähig sei (Niederschrift des BF1, Seite 2). Im Laufe der Befragung vor dem BFA hat er auf eine Verletzung am linken Bein hingewiesen. Diese Verletzung hätte er sich bei einem Schusswechsel bei Kämpfen im Jahr 1385 (=2006) zugezogen. Aufgrund dieser Verletzung wäre er für zwei Wochen im Komazustand gewesen und wäre danach zuhause (bzw. teilweise widersprüchlich im Krankenhaus) aufgewacht. Zudem wäre der BF1 vier Jahre vor der Ausreise aus Afghanistan mit Freunden auf dem Weg zu einer Pilgerstätte der Sadat in XXXX gewesen. Dabei wäre auf das Fahrzeug geschossen worden und sein rechtes Bein und sein Finger wären verletzt worden (Niederschrift des BF1, 5 ff). In der Beschwerdeverhandlung gab der BF1 dazu an, dass noch eine Kugel in seinem Bein stecken würde. Deshalb hätte er starke Schmerzen, insbesondere dann, wenn es draußen kalt wäre. Diesbezüglich wäre der BF1 auch in Afghanistan behandelt worden. Der Arzt in Afghanistan hätte gemeint, dass er das Metall nicht herausoperieren werde und dass die Schmerzen mit der Zeit nachlassen würden. Auch in Österreich sei der BF dazu untersucht worden. Der Arzt hätte gesagt, dass er sich einer Operation unterziehen müsste. Das Vorliegen der geschilderten Verletzungen konnte der BF teilweise durch einen ärztlichen Befund von XXXX , vom XXXX belegen (AS 79 f). Diesem Befund ist zu entnehmen, dass der BF im linken Knie eine z.n. knöchern geheilte Fraktur im Bereich des distalen linken Femurs, eine erhöhte Rarefizierung der Knochendichte, Zeichen einer Ganarthrose links und multiple metalldichte Fremdkörper in den Weichteilen (Granatsplitter) hat. Zu seiner linken Hand ist aus diesem Befund eine erhöhte Rarefizierung der Knochendichte, Polyarthrose, insbesondere im Bereich des linken Handgelenkes, z.n. knöchern geheilte Fraktur der distalen Ulna links, multiple metalldichte Fremdkörper (Granatsplitter) sowie kein Hinweis auf eine suspekte Osteolysen bzw. kein Hinweis einer rezenten Fraktur zu entnehmen. Eine Verletzung des rechten Beines ist nicht im Befund belegt. Ebenso wenig eine akute Behandlungspflicht des BF1 bzw. eine Empfehlung eines Arztes, dass eine Operation durchgeführt werden sollte. Ferner konnte auch der erkennende Richter im Zuge der Beschwerdeverhandlung keine sichtbaren Einschränkungen des BF1 wahrnehmen, er konnte sich ohne Einschränkungen bewegen und artikulieren. Zudem wirkte der BF während der Befragung in der Beschwerdeverhandlung in keinster Weise depressiv und konnte alle Fragen klar beantworten (Verhandlungsprotokoll, Seite 30). Eine lebensbedrohliche Krankheit konnte nicht festgestellt werden, und es war die entsprechende Feststellung zu treffen. Auch ist eine akute Behandlung des BF1 nicht erforderlich, darüber hinaus benötigt er keine medizinische Behandlung in Österreich, welche er in seinem Herkunftsland nicht bekommen könnte. Zudem ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass sich der Gesundheitszustand des BF1 im Falle einer Überstellung nach Afghanistan verschlechtern würde. Die vorhandenen medizinischen Beeinträchtigungen des BF1 lassen auch nicht den Schluss zu, dass er deswegen tatsächlich an der Erwirtschaftung seines notdürftigen Lebensunterhalts längerfristig gehindert wäre. Auch dass eine Behandlung der Beeinträchtigungen nicht möglich wäre, kann nicht angenommen werden. Aus diesem Grund bestehen keine grundsätzlichen Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des BF1.

 

Die Ausführungen der BF2 zum Gesundheitszustand des BF1 lassen sich mit dessen Erklärungen bzw. den Angaben im vorliegenden Befund nicht in Einklang bringen. So führte die BF2 aus, dass der BF1 zwei Jahre bettlägerig gewesen wäre und sie ihn hätte pflegen müssen. Zudem wäre dem BF1 auf dem Kopf geschlagen worden und er wäre zwei Wochen im Koma gelegen. Der BF1 könne deshalb nicht mehr ordentlich sprechen, leide unter Vergesslichkeit und wäre nicht in der Lage, richtig Deutsch zu lernen. Zudem hätte er Depressionen. Ferner hätte er Verletzung an beiden Beinen und seine Beine wären durchsiebt worden. Weiters hätte er Verletzungen an beiden Händen bzw. Armen und ihm wäre die Wirbelsäule gebrochen worden (Verhandlungsprotokoll, Seite 27). Das Vorbringen der BF2 ist Großteils, als massive Steigerung des bis dahin erstatteten Vorbringens zu werten. So kann aus den bisherigen Angaben des BF1 bzw. der BF2 nicht entnommen werden, dass der BF2 zwei Jahre bettlägerig und pflegebedürftig gewesen wäre. Dass der BF1 nicht ordentlich sprechen könne, wurde in der Beschwerdeverhandlung durch die anwesende Dolmetscherin widerlegt (Verhandlungsprotokoll, Seite 28). Ferner konnte seitens des erkennenden Richters keine depressive Stimmung des BF1 wahrgenommen werden (Verhandlungsprotokoll, Seite 30). Auch, dass beide Hände verletzt, die Beine durchsiebt und die Wirbelsäule des BF1 gebrochen worden wäre, ist aus den vorgelegten Befund bzw. Angaben des BF1 nicht zu entnehmen. Mit diesen Ausführungen wollte die BF2 offenbar einen Aspekt aufzeigen, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des BF1 die Situation bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan erschwert wäre. Diese massiv widersprüchlichen und gesteigerten Angaben der BF2 zum Gesundheitszustand des BF1 indizieren ihre persönliche Unglaubwürdigkeit. Zudem erfolgte in der Stellungnahme der BF vom 01.03.2018 eine weitere Steigerung: Hier wird ausgeführt, dass der BF1 nicht nur zwei Wochen, sondern einen Monat im Koma gelegen wäre (Stellungnahme vom 01.03.2018, Seite 14).

 

Zu ihrem eigenen Gesundheitszustand führte die BF2 bei der Befragung vor dem BFA aus, dass sie gesund und vollkommen arbeitsfähig sei. Sie habe nur ein Hörgerät und eine Brille. Beides hätte sie vergessen, bei der Befragung vor dem BFA mitzunehmen (Niederschrift der BF2, Seite 2). Dazu in der Beschwerdeverhandlung befragt, führte die BF2 aus, dass sie schwerhörig sei. Sie sei deshalb in medizinischer Behandlung gewesen und habe Hörgeräte bekommen. Wenn sie diese Hörgeräte trage, bekomme sie starke Kopfschmerzen. Zudem könne sie nicht mehr gut sehen und hätte sie auch einige Zeit sehr starke Beinschmerzen gehabt. Sie hätte deshalb in ihrem Vorderfuß kein Gefühl mehr. Sie würde sich deshalb aber nicht in Therapie befinden. Diesbezüglich wäre sie bereits in Afghanistan behandelt worden (Verhandlungsprotokoll, Seite 6). Eine lebensbedrohliche Krankheit konnte nicht festgestellt werden, und es war die entsprechende Feststellung zu treffen. Auch ist eine akute Behandlung der BF2 nicht erforderlich, darüber hinaus benötigt sie keine medizinische Behandlung in Österreich, welche sie in ihrem Herkunftsland nicht bekommen könnte. Zudem ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass sich der Gesundheitszustand der BF2 im Falle einer Überstellung nach Afghanistan verschlechtern würde. Die medizinischen Beeinträchtigungen der BF2 lassen auch nicht den Schluss zu, dass sie deswegen tatsächlich an der Erwirtschaftung ihres notdürftigen Lebensunterhalts längerfristig gehindert wäre. Auch dass eine Behandlung der Beeinträchtigungen nicht möglich wäre, kann nicht angenommen werden. Aus diesem Grund bestehen keine grundsätzlichen Zweifel an der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit der BF2.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF3 beruhen auf den Angaben seiner Mutter im Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 6). Die zusätzlichen Ausführungen der BF2, dass ihr Sohn Angst hätte, alleine im Zimmer zu schlafen und er jede Nacht bei ihnen (gemeint bei BF1 und BF2) schlafen würde, sind nicht glaubhaft, da sie sich selbst widersprechen. So gab sie auch an, dass er dies nur mehr ein- bis zweimal in der Woche tun würde (Verhandlungsprotokoll, Seite 28). Unabhängig vom widersprüchlichen Vorbringen der BF2, ist dieses Verhalten für ein (Klein)Kind nicht untypisch, wenn es in der Nacht die Nähe und die Geborgenheit seiner Eltern sucht.

 

Die Angaben des BF1 und der BF2 zu ihrer Schulausbildung sowie zu ihren Berufserfahrungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben im Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 15 f und Seite 24 f). Die Feststellungen zur Schulbildung des BF3 in Afghanistan beruhen auf seinen eigenen Angaben (Verhandlungsprotokoll, Seite 14 f). Sie sind auch unter Berücksichtigung seines Alters glaubhaft.

 

Hinsichtlich der familiären Situation des BF1 gab dieser bei der Befragung vor dem BFA an, dass mit Ausnahme seiner Mutter und seines Bruders XXXX alle weiteren Geschwister Afghanistan verlassen hätten. Dazu gab der BF1 zum Zeitpunkt der Befragung vor dem BFA (21.02.2017) an, dass es seiner Mutter bzw. seinem Bruder gut gehen würde. Dies wisse er von seinem Sohn, der im Iran lebe. Er selbst habe keinen Kontakt zu seiner Mutter bzw. seinem Bruder, da sie kein Internet hätten (Niederschrift des BF1, Seite 4 f). Demgegenüber gab der BF in der Beschwerdeverhandlung am 21.02.2018 evident widersprüchlich an, dass sein Bruder bzw. seine Mutter bereits vor zwei Jahren - also ca. ein Jahr vor der Befragung vor dem BFA - aus Afghanistan ausgereist wären (Verhandlungsprotokoll, Seite 19). Diese Ausführungen lassen sich in keinster Weise mit den Angaben des BF1 vor dem BFA in Einklang bringen. Aufgrund der massiv unstimmigen Angaben des BF1 im Verfahren ist davon auszugehen, dass diese Familienangehörigen noch weiterhin in XXXX leben. Der BF1 war offensichtlich bestrebt, bestehende Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsprovinz zu verschleiern. Darüber hinaus hat der BF1 noch sehr viele Cousins väterlicherseits als weitere familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, wobei er nicht in der Lage war, eine konkrete Anzahl anzugeben (Niederschrift des BF1, Seite 5).

 

Bezüglich ihrer familiären Situation gab die BF2 bei der Befragung vor dem BFA an, dass ihre Schwestern und ein Bruder im Iran leben würden. Ein weiterer Bruder habe bis zu ihrer Ausreise noch in Afghanistan gelebt. Zum Zeitpunkt der Befragung vor dem BFA (21.02.2017) gab die BF2 an, dass es ihren Eltern in Afghanistan gut gehen würde. In diesem Zusammenhang führte die BF2 aus, dass sie zweimal im Monat mit ihren Eltern telefonieren würde (Niederschrift der BF2, Seite 4). Dazu führte die BF2 in der Beschwerdeverhandlung (21.02.2018) aus, dass ihre Eltern vor ca. einem Jahr und vier bis fünf Monaten - also ca. vier bis fünf Monate vor der Befragung vor dem BFA - aus Afghanistan ausgereist wären (Verhandlungsprotokoll, Seite 26). Auch die Ausführungen der BF2 lassen sich nicht mit ihren Angaben vor dem BFA in Einklang bringen. Aufgrund der evident widersprüchlichen Angaben der BF2 ist davon auszugehen, dass ihre Eltern noch weiterhin in XXXX leben. Die BF2 war offensichtlich bestrebt, die Existenz von Anknüpfungspunkten in ihrer Herkunftsprovinz zu verschleiern. Darüber hinaus leben noch Cousins der BF2 in Afghanistan; daher hat sie noch weitere familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Eine genaue Anzahl der Cousins der BF ist im Verfahre nicht hervorgekommen (Niederschrift der BF2, Seite 4). Insgesamt ist es nicht nachvollziehbar, dass der BF1 und die BF2 nicht in der Lage sind, über den Aufenthalt engster Familienmitglieder im Verfahren übereinstimmende Angaben zu tätigen. Dies begründet auch die persönliche Unglaubwürdigkeit des BF1 und der BF2.

 

Zudem haben der BF1 und die BF2 noch bestehende Kontakte zu Angehörigen und Freunden in Afghanistan. So führte der BF1 in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er noch zu Freunden in Afghanistan Kontakt hätte (Verhandlungsprotokoll, Seite 20). Die BF2 gab in diesem Zusammenhang an, dass sie noch zu ihrer Tante mütterlicherseits Kontakt habe (Verhandlungsprotokoll, Seite 26).

 

Hinsichtlich seiner Vermögenslage gab der BF1 in der Beschwerdeverhandlung zunächst an, dass er über kein Vermögen in Afghanistan verfügen würde. Erst auf konkrete Nachfrage des Gerichts führte der BF1 aus, dass sein Vater seinen Kindern Grundstücke vererbt habe. In diesem Zusammenhang gab der BF1 auch an, dass er das Familienoberhaupt seiner Familie sei (Verhandlungsprotokoll, Seite 16). Es ist notorisch bekannt, dass dem BF1 aufgrund dieser Position, eine hervorgehobene Dispositions- und Verfügungsbefugnis über die Grundstücke zukommt. Unabhängig von seiner Position als Familienoberhaupt ist bemerkenswert, dass der BF1 zunächst in der Beschwerdeverhandlung angab, dass er kein Vermögen in Afghanistan habe. In diesem Zusammenhang führte er bei der Befragung vor dem BFA aus, dass sie (gemeint: "die Familie") über Grundstücke verfügen würden (Niederschrift des BF1, Seite 3). Aufgrund des Aussageverhaltens des BF1 im Verfahren ist davon auszugehen, dass er in der Beschwerdeverhandlung versuchte, seine wahre Vermögenslage in Afghanistan zu verschleiern, um einen Aspekt aufzeigen, welcher eine Rückkehr erschweren würde. Dieses nicht glaubhafte Vorbringen des BF1 beeinträchtigt aber evident seine persönliche Glaubwürdigkeit.

 

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF beruhen auf ihren eigenen Angaben, welche durch Einsicht in aktuelle Strafregisterauszüge verifiziert wurden. Die Feststellung, dass die BF in Afghanistan nicht vorbestraft sind, keine Probleme mit den Behörden hatten und dass sie politisch nicht aktiv sind, sind ihren glaubhaften Aussagen dahingehend zu entnehmen.

 

Der Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF1 im Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 17).

 

2.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

 

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie dem vor dem BVwG abgeführten Verfahren und im Besonderen der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass der BF1 und die BF2 ausreichend Zeit und Gelegenheit hatten, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung ihrer Vorbringen vorzulegen. Sie wurden auch mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung ihrer Fluchtgründe aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt. Wie in der Folge dargestellt, ist das Vorbringen des BF1 und der BF2 objektiv nicht geeignet, einen asylrelevanten Grund zu begründen, da sie unschlüssig und zu wesentlichen Punkten widersprüchlich sind:

 

So führten der BF1 und die BF2 übereinstimmend aus, dass sie die Gelegenheit genutzt hätten, als sie gehört hätten, dass die Grenzen offen seien, um mit ihrer Familie nach Europa zu kommen. Sie wären aufgrund der schlechten Sicherheitslage aus Afghanistan ausgereist und nicht wegen einer persönlichen Bedrohung (Niederschrift des BF1, Seite 6 sowie Verhandlungsprotokoll, Seite 22 f und 27 ff). Schon allein aufgrund dieses Vorbringens geht hervor, dass die BF ihren Heimatstaat nicht wegen einer konkreten asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung verlassen haben. Trotzdem werden in der Folge auf die einzelnen geschilderten Bedrohungsszenarien des BF1 und der BF2 verifiziert.

 

2.2.1. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 und seiner Familie wegen der Teilnahme am Bürgerkrieg:

 

Dazu führte der BF1 in der Beschwerdeverhandlung aus, dass die Taliban im Jahr 1376 (=1997/98) Mazar-e Sharif eingenommen hätten. Dabei wären die Bewohner von XXXX bewaffnet worden, um gegen die Taliban zu kämpfen (Verhandlungsprotokoll, Seite 21 f). In diesem Zusammenhang haben sich aus den weiteren Ausführungen des BF keine Anzeichen für eine konkrete individuelle Bedrohung bzw. Verfolgung ergeben. Zudem besteht zwischen diesem Vorfall und der tatsächlichen Ausreise auch kein zeitlicher Zusammenhang. Eine Bedrohung oder eine Verfolgung der Familie des BF1 liegt aufgrund dieses Vorfalles nicht vor.

 

Jedoch sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen in der Stellungnahme vom 01.03.2018 insgesamt nicht nachvollziehbar (ebenda, Seite 14). Hier wird ausgeführt, dass der BF1 zwei Mal von den Taliban angeschossen worden wäre. Diesbezüglich ist glaubhaft, dass der BF beim Einmarsch der Taliban im Jahr 1376 (=1997/98) am linken Bein verletzt worden ist. Hinsichtlich des zweiten Angriffes, etwa vier Jahre vor seine Ausreise, führte der BF1 bei der Befragung vor dem BFA aus, dass er nicht wisse, wer ihn auf der Pilgerreise nach XXXX verletzt habe. Diesen Vorfall konnte der BF1 im Verfahren vor dem BFA gerade nicht den Taliban zuschreiben (Niederschrift des BF1, Seite 8). Insgesamt liegen hier sehr divergierende Angaben des BF1 vor, die aufzeigen, dass er im Verfahren nicht durchgehend die Wahrheit erzählte.

 

2.2.2. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 und seiner Familie aufgrund seiner Mitgliedschaft bei den Harakat-e Islami:

 

Erstmals brachte der BF1 in seiner Beschwerde als Steigerung seines bisherigen Vorbringens vor, dass er wegen seiner Mitgliedschaft bei den Harakat-e Islami verfolgt worden wäre und deshalb seine Familie Afghanistan verlassen hatte (Beschwerdeschriftsatz, Seite 2). Warum der BF1 dies beim BFA zu keinem Zeitpunkt vorgebracht hatte, ist nicht nachvollziehbar. Das gesteigerte Vorbringen kann nur als Versuch gewertet werden, eine aussichtslose Fluchtgeschichte mit neuem Gewicht auszustatten.

 

Diese in seiner Beschwerde aufgezeigte asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung konnte der BF1 in der Beschwerdeverhandlung trotz Nachfrage seiner Vertreterin nicht begründen bzw. substantiiert darlegen. So gab der BF an, dass er kein Mitglied dieser Organisation mehr sei (Verhandlungsprotokoll, Seite 23). Schon aus diesem Grund, ist aus den Schilderungen des BF eine konkrete Verfolgung bzw. Bedrohung nicht zu erwarten. Insgesamt konnte der BF1 im Verfahren dazu keine konkrete individuelle Verfolgung bzw. Bedrohung aufzeigen. Auch die BF2 führte aus, dass der BF1 in diesem Zusammenhang auch nicht persönlich bedroht worden wäre (Verhandlungsprotokoll, Seite 29).

 

Zusammengefasst liegt hier nicht nur ein massiv widersprüchliches, sondern auch ein nicht weiter substantiiertes Vorbringen des BF1 vor. Dieses ist mangels Konkretisierung im Hinblick auf das Bestehen eines exponierten Risikos der Bedrohung oder Verfolgung nicht geeignet, um eine Gefährdungslage, die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss und den insoweit notwendigen Grad an Intensität erreicht, um von rechtlicher Relevanz zu sein, zu begründen. Daher kann eine Verfolgung und Bedrohung für die Familienmitglieder des BF1 aus diesem Grund nicht abgeleitet werden.

 

2.2.3. Bedrohung bzw. Verfolgung der BF aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sadat und der schiitischen Glaubensrichtung:

 

In Bezug auf ihre Eigenschaft als Sadat und Schiit vermochten die BF eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung nicht aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang assoziieren sich die BF selbst mit den Hazara (Niederschrift der BF2, Seite 3 sowie Verhandlungsprotokoll, Seite 23). Aus dem Vorbringen der BF hinsichtlich der allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan lässt sich keine drohende konkret gegen sie gerichtete Verfolgung ableiten. Auch konnten sie in der Beschwerdeverhandlung sowie im Verfahren vor dem BFA keine konkrete Bedrohung oder Verfolgung aufgrund ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit in seinem Herkunftsland aufzeigen bzw. glaubhaft darstellen. Bei der Befragung vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung gab der BF1 an, dass er nie persönlich bedroht worden ist (Niederschrift, Seite 8 sowie Verhandlungsprotokoll, Seite 22). Auch die BF2 gab im Verfahren an, dass sie nie in Afghanistan persönlich bedroht oder verfolgt worden ist (Niederschrift, Seite 5 f sowie Verhandlungsprotokoll, Seite 28 f).

 

Auch eine Gruppenverfolgung der Sadat bzw. der Schiiten in Afghanistan kann - wie im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausführlich dargelegt - nach wie vor nicht angenommen werden.

 

2.2.4. Zur Verfolgung der BF2 aufgrund eines selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstils:

 

Die Feststellung, dass die BF2 kein selbstbestimmtes Leben führt, die Führung eines solchen nicht anstrebt, ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft nicht im Widerspruch zu den in Afghanistan vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind, steht und sich die persönliche Werthaltung der BF2 nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, beruht auf folgenden Überlegungen:

 

Aus der Lebenssituation der BF2 vor ihrer Einreise nach Österreich ergeben sich keine Hinweise auf eine Sozialisierung - im Zusammenhang mit ihrer Herkunft, Familie, Bildungsstand, Religiosität, etc. - die den in Afghanistan überwiegend vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen entgegenstehen. Dies zeigt sich eindeutig darin, dass die BF2 keine reguläre Schulausbildung absolvierte, zunächst nur im Verband ihrer Familie lebte, sie in Afghanistan - abgesehen von der Herstellung von Teppichen, welche von Angehörigen auf dem Bazar verkauft worden sind - nicht erwerbstätig war und sie daher auf die Versorgung durch ihre Familie bzw. durch ihren Ehemann angewiesen war. Sie war hauptsächlich mit Hausarbeit beschäftigt gewesen (Verhandlungsprotokoll, Seite 25). Diese Lebensumstände lassen - mit Blick auf die Vergangenheit der BF2 - keine Aspekte eines selbstbestimmten Lebens erkennen. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen in ihrer Beschwerde widersprüchlich: Hier wurde ausgeführt, dass die BF aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen Afghanistan verlassen hätte (Beschwerdeschriftsatz, Seite 2). Aufgrund dieser Ausführungen wäre zu schließen, dass die BF2 bereits in ihrem Heimatland gegen soziale Normen verstoßen hätte und deshalb Afghanistan verlassen musste. Dies ist in diesem Zusammenhang mit dem sonstigen Vorbringen der BF2 im Verfahren, nicht in Einklang zu bringen. So ist nicht hervorgekommen, dass die BF2 versucht hätte, die Grenzen der sozialen Normen in ihrem Herkunftsstaat (etwa im Hinblick auf Bekleidungsvorschriften, Verhalten oder einem selbstbestimmten Auftreten) auszureizen oder sie gar in Frage zu stellen. Zudem wurden die Lebensumstände der BF2 auch unterschiedlich dargestellt. So gab die BF2 in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie in Afghanistan nie alleine das Haus hätte verlassen dürfen (Verhandlungsprotokoll, Seite 25 und 29). Demgegenüber gab ihr Ehemann (BF1) an, dass es in der Nähe ihres Wohnhauses einige Lebensmittelgeschäfte gegeben hätte und die BF2 dort manchmal alleine eingekauft hätte (Verhandlungsprotokoll, Seite 18). Im Ergebnis stimmt die von der BF2 geschilderte Situation nicht mit den Angaben des BF1 überein.

 

Ferner gab die BF2 in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie in Afghanistan nicht wählen hätte können (Verhandlungsprotokoll, Seite 29 f). Dem ist entgegenzuhalten, dass die politische Partizipation von Frauen in Afghanistan rechtlich verankert ist und nicht nur das aktive Wahlrecht umfasst, sondern auch Frauenquoten in den verschiedenen Vertretungsorganen vorsieht. Aus den Angaben der BF2 ist ersichtlich, dass ihr entweder die grundlegenden Rechte einer Frau in Afghanistan nicht bekannt sind oder sie versuchte, diesen Aspekt in der Beschwerdeverhandlung zu verschleiern, um eine persönliche schwierige Lage der BF2 als Frau in Afghanistan aufzuzeigen.

 

Die eingehende Befragung der BF2 in der Beschwerdeverhandlung zu Aspekten, die Rückschlüsse auf ihre Geisteshaltung und ihre Lebensführung zulassen, und der bei der Beschwerdeverhandlung gewonnene persönliche Eindruck belegen, dass sie nach wie vor kein selbstbestimmtes Leben führt und sie auch keine solche Geisteshaltung eingenommen hat. Es ist daher anzunehmen, dass sie ein solches auch nicht anstrebt. In der Gesamtheit ihrer inneren und auch nach außen tretenden Identität war daher kein Abweichen von der in Afghanistan vorherrschenden Geschlechterrolle auszumachen.

 

Die BF2 verfügt über keine relevanten Deutschkenntnisse. Die fehlenden Deutschkenntnisse der BF2 stehen insofern der Glaubhaftmachung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen, als daraus ersichtlich wird, dass sie während der mittlerweile gut zweijährigen Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich keine Möglichkeit ergriffen hat, sich zumindest gefestigte Grundkenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, die es ihr ermöglichen würden, eine zusammenhängende Kommunikation auf einfachem Niveau zu führen. So ist die BF2 nicht in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Vielmehr bedarf es die Unterstützung des elfjährigen BF3, wenn sie in der Schule an Elternsprechtagen teilnimmt, wenn sie den Zahnarzt besucht oder Hörgeräte kaufen möchte. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die BF2 sobald sie ihr familiäres Umfeld in Österreich verlässt, sie regelmäßig Unterstützung durch andere benötigt, um diverse Aufgaben zu erledigen. Auch wenn sie mittlerweile in der Lage ist, beim Zahnarzt auf Deutsch anzugeben, dass sie Zahnschmerzen habe und ihre engsten Familienangehörigen samt Alter auf Deutsch aufzuzählen vermag, sind ihre Deutschkenntnisse als äußerst gering zu beurteilen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Angaben der BF2 zu ihren Familienangehörigen auf Deutsch in der Beschwerdeverhandlung unaufgefordert erfolgten und einstudiert wirkten (Verhandlungsprotokoll, Seite 12 f).

 

Auch die in der Beschwerdeverhandlung angeführten Kontakte zu Österreichern (Deutschlehrern) vermittelten der BF2 offenbar keine nachhaltigen Deutschkenntnisse. Die Schwierigkeiten der BF2 beim Spracherwerb sind aufgrund ihrer mangelnden Vorbildung - keine Schulausbildung - nachvollziehbar, können aber dennoch die für einfache Kommunikation fehlenden Sprachkenntnisse nach längerem Aufenthalt in Österreich nicht erklären, da die grundsätzliche Lernunfähigkeit der BF2 im Verfahren nicht hervorgekommen ist. Insgesamt steht die Kommunikationsunfähigkeit der BF2 in deutscher Sprache der Annahme, sie würde nunmehr in Österreich ein selbstbestimmtes Leben führen bzw. sich an einer solchen Lebensführung orientieren, entgegen, weil diese Fähigkeiten für einen freibestimmten Lebenswandel essentiell sind. Vor diesem Hintergrund hat die BF2 eine selbstbestimmte und -verantwortungsvolle Lebensweise nicht glaubhaft gemacht, da der Mangel an Kommunikationsfähigkeit in ihrem Aufenthaltsstaat eben eine solche Lebensweise verunmöglicht. In diesem Zusammenhang sind die guten Deutschkenntnisse ihres Sohnes kein Verdienst der BF2, sondern beruhen auf der Eigeninitiative des BF3 und seinem regelmäßigem Schulbesuch.

 

Auch die sonstigen Umstände ihres Alltagslebens in Österreich lassen nicht darauf schließen, dass die BF2 eine selbstbestimmte Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat und dies ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, die sie bei einer Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden. So beschreibt sie ihren gewöhnlichen Tagesablauf in Österreich damit, dass sie sich um den eigenen Haushalt kümmere und einkaufen gehe. Manchmal würde sie auch gemeinsam mit ihrem Mann einkaufen gehen. Ferner hätte sie in der Unterkunft als Reinigungskraft gearbeitet. Zudem wären der BF1 und die BF2 sehr gut mit ihren Deutschlehrern befreundet, sie würden den BF1 und die BF2 zumindest einmal in der Woche besuchen. Auch hätten sie ihre Lehrer ebenfalls besucht. Ferner nimmt die BF2 auch die Möglichkeit zur Freizeitgestaltung war. So treffe sie sich einmal in der Woche mit einer Frauengruppe (afghanische Freundinnen). Sie würden gemeinsam Yoga bzw. Ausflüge machen sowie schwimmen gehen. Sie würden aber nur in Schwimmbäder gehen, die ausschließlich für Frauen reserviert sind (Verhandlungsprotokoll, Seite 11). Zwar nimmt die BF2 Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in Anspruch und knüpfte soziale Kontakte in Österreich, sodass sie sich grundsätzlich typischen Freizeitgestaltungen und dem Kontakt zu Mitmenschen nicht verschließt. Es ergab sich aber auch, dass die BF2 in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt, obwohl sie hier nicht von gesellschaftlichen/sozialen Normen eingeschränkt ist. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass sie außer ihren Deutschlehrern keine weiteren österreichischen Freunde bzw. soziale Anknüpfungspunkte gefunden hat. Sonstige Freizeitaktivitäten in Österreich unternimmt sie mit anderen Afghanen(innen), wobei sie beispielsweise Schwimmen nur in jene Schwimmbäder geht, die für Frauen vorbehalten sind. Insgesamt finden ihre Aktivität in einer sehr geschützten Sphäre bzw. Umgebung statt. Auch wenn sie in dieser geschützten Umgebung ihre Wohnung verlässt, um diverse Aktivitäten durchzuführen (Einkäufe erledigen, Zahnarztbesuche, Besuch von Deutschlehrern, Teilnahme an Aktivitäten einer Frauengruppe, etc.), so ist aber auch erkennbar, dass sie nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt. Ihre Aktivitäten finden in der geschützten Sphäre ihres Wohnortes, einer kleinen Gemeinde in Österreich statt. Dass sie in dieser Umgebung ihre Wohnung verlässt, um in der geschützten Sphäre mit Menschen, die sich um die Familie kümmern, an Freizeitaktivitäten teilzunehmen, ist als nach außen tretende Verhaltensweise keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil der Identität der BF2 geworden ist. Insgesamt sind keine Umstände hervorgekommen, die die Annahme einer selbstbestimmten Lebensweise rechtfertigen würden und darüber hinaus die Annahme zuließen, dass eine solche bereits ein wesentlicher Bestandteil der Identität der BF geworden ist.

 

Hinsichtlich eines Berufswunsches gab die BF2 an, dass sie jede Arbeit machen würde, die sie bekommen könnte. Ihr Wunsch nach einer beruflichen Tätigkeit ist nachvollziehbar, ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung sowie eine konkrete Planung und Umsetzung dieser Vorstellung waren in der Beschwerdeverhandlung jedoch nicht erkennbar. Der grundsätzliche - in der Beschwerdeverhandlung vorgebrachte - Wunsch nach einem Beruf kann aber keineswegs als ausschlaggebendes Motiv für ein "westliches Verhalten" angesehen werden, aus dem eine Verfolgung im Heimatland abzuleiten wäre. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Asylwerberinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe "Frauen" zu gewähren wäre (vgl. VfGH 12.06.2015, 573/2015; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182). Insgesamt ist deutlich erkennbar, dass der Integrationsprozess der BF2 in Österreich, welcher nach Ansicht des BVwG ein wesentliches Merkmal für eine westliche Orientierung von Frauen darstellt, erst im Anfangsstadium befindet. Insbesondere ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass die BF2 eigeninitiativ ihr zukünftiges Leben plant und diese Pläne selbständig umsetzt. Ihr Alltagsleben spielt sich auf dem kleinstmöglichen Umgebungskreis ab und beschränkt sich darüber hinaus nur auf situationsbedingte notwendige Tätigkeiten, wie z.B. Einkäufe erledigen, Zahnarztbesuche, etc. Darüber hinaus nimmt sie Freizeitaktivitäten außerhalb ihres Familienkreises nur soweit wahr, als diese durch Ditte organisiert und umgesetzt werden. Eine selbstbestimmte Lebensweise ist darin nicht erkennbar.

 

Hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes trug die BF2 in der Beschwerdeverhandlung ein weißes Kopftuch, wobei sie darauf achtete, dass ihr Haaransatz verdeckt blieb. Dazu trug sie einen weißen Kurzmantel, schwarze Leggins und hohe schwarze Stöckelschuhe, sie war geschminkt. Dieses Erscheinungsbild widerspricht nicht in einer derartigen Weise dem Auftreten von Frauen in urbanen Zentren Afghanistans. Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Marzar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservative Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Dadurch, dass die BF2 jahrelang in Mazar-e Sharif lebte, ist sie in Kenntnis dieser Situation. Die allgemeine Situation in Mazar-e Sharif ist also dergestalt, dass auch weniger strenge Formen der Kopfbedeckung üblich sind, sodass auch unter diesem Aspekt nicht indiziert ist, dass sich die BF2 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Kleidungsvorschriften unterwerfen müsste, die von ihrem Kleidungsstil in Österreich erheblich abweichen würden. So hat sie selbst in der Beschwerdeverhandlung ein Kopftuch getragen.

 

Im Übrigen haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das nächste familiäre und soziale Umfeld (insbesondere ihr Ehemann (BF1), der gleichzeitig das Familienoberhaupt der Familie ist) der BF2 es ihr verunmöglichen würden, sich ihren Vorstellungen entsprechend zu kleiden, sich alleine in der Stadt zu bewegen, eine Ausbildung zu absolvieren und einen Beruf zu ergreifen, sodass Derartiges bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht zu erwarten ist. Da die BF2 selbst in Mazar-e Sharif sozialisiert wurde, sie also mit dieser urbanen Umgebung vertraut ist, ist sie auch nicht durch Unkenntnis der dortigen Gegebenheiten an der Aufnahme entsprechender Aktivitäten gehindert. Auch wenn generell die vollständige Wahrnehmung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten für Frauen in Afghanistan nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist bzw. sein kann, stehen jedoch insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif Erwerbsmöglichkeiten offen.

 

Im Zusammenhang mit einer allfälligen Rückkehr und der Frage, inwiefern ihr Leben als Frau sich verändern würde antworte die BF2 bloß vage, dass, solange es in Afghanistan die Taliban gäbe, hätte sie dort keine Chance ein gutes Leben zu führen. Seit zwei Jahren kenne sie die Bedeutung, ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu führen. Mit dieser Antwort verwies die BF2 auf die allgemeine Sicherheitslage, stellte jedoch keinen Bezug zu ihrer persönlichen Situation als Frau her. Unabhängig davon, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, dazu führt, dass einer Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss, war die BF2 nicht in der Lage, in einem Beispiel auszuführen, wie sich ihr Leben als Frau bei einer Rückkehr verändern würde. Aufgrund dieser vagen und unbestimmten Ausführungen der BF2 konnte sie einerseits keinen konkreten Bezug zu sich selbst herstellen und andererseits eine Bedrohung bzw. Verfolgung aufgrund einer "selbstbestimmten Lebensweise" nicht schlüssig darstellen.

 

Zusammenfassend ist somit im Falle der BF2 festzustellen, dass diese eine "westliche Lebensführung", der eine selbstbestimmte und -verantwortungsvolle Lebensweise immanent ist, nicht verinnerlicht hat bzw. eine solche mangels Aktivitäten, die wesentlich über die Kinderbetreuung, Haushalt, Einkaufen, vereinzelte Reinigungstätigkeiten in der Unterkunft und diverse Freizeitaktivitäten hinausgehen, auch nicht lebt. Die Verhaltensweisen der BF2 in Österreich zeigen, dass sie keine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, sie keine selbstbestimmte Lebensweise eingenommen hat und sie kein freibestimmtes Leben nach westlichen Normen führt. Sie hat nie versucht, die Grenzen der sozialen Normen in Afghanistan (etwa im Hinblick auf Bekleidungsvorschriften, Verhalten oder ein selbstbestimmtes Auftreten) auszureizen oder sie gar in Frage zu stellen. Diese Einstellung der BF2 hat sich seit der Einreise nach Österreich weder substanziell noch nachhaltig geändert, weshalb das Risiko einer Verfolgung aufgrund einer ostentativen Ablehnung der gesellschaftlichen Normen ihres Herkunftsstaates jedenfalls derzeit nicht vorliegt.

 

Weiters ist zu beachten, dass sich die BF2 erst seit Februar 2016, also erst ungefähr zwei Jahre in Österreich aufhält (zur Berücksichtigung einer erst kurzen Aufenthaltsdauer siehe etwa AsylGH 15.02.2013, C1 422494-1/2011) und die Befragung vor dem BVwG bereits am 21.02.2018 erfolgte. Diese erst sehr kurze Aufenthaltsdauer in Österreich (bzw. "westlichen" Europa) fand demgemäß ihren Niederschlag im Auftreten (samt Auskünften) der BF2 in der mündlichen Verhandlung. Der vom Gericht wahrgenommene Gesamteindruck der BF2 ergab dabei keinesfalls das Bild einer bereits stark verinnerlichten "westlichen Orientierung" (zur Zulässigkeit der Einbeziehung der Aufenthaltsdauer siehe auch EGMR 20.07.2010. AP PL. 43.505/09, nnn. gegen Schweden; im Anlassfall in der Länge von etwa sechs Jahren, die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont; siehe z. B. VwGH 24.06.1999, Zl. 98/20/0435 bzw. VwGH 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

 

Schließlich wird aufgrund der mangelnden persönlichen Glaubwürdigkeit des BF1 und der BF2 (siehe unten Punkt 2.3.) ihren Ausführungen, dass ihr Sohn (gemeint BF3) frei seine Partnerin wählen darf, keine Bedeutung geschenkt (Verhandlungsprotokoll, Seite 20 und 30).

 

2.2.5. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 wegen seiner westlichen Lebensweise:

 

Aufgrund der Fragestellung seiner Vertreterin in der Beschwerdeverhandlung, was der BF1 bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte, nachdem er nun seit zwei Jahren einen westlich orientierten Lebensstil gelebt hätte, führte der BF1 aus, dass er diese Frage nicht beantworten könne, er könne sich nicht vorstellen, jemals nach Afghanistan zurückzukehren. Er habe hier keine Probleme und habe die Chance hier zu arbeiten und aktiv zu werden. Seit er in Österreich sei, habe er viel Unterstützung und ein Dach über dem Kopf. Dieses individuelle Vorbringen des BF1 lässt nämlich nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der minderjährige BF3 aufgrund seines Alters noch keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung hat, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil seiner Identität angenommen werden kann.

 

2.2.6. Bedrohung und Verfolgung des Minderjährigen BF3

 

Hinsichtlich einer Bedrohung oder Verfolgung des Minderjährigen BF3 erklärten seine Eltern (BF1 und BF2) übereinstimmend, dass er zu keinem Zeitpunkt in Afghanistan bedroht wurde. Bei einer Rückkehr könnte ihm aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage eine Bedrohung durch die Taliban oder der Daesh drohen (Verhandlungsprotokoll, Seite 22 f und Seite 28 f). Aus diesem unbestimmten Vorbringen lässt sich auch unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit des BF3 keine individuelle konkrete Bedrohung oder Verfolgung ableiten.

 

2.2.7. Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban bzw. die Daesh

 

Abschließend ist das nicht weiter substantiierte Vorbringen von des BF1 und der BF2, wonach aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage Übergriffe durch die Taliban und der Daesh im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten wären, mangels Konkretisierung im Hinblick auf das Bestehen eines exponierten Risikos der Bedrohung oder Verfolgung nicht geeignet, um eine Gefährdungslage, die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss und den insoweit notwendigen Grad an Intensität erreicht um von rechtlicher Relevanz zu sein, zu begründen. Letztlich beruhen die diesbezüglichen Angaben des BF1 und der BF2 nur auf Annahmen auf Grund der allgemeinen Situation in Afghanistan. Eine in ihren Personen gelegene Individualisierung im Sinne einer besonders erhöhten Gefahrenlage vermochten sie damit nicht darzulegen. Dies gilt auch für die von der Vertretung der BF aufgezeigte Kumulation der Fluchtgründe, da aus dem insgesamt unglaubhaften Vorbringen bzw. aus der mangelnden Glaubwürdigkeit des BF1 und der BF2 auch in der Summe eine konkrete, individuelle Bedrohung oder Verfolgung nicht angenommen werden kann. Wie bereits ausgeführt ist zu beachten, dass die BF die Gelegenheit nutzten, als sie hörten, dass die Grenzen offen sind, um nach Europa zu kommen. Sie sind aufgrund der schlechten Sicherheitslage aus Afghanistan ausgereist und nicht wegen einer persönlichen Bedrohung (Niederschrift des BF1, Seite 6 sowie Verhandlungsprotokoll, Seite 22 f und 27 ff).

 

Auch wenn die BF in ihren Personen eine oder mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien (siehe oben, Punkt 1.5.) erfüllen würden, führt dies nicht per se zu einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung. Vielmehr erfordern die gegenständlichen UNHCR-Richtlinien eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die BF zu keinem Zeitpunkt eine konkrete auf die Person bezogene Verfolgung im Verfahren glaubhaft machen konnten.

 

Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben der BF im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Verfolgung der BF aus asylrelevanten Gründen in ihrem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Es konnte weder eine konkret gegen die Person der BF gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung der BF im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen für wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

2.3. Zur persönlichen Glaubwürdigkeit des BF1 und der BF2:

 

Das widersprüchliche und unplausible Vorbringen führt nicht nur zur Unglaubhaftigkeit der im Verfahren aufgestellten Fluchtgründe, sondern indiziert - wie im vorliegenden Fall - auch die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit der BF1 und BF2. Wie bereits oben ausgeführt, tätigten sie zum Aufenthalt ihrer engsten Familienangehörigen im Verfahren widersprüchliche Angaben. In diesem Zusammenhang ist nicht nachvollziehbar, dass man im Verfahren zu den engsten Familienangehörigen keine übereinstimmenden Angaben machen kann. Ferner sind die Angaben der BF2 zum Gesundheitszustand ihres Mannes sehr widersprüchlich und gesteigert im Vergleich zu den Angaben des BF1. Auch dieser Umstand begründet für sich genommen die persönliche Unglaubwürdigkeit der BF2.

 

Unter Berücksichtigung des widersprüchlichen und gesteigerten Vorbringens hinterließen der BF1 und die BF2 in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung auch einen persönlich völlig unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe z. B. VwGH 24.06.1999, Zl. 98/20/0435 bzw. VwGH 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).

 

Ferner ist bei Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF1 und der BF2 auch zu berücksichtigen, ob diese außerhalb des unmittelbaren Vortrags zu ihren Fluchtgründen die Wahrheit gesagt haben; auch ist die Beachtung der in § 15 AsylG 2005 normierten Mitwirkungspflichten gemäß § 18 Abs. 3 AsylG 2005 und die sonstige Mitwirkung der BF im Verfahren zu beachten.

 

Besonders krass sind die Anmerkungen der BF2 in der Beschwerdeverhandlung zum Protokoll zur Befragung vor dem BFA. Da führte die BF2 aus, dass sie im Zuge der Befragung vor dem BFA aufgefordert worden wäre, Fragen mit "Ja" und "Nein" zu beantworten. Sie hätte keine vollständigen Sätze abgeben können. Nachdem die Befragung beendet worden wäre, wäre der Beamte aufgestanden und hätte seine Jacke angezogen. Sie hätte das Protokoll mit ihrem Fingerabdruck versehen und den Raum verlassen. Das Protokoll wäre nicht rückübersetzt worden (Verhandlungsprotokoll, Seite 5). Diese Ausführungen der BF2 widersprechen massiv den Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme, wo mehrheitlich Fragen offen formuliert wurden und diese von der BF2 nicht nur mit ja oder nein beantwortet wurden. Zudem wurde das gegenständliche Protokoll wortwörtlich rückübersetzt und danach keine Einwendungen gegen die Niederschrift erhoben. Schließlich wurde das Protokoll eigenhändig unterschrieben und nicht mit einem Fingerabdruck versehen (Niederschrift, Seite 7 und 8). Die Ausführungen der BF2 können lediglich dahingehend gewertet werden, dass sie offensichtlich versuchte, aufgetretene Ungereimtheit in ihren Erzählungen vor dem BFA zu korrigieren, um ihr Vorbringen glaubhafter erscheinen zu lassen.

 

Auch der BF1 erklärte in der Beschwerdeverhandlung dass die Erstbefragung nicht rückübersetzt worden wäre. Dies widerspricht den Angaben der Erstbefragungen vom 15.02.2016 (Seite 6) bzw. vom 02.12.2016 (Seite 3).

 

Insgesamt sind der BF1 und die BF2 daher als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.

 

2.4. Zur Situation im Fall einer Rückkehr der BF:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung der BF insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich aus den o.a. Länderberichten, den in der mündlichen Verhandlung zusätzlich eingebrachten Länderberichten und dem übrigen in das Verfahren eingeführten Berichtsmaterial (Stellungnahme der BF) in Zusammenschau mit den von den BF glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

 

Hinsichtlich einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif führten der BF1 und die BF2 übereinstimmend aus, dass sie aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht nach Mazar-e Sharif zurückkehren könnten. Zudem führte die BF2 aus, dass die Taliban sie töten würden (Verhandlungsprotokoll, Seite 21 und 27). Wie bereits unter Punkt

2.2. ausgeführt, ist dieses nicht weiter substantiierte Vorbringen von BF1 bzw. BF2, wonach aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage Übergriffe durch die Taliban und die Daesh im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten wären, mangels Konkretisierung im Hinblick auf das Bestehen eines exponierten Risikos der Bedrohung oder Verfolgung nicht geeignet, eine Gefährdungslage, die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss und den insoweit notwendigen Grad an Intensität erreicht um von rechtlicher Relevanz zu sein, zu begründen.

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, Provinzhauptstädte (wie Mazar-e Sharif) und größere Transitrouten hat. Auch ist Mazar-e Sharif eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage für die BF noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor. Die in der Stadt Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge fokussieren sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich auf High-Profile Ziele, wie staatliche und ausländische Einrichtungen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Mazar-e Sharif nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

 

Insgesamt wird die zentral gelegene Provinz Balkh (mit ihrer Hauptstadt Mazar-e Sharif) als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt. Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste. Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan.

 

Die BF haben vor ihrer Ausreise im Dorf XXXX sowie in der Stadt Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh gelebt. Die Rückreise nach Mazar-e Sharif ist über den dortigen Flughafen sicher möglich. Darüber hinaus ist aufgrund der oben dargestellten Sicherheitslage auch eine Rückreise ausgehend von Mazar-e Sharif in das Dorf XXXX möglich. Dieses Dorf ist ca. zwei Autostunden von Mazar-e Sharif entfernt. Aufgrund ihres jahrelangen Aufenthaltes im Dorf XXXX und der Stadt Mazar-e Sharif verfügen die BF dort auch über umfassende Ortskenntnisse.

 

Zu den familiären Verhältnissen wird auf die Ausführungen unter Punkt 2.1. verwiesen. Demnach leben die Mutter, ein Bruder sowie sehr viele Cousins des BF1 sowie die Eltern und Cousins der BF2 in XXXX . Aufgrund des traditionell starken Zusammenhalts innerhalb der Familien in Afghanistan ist davon auszugehen, dass den BF bei einer Rückkehr von dieser Seite Unterstützung geleistet wird (etwa durch vorübergehende oder dauerhafte Behausung, Nahrung, Herstellen von Kontakten, etc.). Wegen des notorisch bekannten, starken Zusammenhalts ist es in Afghanistan de facto unmöglich, Menschen aus dem engsten Umfeld, wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters (Cousins) etc. zurückzuwiesen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb dieser Familie. Ein schwerwiegender Konflikt bzw. eine finanzielle Notlage der Angehörigen der BF in Afghanistan ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

Darüber hinaus hat der BF1 noch die Möglichkeit, familiäre Grundstücke in seinem Heimatdorf zu nutzen (Verhandlungsprotokoll, Seite 16). Die vorhandenen Vermögenswerte mögen "der Familie" gehören, es gibt aber kein Anzeichen dafür, dass die BF bei Bedarf nicht davon partizipieren könnten. In diesem Zusammenhang kommt dem BF1 als Familienoberhaupt der Familie hinsichtlich der Nutzung der Grundstücke eine vorrangige Stellung zu.

 

Beim BF1 handelt es sich um einen arbeitsfähigen, gesunden Erwachsenen, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF1 kann lesen und schreiben und hat in Mazar-e Sharif als Schweißer, Brotbäcker und Straßenverkäufer gearbeitet. Zudem hat er Berufserfahrungen als Bauer gesammelt. (Niederschrift des BF1, Seite 3 und Verhandlungsprotokoll, Seite 14 und 16). Der BF1 war ab seinem 15. bzw. 16. Lebensjahr in der Lage, für sich und seine Familie zu sorgen. Aufgrund seiner Berufserfahrungen, ist der BF1 mit dem Arbeitsmarkt in Afghanistan vertraut und er kann eine entsprechende Tätigkeit wieder aufnehmen. Durch seine vormalige Erwerbstätigkeit und das familiäre Netz, das ihm insbesondere bei der Arbeitssuche helfen und Kontakte vermitteln kann, hat er auch maßgebliche Vorteile bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit.

 

Unter den dargelegten Gesichtspunkten bestehen keine Hinweise darauf, dass die BF, in der Provinz Balkh, in ihrem Heimatdorf bzw. in Mazar-e Sharif in eine existenzielle Notlage geraten würden. Zudem ist zu beachten, dass die BF durch die Familie des BF1 über ein tragfähiges familiäres Netzwerk in ihrem Heimatort verfügen. Ferner hat der BF1 die Möglichkeit, die familiären Grundstücke dort (mit)zunutzen und schließlich kann er durch eine Erwerbstätigkeit ein Einkommen erwirtschaften.

 

Weiters können die BF bei einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch sie Rückkehrhilfe bzw. zusätzlich die Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt beantragen können: In Österreich stehen für afghanische Staatsangehörige zwei spezielle Reintegrationsprojekte zur Verfügung (ERIN oder RESTART II). Beide Angebote zielen effektiv auf die Wiedereingliederung im Heimatland ab und können erst nach Ankunft im Herkunftsland bezogen werden. Ziel ist es, den Rückkehrer vor allem durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, sowie Start Ups den Neustart im Heimatland zu erleichtern. Die Sachleistung beträgt bei ERIN 3.000 EUR; in bar erhalten die Personen 500,- EUR; beim IOM-Projekt (RESTART II) besteht die Sachleistung aus 2.800,- EUR und der Barwert aus 500,- EUR. Je nach Bedarf stellt hier IOM auch Leistungen, wie Family Assessment, temporäre Unterkunft nach der Ankunft und die Weiterreise zum Zielort, zur Verfügung (Verhandlungsprotokoll, Seite 31). Zudem ist notorisch, das bei einer zwangsweisen Außerlandesbringung Österreich die sogenannte "Post Arrival Assistance" zur Verfügung stellt. Die International Organization for Migration (IOM) führt dieses EU-finanzierte Unterstützungsprogramm im Auftrag der Europäischen Kommission (Directorate General for International Cooperation and Development) aus. Im Detail umfasst die Post-Arrival-Assistance die vorübergehende Unterkunftnahme, Hilfestellung beim weiteren Transport, sowie ggf. medizinische und psychosoziale Betreuung. Der Fremde erhält im Rahmen des Kontaktgespräches im Zuge der Abschiebevorbereitung eine Information über die Möglichkeiten der "Post Arrival Assistance" und ein Informationsblatt mit den Kontaktdaten von IOM in Kabul. IOM Afghanistan wird vom BFA über die jeweiligen Ankünfte vorab informiert. Bei nicht vorhandenen Eigenmitteln erhält der zwangsweise Rückzuführende zusätzlich seitens des BFA 50,00 EUR als sogenanntes Zehrgeld zur Sicherung des Fortkommens in den ersten Tagen nach seiner Rückführung. Eine Betragserhöhung ist im Einzelfall möglich.

 

Unbeschadet dessen, dass auch ohne Inanspruchnahme dieser Unterstützungsmechanismen im Fall der BF bei einer Rückkehr keine Anhaltspunkte für eine Existenzbedrohung hervorgekommen sind, stellt die Möglichkeit der Inanspruchnahme (einer) dieser Unterstützungen sicher, dass sie bei einer Rückkehr bei zusätzlichem Bedarf Hilfestellung bekommen.

 

Da die BF den überwiegenden Teil ihres Lebens in Afghanistan verbracht haben, sind sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates sowie mit der Sprache vertraut. Darüber haben die BF auch in Österreich sehr viele afghanische Freunde. (Verhandlungsprotokoll, Seite 11).

 

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer persönlichen Situation in die Provinz Balkh zurückkehren werden. Innerhalb der Provinz hatten die BF vor ihrer Ausreise zwei - saisonbedingte - Aufenthalte: Einerseits die Hauptstadt Mazar-e Sharif und andererseits das Dorf XXXX . Den Winter haben die BF in der Stadt Mazar-e Sharif verbracht. Im Sommer haben sie im Dorf XXXX gelebt (Verhandlungsprotokoll, Seite 10). Aufgrund dieser Ausführungen ist anzunehmen, dass die BF sich in diesen Orten regelmäßig aufgehalten haben. Im Dorf XXXX haben die BF zahlreiche Verwandte und die Möglichkeit Grundstücke landwirtschaftlich zu nutzen. In der Stadt Mazar-e Sharif hat unter anderem der BF3 die letzten drei Jahre vor Ausreise die Schule besucht sowie der BF1 zahlreiche Berufserfahrungen gesammelt. Aufgrund der Nähe des Ortes XXXX zu Mazar-e Sharif (zwei Autostunden entfernt) sind eine Unterstützung durch die Verwandten (z.B. Versorgung mit Nahrung, Herstellung von Kontakten, etc) sowie die landwirtschaftliche Nutzung der familiären Grundstücke möglich. Zudem haben die BF aufgrund ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Mazar-e Sharif umfassende Ortskenntnisse. Das Dorf XXXX ist als Heimatdorf der BF anzusehen, da aufgrund der oben angeführten Aspekte (Verwandte, Grundstücke) davon auszugehen ist, dass die BF dorthin zurückkehren würden. Jedoch stellt aufgrund der persönlichen Lebensgeschichte der BF die Stadt Mazar-e Sharif aufgrund des regelmäßigen Aufenthalts, der Erwerbstätigkeit des BF1 sowie des Schulbesuchs des BF3 ein besonderer Aufenthaltsort dar, der mit ihrem Heimatdorf vergleichbar ist. Da die BF zwischen Mazar-e Sharif und XXXX gependelt sind, ist ihnen auch der Weg zwischen diesen Orten bekannt.

 

Die dargestellten Umstände rechtfertigen aus Sicht des erkennenden Gerichtes im Lichte einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dass sich die BF mit struktureller Unterstützung der Angehörigen in der Provinz Balkh eine Existenz aufbauen und sichern können, wobei der BF3 durch seine Eltern versorgt werden könnte.

 

Schließlich ist auch der Verweis auf allgemein bestehende konfliktbezogene Risiken im Herkunftsstaat - gemäß den Ausführungen in der Stellungnahme vom 01.03.2018 - nicht geeignet, um eine reale Gefahr existenzbedrohender Umstände in exponentieller Weise, die die BF auf Grund individueller Eigenschaften besonders befürchten müssten und die daher eine Reintegration ausschließen, zu begründen. In diesem Zusammenhang wird nur auf bloße mögliche Szenarien verwiesen, ohne darzulegen, warum diese in der Person der BF in signifikantem Ausmaß verwirklicht werden würden, sodass sie von den möglichen Risiken besonders betroffen sind.

 

2.5. Zur Minderjährigkeit des BF3:

 

Die Länderfeststellungen belegen, dass sich die Situation von Kindern in den vergangenen Jahren in Afghanistan verbessert hat - so wurden mittlerweile rund zwei Drittel der Kinder eingeschult, davon sind 40% Mädchen. Für die konkrete Rückkehrsituation des minderjährigen BF3 ist maßgeblich, dass seine Eltern dafür sorgen, dass er eine Schulbildung erlangt. So hat der BF3 bereits drei Jahre in Afghanistan die Schule besucht. Weiters besucht der BF3 in Österreich weiterhin die Schule und es sind keine allgemeinen Umstände ersichtlich, dass ihm ein Schulbesuch in Mazar-e Sharif verwehrt sein könnte, zumal er dort schon vor seiner Ausreise die Schule besucht hat (Verhandlungsprotokoll, Seite 14 f). Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass seine Eltern ihm auch bei einer Rückkehr einen Schulbesuch in Mazar-e Sharif ermöglichen werden.

 

Die allgemeinen Länderfeststellungen legen dar, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Auch in diesem Zusammenhang ergeben sich für den BF3 keine Anhaltspunkte, dass er in seiner konkreten Lebenssituation von Derartigem betroffen sein könnte. Es gibt keinerlei Hinweise auf Gewalt in der Familie des BF3, im Gegenteil stellt sich das Familienleben - aufgrund des Auftretens der BF in der Beschwerdeverhandlung - als sehr harmonisch dar. Es ist nicht davon auszugehen, dass nach einer Rückkehr nach Afghanistan sich etwas daran ändert. Es gibt auch keinen hinreichenden Beleg dafür, dass der BF3 in der Schule oder durch die Polizei Gewalt ausgesetzt sein wird - auch wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, Opfer derartiger Gewalt zu werden, ist dies bei ihm nicht konkret indiziert. Gewalt in der Schule ist laut den Länderfeststellungen in ländlichen Gebieten gebräuchlich, dafür, dass die Situation in Mazar-e Sharif ähnlich gelagert wäre, gibt es aber keine Anhaltspunkte. Auch wenn es keine dauerhaften und durchsetzungsfähigen Mechanismen gibt, Gewaltpotential einzudämmen, existieren im konkreten Fall keine Anhaltspunkte, dass der BF3 Derartigem ausgesetzt wäre. Da er mit seinen Eltern und der erweiterten Familie in Afghanistan ein ihm schützendes Netz verfügt, ist auch nicht indiziert, dass er Derartigen ausgesetzt sein könnte. Gleiches gilt für die potentielle Gefahr, Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden. Aufgrund des guten wirtschaftlichen Hintergrundes der Familie bestehen auch keine Anhaltspunkte, wonach der BF3 von Kinderarbeit bedroht sein könnte; es gibt keinen so großen finanziellen Druck, dass bereits der minderjährigen BF3 zum finanziellen Erwerb der Familie beitragen müsste. Da der BF3 im Familienverband abgesichert und davon auszugehen ist, dass er durch das familiäre Netz in Afghanistan aufgenommen wird und der BF1 die Familie ausreichend versorgen kann, ist auch keine Gefahr der Unterernährung anzunehmen. Schließlich ist der BF3 gesund, sodass auch unter diesem Aspekt keine spezifische Gefährdung ersichtlich ist.

 

Hinsichtlich Kinder als Zivilopfer ist für den konkreten Fall festzuhalten, dass der BF3 in die Provinz Balkh zurückkehren wird. Es ist vor dem Hintergrund der dortigen Sicherheitslage (vgl. dazu bereits oben) nicht bekannt, dass er dort im Zusammenhang mit dem innerstaatlichen Konflikt aufgrund seiner Minderjährigkeit eine erhöhte Gefährdung zu gewärtigen hat. Hauptursache für zivile Opfer unter Kindern sind nach den Länderberichten Munitionsrückstände - die Existenz solcher ist insbesondere im Stadtgebiet Mazar-e Sharif nicht ersichtlich und wurde von den Eltern des BF3 im Verfahren auch nicht für das Heimatdorf XXXX aufgezeigt. Aus der Sicherheitssituation in der Provinz Balkh ist auch nicht ersichtlich, dass der Faktor Minderjährigkeit zu einer Gefährdungsverdichtung in der Person des BF3 führen könnte. Insbesondere ist aus der allgemeinen Sicherheitslage in der Provinz Balkh nicht abzuleiten, dass Minderjährige einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wären, bei Auseinandersetzungen, Angriffen oder Anschlägen (zufälliges) Opfer zu werden.

 

2.6. Zum Leben in Österreich:

 

Dahingehende Feststellungen beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie der Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem.

 

Dass die BF in Österreich keine relevanten familiären Anknüpfungspunkte haben, folgt aus ihren Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 11).

 

Hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse sind BF1 und BF2 nicht in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Dagegen ist der BF3 in der Lage, bei klarer Sprache über vertraute Dinge aus Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Diese Feststellungen beruhen auf den vorgelegten Teilnahmebestätigungen und Zertifikaten sowie vom Gericht im Zuge der Verhandlung wahrgenommenen Fähigkeiten der BF, auf Deutsch zu kommunizieren. Die guten Deutschkenntnisse des BF3 sind auf seinem regelmäßigen Schulbesuch zurückzuführen (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 12 ff). Zudem unterstützt der BF3 die BF2 im Alltagsleben dadurch, dass er für sie in Österreich dolmetscht.

 

2.7. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Dies hat das erkennende Gericht durch ständige Beobachtung der aktuellen Quellenlange (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) verifiziert. Von einer Aktualisierung der Länderfeststellungen konnte daher abgesehen werden.

 

Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem BVwG wurden den BF die gegenständlichen Länderfeststellungen übermittelt. Dabei wurde den BF die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme dazu bis zur Verhandlung schriftlich bzw. während der Verhandlung mündlich einzubringen. Dazu wurde seitens des BF bzw. von seinem Vertreter keine Stellungnahme eingebracht.

 

Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurden vom BVwG weitere Länderinformationen eingebracht. Dazu wurde vom Vertreter der BF fristgerecht eine Stellungnahme übermittelt.

 

Die in der Stellungnahme zitierten Auszüge aus diversen Berichten wurden einerseits nicht in einem konkreten Bezug zum Vorbringen des BF gestellt, andererseits wurden die übermittelten Länderinformationen des Gerichts - basierend auf den Länderfeststellungen der Staatendokumentation - nicht substantiiert bestritten.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

1. Zu den Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).

 

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist im Übrigen, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht. Sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113).

 

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in der konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350, mwN). Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine dem Staat zurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird. Auch kommt einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. VwGH vom 18.11.2015, Ra 2014/18/0162, mwN). Eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030). Ob in diesem Zusammenhang eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, kommt darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 08.09.2009, 2008/23/0027, mwN). Eine mangelnde staatliche Schutzgewährung setzt nicht voraus, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036). Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative - nicht notwendigerweise auf Konventionsgründen beruhende - Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl. VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt voraus, dass nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Betroffenen in dem in Frage kommenden Gebiet getroffen werden (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

 

Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der BF, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt.

 

Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die BF keine persönliche Verfolgungshandlung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft gemacht haben. Es ist zu beachten, dass die Glaubhaftigkeit des Vorbringens eine zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnimmt (VwGH vom 20.06.1990, Zl. 90/01/0041).

 

1.1. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 und seiner Familie wegen der Teilnahme am Bürgerkrieg:

 

In dem Umstand, dass im Heimatland des BF1 Bürgerkrieg herrscht(e), liegt für sich allein nach ständiger Rechtsprechung des VwGH keine Verfolgungsgefahr iSd GFK. Eine Bürgerkriegssituation in der Heimat des BF1 schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht generell aus. Der Asylwerber müsste in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 26.1.2006, 2005/01/0537). Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, konnte der BF1 in diesem Zusammenhang keine individuell gegen seine Person aus asylrelevanten Gründen eine Verfolgung aufzeigen. Daher kann auch für seine Familienangehörigen eine asylrelevante Verfolgung nicht abgeleitet werden.

 

1.2. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 und seiner Familie aufgrund seiner Mitgliedschaft bei den Harakat-e Islami:

 

Auch in diesem Zusammenhang konnte der BF1 wie oben in der Beweiswürdigung ausgeführt keine individuell gegen seine Person aus asylrelevanten Gründen eine Verfolgung aufzeigen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 m.w.N.). Aus diesem Grund kann daher auch für seine Familienangehörigen eine asylrelevante Verfolgung nicht abgeleitet werden.

 

1.3. Bedrohung bzw. Verfolgung der BF aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sadat und der schiitischen Glaubensrichtung:

 

Aufgrund der Ausführungen in der Beweiswürdigung konnte in diesem Zusammenhang eine individuelle, den BF drohende Verfolgung und Bedrohung nicht festgestellt werden. Daher bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und vor dem Hintergrund seiner Ausführungen zu prüfen, ob die BF bei einer Überstellung in ihren Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sadat - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wären. Den Länderberichten ist kein ausreichendes Substrat für die Annahme einer besonderen Diskriminierung von Angehörigen der Sadat zu entnehmen - dies weder durch Angehörige der Hazara noch von anderer Seite. Eine gezielte Verfolgung von Sadat hat sich mangels einer verdichteten Gefährdung von Angehörigen dieser Gruppe nicht ergeben.

 

Die Sadat werden als Verwandte von den Hazara angesehen (Niederschrift der BF2, Seite 3) und können mit diesen assoziiert werden. Dabei ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048), jedoch ist für das BVwG aus folgenden Gründen nicht ersichtlich, dass die BF als Angehörige einer Untergruppe der Volksgruppe der Hazara im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müssten, alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt zu sein. Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zwar zu entnehmen, dass Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt sind und sich Diskriminierungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara (Sadat) in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung äußern würden. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung nach Ansicht des BVwG jedoch nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara (Sadat) in Afghanistan für gegeben zu erachten.

 

Der Verwaltungsgerichtshof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara (Sadat) irgendwo in Afghanistan an, zum Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048).

 

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppe der Hazara bzw. die Untergruppe der Sadat in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

 

1.4. Zur Verfolgung der BF2 aufgrund eines selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstils:

 

Hinsichtlich der Verneinung einer "westlichen Orientierung" bei der BF2 sei darauf verwiesen, dass bezogen auf Afghanistan nicht die Eigenschaft des Frau-Seins an sich in der Judikatur zur Gewährung von Asyl führt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können lediglich Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017- 0018, mwN). Jedoch führt nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss (VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306-6). Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. idS VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388), bzw. eine Lebensführung der Asylwerberin, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde.

 

In diesem Zusammenhang führte der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9, aus: "Die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten hängt davon ab, mit welchen Konsequenzen die Asylwerberin aufgrund ihrer Haltung im Herkunftsstaat zu rechnen hat und ob diese als Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sind. Nach einer Stellungnahme des UNHCR von Juli 2003 sollten afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen oder dies tatsächlich tun, bei der Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN). Daraus leitet der VwGH ab, dass einer afghanischen Frau Asyl zu gewähren ist, wenn der von ihr vorgebrachte "westliche Lebensstil" in Afghanistan einer zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen eingenommene oppositionelle Einstellung gleichgesetzt wird und ihr deshalb Verfolgung droht. Es komme aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf an, ob sich eine Asylwerberin den gesellschaftlichen Normen ihres Heimatstaates anzupassen hat oder nicht (VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994; 16.1.2008, 2006/19/0182)."

 

Solche Aspekte vermochte die BF2 aber eben nicht glaubhaft darzutun, vielmehr hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass ein "westlich" orientierter Lebensstil bzw. eine selbstbestimmte Lebensweise nicht Bestandteil der Identität der BF2 geworden ist.

 

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass die BF2 keinen "westlichen", selbständigen und selbstbestimmen Lebensstil pflegt und auch eine entsprechende innerer Wertehaltung nicht glaubhaft gemacht hat. Infolgedessen verletzt die BF2 mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils) Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl liegen vor, wenn dieser Lebensstil ein wesentlicher Teil der Identität der BF2 geworden ist, sodass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen. Dies konnte im gegenständlichen Fall aufgrund der Unglaubhaftigkeit der Annahme eines "westlichen Lebensstils" bzw. einer selbstständigen und selbstbestimmten Verhaltensweise nicht festgestellt werden.

 

So ergab sich (vgl. dazu die Ausführungen in der Beweiswürdigung) auf Basis der aktuellen Lebensweise der BF2 vor dem Hintergrund der Situation in der Stadt Mazar-e Sharif nicht, dass ihre Lebensweise einen Bruch mit den vorherrschenden Normen darstellt, die eine Verfolgung auslöst. Eine derartige Lebensweise, die bereits Bestandteil der Identität der BF2 geworden wäre, ist nicht hervorgekommen und wurde nicht glaubhaft gemacht. Daher verletzt die BF2 mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan, jedenfalls in urbanen Zentren wie der Stadt Mazar-e Sharif, nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils, insbesondere Einkaufen, Erwerbstätigkeit, kleinstmöglicher sozialer Bewegungsradius) Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde. Soweit in Afghanistan vorherrschende Kleidungsgewohnheiten ins Kalkül zu ziehen sind, kam in dem Verfahren nicht hervor, dass sich die BF2 Kleidungsvorschriften unterwerfen müsste, die von ihrem Kleidungsstil in Österreich erheblich abweichen würden. So hat sie selbst in der Beschwerdeverhandlung ein Kopftuch getragen.

 

Eine Verfolgungsgefahr ist zudem nur dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht die entfernte Möglichkeit genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 m.w.N.). Im konkreten Fall gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass (abstrakt mögliche) alters- und geschlechtsspezifische Gefährdungen in der Person der BF2 bestehen oder sich in der ihrer Person verdichten, sodass die Verwirklichung solcher nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Insgesamt konnte in Bezug auf die BF2 keine Verfolgung glaubhaft gemacht werden

 

Zum Verweis auf die Stadt Mazar-e Sharif, die für die BF2 eine innerstaatliche Fluchtalternative darstellt, wird auf die untenstehenden Ausführungen zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide verwiesen.

 

1.5. Bedrohung bzw. Verfolgung des BF1 wegen seiner westlichen Lebensweise:

 

Hinsichtlich der vorgebrachten Verfolgung wegen des zweijährigen Aufenthaltes des BF1 in Österreich, während diesem eine prowestliche Lebenseinstellung begründet wurde, ist anzumerken, dass er zu keinem Zeitpunkt in der Lage war in diesem Zusammenhang eine konkrete auf seine Person bezogene Verfolgung darzustellen. Es droht daher keine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. insbesondere VwGH vom 15.12.2016, Ra 2016/180329-4 sowie weiters 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Auch der VwGH verneint in seiner Judikatur eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329). Auch ist aufgrund der vorliegenden Quellenlage die Situation von Frauen mit Männern in Afghanistan nicht vergleichbar.

 

In Ermangelung von dem BF1 individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass jedoch ein Rückkehrer aus dem Westen bzw. dem Iran nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht auf Basis der Quellenlage nicht finden.

 

1.6. Bedrohung und Verfolgung des Minderjährigen BF3

 

Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua. mwN), ist aufgrund des Vorbringens seiner Eltern (BF1 und BF2) eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung im Verfahren des BF3 nicht hervorgekommen. In diesem Zusammenhang wurden von seinen Eltern nur Probleme aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage aufgezeigt. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 m.w.N.).

 

1.7. Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban bzw. die Daesh

 

Das von dem BF1 und der BF2 aufgezeigte Bedrohungspotential durch die Taliban bzw. die Daesh ist äußerst vage und unsubstantiiert. Eine asylrelevante Bedrohung bzw. Verfolgung konnte damit nicht belegt werden. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 m.w.N.).

 

Abschließend haben sich auch sonst im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen:

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien zwar besondere Beachtung zu schenken, ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0118-5, m.w.N.). In diesem Zusammenhang konnten die BF im Rahmen der Befragung vor dem BFA sowie in der Beschwerdeverhandlung keine konkrete Bedrohung oder Verfolgung aufzeigen (siehe oben Beweiswürdigung). Eine denkbare Verfolgung ist nicht ausreichend. Vielmehr ist zu beachten, dass eine Verfolgungsgefahr erst dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0185 m.w.N.).

 

Die allgemeine Lage in Afghanistan ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (vgl. etwa AsylGH 07.06.2011, C1 411.358-1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss des VfGH vom 19.09.2011, U1500/11-6 u.v.a.).

 

Auch aus der wirtschaftlich schlechten Lage in Afghanistan lässt sich für die BF eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. VwGH 28.06.2005, 2002/01/0414). Wirtschaftliche Benachteiligungen einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich asylrelevant sein (vgl. VwGH 06.11.2009, 2006/19/1125). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, 95/20/0482). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist.

 

Es ist den BF nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in ihrem Herkunftsstaat glaubhaft darzutun. Daher waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

2. Zu den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn sein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat aber eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016, mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Nr. 25904/07, NA/Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, RNr. 217). In diesem Zusammenhang fasst Thurin, in: Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung (2012), 203 die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases") wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ). Er umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und 30.01.2014, C-285/12 , Diakite).

 

Zusammenfassend: Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, mwN).

 

Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser (EGMR 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u. a./Schweden, RNr. 91 und 96, VfGH 12.12.2017, E 2068/2017-7). In diesem Zusammenhang sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen. Bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von anderen Personen im Herkunftsstaat unterscheidet (vgl. RNr. 94), ist im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden (a.a.O., RNr. 97).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass hinsichtlich der BF die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind.

 

Die BF konnten keine sie individuell treffenden Bedrohungen glaubhaft machen. Es muss aufgrund der dargestellten Ergebnisse des Verfahrens davon ausgegangen werden, dass sie im Falle ihrer Rückkehr keiner "realen Gefahr" iSd Art 2 oder Art 3 EMRK ausgesetzt wären, die subsidiären Schutz notwendig machen würde.

 

Es sind auch unabhängig davon keine außergewöhnlichen, exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ihnen im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan drohen könnten und die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm. § 8 AsylG 2005 darstellen könnten, wie etwa eine dramatische Versorgungslage (z.B. Hungersnöte), eine massive Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust des Lebens.

 

Nach Ansicht des EGMR ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR 09.04.2013, Nr. 70073/10 und 44539/11 H. und B./Vereinigtes Königreich, sowie zuletzt die Urteile vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande:

S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). Die allgemeine Situation in Afghanistan steht daher als solche einer Rückführung der BF im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort der BF bei ihrer Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel ihre Herkunftsregion, in die sie typischerweise zurückkehren werden (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029). Die Herkunftsregion der BF ist das Dorf XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz Balkh. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass aufgrund der zugrundeliegenden Länderberichte, in der Heimatregion keine wesentlichen Sicherheitsprobleme bestehen. Die zentral gelegene Provinz Balkh (mit ihrer Hauptstadt Mazar-e Sharif) wird als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt. Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan. Ausgehend von Mazar-e Sharif können die BF aufgrund der Sicherheitslage in der Provinz Balkh in ihr Heimatdorf XXXX zurückkehren. Dieses Dorf ist ca. zwei Autostunden von Mazar-e Sharif entfernt. Da die BF zwischen Mazar-e Sharif und Qorq gependelt sind, ist ihnen auch der Weg zwischen diesen Orten bekannt. Mazar-e Sharif ist sicher über den dortigen Flughafen ausgehend von Kabul erreichbar.

 

Zusätzlich zu ihrem Heimatdorf können die BF auch gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 auf eine andere Region des Landes - nämlich die Stadt Mazar-e Sharif - aufgrund der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und ihrer persönlichen Umstände verwiesen werden (vgl. VfGH 11.10.2012, U677/12). In diesem Zusammenhang haben die BF sehr starke Berührungspunkte zu Mazar-e Sharif: Aufgrund der persönlichen Lebensgeschichte der BF - des regelmäßigen Aufenthalts, der Erwerbstätigkeit des BF1 sowie des Schulbesuchs des BF3 - stellt die Stadt Mazar-e Sharif einen besonderen Aufenthaltsort der BF dar, der mit ihrem Heimatdorf vergleichbar ist.

 

Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen zu prüfen. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Daher scheidet das ins Auge gefasste Gebiet aus, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass vom ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen.

 

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet wesentliche Bedeutung zukommt. Es muss mit ausrechender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in dem ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001-5). Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, wobei die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu verifizieren ist (vgl. dazu VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, Provinzhauptstädte (wie Mazar-e Sharif) und größere Transitrouten hat. Auch ist Mazar-e Sharif eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage für die BF noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung ihrer durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, mwN). Die in der Stadt Mazar-e verzeichneten Anschläge fokussieren sich - wie sich aus einer Gesamtschau der Länderberichte und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich auf High-Profile Ziele, wie staatliche und ausländische Einrichtungen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Mazar-e Sharif nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

 

Insgesamt wird die zentral gelegene Provinz Balkh (mit ihrer Hauptstadt Mazar-e Sharif) als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt. Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste. Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan.

 

Neben der Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevant sein. Dies insbesondere dann, wenn es sich um Antragsteller handelt, bei denen individuelle Gründe bestehen, die die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit rechtfertigen, wie z.B. Personen mit Erkrankungen, Familien mit Kleinkindern oder schwangeren Frauen (VfGH 14.12.2011, U2495/2010 mit Verweis auf VfGH 07.10.2010, U694/2010).

 

Auch der gesundheitliche Zustand des BF1 und der BF2 rechtfertigt im Hinblick auf den strengen Maßstab der Judikatur die Gewährung von subsidiärem Schutz nicht, zumal im Verfahren eine lebensbedrohliche Erkrankung dieser BF nicht hervorgekommen ist. In diesem Zusammenhang hat nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. den hg. Beschluss vom 21. Februar 2017, Ra 2017/18/0008 und 0009, mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff).

 

Für eine akute lebensbedrohende Krankheit des BF1 bzw. der BF2, welche eine Überstellung nach Afghanistan gemäß der dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbieten würde, liegen im konkreten Fall aus der Aktenlage heraus keine Hinweise vor. Im Hinblick auf den Gesundheitszustand dieser BF ist festzuhalten, dass es sich dabei - wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - weder um eine schwere, noch lebensbedrohliche Erkrankung handelt, sodass der BF1 sowie die BF2 keiner akuten Behandlungsbedürftigkeit in Österreich unterliegen. Auch wurde nicht hinreichend konkret dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des BF1 und der BF2 im Falle einer Überstellung derartig verschlechtern würde, sodass eine Überstellung iSd o.a. Judikatur als unzulässig anzusehen wäre. Abgesehen davon werden von der Fremdenpolizeibehörde anlässlich einer Abschiebung auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit der Betroffenen beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Der BF1 hat Verletzungen an seinem linken Bein und linken Hand, die er sich bereits vor Jahren zugezogen hat. Die BF2 hat Hör- und Sehschwächen. Hierfür ist eine allfällige weitere Behandlung auch in Mazar-e Sharif möglich, wobei im Verfahren hervorgekommen ist, dass der BF1 und die BF2 dort schon Behandlungen in Anspruch genommen haben. Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei.

 

Die medizinischen Beeinträchtigungen des BF1 und der BF2 lassen jedoch nicht den Schluss zu, dass sie deswegen tatsächlich an der Erwirtschaftung eines notdürftigen Lebensunterhalts längerfristig gehindert und eine Behandlung nicht möglich wäre. Ferner kann bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif eine allenfalls notwendige weitere Behandlung an diesem Ort erfolgen. Zudem ist - wie ausgeführt - die Behandlung auch kostenlos möglich. Daher ist auch für die Behandlung das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks in Mazar-e Sharif nicht obligatorisch erforderlich.

 

Durch eine Abschiebung des BF1 bzw. BF2 wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt, zumal es ausreicht, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung grundsätzlich verfügbar sind, was im Herkunftsstaat der BF der Fall ist; dass die Behandlung im Herkunftsstaat nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant.

 

Die auch in der Stadt Mazar-e Sharif aufgrund verschiedener Faktoren wirtschaftlich angespannte Situation erreicht nicht das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19(0095).

 

Im vorliegenden Fall verfügen die BF über soziale oder familiäre Unterstützung in der Provinz Balkh. Der Heimatort der BF liegt bloß zwei Autostunden von Mazar-e Sharif entfernt. Im Heimatort bzw. in XXXX befinden sich zahlreiche Familienangehörige der BF. So leben dort die Mutter sowie ein Bruder des BF1, ferner hat er dort noch sehr viele Cousins väterlicherseits. Auch leben die Eltern der BF2 in XXXX . Zudem hat auch sie dort Cousins. Aufgrund der Nähe des Orts XXXX zu Mazar-e Sharif ist eine Unterstützung durch die Verwandten (z.B. Versorgung mit Nahrung, Herstellung von Kontakten, etc.) gegeben. Zudem stammen die BF aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird.

 

Im Falle der Rückkehr sind die BF vor diesem Hintergrund aufgrund ihrer individuellen Verhältnisse auch nicht einer "realen Gefahr" iSd Art 2 oder Art 3 EMRK ausgesetzt, die subsidiären Schutz notwendig machen würde. Sie haben zwar ein zumindest ansatzweises Vorbringen zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan erbracht, es ist ihnen jedoch nicht gelungen, den mit Blick auf die Rechtsprechung des VwGH erforderlichen Nachweis hinsichtlich des Vorliegens von in ihrer Person gelegenen, exzeptionellen Umständen im Hinblick auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch ihre Rückführung in den Herkunftsstaat zu erbringen (vgl. dazu VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016). Solche Umstände vermochten die BF im Verfahren nicht darzulegen:

 

Die BF haben vor ihrer Ausreise in Mazar-e Sharif gelebt bzw. haben sich dort auch regelmäßig aufgehalten. So haben sie - saisonbedingt - im Winter in Mazar-e Sharif gelebt, und im Sommer haben sie sich im Dorf XXXX aufgehalten. Aus diesem Grund verfügen die BF nicht nur über genaue Ortskenntnisse von Mazar-e Sharif, sondern sind auch über die dortigen Lebensbedingungen sehr gut informiert. Die BF sprechen eine Landessprache als Muttersprache und sind mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut.

 

Zudem handelt es sich beim BF1 um einen erwerbsfähigen Mann. Er kann lesen und schreiben und konnte in verschiedenen Berufen Erfahrungen sammeln. So war er ab seinem 15. bzw. 16. Lebensjahr bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der Lage sich selbst und seine Familie zu versorgen. Aufgrund seiner Berufserfahrungen in Mazar-e Sharif als Schweißer, Brotbäcker und Straßenverkäufer ist der BF mit dem dortigen Arbeitsmarkt vertraut und er kann eine entsprechende Tätigkeit wieder aufnehmen. Ferner konnte der BF auch als Bauer Berufserfahrungen sammeln. Durch seine vormalige Erwerbstätigkeit und das familiäre Netz, das ihm insbesondere bei der Arbeitssuche helfen und Kontakte vermitteln kann, hat er auch maßgebliche Vorteile bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Zusammenfassend hat der BF1 aufgrund seines Bildungsstandes, seiner beruflichen Vorkenntnisse und seiner Arbeitsfähigkeit die Möglichkeit, in Mazar-e Sharif allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten seine und die Existenzgrundlage seiner Familie zu sichern.

 

Darüber hinaus hat der BF1 noch die Möglichkeit, familiäre Grundstücke in seinem Heimatdorf zu nutzen. Die vorhandenen Vermögenswerte mögen "der Familie" gehören, es gibt aber kein Anzeichen dafür, dass die BF bei Bedarf nicht davon partizipieren könnten. In diesem Zusammenhang kommt dem BF1 als Familienoberhaupt der Familie hinsichtlich der Nutzung der Grundstücke eine vorrangige Stellung zu. Aufgrund der persönlichen und familiären Rahmenbedingungen ist davon auszugehen, dass der BF1 seine Familie bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif versorgen kann.

 

Zudem gehören die BF keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Dies ganz wesentlich deshalb, weil Familienangehörige in der Nähe der Stadt Mazar-e Sharif wohnen, wodurch eine Unterstützung mit z. B. mit Nahrung bzw. Sachgütern und die Herstellung von Kontakten für die Arbeits- und Wohnungssuche gegeben ist. Außerdem können die BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mazar-e Sharif das Auslangen finden.

 

Die Existenz des minderjährigen BF3 ist bei der Rückkehr im Familienverband durch die Erwerbsfähigkeit seines Vaters und die Absicherung im Familienverband durch die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen in der Provinz Balkh gesichert. Aus diesen Gründen ist auch nicht zu befürchten, dass der BF3 bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor seine Eltern in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Es bestehen insgesamt, wie in der Beweiswürdigung dargelegt, keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der BF3 aufgrund der unter dem Aspekt der Minderjährigkeit zu beurteilenden Faktoren bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist. Auch steht es ihm offen, in Mazar-e Sharif wieder die Schule zu besuchen. Aufgrund der weit überwiegenden Sozialisierung der BF in Afghanistan und dem in Relation dazu erst kurzen Aufenthalt in Österreich ist eine Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft jedenfalls möglich.

 

In Zusammenschau der allgemeinen Verhältnisse vor Ort und individuellen Verhältnisse der BF sind ihnen diese Lebensumstände und damit die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif zumutbar. Dabei ist, wie bereits ausgeführt, maßgeblich, dass die BF dort in der Nähe über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen und kein reales Risiko von alters- und geschlechtsspezifischen Gefährdungen der BF2 anzunehmen ist.

 

Den BF ist es aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich dort eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern, sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass die BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt sind, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

 

Vor dem Hintergrund dieser individuellen Situation der BF ist ihnen die Rückkehr nach Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Exzeptionelle Umstände, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch ihre Rückführung in den Herkunftsstaat indizieren würden, haben die BF nicht glaubhaft vorgebracht, auch sonst sind solche nicht hervorgekommen.

 

Auch wenn bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für die BF besteht, dies bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, ist damit die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht dargetan (vgl. dazu die Erkenntnisse des VwGH vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; sowie das Erk vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307). Der Klarstellung des VwGH folgend, dass von der wirtschaftlichen angespannten Situation in Afghanistan das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert, zu unterscheiden ist (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095), ist für den gegenständlichen Fall entscheidend, dass bei den BF aufgrund obenstehender Erwägungen eine solche Situation nicht gegeben ist.

 

Zusammenschauend ergibt sich, dass für die BF bei Rückkehr nach Mazar-e die Möglichkeiten für eine den durchschnittlichen afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch sind und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung und damit einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt sind.

 

Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den BF bei einer Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif keine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht und dass ihnen die Rückkehr dorthin auch zumutbar ist.

 

Daher waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

 

3. Zu den Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die BF befinden sich erst seit Februar 2016 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Sie sind nicht Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in den Beschwerden behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

 

Die BF sind als Staatsangehöriger von Afghanistan keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt. Um über diese Aufenthaltstitel abschließend entscheiden zu können, hat daher eine Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung vorauszugehen (VwGH vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 22.02.2017, Ra 2017/19/0043).

 

Die Aufenthaltsdauer stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0070, mwN). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH vom 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). Eine Aufenthaltsdauer von drei Jahren ist noch nicht so lange, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Die BF leben seit Februar 2016 Monat Jahr in Österreich. Im Hinblick auf die Zeitspanne ihres Aufenthaltes, kann selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale - wie etwa Unbescholtenheit, ein Bekanntenkreis im Bundesgebiet usw. - eine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" noch nicht angenommen werden.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (vgl. dazu im Erkenntnis des VwGH vom 26.04.2010, Zl. 2006/01/0354 zitierte Rechtsprechung des EGMR; 19.03.2013, 2012/21/0178). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen, wie z.B. zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, zwischen Geschwistern, zwischen Onkel/Tanten und Neffen/Nichten, usw., fallen jedoch nur dann unter den Schutz des Art 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. zuletzt VwGH vom 02.08.2016; Ra 2016/20/0152). In diesem Zusammenhang sind keine intensiven Beziehungen zu allfälligen in Österreich aufhältigen Familienangehörigen oder den BF sonst besonders nahestehende Personen hervorgekommen, zumal die Kernfamilie der BF (seine Eltern und Geschwister) nicht in Österreich lebt. Ist wie im vorliegenden Fall die gesamte Familie von der Aufenthaltsbeendigung betroffen, so greift sie wohl in das Privatleben der Familienmitglieder, nicht aber in ihr Familienleben ein (EGMR v. 09.10.2003, Slivenko vs. Lettland, 48321/99)

 

Unter Privatleben sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR U 23.06.2008 (GK), Maslov vs. Österreich, 1638/03, Rz 63). Eine den Schutz auslösende Verbindung kann insbesondere für solche Asylwerber in Betracht kommen, deren Bindung an Österreich aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse mit gleichzeitiger Entfremdung vom Heimatland quasi Österreichern gleichzusetzen ist. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass Österreich faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit dem Herkunftsland nur noch das formale Band der Staatsbürgerschaft verbindet (vgl. EGMR 26.03.1993, Beldjoudi vs. France, Nr. 12083/86). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52). In der Folge werden integrationsrelevante Aspekte des Privatlebens der BF näher untersucht:

 

Hinsichtlich ihrer Deutschkenntnisse sind der BF1 und die BF2 nicht in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Jedoch ist der minderjährige BF3 in der Lage, bei klarer Sprache, über vertraute Dinge aus Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Zudem unterstützt der BF3 die BF2 im Alltagsleben dadurch, dass er für sie in Österreich dolmetscht.

 

Da der BF1 und die BF2 keine Arbeitserlaubnis haben, waren sie bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Die BF leben von der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügen BF1 und BF2 über keine Einstellzusage. Der BF1 hat vereinzelt gemeinnützige Aufgaben übernommen, indem er zwei bis dreimal für die Gemeinde im Wald gearbeitet hat. Die BF2 hat in der Unterkunft als Reinigungskraft gearbeitet. In diesem Zusammenhang bringt der VwGH in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie eine etwaige Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt, keine wesentliche Bedeutung zukommen (VwGH 22.02.2011/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/016; 29.06.2010, 2010/18/0195, mwN). Dabei kommt es nicht entscheidungswesentlich darauf an, ob dem Betroffenen ein "Vorwurf" im Hinblick auf eine unterlassene Integration am Arbeitsmarkt zu machen ist, sondern darauf, ob sie ihm gelungen ist oder nicht (VwGH 19.04.2012, 2010/21/0242). Im Ergebnis ist dem BF1 bzw. der BF2 die wirtschaftliche Integration nicht gelungen.

 

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Neben den erwähnten Freundschaften, sind der BF1 und die BF2 keine Mitglieder von Vereinen und politischen Parteien und waren bisher auch sonst politisch nicht aktiv. Der BF1 geht in der Freizeit spazieren und unterhält sich mit den Bewohnern in der Unterkunft. Die BF2 beteiligt sich in Österreich an Freizeitaktivitäten (Yoga, Schwimmen, Ausflüge, usw.) einer afghanischen Frauengruppe. Im Übrigen kümmert sie sich um Hausarbeiten und kocht und putzt. BF3 geht zur Schule und ist unter anderem in seiner Freizeit in einem Fußballclub aktiv.

 

Insgesamt ist die Integration der BF in Österreich nach Ansicht des BVwG nur sehr schwach ausgeprägt. Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt berücksichtigungswürdige besondere Integration sind insbesondere beim BF1 bzw. bei der BF2 in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht nicht erkennbar. Auch sind in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung die integrativen Bemühungen der BF aber insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

Die BF verfügen über starke Bindungen zum Herkunftsstaat. Alle BF wurden dort geboren, verbrachten dort jeweils den überwiegenden Teil ihres Lebens und wurden dort umfassend sozialisiert. Der BF1 und die BF2 lernten dort lesen und schreiben; der BF1 sammelte dort zahlreiche Berufserfahrungen und gründete gemeinsam mit BF2 dort auch eine Familie. Die BF leben auch in Österreich gemeinsam, sodass insbesondere der BF3 in einem afghanischen Familienverband aufwächst und er mit der Sprache und Kultur Afghanistans vertraut ist. Aufgrund des jungen Alters des BF3 stellt der Familienverband für ihn den wichtigsten sozialen Bezugspunkt dar, er wächst in einem afghanischen Familienverband, und damit mit starkem Bezug zu sozialen und kulturellen Gegebenheiten Afghanistans, auf. Die BF sprechen eine Landessprache Afghanistans muttersprachlich. Dadurch und aufgrund des Umstandes, dass sie in der Provinz Balkh über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen und der BF1 durch Erwerbstätigkeit auch bei einer Rückkehr die Existenz der Familie zu sichern imstande ist und nicht von einer Verfolgung oder Gefährdung der BF (insb. aufgrund alters- und geschlechtsspezifischer Faktoren) auszugehen ist, sowie dem BF3 auch Ausbildungsmöglichkeiten offenstehen, ist bei den BF, insbesondere beim BF3 zu erwarten, dass sie sich an die Verhältnisse im Heimatland (insb. Sprache, Aufbau neuer Kontakte, Fortsetzung begonnener Ausbildung) anpassen werden können. Dies auch unter dem Aspekt, dass der BF3 prägend in Afghanistan sozialisiert wurde und sich darüber hinaus in einem anpassungsfähigen Alter befindet. Ferner haben der BF1 und die BF2 weiterhin Kontakt zu Angehörigen oder Freunden im Herkunftsland.

 

Im Gegensatz dazu sind die Bindungen der BF in Österreich weniger stark ausgeprägt: Sie hat nur BF3 grundlegende Deutschkenntnisse. Weiters pflegen die BF in ihrem Wohnort in Österreich soziale Kontakte. Die Deutschkenntnisse des BF3 haben jedoch kein hohes Niveau erreicht, sodass diese insofern zum Entscheidungszeitpunkt keine entscheidungsmaßgebliche Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich darstellen. Der BF1 und die BF2 sind auch wirtschaftlich nicht integriert und nicht selbsterhaltungsfähig. Sie üben zwar teilweise ehrenamtliche Tätigkeiten aus (BF1 hat zwei bis dreimal für die Gemeinde im Wald gearbeitet; die BF2 hat in der Unterkunft als Reinigungskraft gearbeitet), darin ist aber keine nachhaltige wirtschaftliche Integration in Österreich zu sehen. Hinsichtlich des BF3 wird von einer durchschnittlichen Anbindung im Schulverband und beim Fußballverein ausgegangen, darüber Hinausgehendes wurde nicht vorgebracht. Abgesehen von den grundlegenden Deutschkenntnissen des BF3, den sozialen Kontakten, dem Schulbesuch des BF3 und seiner Aktivitäten beim Fußballverein sind keine Anhaltspunkte für eine nachhaltige Integration der BF in Österreich hervorgekommen.

 

Zusammenschauend ist davon auszugehen, dass im Falle der BF insbesondere aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich (seit Februar 2016) und des Fehlens von mehr als grundlegenden Integrationsschritten in sprachlicher, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht ein nur geringer Grad an Integration erreicht worden ist. Dem gegenüber stehen nur soziale Kontakte am Wohnort und im Schulverband, wobei in einer Gesamtbetrachtung die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Herkunftsstaat stärker ausgeprägt sind als zu Österreich. Die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund dessen und aufgrund des Umstandes, dass sie ihren Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt haben, nur in geringem Maße gegeben.

 

Die BF erhalten in Österreich keine medizinische Behandlung, welche sie in ihrem Herkunftsland nicht bekommen würde (siehe dazu VwGH vom 28.04.2015, Ra 2014/180146 bis 0152; VwGH 29.02.2012, 20110/21/0310 bis 0314 und 210/21/0366; VfGH 21.09.2015, E 332/2015).

 

Die Tatsache, dass die BF in Österreich nicht straffällig geworden sind, bewirkt keine relevante Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist hinsichtlich der vorliegenden integrationsbegründenden Umständen zu beachten, dass sie gemindert werden, wenn sie zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste und somit nicht damit rechnen durfte, dauerhaft in Österreich bleiben zu können (zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070, mwN). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber geduldet war. Da der minderjährige BF3 seine Eltern bloß nach Österreich begleitete, kommt diesem Umstand im Vergleich zu den anderen Kriterien weniger Gewicht zu bzw. wird nicht ins Kalkül gezogen (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070, VfGH 10.03.2011, B 1565/10 u.a., mwN).

 

Die Dauer des vorliegenden Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die vom Asylgerichtshof angesprochenen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Ausweisung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (VfGH 12.06.2013, U485/2012; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, 47.017/09).

 

Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund treten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN). Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der BF in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

Im Ergebnis kann daher eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Ein diesbezüglich bestätigender formaler Abspruch hat jedoch zu unterbleiben (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/21/0174). Insgesamt liegen die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 vor: Da die Anträge der BF auf internationalen Schutz abgewiesen wurden, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Wie bereits oben ausgeführt sieht auch der EGMR in seiner jüngsten Rechtsprechung die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist durch das BFA zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen war den BF nicht zu erteilen. Im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung aus den in § 57 AsylG 2005 angeführten Gründen hätten schließen lassen. Ferner sind auch keine Umstände bekannt, welchen zufolge gegenständlich von einem Anwendungsfall des § 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 gesprochen werden könnte.

 

Daher waren die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide gemäß §§ 10, 55 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abzuweisen.

 

4. Zum Familienverfahren:

 

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG vor.

 

Im vorliegenden Fall wurde keinem der BF gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Mangels Zuerkennung dieses Status an ein anderes Familienmitglied kommt auch für das jeweils andere Familienmitglied aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens eine entsprechende Zuerkennung nicht in Betracht.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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