AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W272.2208128.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 11.09.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.10.2019 und 25.05.2022, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge BF) reiste spätestens am 18.09.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er bei der polizeilichen Erstbefragung am 19.09.2015 zu seinen Fluchtgründen an, dass er zuletzt im Jahr 2014 mit seiner Familie von Russland zurück nach Tschetschenien gezogen sei. Er habe damals seine Verwandten nicht gekannt. Im Mai 2015 habe sein Cousin eine Auseinandersetzung mit den Leuten von Kadyrov gehabt. Dabei habe sein Cousin einen Mann mit dem Messer verletzt. Seitdem sei dieser auf der Flucht. Im Juni habe ihn sein Cousin aufgesucht und habe Nahrung und Medikamente von ihm gewollt. Dies habe bis zum 25.08.2015 gedauert. Um 04.00 sei seine Familie von den Leuten von Kadyrov aufgesucht und zusammengeschlagen worden, da sie nach dem BF gesucht haben. Seine Schwester habe ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass er nicht nachhause kommen dürfe. Er habe sich bis zum 15.09.2015 bei seinem Freund versteckt, bis dahin habe sein Vater die Flucht organisiert. Danach habe er seine Heimat verlassen. Er fürchte um sein Leben und seine Gesundheit, wenn er zurückkehren müsse. Er sei in Jakutsk in die Schule gegangen und habe als Bauarbeiter gearbeitet. Er spreche Russisch und Tschetschenisch. Seine Eltern seine Schwester und sein Bruder seien in der Heimat.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nahm den BF am 23.02.2018 niederschriftlich ein. Hierbei gab er zusammengefasst an, dass er nicht gesund sei, da er an einer Autoimmunerkrankung leide, er könne jedoch der Verhandlung folgen. Er sei am XXXX in XXXX geboren, russischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an und der muslimischen Religionsgemeinschaft. In Tschetschenien lebe seine Schwester, seine Eltern und der kleine Bruder seien in Jakutien. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. In Österreich habe er eine Freundin und einen großen Bekanntenkreis. In der Heimat habe er 9 Jahre die Schule besucht, zwei Jahre eine Fachschule und Mechaniker gelernt und ca. ein halbes Jahr als Automechaniker gearbeitet. Er sei kein Mitglied bei einer politischen Partei, sei aber in sozialen Netzwerken gegen das Regime von Putin und Kadyrov tätig gewesen. Er habe keine Probleme gehabt, jedoch sein Cousin und daher auch er. In Tschetschenien habe er zuletzt ca. 1 Jahr gelebt. Sein Fluchtgrund sei, dass sein Cousin viel aktiver als Oppositioneller gewesen sei. Dieser habe bei einer Auseinandersetzung im Sommer 2015 einen Mann von Kadyrov verletzt. Danach sei dieser oft zu ihm gekommen, da er Geld, Medikamente, Antibiotika und Lebensmittel gebraucht habe. Der Cousin habe sich offenbar im Wald versteckt. Er sei zwei oder dreimal gekommen. Er sei nicht alleine zu ihm gekommen, ein Auto habe vor dem Haus gewartet. Der Cousin habe im Haus gewartet, da der BF bei der Apotheke die Sachen besorgen habe müssen. Offenbar habe jemand den Cousin gesehen und dies auch weitergesagt. Die Behörden haben auch gewusst, dass der BF aktiver Aktivist in den sozialen Medien gewesen sei. In letzter Zeit seien junge Männer in Tschetschenien verschwunden. Näher geschildert gab er an, dass eines Tages, es sei der 15.08.2015 gewesen, habe er sich mit anderen Freunden getroffen und miteinander gesprochen. Er sei dann bei seinem Freund im Dorf XXXX geblieben. In dieser Nacht seien Kadyrov – Leute in das Haus gekommen und haben den Vater und Bruder geschlagen, sie haben die Familie gebeten, bekannt zu geben, wo sich der BF befinde. Sie haben viele Dokumente, darunter den Inlandspass und das Militärbuch mitgenommen, auch sein Notebook, wo er viele Informationen über Kadyrov und Putin gesammelt habe. Seine Schwester habe ihn angerufen und ihn mitgeteilt, dass er nicht mehr nach Hause kommen solle. Er habe sich versteckt und sei später ausgereist. Sein Cousin sei Waise gewesen und habe bei irgendwelchen Verwandten gelebt. Warum es zum Streit zwischen seinen Cousin und den Kadyrov-Leuten gekommen sei, wisse er nicht genau, es sei wegen einer Auseinandersetzung beim Autofahren gewesen. Er habe nichts mehr von seinem Cousin erfahren, er sei aber im sozialen Netz gewesen. Die Kadyrov-Leute in seinem Haus seien ca. 10 Personen mit Masken und langen Bart gewesen. Sie seien nur einmal da gewesen, danach nur der Dorfpolizist. Versteckt sei er bei XXXX für einen Tag und danach bei XXXX gewesen. Seine Familie sei ein Monat danach mit dem Bruder nach XXXX gezogen. Bei Rückkehr habe er Angst vom FSB überprüft zu werden, er sei nicht zur Fahndung ausgeschrieben und wisse daher nicht was passieren würde. Gepostet habe er hauptsächlich, dass junge Männer entführt worden wären und zum Thema Personenkult um Kadyrov sowie, dass man keine freie Meinung haben könne. Der Dorfpolizist sei gekommen, als seine Eltern nicht mehr dort gewesen seien, er habe nur die Schwester aufgesucht.
Der BF legte eine Stellungnahme zu seinen Posts und den Situationen in Tschetschenien vor, medizinische Befunde aus den Jahren 2015, 2016, 2017, Führerschein, Teilnahmebestätigung am Wert- und Orientierungskurs des ÖIF ausgestellt am 26.07.2017.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt I und II). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation als zulässig festgestellt. Es wurde eine Frist von 2 Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt V.). Der BF wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die vom BF angeführten Gründe für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat nicht glaubhaft seien und eine Gefährdung oder Verfolgung des BF im Herkunftsstaat verneint werde. Der BF verfüge im Herkunftsstaat über familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und finde daher Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten. Aufgrund seiner Schulbildung und Berufserfahrung sei der Lebensunterhalt gewährt und der BF werde bei Rückkehr in keine Notlage geraten. Der BF leide an einer Autoimmunerkrankung, welche jedoch in der Heimat adäquat versorgt werden könne und nicht als lebensbedrohlich eingestuft werde. In Österreich habe er eine Freundin, lebe mit ihr jedoch nicht in einer Lebensgemeinschaft und sei diese erst nach Einreise entstanden. Er habe keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich. Weitere soziale Kontakte habe man nicht feststellen könne. Es gebe keine verfestigte Integration. Die Unglaubwürdigkeit des Fluchtgrundes wurde damit begründet, dass der BF die Hilfe für seinen Cousin nur vage und ohne zusammenhängende Handlungsabläufe geschildert habe. Auch habe er keine Details bezüglich der benötigten Medikamente vorgebracht, obwohl er sie angeblich in der Apotheke besorgen habe müssen. Auch die ungefähre Angabe der Anwesenheit des Cousins mit zwei oder dreimal zeige, dass es sich um eine erfundene Geschichte handle. Weiters sei das unbehelligte Erscheinen mit einem Auto unglaubwürdig und über den Cousin seien nur vage Angaben erfolgt. Auch habe der BF einen Block mit handschriftlichen Aufzeichnungen bei der Einvernahme zur Hilfe nehmen wollen, dies zeige, dass der BF sich eine Geschichte konstruierte, denn sonst hätte er ohne Probleme, dass selbst Erlebte erzählen können. Der BF sei völlig emotionslos bei der Schilderung der Geschichte gewesen. Das Auffinden der Behörden des BF in Jakutsk sei nicht nachvollziehbar, da der BF auch nach dem Vorfall für einen Monat ungehindert bei einem Freund leben habe können. Der BF habe nicht konkretisieren können, welche Gegenstände von den Kadyrov-Leuten mitgenommen worden seien, erst auf Nachfrage, habe er auf Laptop, Reisepass und Militärbuch verwiesen. Weiters habe er selbst angegeben, dass nicht nach ihm gefahndet werde. Auch die Tätigkeit in den sozialen Netzen als Oppositioneller sei nicht glaubhaft, zumal er selbst angegeben habe nicht so aktiv gewesen zu sein. Auf Nachfragen habe er nur verallgemeinerte Angaben gegeben. So habe er keinen Blog vorweisen können. Erst nach der Einvernahme habe der BF Behauptungen vorgelegt, welche in den Medien zu finden seien. So habe er versucht sich als Aktivist zu zeigen, sei aber nicht nachvollziehbar geschildert worden. Auch habe der BF angegeben in der XXXX zuletzt gelebt zu haben, vor dem BFA jedoch im Dorf XXXX . Der Bescheid wurde am 20.09.2018 durch Hinterlegung zugestellt.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 16.10.2018 (eingebracht am 16.10.2018) durch seinen Rechtsberater als gewillkürte Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang. Diese begründete er zusammengefasst damit, dass er aufgrund seiner Tätigkeit in sozialen Medien gegen das Regime von Kadyrov und der Unterstützung seines Cousins von den tschetschenischen Behörden verfolgt werden. Diesbezüglich habe sich die Behörde nicht ausreichend mit den Vorgebrachten auseinandergesetzt, weiters bestehe eine Gefahr aufgrund des jahrelangen Aufenthaltes des BF in Österreich (Ausland) und würde bei Rückkehr mit Entführung, Folter und Ermordung zu rechnen habe, wie eine Accord-Anfrage bestätige. Die belangte Behörde habe es unterlassen seine Freundin einzuvernehmen und daher eine Verfahrensmangel begangen. Die belangte Behörde habe auch nicht berücksichtigt, dass der BF 7 -8 Tabletten pro Tag nehmen müsse und daher er kein gutes Gedächtnis habe. Der BF habe sehr wohl bekanntgeben, dass er Antibiotika besorgen habe müssen, in einer inoffiziellen Apotheke, wie es in Tschetschenien viele gebe. Weiters habe er keine genaue Schilderung der Kadyrov-Leute abgeben könne, da er nicht selbst anwesend gewesen sei. Gefühlsaudrücke seien aufgrund individueller und kultureller Unterscheidung kein Indiz des wahren Gefühls und daher der Glaubwürdigkeit nicht entgegenstehend. Auch habe der BF konkret angegeben, welche Gegenstände mitgenommen worden seien. Als Poster hatte er immer mehr Follower und war daher politisch aktiv, hier werde auf die Überwachung der tschetschenischen Behörden verwiesen, welche wie in den Berichten ablesbar, gegen Internetaktivisten vorgehen. Den Instagram Account habe er aus Angst gelöscht. Auf die Erkrankung sei die Behörde nur mangelhaft eingegangen und werde der BF in Russland nicht adäquat versorgt. Das private und familiäre Interesse am Verbleib in Österreich sei mangelhaft, insbesondere die Beziehung mit seiner Freundin, berücksichtigt worden. Es werde weiters die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Mitvorgelegt wurde eine Aufenthaltsbestätigung LK Baden vom 25.09.2018, Ambulanzkarte 07.09.2018, Arztbrief vom 01.10.2018, Aufklärung Operationsfreigabe.
5. Mit Eingabe vom 17.10.2018 wurde das gegenständliche Verfahren dem BVwG vorgelegt.
6. Mit Schreiben vom 20.02.2019 wurde der BF aufgefordert eine genaue Beschreibung seines Gesundheitszustandes sowie den angewandte Therapieplan und eine Liste der verordneten Medikamente innerhalb von drei Wochen vorzulegen. Nach Rücksprache wurde die Frist um zwei Wochen verlängert. Eine weitere Fristverlängerung bis 28.03.2019 wurde Folge gegeben.
7. Mit Eingabe vom 28.03.2019 brachte der BF eine Stellungnahme ein, mit welcher er die Dauerdiagnose und die einzunehmenden Medikamente bekanntgab. Vorgelegt wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen.
8. Mit Eingabe vom 30.09.2019 brachte XXXX vor, dass die Beziehung zu dem BF seit längerer Zeit nicht mehr laufe und sie daher auf die Verhandlung verzichten wolle. Auf Nachfrage wurde bekanntgegeben, dass sie die russische Staatsangehörigkeit habe, den Status als Asylberechtigte und von 2017 – Dezember 2018 mit dem BF in einer Beziehung gewesen sei.
9. Am 24.10.2019 fand beim Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Russische Sprache eine mündliche Verhandlung statt. Vorgelegt wurde ein elektronischer Datensatz von der Sozialversicherungsträger für die WGKK, eingebracht durch das Gericht Wikipedia – Auszug zu primär sklerosierender Cholangitis, Haarausfall, Colitis ulcerosa, Herpes Zoster, Hepatosplenomegalie, Follikulitis,
10. Mit Eingabe vom 15.11.2019 erfolgte eine Stellungnahme zur politischen Lage, medizinischen Versorgung und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation – Tschetschenien, Ambulanzkarte vom 04.11.2019, Medikationsverordnung vom 30.10.2019 und Medikationsplan.
11. Seitens des BVwG erfolgte eine Anfrage bei der Staatendokumentation zu Primär sklerosierende Cholangitis, Colitis ulcerosa, Hepatosplenomegalie und Muskellogensyndrom. Die Anfragebeantwortung vom 25.05.2020 wurde der Partei zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.
12. Mit Eingabe vom 13.07.2020 erfolgte eine Stellungnahme zu der Anfragebeantwortung vom 25.05.2020. Vorgelegt wurden medizinische Unterlagen.
13. Mit Eingabe vom 03.12.2020 wurde der Behindertenpass, ausgestellt durch das Sozialministerium als Kopie vorgelegt.
14. Mit Eingabe vom 14.12.2021 wurde die Vollmacht für die Bundesagentur für Betreungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) vorgelegt.
15. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.03.2022 wurde die gegenständliche Rechtssache neu der Gerichtsabteilung W272 zugewiesen.
16. Mit Eingabe vom 25.05.2022 legte der BF Fotos zum Militärdienst, ein ärztliches Attest vom 23.05.2022 und eine Untersuchung vom 07.07.2022 vor. Weiters wurde ein Antrag auf Zeugenbefragung von Frau XXXX beantragt.
17. Am 25.05.2022 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unter Heranziehung eines Dolmetschers für die Russische Sprache. Vorgelegt wurde ein ärztliches Attest vom 23.05.2022, Zuweisungsformular für Radiologie und die Nuklearmedizin, MR vom 02.05.2021,
18. Das BVwG führte eine Anfrage bei der Staatendokumentation zum Thema: Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis- Medikamenten und Behandlungsverfügbarkeit durch. Die Anfragebeantwortung erfolgte am 06.08.2022.
19. Mit Schreiben vom 18.08.2022 wurde dem BF Parteiengehör zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis- Medikamenten und Behandlungsverfügbarkeit gewährt.
20. Mit Eingabe vom 01.09.2022 erfolgte eine Stellungnahme des BF zu der Anfragebeantwortung. Der BF gab bekannt, dass dem BF mit der Möglichkeit der Stellungnahme nicht ausreichend Parteiengehör gewährt wurde. Weiters wurde zur Anfragebeantwortung im Wesentlichen angeführt, dass die Behandlung von ernsthaften Erkrankungen in der Russischen Föderation ein großes Problem darstellen. So seien auch die Medikamente nicht verfügbar und nur Ersatzmedikamente, welche jedoch nicht die gleichen Wirkungen aufweisen und außerdem sehr teuer und nicht immer verfügbar seien. Die Untersuchung in der Russischen Föderation sei nicht leistbar und vor allem nicht verlässlich. Der BF würde mangels nötiger Behandlung und Medikamenten einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen werden.
21. Am 10.01.2023 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unter Heranziehung eines Dolmetschers für die Russische Sprache. Vorgelegt wurde eine Anmeldung zur Sozialversicherung als Nachweis dafür, dass der BF für drei Monate als Security gearbeitet hat. Das Verhandlungsprotokoll und die Anfragebeantwortung zur Krankheit des BF wurde der belangten Behörde mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.
22. Am 12.01.2023 langte eine Kopie des russischen Führerscheines und der russischen Geburtsurkunde ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt (auch des Vorverfahrens), der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in XXXX , Russland geboren. Der BF zog mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Jakutsk. Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum islamischen Glauben. Er ist nach islamischen Ritus verheiratet und hat keine Kinder. Seine Muttersprache ist Tschetschenisch, außerdem spricht er fließend Russisch und ein wenig Deutsch.
Der BF hat 9 Jahre die Schule in Jakutsk besucht, danach 2 Jahre ein College, sowie eine Ausbildung zum Automechaniker und Schweißer. Die Ausbildung des Colleges hat er 2011 abgeschlossen. Der BF hat als Automechaniker gearbeitet. Auch der Vater und seine Mutter arbeiteten in Jakutsk und beziehen derzeit Pension.
Der BF kann vorübergehend in Jakutsk im Haus seiner Eltern eine Unterkunft beziehen.
Die Eltern leben nun in Jakutsk, die Eltern erhalten eine Pension und der Vater arbeitet teilweise. Der Bruder des BF lebt ebenfalls in Jakutsk mit der Familie und arbeitet als Bauingenieur. Die Schwester des BF lebt in Tschetschenien. Der BF hat regelmäßigen Kontakt mit seinen Eltern, den Eltern geht es gut.
Der BF wurde in Russland aufgrund verschiedener Krankheiten behandelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF falsch behandelt worden wäre.
Der BF kennt die russische Kultur und Gepflogenheiten und kann sich diesen wieder eingliedern.
Die Situation in Österreich:
Der BF leidet an Colitis ulcerosa, primär sklerosierende Cholgangitis, und nimmt 3-mal täglich Ursofalk 250 mg (Wirkstoff Ursodesoxycholsäure), 1-mal täglich Mesagran 1000mg Beutel (Wirkstoff Mesalazin), 1-mal in der Woche Oleovit D3 Tropen (Wirkstoff Colecalciferol = Vitamin D3). Die Medikamente Pantoloc 40 mg, Novalgin nimmt der BF bei Bedarf ein. Die Behandlung stellt keine unmittelbare lebensbedrohliche Krankheit dar und kann in der Russischen Föderation in Jakutsk behandelt werden. Der BF kann die notwendigen Medikamente zumindest mit dem entsprechenden Wirkstoff erhalten. Der BF wird seit Einreise in das Bundesgebiet bezüglich seiner Krankheit in Österreich behandelt.
Der BF ist kein COVID-19 Risikopatient.
Der BF ist in Österreich in Besitz eines Behindertenpasses.
Der BF hat 2 Cousinen in Österreich, zu welchen er jedoch kaum Kontakt hat. Der BF hat Kontakt zu anderen Personen.
Der BF ist sportlich aktiv und trainiert Krafttraining und geht auch laufen.
Der BF ist arbeitsfähig und –willig und ging unregelmäßig einer Beschäftigung nach. So besorgte er Gartenarbeiten, war auf einer Baustelle tätig und arbeitete als Security. Der BF ist derzeit nicht beschäftigt. Der BF arbeitete in Österreich ohne entsprechende arbeitsrechtliche Genehmigung.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF war in Österreich mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit 13.11.2021 nach islamischer Tradition verheiratet und ist nunmehr geschieden und lebt alleine in einem Haushalt.
Der BF erhält keine sozialen Leistungen und finanziert sein Leben durch illegale Arbeit, teilweise legale Arbeit und Gelegenheitsjobs.
Der BF kennt die österreichische Kultur, er hat kaum Kontakt zu anderen Österreichern.
Am 18.09.2015 stellte der BF seinen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 11.09.2018 (zugestellt durch Hinterlegung am 20.09.2018) den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab (Spruchpunkt I. und II.). Es erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den BF und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III. bis V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 16.10.2018 (eingebracht am 16.10.2018) durch seinen Rechtsberater als gewillkürte Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
1.2.1. Das Fluchtvorbringen des BF ist nicht glaubhaft. Er ist keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung wegen der von ihn angegebenen Unterstützung seines Cousins oder wegen einer oppositionellen Tätigkeit in den sozialen Netzen ausgesetzt.
Der BF war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch oder journalistisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland. Der BF hat die Russische Föderation weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.
Es wird festgestellt, dass der BF in der Russischen Föderation aus Gründen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seinen politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner konkreten Gefährdung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr ausgesetzt sein wird.
Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass er konkret Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Weiters wird festgestellt, dass dem BF aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa bzw. Österreich aufgehalten hat bzw. einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, deshalb in der Russischen Föderation keiner Verfolgung ausgesetzt sein wird.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat:
Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch russische Behörden oder durch andere Personen.
Es wird festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in keine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Eltern des BF könnten ihn in der Russischen Föderation nach einer Rückkehr im Bedarfsfall anfänglich unterstützen. Zudem könnte der BF auch ohne familiäre Unterstützung sich in der Russischen Föderation erhalten.
Es ist dem BF möglich und zumutbar andere Städten in der Russischen Föderation außerhalb seiner Heimatortschaft wie Moskau oder andere große Städte als innerstaatliche Fluchtalternative wahrzunehmen. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise und vorhandener Coronapandemie bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige.
Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es ist den Beschwerdeführern möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten in seinem Herkunftsland Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Die gesundheitlichen Einschränkungen können in der Russischen Föderation behandelt werden und er ist in der Lage die notwendigen Medikamente zu besorgen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der BF durch eine Erkrankung an das COVID-19 Virus eine höhere Gefahr der Erkrankung hat oder er eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden würde. In Jakutsk sind ausreichende medizinische Einrichtungen gegeben, die im Falle eines Bedarfs an medizinischer Hilfe, die notwendige Versorgung gewährleiste und ihm den Zugang zu dieser ermöglichen, der BF hat auch Zugriff an die notwendigen Medikamente hat.
Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.
Der BF läuft auch nicht Gefahr im Falle der Rückkehr zwangsweise im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden. Der BF ist derzeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht von einer Einberufung zum Reservedienst in der Russischen Föderation betroffen. Der BF ist nicht von der Teilmobilmachung in der Russischen Föderation betroffen.
Der BF kann nach Jakutsk oder auch an einen anderen Ort in der Russischen Föderation innerhalb und außerhalb Tschetscheniens zB nach Moskau, zurückkehren.
Der BF könnte im Falle seiner Rückkehr wieder im Familienhaus in Jakutsk leben und sich danach selbst versorgen.
Der BF ist im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation weder in seinem Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
In Tschetschenien lebt seine Schwester, wodurch er auch dort über ein familiäres Netzwerk verfügt und diese insbesondere am Anfang unterstützen kann.
Der BF ist mit den russischen und tschetschenischen Gepflogenheiten vertraut und wurde mit diesen sozialisiert und kann sich in diese schnellstens einfügen.
Der BF leidet an keinen schweren physischen oder psychisch akut lebensbedrohlichen Erkrankungen, welche nicht im Herkunftsstaat nicht behandelbar wären. Auch vor dem Hintergrund der weltweiten Corona-Pandemie ist der BF nicht außergewöhnlich gefährdet und gehört keiner Covid- 19 Risikogruppe an:
Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war nie geduldet. Er war weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch sonst Opfer von Gewalt.
1.4. Die allgemeine Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Übrigen wie folgt dar:
Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation, Version 10 vom 09.11.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Russische Föderation vom 14.04.2022 (Ukraine-Krieg: Sozialleistungen für Staatsangehörige und Situation von Rückkehrern aus dem Ausland, Militärische Rekrutierung für die Ukraine), Accordanfragebeantwortung vom 16.05.2022 zur Wehrpflicht und Mobilmachung (ecoi.net 2071763) sowie der Anfragebeantwortung vom 06.08.2022 zur Russische Föderation: Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis, Medikamenten- und Behandlungsverfügbarkeit, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20.12.2022 und vom 13.12.2022 zu Russische Föderation/ Tschetschenien, Teilmobilmachung, Wehrersatzdienst, Repressalien sowie EUUAA Bericht vom Dezember 2002 zu Russian Federation – Military Service ausgegangen:
Ukraine-Krieg (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.04.2022)
1. Welche Informationen gibt es bezüglich der Heranziehung zum Wehrdienst/Wehrpflicht, seit dem Kriegseinsatz gegen die Ukraine?2. Werden - aufgrund der Verluste der russischen Armee in der Ukraine - Wehrpflichtige zwangsweise im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt bzw. gedrängt, sich freiwillig zu mel-den?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch, Englisch und Russisch wenige Informationen gefunden. Aufgrund der informationsspezifischen Art der Fragestellungen wurden diese nach zeitlich begrenzter Eigenrecherche an eine externe Stelle zur Recherche übermittelt. Aktuelle Informationen zu den Fragestellungen finden sich auch auf dem Koordinationsboard in der AFB RUSS_SM_MIL_Desertion_2022_03_29_KE. Diese AFB ist der Anfragebeantwortung beigelegt.
Als allgemein bekannt vorausgesetzte Quellen werden i.d.R. nicht näher beschrieben. Als weniger bekannt erkannte Quellen werden im Abschnitt „Einzelquellen“ näher beschrieben.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Russland im Krieg in der Ukraine Berufssoldaten einsetzt. Russland rekrutiert für den Krieg in der Ukraine außerdem syrische Kämpfer, Tschetschenen und russische Söldner. In etwa 1.000 Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner-Gruppe befinden sich auf Kampfeinsatz im Osten der Ukraine (in der Region Donbas). Die USA besitzen Hinweise, dass Russland mit der Mobilisierung einiger Reservisten begonnen hat.
Laut den nachfolgenden Quellen ist es vorgekommen, dass auch Grundwehrdiener in die Ukraine zum Kämpfen entsandt waren. Offenbar wurden diese wieder in die Russische Föderation zurückgeführt. Für das Frühjahr 2022 ordnete Putin im Rahmen der jährlichen Stellung die Einberufung von 134.500 Grundwehrdienern an. Gemäß dem Verteidigungsministerium steht diese Einberufung in keinem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.
Bislang hat Russland nicht das Kriegsrecht ausgerufen oder eine Generalmobilmachung verkündet, was eine Massenmobilisierung und die Einberufung von Reservisten vereinfachen würde.
Einzelquellen:
Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes:
Medienberichten zufolge kommen im Krieg in der Ukraine auf russischer Seite Berufssoldaten zum Einsatz. Es gab aber Vorfälle, in denen auch Grundwehrdiener zum Kampfeinsatz hinzugezogen wurden […].
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (7.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:
[…] EXKURS „Einsatz von Rekruten in der „Spezialoperation“ des russischen Militärs in der Ukraine: De facto wurden Rekruten, welche zu „Übungen“ einberufen wurden, auch in der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine – entgegen der [...] gesetzlichen Bestimmung - eingesetzt. Die russische Militärstaatsanwaltschaft ermittelt derzeit, weswegen es zu diesem Einsatz von Rekruten in Kampfeshandlungen kommen konnte. Auch in den staatlich kontrollierten Medien finden sich Hinweise zu diesem Kampfeseinsatz von Pflichtwehrdienern.
Die Beiträge haben folgenden Wortlaut:„Und aus dem, was der offizielle Vertreter des Verteidigungsministeriums Igor Konaschenkow auf dem heutigen Briefing gesagt hat: Leider wurden einige Fakten der Anwesenheit Wehrdienstleistender in den Reihen der russischen Streitkräfte, die an der Spezialoperation auf dem Territorium der Ukraine teilnehmen, entdeckt. Praktisch alle diese Wehrdienstleistenden wurden schon auf das Territorium der RF zurückgeführt. Dennoch wurde auf eine dieser Unterabteilungen, die Aufgaben im Hinterland erfüllten, von einer Diversionsgruppe des Nationalistenbataillons ein Angriff verübt. Eine Reihe von Militärangehörigen, darunter auch Wehrdienstleistende, wurden gefangen genommen. Derzeit werden umfassende Maßnahmen zur Verhinderung der Entsendung Wehrdienstleistender in Gebiete mit Kampfhandlungen und zur Befreiung der gefangenen Militärangehörigen ergriffen.“
Der Pressesprecher des Präsidenten Dmitrii Peskow ergänzte dazu: „Vor Beginn der Spezialoperation wurde auf Befehl des Präsidenten der RF, des Oberkommandierenden Vladimir Putin allen Kommandierenden von Unterabteilungen mitgeteilt: Die Heranziehung von Wehrdienstleistenden für die Erfüllung jeglicher Aufgaben in der Ukraine auszusch[l]ießen. Dem Präsidenten wurde die Erfüllung dieses Befehls gemeldet. Im Zusammenhang mit dem Faktum der Anwesenheit einer Reihe von Wehrdienstleistenden in den Teilen der Streitkräfte, die an der Durchführung der Spezialoperation in der Ukraine teilnehmen, wurde der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft auf Befehl des Präsidenten Material zugesandt, für die Prüfung und rechtliche Bewertung und Bestrafung der Amtsträger, die für die Nichterfüllung dieses Befehls verantwortlich sind.“
Der Tenor lautet also, dass es – entgegen den Befehlen des Präsidenten - zwar Wehrdienstleistende in die Ukraine gab, diese aber bereits wieder in die RF zurückgeführt wurden. Darüber hinaus hätten diese nur Aufgaben im Hinterland und nicht an der Front erfüllt. Die Militärstaatsanwaltschaft ermittle in dieser Sache bereits, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. [...]
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
Die internationale Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass der russische Präsident Putin im März 2022 im Rahmen der jährlichen Frühjahrsstellung die Einberufung von 134.500 Grundwehrdienern anordnete. Die Frühjahrsstellung dauert von 1. April bis 15. Juli und richtet sich an russische Männer im Alter von 18-27 Jahren. Gemäß dem Verteidigungsministerium steht die aktuelle Einberufung in keinem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.
President Vladimir Putin on Thursday [March 2022] signed a decree ordering 134,500 new conscripts into the army as part of Russia's annual spring draft, but the defence ministry said the call-up had nothing to do with the war in Ukraine. […] The annual spring military draft, which runs from April 1 to July 15, will affect Russian men between the ages of 18 and 27, Putin's decree said.
Reuters (31.3.2022): Russia drafts 134,500 conscripts but says they won't go to Ukraine, https://www.reuters.com/world/europe/russia-drafts-134500-conscripts-says-they-wont-go-ukraine-2022-03-31/ , Zugriff 14.4.2022Die österreichische Tageszeitung Der Standard berichtet im März 2022 Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:
Moskau rekrutiert syrische Söldner […] Syrische Milizionäre werden für den Krieg in der Ukraine auf der Seite Russlands rekrutiert[.] […] Laut Quellen in Syrien haben sich schon tausende Freiwillige gemeldet, wobei es sich jedoch mit Sicherheit um bezahlte Söldner handelt. Es soll bereits mehrere Rekrutierungszentren in größeren Städten geben. Auf Facebook wurde ganz konkret um Angehörige der 4. Division geworben – der größten und bestausgerüsteten der syrischen Armee. 3000 US-Dollar wurden abhängig von Qualifikation und Expertise in Aussicht gestellt, allerdings ohne nähere Angaben, für welchen Zeitraum diese Bezahlung gilt. […] Auch von der russischen Sicherheitsfirma Wagner-Gruppe, die fast überall ist, wo sich Russland engagiert, ist immer wieder die Rede, einige Hundert Kämpfer sollen bereits in der Ukraine im Einsatz sein. Die BBC zitiert ein ehemaliges Mitglied der Gruppe, das berichtet, dass sie via Telegram angeworben werden. Um Rebranding bemüht, sollen sie sich jetzt "Die Falken" nennen und unter der Leitung von Offizieren des russischen Militärgeheimdienstes stehen.
Standard.at (14.3.2022): Krieg in der Ukraine: Moskau rekrutiert syrische Söldner, https://www.derstandard.at/story/2000134067686/moskau-rekrutiert-syrische-soeldner , Zugriff 14.4.2022
Die US-Tageszeitung Washington Post berichtet im April 2022, dass sich in etwa 1.000 Söldner der Wagner-Gruppe im Osten der Ukraine (in der Region Donbas) befinden. Die genaue Anzahl der Wagner-Söldner in der Ukraine ist unbekannt.
In Russia’s ongoing invasion of Ukraine, about 1,000 Wagner mercenaries are concentrated in the country’s east, where Pentagon officials say Russia has refocused its war effort after failing to capture the capital, Kyiv. […] Pentagon press secretary John Kirby told reporters in March that the firm has about 1,000 fighters in the Donbas region of eastern Ukraine. […] Exactly how many Wagner mercenaries are in Ukraine and where they are coming from remain unknown.
WP – Washington Post (9.4.2022): What is the Wagner Group, the Russian mercenary entity in Ukraine?, https://www.washingtonpost.com/world/2022/04/09/wagner-group-russia-uraine-mercenaries/ , Zugriff 14.4.2022
Die US-Tageszeitung New York Times berichtet im April 2022, dass Russland Probleme hat, zusätzliche Truppen zu rekrutieren. Auch deshalb hat Russland syrische Kämpfer, Tschetschenen und russische Söldner ermuntert, die russischen Truppen zu verstärken.
Russia’s problems finding additional troops are in large measure why it has invited Syrian fighters, Chechens and Russian mercenaries to serve as reinforcements. […] Russian mercenaries with combat experience in Syria and Libya are gearing up to assume an increasingly active role in a phase of the war that Moscow now says is its top priority: fighting in the country’s east.
NYT – New York Times (6.4.2022): Russia Is Recruiting Mercenaries and Syrians to Ukraine, Western Officials Say, https://www.nytimes.com/2022/04/06/us/politics/russia-military-ukraine-war.html ,
Zugriff 14.4.2022
Der internationale Nachrichtenkanal Euronews berichtet im April, dass die USA Hinweise besitzen, dass Russland mit der Mobilisierung einiger Reservisten begonnen hat.
The United States has indications that Russia has started mobilizing some reservists and could be looking to recruit more than 60,000 personnel, a senior U.S. defense official said on Friday.
Euronews (9.4.2022): Russia could be looking to recruit more than 60,000 reservists - U.S. official, https://www.euronews.com/2022/04/09/uk-ukraine-crisis-usa-russia-military , Zugriff 14.4.2022
Gemäß der Asylagentur der Europäischen Union hat Russland bislang nicht das Kriegsrecht ausgerufen oder eine Generalmobilmachung verkündet. Dadurch würde für Russland die Einberufung von Reservisten vereinfacht, und Russland könnte Männer mittels Massenmobilisierung zur Kampfteilnahme zwingen.
[…] Russia has so far not declared martial law or made a call for general mobilisation of forces, as reporting available for this query up to 3 April 2022. Such a declaration would enable Russia to call upon reserve forces more easily and force Russian men to fight through mass mobilisation and conscription, which has reportedly sparked fears among Russians fearing conscription due to mobilisation. [...]
EUAA – European Union Agency for Asylum [EU] (7.4.2022): COI Query Response: Russian Federation: Treatment of military deserters by state authorities since the February 2022 invasion of Ukraine (1 February 2022 – 4 April 2022), https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_04_Q24_EUAA_COI_Query_Response_Russia_Treatment_of_military_deserters_by_state_authorities.pdf , Zugriff 14.4.2022
Sozialleistungen für Staatsangehörige (Haben sich seit dem Kriegseinsatz der Russischen Föderation in der Ukraine die Sozialleistungen für Staatsangehörige der Russischen Föderation geändert? Wenn ja, wie?)
Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass für das Budget 2022 eine Verminderung der Ausgaben in den Bereichen Sozialleistungen und Gesundheitswesen vorgesehen ist. Dies bedeutet gegenüber 2021 ein Minus von RUB 117 Mrd. [ca. EUR 1,3 Mrd.] bzw. RUB 371 Mrd. [ca. EUR 4,1 Mrd.]. Hinweise auf eine weitere allgemeine Einschränkung von Sozialleistungen für russische Staatsangehörige seit Beginn des Ukraine-Kriegs konnten nicht gefunden werden. Ab 1.5.2022 sind neue monatliche Unterstützungszahlungen für 8-17-jährige Kinder bedürftiger Familien geplant.
Die nachfolgende Quelle berichtet außerdem, dass Veteranen von Kampfhandlungen, Veteranen des Militärdienstes sowie Veteranen der Arbeit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben. Hierzu zählen auch Veteranen, die seit 24.2.2022 in der Ukraine kämpfen. Veteranen haben Anspruch auf u.a. Pensionsleistungen; monatliche Geldleistungen; kostenfreien Wohnraum und kommunale Dienstleistungen; medizinische und prothetisch-orthopädische Hilfe.
Einzelquelle:
Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation]:
Das im Dezember 2021 von Präsident Putin unterschriebene Gesetz über das föderale Budget für die Jahre 2022 bis 2024 (Путин утвердил бюджет с сокращением расходов на здравоохранение и социальную поддержку | Капитал страны (kapital-rus.ru) sieht zwar für 2022 eine Reduktion der veranschlagten Ausgaben für das Gesundheitswesen um 117 Mrd. RUB und für Sozialleistungen um 371 Mrd. RUB gegenüber 2021 vor, Hinweise auf eine weitere allgemeine Einschränkung von Sozialleistungen für russische Staatsangehörige seit Beginn des Ukraine-Kriegs konnten nicht gefunden werden.
Mit dem Erlass N 175 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 01.04.2022 (Указ Президента РФ от 31.03.2022 N 175 "О ежемесячной денежной выплате семьям, имеющим детей" / КонсультантПлюс (consultant.ru) wurden hingegen ab 01.05.2022 neue monatliche Unterstützungszahlungen für Kinder bedürftiger Familien im Alter von 8 bis 17 Jahren eingeführt.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (7.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
Die Österreichische Botschaft berichtet, dass Veteranen von Kampfhandlungen, Veteranen des Mlitärdienstes sowie Veteranen der Arbeit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben. Hierzu zählen auch Veteranen, die seit 24.2.2022 in der Ukraine kämpfen. Veteranen haben Anspruch auf u.a. Pensionsleistungen; monatliche Geldleistungen; kostenfreien Wohnraum und kommunale Dienstleistungen; medizinische und prothetisch-orthopädische Hilfe. [Hervorhebungen durch die Staatendokumentation].
In der Russischen Föderation gibt es das föderale Gesetz N 5-FZ "Über die Veteranen" vom 12.01.1995 idFv 26.03.2022 (sh. http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_5490/da29ae43e329f024a568d1e2ffb47123921c858d/ ). Art. 1 dieses Gesetzes legt fest, welche Kategorien von Veteranen es in der Russischen Föderation gibt, nämlich Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, Veteranen von Kampfhandlungen auf dem Territorium der UdSSR, auf dem Territorium der Russischen Föderation und auf den Territorien anderer Staaten (im Folgenden: Veteranen von Kampfhandlungen), Veteranen des Militärdienstes und Veteranen der Arbeit.
Gem. Art. 3 Abs 1 leg cit zählen zu den Veteranen von Kampfhandlungen:
1.) Angehörige der Streitkräfte, darunter Angehörige der Reserve, Wehrpflichtige, die zu Manövern einberufen wurden, Personen der Mannschafts- und Kommandeursdienstgrade der Organe des Innenministeriums, der Truppen der Nationalgarde, der Organe des Staatsschutzes, Angestellte der genannten Organe, Angestellte des Verteidigungsministeriums der UdSSR und der Russischen Föderation, Mitarbeiter von Einrichtungen und Organen des Strafvollzugssystems, von Organen der Zwangsvollstreckung der Russischen Föderation, die von Organen der Staatsgewalt der UdSSR oder der Russischen Föderation in andere Staaten entsandt wurden und bei der Erfüllung von Dienstpflichten in diesen Staaten an Kampfhandlungen teilgenommen haben, ebenso welche gemäß den Entscheidungen der Organe der Staatsgewalt der Russischen Föderation an Kampfhandlungen auf dem Territorium der Russischen Föderation teilgenommen haben.
Gem. Art. 3 Abs 3 leg cit wird die Liste von Staaten, Städten, Territorien und Zeiträumen der Führung von Kampfhandlungen mit der Teilnahme von Staatsangehörigen der Russischen Föderation als Anlage zu diesem föderalen Gesetz geführt. Änderungen in dieser genannten Liste erfolgen durch föderales Gesetz.
Mit dem föderalen Gesetz N 69-FZ vom 26.03.2022 wurde der Abschnitt III der Anlage (Kampfhandlungen russischer Staatsangehöriger im Ausland) um den Punkt "Erfüllung von Aufgaben im Zuge der militärischen Spezialoperation auf den Territorien der Ukraine, der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk: seit dem 24. Februar 2022" ergänzt. Somit gelten Personen gem. Art. 3 Abs. 1 Z 1 des föderalen Gesetzes über Veteranen, die seit dem 24. Februar 2022 in der Ukraine oder den Volksrepubliken Donezk oder Lugansk kämpfen, als Veteranen mit Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen.
Gem. Art. 13 Abs 1 leg cit umfasst die soziale Unterstützung von Veteranen eine Reihe von Maßnahmen, einschließlich:
1) der Pensionsleistungen, der Auszahlung von Zuwendungen in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Russischen Föderation;
2) des Erhalts monatlicher Geldleistungen;
3) der Gewährung von Wohnraum;
4) des Ersatzes von Aufwendungen zur Zahlung von Wohnraum und kommunalen Dienstleistungen;
5) der Gewährung medizinischer Hilfe und prothetisch-orthopädischer Hilfe.
Die konkrete Ausgestaltung dieser Hilfe für Veteranen von Kampfhandlungen ist im Art. 16 leg cit geregelt.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
Situation von Rückkehrern aus dem Ausland (Gibt es Repressalien für Rückkehrer aus dem Ausland, welche schon lange im Ausland lebten, z.B. als Folge der europäischen (wirtschaftlichen) Sanktionen gegen die Russische Föderation?)
Zusammenfassung:
Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass nationale Gesetze keine Einschränkungen für Rückkehrer mit russischer Staatsbürgerschaft vorsehen. In der Praxis finden – rechtlich nicht gedeckte – Befragungen ein- und ausreisender Russen sowie Vertreter „unfreundlicher“ Staaten durch Grenzkontrollorgane statt. Es ist unklar, wie die dadurch gewonnenen Informationen von russischen Behörden weiter verwertet werden.
Einzelquelle:
Die Österreichische Botschaft berichtet Folgendes:
Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen in der Russischen Föderation, welche Einschränkungen für Rückkehrerinnen/Rückkehrer mit russischer Staatsangehörigkeit aus dem Ausland vorsehen. De facto kommt es beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen aber zu Befragungen Ein- und Ausreisender (Russinnen/Russen, aber auch Vertreter/innen sog. „unfreundlicher Staaten“ – darunter auch: Republik Österreich) durch Grenzkontrollorgane. Da i.d.R. diesen Befragungen kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zugrunde liegt, erfolgen diese ohne entsprechende Rechtsgrundlage. Über die Verwendung der im Zuge der Befragung gewonnener Daten durch die russischen Behörden kann nur gemutmaßt werden, dass derartige Informationen zu repressiven Handlungen gegen russische Bürgerinnen/Bürger verwendet werden.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ACCORDANFRAGBEANTWORTUNG vom 16.05.2022
Allgemeine Informationen zur russischen Armee und zur Wehrpflicht, Generalmobilmachung, Einberufung von Reservisten
„Auch in diesem Frühjahr beruft Russland 134.500 Männer im Alter von 18 bis 27 Jahren zum Wehrdienst ein – das hat aber laut Angaben aus Moskau nichts mit dem Krieg zu tun. Präsident Wladimir Putin unterzeichnete zu der Einberufung einen Erlass, wie mehrere russische Nachrichtenagenturen berichteten. Die zwölfmonatige Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 27 Jahren ist in Russland gesetzlich festgelegt. Zweimal im Jahr gibt es dafür Einberufungsbefehle. Der Einberufungszeitraum dauert bis Mitte Juli. Dieses Frühjahr werden laut Kreml etwas weniger Männer einberufen als im Frühjahr 2021. Damals waren 134.650 Wehrpflichtige eingezogen worden – 150 mehr als jetzt geplant. Gleichzeitig endet für andere Russen der einjährige Wehrdienst. Eine Zahl, wie viele Wehrpflichtige ausscheiden und in die Reserve geschickt werden, wurde nicht genannt.“ (Der Spiegel, 31. März 2022, https://www.spiegel.de/ausland/russland-beruft-134-500-wehrpflichtige-ein-a-55c10dfe-8846-4d77-a674-8ccb79108f82 ; Diese Informationen finden sich auch in dem folgenden russischen Artikel: Meduza: Путин подписал указ о весеннем призыве в армию [Putin unterzeichnete den Erlass über die Einberufung im Frühling], 31. März 2022 https://meduza.io/news/2022/03/31/putin-podpisal-ukaz-o-vesennem-prizyve-v-armiyu ).
Einsatz von Wehrpflichtigen in der Ukraine
„Viele russische Soldaten wurden noch vor Abschluss der einjährigen Grundausbildung gezwungen, einen Vertrag als Zeitsoldat zu unterschreiben. Statt an der Militärübung teilzunehmen, müssen sie nun im Krieg kämpfen. Viele Mütter haben seit Tagen nichts mehr von ihren Kindern gehört. Es sind vier ganz einfache Worte, die von der Angst zu sterben und der Verzweiflung des Kriegs erzählen: ‚Mama, ich liebe dich.‘ Das waren die letzten Worte, die der russische Soldat Pawel seiner Mutter am Telefon zuflüsterte. Im Hintergrund ist das Donnern von Flugzeugen zu hören, zwischendurch hallen Schüsse. Wie es ihm geht und wo er sich befindet, wisse sie nicht, erzählt sie gegenüber der letzten unabhängigen Zeitung Russlands, der ‚Nowaja Gaseta‘.
Die Zeitung hat mit mehreren Müttern gesprochen, deren Jungen an die Front geschickt wurden. Auffällig ist, dass es vor allem junge Wehrpflichtige trifft, die gerade erst ihre Grundausbildung absolviert haben, unerfahren und schlecht ausgebildet sind und nun an der Front verheizt werden. So wie der 23-jährige Pawel, der eigentlich Lehrer für Englisch und Französisch werden wollte. Nach der Grundausbildung wurde er bereits nach nicht einmal einem Jahr dazu gezwungen, einen Zweijahresvertrag beim Militär zu unterschreiben. ‚Wer nicht unterschreiben wollte, musste tagelang schwere Munitionskisten schleppen – so lange, bis sie am Ende den Vertrag unterschrieben‘, sagte seine Mutter. Den versprochenen Sold habe ihr Sohn nie erhalten, nur eine Zulage von 27.000 Rubel (umgerechnet circa 215 Euro). ‚Mein Sohn wurde betrogen‘, wiederholt sie immer wieder verzweifelt.
Diese Masche des Kremls hat offenbar System: Immer mehr Mütter von jungen russischen Soldaten melden sich beim Moskauer ‚Komitee der Soldatenmütter‘, weil sie seit Tagen nichts mehr von ihrem Sohn gehört haben. Die Menschenrechtsorganisation hat sich zur Aufgabe gemacht, Missständen in der russischen Armee auf den Grund zu gehen. Viele Mütter berichten, dass auch ihre Söhne gezwungen wurden, einen Vertrag zu unterschreiben. So viele, dass das ‚Komitee der Soldatenmütter‘ inzwischen eine eigene Beratungshotline geschaltet hat, um Soldaten und ihren Familien nach Unterzeichnung des Vertrags zu helfen.
Die Wehrpflicht dauert in Russland eigentlich zwölf Monate. Doch schon vorher können die Rekruten ihren Dienst verlängern und einen Vertrag als Zeitsoldat unterschreiben. Laut der Menschenrechtsorganisation sollen den jungen Russen bereits ausgefüllte Verträge vorgelegt worden sein. Sie werden nicht gefragt, sondern müssen in einer Reihe antreten und nacheinander den Vertrag unterschreiben. Dieser Vertrag ist Voraussetzung dafür, dass die Soldaten bei Militäroperationen eingesetzt werden dürfen. Dass sie nicht einmal die Grundausbildung abgeschlossen haben, kümmert keinen mehr. Putin setzt sie an vorderster Front ein. Diese Berichte hält der Militärexperte Gustav Gressel für eine realistische Darstellung. Viele dieser Soldaten hätten gar nicht gewusst, dass sie in den Krieg marschieren, sagte er im RND-Interview. ‚Der Kreml hat diesen Krieg vor den Soldaten geheim gehalten.‘
Wie ahnungslos die jungen Russen die ganze Zeit waren, zeigt sich in den Telefonaten mit ihren Familien. Der 23-jährige Pawel hatte im Osten Russlands seinen Wehrdienst verrichtet, dann wurde er in einer zweiwöchigen Zugfahrt nach Belarus gebracht. Anfang Februar folgten dann gemeinsame Übungen mit dem belarussischen Militär – damals meldete sich ihr Sohn einmal am Tag ganz kurz bei ihr. Am 16. Februar wurde das Militärmanöver für beendet erklärt. ‚Das war es, Mama, wir sind fertig, wir gehen nach Hause‘, erinnerte sie sich an die Worte ihres Sohnes. Doch Pawel wurde nicht zurückgebracht, stattdessen wurde die Militärübung verlängert. Aufgeregt erzählte er seiner Mutter, dass laut britischem Geheimdienst angeblich ein Einmarsch in die Ukraine bevorstehen würde. ‚Sie lügen alle‘, beschwichtigte sie ihn noch. Doch ihr Sohn stand mit anderen Soldaten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei bis drei Kilometer vor der ukrainischen Grenze. Am Abend später das nächste Telefonat mit der Mutter: Er sei inzwischen auf ukrainischem Boden, aber man habe ihnen gesagt, sie hätten illegal die Grenze zur Ukraine überquert, hätten nichts mehr mit der russischen Armee zu tun, sie seien Deserteure. Das letzte Telefonat folgte am frühen Morgen: ‚Mama, die haben uns in Autos gesteckt, wir fahren weg, ich liebe dich. Wenn es eine Beerdigung gibt, glaub es nicht sofort.‘ Dann brach der Kontakt ab, von ihrem Sohn hat sie seitdem nichts mehr gehört.
Viele Mütter suchen verzweifelt nach ihren Kindern, wenden sich an das Verteidigungsministerium und rufen bei Hilfsorganisationen an, um den Aufenthaltsort ihrer Jungen zu erfahren. Mehrere Tausend russische Soldaten sind nach Angaben der Ukraine bereits im Krieg gestorben, Hunderte wurden gefangen genommen. Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte: ‚Wenn Ihre Lieben in den letzten Monaten zu den Übungen gegangen sind und es keine Kommunikation mit ihnen gibt, nehmen sie höchstwahrscheinlich an dem Angriff auf die Ukraine teil.‘ Das Ministerium bietet ebenfalls eine eigene Hotline an, unter der Angehörige in Russland herausfinden können, ob ihr Sohn oder Ehemann gefangen genommen wurde und wie sie eine kurze Nachricht an ihn senden können. Das Verteidigungsministerium der Ukraine hat verstörende Videos veröffentlicht, in denen russische Gefangene erzählen, sie seien eigentlich in die Militärübung geschickt worden und wollten gar nicht in der Ukraine kämpfen. Es handelt sich vor allem um junge Rekruten, kaum einer dürfte älter als 25 Jahre sein. Manche Mütter erfahren erst durch diese Videos, was mit ihren Kindern passiert ist. Mehrere Tage lang äußerte sich Russland gar nicht über verletzte und gefangene Soldaten aus den eigenen Reihen. Erst am Mittwochabend nannte das russische Verteidigungsministerium Zahlen zu verletzten und getöteten Soldaten. Demnach seien 498 russische Soldaten getötet und 1597 verwundet worden. Eine Rückführung der Leichen lehne man ab, um keine Panik zu erzeugen.
Das Komitee der Soldatenmütter wird derzeit überschwemmt von Anrufen und Zuschriften, berichtete die russische Politikerin Lyudmila Narusova dem unabhängigen TV-Sender Dozhd, der in Russland gesperrt ist. ‚Sie haben nichts zu verlieren‘, sagte sie über die Mütter, ‚sie suchen nach irgendetwas, das ihnen mehr über den Aufenthaltsort ihres Kindes verrät.‘ Einige hätten herausgefunden, dass ihr Sohn in Gefangenschaft ist, andere Kinder seien gestorben. Aber es gebe keine Möglichkeit, die Leichen nach Russland zubringen. Dabei seien die Leichen noch immer nicht begraben worden. ‚Sie werden von streunenden Hunden angenagt, einige seien nicht einmal identifiziert worden, weil sie so stark verbrannt sind.‘“ (rnd – Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Mama, ich liebe dich“: Wie Putin junge Russen an der Front verheizt, 3. März 2022, https://www.rnd.de/politik/krieg-in-der-ukraine-wie-putin-junge-russen-an-der-front-verheizt-TIOAKLTIWFB3VFZFTVPTIYPMFI.html , der im Artikel erwähnte Artikel der Nowaja Gasjeta ist nicht mehr verfügbar).
„Was wissen wir über diejenigen, die jetzt an dieser Militäroperation beteiligt sind? Handelt es sich um Vertragssoldaten oder um Wehrpflichtige? Oder sind es beides?
Es sind alle, die ihnen untergekommen sind. Allem Anschein nach könnten sogar Soldaten dabei sei, die im November, Anfang Dezember eingezogen wurden. Sie wurden sehr schnell vereidigt, fast schon innerhalb von zwei Wochen, obwohl ihre Grundausbildung mindestens einen Monat dauert, und sie wurden sehr schnell zu diesen Ausbildungsplätzen geschickt, die einen in die Nähe von Rostow, andere in die Nähe von Woronesch, wieder andere in die Nähe von Belgorod und Kursk, wo es großen Brigaden und tatsächlich diese Ausbildungsplätze gibt. Solche Soldaten sind da auch dabei. Aber dieses Vorgehen ist nicht neu. Im Jahr 1996 wurde ein Erlass herausgegeben, dass Wehrpflichtige erst nach sechs Monaten und nur im Rahmen eines Vertrages an Kampfhandlungen teilnehmen können sollten. Damals versammelten die politischen Offiziere die Wehrpflichtigen und sagten zu ihnen, genau wie auch 2014, sie sollten eine Erklärung schreiben, dass sie Vertragssoldaten werden wollten. Manche taten das, andere nicht. Aber diejenigen, die das nicht taten, wurden trotzdem zu Kampfhandlungen geschickt.“ (Sag es Gordejewa, 23. März 2022, Timecode 42.17-43.28)
„Bei der diesjährigen Einberufungskampagne ist vieles anders als sonst. Die russische Regierung will 134.500 Männer zum Militärdienst verpflichten - das Ziel liegt damit im üblichen Rahmen. Die Frage ist jedoch, was genau diesen Männern während ihrer einjährigen Wehrpflicht bevorstehen wird. Vieles deutet darauf hin, dass sie schnell in einem Kampfgebiet landen könnten und dort um ihr Leben fürchten müssten. […]
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte diese Woche, die neuen Rekruten würden nicht in Frontgebiete oder ‚Brennpunkte‘ geschickt. In großen Teilen der Bevölkerung stieß diese Aussage aber auf Skepsis. Viele erinnern sich noch an die beiden Tschetschenienkriege in den 90er und 2000er Jahren, in denen Tausende schlecht ausgebildete junge Soldaten getötet wurden. Auch Vorgänge im Vorfeld der Invasion in die Ukraine lassen viele Betroffene zweifeln. […]
Die aktuelle Einberufungskampagne läuft seit Freitag. Theoretisch müssen alle russischen Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren für ein Jahr dienen. Bisher konnten viele aber eine Einberufung vermeiden, etwa aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie wegen einer Universitätsausbildung zurückgestellt wurden. Vor allem in Moskau und anderen größeren Städten ist der Anteil derer, die keinen Militärdienst leisten, traditionell hoch. […]
In den zurückliegenden Jahren gab sich der Kreml bemüht, im Rahmen der Modernisierung der Streitkräfte den Anteil der Berufssoldaten zu erhöhen. Aktuell befinden sich unter den etwa einer Million Angehörigen der Truppe mehr als 400.000 freiwillige Vertragssoldaten. Ob die Zahl auch im Falle eines länger andauernden Krieges in der Ukraine ausreichen würde, ist jedoch fraglich. Moskau müsste sich früher oder später entscheiden: Entweder mit einer begrenzten Zahl von Soldaten weiterzukämpfen und womöglich einige der militärischen Ziele zu verfehlen, oder aber weitere Männer zum Dienst an der Waffe einzuberufen und damit einen öffentlichen Widerstand zu riskieren, der die politische Lage destabilisieren könnte. Eine solche Entwicklung gab es während der russischen Kriege in Tschetschenien.“ (ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen: Russische Wehrpflichtige in Angst vor Einsatz, 3. April 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/wehrpflicht-einberufung-sorge-ukraine-krieg-russland-100.html ).
[…]
„Wie viele russische Soldaten ihr Leben verloren haben, weiß niemand. In Russland ist es strafbar, andere Gefallenenzahlen als die offiziellen zu melden. Laut Verteidigungsministerium sind in der Ukraine 1351 russische Soldaten getötet worden. Sergej Kriwenko, Leiter der Menschenrechtsgruppe ‚Bürger. Armee. Recht‘, sagt, sein Team habe ‚ungefähr die gleiche Zahl‘ aus öffentlichen Quellen ermittelt. Doch das sei ‚die unterste Grenze‘. Er rechnet mit mehreren Tausend Toten. Es gebe viel mehr Daten über vermisste Soldaten, die müssten genau geprüft werden. ‚Es ist nicht klar, wer gefangen genommen wurde und wer tot ist‘, sagt der Aktivist, der sich seit 20 Jahren mit der Situation von Soldaten in Russland beschäftigt.
Die Nato spricht dagegen von mindestens 7000 russischen Soldaten, die in der Ukraine ums Leben gekommen seien, Kiew von weitaus mehr getöteten Armeeangehörigen. Die bekannte Menschenrechtlerin und Leiterin des Komitees russischer Soldatenmütter, Walentina Melnikowa, sagte zuletzt in einem Interview mit einer russischen Journalistin, sie halte die Angaben der Ukrainer für korrekt. Mit dem SPIEGEL will sie nicht darüber reden, ‚es ist zu gefährlich mit ausländischen Medien zu sprechen‘. Sie verweist auf die verschärfte Gesetzeslage.
Praktisch jedem drohen strafrechtliche Ermittlungen und bis zu fünf Jahre Haft, wenn er ‚gezielt‘ Informationen über das russische Militär sammelt, diese öffentlich macht – und dabei Unterstützung aus dem Ausland erhält. Der betreffende Paragraf ist so vage formuliert, dass er den Sicherheitsbehörden viel Spielraum lässt. Der Geheimdienst FSB hat klargemacht, dass er das Gesetz streng auslegt. Nicht nur Angaben zum Zustand der Truppe, sondern auch zur Stimmung der Soldaten fallen unter das Gesetz.
Kriwenkos Organisation wurde bereits zum ‚ausländischen Agenten‘ erklärt. Die Website hat er vom Netz genommen, Angehörige beraten er und seine Kollegen nur noch anonym. Hunderte hätten in den ersten Wochen von Putins Einsatz bei ihm angerufen, vor allem Verwandte von Wehrdienstleistenden. ‚Wir können nur Empfehlungen geben, die Menschen müssen sich jetzt allein verteidigen‘, sagt Kriwenko. Es sei sinnlos, die Militärstaatsanwaltschaft oder Behörden zu kontaktieren, weil diese oft die Zusammenarbeit verweigerten. Andere sprechen vom ‚großen Schweigen‘ in Russland: ‚Mütter bekommen Geld und Orden für ihre toten Söhne und schweigen! Selbst die Mütter von Kriegsgefangenen trauen sich nicht, etwas zu sagen‘, schreibt eine Aktivistin, die ihren Namen nicht lesen will. Alle hätten Angst.“ (Der Spiegel: Das große Schweigen, 2. April 2022 ,verfügbar auf Factiva).
Möglichkeiten von Zivildienst
In einem Interview mit der Deutschen Welle (DW) im April 2022 antwortete der Jurist Alexandr Peredruk vom der russischen NGO Agora auf die Frage, was passiere, wenn ein Wehrpflichtiger den Wehrdienst nicht leisten wolle, dass das Recht auf Zivildienst in Anspruch genommen werden könne, wenn man es grundsätzlich ablehne, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Zwei Kategorien von Bürgern der Russischen Föderation hätten dieses Recht. Kleine indigene Völker, die traditionelles Handwerk ausüben würden, sowie Personen mit Überzeugungen, die dem Militärdienst widersprechen würden. Dabei könne es sich um jegliche Art von Überzeugungen handeln - religiös, säkular und andere. Auf die Frage, wie sich ein Wehrpflichtiger verhalten solle, der aufgrund seiner Überzeugungen nicht zum Militärdienst gehen wolle, antwortete Peredruk, dass er beim Militärkommissariat einen Antrag einreichen müsse, in dem er seine Überzeugungen und Motive für die Wahl des Zivildienstes darlegen müsse. Dem Antrag müssten zudem ein Lebenslauf und ein Zeugnis des Studien- oder Arbeitsortes beigefügt werden. Das Militärkommissariat leite den Antrag an die Einberufungskommission weiter, die darüber entscheide, ob der Wehrdienst durch einen Zivildienst ersetzt werde oder der Antrag abgelehnt werde. Auf die Frage, ob der Wehrpflichtige Beweise dafür vorlegen müsse, dass er aus Gewissensgründen nicht zu den Waffen greifen wolle, antwortete Peredruk, dass nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation innere Überzeugungen nicht bewiesen werden müssten, aber sie müssen begründet werden. Es reiche nicht aus, der Einberufungskommission mitzuteilen, dass man Pazifist sei, man müsse auch sein Wertesystem erklären, das es einem verbiete, den Militärdienst abzuleisten. Mit anderen Worten sei die Überprüfung der Aufrichtigkeit der Überzeugungen durchaus zulässig. (DW, 1. April 2022, https://www.dw.com/ru/jurist-agory-zakon-ne-zapreshhaet-otpravljat-prizyvnikov-na-vojnu/a-61322339 )
Die in Lettland ansässige oppositionelle Onlinezeitung Meduza stellt im März 2022 ähnliche Informationen zu Verfügung und erklärt zudem, dass das föderale Gesetz „Über den Zivildienst“ klar vorschreibe, wie Wehrpflichtige vorgehen müssten, die Zivildienst leisten wollten. In der Realität würden sie aber auf viele Hindernisse stoßen. In den letzten Jahren hätten in Russland jeweils etwas mehr als 1.000 Personen Zivildienst gemacht, dabei würden alle sechs Monate mehr als 100.000 Männer zum Wehrdienst einberufen. Menschenrechtsaktivist·innen seien der Meinung, dass die geringe Zahl derjenigen, die sich für den Zivildienst entscheide, auf häufige Ablehnungen durch die Einberufungskommission zurückzuführen sei. Ihrer Meinung nach werde bei diesen Ablehnungen häufig gegen das Gesetz verstoßen. Wehrpflichtige, die sich für den Zivildienst entscheiden würden, würden zudem berichten, dass sie als Wehrdienstverweigerer bezeichnet, beleidigt und eingeschüchtert würden. Es sei daher wichtig, seine Rechte zu kennen und sich nicht dem direkten moralischen Druck zu beugen. (Meduza, 5. März 2022, https://meduza.io/feature/2022/03/05/chto-delat-esli-ya-ne-hochu-v-armiyu )
Weigerung an Kampfhandlungen teilzunehmen, Wehrdienstverweigerung, Desertion
Eine Anfragebeantwortung der BFA Staatendokumentation vom März 2022 enthält folgende Zusammenfassung einer Auskunft der Österreichischen Botschaft Moskau vom 17. März 2022:
„Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass Desertion gemäß Art. 338 des russischen Strafgesetzbuches strafbar ist. Je länger die Tat zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint eine Bestrafung. Deserteure während des Zweiten Weltkriegs, welche sich zwischen 1962 und 1995 stellten, gingen in bestimmten Fällen straffrei aus. Hingegen wurden beispielsweise Soldaten, die 1995 bzw. 2008 desertierten, später von Gerichten gemäß Art. 338 StGB zu Haftstrafen von 2 bzw. 3 Jahren verurteilt. ‚Desertion‘ wird gemäß Art. 338 StGB definiert und setzt den Vorsatz voraus, die militärische Einheit oder den Ort des Militärdienstes dauerhaft zu verlassen bzw. sich dem Militärdienst zu entziehen. Begangen werden kann das Delikt von Militärangehörigen, welche ihren Wehrdienst leisten, von Zeitsoldaten sowie von Reservisten. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Für das Jahr 2022 wurden Staatsangehörige der Russischen Föderation im Reservestand für die Durchführung militärischer Übungen einberufen. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des Art. 338 dar. Russische Staatsbürger sind jedoch verpflichtet, binnen 2 Wochen bei den Militärkommissariaten zu erscheinen, um sich aus der Wehrkartei streichen zu lassen, falls sie für mehr als 6 Monate aus der Russischen Föderation ausreisen, bzw. um sich nach der Einreise in die Russische Föderation registrieren zu lassen. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen stellt eine Verwaltungsübertretung dar und kann eine Geldstrafe von RUB 500 bis 3.000 [ca. EUR 5 bis 31] nach sich ziehen. Das Ausreiserecht eines russischen Staatsbürgers kann vorübergehend eingeschränkt werden, falls er zum Militär- oder Zivildienst einberufen wurde (bis zur Beendigung des Militär- oder Zivildienstes).
Hat ein einberufener Reservist an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheint er nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Hat der einberufene Reservist an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheint er nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß Art. 338 StGB vor.
Die im Art. 338 StGB für Desertion vorgesehenen Strafdrohungen gelten nur für Friedenszeiten. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Verbrechen gegen den Militärdienst, begangen in Kriegszeiten oder in einer Gefechtssituation, wird durch die russische Gesetzgebung in Kriegszeiten festgelegt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Regierung der Russischen Föderation nicht das Kriegsrecht ausgerufen. Laut diverser Medienartikel drohen bei Desertion in Kriegszeiten wesentlich härtere Strafen als die 7 bzw. 10 Jahre in Friedenszeiten, nämlich bis hin zur Todesstrafe. 1996 hat Russland ein Moratorium in Bezug auf die Todesstrafe eingeführt.“ (BFA Staatendokumentation, 29. März 2022, S. 2)
Einsatz von Männern aus Tschetschenien (Einberufung, wer kämpft in den tschetschenischen Bataillonen, Einsatz von Freiwilligen)
Yandex Zen erläutert in einem Artikel vom März 2022, dass die Einberufung von Männern aus Tschetschenien 1994 ausgesetzt und bisher nicht vollumfänglich wieder eingeführt worden sei. Allerdings seien Tschetschenen aus anderen Regionen Russlands zur Armee einberufen worden und würden auch nach wie vor einberufen. Männer aus Tschetschenien würden heute bei der Einberufung einer begrenzten Quote unterliegen, es seien nicht mehr als 500 pro Einberufungskampagne. Ein bedeutender Teil von ihnen bleibe in Tschetschenien und leiste den Dienst in den Einheiten der Nationalgarde „Süden“ und „Norden“, in der schnellen Spezialeingreiftruppe „Achmat“ sowie in anderen Einheiten ab. 2018 seien von 500 Einberufenen nur 70 in anderen Regionen der Russischen Föderation geschickt worden, die nicht weit entfernt von Tschetschenien gewesen seien. Der vollumfänglichen Einberufung von Tschetschenen würden laut dem Artikel einige hochgestellte Generäle aus Moskau entgegenstehen. Ramsan Kadyrow arbeite jedoch daran, diese Situation zu ändern, und es sei nicht ausgeschlossen, dass nach den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit die vollumfängliche Einberufung von Tschetschenen wieder eingeführt werde. (Yandex Zen, 10. März 2022, https://zen.yandex.ru/media/chechnya/gde-i-kak-segodnia-chechency-slujat-v-rossiiskoi-armii-pochemu-iz-chechni-takoi-nebolshoi-prizyv-6229e214164c08490d37eee4 )
„Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte Kadyrow seine Unterstützung für den Krieg laut getrommelt – und die Hilfe seiner Spezialeinheit, der berüchtigten Kadyrowzy, angekündigt. […] Kadyrow soll mittlerweile zweimal in der Ukraine gewesen sein: Mitte März gab er an, nördlich von Kiew seine Truppen besucht zu haben. Trotz Videos und Fotos kamen Zweifel auf, ob er tatsächlich dort war.
Der tschetschenische Machthaber sieht im Ukraine-Krieg offenbar eine Chance, seine Macht und sein Ansehen zu stärken, indem er seine Loyalität gegenüber Putin beweist – von dem er abhängig ist. Schon seit er an der Macht ist, sei seine Rolle das ‚Schreckgespenst‘, eine ‚ständige Bedrohung für Putins Feinde‘, sagt der Russland-Experte Konstantin von Eggert gegenüber al-Jazeera. ‚Kadyrow hat langjährige Erfahrung mit sogenannten ‚Säuberungsaktionen‘, und seine Kämpfer könnten als psychologisches Werkzeug gegen friedliche Ukrainer eingesetzt werden‘, so Alexander Kwachadse, Forschungsstipendiat bei der Georgischen Stiftung für Strategische und Internationale Studien, gegenüber dem ‚Guardian‘: ‚Die implizite Drohung lautet: Wenn ihr euch nicht ergebt, kann euch das gleiche Schicksal ereilen wie friedliche Städte in Georgien und Tschetschenien.‘ […]
Kadyrows angebliche Frontbesuche sollen wohl den Ruf der tschetschenischen Truppen aufrechterhalten. Denn die tatsächlichen Kampfeinsätze scheinen im krassen Gegensatz zur PR zu stehen. Schon in den ersten Kriegstagen wurde eine etwa 400 Mann starke Spezialtruppe nahe dem Flughafen Hostomel bei Kiew vernichtend geschlagen. Gerüchte machten die Runde, die Ukraine habe Geheiminformationen aus Russland zur Landung der Truppe bekommen. Der berüchtigte General Magomed Tuschajew soll getötet worden sein, was die tschetschenische Regierung heftig dementiert. Laut mehreren Medienberichten und Militärbeobachtern sind die tschetschenischen Truppen auch kaum an vorderster Front zu finden. Mehrere prorussische Separatistenführer haben sich laut dem Bericht von al-Jazeera auch darüber beschwert, dass die auch bei der Belagerung von Mariupol kaum beteiligt sind, teils weil ihre Ausrüstung dafür unbrauchbar sei. Andere Experten führen ins Treffen, dass die Spezialtruppen zwar Erfahrung bei der Unterdrückung der Zivilbevölkerung hätten, in einem ‚echten‘ Krieg aber unerfahren seien. […]
Im Gegensatz zu den russischen Soldaten führen die tschetschenischen Truppen Mobiltelefone bei sich, posten in sozialen Netzwerken und bezeichnen den Konflikt als ‚Krieg‘. Berichtet werden zudem Streitereien zwischen russischen Truppen und tschetschenischen Einheiten. Diese seien vor allem damit beschäftigt, mit ihren Postings weitere Kämpfer aus ihrer Heimat anzuwerben, denen laut Berichten 1.000 Dollar im Monat versprochen werden. Aus den Mobilfunkaktivitäten lasse sich ablesen, dass sie tatsächlich nicht im umkämpften Gebiet sind, sondern zumeist 20 Kilometer hinter der Frontlinie, so Kwachadse im ‚Guardian‘. Mehreren Dutzend Kämpfern wurde ein Video, das die Stärke der Truppe untermauern sollte, laut ukrainischen Angaben auch zum Verhängnis: Aus den Bildern ließ sich das Camp lokalisieren und wurde angegriffen.“ (ORF – Österreichischer Rundfunk: Putins Mann fürs Grobe mit tragender Rolle, 30. März 2022, https://orf.at/stories/3256468/ )
Laut einer Wochenzusammenfassung von Kawkas Realii könne man aus den Beiträgen von Ramsan Kadyrow auf seinem Telegram-Kanal besser nachvollziehen, wer als sogenannter „Freiwilliger“ in die Ukraine geschickt werde. So sei etwa der Bruder von Chasan Chalitow, einem Kritiker von Ramsan Kadyrow, der in der Türkei lebe, in die Ukraine geschickt worden. Bevor dies mutmaßlich geschehen sei, habe der Verwandte des oppositionellen Bloggers erklärt, dass er für Allah fahre und vor der Kamera „Achmat ist Stärke“ gesagt. Einige Tage zuvor habe Chalitow gewarnt, dass sein Bruder mit Gewalt aus dem Dorf Sakan-Jurt weggebracht worden sei.
Informationen darüber, dass tschetschenischen Kämpfern für eine Weigerung zu kämpfen damit gedroht werde, Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Verwandten zu ergreifen, habe eine Einwohnerin in einer der Städte rund um Kiew, die bis vor Kurzem von russischen Truppen belagert gewesen sei, in einem Interview mit Kawkas Realii bestätigt. Einer der Kadyrowzy habe der Gesprächspartnerin gegenüber eingestanden, dass das Haus seiner Familie in Tschetschenien mit all seinen Einwohner·innen ohne Gericht und Ermittlungen abgerissen werde, wenn er nicht in der Ukraine kämpfe. Von der Entsendung eines weiteren „Freiwilligen“ habe Kadyrow eine Woche zuvor berichtet. Es solle sich um Ruslan Tschachkijew handeln, der als Teenager für die Republik Itschkeria gekämpft habe. Dann sei Tschachkijew für Sprengstoffanschläge in Wladikawkas Anfang der 2000er Jahre verurteilt worden und bis zu der Veröffentlichung von Kadyrow habe er als tot gegolten. Eine Quelle von Kawkas Realii, die Tschachkijew kenne, habe verssichert, dass es sich bei der Person, die Kadyrow als ehemaligen Kämpfer für die Unabhängigkeit Tschetscheniens vorgestellt habe, in Wirklichkeit um eine Person mit dem gleichen Namen handle, der zwei Jahre zuvor aus einem Straflager entlassen worden sei. Kritiker von Ramsan Kadyrow würden die Richtigkeit der von Kadyrow präsentierten Geschichte bezweifeln. Und selbst wenn es sich um den Ruslan Tschachkijew von damals handle, dann würde er, wenn man seine Vergangenheit bedenke, wohl kaum freiwillig auf der Seite der russischen Streitkräfte kämpfen. Zuvor habe Adam Osmajew, der ein tschetschenisches Freiwilligenbataillon auf Seiten der Ukraine leite, angegeben, dass Ramsan Kadyrow alle in den Krieg schicke, die er nur schicken könne, darunter auch Invaliden und Personen, die sich vorher etwas zuschulden hätten kommen lassen (Kawkas Realii, 16. April 2022, https://www.kavkazr.com/a/kto-i-zachem-voyuet-za-kadyrova-v-ukraine-itogi-nedeli/31804447.html ).
In einem Interview mit Kawkas Realii gab Alla Dudajewa, die Witwe von Dschochar Dudajew, dem ersten Präsidenten der Republik Itschkeria, im April 2022 an, dass die tschetschenischen Kämpfer in der Ukraine nicht freiwillig dort seien. Einige würden kämpfen gehen, um ihre Familien zu ernähren, die jungen Männer aber würden vorwiegend gezwungen, denn ihnen werde mit Gefängnis oder mit Vergeltungsmaßnahmen für ihre Verwandten gedroht. Sie spreche aber nicht von den etwa 1.500 Tschetschenen, die an Kadyrows Seite seien, die per Blut mit Kadyrow verbunden seien, die er zwinge, an seinen Verbrechen, der Erniedrigung und der Ermordung des tschetschenischen Volkes teilzunehmen. Sie seien tatsächlich tollwütige Kadyrowzy, alle andere seien lediglich Kanonenfutter. (Kawkas Realii, 19. April 2022, https://www.kavkazr.com/a/chechentsy-i-voyna-v-ukraine-intervjyu-so-vdovoy-prezidenta-ichkerii-dzhohara-dudaeva/31811030.html )
Länderinformation der Staatendokumentation – Russische Föderation Version 10. Vom 09.11.2022
COVID-19-Situation
Letzte Änderung: 01.09.2022
In Teilen der Russischen Föderation bestehen aufgrund der Regionalisierung von COVID-19-Schutzmaßnahmen noch Einschränkungen (AA 5.8.2022; vgl. RAD 15.2.2021). Die Hygienemaßnahmen wurden großteils zurückgenommen (WKO 25.7.2022). Für öffentlich zugängliche Räume ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes empfohlen (AA 5.8.2022; vgl. RFE/RL 1.7.2022). In Einzelfällen bestehen noch Zugangsvoraussetzungen (mit QR-Code) für Restaurants oder Hotels (AA 5.8.2022). Es müssen keine verpflichtenden Temperaturmessungen oder COVID-Tests am Arbeitsplatz mehr durchgeführt werden. Auch die teilweise Fernarbeitspflicht ist beendet (WKO 25.7.2022).
Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, Covivac, Salnavac, Konwasel und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Vollständig geimpft sind 89.423.801 Personen (CWRR 12.8.2022). COVID-Impfungen sind ab einem Alter von 12 Jahren möglich (RFE/RL 9.2.2022; vgl. CWRR o.D.a) und für russische Staatsbürger kostenlos (Iswestija 1.7.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger, die mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, sowie genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Impfnachweise dürfen max. 12 Monate alt sein und Genesungsnachweise max. 6 Monate (WKO 25.7.2022). Der europäische Impfnachweis wird nicht anerkannt (AA 5.8.2022).
Moskau:
In der Hauptstadt Moskau sowie im Moskauer Gebiet wurden die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auf öffentlichen Plätzen sowie die Abstandsregelungen abgeschafft (Russland-Analysen 11.4.2022).
Tschetschenien:
In Tschetschenien wurden alle COVID-Beschränkungen aufgehoben (Ria.ru 11.3.2022).
Dagestan:
Das Tragen einer Maske wird empfohlen. An öffentlichen Orten gilt Maskenpflicht für Personen über 60 Jahren, chronisch Kranke und Ungeimpfte. Es wird empfohlen, die Teilnehmeranzahl bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 500 Personen zu beschränken (KK 13.8.2022). Die Verpflichtung zur Durchführung einer Desinfektion besteht weiterhin (KK 7.6.2022). Insgesamt wurden in Dagestan bislang 1.576.793 Personen (50,19 % der Gesamtbevölkerung) geimpft (E-dag.ru 25.7.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.8.2022): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536 , Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (12.8.2022): Вакцинация от COVID-19 [COVID-19-Impfung], https://стопкоронавирус.рф/information/, Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.a): Часто задаваемые вопросы [FAQ], https://стопкоронавирус.рф/faq/, Zugriff 19.8.2022
CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.b): Все о вакцинации против COVID-19 [Alles über die COVID-19-Impfung], https://вакцина.стопкоронавирус.рф/, Zugriff 19.8.2022
E-dag.ru – 'Mein Dagestan' (Moj Dagestan) / Offizielle Webseite Dagestans [Russland] (25.7.2022): Информация о проведении вакцинации населения Республики Дагестан против COVID-19 [Information über COVID-19-Impfung der Bevölkerung der Republik Dagestan], https://mydagestan.e-dag.ru/vaccination-against-covid-19/ , Zugriff 25.7.2022
Iswestija (1.7.2022): Минздрав продолжит оформлять сертификаты о вакцинации против COVID-19 [Gesundheitsministerium stellt weiterhin COVID-19-Impfzertifikate aus], https://iz.ru/1358412/2022-07-01/minzdrav-prodolzhit-oformliat-sertifikaty-o-vaktcinatcii-protiv-covid-19 , Zugriff 25.7.2022
KK – Kaukasischer Knoten (13.8.2022): Дагестанские активисты усомнились в необходимости ужесточения антиковидных мер [Aktivisten aus Dagestan bezweifelten Notwendigkeit der Verschärfung von Anti-COVID-Maßnahmen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/380112/ , Zugriff 29.8.2022
KK – Kaukasischer Knoten (7.6.2022): Масочный режим отменен в Дагестане [Maskenpflicht in Dagestan gefallen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/377927/ , Zugriff 25.7.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
RAD – Russian Analytical Digest (Nr. 263) (15.2.2021): Mitigating the Social Consequences of the COVID-19 Pandemic: Russia’s Social Policy Response, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD263.pdf#page=12 , Zugriff 17.2.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.7.2022): Russia Ends All Public Anti-COVID Restrictions, https://www.rferl.org/a/russia-ends-all-covid-restrictions/31924567.html , Zugriff 25.7.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (9.2.2022): Russia’s Daily COVID-19 Infection Rate Hits Record Again, https://www.rferl.org/a/russia-covid-new-record/31694474.html , Zugriff 17.2.2022
Ria.ru – RIA Nowosti (11.3.2022): В Чечне сняли все ограничения по коронавирусу [In Tschetschenien alle COVID-Beschränkungen aufgehoben], https://ria.ru/20220311/chechnya-1777599119.html , Zugriff 25.7.2022
Russland-Analysen (Nr. 418) (11.4.2022): Chronik 14.-18.3.2022, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/418/RusslandAnalysen418.pdf , Zugriff 25.7.2022
WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.7.2022): Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff 25.7.2022
Politische Lage
Letzte Änderung: 06.10.2022
Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 1.10.2021a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. Economist 9.2.2022, UG 3.2022, FH o.D., Russland-Analysen 1.10.2021a). Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht in der Praxis die alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Dieser kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA 1.10.2021b). Der Staatspräsident ernennt (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Vorsitzenden der Regierung und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte sowie anderer Gerichtshöfe vor. Der Präsident ernennt nach Beratung mit dem Föderationsrat den Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte und entlässt sie. Darüber hinaus ernennt und entlässt er die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (RI 4.7.2020). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird für eine Amtszeit von 6 Jahren von den Bürgern direkt gewählt (RI 4.7.2020). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSZE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 28.2.2022). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSZE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 28.2.2022). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSZE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender sowie Stellvertreter des Staatsoberhaupts ist Michail Mischustin (AA 1.10.2021a).
Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 28.2.2022). Unter anderem erhält durch die jüngste Verfassungsreform das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten in Russland und international für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).
Der Einfluss des Zweikammerparlaments, bestehend aus der Staatsduma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus), ist beschränkt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Die Mitglieder des Föderationsrates werden normalerweise für eine Amtszeit von 6 Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses (Ukas) über die Verhängung des Ausnahmezustands und des Kriegszustands; Amtsenthebung des Präsidenten (RI 4.7.2020). Die 450 Mitglieder der Duma werden für eine Amtszeit von 5 Jahren direkt gewählt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSZE 25.6.2021; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Duma-Wahlen beruhen auf einem gemischten Wahlsystem. Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Laut der Zentralen Wahlkommission betrug die Wahlbeteiligung 52 % (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, Ria.ru 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):
Einiges Russland (Edinaja Rossija): 325 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)
Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)
sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)
Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)
Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)
2 Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an (Duma o.D.).
Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch-rechtspopulistisch ausgerichtet (SWP 14.10.2021; vgl. KAS 21.9.2021). Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS 21.9.2021).
Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der russischen Verfassung festgeschrieben. Der Status von Föderationssubjekten kann in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Art. 66 der Verfassung) (RI 4.7.2020). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 1.10.2021b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates. Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021). Im September 2021 fanden parallel zur Parlamentswahl regionale Wahlen statt. Die Bürger wählten Gouverneure von neun Subjekten sowie 39 Regionalparlamente (Russland-Analysen 1.10.2021b; vgl. Tass 20.9.2021).
Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt (AA 1.10.2021b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (EU-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Lugansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und unter Zeitdruck (Rat 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Lugansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/Tagesschau.de 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kremlin.ru 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).
Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (OHCHR 5.7.2022; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf diese Vorgänge verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, nämlich: Wirtschaftssanktionen; Aussetzung der Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie andere russische Beamte und Geschäftsleute; Sanktionen gegen Mitglieder der Staatsduma, gegen Putin, den Außenminister Sergej Lawrow, gegen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats und gegen weitere Personen (EU-Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.10.2021a): Russische Föderation: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/steckbrief/201534 , Zugriff 25.7.2022
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USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
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Tschetschenien Letzte Änderung: 29.08.2022
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen (FR o.D.b). Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrov sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil dieser Personen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB 30.6.2021).
Kadyrov ist seit dem Jahr 2007 in Tschetschenien an der Macht (Dekoder 10.2.2022). Er kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) aufseiten der Unabhängigkeitsbefürworter. Im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wechselte Kadyrov die Seite (ORF 30.3.2022). In Tschetschenien gilt Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021, FH 28.2.2022, RFE/RL 3.2.2022, HRW 9.2.2022). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt (ÖB 30.6.2021). Kadyrov bekundet jedoch immer wieder seine absolute Treue gegenüber dem Kreml (ÖB 30.6.2021; vgl. SZ 3.3.2022). Beobachter stufen Tschetschenien zunehmend als Staat im Staat ein, in dem das Moskauer Gewaltmonopol vielfach unwirksam ist (Dekoder 10.2.2022). Kadyrov besetzt hohe Posten in Tschetschenien mit Familienmitgliedern (KK 15.3.2022). Das Republikoberhaupt ist für die Regierungsbildung zuständig. Die Regierung ist dem Republikoberhaupt gegenüber rechenschaftspflichtig (FR o.D.b). Premierminister Tschetscheniens ist Muslim Chučiev (KR 9.5.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022).
Die Gesetzgebung wird vom Parlament Tschetscheniens ausgeübt. Das Parlament besteht aus 41 Abgeordneten, welche mittels Verhältniswahl gewählt werden (FR o.D.b). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 96,13 % der Stimmen. Die Partei "Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit" errang 0,93 %, die Kommunistische Partei (KPRF) 0,75 %, Neue Leute 0,24 %, und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) gewann 0,11 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 94,42 % (Russland-Analysen 1.10.2021c; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Zeitgleich fand in Tschetschenien die Direktwahl des Republikoberhauptes statt (Ria.ru 21.9.2021; vgl. FR o.D.b). Dessen reguläre Amtszeit beträgt fünf Jahre (FR o.D.b). Kadyrov, welcher die Partei Einiges Russland präsentierte, gewann 99,7 % der Stimmen. Der Kandidat der Kommunistischen Partei errang 0,12 % und der Kandidat der Partei Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit 0,15 % (Ria.ru 21.9.2021). Vor allem im Nordkaukasus ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2022).
Tschetschenische Sicherheitskräfte gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Prekär ist auch die Lage von Regimekritikern und Oppositionspolitikern (AA 21.5.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrov unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021, ER 3.6.2022). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt. Kadyrov wird verdächtigt, die Ermordung von beispielsweise politischen Gegnern, welche im Exil leben, angeordnet zu haben (FH 28.2.2022). Kadyrov wurde von der Schweiz, Kanada, der EU und den USA mit Sanktionen belegt (KK 15.3.2022; vgl. OFAC 8.8.2022, EUR-Lex 25.7.2014).
Quellen:
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KR – Kavkaz.Realii (9.5.2022): Премьер-министр Чечни уже месяц исполняет обязанности Кадырова [Premierminister Tschetscheniens vertritt seit bereits einem Monat Kadyrov], https://www.kavkazr.com/a/premjer-ministr-chechni-uzhe-mesyats-ispolnyaet-obyazannosti-kadyrova/31840824.html , Zugriff 10.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
OFAC – Office of Foreign Assets Control [USA] (8.8.2022): Specially Designated Nationals List: Sanctions List Search - KADYROV, https://sanctionssearch.ofac.treas.gov/Details.aspx?id=23343 , Zugriff 10.8.2022
ORF – Österreichischer Rundfunk (30.3.2022): Ramsan Kadyrow: Putins Mann fürs Grobe mit tragender Rolle, https://orf.at/stories/3256468 , Zugriff 9.8.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (3.2.2022): Putin Meets Chechen Leader Amid Outcry Over Threats Against Activist's Family, https://www.ecoi.net/de/dokument/2067631.html , Zugriff 9.8.2022
Ria.ru – RIA Novosti (6.10.2021): Итоги выборов в Госдуму — 2021 [Staatsduma-Wahlergebnisse 2021], https://ria.ru/20210919/vybory_gosduma-1749875690.html , Zugriff 5.8.2022
Ria.ru – RIA Novosti (21.9.2021): Итоги выборов глав регионов России [Wahlergebnisse der regionalen Oberhäupter Russlands], https://ria.ru/20210919/vybory_gubernatorov-1749880926.html , Zugriff 9.8.2022
Russland-Analysen (Nr. 407) (1.10.2021c): Sonntagsfrage und Ergebnis der Wahl zur Staatsduma 2021, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/407/RusslandAnalysen407.pdf , Zugriff 5.8.2022
SZ – Süddeutsche Zeitung (3.3.2022): Mordpläne gegen Tschetschenen, https://www.sueddeutsche.de/politik/tschetschenien-auftragsmord-muenchen-1.5540824 , Zugriff 9.8.2022
Sicherheitslage Letzte Änderung: 01.09.2022
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 5.8.2022). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Metro, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 4.5.2022).
Für die Russische Föderation stellen Terrorismusbekämpfung und der Umgang mit extremistischen islamischen Gruppen (darunter Gruppen mit Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat (IS) sowie Kämpfer, die aus Syrien zurückkehren) eine Priorität dar (USDOS 16.12.2021). Seit November 2020 wurden wegen angeblicher Zugehörigkeit zu Hizb ut-Tahrir mindestens acht Personen verurteilt und mehrere Dutzend Personen festgenommen. Hizb ut-Tahrir ist eine islamistische Bewegung, welche gewaltlos ein Kalifat errichten will. Russland hat Hizb ut-Tahrir aufgrund von Terrorismusvorwürfen im Jahr 2003 verboten (HRW 13.1.2022). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2022), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 44. Rang von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf mittlerem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2022). Russland ist ein Mitglied des Globalen Forums zur Terrorismusbekämpfung (Global Counterterrorism Forum) (USDOS 16.12.2021; vgl. GCTF o.D.).
Am 24.2.2022 begann Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Rat 16.8.2022). In russischen Regionen nahe der Ukraine kam es in letzter Zeit zu mehreren Vorfällen, darunter größere Brände in Belgorod und bei einem Öldepot in Brjansk im April 2022 (Gov.uk 25.8.2022). In fünf russischen Regionen nahe der Ukraine (Rostow, Krasnodar, Saratow, Woronesch und Wolgograd) wurde der Notstand ausgerufen (AA 5.8.2022). In der russischen Region Kursk, welche an die Ukraine grenzt, werden mehrere grenzüberschreitende Artilleriebeschüsse von ukrainischer und russischer Seite sowie Sabotageakte gegen Infrastruktureinrichtungen gemeldet. Die Situation in Kursk wird zunehmend volatil (ACLED 18.8.2022). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (MT 8.6.2022). Stattdessen spricht Russland von einer 'Spezialoperation' in der Ukraine (Presse 11.8.2022).
Nordkaukasus:
01.09.2022:
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich dies nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB 30.6.2021; vgl. Gov.uk 25.8.2022, RUSI 30.7.2021). Im Allgemeinen ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus schwer einzuschätzen (ER 3.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat (ÖB 30.6.2021). Das Kaukasus-Emirat und außerdem der Kongress der Völker Itschkerijas und Dagestans gehören zu denjenigen Organisationen, welche von der Russischen Föderation als Terrororganisationen eingestuft werden (NAK o.D.a). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist(ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal ’Kaukasischer Knoten’ fielen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 insgesamt 12 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Vier dieser Personen wurden in Dagestan getötet, zwei in Karatschai-Tscherkessien, fünf in Kabardino-Balkarien und eine Person in Tschetschenien (KK 4.8.2022; vgl. KK 6.7.2022, KK 5.4.2022, KK 4.1.2022, KK 11.10.2021). Terroranschläge ziehen staatlicherseits u.a. kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 12.4.2022). Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022) und gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen von sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Anti-Terror-Operationen durchgeführt (KK 10.7.2021). Tschetschenische Behörden wenden kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen regelmäßig an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 12.4.2022). In Tschetschenien gibt es eine Anti-Terrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Kadyrow ist (NAK o.D.c). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KK 15.11.2021). In Dagestan sind bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der instabilen sozioökonomischen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB 30.6.2021). In Dagestan nimmt der Widerstand immer mehr die Form von Sabotageakten und von Partisanen-Aktivitäten an (KK 18.5.2022). Es gibt in Dagestan eine Anti-Terrorismus-Kommission, welche vom Republikoberhaupt Melikow geleitet wird (NAK o.D.b).
Rechtsschutz/Justizwesen Letzte Änderung 21.04.2022
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2021). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020).
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2021). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs- und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto 'Schuldvermutung' im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Anwälte im Menschenrechtsbereich beklagen ungleiche Spielregeln in Gerichtsverfahren und steigenden Druck gegen die Anwälte selbst (ÖB Moskau 6.2021).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2021). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Weiters wurde mit der Verfassungsänderung, die am 4.7.2020 in Kraft trat, das Recht des Föderationsrats, Richter des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag des Präsidenten zu entlassen, verankert (ÖB Moskau 6.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 waren beim EGMR 13.650 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2020 wurde die Russische Föderation in 173 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2021).
Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatte der Europarat Russlands Mitgliedschaft zunächst suspendiert. Russland gab kurz darauf seinen Austritt aus dem Europarat nach 26 Jahren Mitgliedschaft bekannt und kam damit einem Beschluss der übrigen Mitgliedsstaaten zuvor. Nach dem endgültigen Ausschluss Russlands aus dem Europarat hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) alle Verfahren gegen Russland vorerst ausgesetzt. Nach Angaben des Gerichts vom Jänner 2022 wurden 24 % der rund 70.000 beim EGMR anhängigen Verfahren von Russen und Russinnen angestrengt. Russland gehört nun nicht länger zu den Unterzeichnerstaaten der EMRK, und seine Bürger können sich nicht mehr an den EGMR wenden (ORF.at 17.3.2022).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020). Im Juli 2017 trat eine weitere neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der 'Absicht' angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann. Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 23.3.2021
AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 23.3.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.5.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 23.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 23.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 23.3.2021
ORF.at (17.3.2022): EGMR setzt Verfahren gegen Russland aus, https://orf.at/stories/3253923/ , Zugriff 20.4.2022
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 23.3.2021
Tschetschenien und Dagestan Letzte Änderung: 02.03.2022
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetschenien und Dagestan. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).
Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art 'alternative Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagt' lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).
Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2021). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).
In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 6.2020). Ein neueres Beispiel betrifft die Familie eines ehemaligen Richters am Obersten Gerichtshof in Tschetschenien. Kadyrow hat die Familie zu 'Terroristen' erklärt, da die beiden Söhne als Verаntwortliche hinter einem regimekritischen Telegram-Kanal vermutet werden (Snob 10.2.2022).
Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Es gibt ein Gesetz, welches die Verwandten von Terroristen verpflichtet für Schäden zu haften, die bei Angriffen entstanden sind. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2021). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2021) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Dissens und Kritik werden in Tschetschenien weiterhin rücksichtslos unterdrückt (HRW 13.1.2022).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 8.4.2021
CSIS – Center for Strategic and International Studies (1.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff 8.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 8.4.2021
FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 8.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 3.2.2022
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 8.4.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 29.9.2021
ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]
Snob (10.2.2022): Warum Ramsan Kadyrow (fast) alles darf, https://www.dekoder.org/de/article/ramsan-kadyrow-kritiker , Zugriff 21.2.2022
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 8.4.2021
US DOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 8.4.2021
Sicherheitsbehörden Letzte Änderung: 01.09.2022
Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist für Verbrechensbekämpfung zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft Terrorismus und das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 12.4.2022). Koordiniert werden die Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee (USDOS 16.12.2021). Zivilbehörden halten im Allgemeinen eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Gegen Beamte, die missbräuchliche Handlungen setzen und in Korruption verwickelt sind, werden selten strafrechtliche Schritte unternommen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (USDOS 12.4.2022). Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 21.5.2021).
Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Polizei und der Untersuchungsbehörden (AA 21.5.2021). Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht (ÖB 30.6.2021).
Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für die Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Angeklagte und deren Rechtsvertreter müssen bei der Gerichtsverhandlung persönlich oder über einen Videolink anwesend sein (USDOS 12.4.2022).
Die Zivilbehörden auf nationaler Ebene üben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien aus. Diese sind nur dem Republikoberhaupt Kadyrow gegenüber rechenschaftspflichtig (USDOS 12.4.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Mit den sogenannten Kadyrowzy verfügt Kadyrow über eine persönliche Armee (FPRI 15.6.2022). Bei den Kadyrowzy handelt es sich formal um Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde, deren zahlenmäßige Stärke geheim ist. Russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten (Heise 9.7.2022). Die tschetschenische Sondereinheit der Kadyrowzy existierte bereits unter Kadyrows Vater, der sich im Tschetschenienkrieg ab 1999 auf die Seite Russlands gegen die Separatisten gestellt hatte und im Jahr 2004 getötet worden war. Seit der Machtübernahme Kadyrows im Jahr 2007 werden die Kadyrowzy von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Morde politischer Gegner sowie für Folter verantwortlich gemacht (Euronews 20.3.2022). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (Heise 9.7.2022). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 21.5.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
Euronews (20.3.2022): 'Psychopath Kadyrow': Was machen die Kämpfer aus Tschetschenien in der Ukraine?, https://de.euronews.com/2022/03/20/psychopath-kadyrow-was-machen-die-kampfer-aus-tschetschenien-in-der-ukraine , Zugriff 10.8.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068627.html , Zugriff 3.8.2022
FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/ , Zugriff 10.8.2022
Heise (9.7.2022): Ukraine-Krieg: Wer will 'nach Berlin durchmarschieren'?, https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Krieg-Wer-will-nach-Berlin-durchmarschieren-7167389.html , Zugriff 10.8.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071123.html , Zugriff 20.7.2022
USDOS – US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065361.html , Zugriff 11.8.2022
Folter und unmenschliche Behandlung:
29.08.2022
Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis des Art. 21 der Verfassung verboten (RI 4.7.2020). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß § 117 Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von max. 3 Jahren oder Zwangsarbeit von max. 3 Jahren oder Freiheitsentzug von max. 3 Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person, kommt Folter zur Anwendung oder wird die Tat aus politischen, ideologischen, religiösen usw. Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge (RI 25.3.2022). Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der inneren Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB 30.6.2021). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Sicherheitsbeamte Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen (USDOS 12.4.2022). Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten sind weitverbreitet und werden selten geahndet (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter. Gemäß Berichten kommt es außerdem vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 12.4.2022). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 21.5.2021). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen. Diese richtet sich gegen Zivilisten, islamistische Aufständische, Bedienstete von Behörden usw. (FH 28.2.2022). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt (FH 28.2.2022)
Wehrdienst und Rekrutierungen Letzte Änderung: 09.11.2022
Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst' werden alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen (RI 14.7.2022a). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB 30.6.2021). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung. Im Frühling 2022 wurden russlandweit 134.500 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen. Ein Jahr zuvor waren 134.650 Personen eingezogen worden (Spiegel 31.3.2022). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Kremlin.ru 30.9.2022). Nach der derzeitigen Gesetzeslage muss eine Einberufung dem Einzuberufenden persönlich gegen Unterschrift übergeben werden. Seit 2018 gibt es einen Gesetzesentwurf, wonach die persönliche Übernahme durch die Absendung eines eingeschriebenen Briefes ersetzt werden soll (ÖB 17.5.2022).
Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 21.3.2022). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 18.8.2022). Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 wird ab 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Im Jahr 2021 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (SIPRI o.D.). Gemäß der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (RI 4.7.2020).
Neben dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen. Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB 30.6.2021). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. GS o.D.). Wie viele Zeit- bzw. Vertragssoldaten (Kontraktniki) es aktuell in Russland gibt, ist unklar. Für 2020 wurde deren Anzahl mit 400.000 angegeben. Damals plante man eine Aufstockung auf 500.000 Vertragssoldaten (BBC 14.4.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen fallengelassen (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022).
Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (v. a. staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2021). Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. USD 25 [ca. EUR 25] pro Monat, wohingegen Vertragssoldaten ca. USD 1.100 [ca. EUR 1.094] erhalten (MT 23.5.2022). Gemäß gesetzlichen Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen im Ausland entsandt werden zu können. Jedoch zu Kriegszeiten oder im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts ist es möglich, Wehrpflichtige früher heranzuziehen. Innerhalb Russlands dürfen Wehrpflichtige sofort (auch unausgebildet) herangezogen werden (ISW 30.10.2022).
Präsident Wladimir Putin verkündete mit 21.9.2022 eine Teilmobilmachung (RI 21.9.2022). Am 28.10.2022 vermeldete der Verteidigungsminister an Putin den Abschluss der Teilmobilmachung (Tass 28.10.2022), in deren Rahmen 300.000 Reservisten einberufen wurden (RG 21.9.2022). Als Reservist gilt jeder, der ein Militärbuch besitzt (auch Frauen) (ÖB 19.10.2022). Das Ende der Teilmobilmachung wurde vom Kreml bestätigt. Einen Erlass (Ukas) zur offiziellen Verkündung des Abschlusses der Teilmobilmachung erachtet der Kreml für unnötig (Tass 1.11.2022). Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einberufenen Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung oblag den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung waren gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden, Personen, welche rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub galt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022), und für Studierende (Kremlin.ru 24.9.2022). Folgende Personengruppen waren ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit bestimmten Beeinträchtigungen; kinderreiche Familien (mindestens vier Kinder unter 16); Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; pensionierte Veteranen, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; und Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen waren, beispielsweise Krebskranke und Studierende (Kommersant 26.9.2022). Ethnische Minderheiten aus ärmeren Regionen waren überproportional von der Mobilmachung betroffen (Standard 28.9.2022; vgl. ISW 17.10.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung (WP 28.9.2022). Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung Hunderttausende Männer Russland verlassen haben (DW 6.10.2022).
Es existieren widersprüchliche Aussagen hinsichtlich der Anzahl der russischen Wehrpflichtigen, welche in der Ukraine an Kampfhandlungen teilnehmen (ÖB 17.5.2022; vgl. CPTI 5.2022). Die russische Regierung hat die Entsendung Wehrpflichtiger zu Kampfeinsätzen in der Ukraine geleugnet. Es standen Behauptungen im Raum, einige Wehrpflichtige seien durch Unterzeichnung von Militärverträgen zur Teilnahme an Kampfeinsätzen gezwungen worden. Der Kreml gab später den Einsatz Wehrpflichtiger zu (EUAA 5.4.2022). Gemäß Berichten werden Wehrpflichtige unter Druck gesetzt, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022). In Tschetschenien laufen Rekrutierungskampagnen für den Ukraine-Krieg, und das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow droht Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KK 17.7.2022). Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt die russische Söldner-Gruppe 'Wagner' (Deutschlandfunk 27.7.2022). Auch syrische Söldner wurden zur Unterstützung Russlands für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat 22.7.2022). Der Kriegs- und Ausnahmezustand wird durch präsidentiellen Erlass (Ukas) verhängt, was vom Föderationsrat bestätigt werden muss (RI 4.7.2020). Der russische Präsident Putin führte ab 20.10.2022 in den [zuvor völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen] Regionen Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson das 'Kriegsrecht' ein (Kremlin.ru 19.10.2022).
Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 12.4.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen sich ausgeliefert fühlender Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein (AA 28.9.2022). Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008–2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, ist die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich gesunken. Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen dennoch von hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt oder geduldet (ÖB 30.6.2021). Gemäß einer Liste, welche der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) im September 2021 veröffentlichte, werden Personen, die auf Straftaten in der Armee aufmerksam machen, als 'ausländische Agenten' eingestuft (AI 29.3.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RI 25.3.2022). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).
Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB 30.6.2021).
Quellen:
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Tass [Russland] (21.9.2022): Песков заявил об отсутствии решений об изменении статуса СВО и введении военного положения [Peskow legte dar, dass Entscheidung über Änderung des Status der MSP [militärische Spezialoperation] und über Einführung des Kriegszustands nicht getroffen wurde], https://tass.ru/armiya-i-opk/15820687 , Zugriff 22.9.2022
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WP – Washington Post, The (28.9.2022): The Russian men fleeing mobilization, and leaving everything behind, https://www.washingtonpost.com/world/2022/09/28/russia-turkey-partial-mobilization-ukraine/ , Zugriff 4.10.2022
Wehrersatzdienst Letzte Änderung: 09.11.2022
Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (RI 4.7.2020). Eine gesetzliche Grundlage stellt das Föderale Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' dar (RI 31.7.2020). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB 30.6.2021). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken oder Feuerwehr (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021). Jährlich wird eine Liste an Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, wo die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (Rostrud o.D.).
Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens 6 Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst'). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft (RI 31.7.2020). NGOs können die Gesamtanzahl von Anträgen auf Ableistung eines alternativen Zivildiensts nicht einschätzen (EBCO 21.3.2022). Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts werden regelmäßig abgelehnt (EUAA 5.4.2022; vgl. EBCO o.D.). Zeugen Jehovas sind von Ablehnungen ihrer Anträge betroffen (NL-MFA 4.2021). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden (§ 15 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst') (RI 31.7.2020). Mit Stand August 2022 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung 1.166 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst (Rostrud 1.8.2022). Die Verweigerung der Ableistung des Zivildiensts zieht gemäß § 328 des Strafgesetzbuches folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von max. RUB 80.000 [ca. EUR 1.320] oder in der Höhe von max. 6 Monatseinkommen oder max. 480 Stunden Zwangsarbeit oder Arrest von max. 6 Monaten (RI 25.3.2022; vgl. ÖB 30.6.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2053304/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_21.05.2021.pdf , Zugriff 13.7.2022
EBCO – European Bureau for Conscientious Objection (21.3.2022): Annual Report on Conscientious Objection to Military Service in Europe 2021, https://ebco-beoc.org/sites/ebco-beoc.org/files/attachments/2022-03-21-EBCO_Annual_Report_2021.pdf , Zugriff 27.7.2022
EBCO – European Bureau for Conscientious Objection (o.D.): Russian Federation, https://ebco-beoc.org/russia , Zugriff 28.7.2022
EUAA – European Union Agency for Asylum (5.4.2022): COI Query - Russian Federation: Treatment of military deserters by state authorities since the February 2022 invasion of Ukraine (1 February 2022 – 4 April 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2070967/2022_04_Q24_EUAA_COI_Query_Response_Russia_Treatment_of_military_deserters_by_state_authorities.pdf , Zugriff 27.7.2022
NL-MFA – Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (4.2021): Country of origin information report for the Russian Federation, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/2021/04/12/general-country-of-origin-information-report-for-the-russian-federation-april-2021/General+Country+of+Origin+Information+Report+for+the+Russian+Federation+%28April+2021%29.pdf , Zugriff 27.7.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (25.3.2022): Уголовный кодекс Российской Федерации [Strafgesetzbuch der Russischen Föderation] (Nr. 63-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody&nd=102041891 , Zugriff 20.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (31.7.2020): Федеральный закон: Об альтернативной гражданской службе [Föderales Gesetz: Über den alternativen Zivildienst] (Nr. 268-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody=&firstDoc=1&lastDoc=1&nd=102077393 , Zugriff 28.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (4.7.2020): Конституция Российской Федерации [Verfassung der Russischen Föderation], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202007040001?type=pdf , Zugriff 13.7.2022
Rostrud – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Федеральная служба по труду и занятости) [Russland] (1.8.2022): Численность граждан, проходящих альтернативную гражданскую службу (по состоянию на 01.08.2022г.) [Anzahl von Bürgern, die alternativen Zivildienst leisten], https://rostrud.gov.ru/upload/iblock/b27/chislennost-na-01.08.2022-g.doc , Zugriff 2.11.2022
Rostrud – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Федеральная служба по труду и занятости) [Russland] (o.D.): Альтернативная гражданская служба [Alternativer Zivildienst], https://rostrud.gov.ru/rostrud/deyatelnost/?CAT_ID=4580 , Zugriff 13.7.2022
Desertion/Wehrdienstverweigerung Letzte Änderung: 09.11.2022
Desertion:
Gemäß § 338 StGB (Strafgesetzbuch) bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der militärischen Einheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Militärdienst zu entgehen. Desertion wird laut § 338 mit einer Freiheitsstrafe von max. 7 Jahren geahndet. Wer zum ersten Mal desertiert ist, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge außergewöhnlicher Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie Desertion in einer Personengruppe werden mit einer Freiheitsstrafe von max. 10 Jahren geahndet (RI 25.3.2022). Am 24.9.2022 wurde § 338 StGB folgendermaßen ergänzt: Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen zieht eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren nach sich (RI 24.9.2022). In Bezug auf den Ukraine-Krieg vermeidet Russland den Begriff Krieg und spricht stattdessen von einer 'militärischen Spezialoperation' (RFE/RL 22.8.2022). Je länger eine Desertion zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint eine Bestrafung. Deserteure während des Zweiten Weltkriegs, welche sich zwischen 1962 und 1995 stellten, gingen in bestimmten Fällen straffrei aus. Hingegen wurden beispielsweise Soldaten, die 1995 bzw. 2008 desertierten, später von Gerichten gemäß § 338 StGB zu Haftstrafen von 2 bzw. 3 Jahren verurteilt. Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich. Begangen werden kann das Delikt der Desertion von Wehrdienstleistenden, Zeitsoldaten sowie von Reservisten. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des § 338 StGB dar (ÖB 17.3.2022). Gemäß § 10 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst' sind russische Staatsbürger jedoch verpflichtet, binnen 2 Wochen bei den Militärkommissariaten zu erscheinen, um sich aus der Wehrkartei streichen zu lassen, falls sie für mehr als 6 Monate aus der Russischen Föderation ausreisen, bzw. um sich nach der Einreise in die Russische Föderation registrieren zu lassen (RI 14.7.2022a). Gemäß dem Kodex über Verwaltungsübertretungen (§ 21.5) stellt die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen eine Verwaltungsübertretung dar und kann eine Verwarnung oder Geldstrafe von RUB 500 bis 3.000 [ca. EUR 9 bis 53] nach sich ziehen (RI 28.5.2022). Laut dem föderalen Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' (§ 15) kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger vorübergehend eingeschränkt werden, falls sie zum Militär- oder Zivildienst einberufen wurden (bis zur Beendigung des Militär- oder Zivildienstes) (RI 14.7.2022b).
Bei einberufenen Reservisten ist Folgendes zu unterscheiden: Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß § 338 StGB vor (ÖB 17.3.2022).
Wehrdienstverweigerung:
Die Verweigerung der Einberufung zum Militärdienst zieht folgende Strafen nach sich (§ 328 StGB): Geldstrafen von max. RUB 200.000 [ca. EUR 3.431] oder in der Höhe von max. 18 Monatseinkommen oder max. zweijährige Zwangsarbeit oder Arrest von max. 6 Monaten oder Freiheitsentzug von max. 2 Jahren (RI 25.3.2022). § 337 StGB sieht u.a. Folgendes vor: Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. 10 Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von max. fünf Jahren bestraft. Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von 5-10 Jahren bestraft. Wer die Tat zum ersten Mal beging, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge außergewöhnlicher Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten gemäß diesem Paragrafen verantwortlich (RI 24.9.2022). Gemäß § 339 StGB wird die Verweigerung des Militärdiensts durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung oder Fälschung von Dokumenten usw.) folgendermaßen geahndet: Militärdienstbeschränkung von max. 1 Jahr oder Arrest von max. 6 Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von max. 1 Jahr. Dieselbe Tat (mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von max. 7 Jahren nach sich (RI 25.3.2022). Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von 5-10 Jahren nach sich (RI 24.9.2022). Gemäß § 51 des Strafgesetzbuches bedeutet Militärdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen (RI 25.3.2022). Wer während des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von 2-3 Jahren bestraft (§ 332 StGB). Wenn diese Taten mit schwerwiegenden Folgen verbunden waren, zieht dies eine Freiheitsstrafe von 3-10 Jahren nach sich (RI 24.9.2022).
Personen, die Militärdienst leisten, können keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen (Connection 24.3.2022). Gemäß russischen Menschenrechtsanwälten und Aktivisten lehnen es einige russische Truppen ab, an die Front in der Ukraine zurückzukehren (BBC 3.6.2022). Mehr als 100 Mitglieder der Nationalgarde wurden entlassen, da sie sich weigerten, in der Ukraine zu kämpfen (Guardian 27.5.2022). Die genaue Anzahl von Soldaten, welche den Kampf in der Ukraine verweigern, ist unklar (Connection 2.10.2022). Die Regierung veröffentlicht keine Zahlen (AA 28.9.2022).
Neu eingeführt wurde ins Strafgesetzbuch am 24.9.2022 ein Paragraf mit dem Titel 'Sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben' (RG 24.9.2022). Gemäß diesem neu eingeführten § 352 wird mit Freiheitsentzug von 3-10 Jahren bestraft, wer sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begibt. Wer diese Tat zum ersten Mal beging, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn der Täter Maßnahmen für seine Befreiung ergriff, wenn er zu seiner Truppe oder Dienstort zurückkehrte und wenn er während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten beging (RI 24.9.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 6.10.2022
BBC – British Broadcasting Corporation (3.6.2022): The Russian soldiers refusing to fight in Ukraine, https://www.bbc.com/news/world-europe-61607184 , Zugriff 27.6.2022
Connection e.V. / Rudi Friedrich (2.10.2022): Flucht vor der Beteiligung am Krieg – Zahlen zu Russland, Belarus und Ukraine, https://de.connection-ev.org/article-3608 , Zugriff 19.10.2022
Connection e.V. (24.3.2022): Kriegsdienstverweigerung und Desertion in Belarus, Russische Föderation und Ukraine, https://de.connection-ev.org/article-3516 , Zugriff 28.7.2022
Guardian (27.5.2022): 115 Russian national guard soldiers sacked for refusing to fight in Ukraine, https://www.theguardian.com/world/2022/may/27/115-russian-national-guard-soldiers-sacked-for-refusing-to-fight-in-ukraine , Zugriff 27.7.2022
Guardian (12.5.2022): ‘They were furious’: the Russian soldiers refusing to fight in Ukraine, https://www.theguardian.com/world/2022/may/12/they-were-furious-the-russian-soldiers-refusing-to-fight-in-ukraine , Zugriff 27.7.2022
Kremlin.ru [Russland] (14.7.2022): Федеральный закон от 26.02.1997 г. № 31-ФЗ 'О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации' [Föderales Gesetz vom 26.02.1997, № 31-ФЗ, Über die Vorbereitung auf die Mobilmachung und über die Mobilmachung in der Russischen Föderation] (in der Fassung vom 14.07.2022 № 336-ФЗ), http://kremlin.ru/acts/bank/10602 , Zugriff 22.9.2022
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 13.7.2022
RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (22.8.2022): Russia's Wording On Ukraine Invasion Limits Its Coercive Powers, Says British Intelligence, https://www.rferl.org/a/russia-recruiting-soldiers-ukraine-invasion/31999227.html , Zugriff 26.8.2022
RG – Rossijskaja Gaseta (Российская газета) [Russland] (24.9.2022): Путин подписал пакет поправок в УК о военной службе [Putin unterzeichnete ein Paket an Änderungen des StGB zum Thema Militärdienst], https://rg.ru/2022/09/24/putin-podpisal-paket-popravok-v-uk-o-voennoj-sluzhbe.html , Zugriff 30.9.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (24.9.2022): Федеральный закон от 24.09.2022 № 365-ФЗ 'О внесении изменений в Уголовный кодекс Российской Федерации и статью 151 Уголовно-процессуального кодекса Российской Федерации' [Föderales Gesetz vom 24.09.2022, № 365-ФЗ, 'Über Änderungen des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation und Änderungen des § 151 Strafprozessordnung der Russischen Föderation'], http://publication.pravo.gov.ru/Document/View/0001202209240002 , Zugriff 30.9.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (14.7.2022a): ФЕДЕРАЛЬНЫЙ ЗАКОН 'О воинской обязанности и военной службе' [Föderales Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst'] (Nr. 278-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody=&nd=102052265 , Zugriff 26.8.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (14.7.2022b): ФЕДЕРАЛЬНЫЙ ЗАКОН 'О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию' [Föderales Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation'] (Nr. 357-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody&nd=102043016 , Zugriff 29.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (28.5.2022): Кодекс Российской Федерации об административных правонарушениях [Kodex der Russischen Föderation über Verwaltungsübertretungen] (Nr. 141-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody&nd=102074277 , Zugriff 20.7.2022
RI – Rechtsinformationen (Официальный интернет-портал правовой информации) [Russland] (25.3.2022): Уголовный кодекс Российской Федерации [Strafgesetzbuch der Russischen Föderation] (Nr. 63-ФЗ), http://pravo.gov.ru/proxy/ips/?docbody&nd=102041891 , Zugriff 20.7.2022
Standard, Der (22.9.2022): EU-Minister wollen weitere Sanktionen gegen Russland ausarbeiten, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000139300207/eu-minister-einigen-sich-auf-verschaerfung-der-russland-sanktionenatomenergiebehoerde-fuehrt?responsive=false , Zugriff 22.9.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 02.03.2022
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
- Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlungen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2022). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff 12.3.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
AI – Amnesty International (16.4.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff 12.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 12.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 3.2.2022
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
Tschetschenien Letzte Änderung 02.03.2022
NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).
Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BAMF 11.2019).
2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Sexuelle Minderheiten] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Im März 2018 entschied das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, kein Strafverfahren in der Sache zu eröffnen. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht. Im März 2021 publizierte die Nowaja Gazeta die Aussagen eines tschetschenischen Polizisten, welcher Augenzeuge der Festnahmen und außergerichtlichen Tötungen war (ÖB Moskau 6.2021).
Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Schikanen, Strafverfahren und körperliche Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger werden weiterhin begangen (AI 7.4.2021). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020).
Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 12.3.2021
AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 11.3.2020
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 16.2.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, LGBTI in Tschetschenien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/684671/685623/685628/6029277/21602088/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_L%C3%A4nderreport_21_%2D_Russische_F%C3%B6deration_%28Stand_November_2019%29%2C__November_2019.pdf?nodeid=21601757&vernum=-2 , Zugriff 12.3.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 12.3.2021
HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff 11.3.2020
Moscow Times (7.2.2020): Prominent Russian Journalist, Lawyer Attacked in Chechnya, https://www.themoscowtimes.com/2020/02/07/prominent-russian-journalist-lawyer-attacked-in-chechnya-a69199 , Zugriff 26.3.2020
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf#page=25&zoom=auto ,-259,684, Zugriff 12.3.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 30.9.2021
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet Letzte Änderung: 21.04.2022
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 2.2.2021). Am 1. April 2020 wurde ein Gesetz aus dem Jahr 2019 geändert, das ’Falschinformationen’ unter Strafe stellt. Die neuen Bestimmungen verbieten es, „wissentlich Falschinformationen über Ereignisse zu verbreiten, die eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung darstellen, und/oder über Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Bevölkerung“. Einzelpersonen drohen bis zu fünf Jahre Haft, wenn die Verbreitung der Information zu einer Körperverletzung oder zum Tod eines Menschen führt, für Medien sind hohe Geldstrafen vorgesehen. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurden Hunderte Menschen in Verwaltungsverfahren zu Geldstrafen verurteilt, und gegen 50 mindestens 37 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet. Bei den Betroffenen handelte es sich zumeist um zivilgesellschaftliche Aktivisten, Journalisten und Blogger. Gegen mindestens fünf Medienunternehmen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Zeitung Nowaja Gazeta und ihr Chefredakteur wurden im August und im September 2020 wegen Berichten über COVID-19 zu Geldstrafen verurteilt und angewiesen, die entsprechenden Artikel im Internet zu löschen (AI 7.4.2021). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Auch die ’Bedrohung der nationalen Sicherheit’ dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes ’liken’ oder ’retweeten’ eines Beitrags, den die Behörden als ’extremistisch’ einstufen, kann zu Strafen führen (AA 2.2.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim. Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter dieser Anti-ExtremismusGesetzgebung verurteilt (ÖB Moskau 6.2021). Das oben erwähnte Gesetz zur ’Verbreitung von Falschnachrichten’ sanktioniert die Verbreitung von ’fake news’, die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von ’fake news’ zur Pandemie strafbar (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Verbreitung von Falschinformationen über Covid-19 eingeleitet (HRW 13.1.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quarantäneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). 2021 traten neue Gesetzesänderungen in Kraft, die die freie Meinungsäußerung weiter einschränken. Eine Änderung könnte es den Behörden ermöglichen, ein Verfahren wegen Beleidigung ohne einen Kläger und ein Opfer einzuleiten. Durch andere Änderungen wurde die Definition des Straftatbestands der Verleumdung erweitert und eine Freiheitsstrafe als mögliche Strafe eingeführt (HRW 13.1.2022). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2022, FH 14.10.2020). Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat Ende Februar 2022 verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Krieg“ zu nutzen (ZO 26.2.2022). Die staatlichen Zensoren bestehen auf dem Euphemismus einer „militärischen Spezialoperation“ (BR 8.3.2022). Werden die verbotenen Worte dennoch benutzt, drohen den Medien die Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder hohe Geldstrafen (Tagesspiegel 3.3.2022). Bei der Verbreitung von „fake news“ über die russischen Streitkräfte und allen, die öffentlich die Armee „verunglimpfen“ drohen bis zu 15 Jahre Haft (BR 8.3.2022). Tausende Demonstranten, die sich gegen den Krieg in der Ukraine positionierten, wurden verhaftet, zum 51 Teil nur deshalb, weil sie leere Schilder oder Schilder mit der wortwörtlichen Aufschrift „Zwei Wörter“ gehalten haben (T-Online 15.3.2022). Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle. Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Mittlerweile wurden Doschd und Echo Moskwy gesperrt (ZO 1.3.2022), die Nowaja Gazeta hat beschlossen bis Kriegsende weder online, noch auf Papier Texte zu veröffentlichen (BR 28.3.2022). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 6.2021). Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 3.3.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 6.2021). Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 6.2021). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.1.2021). Dieses Gesetz trat 2021 in Kraft (HRW 13.1.2022). Facebook und Instagram sind mittlerweile in Russland gesperrt. Russische Behörden haben die Facebook-Mutter Meta als „extremistische Organisation“ bezeichnet, nachdem diese in neuen Richtlinien Drohungen gegen Präsident Putin und Russland unter bestimmten Umständen zugelassen hat (Standard.at 15.3.2022). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020). 2021 trat ein weiteres Gesetz in Kraft, das Strafen für Hersteller vorsieht, die auf den in Russland verkauften Geräten keine bestimmte russische Software vorinstallieren. Auch verpflichten neue Bestimmungen beliebte ausländische Webseiten und Apps, Vertretungen in Russland zu eröffnen. Zu den Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vorschriften gehören Geldstrafen, Werbeverbote und Sperrungen. Die Behörden verhängen weiterhin hohe Geldstrafen gegen Social-Media-Plattformen wegen Nichteinhaltung der Vorschriften. Auch verlangten die 52 russischen Behörden 2021, dass YouTube Kanäle sperrt, die mit Nawalny-Gruppen verbunden sind, die als ’extremistisch’ eingestuft wurden. Im August 2021 forderten sie Apple und Google auf, Nawalnys App aus ihren Stores zu entfernen. Die Unternehmen kamen der Aufforderung schließlich nach, aber Google stellte die App im Oktober wieder ein (HRW 13.1.2022). Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals ’extremistischen Inhalt’ veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Die Gesetze zu ’ausländischen Agenten’ und ’unerwünschten Organisationen’ wurden dazu genutzt, unabhängige NGOs zu verleumden, ihnen die Finanzmittel zu entziehen und ihre Mitglieder streng zu bestrafen. Nach weiteren drakonischen Gesetzesänderungen, die im Dezember 2020 in Kraft traten, können jetzt auch Mitarbeiter von NGOs, nicht registrierte Gruppen und Einzelpersonen als ’ausländische Agenten’ eingestuft werden (AI 7.4.2021). In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 1.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadsor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 3.3.2021). In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten ’digitalen Raubtiere’ der Pressefreiheit im Jahr 2020 - ’Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten’. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.3.2020).
Quellen: • AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtige s_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russisc hen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.3.2021 • AI - Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 14.2.2022 53 • BR - Bayrischer Rundfunk (28.3.2022): Russland: „Nowaja Gaseta“ erscheint bis Kriegsende nicht mehr, https://www.br.de/nachrichten/kultur/oppositionsblatt-nowaja-gaseta-stellt-erscheinen-vorl aeufig-ein,T1NPxjv , Zugriff 20.4.2022 • BR - Bayrischer Rundfunk (8.3.2022): Wie russische Medien (nicht) über den Krieg berichten, https://www.br.de/kultur/wie-berichten-medien-in-russland-ueber-den-ukraine-krieg-100.html , Zugriff 20.4.2022 • FH - Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 24.3.2021 • FH - Freedom House (14.10.2020): Bericht zur Freiheit digitaler Medien und des Internet (Berichtszeitraum Juni 2019 - Mai 2020) - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2039111.html , Zugriff 24.3.2021 • GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.3.2021 • HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 4.2.2021 • HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff 24.3.2021 • ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021 • RoG - Reporter ohne Grenzen (12.3.2020): RSF unveils 20/2020 list of press freedom’s digital predators, https://rsf.org/en/news/rsf-unveils-202020-list-press-freedoms-digital-predators , Zugriff 24.3.2021 • RoG - Reporter ohne Grenzen (2020): 2020 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranki ng_table , Zugriff 24.3.2021 • Standard.at (15.3.2022): Instagram offline: Russische Influencer weinen vor der Kamera, https: //www.derstandard.at/story/2000134119695/instagram-offline-russische-influencer-weinen-vor-d er-kamera , Zugriff 20.4.2022 • Tagesspiegel (3.3.2022): Das verbotene Wort, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/ zensur-in-russland-das-verbotene-wort/28128200.html , Zugriff 20.4.2022 • T-Online (15.3.2022): Mit dieser Polizei-Reaktion hat die Putin-Unterstützerin nicht gerechnet, https://www.t-online.de/tv/nachrichten/panorama/id_91833654/mit-dieser-polizei-reaktion-hat-dieputin-unterstuetzerin-nicht-gerechnet.html , Zugriff 20.4.2022 • ZO - Zeit Online (1.3.2022):Russlands Behörden sperren zwei unabhängige Medien, https://www. zeit.de/politik/ausland/2022-03/russland-medien-doschd-echo-moskwy , Zugriff 20.4.2022 • ZO - Zeit Online (26.2.2022): Russlands Medienaufsicht verbietet Begriffe wie „Invasion“, https: //www.zeit.de/politik/ausland/2022-02/russland-medienaufsicht-verbot-begriffe-ukraine , Zugriff 20.4.2022
Religionsfreiheit Letzte Änderung: 02.03.2022
Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 2.2.2021). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als „traditionelle Religionen“ de facto eine herausgehobene Stellung (AA 2.2.2021), die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die ROK arbeitet bei bestimmten Themen eng mit der Regierung zusammen (FH 3.3.2021). Rund 68% identifizieren sich als russisch-orthodoxe Christen, 7% als Muslime, und 25% gehören religiösen Minderheiten an, darunter Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Juden und Baha'i (USCIRF 4.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben zwischen 14 und 20 Millionen Muslime (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021c).
Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die „Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens“ sowie die „Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus“ vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) – zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen –, das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 1.2021c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 1.2021c; vgl. USCIRF 4.2020). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten „traditionellen“ Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, welche die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996, ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002 und neuere Gesetze über Gotteslästerung, wie beispielsweise 'Schüren von religiösem Hass' und 'Missionstätigkeit'. Diese vagen Gesetze geben den russischen Behörden weitreichende Befugnisse, religiöse Reden oder Aktivitäten zu definieren und zu verfolgen oder religiöse Literatur zu verbieten, die sie für schädlich halten. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 4.2020).
Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer „religiösen Renaissance“ bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein 'kanonisches Territorium' verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 1.2021c).
Seit einer Änderung des Anti-Extremismus-Gesetzes im Jahr 2007 gerieten bestimmte religiöse Gruppen ins Visier der russischen Behörden, vor allem die Zeugen Jehovas und islamische Gruppierungen wie Hizb ut-Tahrir, aber auch Falun Gong, Scientology, und andere. Im Zuge einer Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Jahr 2016 wurden die Auflagen für Missionarstätigkeiten neu geregelt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. USCIRF 4.2020). Das Anti-Extremismus-Gesetz wird auch genutzt, um Muslime - insbesondere Anhänger der islamischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat und Leser des türkischen Theologen Said Nursi - wegen friedlicher religiöser Aktivitäten zu verfolgen (USCIRF 4.2020). Auch andere nicht-traditionelle religiöse Gruppen kamen in letzten Jahren unter Druck, wie beispielsweise Adventisten, Baptisten, die Pfingstbewegung und die Heilsarmee (ÖB Moskau 6.2021).
Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Die Verfolgung der Zeugen Jehovas unter dem Vorwurf des Extremismus nahm in den letzten Jahren zu, was sich an einer steigenden Zahl von Verurteilungen und längeren Haftstrafen zeigt (AI 7.4.2021). Die Polizei führt weiterhin Hausdurchsuchungen durch und eröffnet neue Strafverfahren gegen Zeugen Jehovas. Zu den Verurteilten und Angeklagten gehören auch Personen auf der von Russland besetzten Krim (HRW 13.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 5.3.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048614.html , Zugriff 4.2.2022
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 5.3.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2021 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066475.html , Zugriff 4.2.2022
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff 1.10.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 5.3.2021
Tschetschenien Letzte Änderung 16.11.2021
Die tschetschenische Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weitverbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).
In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch (USCIRF 4.2019; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Dieser soll moderat, aber streng kontrolliert sein. Salafismus und Wahhabismus duldet er nicht (USCIRF 4.2019). Die Autorität der Kadyrow-Regierung beruht auf der Wirkungskraft einer spezifischen islamischen Ideologie, die als Gegenentwurf zu den Lehren des Wahhabismus bzw. Salafismus konzipiert ist und die Gesellschaft gegen den Einfluss erstarkender fundamentalistischer Kräfte stabilisieren soll (Russland Analysen 21.9.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut glaubhaften Aussagen von lokalen NGOs einher mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert werden soll (AA 2.2.2021). Die strafrechtliche Verfolgung dieser Art von Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. USCIRF 4.2020). Auch Verwandte, Freunde und Bekannte können ins Visier der Behörden geraten (ÖB Moskau 6.2021). Belästigungen von Muslimen bei Gottesdiensten kommen vor, ebenso wie Entführungen zur 'Kontrolle der religiösen Überzeugungen'. Dies dient der Einschüchterung der Bevölkerung (USCIRF 4.2020).
Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden (USCIRF 4.2019). Polygamie kam schon in der Sowjetunion vor, allerdings nur heimlich. Nun wird sie durch die Scharia legitimiert (Welt.de 14.2.2017). Polygamie ist zwar offiziell nicht zulässig, aber durch die Parallelität von staatlich anerkannter und inoffizieller islamischer Ehe faktisch möglich (AA 2.2.2021). Die Religion verdrängt die alten Werte der traditionellen Dorfgemeinde. Der Islam wird dabei in unterschiedlichsten Formen gelebt und dient oft den Männern dazu, ihre Frauen zu unterdrücken (Welt.de 14.2.2017).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 9.3.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Russland Analysen (21.9.2018): Der Islam als multifunktionaler Stabilitätsregulator des tschetschenischen Sozialgefüges – ein theoretisches Modell zur Wirkungsweise der Religion in Tschetschenien, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/359/der-islam-als-multifunktionaler-stabilitaetsregulator-des-tschetschenischen-sozialgefueges-ein-theoretisches-modell-zur/ , Zugriff 9.3.2021
USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2019): 2018 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008198/Tier1_RUSSIA_2019.pdf , Zugriff 20.3.2020
USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): 2019 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff 9.3.2021
Welt.de (14.2.2017): Immer ein echter Mann zu sein – das ist eine Last, https://www.welt.de/politik/ausland/article161562501/Immer-ein-echter-Mann-zu-sein-das-ist-eine-Last.html , Zugriff 20.3.2020
Ethnische Minderheiten
Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als 160 Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind Tataren (4,0%), Ukrainer (2,2%), Armenier (1,9%), Tschuwaschen (1,5%), Baschkiren (1,4%), Tschetschenen (0,9%), Deutsche (0,8%), Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Udmurten (0,4%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nicht-russischen und russischen Bevölkerungsteilen durch interethnische Ehen und Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. Die Sprachen der kleinen indigenen Völker stehen unter gesetzlichem Schutz (GIZ 1.2021c). Minderheiten sind in der Regel politisch und gesellschaftlich gut integriert (AA 2.2.2021).
Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem (AA 21.5.2018). Trotzdem werden Rechte von Minderheiten nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert (ÖB Moskau 6.2021). Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). „Racial profiling“ ist bei den Behörden verbreitet. Minderheiten ohne anerkannten Rechtsstatus wie z.B. Sinti und Roma sind immer wieder Opfer von Diskriminierungen auch durch staatliche Organe (AA 2.2.2021). Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden daher verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank auch die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist ebenfalls die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen wie etwa die Organisation BORN (ÖB Moskau 6.2021). Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Die meisten Vorfälle gab es wie in den Vorjahren in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, welcher im Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats stellte in ihrem Bericht vom März 2019 betreffend die Situation in der Russischen Föderation fest, dass die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren gesunken ist und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen stark zurückgegangen sind. In der Statistik des Sova-Center zu rassistischen und Neo-Nazi-Übergriffen in Russland sind für das Jahr 2019 Angriffe auf 48 Personen erfasst, von denen 6 getötet wurden. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, der Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung), der von den Behörden zum Teil überschießend angewandt worden war (z.B. für Likes und Re-Posts auf sozialen Medien), abgeschwächt wurde. Seither ist die Zahl der Verurteilungen wegen „Anstiftung von Hass“ deutlich zurückgegangen. Die Zahlen von strafrechtlicher Verfolgung wegen „Aufruf zu und Rechtfertigung von Terrorismus“ und wegen „Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation“ sind gestiegen (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434107/4598_1528119149_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-april-2018-21-05-2018.pdf , Zugriff 11.3.2020
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 23.2.2021
BTI – Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff 17.2.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff 5.3.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Bewegungsfreiheit: 29.08.2022
In der Russischen Föderation herrscht laut gesetzlichen Vorgaben Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. In einigen Fällen schränken die Behörden diese Rechte ein. Verschuldeten Personen kann die Ausreise verweigert werden. Auch Millionen Regierungsbedienstete sind von Ausreisebeschränkungen betroffen, darunter Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft, des Innen- und des Verteidigungsministeriums (USDOS 12.4.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 21.5.2021). Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, wonach Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 21.5.2021). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung vor allem bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 28.2.2022). Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile der Russischen Föderation reisen (AA 21.5.2021). Tschetschenen steht, genauso 87 wie allen russischen Staatsbürgern, das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Aufenthalt in der Russischen Föderation zu (AA 21.5.2021; vgl. ÖB 30.6.2021, RI 4.7.2020). Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen. 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 21.5.2021). Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021). Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine setzte die EU Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie für andere russische Beamte und Geschäftsleute aus (Europäischer Rat 16.8.2022). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Mehrere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).
Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation und Westeuropas Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Bevölkerung in Tschetschenien ist inzwischen laut offiziellen Zahlen auf 1,5 Millionen angewachsen. Gemäß Aussagen des Republiksoberhaupts Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2021). Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie zogen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation (EASO 8.2018). Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens, z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen), in der Region Rostow (über 11.000 Personen), in der Region Stawropol (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 93.000 Personen), in der Region Wolgograd (knapp 10.000 Personen) und in der Region Astrachan (über 7.000 Personen) (EASO 8.2018; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung die ethnische Zugehörigkeit nicht angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Region Wolgograd um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in Tschetschenien in die Stadt, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten „Wajnach-Kongress“ (eine Organisation, die oft auch als 'tschetschenische Diaspora' bezeichnet wird) veranstaltet werden, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Anzahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel Bewegungsfreiheit, bzw. Meldewesen] (EASO 8.2018). In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen (Telegraph 24.2.2016; vgl. EASO 8.2018). Diese kleinen Büros versuchen auch, den Handel zwischen den Regionen zu fördern. In ganz Russland gibt es ein Netz von 50 dieser offiziellen Vertretungen der tschetschenischen Republik. Obwohl es den Büros prinzipiell möglich wäre, Informationen zu einer bestimmten Person nach Grosny weiterzuleiten, können diese Vertretungen nicht als Knotenpunkt für das Sammeln von Informationen angesehen werden. Sie tätigen auch sonst keine weiteren, direkteren Aktionen. Obwohl die tschetschenischen Gemeinden in Russland Kadyrow teilweise behilflich bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker sind, scheint es keine Beweise zu geben, dass sie Informationen weitergeben (Galeotti 2019).
Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben. Dies gilt für alle Einwohner des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es für die Behörden möglich, diesen aufzufinden und zurück in den Nordkaukasus zu bringen. Dies gilt nach Einschätzung von Experten aber auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist (ÖB Moskau 6.2021). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen (AA 2.2.2021). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Wege zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall auch schlüssig begründet sein muss (DIS 1.2015). Trotz der Rolle nationaler Datenbanken und Registrierungsgesetze, die eine Rückverfolgung von Personen ermöglichen, besteht für betroffene Personen ein gewisser Spielraum, Anonymität und Sicherheit in Russland zu finden, allerdings abhängig von den spezifischen Umständen. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Die föderalen Sicherheitsbehörden machen einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt wurden, und von jenen, welchen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Tschetschene, der von Tschetschenien aus verfolgt wird, anderswo in Russland aktiv misshandelt wird, wenn nicht bereits ein Gerichtsurteil ergangen ist oder andere Behörden - im Wesentlichen der Inlandsgeheimdienst FSB, Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungskommission - davon überzeugt sind, dass ein substanzielles politisches Fehlverhalten oder ein Fall von organisierter Kriminalität vorliegt (Galeotti 2019). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich aber häufig auch in russischen Großstädten vor Ramsan Kadyrow nicht sicher (AA 2.2.2021), da bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, auch in Moskau präsent sind (AA 2.2.2021; vgl. EASO 8.2018, New York Times 17.8.2017). Wie viele bewaffnete tschetschenische Kräfte es in Moskau gibt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon, dass Kadyrow tausend, wenn nicht sogar Tausende Loyalisten aufbringen kann, die fähig und bereit sind, gegen das Gesetz zu handeln. Dies scheint jedoch höchst fragwürdig. Es gibt auch weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind und berechtigt sind, in Moskau zu operieren (Galeotti 2019).
Relative Anonymität und Sicherheit bieten russische Städte, die groß genug sind, um als Neuankömmling nicht aufzufallen, und die weniger stark polizeilich überwacht sind als beispielsweise Moskau und St. Petersburg. Moskau und St. Petersburg sind insofern 'gefährlicher', als sie tendenziell dichter kontrolliert werden, ihre Kommunikationsinfrastruktur moderner ist und die Behörden wachsamer sind. Viel schwieriger ist es, sich in Moskau versteckt zu halten, da hier zum Beispiel viele Dokumentenkontrollen durchgeführt werden, routinemäßig bei Benutzung der U-Bahn die Registrierungen von Mobiltelefonen überprüft und neue Gesichtserkennungssysteme erprobt werden, die mit Straßenkameras verbunden sind. In geringerem Maße gilt vieles davon auch für St. Petersburg (Galeotti 2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 6.4.2021
Al Jazeera (28.11.2017): Is Chechnya's Kadyrov really 'dreaming' of quitting?, https://www.aljazeera.com/opinions/2017/11/28/is-chechnyas-kadyrov-really-dreaming-of-quitting , Zugriff 6.4.2021
EASO – European Asylum Support Office [EU] (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 6.4.2021
Galeotti, Mark (2019): License to kill? The risk to Chechens inside Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012286/Galeotti-Mayak-RUF-2019-06-License+to+Kill+-+Chechens+in+the+RF+2019.pdf , Zugriff 6.4.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 6.4.2021
New York Times (17.8.2017): Is Chechnya Taking Over Russia?, https://www.nytimes.com/2017/08/17/opinion/chechnya-ramzan-kadyrov-russia.html?ref=opinion , Zugriff 6.4.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 1.10.2021
Telegraph (24.2.2016): Ramzan Kadyrov: Putin's 'sniper' in Chechnya, http://s.telegraph.co.uk/graphics/projects/Putin-Ramzan-Kadyrov-Boris-Nemtsov-Chechnya-opposition-Kremlin/index.html, Zugriff 6.4.2021
Grundversorgung und Wirtschaft:
13.09.2022
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu verschärften Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten in der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl und raffinierte Erdölerzeugnisse (Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022). Die wirtschaftliche Entwicklung ist durch die Sanktionen des Westens beeinträchtigt (WIIW o.D.). Die Sanktionen haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau.de 2.8.2022). Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Diensts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 % gesunken (Reuters 12.8.2022; vgl. FAZ 28.7.2022). Die Inflation betrug im August 2022 15 % (Interfax 10.8.2022). Der Rubel wurde durch Maßnahmen der Zentralbank (Erhöhung der Zinssätze usw.) stabilisiert (FT 19.8.2022; vgl. WIIW o.D.). Der Finanzsektor wird von staatlich kontrollierten Banken beherrscht (HF o.D.). Korruption ist weit verbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im Juni 2022 3,9 % (Rosstat o.D.; vgl. Tass 27.7.2022). Russland zählt zu den weltweit größten Weizenexporteuren (WZ 9.6.2022). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Exporte von Öl und Gas machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus (WKO 4.2022). Im Jahr 2022 ist der Ölpreis infolge der russischen Invasion in der Ukraine stark gestiegen (HB 7.7.2022). Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren und Agrarprodukte (WKO 4.2022). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022). Die meisten Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-Pandemie sind Ende 2020 ausgelaufen (WKO 25.7.2022). Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren (ÖB 30.6.2021). Grundversorgung: Die Anzahl derjenigen Russen, welche in Armut leben, stieg gemäß der russischen Regierung zwischen dem vierten Quartal 2021 und dem ersten Quartal 2022 um 8,5 Millionen (ERev 3.7.2022). Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Russen unter der Armutsgrenze 11 % (Rosstat 27.4.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (v. a. Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a). Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NP o.D.). Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 21.5.2021). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 7.2022). Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 7.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (Ria.ru 27.6.2022). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 21.5.2021). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 15.172 [ca. EUR 251], für Kinder RUB 13.501 [ca. EUR 223] und für Pensionisten RUB 11.970 [ca. EUR 198] (Rosstat 22.6.2022). Der Mindestlohn beträgt seit 1.6.2022 RUB 15.279 [ca. EUR 251] und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 386] (Ria.ru 27.6.2022). Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen (AA 21.5.2021). Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit mehreren Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung wird vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20 % für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen verstärkt (AA 21.5.2021)
Nordkaukasus: 13.09.2022
Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Im Vergleich zu den meisten anderen Regionen Russlands weist der Nordkaukasus eine hohe Armutsrate (BP 3.9.2021) und eine sehr hohe Arbeitslosigkeit auf (ÖB 30.6.2021). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). Bei einer Sitzung der Regierungskommission zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 wurde ausgeführt, dass in etwa die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung der Region im informellen Sektor beschäftigt ist (Government.ru 15.6.2021). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022). Im Jahr 2020 zählten Dagestan, Tschetschenien sowie andere nordkaukasische Regionen zu denjenigen russischen Regionen mit dem niedrigsten Bruttoregionalprodukt (Statista 3.2022). Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021). Dennoch ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 21.5.2021). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022). Die Reallöhne der tschetschenischen Bevölkerung sind im Jahr 2021 um beinahe 5 % gesunken. Am besten bezahlt werden Beamte und Mitarbeiter im Finanzbereich (KR 29.8.2022). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 14.565 [ca. EUR 241], für Kinder RUB 12.962 [ca. EUR 214] und für Pensionisten RUB 11.492 [ca. EUR 190] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Dagestan zählt zu den von Armut betroffenen Regionen in Russland (Standard 21.5.2022). Es herrscht Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung (FPRI 15.6.2022). Die Preise für Lebensmittel steigen (KR 29.8.2022). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Dagestan für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 13.806 [ca. EUR 228], für Kinder RUB 12.649 [ca. EUR 209] und für Pensionisten RUB 10.893 [ca. EUR 180] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 14,7 % der Bevölkerung in Dagestan unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Dagestan wird in beträchtlichem Ausmaß subventioniert (FPRI 15.6.2022; vgl. MT 13.7.2022).
Sozialbeihilfen Letzte Änderung 16.11.2021
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
Familien mit geringem Einkommen;
Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).
Behinderung
Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2020). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021). Die Höhe der monatlichen Invaliditätspension ist abhängig vom Invaliditätsgrad. Es gibt staatliche Einrichtungen für ältere und behinderte Menschen (Erwachsene und Kinder), innerhalb derer sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten. Die staatlichen Sozialzentren und Unterkünfte des Ministeriums für Arbeit und Sozialen Schutz gibt es für Erwachsene und für Kinder (ÖB Moskau 6.2021).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitslosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 18.2.2021
IOM – International Organisation for Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
RBTH – Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 18.3.2020
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Russland Analysen/ Hornke, Theresa (21.2.2020b): Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff 4.2.2020
Medizinische Versorgung Letzte Änderung 16.11.2021
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2021). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2021). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2020). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt. Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden (ÖB Moskau 6.2021).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Vorsorge, Diagnose und ambulante sowie stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vgl. AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2021).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken geleistet wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem „zuständigen“ Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem „zuständigen“ Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2021).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2021). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Auch Leistungen, die vom Staat für eine bestimmte Personengruppe, wie z.B. Personen mit Beeinträchtigungen, bestimmt wurden, sind gedeckt. Eine kostenfreie 24-Stunden-Versorgung steht allen Patienten im OMS-System zu (IOM 2020). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2021). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).
Durch jüngste Reformen und Gesetze erfolgte eine Minderung der Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen. Die Anzahl nicht-staatlicher Träger, wie z.B. NGOs, nimmt tendenziell zu, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen sind. So werden in einigen Regionen Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren vermehrt auch nicht-staatliche Einrichtungen in diesem Bereich (ÖB Moskau 6.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung im Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
IOM – International Organisation of Migration (2020): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/-/Russische_F%C3%B6deration_%2D_Country_Fact_Sheets_2020%2C_Deutsch.pdf?nodeid=22619450&vernum=-2 , Zugriff 14.10.2021
ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2021): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx , Zugriff 14.10.2021
Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 17.2.2021
Tschetschenien
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).
Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:
infektiöse und parasitäre Krankheiten
Tumore
endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
Krankheiten des Nervensystems
Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde
Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes
Krankheiten des Kreislaufsystems
Krankheiten des Atmungssystems
Krankheiten des Verdauungssystems
Krankheiten des Urogenitalsystems
Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett
Krankheiten der Haut und der Unterhaut
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen
Geburtsfehler und Chromosomenfehler
bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).
Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vgl. GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).
In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoïski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri-Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:
'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOII
Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Lebertransplantationen, Diabetes. Letzte Änderung 10.06.2021
Nierenerkrankungen und (Hämo-)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien behandelbar bzw. verfügbar (BMA 12506, BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 12353). Es werden in Russland auch prinzipiell Transplantationen durchgeführt, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberfunktionstests sind in der RF generell verfügbar, Lebertransplantationen sind in Moskau grundsätzlich verfügbar (AVA 14382). Krankenhäuser haben bestimmte Quoten bezüglich der Behandlungen von Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (BDA 31.3.2015).
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
International SOS via MedCOI (12.7.2019): BMA 12506
International SOS via MedCOI (8.5.2019): BMA 12353
International SOS via MedCOI (7.1.2021): AVA 14382
Rückkehr:
Letzte Änderung: 29.08.2022
Gemäß der Verfassung und gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (RI 4.7.2020; vgl. RI 14.7.2022, ÖB 4.4.2022). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente, wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2021; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2021). Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Im Allgemeinen stehen Rückkehrer, insbesondere im Nordkaukasus, vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Auch gibt es bürokratische Schwierigkeiten, beispielsweise bei der Beschaffung von Dokumenten. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2021). Nach Einschätzung eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2021). Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 21.5.2021).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf , Zugriff 24.2.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 18.3.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (1.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 17.2.2021
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation RUSSISCHE FÖDERATION zu Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis, Medikamenten- und Behandlungsverfügbarkeit 06.08.2022
1. Sind die Krankheiten Colitis ulcerosa (eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung) und primär sklerosierende Cholangitis (chronische Entzündung der Gallenwege) in der Russischen Föderation behandelbar? Ist eine Behandlung insbesondere in Jakutsk möglich?
2. Inwieweit werden die Behandlungskosten von der öffentlichen Hand übernommen? Werden die Medikamente Ursofalk 250m (Wirkstoff Ursodesoxycholsäure), Mesagran 1000 mg Beutel (Wirkstoff Mesalazin) Pantoloc 40 mg, Novalgin und Oleovit D3 Tropfen (Wirkstoff Colecalciferol = Vitamin D3) kostenlos abgegeben bzw. zu welchen Preisen sind diese verfügbar?
3. Wo in der Russischen Föderation sind die erforderlichen Medikamente oder andere als Ersatz in Betracht kommende Medikamente verfügbar? Sind diese insbesondere in Jakutsk verfügbar?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Aufgrund der medizinisch-spezifischen Art der Fragestellung wurde diese an MedCOI zur Recherche übermittelt. Informationen zu MedCOI finden sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at
Zusammenfassung:
Antworten in Bezug auf die Verfügbarkeit (und auch die damit verbundene Zugänglichkeit) bestimmter Behandlungen/Medikamente für einen Einzelfall mit einer bestimmten Diagnose werden von lokalen Anbietern von MedCOI (z. B. lokalen Experten/Ärzte) zur Verfügung gestellt. Ob ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Behandlung verfügbar ist oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Folgen der COVID-19-Pandemie. Daher werden seit Ausbruch der Pandemie alle individuellen Antworten auch im Zusammenhang mit dieser Pandemie bewertet.
Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass stationäre sowie ambulante Behandlungen durch einen Gastroenterologen und einen Internisten in Jakutsk, in der Einrichtung „Respublikanskaja bolnica Nr. 1“ verfügbar sind. Hier sind noch (Doppler) Ultraschall/Sonographie, endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie, Magnetresonanztomographie, Laboruntersuchungen der Leberfunktion, Laboruntersuchung/Monitoring des vollständigen Blutbildes, Computertomographie (CT-Scan) und Koloskopie (Darmspiegelung) verfügbar (AVA 15859).
Und auch alle angefragten Wirkstoffe sind in Jakutsk, in der Apotheke „Zelenaya Apteka“, verfügbar (AVA15859).
Die Kosten für die Wirkstoffe bzw. Behandlungen/Konsultationen von Fachärzten/Laboruntersuchungen etc. entnehmen Sie bitte dem PDF ACC 7666.
Einzelquellen:
Analyse [Medizinische Expertise] der MedCOI-Ärzte:
Für die zwei Diagnosen "die chronische Entzündung der Gallenwege (primär sklerosierende Cholangitis)" und "chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa)" verweist MedCOI auf die folgenden Links:
https://www.journal-of-hepatology.eu/article/S0168-8278(20)30160-4/fulltext : for this indication Primary sclerosing cholangitis; ursodeox, provided but limited effect and for obeticholic acid; still under study https://www.farmacotherapeutischkompas.nl/bladeren/indicatieteksten/colitis_ulcerosa
Analyse der MedCOI-Ärzte (15.6.2022): Analyse zu AVA 15859
Die Originale folgender Anfragebeantwortungen von MedCOI werden als Anlage übermittelt bzw. liegen im Archiv der Staatendokumentation auf:
International SOS via EUAA MedCOI (15.6.2022): AVA 15859, Zugriff 5.8.2022
EUAA MedCOI (5.8.2022): Question & Answer ACC 7316, Zugriff 5.8.2022
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20. Dezember 2022
Russische Föderation/Tschetschenien, Teilmobilmachung, Wehrersatzdienst, Repressalien (Ergänzung zu elak 2022-0.847.013).
Ist die Teilmobilmachung vom 21.09.2022 für den Krieg Russland-Ukraine tatsächlich beendet und werden keine weiteren Personen zwangsweise zum Wehrdienst oder Reservedienst einberufen?
1a. Wenn nein, wer ist tatsächlich noch von der Einberufung zur Teilmobilmachung betroffen und inwieweit werden diese Kriterien tatsächlich berücksichtigt (Kriterien ua wie Alter, absolvierter Wehrdienst, gesundheitliche Einschränkungen, örtliche Einschränkungen)?
Ist die Möglichkeit des Wehrersatzdienstes weiterhin aufrecht?
Welche Repressalien haben männliche Personen zu befürchten, welche aus Europa zurückkehren? Gibt es Unterschiede, ob bereits eine Einberufung zum Wehrdienst oder Reservedienst erfolgte?
Welche Repressalien haben Personen zu fürchten, welche im Ausland gegen die Russische Föderation aufgrund des Krieges gegen die Ukraine demonstrierten oder in sozialen Medien opponierten?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden Quellen keine Informationen speziell zu Tschetschenien gefunden werden, weshalb diese an die ÖB in Moskau weitergeleitet wurde.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Moskau gibt zu dieser Fragestellung an:
In Verfolg zu Ber. Zl. Moskau-KA/KONS/1309/2022 wird ergänzt, dass die Informationen lt. Bericht im Groben auch auf Rekruten aus Tschetschenien zutreffen:
Die Rekrutierung von Soldaten aus Tschetschenien, welche in der russischen Armee in der Ukraine zum Einsatz kommen, erfolgt auf der Basis von Freiwilligenverbänden und ist auch noch nicht abgeschlossen: So liegen auf einschlägigen Webseiten Berichte vor, dass noch Anfang Dezember „Freiwillige“ aus Tschetschenien als Teil der russischen Spezialkräfte in die Ukraine entsendet wurden.
Inwieweit bei diesen Rekrutierungen stets Freiwilligkeit im Spiel ist, sei dahingestellt: Es liegen Berichte vor, wonach die tschetschenische Militärkommandantur es insbesondere Beschäftigungslosen nahelegte, in den Wehrdienst einzutreten. Sollten diese dem Aufruf nicht folgen, so drohen drakonische Kürzungen für Sozialleistungen für die gesamte Familie.
Aufgrund der Gefahr einer (unfreiwilligen) Einberufung zum Militärdienst ist die Zahl der Auswanderungen von Wehrpflichtigen aus Tschetschenien signifikant höher, als in anderen Regionen Russlands.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (16.12.2022): Auskunft der Konsularabteilung per email
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13. Dezember 2022
Russische Föderation/Tschetschenien, Teilmobilmachung, Wehrersatzdienst, Repressalien
Ist die Teilmobilmachung vom 21.09.2022 für den Krieg Russland-Ukraine tatsächlich beendet und werden keine weiteren Personen zwangsweise zum Wehrdienst oder Reservedienst einberufen?
1a. Wenn nein, wer ist tatsächlich noch von der Einberufung zur Teilmobilmachung betroffen und inwieweit werden diese Kriterien tatsächlich berücksichtigt (Kriterien ua wie Alter, absolvierter Wehrdienst, gesundheitliche Einschränkungen, örtliche Einschränkungen)?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden Quellen nachfolgende Informationen zur ersten Frage gefunden werden. Ergänzend dazu wurde diese deshalb an die ÖB in Moskau weitergeleitet.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
In diesem Zusammenhang darf auf weitere AFBs zu den genannten Themenbereichen hingewiesen werden, welche dieser AFB als Anhang beigefügt sind.
Zusammenfassung:
Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass laut ÖB Moskau das Dekret des russischen Präsidenten zur Teilmobilisierung vom 21.09.2022 bislang nicht abgeschlossen wurde, es aber de facto derzeit keine Einberufungen von Wehrpflichtigen stattfinden. Es wurden zu keiner Zeit Personen zwangsweise einberufen. Dem ISW (Institute for the Study of War) ist zu entnehmen, dass die russischen Behörden weiterhin eine verdeckte Mobilisierung in ganz Russland durchführen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Moskau gibt zu diesen Fragestellungen an:
Zwar wurde das Dekret des russischen Präsidenten zur Teilmobilisierung vom 21.09.2022 bislang nicht abgeschlossen (wie es juristisch zur Beendigung einer Mobilisierungskampagne vorgesehen wäre), es finden aber de facto derzeit keine Einberufungen von Wehrpflichtigen statt. Es wurden zu keiner Zeit Personen "zwangsweise" einberufen, sondern stets aufgrund der bestehenden gesetzlicher Grundlagen. Aufgrund dieser Grundlagen können jederzeit auch Einzelpersonen zum Wehrdienst oder Reservedienst einberufen werden. Die Militärkommandos setzen hier aber derzeit keine Aktivitäten und somit ist die Wahrscheinlichkeit einer Einberufung für sämtliche Personengruppen sehr gering bzw. auch nicht für bestimmte Personengruppen höher, als für andere. Bei den bisher erfolgten Einberufung kam es seitens der russischen Militärbehörden zu einer geringen, aber vorhandenen Fehlerquote (z.B. Einberufung von Untauglichen, Personen mit nicht-russischer Staatsangehörigkeit etc.).
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Konsularabteilung per email
ISW (Institute for the Study of War), ein unparteiisches, gemeinnütziges Forschungsinstitut, gibt in einem Artikel vom 7.12.2022 an, dass unabhängige russische Medienquellen darauf hinwiesen, dass die russische Mobilisierung trotz gegenteiliger offizieller russischer Behauptungen fortgesetzt wird. Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte bei einem Treffen mit dem Rat für Zivilgesellschaft und Menschenrechte (HRC) am 7. Dezember, dass die Erörterung zusätzlicher Mobilisierungsmaßnahmen "keinen Sinn macht", da es "heute keinen Bedarf für den Staat und das Verteidigungsministerium" gebe. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wies Anfragen zu einer weiteren Mobilisierungswelle mit den Worten zurück, es gebe "viele provokative Botschaften, aber wir müssen uns auf die Informationen des Verteidigungsministeriums und des Präsidenten konzentrieren". Eine unabhängige russische Medienquelle berichtete am 5. Dezember, dass die Mobilisierungsbemühungen am 12. Dezember wieder aufgenommen werden könnten und dass zwischen Dezember und Februar 700.000 weitere Russen mobilisiert werden sollen. Eine unabhängige russische Medienquelle verbreitete am 5. Dezember abgehörte Tonaufnahmen einer Moskauer Mobilisierungsbeamtin, die ihre Mitarbeiter aufforderte, nachts Mobilisierungsaufrufe zu verteilen.
Independent Russian media sources indicated that Russian mobilization will continue, despite official Russian claims to the contrary. Russian President Vladimir Putin stated in a meeting with the Council on Civil Society and Human Rights (HRC) on December 7 that discussing additional mobilization measures “does not make sense" since there is “no need for the state and the Ministry of Defense today." Kremlin Spokesperson Dmitry Peskov similarly deflected inquiries about another wave of mobilization, stating that “there are a lot of provocative messages, [however], we must focus on the information from the Ministry of Defense and the President." An independent Russian media source notably reported on December 5 that mobilization efforts may resume on December 12 and that 700,000 more Russians will mobilize between December and February. […]
Another independent Russian media source shared intercepted audio on December 5 of a Moscow mobilization official demanding that her employees pass out mobilization summonses at night.[…]
ISW - Institute for the Study of War (7.12.2022): Russian Offensive Campaign Assessment, December 7, https://understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-december-7 , Zugriff 12.12.2022
Das Institute for the Study of War (ISW), gibt in einem Bericht vom 22. November 2022 an, dass der Kreml seine Bemühungen fortsetzt, mehr Männer zum Dienst zu bewegen, indem er unhaltbare finanzielle Anreize verspricht, die sich langfristig auf die russische Wirtschaft auswirken werden. Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin erklärte, dass die Teilnahme an der "besonderen Militäroperation" in der Ukraine als doppelte Dienstzeit zählt, wodurch sich die normalen Rentenzahlungen für Veteranen verdoppeln werden.
The Kremlin continues its efforts to lure more men into service by promising unsustainable financial incentives that will have a long-term effect on the Russian economy. Russian Prime Minister Mikhail Mishustin stated that participation in the “special military operation" in Ukraine counts as double the length of service, which will double the normal pension payments for veterans. […]
ISW – Institute for the Study of War (22.11.2022): Russian Offensive Campaign Assessment, November 22, https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-november-22 , Zugriff 28.11.2022
Das Institute for the Study of War (ISW) gibt in einem Bericht vom 2. November 2022 an, dass die russischen Behörden weiterhin eine verdeckte Mobilisierung in ganz Russland durchführen. Der ukrainische Generalstab berichtete, dass russische Rekrutierungsbeamte trotz des offiziellen Endes der Teilmobilisierung weiterhin Mobilisierungsaufforderungen an Männer im wehrfähigen Alter verschicken. Viktor Sobolev, Mitglied des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, erklärte außerdem, dass Russland auf eine vollständige Mobilisierung zurückgreifen könnte, wenn sich die politisch-militärische Situation in Zukunft verschlechtert. Eine Zeitung der Region Rostow berichtete, dass ein russischer Mann, der einen Tag vor der Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu, dass die Mobilisierung am 28. Oktober abgeschlossen sei, einen Mobilisierungsbescheid erhalten habe, unfreiwillig als Freiwilliger eingezogen worden sei.
Russian authorities are continuing to conduct covert mobilization throughout Russia. The Ukrainian General Staff reported that Russian enlistment officials are continuing to send mobilization summonses to men of military age despite the official end of the partial mobilization drive.[60] Member of the Russian State Duma Defense Committee Viktor Sobolev also stated Russia may resort to full mobilization if the political-military situation worsens in the future. […]
A Rostov Oblast outlet reported that a Russian man who had received a mobilization notice a day prior to Russian Defense Minister Sergey Shoigu’s announcement of the completion of the mobilization order on October 28 had been involuntarily enlisted as a volunteer.
ISW – Institute for the Study of War (2.11.2022): Russian Offensive Campaign Assessment, November 2, https://understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-november-2 , Zugriff 28.11.2022
Meduza, eine zweisprachige Internetzeitung mit Sitz in Riga (Lettland) gibt in einem Artikel an, dass am 28. Oktober der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu mitteilte, dass die Einberufungsziele Russlands erreicht worden seien. Am 31. Oktober erklärte Präsident Wladimir Putin, dass die Mobilisierung abgeschlossen sei, und dass er "mit den Juristen sprechen" werde, um herauszufinden, ob ein "Demobilisierungs"-Erlass erforderlich sei, um dies offiziell zu machen. Jetzt beruft sich der Kreml auf Rechtsgutachten, wonach ein solches Dekret nicht erforderlich ist. Menschenrechtsaktivisten sind jedoch besorgt: Sie sind der Meinung, dass Putins früheres Mobilisierungsdekret, das am 21. September unterzeichnet wurde, immer noch in Kraft ist.
On October 28, the Russian Defense Minister Sergey Shoigu reported that Russia’s conscription goals had been met. On October 31, President Vladimir Putin said that mobilization was completed — and that he’d “talk to the lawyers" to find out whether a “demobilization" decree was needed to make this official. Now, the Kremlin cites legal opinions that no such decree is necessary. But human-rights advocates are concerned: they think that Putin’s earlier mobilization decree, signed on September 21, is still in effect.
Meduza (1.11.2022): Partial mobilization is over, full stop,’ says the Kremlin spokesman Dmitry Peskov. https://meduza.io/en/feature/2022/11/01/partial-mobilization-is-over-full-stop-says-the-kremlin-spokesman-dmitry-peskov , 29.11.2022
TASS, eine staatliche russische Nachrichtenagentur, gibt an, dass der russische Präsident Wladimir Putin mitteilte, er habe einen Erlass unterzeichnet, der einigen zusätzlichen Personengruppen, darunter Studenten, Aufschub der teilweisen Mobilisierung gewährt. "Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die staatlich akkreditiert sind, Programme der höheren Bildung und der Hochschulbildung, einschließlich Praktikumsprogramme und Assistenzprogramme für die Probezeit. Wenn ich sage 'staatlich akkreditiert', dann schließt das auch private Bildungseinrichtungen ein", sagte der Präsident. Ein Aufschub wird auch Studenten von "Bildungs- und Forschungsorganisationen in Postgraduierten-Programmen für wissenschaftliche und wissenschaftlich-pädagogische Fachkräfte, Organisationen, die in Bildungsaktivitäten im Rahmen von Bildungsprogrammen der sekundären Berufs- und Hochschulbildung tätig sind, einschließlich Postgraduierten-Programmen für wissenschaftliche und wissenschaftlich-pädagogische Fachkräfte, Praktikumsprogrammen und Assistentenprogrammen auf dem Gebiet innovativer wissenschaftlicher und technologischer Zentren und Einrichtungen der geistigen Bildung" gewährt, so Putin.
Russian President Vladimir Putin on Wednesday said he had signed a decree to grant deferments from the partial military mobilization for some additional groups of people, including students that study on campus or have a mixed on-campus and off-campus schedule.
"Educational and research institutions that have government accreditation, programs of high and higher education, including internship programs and probation assistantship programs. When I say ‘have government accreditation’ that includes private educational institutions," the president said as he met with the finalists of the nationwide Teacher of the Year contest via video link.
A deferment also is granted to students of "educational and research organizations on post-graduate programs for scientific and scientific-pedagogical professionals, organizations engaged in educational activities under educational programs of secondary vocational and higher education, including post-graduate programs for scientific and scientific-pedagogical professionals, internship programs and probation assistantship programs located in the territories of innovative scientific and technological centers and institutions of spiritual education," Putin said.
TASS (5.10.2022): Putin signs decree to give mobilization deferments to some groups of people, https://tass.com/politics/1518241 , Zugriff 29.11.2022
Ist die Möglichkeit des Wehrersatzdienstes weiterhin aufrecht?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden öffentlichen Internetquellen keine Informationen zu dieser Frage gefunden werden, weshalb diese an die ÖB in Moskau weitergeleitet wurde.
Eine Beschreibung der verwendeten Quelle kann, sofern diese nicht schon vor der Information angeführt ist, unter www.staatendokumentation.at sowie auch in der dort archivierten Methodologie der Staatendokumentation eingesehen werden.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Moskau gibt zu dieser Fragestellung an:
Die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes war zu keiner Zeit ausgesetzt oder eingeschränkt.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Konsularabteilung per email
Welche Repressalien haben männliche Personen zu befürchten, welche aus Europa zurückkehren? Gibt es Unterschiede, ob bereits eine Einberufung zum Wehrdienst oder Reservedienst erfolgte?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
wie oben.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Moskau gibt zu dieser Fragestellung an:
Es gibt keine Repressalien gegen männliche Personen, die aus Europa in die Russische Föderation zurückkehren, solange sie keine Straftaten begangen haben. Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem natürlich bei Rückkehr Folge zu leisten. Eine Nichtbefolgung stellt eine Verwaltungsübertretung dar und wird mit einer Geldstrafe geahndet, wodurch der E-Befehl natürlich nicht aufgehoben wird. Diesem ist daher weiterhin nachzukommen.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Konsularabteilung per email
Welche Repressalien haben Personen zu fürchten, welche im Ausland gegen die Russische Föderation aufgrund des Krieges gegen die Ukraine demonstrierten oder in sozialen Medien opponierten?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
wie oben.
Zusammenfassung:
siehe Einzelquellen.
Einzelquellen:
Die ÖB in Moskau gibt zu dieser Fragestellung an:
Der Straftatbestand der "Verunglimpfung der russischen Streitkräfte" kann auch außerhalb der russischen Föderation begangen werden, und kann bei einer Rückkehr dann auch verfolgt werden. Eine bloße Teilnahme an Anti-Kriegs-Demos reicht jedoch nicht aus, um den Strafbestimmungen zu entsprechen. Eine Auswertung der sozialen Medien kann in der Russischen Föderation zu keiner Zeit ausgeschlossen werden.
ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Konsularabteilung per email
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, durch Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Sichtung der im Laufe des Verfahrens in Vorlage gebrachten bzw. vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Beweismittel.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
2.1.1. Die Identität des BF steht auf Grund seinen gleichbleibenden Angaben während der Verfahren fest. Dass der BF russischer Staatsangehöriger ist, der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum islamischen Glauben bekennt, steht auf Grund seiner diesbezüglich gleichbleibenden Angaben fest (vgl. Seite 1-2 des Erstbefragungsprotokoll; Seite 5 des Einvernahmeprotokolls und Seite 6-7 des Verhandlungsprotokolls) sowie der vorgelegten Kopie der Geburtsurkunde und des russischen Führerscheines. Dass der BF derzeit ledig ist und seine Ehe geschieden, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Seite 7 und 8 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). Die Sprachkenntnisse ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 3 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022), sowie der Tatsache, dass der BF in der Verhandlung Tschetschenisch sprach und der Dolmetscher übersetzte sowie die Deutschkenntnisse aufgrund der Fragen des Richters in deutscher Sprache, welche der BF verstanden und mit einfachem Deutsch beantwortet hat (vgl. Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Ein Prüfungszertifikat legte der BF nicht vor, weiters absolvierte der BF den ihm angebotenen weiteren Deutschkurs nicht und zeigt dem Gericht, dass der BF kein hohes Interesse hat, seine Deutschkenntnisse zu verbessern und daher seine Integration in Österreich zu fördern (vgl. Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). Wobei der BF zunächst versuchte darzulegen, dass er keinen Kurs bekomme, danach jedoch selbst zugab, dass er ein Angebot nicht angenommen hat. Da der BF soziale Unterstützung erhielt, wäre es ihn möglich gewesen, den Kurs zu besuchen und war es nicht notwendig einer Arbeit nachzugehen, wobei es möglich wäre sowohl eine Arbeitssuche durchzufuhren als auch die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen, wenngleich auch in geringerem Ausmaß.
Der Schulbesuch, seine weitere Ausbildung und seine beruflichen Tätigkeiten ergeben sich aus den Angaben des BF. So gab der BF bei der polizeilichen Einvernahme schon an, dass er als Bauarbeiter zuletzt tätig gewesen sei, vor dem BFA gab er an, dass er ein halbes Jahr als Automechaniker gearbeitet habe (vgl. Seite 6 der Niederschrift). In der mündlichen Verhandlung bestätigte der BF, dass er ein halbes Jahr als Automechaniker, wenngleich nicht offiziell, gearbeitet habe (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022). In Österreich arbeitete der BF auch „offiziell“ und damit bei den Behörden angemeldet, als Security aber in höheren Ausmaß geht der BF illegale Arbeiten nach, indem er „Schwarz gearbeitet“ hat (vgl. Seite 9 – 10 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023) bzw. nicht nur im geringfügig, wie angemeldet (Anmeldung Sozialversicherung), tätig gewesen ist. Sodass insgesamt das Gericht davon ausgeht, dass der BF bereits in der Russischen Föderation über Berufserfahrung verfügte, in Österreich in verschiedenen Bereichen arbeitete und es ihm daher auch mit seiner Krankheit möglich ist weiterhin einer Arbeit nachzugehen. Dass der BF durch seine Krankheit an der Arbeitsausübung eingeschränkt ist wurde von ihm nicht vorgebracht, sodass es ihm auch möglich sein wird bei Rückkehr in die Russische Föderation uneingeschränkt zu arbeiten, zumal er auch in Österreich „körperlich schwere“ Arbeiten, wie Möbeltransporte durchführte und bis zu neun Stunden täglich arbeitete (vgl. Seite 9 – 10 Verhandlungsprotokolls). Wenngleich der BF in Österreich daher über einen Behindertenpass verfügt, zeigt sich aus den vorgelegten medizinischen Befunden nicht, dass der BF derart eingeschränkt wäre, dass er nicht einer Arbeit nachgehen und sich so seinen Unterhalt finanzieren kann. Aus den Abfrage des AJ-Web und den Angaben des BF gehe hervor, dass der BF somit in Österreich einer Tätigkeit als Security, auf Baustellen und Gartenarbeiten nachging.
Bezüglich der Tätigkeit der Eltern konnte das Gericht keine konkreten Feststellungen treffen, da der BF immer wieder neue Angaben machte und so versuchte die tatsächliche Tätigkeit seiner Eltern zu verschleiern. So ist zunächst nicht feststellbar, dass der BF aus seinen gesundheitlichen Einschränkungen unter Gedächtnisverlust leidet. Der BF hat keine diesbezüglichen Krankheiten vorgebracht, noch ist aus den Diagnosen oder Anamnesen eine solche ableitbar, auch bei der Verhandlung am 10.01.2023 brachte er keine dementsprechende Erkrankung vor. So brachte der BF in der niederschriftlichen Einvernahme beim BFA vor, dass sein Vater studierter Bauingenieur sei und in Jakutsk als Chef der Haustechnik in einem narkologischen Krankenhaus arbeite. Seine Mutter habe als Köchin in einem Kindergarten (vgl. Seite 6 der Niederschrift) gearbeitet. In der mündlichen Verhandlung am 25.05.2022 gab der BF an, dass sein Vater in der Drogenbehandlungsstation gearbeitet habe und stellvertretender wirtschaftlicher Direktor gewesen sei. Nun wisse er aber nicht, ob seine Eltern in Tschetschenien gearbeitet haben und nicht schon Pensionisten gewesen seien, doch nun seien sie Pensionisten. Andererseits gab der BF sowohl in der Niederschrift vor dem BFA an, dass sein Vater gearbeitet habe und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 24.10.2019 (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls) gab er an, dass sein Vater in Tschetschenien auf verschiedenen Baustellen gearbeitet habe. Seine Mutter habe in Tschetschenien nicht gearbeitet, jedoch in XXXX sei sie Kassiererin in einer Bäckerei gewesen. Sein Versuch sich mit Gedächtnisschwierigkeiten aufgrund der unterschiedlichen bzw. ungenauen Angaben zu rechtfertigen, vermochte der BF nicht glaubhaft darzulegen (vgl. Seite 12 der Verhandlung), zumal sie unbestimmt waren und ansonsten in der Verhandlung keine dementsprechenden Anzeigen ersichtlich waren. Es zeigte sich, dass der BF nicht wahrheitsgemäß die finanzielle Situation seiner Familie und damit die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung bei Rückkehr angeben wollte. So gab er an, dass sie Teil der oberen Mittelschicht waren (vgl. Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 24.10.2019) bzw. dass es ihnen gut gehe (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023), sodass das Gericht davon ausgeht, dass der BF bei Rückkehr nach XXXX einerseits durch die Wohnungsnahme bei seinen Eltern, wie bisher wohnversorgt ist und es ihnen als Teil der oberen Mittelschicht möglich ist, den BF, selbst wenn sie nunmehr ausschließlich Pension erhalten, finanziell zu unterstützen. Wobei der BF noch in der Verhandlung am 24.10.2019 angab, dass sein Vater erwerbstätig sei (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls) und schließlich am 10.01.2023 angab, dass seine Mutter es aushalten würde, wenn er bei ihnen wohne (Seite 10-11 des Verhandlungsprotokolls).
Die Eltern des BF und sein Bruder, welcher nunmehr als Bauingenieur tätig ist (vgl. Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022), sind nunmehr in XXXX aufhältig. Da die Eltern mit dem Bruder in einem Haus leben, welches dem Vater gehört ist es aus dem familiären Hintergrund des BF, welcher immer mit seiner Familie zusammenlebte, nicht nachvollziehbar, warum er dort nicht auch bei Rückkehr, wenn auch nur vorübergehend, Unterkunft nehmen könnte. Die Eltern erhalten eine Pension und werden auch vom Bruder finanziert. Der BF könnte daher, wie er auch selbst angegeben hat, bei seinen Eltern wohnen und so sein Leben wieder in Yaktusk aufbauen. Wenngleich es in der Unterkunft eng und unkomfortabel wäre (vgl. Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022).
Dass die Schwester des BF in Tschetschenien lebt ergibt sich aus seinen stringenten Angaben vor dem BFA und dem BVwG. Der BF gab bezüglich des Familienstandes zur Schwester unterschiedliche Angaben an, so brachte er vor dem BFA vor, dass seine Schwester von ihrem Mann manchmal getrennt sei. Genauso wie vor dem BVwG bei der Verhandlung am 24.10.2019, indem der BF ausdrücklich bekanntgab, dass die Schwester nach einem Jahr Ehe geschieden gewesen sei, jedenfalls vor seiner Ausreise sich scheiden habe lassen (Seite 18 des Verhandlungsprotokolls). Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die geschiedene Frau nochmals zu ihrem Mann zurückgekehrt sein soll.
Dass der BF in der Russischen Föderation unterschiedlich behandelt worden sei, jedoch falsch, konnte nicht festgestellt werden, da er diesbezüglich, keine Dokumente vorlegte. Der BF berichtete sowohl vor dem BFA als auch vor dem BVwG von einer falschen Behandlung, ihm wurde auch die Möglichkeit gegeben etwaige Befunde vorzulegen (vgl. Seite 14 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022), brachte jedoch keine Dokumente ein. Da es dem BF möglich war, auch alte Militärfotos vorzulegen, die Kopie seiner Geburtsurkunde, die Kopie seines russischen Führerscheines, wäre es ihm auch möglich gewesen etwaige medizinische Dokumente zu beschaffen und vorzulegen, da er dies nicht machte, geht das Gericht davon aus, dass der BF hier nicht die Wahrheit sprach und versuchte, darzulegen, dass die Behandlung in den russischen Krankenhäusern nicht adäquat wären und für ihn ein Risiko darstellen würde. Aus den Länderberichten und der Anfragebeantwortung ist jedoch ersichtlich, dass der BF in XXXX adäquat durch eine Krankenanstalt versorgt werden kann und auch eine dementsprechende Diagnose aufgrund unterschiedlicher Untersuchungsmethoden möglich ist. Dass der BF keine Behandlung erhalten würde, wurde nicht vorgebracht und ist auch aufgrund der von ihm vorgebrachten Tätigkeit seines Vaters in einem Krankenhaus, wenn auch vor Jahren, lebensfremd. Wenn die Vertretung zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2023 vorbringt, dass es aufgrund der Anfragebeantwortung vom 14.04.2022 zu den Sozialleistungen in der Russischen Föderation, nachweisbar sei, dass diese verringert wurden und die Verfügbarkeit von Medikamenten eingeschränkt sei, so ist auf die spätere auf den BF konkret erfolgte Anfragebeantwortung vom 06.08.2022 zu verweisen, indem sowohl die Behandlungen im Spital als auch die notwendigen Wirkstoffe der vom BF benötigten Medikamente als vorhanden angegeben sind. Es wird jedoch nicht übersehen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass Arzneimittel – wie auch teilweise in Österreich, so sind hier vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen über 500 Medikamente gelistet, wo eine eingeschränkte oder nichtvorhandene Verfügbarkeit gegeben ist (www.basg.gv.at ) – nicht verfügbar sind und daher Medikamente mit entsprechenden Wirkstoffen verwendet werden müssen. Aber eine Einschränkung bei der kostenlosen Versorgung mit Medikamenten und Behandlung in Spitälern in der Russischen Föderation, trotz des Krieges in der Ukraine, sind nicht in der von der Vertretung vorgebrachten Anfragebeantwortung festgestellt worden und stellen daher lediglich eine pauschale und unsubstantiiertes Behauptung dar.
Der BF wuchs in der Russischen Föderation auf, ging dort zur Schule, studierte und arbeitete. Er war vorwiegend in XXXX lebend und von 2014 – 2015 in Tschetschenien, sodass er die russische Kultur kennt und nach ihnen lebte und es ihm daher auch nun noch möglich sein wird sich in dieser Gesellschaft zu Recht zu finden. Seine Herkunftsregion ist daher XXXX und leben auch heute noch seine Eltern und sein Bruder und daher seine Kernfamilie in diesem Herkunftsort.
Dass seine Muttersprache Tschetschenisch ist und er fließend Russisch spricht, steht auf Grund seiner diesbezüglich gleichbleibenden Angaben fest und deckt sich mit dem Eindruck, den er in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelte, so hat er auch die Verhandlung in tschetschenischer Sprache durchgeführt und verstand den Dolmetscher. Dass er auch sehr gut Russisch in Wort und Schrift kann ist auch vor dem Hintergrund seines achtjährigen Schulbesuches plausibel.
2.1.2. Die Feststellungen zum Lebenslauf des BF (seine Geburt und sein Aufwachsen in Tschetschenien, seine Schulbildung, die drei vorangegangenen traditionellen Ehen sowie die Bestreitung seines Lebensunterhalts und damit begründeten Aufenthalten außerhalb Tschetscheniens) gründen auf den diesbezüglich schlüssigen Angaben des BF im Verwaltungsverfahren und in der hg. mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 3 des Erstbefragungsprotokolls, Seite 11 des Einvernahmeprotokolls und Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022 und Seite 8 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). Glaubhaft war seinen Ausführungen zu seiner Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat, - abgesehen davon, dass der BF zum Teil nur sehr vage Angaben machte - , sodass das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass der BF seinen Lebensunterhalt durchgängig durch verschiedenen Jobs und Hilfsarbeiten auch außerhalb Tschetscheniens, ohne konkrete und langjährige Ausbildung, finanziert, was vor dem Hintergrund der damaligen Kriegssituation und Nachkriegszeit und vom BF geschilderten Umständen nicht lebensfremd ist.
Zur Situation in Österreich:
Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Österreich (Wohnsitz, Lebensunterhalt) gründen auf den Auszügen aus dem GVS betreffend Erhalt von Sozialleistungen, Auszüge aus dem ZMR betreffend Wohnsitze in Österreich und der Auszüge aus dem AJ-Web, sowie seine Angaben der der Verhandlung vom 25.05.2022 (Seite 14 – 18 des Verhandlungsprotokolls), sowie der Aussage der Zeugin (Seite 18 – 21 des Verhandlungsprotokolls) und der Verhandlung vom 10.01.2023 (Seite 7 – 11 des Verhandlungsprotokolls).
Der festgestellte Gesundheitszustand des BF ergibt sich aus dem letzten ärztlichen Attest vom 23.05.2022, indem klar dargelegt wurde, dass beim BF eine Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis festgestellt wurde. Auch bei der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, zuletzt am 10.01.2023 (Seite 6 des Verhandlungsprotokolls) gab der BF keine weiteren Erkrankungen an, wenngleich er angab, dass er noch Vitamine und Mineralien zu sich nehme. Eine weitere Erkrankung brachte er nicht vor, sodass auch bei der Stellungnahme vom 30.08.2022 keine weiteren Erkrankungen vorgebracht, sondern diese Erkrankung bestätigt wurden. Die festgestellten Medikamenteneinnahmen erfolgten ebenfalls aufgrund des ärztlichen Attest vom 23.05.2022 und der Angaben vom 10.01.2023, wobei hier lediglich die Medikamente Mesagram 100 mg, Ursofalk 250 bzw. 500 mg, Vitamin D3 als Dauermedikament angegeben wurden, Pantoloc 40 mg und Novalgin lediglich bei Bedarf. Die Medikamente wurden auch bei der Stellungnahme vom 30.08.2022 wiederholt und keine zusätzliche Verschreibung bekanntgegeben, sodass von der Richtigkeit der festgestellten Medikamente ausgegangen wird. Das ärztliche Attest legte jedoch nicht dar, wieviele dieser Medikamente der BF einnehmen muss. Der BF gab die Anzahl der Medikamente in der Verhandlung (vgl. Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022) an und wurden durch das Gericht für glaubwürdig festgestellt, wenngleich er nunmehr bei der Verhandlung am 10.01.2023 eine höhere Dosis bei Ursofalk von 500 mg angab, jedoch keine Bestätigung durch Ärzte vorlegte bzw. wie und warum es zu dieser Erhöhung gekommen ist. Die Einnahme des Schmerzmittels Novalgin wurden jedoch vom BF mit „Ich habe aber so oft Probleme und Schmerzen“ (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls) angegeben, sodass das Gericht bei der vom Arzt festgestellten Verordnung bei Bedarf ausgegangen ist, sodass er diese nicht regelmäßig einnimmt, ansonsten er dies, auch wie die anderen Medikamente, mit täglich oder mehrmals wöchentlich angegeben hätte. In der Stellungnahme vom 30.08.2022 erfolgte keine anderslautende Angabe der Häufigkeit der Medikamenteneinnahme oder eine Angabe der regelmäßigen Verwendung von Novalgin, sodass die letzte Information vom 10.01.2023 mit der Angabe „bei Bedarf“ ist.
Auch die Historie seiner Erkrankungen führte zu keinem anderen Ergebnis. Die vorgelegten medizinischen Unterlagen vom September 2018, aufgrund eines Colitis Schubes zeigen keinen anderen Medikamentenbedarf. Die Stellungnahme vom 28.03.2019 brachte ebenfalls vor, dass der BF Ursofalk und Mesagran als Dauermedikament benötige und zudem einen strengen Diätplan einhalten müsse, wobei der BF sich daran nicht hält und daher zuletzt zu Silvester 2022/2023 medizinisch versorgt werden musste (vgl. Seite 6 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). Das Medikament Tardyferon wurde vom BF nicht mehr angegeben und geht das Verwaltungsgericht daher davon aus, dass es aktuell nicht benötigt wird. Die weiteren Dauerdiagnosen, sind umfänglich in der oa Diagnose enthalten bzw. nicht mehr behandlungsbedürftig, ansonsten hätte der BF eine solche mit aktuellem Attest vorgelegt bzw. wäre enthalten gewesen (Attest vom 23.05.2022), in der Verhandlung oder zumindest in der Stellungnahme vom 30.08.2022 vorgebracht worden. Wobei auch in der Stellungnahme vom 28.03.2019 überwiegend die medizinischen Dokumente vom September/Oktober 2018 vorgelegt wurden. In der Verhandlung vom 24.10.2019 wurden auch die Wikipedia-Artikel zu Colitis Ulcerosa, Haarausfall, Follikulitis, Hepatosplenomegalie, Herpes Zoster, und primär sklerosierende Cholangitis seitens des Gerichtes eingebracht. Es zeigt sich, dass die Erkrankung an primär sklerosierende Cholangitis (PSC), häufig mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa auftritt und häufiger bei Männern. Die Therapie erfolgt mit Ursodeoxycholsäure (UDC), dies deckt sich auch mit der Behandlung des BF mit Ursofalk 250 mg welches als Wirkstoff UDC verwendet. Eine Heilung ist nicht möglich. Es kann zu einem Gallenwegkarzinom führen, sodass hier ohne Lebertransplantation die mittlere Überlebenszeit bei etwa 10-20 Jahren liegt. Der BF hat nicht angegeben, dass er sich derzeit in einem Status befindet, wo eine entsprechende Lebertransplantation vorgesehen ist, er berief sich auf eine Dauermedikation. Notwendig ist eine laufende Kontrolle, Ziel ist es das Fortschreiten der Erkrankung so weit wie möglich hinauszuzögern. Bei Colitis ulcerosa handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die wiederkehrend, schleichend und nicht vorhersehbar ist. Stuhldrang bis zu 40-mal innerhalb von 24 Stunden sind keine Seltenheit. Der BF berichtete jedoch nicht von solchen Problemen und konnte er auch die Verhandlungen in der Dauer von 5 ½ bzw. 3 Stunden ohne Probleme durchführen.
Bei der Erkrankung des BF kann es jedoch zu Schüben kommen. Die Untersuchungsmethode ist die Endoskopie. Zur Behandlung wird auch Mesalazin verwendet, wie es das Medikament Mesagran enthält. Sodass auch hier der BF dementsprechende Medikamente erhält. Die weiteren Erkrankungen wurden durch den BF bei der Frage nach aktuellen Erkrankungen nicht mehr vorgebracht. Wobei es sich hier um keine schwerwiegenden akut lebensgefährlichen Erkrankungen handelt. Bei der Stellungnahme zur Verhandlung vom 14.11.2019 brachte der BF zwar wiederum vor, dass er an verschiedenen Krankheiten leide und eine Vielzahl an Medikamenten einnehmen müsse, welche nicht alle in der Russischen Föderation erhältlich seien und eine Umstellung bei Bedarf nicht immer möglich sei. Weiters leide er an unter Erinnerungs- und Gedächtnisverlust und seine Sehkraft sei minimiert. Durch den persönlichen Eindruck des Gerichtes konnte nicht festgestellt werden, dass der BF tatsächlich eine wesentliche Einschränkung der Sehkraft hat bzw. wurden dementsprechende Atteste, insbesondere bezüglich der Erinnerungs- und Gedächtnisvermögens nicht vorgelegt. Auch der vorgelegte Bericht des LK Baden vom 04.11.2019 – ansonst wurden die bereits vorgelegten medizinischen Unterlagen beigelegt - zeigte keine Änderung der Erkrankungen, lediglich die Medikamenteneinnahme von Mesagran und Ursofalk und keine Einschränkung des Gedächtnisses oder Sehvermögens. Die Diagnose lautete PSC und Colitis ulcerosa, wobei der BF an keinen Durchfällen litt. Bei der Verhandlung am 10.01.2023 bestritt der BF auch nicht die Diagnose und Ausschließlichkeit diese Krankheiten, als derzeit zu behandelnde.
Bei der mit Stellungnahme vom 10.07.2022 vorgelegten Befund nach einem Aufenthalt des BF aufgrund Oberbauchschmerzen und Unterbauchschmerzen re. mit Übelkeit und Erbrechen, nach einer Sonographie zeigte sich, dass beim BF eine Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation befundet wurde: „Am ehesten handelt es sich hier um eine unspezifische Reaktion auf die ablaufende oder abgelaufene primär sklerosierende Cholangitis, Die Pfortaderäste lassen ... normal perfundiert zeigen. Die Gallengänge sind streckenweise mäßiggradig erweitert, knapp weiter als der begleitende Pforaderast. Die Leber von weitgehend normaler Form,… ohne Auffälligkeiten“. „Insbesondere besteht keine Steatosis hepatitis., Die Pankreas schlank und homogen. Die Bauchaorta mit zarten Wandverkalkungen, aber mit normaler Kaliber und gestrecktem Verlauf. Beide Nieren sonomorphologisch unauffällig. Mäßig entfaltete, symmetrische Harnblase. Keine freie Flüssigkeit.“ Auch die weiteren Befunde aus dem Februar 2020 zeigten keine Verschlechterungen des Gesundheitszustandes des BF.
Am 26.02.2020 erfolgte ein Cholangitisschub des BF, welcher bei ihm mit Arzneimittel und intravenöser Anwendung behandelt wurde. Wobei auch angeraten wurde Ursofalk zu reduzieren und Pantoloc abzusetzen, wenn keine klare Indikation vorhanden ist. Der BF wurde wiederum entlassen. Es ergab sich keine Änderung der Erkrankung. Eine EKG am 16.02.2020 erbrachte keine abnormen Ergebnisse. Eine Coloskopie am 20.02.2020 erbrachte ebenfalls keine Unauffälligkeiten.
Die Ambulanzkarte vom 13.03.2020, der BF wurde am 06.03.2020 entlassen, zeigte nach durchgeführten Untersuchungen ebenfalls keine Änderungen der Erkrankung und wurde mit PSC am 13.03.2020 diagnostiziert. Es wurden regelmäßige Untersuchungen empfohlen.
Weitere ärztliche Untersuchungsergebnisse mit Ausnahme des Attests vom 23.05.2022 wurden dem Gericht nicht vorgelegt, sodass aufgrund dieses, auf die festgestellte Erkrankung hingewiesen wird.
Aufgrund des aktuellen Gesundheitszustandes, der BF konnte der Verhandlung folgen und war in den letzten Monaten nicht in längere stationärer Behandlung, ansonsten hätte der BF etwaige Befunde und medizinische Unterlagen vorgelegt, geht das Gericht davon aus, dass der BF nicht unmittelbar eine lebensgefährdende Krankheit hat und es ihm daher möglich ist in die Russische Föderation zurückzukehren.
Bezüglich der Behandlung der Erkrankungen ist auf die Anfragebeantwortung vom 06.08.2022 zu verweisen. Die individuelle Beantwortung der Frage wurde auch in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie bewertet. Es ist ersichtlich, dass der BF durch einen Gastroentreologen und einen Internisten in XXXX in der XXXX behandelt werden kann. Es stehen neben Ultraschall/Sonographie, endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie, Magnetresonanztomographie auch weitere Laboruntersuchungen der Leberfunktion, Monitoring des vollständigen Blutbildes, Computertomographie und Koloskopie zur Verfügung. Wenn die Stellungnahme annimmt, dass die medizinische Versorgung nicht dem notwendigen Standard entspreche, so sind hier allgemeine Floskeln verwendet worden und waren unsubstantiiertes und konnte im konkreten Fall, jedoch diese Behauptung, insbesondere aufgrund der Anfragebeantwortung vom 06.08.2022, nicht festgestellt werden. Die lokalen Experte/Ärzte konnte eine dementsprechende „schlechte“ und damit für den BF lebensgefährdende Behandlung nicht darlegen. Auch die von den MedCOI- Ärzten dargelegte Analyse weist eine solche nicht auf. Die Kosten für den BF in genannten Krankenhaus für die notwendigen Untersuchungen sind frei, sodass es ihm möglich ist diese Untersuchungen ohne Verursachung von weiteren Kosten wahrzunehmen. Auch die notwendigen Medikamente mit den Wirkstoffen Mesalazin und Ursodesoxycholsäure sind für den BF frei in der Apotheke verfügbar, sodass auch hier der BF in der Lage ist die für ihn notwendigen Medikamente zu erhalten. Wenngleich nicht das Medikament Ursofalk 250 mg verfügbar ist, ist ein entsprechendes Medikament mit dem Wirkstoff - wie auch im Wikipedia-Artikel festgehalten - frei erhältlich ist und geht das Gericht daher davon aus, dass der BF die notwendige Medikation erhalten wird. Einen Nachweis, dass der BF eine Umstellung des Medikamentes nicht vertragen werde, wurde nicht substantiiert vorgebracht. Ein Import seines Medikamentes ist ebenfalls über das Internet möglich, zumal Sanktionen gegen die Russische Föderation in der Versorgung von Medikamenten nicht erfolgten und weiters besonders im Bereich der Medikamente die Europäische Union von Medikamenten aus dem chinesischen Raum angewiesen ist und auch China keine Sanktionen gegen die Russische Föderation führt. Die Medikamente Pantoloc, Novalgin und Olevit sind nur frei verfügbar, wenn der BF diese in dem Krankenhaus erhält ansonsten, sind sie verfügbar, jedoch selbst zu bezahlen. Da der BF jedoch nur bei Bedarf Novalgin mit Kosten in der Höhe von 64 Rubel (= ca. Euro 1,-) bei Bedarf benötigt und die Kosten für Pantoloc bei 127 Rubel (ca. Euro 2, --) und Olevit bzw. Vitamin D 3 bei 185 Rubel (ca. 3, --) liegen, wird es ihm möglich sein, diese Medikamente selbst zu besorgen. Die Verpackungsgröße ist mit 14, 10 bzw. 90 Stück festgelegt, sodass der BF die nur fallweise notwendigen Medikamente auch bezahlen kann sind, da der Durchschnittslohn bei ca. 600 Euro (https://www.ihk.de/rhein-neckar/international/maerkte-international/russland/personal-arbeitsrecht-loehne/loehne-in-russland-951132#:~:text=Das%20durchschnittliche%20Einkommen%20und%20der ,liegt%20bei%20etwa%20160%20Euro.) liegt. Weiters gab der BF an, dass es seinen Eltern gut gehe und sie eine Pension erhalten, sodass der BF auch durch Annahme einer Arbeit, Wohnungsnahme bei den Eltern und etwaige finanzielle Unterstützung durch seine Eltern bzw. seinem Bruder, seinen Unterhalt inklusive den Bedarf an den Medikamenten wird selbst finanzieren können, und zu Beginn seine Eltern und sein Bruder ihn auch unterstützen können.
Dass der BF keiner COVID 19- Risikogruppe angehört, ergibt sich, da die diagnostizierten derzeitigen Erkrankungen des BF nicht unter der medizinischen Indikation für Risikogruppen gem. Der COVID-19-Risikogruppen-Verordnung, BGBL. II Nr. 203/2020 fällt. Der BF leidet an keiner Lungenerkrankung, Herzerkrankung, aktiven Krebserkrankung, Erkrankung, die mit einer dauerhaften und relevanten Immunsuppression behandelt werden muss, fortgeschrittener chronischer Nierenerkrankung oder chronischer Lebererkrankung mit Organumbau und dekompenierter Leberzierrhose ab Childs-Stadium B, ausgeprägter Adipositas, Diabetes mellitus oder arterieller Hypertonie. Sodass nicht davon auszugehen ist, dass der BF in der Russischen Föderation aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe einer lebensgefährdenden Situation ausgesetzt sein wird. Weiters sind auch die russischen Krankenhäuser derzeit in der Lage die Pandemie einzuschränken und die Erkrankungen zu behandeln. Die Spitäler sind derzeit nicht überlastet und ist es daher möglich bei einer etwaigen Erkrankung den BF auch in den Krankenhäusern, trotz seiner Erkrankungen, zu versorgen und besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht die Gefahr, dass der BF aufgrund der Auslastung der Spitäler nicht behandelt werden kann. Durch eine Impfung, welche in Österreich und in der Russischen Föderation möglich ist, kann der BF auch die Folgen einer Erkrankung an COVID-19 minimieren, der BF verzichtet jedoch freiwillig auf eine entsprechende Impfung und brachte nicht vor, dass eine solcher nicht aufgrund seiner Erkrankung durchgeführt werden kann (vgl. Seite 13 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). Weiters gab er an bereits an COVID-19 erkrankt gewesen zu sein, Komplikationen brachte er nicht vor, sodass auch hier eine gewisse Immunität aufgebaut wurde. Die Zahlen der derzeitigen Erkrankungen in der Russischen Föderation sind im Verhältnis zu Österreich nicht höher (vgl. Daten John-Hopkins-Universität) und auch die Todeszahlen zeigen, dass die derzeitige Virusvariante ihre Wirkung verringerte und die medizinischen Einrichtungen in der Russischen Föderation in der Lage ist die Erkrankten zu versorgen.
Dass der BF derzeit in einem Stadium ist, welcher eine unmittelbare Lebertransplantation notwendig macht oder diese derzeit beabsichtigt wird, wurde von ihm nicht vorgebracht.
Sodass das Gericht davon ausgeht, dass die Erkrankung des BF in der Russischen Föderation adäquat versorgt werden kann und er die für ihn notwendigen Medikamente erhält, sowie er aufgrund der Rückkehr in die Russische Föderation deswegen nicht in eine lebensgefährdende Situation geraten wird, wenngleich seine Erkrankung auch tödlich sowohl in Österreich als auch in der Russischen Föderation enden könnte.
Die sportlichen Aktivitäten und Arbeitswilligkeit und -fähigkeit ergibt sich aus den Angaben des BF vor dem Verwaltungsgericht und der Einsicht in das AJ-WEB, so zeigt sich, dass der BF körperlich in der Lage ist sich beruflich zu betätigen und einer beruflichen Tätigkeit auch in der Russischen Föderation zur Erlangung seines Unterhaltes nachgehen kann.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF gründet auf dem Auszug aus dem Strafregister.
Dass der BF mit einer österreichischen Staatsbürgerin nach islamischer Tradition verheiratet war, ergibt sich aus seinen Angaben (vgl. Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022), welche sich mit der ehemaligen Angeheirateten deckt (vgl. Seite 19 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022). Derzeit ist der BF jedoch von seiner nach islamischen Recht angetrauten Frau geschieden und hat hier keinen Kontakt mehr, sodass der BF keine familiären Kontakte im Bundesgebiet hat, die Kontakte zu seinen Cousinen ist sporadisch und lediglich telefonisch. Der BF lebt daher alleine in seinem Haushalt. Aufgrund der kurzen Ehe mit seiner Frau kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der BF eine besonders (intensive) Integration in Österreich mit ihre oder ihrer Familie erreicht hat.
Der BF kennt die österreichische Kultur, dass er diese jedoch verinnerlicht hat ist nicht ersichtlich. So konnte er auch keine sonstigen nennenswerten Kontakte mit anderen Österreichern bekanntgeben. Der BF hat zwar soziale Kontakte mit Freunden, verschiedener Nationen, wenngleich auch eine Person die österreichische Staatsbürgerschaft hat, brachte aber keine sonstigen besonderen Beziehungen zu Österreich vor. Er besucht keinen Deutschkurs oder sonstige Kurse, geht zwar teilweise legale aber überwiegend illegale Tätigkeiten nach. Auch die soziale Unterstützung nimmt er nicht in Anspruch und begründet dies, da es ihm zu mühsam sei, bei den österreichischen Stellen entsprechende Anträge zu stellen. So gibt er an, dass es einfacher ist für ihn einen Job zu finden. Es zeigt sich, dass der BF es vorzieht in der Illegalität Arbeit zu suchen und durchzuführen, als sich der österreichischen Rechtsordnung zu unterwerfen und entsprechende behördlichen Vorgaben zu folgen. Auch sonstige kulturelle Tätigkeiten vollbringt der BF nicht.
Dass der BF in Österreich sonst keine intensiven Kontakte mit Familienangehörige hat, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben, wo er zwar angab, dass zwei Cousins in Österreich – Bregenz – leben, er sich mit ihnen aber nur selten trifft bzw. nur telefonisch (vgl. Seite 14 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022 und Seite 7 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023)
Dass der Aufenthalt des BF nie geduldet war, steht auf Grund des IZR-Auszuges fest und wurde von ihm nie behauptet. Auch wurde nie von dem BF vorgebracht, dass er Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen oder Opfer von sonstiger Gewalt war.
Die Angaben zur Antragsstellung und gegenständlichen Bescheid ergeben sich aus dem Verwaltungsverfahren und dem im Akt einliegenden Dokumenten.
Das Treffen mit Freunden, wobei er dies nicht näher ausführte und seine Trainingstätigkeiten ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben und zeigen dem BF, dass er körperlich nicht eingeschränkt ist.
2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des BF:
2.2.1. Der BF brachte im Wesentlichen nur sehr vage, allgemeine und widersprüchliche Angaben bezüglich seiner Unterstützung seines Cousins und der damit bedingten Bedrohung durch tschetschenische Behörden vor. Weiters ist es auch nicht nachvollziehbar und aus der gegebenen Situation lebensfremd, wenn der BF auch in der Region Yaktusk von tschetschenischen oder russischen Behörden bedroht oder verfolgt werden soll.
So ist es zunächst lebensfremd, dass der BF angibt den Cousin, welchen er jedoch noch nicht lange kannte, gerade bei dessen Flucht vor den tschetschenischen Behörden im Jahr 2015 unterstützt zu haben, da gerade zwischen ihm und dem Cousin noch keine starke Bindung bestanden haben kann. Der BF gab selbst an, dass er erst im Jahr 2014 (vgl. Seite 9 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022) nach Tschetschenien gekommen sei, da er zuvor in XXXX mit seinen Eltern gelebt habe. Er war seit seinem 8. Lebensjahr in XXXX , d.h. im Jahr 2000, besuchte dort die Schule und ging auch nebenbei einer Arbeit nach. Dass der BF Kontakt mit seinen Verwandten in Tschetschenien bereits von XXXX aus hatte, insbesondere mit seinem Cousin, wurde von ihm nie vorgebracht. So gab er bei der Erstbefragung an, dass er im Jahr 2014 nach Tschetschenien zog und bis dato seine Verwandten nicht kannte und erst nach einiger Zeit seinen Cousin kennenlernte. So ist es nicht nachvollziehbar warum gerade er den Cousin, welcher über weitere Verwandte in Tschetschenien verfügte, unterstützen sollte.
Auch die Angaben bezüglich des Zwischenfalls seines Cousins mit Leuten des Präsidenten Kadyrovs wurden von BF unterschiedlich dargelegt. Hierzu ist nochmals darauf zu verweisen, dass der BF immer wieder versuchte bei konkreten Fragen auf einen Gedächtnisverlust hinzuweisen, welches jedoch in keinem ärztlichen Gutachten dementsprechend festgehalten wurde und auch vom Gericht ein solcher Eindruck nicht entstand. Es erscheint dem Gericht, dass der BF gerade bei konkreten und auf genauere Details eingehende Fragen, diese nicht beantworten wollte und konnte, da er die entsprechenden Vorbringe nicht erlebt hatte und so versuchte eine Änderung seiner Geschichte oder Widersprüche zu begründen, welches ihm jedoch nicht gelang. So konnte der BF auch unterschiedliche Angaben bezüglich der Tätigkeit seines Vaters nicht ausreichend begründen und auf Nachfrage, warum diese Angaben anders sind als vor dem BFA, gab er lapidar seine Gesundheit und den Kopf als Ausrede (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022) an.
So ergeben sich nun einmal die Widersprüche im Zeitpunkt des Zwischenfalles seines Cousins mit den Leuten von Kadyrov. Bei der Erstbefragung gab der BF an, dass sein Cousin im Mai 2015 eine Auseinandersetzung mit den Leuten von Kadyrov hatte und dabei einen Mann mit dem Messer verletzte. Im Juni habe sein Cousin ihn aufgesucht und Hilfe in Form von Nahrung und Medikamente gebeten. Dies habe bis zum 25.08.2015 gedauert. An diesem Tag seien Leute von Kadyrov bei ihm zuhause gewesen und haben nach ihm gesucht. Er sei jedoch bei einem Freund gewesen. Auf Anraten seiner Familie habe er sich bis zum 15.09.2015 bei einem Freund versteckt und sein Vater habe bis dahin die Ausreise organisiert. Danach habe sein Vater gesagt, ruf nicht mehr an. Wenngleich die Erstbefragung vorwiegend zur Erhebung der persönlichen Daten und der Fluchtroute dient, so ist jedoch auch zur Würdigung der Aussagen des BF, seine Angaben bei der Erstbefragung zu berücksichtigen. Wenngleich auch eine Stresssituation vorhanden ist, so zeigt sich in den genauen Datenangaben, dass der BF sehr genau wusste, was er sagte und sich vorbereitet hat, zumal er die Daten mit Mai 2015, 25.08.2015 und 15.09.2015 angab. Er war nicht angehalten dies so genau zu erzählen, sondern mit eigenen Worten abschließend seinen Fluchtgrund darzulegen. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 23.02.2018, gab er jedoch wieder, dass die tätliche Auseinandersetzung seines Cousins mit den Leuten Kadyrovs im Sommer 2015 erfolgt wären und dieser danach zwei oder drei Mal zu ihm gekommen sei und um Hilfe gebeten habe. Er habe „Geld, soviel als möglich, Medikamente, vor allem Antibiotika und Lebensmittel“ benötigt (Seite 7 der Niederschrift). Er sei nie alleine gekommen, sondern es habe immer ein Auto gewartet. Der Cousin sei ins Haus gegangen und habe danach auf den BF gewartet, bis dieser mit den benötigten Sachen zurückgekommen sei. Gleich um die Ecke habe es eine Apotheke gegeben. Am 25.08.2015 sei der BF bei einem Freund im Dorf XXXX gewesen und an diesem Tag seien Kadyrov-Leute bei ihm zuhause gewesen und haben nach ihm gesucht. Seine Schwester habe ihn informiert. Die Leute haben viele Dinge mitgenommen, darunter seinen Inlandspass und sein Militärbuch glaublich, sowie sein Notebook und andere Dinge, er könne sich nicht daran erinnern. Die erste Nacht habe er bei einem Freund übernachtet, bei dem sie sich getroffen hatten und danach bei einem anderen. Der BF gab an, dass er am 25.08.2015 bei seinem Cousin zweiten Grades XXXX und danach sich bei XXXX versteckt gehalten habe. Bis zum 15.09.2015 habe es keine weiteren Vorfälle gegeben. Der hilfesuchende Cousin sei Waise gewesen, habe aber bei irgendwelchen Verwandten gelebt. (vgl. Seite 8-9 der Niederschrift).
Dem Gericht ist nicht verständlich und nachvollziehbar, dass der BF obwohl der Kontakt mit seinem Cousin so gut war, dass er als Hilfeleistender verwendet wurde, nicht angeben konnte, wo dieser gewöhnlich aufhältig gewesen ist. Dem Gericht erscheint es hier wiederum, dass der BF durch bloße vage Angaben und Vergesslichkeit vorweg versuchte weiter Fragen durch das Gericht entgegenzutreten. Auch die vagen Angaben bezüglich der Mitnahme seiner Dokumente ist lebensfremd, zumal der BF mit seiner Schwester, aber danach noch mit seinen Eltern Kontakt hatte und daher genau wissen muss, was ihm mitgeteilt wurde, welche Gegenstände von ihm mitgenommen worden sind. Dies ist ein einschneidendes Erlebnis und kann von einer jungen Person erwartet werden, diese Angaben wiederzugeben, auch wenn sie bereits 2 ½ Jahre vorbei sind. Es zeigt sich der Eindruck des Gerichtes, dass der BF versuchte mit vagen Angaben unbestimmt zu bleiben, um keine Fehler bei der detailgetreuen Wiedergabe der Fluchtgeschichte zu machen. Doch erfolgten in weiteren Befragungen durch das Gericht, gerade bei den wenigen konkreten Angaben die offensichtlichen Widersprüche.
Es ist lebensfremd, dass der BF nicht genauer mit seinem Cousin, über den Vorfall mit den Leuten von Kadyrov, gesprochen hat. So konnte er bei der niederschriftlichen Einvernahme keinen konkreten Sachverhalt darlegen, sondern nur angeben, dass es zu einem Konflikt auf der Straße gekommen sei, als sein Cousin mit dem Auto unterwegs gewesen sei. Der BF mutmaßte, dass es sich darum handelte, dass Autofahrer nicht die Regeln eingehalten habe, oder provokant überholten oder solche Dinge (vgl. Seite 9 der Niederschrift). Dies habe er von einem Freund erfahren. Es ist lebensfremd, dass der BF, obwohl er seinen Cousin 2- oder 3-mal mit Medikamenten, Geld und Nahrung versorgt haben will, über den Grund der Verletzung oder welche Verletzungen vorhanden sind nicht gefragt hat. Auch wenn es sich hier um eine gefährliche Situation für den BF handelt, wäre es objektiv logisch, dass man nach dem Grund der Hilfeleistung und der Ursache der Verletzungen oder des Bedarfes der Hilfe direkt beim Hilfesuchenden nachfragt, zumal er auch nicht nur einmal erschienen sein soll. Die letzte Information über seinen Cousin soll der BF im Dezember 2015 von einem Freund erfahren haben, bei welchem er damals über Nacht geblieben sein soll, als die Maskierten in sein Haus einmarschierten. Der BF habe diese Nachricht über WhatsApp erfahren, mit ihm gesprochen und dieser habe geantwortet, dass andere Bekannte erfahren haben, dass XXXX – er hilfesuchende Cousin- im Netz gewesen sei.
Auch sei nach dem Vorfall des Eindringens der Kadyrov-Leute in das Haus des BF, danach noch ein paar Mal offiziell jemand vorbeigekommen, nachgefragt sei der Dorfpolizist gekommen und habe wissen wollen, wo sich der BF befinde.
Seine Familie sei ein Monat nach seiner Ausreise zurück nach XXXX gegangen, weil sie in Tschetschenien Angst gehabt hätten. Auch sein Bruder sei besonders exponiert. Er mache sich Sorgen um seinen jüngeren Bruder, seine Eltern seien alt, ihnen werden nichts passieren. Es erscheint dem Gericht jedoch unglaubwürdig, dass wenn ein Interesse an dem BF besteht, dass die Eltern in XXXX und der Bruder in Ruhe leben können und er von keinen weiteren Ermittlungen in XXXX berichtete bzw. im Gegenteil in der Verhandlung am 10.01.2023 angab, dass er föderal nicht gesucht werde (vgl. Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Wenn wie der BF angab, die Behörden ihnen irgendwas anhängen hätten wollen, so wäre es Leichtens möglich gewesen die Eltern oder auch den Bruder die Beihilfe zur Flucht eines etwaigen Straftäters „anzuhängen“ und die Eltern zumindest bei den Strafverfolgungsbehörden vorzuladen oder diesen näher zu befragen. Aber auch bei der Verhandlung am 24.10.2019 oder 25.05.2022 brachte der BF nicht vor, dass seine Eltern oder sein Bruder von den russischen Behörden befragt, vorgeladen oder gar inhaftiert worden wären. Sodass auch aus diesem Grund das Gericht davon ausgeht, dass die russischen Behörden, selbst bei Wahrunterstellung der Hilfeleistung des BF für seinen Cousin, derzeit kein Interesse an ihm haben.
Auch die Schwester, welche in Tschetschenien weiterlebt, konnte ungehindert ihr Leben nachgehen und wurde weder vorgeladen noch inhaftiert, dies hat der BF nicht vorgebracht, hätte er jedoch bei entsprechenden Vorfällen sicherlich dem Gericht dargelegt. Wenn der BF in der Verhandlung am 25.05.2022 aufgefordert wurde, darzustellen, ob nach ihm, nach seiner Ausreise gesucht wurde, so zeigte sich in der Verhandlung, dass der BF versuchte durch vage und ungenaue Angaben die Fragen des Gerichtes nicht zu beantworten. So gab er zwar an, dass Sprengelpolizisten oder andere Leute nach ihm sich erkundigt hätte, aber er glaube die Eltern wollen nicht alles berichten, eine konkreter Darstellung erfolgte jedoch nicht. Trotz Aufforderung des Gerichtes (vgl. Seite 23 des Verhandlungsprotokolls), gab er wiederum allgemein an, „Das waren alles Kadyrov Leute, denn die ganze Polizei und die ganze Armee in Tschetschenien ist Kadyrov unterstellt, das sind alles seine Leute. In Tschetschenien können sie einem jede Straftat anhängen, Mord, Terrorismus auch wenn man völlig unschuldig ist.“ Er blieb auch in weiterer Folge vage und konnte keine konkreten Angaben tätigen und meinte seine Eltern erzählen ihm nicht alles. Der BF versuchte eine allgemeine schlechte Lage darzustellen, sodass wenn man jemanden ein Verbrechen anhängen wolle, dies auch gemacht werden. Warum gerade er davon betroffen sei, wurde jedoch nicht schlüssig dargelegt. Er gab nunmehr auch an, dass sein Cousin XXXX nunmehr verschwunden sei, er habe das Auto gelenkt. Hier versuchte der BF wiederum eine Steigerung der Fluchtgeschichte darzulegen, wobei es ihm nicht gelang, Genaueres zu schildern und das Gericht den Eindruck hat, dass der BF durch Hinzufügen von weiteren Geschichten gegenüber anderen Personen, versuchte eine persönliche Bedrohung betroffen zu begründen. So seien nun sogar seine Verwandten bedroht worden und deren Wohnungen untersucht. Auch hier blieb der BF vage. Auch das Verschwindens des Cousins XXXX konnte der BF weder mit Zeitpunkt bzw. Zeitraum bekanntgeben noch wie (vgl. Seite 24 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022). Der BF gab an, dass ihn dieser im August mehrmals besucht habe. Wann genau, dies gewesen sein soll ist ebenfalls unbekannt, auch nicht nachvollziehbar, zumal der BF bisher angab bei XXXX oder XXXX gewesen zu sein und er nicht zu Hause gewesen sei. Schließlich ist festzuhalten, dass die Familie des BF nach XXXX gezogen ist und seitdem nichts mehr vorgefallen ist.
Zurückkommend auf die Angaben der Hilfeleistung und der Auseinandersetzung des Cousins des BF mit den Kadyrov-Leuten, wird nochmals auf die Widersprüche hingewiesen. So gab der BF im Widerspruch zu seinen Angaben in der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme bei der Verhandlung vor dem BVwG am 24.10.2019 an, dass sein Cousin beim Vorfall mit den Leuten von Kadyrov, ein Auto steuerte und ein anderen Auto überholt habe, dies habe dem anderen Autofahrer nicht gefallen. Der BF könne sich nicht erinnern, wer mit dem Cousin unterwegs gewesen sei. Bei der nächsten Ampel habe sein Cousin angehalten und hinter ihm das andere Auto. Der Andere sei ausgestiegen, es sei zu Streitigkeiten gekommen und zu einer Schlägerei. Sein Cousin und dessen Freunde haben die anderen, welche Kadyrov-Männer gewesen seien besiegt (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Beide Seiten haben ein Messer verwendet. Wie der BF zu dieser Information 1 ½ Jahre nach der niederschriftlichen Befragung vor dem BFA gekommen ist, gab er nicht genau an, er sagte nur, dass XXXX ihm davon erzählt habe, woher dieser es wusste konnte der BF ebenfalls nicht angeben. Es zeigt sich, dass der BF versuchte wiederum durch gesteigerte Schilderung von verschiedenen Geschichten, das Gericht zu überzeugen, macht sich jedoch dahingehend unglaubwürdig, da er genaue Angaben, wie bereits dargelegt, nicht machen kann und es jedoch zu erwarten ist, dass man Erlebtes in gleicher Weise erzählen kann. Weiters gab der BF nun in der Verhandlung an, dass der Vorfall ungefähr im September gewesen sei (vgl. Seite 14 des Verhandlungsprotokolls vom 24.10.2019) und korrigierte sich danach auf „Vielleicht war es auch Ende August“. So steht diese Aussage im eklatanten Widerspruch zu dem bisher Vorgebrachten, bei der Erstbefragung war es noch der Mai 2015, bei der niederschriftlichen Befragung im Sommer 2015 und nunmehr im September bzw. Ende August, wobei daraufhingewiesen wird, dass der BF danach noch dem Cousin Hilfe geleistet haben sollte und am 25.08.2015 Kadyrov-Leute nach ihm gesucht haben, weil er diese Hilfe geleistet habe. Es ist nicht möglich, dass Kadyrov-Leute am 25.08.2015 nach dem BF, aufgrund der Hilfeleistung des Cousins suchen, wenn wie der BF nunmehr angibt, der Vorfall des Cousins mit den Kadyrovleuten, welche denklogisch davor gewesen sein muss, nunmehr danach stattfand.
Auch die Hilfeleistung wurde nunmehr in der Verhandlung vom 24.10.2019 geändert vorgebracht. So gab er nunmehr an zu glauben, dass seine Schwester den Cousin einmal wahrgenommen habe, davon erzählte der BF bis dato nichts. Weiters gab der BF wieder, dass er seinem Cousin Geld gegeben habe, da der BF selbst verdiente, wobei bis dato der BF nicht angab, dass er in Tschetschenien gearbeitet habe. Die benötigten Güter habe er nunmehr zu Hause vorrätig gehabt, bis auf das letzte Mal (vgl. Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Und er habe diese Güter bei einer Frau im Dorf gekauft, diese sei 10 Minuten entfernt von ihm gewesen. So ist es nicht nachvollziehbar, dass der BF nun nicht mehr bei der Apotheke, um die Ecke einkaufte habe, sondern die Güter bei sich zu Hause gehabt habe und nur beim letzten Mal bei einer Frau im Dorf, welche 10 Minuten entfernt war, eingekauft habe. Auch wenn versucht wurde in einer Stellungnahme darzulegen, dass dies Frau, Waren wie eine Apotheke verkaufte, ist es lebensfremd Erlebtes so unterschiedlich zu erzählen.
Der Cousin sei nach Angaben des BF nur 2- oder 3-mal erschienen, so ist es lebensfremd, dass es einem erwachsenen Menschen nicht mehr erinnerlich ist, ob er die benötigte Ware „um die Ecke“ bei einer Apotheke einkaufen musste oder ob er sie zu Hause hatte und lediglich beim letzten Mal zu einer Frau in einer Entfernung von 10 Minuten einkaufen musste. Es zeigt sich für das Gericht, dass der BF eine Rahmengeschichte verinnerlicht hat, die Details jedoch aufgrund nicht Erlebten unterschiedlich darlegt und damit für das Gericht unglaubwürdig wird. Auch brachte er nunmehr vor, dass der BF mit einem Auto eines Freundes fuhr und nicht wie bei der niederschriftlichen Befragung, dass ein Freund ihn gefahren hat.
Bei der zweiten Verhandlung im Jahr 2022, gab er nun an, dass sein Cousin wahrscheinlich zweimal bei ihm gewesen sei und soweit er sich erinnern kann, beim ersten Mal angerufen habe bzw. doch selbst gekommen sei. Nunmehr gab er wiederum an, dass er die Medikamente auf Bedarf bei einer alten Frau eingekauft habe. Beim zweiten Mal habe er die Medikamente schon eingekauft gehabt, seinen Eltern habe er erst nach dem zweiten Besuch von seinem Cousin erzählt. Es zeigt sich wiederum der Widerspruch, so hatte er nun beim zweiten Mal schon die Ware eingekauft gehabt, bei der Verhandlung davor gab er an, beim letzten Mal musste er einkaufen gehen. Aber der BF gab immer wieder an: „Ich erinnere mich nicht“ (Seite 26 des Verhandlungsprotokolls), „irgendetwas hat er gesagt, aber ich weiß nicht mehr was genau“, „Ich weiß es nicht mehr genau wie viele es waren, es waren mehrere Packungen“, „Das hätte er mir nicht gesagt“, „Ich erinnere mich nicht mehr nach wievielen Tagen er gekommen ist“. So versuchte der BF viele Aussagen dadurch zu relativieren, dass er bekannt gab, sich nicht daran erinnern zu können, wobei gerade die Hilfeleistung des Cousins einprägend gewesen sein muss und es sich nur um wenige Male handelte 2 oder 3 – mal, sodass es lebensfremd ist, dass er sich hier nicht genauer daran erinnern kann, wenn er es erlebt haben will.
Auch bezüglich der letzten Information, war der BF wiederum widersprüchlich, so gab er vor dem BFA an, dass ein Freund ihn über XXXX informiert habe, dass er im sozialen Netz gewesen sei, nunmehr gab er an, dass von XXXX im Jahr 2015 eine Information erhalten habe, dass XXXX irgendwo lebe und lebendig sei. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der BF nunmehr einen Namen des Freundes bekanntgeben kann, beim BFA jedoch nur von seinem Freund aus dem Dorf XXXX berichtet, wo er bis dato nur seine zwei Cousins angegeben hat, nämlich XXXX und XXXX und nicht den Namen XXXX . Weiters habe ihn auch dieser Freund über die Auseinandersetzungen seines Cousins mit den Kadyrov-Leuten erzählt. Wenn der BF im Dezember 2015 mit XXXX sprach und über die Auseinandersetzungen gesprochen hat, so ist es lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der BF bei der niederschriftlichen Befragung am 23.08.2018 nicht dieses entsprechend schildern konnte. Der BF gab selbst an, dass er seit Dezember 2015 nichts mehr über seinen Cousin XXXX erfahren habe und daher folgerichtig nicht danach im Jahr 2018 oder 2019 von der Auseinandersetzung Näheres erfahren hat.
Aber auch die Fluchtgeschichte wurde vom BF widersprüchlich dargelegt. Der BF brachte vor, dass er bei der Information über den Besuch der Kadyrov-Leute in seinem Haus bei XXXX gewesen sei, dies sei im September 2015 gewesen, wodurch sich wiederum ein geändertes Datum zur Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme ergibt. Er sei danach bei XXXX geblieben und die letzte Nacht habe er bei XXXX verbracht und danach sei er ausgereist (vgl. Seite 17 des Verhandlungsprotokolls vom 24.10.2019). So ist dies im Widerspruch dazu, dass er angegeben hat, dass er nur eine Nacht bei XXXX gewesen sei und danach bei XXXX . Wenn der BF selbst das Erzählte erlebt hat ist davon auszugehen, dass er weiß, wie er die Nächte vor der Flucht verbrachte. Es sind die Tage und Nächte des versteckt seins einschneidend und kann erwartet werden, dass der BF weiß, wo er sich befunden hat. So ist die unterschiedliche Darstellung seines Aufenthaltes vor der Ausreise, unmittelbar nach der Bedrohung durch die Kadyrov-Leute in seinem Haus nur damit erklärbar, dass der BF diese Situation so nicht erlebt hat. Schließlich brachte der BF bei der Verhandlung am 25.05.2022 eine dritte Version vor, indem er angab, dass er nachdem seine Schwester ihn von den Kadyrov-Leuten bei ihm zu Hause berichtete, sich bei einem Freund nämlich XXXX versteckt gehalten habe.
Die Information über den Überfall der Kadyrov-Leute auf das Haus des BF schilderte der BF weitgehend ident, wenn auch kurz und mit gesteigerten Vorbringen. So brachte er nunmehr vor, dass sein Bruder dermaßen geschlagen worden sei, dass er drei oder vier Rippenbrüche gehabt habe, es ist nicht erklärlich, warum der BF dies nicht bei der Befragung vor dem BFA vorbrachte bzw. nicht Näheres über die Heilung bzw. etwaigen Krankenhausbesuch vorbrachte. Dass die Behörden sein Militärbuch mitnahmen, wurde von ihm nicht mehr vorgebracht. Er wiederholte zwar die Mitnahme des Notebooks und des Inlandspasses blieb danach jedoch vage, indem er angab eine Mappe mit diversen Unterlagen sei mitgenommen worden.
So ergibt sich insgesamt aus den widersprüchlichen, teils vagen Angaben, dass der BF seinen Cousin keine Hilfe nach einer Auseinandersetzung mit den Kadyrov-Leuten leistete und selbst bei einer Wahrunterstellung der BF nunmehr nicht mehr gesucht wird und schon gar nicht in XXXX , da auch seine Familie dort seit Jahren unbehelligt leben kann und keine Bedrohungen vorgefallen sind. Dass die tschetschenischen Behörden den BF in dieser Region suchen und verfolgen werden, da er eine Person zwei- oder dreimal mit Medikamenten oder Nahrung versorgte, ist nach 7 Jahren nicht mehr mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal auch die Schwester weiter unbehelligt in Tschetschenien leben kann und von keinen weiteren Befragungen berichtete. Auch stellt der BF in diesem Zusammenhang keine Bedrohung dar und war kein „high profile“ in einer Auseinandersetzung, bei der er gar nicht anwesend gewesen ist und es zwar zu körperlichen Verletzungen gekommen sein soll, aber keine Tötungen.
2.2.2. Tätigkeit in den sozialen Medien:
Aber auch seine oppositionellen Tätigkeiten gegen das Regime in Tschetschenien in den sozialen Medien ist nicht glaubhaft, aufgrund seiner gesteigerten, vagen und widersprüchlichen Angaben.
So ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung zum Thema seines Fluchtgrundes mit keinem Wort bekannt gab, dass er aufgrund seiner Tätigkeit in sozialen Netzen von den tschetschenischen oder russischen Behörden bedroht, überwacht oder verfolgt werden würde. Wenngleich gemäß § 19 AsylG 2005 die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung von Identität und Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, so ist doch festzuhalten, dass die Angaben des BF in der Erstbefragung nicht gänzlich unbeachtlich sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189). Die Nichterwähnung zeigt dem Gericht, dass der BF selbst nicht von einer Verfolgung oder Bedrohung aufgrund seiner Tätigkeit in den sozialen Netzen ausgegangen ist, bzw. dass er solche Tätigkeiten gar nicht gemacht hat, ansonsten er sie zumindest erwähnt hätte. Auch gab er an, dass die Erstbefragung rückübersetzt worden ist. Wenngleich wie bereits vorab schon gewertet, der BF im Rahmen dieser Erstbefragung nicht angehalten ist genauestens über mehrere Seiten seinen Fluchtgrund zu nennen, so wurde er dennoch über die Gründe seiner Flucht gefragt und ersucht eine kurze Darstellung dieser bekannt zu geben. Die Nichtnennung des nunmehr vorgebrachten Fluchtgrundes kann gewürdigt werden, zumal zu erwarten ist, dass der BF bei Einreise seinen Fluchtgrund genauestens kennt, zumal auch hier der Zeitpunkt am nächsten ist. Die Nichtnennung des Fluchtgrundes führt daher auch zur Überzeugung des Gerichtes, dass dieser nicht vorhanden war insbesondere auch dadurch, dass der BF die andere Geschichte mit Zahlen und Daten dargelegt hat. Aber nicht nur die Steigerung seines Fluchtgrundes führt zur Unglaubwürdigkeit, die im weiteren Verfahren zu diesem Thema erfolgten vagen und widersprüchlichen Antworten führen dazu, dass das Verwaltungsgericht von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ausgeht und es daher zu keiner Überwachung, Bedrohung oder Verfolgung des BF´s gekommen ist und bei Rückkehr auch nicht zu befürchten hat.
So gab der BF im Rahmen der niederschriftlichen Befragung an, dass die Behörden den BF als Oppositionellen kennen würden, zumal er ein Aktivist in den sozialen Netzwerken gewesen sei (vgl. Seite 8 der Niederschrift). Wie aus den Länderberichten ersichtlich ist, sind die russischen und tschetschenischen Behörden aktiv bei der Überwachung der sozialen Netzwerke und gehen gegen oppositionelle Blogger vor. Wenn nun, wie der BF angab, die tschetschenischen Behörden, den BF schon vor der Unterstützung seines Cousin gekannt haben, so ist es nicht nachvollziehbar, warum sie ihn bis zu diesem Zeitpunkt nicht bereits kontaktiert haben oder seine Familie zu den oppositionellen Aktivitäten befragt haben. Es erscheint daher lebensfremd, dass der BF einerseits aktiver Oppositioneller in den sozialen Netzwerken gewesen sein soll und überhaupt den Behörden bereits bekannt gewesen sein soll. Auch war er bei den Angaben seiner Postings äußerst vage und umschrieb es damit, dass er zwar nichts mithabe, er aber hauptsächlich darüber gepostete habe, dass junge Männer entführt worden seien, sowie zum Thema Personenkult rund um die Person von Kadyrov. Weiters könne man keine freie Meinung haben und wenn jemand seine Meinung offen ausspreche, müsse man dafür einen hohen Preis zahlen.
Bei der Stellungnahme vom 12.04.2018 gab er zunächst wieder, dass es im Jahr 2007 bis 2009 zu Entführungen von Jugendlichen gekommen sei und er deshalb einen Hass gegen die tschetschenische Führung gehegt habe. Ab 2013 habe er einen Blog in sozialen Netzwerk Instagram geführt mit dem Titel „ XXXX “ und hier die Namen der Opfer der Kadyrovleute, Zeugenaussagen und über Fakten berichtet. Auch habe er Paragraphen von Rechtsschutzorganisationen veröffentlicht. Weiters berichtete er über einen Überfall von Kämpfern auf Grozny am 04.12.2014, sowie einem Überfall am 07.12 im Dorf XXXX in diesem Zusammenhang. Auch sei ein alter Mann entführt und getötet worden und die Leiche habe seine Familie nicht zurückbekommen. Am 14.12.2014 habe er über das Abfackeln von Häusern und die Aussiedelung aus Tschetschenien von völlig unschuldigen Angehörigen von Kämpfern berichtet. Nach der Veröffentlichung seien gegen ihn Drohungen eingegangen. Im März 2015 seien von ihm noch mehr Veröffentlichungen nach außen gegangen, welche die tschetschenischen Machthaber kritisiert haben sollen. Er habe bei seinen Veröffentlichungen besonders Augenmerk auf die tschetschenische Jugend gelenkt. Danach seien mehr Drohungen nicht nur über Kommentare, sondern direkt in Form von persönlichen Mitteilungen im „direct“ erfolgt. Wenn diese, wie von der belangten Behörde auch dargestellt, Informationen auch Großteils in sozialen Netzen verfügbar sind, so vom BF dargelegt worden sind, dann ist es nicht nachvollziehbar, warum der BF weder bei der Erstbefragung noch bei der niederschriftlichen Einvernahme über diese Veröffentlichungen nähere Angaben machen und nicht einmal seine Instagram-Seite bekannt geben konnte.
Aber auch in der Verhandlung vor dem BVwG am 24.10.2019 steigerte der BF wiederum dieses Vorbringen und gab bekannt, dass er eigentlich zwei Instagram-Accounts gehabt habe. Wobei er einen gelöscht habe und der andere nicht mehr aktiv sei. Er habe jedoch keinen Zugriff mehr. Dies erscheint ebenfalls nicht nachvollziehbar und lebensfremd, zumal ein inaktiver Account wieder aktiviert werden kann. Der BF nannte den Zeitpunkt des Instagramaccounts und den Beginn des Blogs mit „im Jahr 2013 oder Anfang 2014“ und der Name hieß „ XXXX “, also ein gänzlich anderer Name als bei seiner Stellungnahme vom 12.04.2018. Er habe hier von Leuten erzählt die nach Syrien gegangen seien und ihre Familienmitglieder deswegen vertrieben und gefoltert worden seien. Insgesamt blieb er auch hier nur vage und brachte nunmehr die Verfolgung von in Syrien tätigen Kämpfern und deren Familienangehörige vor. Auch sprach er nun von einer Schlacht am Stadtrand von Jugendlichen gegen Kadirov-Leuten, bei der sie sich gegenseitig umgebracht haben sollen, dadurch wurde wiederum eine gänzlich andere Geschichte vom BF erzählt. Er habe schließlich im Jahr 2015 diesen Account gelöscht, wann wisse er jedoch nicht. Dies ist ebenfalls lebensfremd, so wusste der BF anfangs noch die Daten des Überfalls der Kadyrov in seinem Haus, bzw. das Verlassen des Herkunftsstaates, ist jedoch nicht mehr in der Lage die ungefähre Einordnung des Löschens des Accounts bekannt zu geben. Die zweite Instagram-Seite soll „ XXXX “ geheißen haben und stellt damit eine gänzlich neue Information des BF dar, auch diese ist mit der in der Stellungnahme bekannt gegeben Seite „ XXXX “ nicht annähernd ident und kann es sich daher bei den Angaben nur um eine Fiktion handeln, die auch die Fluchtgeschichte für das Gericht unglaubwürdig machen. Er gab nunmehr bekannt, dass er selbst den Text für die Stellungnahme vom April 2018 verfasst habe, die Zusammenfassung sei jedoch von seinem Bruder gekommen, welcher die Notizen aus der Heimat übersendet habe. So ist auch hier unklar wie es vom BF in der Heimat noch Notizen geben kann, wenn wie er bereits angab, bei der Durchsuchung seines Hauses in Tschetschenien im September 2015 durch die Kadyrov-Leute sein Notebook, Inlandspass und sonstige Dokumente von ihm mitgenommen worden seien, sodass bei der zweiten Durchsuchung nichts mehr gefunden worden sei.
Bei der Verhandlung am 25.05.2022 gab er zwar stringent wieder, dass er auf Instagram gepostet habe, jedoch nannte er trotz zweimaliger Befragung des Gerichtes „Wo“ er gepostet habe keine Instagramseite (vgl. Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Hier blieb der BF in weitere Folge vage und versuchte sich mit „Mein Kopf funktioniert sehr schlecht bezüglich Daten“ die Fragen des Gerichtes unkonkret zu beantworten. Schließlich gab er nun an, dass er in XXXX noch gar nichts getan habe und nur Berichte studiert und gelesen habe (vgl. Seite 29 des Verhandlungsprotokolls). Dies ist wiederum widersprüchlich zu vorigen Aussagen, dass er bereits im Jahr 2013 bzw. 2014 und hier war er noch in XXXX , bereits auf Instagram gepostet habe. Erst auf Hinweis des Gerichtes berichtigte sich der BF und meinte nun, dass er es vielleicht schon vorher gemacht habe. Auf die Frage welche Informationen er jetzt wohin gepostet habe, gab er an, dass es auf Instagram sehr viele oppositionelle Kanäle gebe. Er habe einiges von anderen kopiert und hineingestellt. Dass er selbst eine Seite gehabt habe, brachte er mit keinem Wort vor. Auf die Frage, ob er Instagram habe, verneinte er dies (Seite 30 des Verhandlungsprotokolls). So habe er ein Youtube – Video gesehen, kopiert und hineingestellt. Im Notebook seien seine Aufzeichnungen gewesen. Die tschetschenischen Behörden haben ihn auch direkt nie befragt. Steigernd und damit auch unglaubwürdig, da auch widersprüchlich gab der BF an, dass die tschetschenischen Behörden beim 2. Besuch bei seinen Eltern, diese bezüglich der Postings befragt haben. Wie bereits geschildert hat der BF dies bisher nicht angegeben, bzw. angegeben, dass die Eltern nur einmal befragt wurden und danach nur die Schwester. Auf Nachfrage gab er an, dass er auf der Seite XXXX und irgendein Tier XXXX gepostet habe. Es zeigt sich für das Gericht, dass der BF sich grob eine Fluchtgeschichte ausgedacht hat, aber aufgrund der vielen Widersprüche und vagen Angaben, selbst diese nie erlebt hat und die Nichtvorlage des Accounts begründete er immer wieder damit, dass er es gelöscht habe oder es nicht zugänglich sei, bzw. nur für Bekannte. Es ist lebensfremd, dass der BF einen Instagramaccount mit den entsprechenden Inhalten besitzt, diese aber dem Gericht nicht vorlegen kann, jedoch seine Bekannte Zugriff haben (vgl. Seite 32 des Verhandlungsprotokolls). Schließlich versuchte er sich aufgrund des Insistieren des Gerichtes auf Vorlage der Information bekanntzugeben, dass er nichts mehr finden könne und die alten Account nicht mehr geöffnet werden können.
2.2.3. Eine aktuelle Verfolgung aus religiösen Gründen brachte der BF nicht vor. Er ist Angehöriger des Islams, der in der Russischen Föderation die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft ist. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Eine aktuelle Verfolgung aus diesem Grund ist den Länderberichten mit Blick auf den BF nicht zu entnehmen.
Eine Verfolgung des BF aus ethnischen Gründen kann nicht erkannt werden, weil tschetschenische Volksangehörige in der Russischen Föderation weit verbreitet und nicht grundsätzlicher Benachteiligung oder Übergriffen ausgesetzt sind. Eine solche brachte der BF ebenfalls nicht vor.
2.2.4. Bezüglich der Gefahr einer Einberufung zum Reservedienst bzw. von der Teilmobilmachung in der Russischen Föderation betroffen zu sein, wird auf die Anfragebeantwortung vom 13 und 20 Dezember 2022 verwiesen, sowie seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2023. Der BF brachte glaubhaft vor, dass er von 2011 bis 2012 (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023) seinen Grundwehrdienst in der Dauer von einem Jahr in der Russischen Föderation ableistete, auch legte er ein dementsprechendes Foto vor, wo er in russischer Uniform zu sehen ist. Wie sich aus den Länderfeststellungen, den auch von dem BF vorgebrachten Berichten der EUUAA vom Dezember 2020 – The Russian Federation – Military Service and ebenso Political Service – ergibt, unterzeichnete der russische Präsident am 21.09.2022 eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation. Ziel war es 300.000 Männer für den Reservedienst und damit auch für den Krieg gegen die Ukraine einzuberufen. Der § 7 ist unter Verschluss, soll jedoch nach Berichten von Novay Gazeta die Möglichkeit geben bis zu 1 Million Reservisten heranzuziehen, während auch manche von bis zu 1,2 Millionen Personen sprechen. Der Kreml verleugnet dies. „ The 7th paragraph of the decree, which is supposed to have the target number of people to be drafted under the mobilisation order, is classified.161 According to Novaya Gazeta, this paragraph would allow to draft up to one million reservists, 162 while Meduza, referring to its sources in ‘one of the country’s federal ministries,’ gave a number of 1.2 million.163 The Kremlin has denied these claims.“ (Seite 26 des EUAA Berichtes von Dezember 2022). Obwohl es auch Einschränkungen bzw. Befreiungen von der Einberufung gab, berichtet EUAA in seinem Bericht, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist und auch befreite Personen, wie auch z.B. Studenten von der Einberufung betroffen waren. Auch wurden bereits davor Grundwehrdiener für den Krieg gegen die Ukraine eingesetzt, obwohl dies vom Kreml verneint wurde. Allgemein wird auch davon berichtet, dass die Umsetzung der Teilmobilmachung in den Oblasten unterschiedlich erfolgten und keine Garantien bei der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gegeben hat. So sollten nach manchen Berichten jedoch am 04.10.2022 bereits 492 000 Personen rekrutiert worden sein, andere sprachen von 212 200 Personen. „On 4 October 2022, MoD reported that 200 000 people had been drafted under the mobilisation order of 21 September. 167 Research by independent media project Vazhnye Istorii (Stories that Matter, alternatively Important Stories) and Conflict Intelligence Team (CIT), published on 5 October 2022, found that 212 200 people were drafted in 53 out of 85 administrative regions of Russia, which suggestedthat the number of people drafted across the country should be higher.168 Independent news outlet Mediazona has calculated, based on the number of marriages that were registered after the announcement of the mobilisation, that 492 000 men were drafted country-wide by mid-October.169 EUAA was not able to verify the methodology used by the source.“ (Seite 27 des EUAA – Berichts vom Dezember 2022).
On 28 October 2022, the Minister of Defence Sergei Shoigu announced that the mobilisation was completed. The minister reported that 82 000 of 300 000 drafted persons were deployed to Ukraine and 218 000 were undergoing training.175 Legal experts have noted that the mobilisation can be completed only with a presidential order, as the order about the beginning of the mobilisation has no end date. 176 According to Kremlin spokesperson Dmitry Peskov, there was no need for a presidential decree to end the mobilisation and there would be no new mobilisation wave in the framework of the existing presidential decree. 17 (Seite 27 – 28 des Berichtes der EUAA vom Dezember 2022).
So zeigen die Berichte zwar Unregelmäßigkeiten und den Vollzug der Teilmobilmachung in den Regionen unterschiedlich, aber auch keine weiteren Berichte, dass es nach dem November 2022 zu verstärkten und weiteren Vollzug in der Russischen Föderation gekommen ist, wenngleich einzelne Rekrutierungen weiterhin erfolgten, wobei auch hier der Bericht teilweise nicht genau darlegt, ob es sich nicht auch um die Verpflichtung von Zeitsoldaten handelt. Aber auch in Tschetschenien wurde die Teilmobilmachung, wenngleich auch im verstärkten Ausmaß und unter Zwang durchgeführt (Seite 47 ff des Berichtes der EUAA vom Dezember 2022).
Die ÖB aus Moskau berichtet jedoch im Einklang des Berichtes von EUAA, dass die Teilmobilmachung zwar formell nicht beendet und abgeschlossen wurde, aber de facto derzeit keine Einberufungen von Wehrpflichtigen stattfindet. Es können Einzelpersonen jederzeit einberufen werden, aber die Militärkommandos setzen derzeit keine Aktivitäten, sodass es eine geringe Wahrscheinlichkeit einer Einberufung zum Wehrdienst gibt. Auch hier wird bestätigt, dass es bei der Einberufung zu geringen aber vorhandenen Fehlern gekommen ist. Eine Anwendung von Repressalien gegen russische Staatsbürger, welcher nunmehr aus dem Ausland zurückkehren konnte nicht festgestellt werden, wenngleich es zu strafrechtlichen Folgen kommen kann, wenn die betreffende Person, das Land verlassen hat, obwohl er einberufen war oder geflüchtet ist und daher ein Dissident oder Fahnenflüchtiger ist.
Dies deckt sich auch mit den Angaben des BF, der auch bezüglich seinen Bruders angab, dass dieser informiert worden wäre, sich für eine etwaige Einberufung bereithalten solle, bzw. falls er benötigt werde, beim Militärpunkt vorbeischauen solle (vgl. Seite 12 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023), eine Nachfrage nach dem BF oder eine Einberufung des BF ist nicht erfolgt. Weiters gab der BF auch selbst an, dass derzeit keine Teilmobilmachung erfolgt (vgl. Seite 13 des Verhandlungsprotokolls vom 10.01.2023). So geht das Gericht davon aus, dass der BF zum Zeitpunkt der Entscheidung und der Rückkehr in seinen Herkunftsort XXXX , aber auch nach Tschetschenien nicht von einer allgemeinen Einberufung oder zwangsweisen Rekrutierung betroffen ist. Auch sonstige Repressalien sind mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten. Der BF hat sich auch in Österreich nicht öffentlich gegen das russische oder tschetschenische Regime aufgelehnt, hatte seinen Wehrdienst geleistet und ist von diesem nicht geflüchtet. Auch hat der BF sich nicht einer erfolgten Einberufung entzogen, daher ist mit keinen strafrechtlichen Konsequenzen oder eine Inhaftierung zu rechnen. Die allgemeine schlechte Menschenrechtssituation führt nicht dazu, dass der BF konkret davon betroffen ist. Den Angehörigen des BF geht es in der Russischen Föderation, sodass auch obwohl der BF nicht im Inland ist, ihm nicht unterstellt wird, dass er sich seinen staatsbürgerlichen Pflichten zu entziehen versucht, ansonsten auch seine Verwandten mit Konsequenzen zu rechnen hätte. Der BF berichtet weder von Vorfällen bei seinen Eltern in XXXX noch in Tschetschenien (vgl Verhandlungsprotokoll vom 10.01.2023).
Sodass der BF vor dem Hintergrund der Länderinformationen, der Berichte des EUAA und der Anfragebeantwortung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Gefahr ist, im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation, zwangsweise im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt oder Teil der Teilmobilmachung zu werden. Weiters ist der BF körperliche bzw. gesundheitlich eingeschränkt, sodass auch hier nicht davon ausgegangen wird, dass der BF einberufen wird. Den Wehrdienst hat er bereits abgeleistet.
2.2.5. Dass der BF im Falle der Rückkehr wegen seines Aufenthalts in Österreich oder der Antragstellung auf internationalen Schutz im Falle der Rückkehr keiner Gefährdung ausgesetzt ist, ergibt sich ebenfalls aus den Länderberichten, denen zufolge Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (vgl. Punkt II.1.5.).
Der BF reiste nach Österreich, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Der BF war und ist keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht dem BF weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch russische Behörden oder durch andere Personen.
2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat:
2.3.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat, ergeben sich aus den o.a. Länderberichten zur Russischen Föderation und aus den Feststellungen zu seinen persönlichen Umständen. Die Sicherheitslage in der Russischen Föderation ist insbesondere für gewöhnliche Bürger stabil.
Dass der BF wieder im Familienhaus bei seinen Eltern bzw. Bruder leben könnte, basiert auf der Feststellung, dass der BF auch vor seiner Ausreise im Familienhaus lebte und auf seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (VH-Protokoll vom 25.05.2022, Seite 12: „R: Und wenn Sie vorübergehend dort nur Unterkunft beziehen? Oder wollen Sie mir sagen Ihre Eltern würden Sie auf der Straße schlafen lassen? BF: Die Eltern würden ein Kind nie auf der Straße stehen lassen, aber es wäre sehr eng und unkomfortabel. Entsprechend den Länderberichten besteht, wenn auch mit längerer Wartezeit, auch die Möglichkeit einer Sozialwohnung bzw. kann der BF staatliche finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen. Auch kann er, wie bisher einer Beschäftigung nachgehen oder versuchen selbst ein Gewerbe zu eröffnen, so wie er es in Österreich machen will (vgl. Seite 33 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022). Der BF ist zwar im Besitz eines Behindertenpasses ist jedoch nach seinen Angaben nicht so eingeschränkt, dass er keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, so wollte er auch in Österreich ein Transportunternehmen eröffnen und kann daher mit seinem russischen Führerschein auch entsprechende Arbeiten erledigen.
2.3.2. Dass der BF nicht Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft im Falle einer Rückkehr nicht befriedigen zu können, steht einerseits auf Grund der Länderfeststellungen zur Grundversorgung und andererseits auf Grund der Feststellungen zur Person des BF fest: Er ist arbeitsfähig und arbeitswillig, leidet an keiner Krankheit, welche nicht in der Russischen Föderation in XXXX behandelt werden kann, spricht Russisch und Tschetschenisch auf muttersprachlichen Niveau und lebte seit Geburt bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 in der Russischen Föderation. Dem BF ist es auch möglich den Bedarf seiner Medikamente, wenngleich es vielleicht teilweise andere Medikamente aber mit demselben Wirkstoff sind, selbst zu decken und zu finanzieren, wie bereits dargestellt bzw. die Hauptmedikation frei und kostenlos zu erhalten. Es sind keine Lieferengpässe trotz der Sanktionen gegen Russland bekannt und wurde bei der Anfragebeantwortung auch die Corona-Pandemie berücksichtigt, wobei wie in Österreich aufgrund der allgemeinen Lage es immer wieder zu Medikamentenengpässe kommen kann, der BF hierbei jedoch auf den notwendigen Wirkstoff verwiesen wird. Es wird auch daraufhingewiesen, dass es nur in drei EU-Staaten die Wirkstoffverschreibung nicht erlaubt ist, dass ist Österreich, Schweden und Dänemark, sodass es state-of-the-art ist, dass die notwendige Medikamentation auf den Wirkstoff abgestellt werden kann. In den meisten südeuropäischen Ländern ist es sogar verpflichtend (siehe Homepage Generikaverband – https://generikaverband.at )
Der BF lebte die ersten 22 Jahre in der Russischen Föderation, ist demnach dort aufgewachsen und sozialisiert worden, sohin mit den russischen und tschetschenischen Gepflogenheiten vertraut. Die Ehe in Österreich, welche nach tschetschenischen bzw. islamischen Recht vollzogen wurde, wurde wieder getrennt, sodass der BF auch derzeit keine österreichische Freundin hat und ansonsten Freunde und Bekannte mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten darunter aber auch tschetschenische, sodass er auch in Österreich weiterhin mit der tschetschenischen und russischen Kultur Kontakt hat (vgl. Seite 14 - 15 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022). Zudem verfügt der BF über Schulbildung sowie vielseitige Berufserfahrungen. Dass der BF eine Registrierung erlangen und dadurch das Sozialsystem der Russischen Föderation in Anspruch nehmen kann, steht auf Grund der Länderberichte, laut denen auch Rückkehrer, wie alle russischen Staatsangehörige durch das Wohlfahrtssystem Leistungen beziehen können fest. Der BF lebte vorwiegend in XXXX , wo er aufwuchs und zur Schule ging, sein Aufenthalt in Tschetschenien waren nur zwei Jahre, sodass XXXX , wo auch seine Eltern und sein Bruder leben als Herkunftsort anzusehen ist. Aber auch wenn, der BF Tschetschenien als Herkunftsort ansieht, so ist es ihm als russischen Staatsbürger möglich und zumutbar wieder nach XXXX zurückzukehren.
Der BF verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern und Geschwister) in der Russischen Föderation, von denen er auch vor der Ausreise im Jahr 2015 unterstützt wurde und zu denen er auch weiterhin Kontakt hält und welche ihn auch unterstützen würden. Wenngleich die Eltern nunmehr Pension beziehen, kann er auch vom Bruder unterstützt werden und der Vater, teilweise arbeitet, so wird es dem BF auch möglich sein in XXXX eine vorübergehende Unterstützung und sei es auch nur zur kostenlosen Unterkunft und Verpflegung in Anspruch zu nehmen, bis er sich selbst eine Unterkunft finanzieren kann.
2.3.3. Dass der BF im Falle einer Rückkehr auch nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet ist oder gefährdet ist, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder zu einer Todesstrafe verurteilt zu werden, geht aus dem Länderinformationsblatt zur Russischen Föderation hervor (vgl. Punkt II.1.5.); dies wurde von dem BF auch nicht glaubhaft behauptet. Er brachte nur unsubstantiiert dar, dass er Angst habe, dass die russischen Behörden ihn verhaften und womöglich foltern oder sogar töten, wobei er selbst angab föderal nicht gesucht zu werden, wodurch auch durch die Inanspruchnahme der Rückkehr nach XXXX – auch als innerstaatliche Fluchtalternative - der BF etwaigen Problemen mit einer einzelnen Gruppierung, zumutbar und möglich, aus dem Weg gehen kann. Laut den Länderfeststellungen besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrer. Auch hat er nie aktiv gegen das Regime opponiert, war nicht exilpolitisch noch journalistisch tätig, sodass hier ebenfalls keine Gefahr für ihn besteht. Der BF gab selbst an in Österreich keine Maßnahmen gesetzt zu haben (vgl. Seite 33 des Verhandlungsprotokolls vom 25.05.2022)
Auch auf Grund des Gesundheitszustandes des BF haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Aktuell benötigt der BF laut seinen gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren keine aktuelle medizinische Behandlung in einer Krankenanstalt, sondern lediglich bei Bedarf und wird seine Erkrankung durch die Einnahme von Medikamente behandelt, welche auch in der Russischen Föderation insbesondere in XXXX erhältlich sind. Laut den Länderberichten und der Anfragebeantwortung wird die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Jeder russische Staatsbürger, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst.
Laut den medizinischen Indikationen für die Zuordnung zur COVID-19 Risikogruppe gemäß COVID-19 Risikogruppe-Verordnung gehört der 30-jährige BF auch unter Berücksichtigung seiner Erkrankungen nicht einer COVID-19 Risikogruppe an. Das Risiko sich zu infizieren besteht in Österreich ebenso. Aufgrund seines Alters ist die Möglichkeit, dass bei Infizierung eine schwere Erkrankung auftreten kann gering. Außerdem könnte der BF in den Gesundheitseinrichtungen versorgt werden oder vorsorglich, um das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes zu minimieren die vorhandenen Impfungen in Anspruch nehmen.
2.5. Zu den Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation und zur Corona Pandemie:
2.5.1. Die Parteien traten den Länderfeststellungen (vgl. Punkt II.1.4.) zu Grunde liegenden Berichten bzw. ihren Quellen, zu denen das Bundesverwaltungsgericht Parteiengehör zur Version 10 in der mündlichen Verhandlung einräumte, nicht entgegen und gaben keine weitere Stellungnahme ab.
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben, auf Grund des Ukraine-Krieges wurden aktuelle Anfragebeantwortungen miteinbezogen.
2.5.2. Die allgemeinen Feststellungen zur Pandemie auf Grund des Corona-Virus gründen auf unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen und stützen sich jeweils mit einer Vielzahl weiterer Hinweise auf die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II 203/2020; https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ .
Die Feststellungen zur aktuellen Lage auf Grund der Covid-19-Pandemie in Österreich gründen auf den vom Sozialministerium veröffentlichten Daten (https://info.gesundheitsministerium.gv.at/?re=infektionslage ) sowie dem Infopoint auf ORF (https://orf.at/corona/daten/oesterreich ), zu der in der Russischen Föderation auf den von der WHO veröffentlichten (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru ) sowie Zahlen der John-Hopkins-Universität (https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/russland/ ). Auf diese gründen sich auch die Angaben zur Impfkampagne in der Russischen Föderation, die Angaben zu der in Österreich gründen auf dem Dashboard des Sozialministeriums zur Corona-Schutzimpfung (https://info.gesundheitsministerium.gv.at/ ).
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
3.2. Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.):
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen gefürchtet hätte (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss zudem in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genüge daher, wenn der BF die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45, Rz 3). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setztet positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt ist die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben ist (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005).
3.2.2. Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen machte der BF keine asylrelevante Verfolgung weder in Bezug einer Unterstützung seines Cousins, aufgrund einer Bedrohung durch Leute von Kadyrov, noch aufgrund einer oppositionellen Tätigkeit in sozialen Medien und dadurch eine unterstellte oppositionelle Gesinnung, glaubhaft. Er war auch nie Mitglied in einer politischen Partei oder sonstigen politischen Gruppierung, war nie journalistisch noch regimekritisch tätig, noch trat er öffentlich gegen Kadyrov oder Putin auf und konnte damit auch nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb ein Interesse der russischen oder tschetschenischen Behörden an den seit nunmehr fast 7 Jahren in der Russischen Föderation nicht mehr aufhältigen BF bestehen soll.
Der BF blieb bezüglich der Bedrohung aufgrund der Hilfe für seinen Cousin in den Aussagen, teilweise vage, widersprüchlich und steigerte seine Angaben. Wie in der Beweiswürdigung dargestellt, konnte der BF nicht durchgehend und stringent die Fluchtgeschichte inhaltsgleich und konkret darlegen. Es muss jedoch erwartet werden können, dass jemand eine Situation die er selbst erlebt hat auch inhaltsgleich darstellen kann. Dass der BF an einem partiellen oder vollen Gedächtnisverlust leide, konnte aus den Vielzahl seinen vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht abgeleitet werden, sodass das Gericht davon ausgeht, dass der BF sein Vorbringen bezüglich eines Gedächtnisverlustes, nur dazu nutzte, um seine Widersprüche oder vagen Angaben rechtfertigen zu können. Der BF versuchte die Tat seines Cousins zunächst ungenau vor dem BFA darzulegen, in weitere Folge brachte er nähere Umstände vor, konnte jedoch nicht darlegen, warum er diese nun kenne, zumal er mit keiner entsprechenden Person seit seiner Flucht Verbindung hatte. Die Hilfeleistung wurde vom BF in unterschiedlichen Varianten dargelegt, sei es, dass er einmal Medikamente in einer in unmittelbaren Nähe befindlichen Apotheke besorgte, andererseits bei einer anderen Aussage die Medikamente bereits hatte oder sie bei einer alten Frau in 10 Minuten Entfernung besorgen musste. Es ist auch nicht nachvollziehbar und lebensfremd, dass der BF nicht einmal angeben kann, wie oft er seinem Cousin half, zumal solche Hilfeleistungen eine äußerst gefährliche Situation darstellen würden und von einer durchschnittlichen Person zu erwarten ist, mitzuteilen, ob er nun zweimal oder dreimal von seinem Cousin aufgesucht worden ist, zumal diese Anzahl kein große ist. Aber auch die nachfolgende Flucht wurde vom BF unterschiedliche dargestellt, so konnte er nicht stringent angeben, bei wem er tatsächlich Unterschlupf gefunden hat. So ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Fluchtgeschichte nicht glaubhaft ist und daher auch keine Bedrohung oder Verfolgung deswegen in der Russischen Föderation erfolgen wird.
Aber auch die angebliche oppositionelle bzw. regimekritische Tätigkeit in den sozialen Medien wurde nicht glaubhaft vorgebracht. So konnte auch hier der BF nicht bestimmt angeben, ab wann er hier tätig gewesen sein soll, noch in seinem Herkunftsort XXXX oder erst in Tschetschenien. Weiters brachte er auch unterschiedliche Kanäle vor, wo er tätig gewesen sein sollte. Auch hier ist zu erwarten, dass bei einer regimekritischen Tätigkeit stringent angegeben werden kann, auf welchen Instagram-Seiten oder Profilen, diese Berichte von einem selbst veröffentlicht worden sind, dies schaffte der BF nicht. Dass der BF die jeweiligen Berichte konkret nicht vorlegen konnte, zeigte dem Gericht ebenfalls, dass diese Geschichte nicht der Wahrheit entspricht, zumal er selbst angab, dass eine Seite zwar gesperrt, aber noch von Bekannten besucht werden kann. Es ist daher nicht erklärbar, warum von ihm diese Seite nicht besucht werden kann oder Bekannte ihm entsprechende konkrete Berichte vorlegen können. So hat er auch noch immer Kontakt mit seinem Bruder in XXXX , der jedoch nur eine selbst geschriebenen Bericht vorlegte, jedoch keinen Auszug aus den Instagram-Account.
Er war und ist keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt.
3.2.3. Es kann auch von amtswegen keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit des festgestellt werden.
Die Gefahr einer Einberufung aufgrund der Teilmobilmachung in der Russischen Föderation in Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben. Der BF absolvierte zwar den Grundwehrdienst und ist potentiell Reservedienstpflichtig, aber er wurde bis dato nicht einberufen und ist nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr in die Russische Föderation mit einer Einberufung zu rechnen, zumal auch sein Bruder nicht einberufen wurde oder seiner Familie mitgeteilt worden wäre, dass man den BF deswegen suche.
In Ermangelung von dem BF individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale – etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen oder zur Religionsgruppe des Islams – unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).
Muslimen droht als Angehörigen der zweitgrößten Glaubensgemeinschaft und einer der traditionellen Hauptreligionen Russlands keine Verfolgung. Aus den Länderberichten geht auch hervor, dass in der Russischen Föderation rund 20 Millionen Muslime leben. Lediglich Dschihadisten und radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen drohen strenge Strafen und stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden; dass der BF zu diesen Gruppen gehört, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich (vgl. Punkt II.1.5.).
Es kann auf Grund der Länderberichte auch keine Gruppenverfolgung ethnischer Tschetschenen festgestellt werden: Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Es ist sohin nicht erkennbar, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation grundsätzlich benachteiligt bzw. Übergriffen ausgesetzt sind (vgl. Punkt II.1.5.).
3.2.4. Dem BF droht aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen bei seiner Wiedereinreise in die Russischen Föderation daher keine Gefahr. Zurückkehrende werden wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland oder ihrem Aufenthalt im Ausland nicht verfolgt (vgl. Punkt II.1.5.).
Wenngleich die Rückkehrer einer Befragung seitens der russischen Behörden drohen kann, so ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass der BF dadurch schikaniert oder bedroht wird. Die Gefahr von Repressalien liegt im Bereich der Spekulation und kann nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden.
Dem BF ist es daher möglich in seine Herkunftsregion XXXX zurückzukehren. Da er dort aufgewachsen ist und längere Zeit lebte, geht das Gericht von dieser Herkunftsregion aus. Auch wenn der BF, was er jedoch nicht angab, Tschetschenien als Herkunftsort betrachte und sich dort von einer Gruppierung fürchte, so ist es ihm möglich und zumutbar in die Region XXXX zurückzukehren. Da dort auch sein familiärer Anknüpfungspunkt mit seinen Eltern und seinem Bruder, mit welchen er auch regelmäßigen Kontakt hat, vorhanden ist. Er kann dort wieder in das gemeinsame Familienhaus zurückkehren, wo er auch vor der Ausreise nach Tschetschenien und nach Österreich lebte. Dem BF ist es als russischer Staatsbürger möglich in diese Region zu reisen und hat dort keine Verfolgung oder Bedrohung zu befürchte. Auch gab er selbst an, dass er föderal nicht gesucht werde, sodass auch bei Einreise über Moskau oder andere große Städte wie St. Petersburg keine Bedrohung gegeben ist. Dem BF ist es jedoch somit möglich und zumutbar in andere Oblasten der Russischen Föderation zu reisen und sich niederzulassen, wie in der Hauptstadt Moskau.
3.2.5. Im Ergebnis ist daher der Ausspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.
3.3. Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.):
3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.
Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).
Nach der Rechtsprechung des VwGH führt die Abschiebung in Krankheitsfällen nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche Umstände liegen dann vor, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 8.11.2021, Ra 2021/19/0226, Rn. 12, mwN).
Im Allgemeinen hat kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat einer möglichen Abschiebung nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat gibt.
Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zum Ganzen VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).
Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 9.12.2021, Ra 2021/14/0340 bis 0341, mwN).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen.
Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (Rn. 130). Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen [„As noted in paragraph 135 above, it is only after that test is met that any other questions, such as the availability and accessibility of appropriate treatment, become of relevance.“]).
3.3.2. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt ist. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des BF für ihn als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund seiner Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.
3.3.3. Das Vorbringen des BF zu den Fluchtgründen ist nicht glaubhaft (siehe Beweiswürdigung); es bestehen daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF im Falle seiner Rückkehr aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht ist (siehe Punkt II.3.2.).
3.3.4. Im gegenständlichen Fall kann auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr des BFs in die Russische Föderation ( XXXX /Tschetschenien) im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannt werden. Weder aus den Angaben des BF zu seinen spekulativen und allgemeinen Rückkehrbefürchtungen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, dies auch nicht vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und der Teilmobilmachung, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen. Es steht fest, dass dem BF in der Russischen Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlt:
Beim BF handelt es sich um einen volljährigen Mann mit einer in der Russischen Föderation abgeschlossenen 9-jährigen Schulausbildung, der gesundheitlich eingeschränkt ist und über Arbeitserfahrung und Berufsausbildung in der Russischen Föderation verfügt. Der BF hat eine Ausbildung als Automechaniker und Schweißer abgeschlossen. Er arbeitete in diesem Bereich und ist auch in Österreich, wenngleich in Teilzeit bzw. geringfügig beschäftigt. Der BF verfügt über einen russischen Führerschein und möchte auch in Österreich eine Arbeit als Kraftfahrer –bzw. Kleinbusunternehmer tätig sein. Er ist trotz seiner Krankheit noch arbeitswillig sowie grundsätzlich auch arbeitsfähig und kann seinen Lebensunterhalt durch Teilnahme am Erwerbsleben bestreiten. Er verbrachte sein gesamtes Leben bis 2015 (22 Jahre) in der Russischen Föderation, spricht fließend Russisch sowie Tschetschenisch und damit zwei Landessprachen und ist mit der tschetschenischen sowie russischen Kultur und Lebensart vertraut. Er hat mit seinen Eltern und Geschwistern sowie weiteren weitschichtigen Verwandten ein großes familiäres Netz in der Russischen Föderation, das vor allem am Anfang behilflich sein kann und wo er auch wohnen kann. Seine Familienangehörigen leben weiterhin in seinem Heimatort XXXX und Umgebung. Als russischer Staatsangehöriger kann er sich anmelden und hat Zugang zur Krankenversicherung und zu Sozialhilfeleistungen. So zeigen die Länderberichte, dass besonders vulnerable Gruppen unterstützt werden. So besteht auch eine Arbeitsunfähigkeitspension, falls der BF in diese Lage kommen sollte, wenn sich seine Erkrankung verschlechtert. Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen auch Menschen mit Beeinträchtigungen (IOM 2020). Bei festgestellter Arbeitsfähigkeit besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfrei Wohnungen beantragen, der BF hat die Möglichkeit während der Wartezeit bei seinen Eltern zu wohnen. Es konnten auch keine Hinweise gefunden werden, dass seit dem Kriegseinsatz der Russischen Föderation in der Ukraine die Sozialleistungen für den BF konkret eingeschränkt sind, welche eine Rückkehr nicht zumutbar machen.
3.3.5. Der BF benötigt aktuell keine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus, er leidet an den festgestellten Krankheiten und benötigt Medikamente. Auf Grund der Länderberichte und der Anfragebeantwortung steht fest, dass eine allgemeine medizinische Versorgung sowohl in Tschetschenien, als auch in XXXX in Hinblick seiner Erkrankungen gewährleistet ist. Exzeptionelle Umstände wurden nicht behauptet und können von amtswegen nicht festgestellt werden. Der BF erhält die notwendige Versorgung bzw. Behandlung in der Krankenanstalt in XXXX kostenfrei, auch die notwendigen Untersuchungen sind kostenfrei. Die notwendigen Medikamente kann der BF kostenfrei, wenngleich nicht das idente Medikament aber die identen Wirkstoffe erhalten (Mesalazine und Ursodeoxycholic). Die Kosten für die selbst zu bezahlenden Medikament, welche der BF nicht laufend, sondern bei Bedarf nimmt – Pantoprazole, Metamizole und Vitamin D3 sind bei wenigen Rubel. So sind die Kosten bei ca. 300 Rubel, bei einem Durchschnittsverdient in der Russischen Föderation von ca. 44.919 Rubel (Länderbericht). So kann der BF auch bisher in verschiedenen Teilen der Russischen Föderation eine Unterkunft bekommen und sich durch Arbeit versorgen bzw. mit Unterstützung seiner Familienangehörigen seinen Lebensunterhalt bestreiten. So dass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative auch in Moskau, bzw. bei Annahme der Region Tschetschenien als Herkunftsort, die Region XXXX zumutbar ist.
Auf Grund der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF steht daher fest, dass er im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen wird, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehen. Die Rückkehr in den Herkunftsstaat ist dem BF daher möglich und zumutbar. Er kann sich auch an jedem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus oder XXXX niederlassen und registrieren lassen. So etwa auch in Moskau, wo auch medizinische Einrichtungen vorhanden sind.
Auch unter Berücksichtigung der Covid-19 Pandemie ergibt sich keine andere Beurteilung: Der BF brachte nicht vor, dass er wegen der derzeitigen Covid-19-Pandemie besonders gefährdet oder einer Risikogruppe zugehörig wäre. Der 30-jährige BF ist aufgrund seines Alters in keiner Risikogruppe. Es liegen keine Erkrankungen iSd Covid-19-Risikogruppenverordung vor, die das Risiko für einen besonders schweren oder lebensbedrohlichen Verlauf einer Covid-19 Erkrankung maßgeblich steigern. Der BF leidet auch an keinen behandlungsintensiven Erkrankungen, sodass auch kurzfristige Engpässe im Gesundheitssystem den BF keiner Gefährdung aussetzen würden. Impfstoff gegen schwere Verläufe von Covid-19 ist in der Russischen Föderation vorhanden. Es liegen daher auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie im Fall des BF keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK vor. Eine Ansteckung des BF in der Russischen Föderation mit Covid-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf wären allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist nicht zu erkennen.
Weil kein „real risk“ besteht, dass die Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen wird und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen, vorliegen, ist dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen.
Das Bundesamt hat daher dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht nicht zuerkannt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.
3.4. Entscheidung über eine Rückkehrentscheidung und damit in Zusammenhang stehende Absprüche (Spruchpunkt III.-V.):
3.4.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu erteilen ist.
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).
Der BF befindet sich seit September 2015 als Asylwerber im Bundesgebiet. Der Aufenthalt des BF ist im Bundesgebiet nicht im Sinne dieser Bestimmung geduldet bzw. zur Gewährleistung einer Strafverfolgung erforderlich. Er ist aktuell weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.
3.4.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der BF ist als Staatsangehöriger der Russischen Föderation kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
Daher liegen die Voraussetzungen für die Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG vor.
3.4.3. Das Bundesamt hat gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.
Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG: Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet war (Z 9).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruhen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff. NAG) verfügten, unzulässig wäre.
3.4.4. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangte eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Ausweisung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wurde – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.4.4.1. Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammenleben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellt, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Der BF ist geschieden und hat keinen Kontakt zu seiner nach tschetschenischen Gebräuchen geschiedenen Frau, standesamtlich heirateten sie nicht. Der BF lebte nur kurze Zeit mit seiner Frau in einem gemeinsamen Haushalt, aus der Beziehung entstammen keine Kinder, ein Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht. Der BF begründete sein vorübergehendes Familienleben in einer Zeit als ihm bewusst war, dass sein Aufenthalt unsicher war. Es besteht daher kein schützenswertes Familienleben.
Darüber hinaus leben noch zwei Cousins des BF im Bundesgebiet, die Beziehung beschränkt sich auf lose Besuche und Telefonate, es besteht kein Abhängigkeitsverhältnis und stellt daher auch kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK dar.
Sonstige Familienangehörigen oder Verwandte hat der BF im Bundesgebiet nicht. Seine Eltern und Geschwister sind nach wie vor in XXXX bzw. in Tschetschenien aufhältig. Der BF hat regelmäßigen Kontakt mit seinen Eltern und seinen Bruder, sodass die Familienbeziehung in der Russischen Föderation höher zu bewerten ist als die nicht mehr vorhandene Beziehung zu seiner geschiedenen Frau. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.
3.4.4.2. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen sind (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0026).
Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.
In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Bei stärkerem Integrationserfolg wurde diese Judikatur vom Verwaltungsgerichtshof auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/14/0385).
Ein solcher Fall liegt gegenständlich nicht vor, weil nur von einem geringen Grad der Integration auszugehen ist und der BF sich seit nur etwas mehr als sieben Jahre in Österreich aufhält (vgl. VwGH 23.02.2021, Ra 2020/19/0406).
Auch die lange Verfahrensdauer im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG führt gegenständlich nicht zu einem anderen Ergebnis, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/18/0325). Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag der BF nicht darzulegen.
Der BF reiste erstmals im September 2015 ins Bundesgebiet ein und hielt sich zunächst auf Grund seiner Asylantragstellung als Asylwerber bis zur rechtskräftigen Rückkehrentscheidung auf. Im Hinblick auf den insgesamt knapp über 7-jährigen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ist aufgrund der zeitlichen Komponente noch nicht per-se vom Vorliegen eines Privatlebens in Österreich auszugehen.
Der BF hat geringe Deutschkenntnisse, absolvierte keine Deutschprüfung und verweigerte das Angebot weitere Deutschkurse zu besuchen, wenngleich er die Arbeitssuche als Begründung darlegte, mag dies nicht zu überzeugen, zumal er noch bei der Verhandlung am 25.05.2022 selbst dem Gericht darlegte, diesen Kurs absolvieren zu wollen. Auch hat der BF ansonsten an keinen Aus- oder Fortbildungen teilgenommen. Der BF ist nicht Mitglied in einem Verein und bestreitet derzeit seinen Lebensunterhalt vorwiegend mit illegalen Arbeiten. Seitens des Gerichtes wird nicht übersehen, dass der BF über einen Behindertenpass verfügt und zeitweise legal arbeitstätig gewesen ist. Der BF wurde auch bereits bei der Verhandlung am 25.05.2022 durch das Gericht darauf hingewiesen, dass Gesetze und Verordnungen zu befolgen sind, zumal er auch seinen kurzfristen aber über drei Tage lange Wohnsitzwechsel zu seiner ehemaligen Frau nicht gemeldet hat und für seine nicht benutzte Wohnung Sozialleistungen erhalten hat. Wobei auch hier der BF angibt, dass teilweise hier es zu Scheinmeldungen gekommen ist. Der BF ist wenngleich nicht verpflichtet, aber zeigt auch kein weiteres Interesse an der Integration, wenn er angibt, dass er keine Sozialleistungen empfängt, da er nicht weitere Behörden aufsuchen wolle und suche daher primär Arbeit. Er nimmt hier ebenfalls in Kauf, dass er illegale Arbeiten nachgeht. Hier zeigt sich, dass der BF nicht den rechtlichen Vorgaben folgt.
Der Freundeskreis des BF bewegt sich auch weiterhin im Umfeld seiner tschetschenischen bzw. russischen Community. Er gab keine näheren Informationen mit österreichischen Bezug und konnte lediglich den Namen eines Österreichers nennen. Er sprach zwar von Freunden, zeigte aber, dass er sich im Umfeld von anderen Staatsbürger bewegt. Wenngleich das Gericht keinesfalls den Umgang verurteilt oder negativ bewertet, so zeigt sich nur, dass eine Integration mit österreichischen Staatsbürger noch nicht erfolgt ist.
Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seiner privaten Kontakte ist aber auch dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der BF durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der VfGH misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
Derzeit geht der BF keiner legalen Beschäftigung nach.
Im Vergleich dazu hat der BF nach wie vor sehr starke Bindungen an sein Herkunftsland: Er lebte seine ersten 22 Jahre dort, spricht fließend Russisch und Tschetschenisch, er ist mit der russischen und tschetschenischen Kultur und Lebensart sozialisiert worden und mit dieser noch vertraut, seine Eltern und Geschwister sowie viele weitere Verwandte hat er dort, er war dort arbeitstätig und ging zur Schule.
Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Bei dieser Abwägung kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (vgl. dazu VwGH 28.4.2015, Ra 2014/18/0146 bis 0152, Pkt. III.4.3.; 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, Rn. 16, jeweils mwN).
Es obliegt dem Fremden, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. VwGH 13.9.2016, Ra 2015/22/0171 bis 0173, Rn. 8, mwN). In Bezug auf die Behauptung der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung haben die für die Beurteilung nach Art. 3 EMRK maßgeblichen Kriterien grundsätzlich auch in die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK einzufließen (vgl. VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0218 bis 0221, mwN).
Der BF leidet an Colitis ulcerosa und primär sklerosierende Cholangitis und wird hier seit Jahren in Österreich versorgt. Der BF ist im Besitz eines Behindertenausweises und erhielt aufgrund seiner Erkrankungen soziale und medizinische Unterstützung. Die Medikamente sind kostenfrei und ist der BF mit seinem Medikament gut eingestellt, sodass keine Verschlechterung der Erkrankung derzeit ersichtlich ist. Der BF hat daher ein Interesse daran in Österreich weiterhin adäquat versorgt zu werden und muss nicht auf ein neues Medikament, wenngleich mit gleichem Wirkstoff umgestellt werden. Er vertraut den österreichischen Ärzten, bei welchen er nun über Jahre in Behandlung ist. Andererseits zeigt die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, dass er BF in der Russischen Föderation ebenfalls behandelt und medikamentös in den Spitälern kostenlos versorgt werden kann. Dass der BF teilweise nicht sein Medikament erhalten kann, sondern ein Medikament mit demselben Wirkstoff vermag seine Position nicht wesentlich zu ändern, zumal diese Vorgehensweise auch in Europa state-of-the-Art ist. Der BF ist im Stande sich diese Medikamente zu besorgen und bei Bedarf weitere zu bezahlen. Auch hat der BF in seinem Herkunftsstaat Unterstützung durch seine Eltern und seinem Bruder. Dass die Medikamente derzeit nicht verfügbar sind, konnte nicht festgestellt werden. Allgemeine Engpässe von Medikamentenversorgung kann auch gerade derzeit in Österreich erfolgen und ist daher auch hin der Russischen Föderation nicht vollends ausgeschlossen, aber mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit nicht gegeben.
Die Länge des Verfahrens ist auch der Umstand geschuldet, dass die Feststellung der tatsächlichen Erkrankung durch Einbindung von Ärzten und Untersuchungen, sowie der Anfragebeantwortung und Lageänderung in der Russischen Föderation aufgrund des Krieges gegen die Ukraine geschuldet ist und daher es nicht den Behörden bzw. dem Verwaltungsgericht geschuldet ist. Der BF wurde auch immer wieder mittels Parteiengehör über die Lageänderung bzw. Informationseinholung informiert bzw. wurden weitere Verhandlungen beantragt.
In Anbetracht der dargelegten Umstände ist zusammenfassend davon auszugehen, dass im Falle des BF ein nur sehr geringer Grad an Integration erreicht worden ist. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der mittlerweile volljährige BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal er selbst angegeben hat, dass er regelmäßigen telefonischen Kontakt mit seinen Eltern hat.
Auch aufgrund der Teilmobilmachung ist der BF, obwohl er im wehrpflichtigen Alter ist, nicht von dieser betroffen. So gab er selbst an, dass nach ihm in der Russischen Föderation nicht gefragt oder er gar einberufen wurde. Aufgrund seiner Erkrankung ist auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass selbst bei weitere Fortsetzung der Teilmobilmachung der BF herangezogen wird, nicht übersehen wird, dass bei Einzelfälle auch medizinisch untauglich herangezogen wurde, dies ist jedoch nicht maßgeblich auf den BF anzuwenden.
Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Daher erließ das Bundesamt zu Recht, auch unter Berücksichtigung seines langjährigen Aufenthaltes und der privaten Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, eine Rückkehrentscheidung gegen den BF, wobei dem Verwaltungsgericht bewusst ist, dass der erkennende Bescheid im Jahr 2018 erlassen wurde und der BF seither weitere wenn auch nur geringe Integrationsmaßnahmen – Arbeit – erfüllte.
Die Interessen der Republik Österreich an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohls des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung insgesamt höher als die persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet. Daher sind auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach §§ 55 AslyG 2005 nicht gegeben (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0035, Rz 11).
Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als nicht unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.
3.4.5. Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.4.6. Zu Spruchpunkt VI. (Frist für die freiwillige Ausreise):
§ 55 FPG lautet auszugsweise:
„Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. [...]
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.“
Die Gründe für eine Verlängerung der Ausreisefrist nach Abs. 2 leg. cit. sind zwar nicht demonstrativ angeführt, aber auch eine taxative Aufzählung schließt eine Analogie nicht aus, vgl. dazu Oberster Gerichtshof (OGH) vom 24.03.2015, 10ObS11/15p. Voraussetzung ist, dass ein nicht genau in einen der taxativ beschriebenen Tatbestände passender Sachverhalt seiner Art und seinem Gewicht nach so beschaffen sein muss, dass alles für eine Gleichbehandlung spricht, während bei bloß demonstrativer Aufzählung schon eine gewisse Ähnlichkeit mit den im Gesetz angeführten Beispielsfällen genügen würde (RIS-Justiz RS0008928).
Der BF brachte keine Gründe einer Verlängerung der Ausreisefrist vor und konnte auch von Amts wegen eine solche nicht festgestellt werden, wodurch die Fristfestlegung mit 14 Tagen den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Im gegenständlichen Fall war die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz bereits aufgrund der mangelnden Glaubhaftigkeit des individuellen Fluchtvorbringens des BF und aktueller Länderberichte zu treffen. Auch verfahrensrechtlich wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen, auch der Abwägung des Privat- und Familienlebens, auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung zu Fragen des Art. 8 EMRK wurde bei den Erwägungen II.3.4. wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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