Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste - nach der Scheidung von seiner Ehefrau im November 2000 - am 4. Jänner 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag bereits mit Bescheid vom 27. Februar 2001 ab und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. Oktober 2008 keine Folge. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. Jänner 2009 ab.
Ein vom Beschwerdeführer sodann am 23. April 2009 gestellter Antrag auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 4 NAG wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 27. Mai 2010 rechtskräftig abgewiesen.
Bereits davor hatte die Bundepolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 30. September 2009 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 7. April 2010 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Juni 2010, B 63310-3, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im April 2010 geltende Fassung (vor dem FrÄG 2011). Demnach kann vom Verwaltungsgerichtshof auch nicht auf danach eingetretene Sachverhaltsänderungen, insbesondere auf die mittlerweile längere Aufenthaltsdauer und eine fortgeschrittene Integration, Bedacht genommen werden.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig beendet ist. Die behördliche Annahme, der genannte Ausweisungstatbestand sei im vorliegenden Fall verwirklicht, ist daher zutreffend und wird auch in der Beschwerde nicht bestritten.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben eines Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe unter vielen etwa das hg. Erkenntnis vom 24. November 2011, Zl. 2011/23/0465, mwN).
In Bezug auf die erwähnte Interessenabwägung wird in der Beschwerde vorgebracht, der Beschwerdeführer werde von seinen in Österreich lebenden Nichten "in Form von Unterhaltszahlungen" finanziell unterstützt, sodass er von diesen Verwandten finanziell abhängig sei. Entgegen der Meinung der belangten Behörde werde daher durch die Ausweisung auch in das Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen, weil die Intensität der familiären Bindungen nicht nur aufgrund des Zusammenlebens zu beurteilen sei.
Es kann dahin stehen, ob die Beziehungen des Beschwerdeführers zu den in Österreich lebenden Verwandten als "Familienleben" iSd Art. 8 EMRK zu qualifizieren ist oder nicht. Dass der Beschwerdeführer von seinen Nichten finanziell unterstützt wird, hat die belangte Behörde ohnehin festgestellt, dass er deshalb von ihnen "abhängig" sei, hat er in dieser Form im Verwaltungsverfahren allerdings nicht behauptet. Die Annahme einer solchen Abhängigkeit war aber auch nicht indiziert, weil der Beschwerdeführer - unbestritten - (daneben) Leistungen aus der Grundversorgung und Unterstützungszahlungen durch die Caritas erhalten hat. Es begründet daher entgegen der Auffassung in der Beschwerde die Unterlassung der Einvernahme der genannten Verwandten zur Frage, "ob und inwieweit meine Nichten und Neffen mir Unterhalt geleistet haben oder nicht", keinen Verfahrensmangel, weil auch in der Beschwerde eine diesbezügliche Präzisierung nicht vorgenommen wird. Es ist aber unbestritten, dass der Beschwerdeführer mit den erwähnten Seitenverwandten nicht zusammenlebt und sich alle im Erwachsenenalter befinden. Im Ergebnis ist es daher auch bei Unterstellung des im Verwaltungsverfahren behaupteten "intensiven" bzw. "engen" Kontakts nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde diesen Beziehungen kein entscheidungswesentliches Gewicht zugebilligt hat, zumal die angesprochenen Unterhaltszahlungen auch dann an den Beschwerdeführer geleistet werden können, wenn er sich im Ausland befindet.
In den weiteren Ausführungen verweist der Beschwerdeführer auf die Dauer seines Aufenthalts in Österreich (bis zur Bescheiderlassung) von mehr als neun Jahren und seine durch Zertifikate nachgewiesenen Deutschkenntnisse. Weiters führt der Beschwerdeführer seine Unbescholtenheit, die (erfolglos gebliebenen) Bemühungen zur Erlangung einer Arbeitsstelle und die vorgelegte Einstellungszusage ins Treffen. Der Vorwurf der belangten Behörde, dass er wirtschaftlich nicht integriert sei, wäre in Anbetracht der sehr eingeschränkten Beschäftigungsmöglichkeiten für Asylwerber "illegitim".
Dem ist zunächst zu entgegnen, dass die belangte Behörde die genannten Umstände im Wesentlichen im Rahmen der Interessenabwägung und bei ihrer Ermessensübung ohnehin berücksichtigt hat. Entgegen der erkennbaren Meinung in der Beschwerde liegt daher diesbezüglich - auch wenn die Überlegungen der belangten Behörde übersichtlicher dargestellt und entbehrliche Wiederholungen vermieden hätten werden können - kein relevanter Begründungsmangel vor. Dass die belangte Behörde bei der Interessenabwägung trotz der Unbescholtenheit, der Deutschkenntnisse und der in Österreich bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen des Beschwerdeführers zu dem Ergebnis gelangte, seine Ausweisung sei zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dringend geboten, ist oben auch nicht zu beanstanden.
Die belangte Behörde hat nämlich zu Recht im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf abgestellt, dass die bloße Aufenthaltsdauer nicht allein maßgeblich, sondern anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen ist, inwieweit ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit dazu genutzt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2009/21/0307). Es geht daher nicht darum, ob dem Beschwerdeführer ein "Vorwurf" im Hinblick auf eine unterlassene Integration zu machen ist, sondern darum, ob sie ihm objektiv gelungen ist oder nicht. Da der Beschwerdeführer in Österreich unbestritten bisher keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist, durfte die belangte Behörde somit zu Recht vom Fehlen einer maßgeblichen beruflichen Integration ausgehen und einbeziehen, dass der Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage gewesen sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Daran kann auch die nunmehr vorgelegte Einstellungszusage nichts mehr ändern.
Außerdem trifft es im Sinn der behördlichen Ausführungen zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa das schon genannte Erkenntnis vom 24. November 2011, Zl. 2011/23/0465). Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach negativem Abschluss ihres Asylverfahrens in Österreich unrechtmäßig verbleiben, was nach dem eben Ausgeführten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt.
Demgegenüber erreichen die vom Beschwerdeführer angesprochenen Gesichtspunkte aber nicht ein derartiges Gewicht, dass der Verstoß gegen die Fremdenrechtsordnung im Hinblick auf seine persönlichen Interessen akzeptiert werden müsste. Zunächst ist in diesem Zusammenhang - wie auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aufzeigt - darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer auf Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Das gilt insbesondere für den Zeitraum ab der erstinstanzlicher Abweisung seines Asylantrages bereits im Februar 2001, somit nicht einmal zwei Monate nach seiner Einreise, was das Gewicht der seither erlangten Integration entscheidend relativiert (siehe dazu des Näheren mit weiteren Judikaturnachweisen zuletzt das Erkenntnis vom 20. März 2012, Zlen. 2010/21/0471 bis 0475, mwH). Im vorliegenden Fall halten sich im Übrigen keine Angehörigen der sogenannten "Kernfamilie" in Österreich auf, sondern seine 1988 und 1994 geborenen Kinder befinden sich in der Türkei, mag sich der Kontakt mit ihnen auch auf Telefonate aus besonderen Anlässen beschränken. Insgesamt liegen daher keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer - jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - ein direkt aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zugestanden werden müsste.
Zusammenfassend vermag der Beschwerdeführer somit die Richtigkeit der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung nicht erfolgreich in Frage zu stellen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Kostenzuspruch gründet sich - im Rahmen des ausdrücklich gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 19. April 2012
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