VwGH Ra 2015/22/0171

VwGHRa 2015/22/017113.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, in den Revisionssachen 1. des M Z (prot. zu hg. Ra 2015/22/0171), 2. der S G (prot. zu hg. Ra 2015/22/0172), und 3. des A Z (prot. zu hg. Ra 2015/22/0173), alle vertreten durch Mag. Bernhard Folta, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6/3/1, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich jeweils vom 20. November 2015, Zlen. LVwG-AV-615/001-2014 (zu 1.), LVwG-AV- 616/001-2014 (zu 2.) und LVwG-AV-619/001-2014 (zu 3.), betreffend Niederlassungsbewilligungen nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §43 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015220171.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet, der Drittrevisionswerber ist deren im September 1996 geborener Sohn. Weiters haben die Eheleute zwei weitere volljährige Kinder (geboren 1987 bzw. 1989), die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt leben. Alle sind armenische Staatsangehörige. Sie reisten gemeinsam im August 2010 illegal nach Österreich ein und stellten hier Anträge auf internationalen Schutz.

2 Das Bundesasylamt gab diesen Anträgen mit Bescheiden vom 24. Jänner 2011 keine Folge und wies die Revisionswerber nach Armenien aus. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof jeweils mit Erkenntnis vom 17. März 2011 ab.

3 Mit Bescheiden vom 10. Juli 2013 wurden die Anträge der Revisionswerber vom 21. September 2012 auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen gemäß § 43 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 abgewiesen. Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen wies das Verwaltungsgericht die als Beschwerden behandelten Berufungen (vgl. § 81 Abs. 26 NAG in der geltenden Fassung) als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 Unter diesem Gesichtspunkt wird in den - im Wesentlichen gleichlautenden - Zulässigkeitsbegründungen der Revisionen jeweils das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht im Sinn des Art. 8 EMRK vorgenommenen Interessenabwägung bestritten.

6 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. den hg. Beschluss vom 19. April 2016, Ra 2016/22/0003 und 0004, uva.).

7 Als unvertretbar kann die jeweils nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung unter Einbeziehung aller von den Revisionswerbern ins Treffen geführten Umstände - insbesondere der Deutschkenntnisse, der für den Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin vorgelegten Arbeitsvorverträge als Hilfskräfte aus dem Jahr 2014 bzw. der mehrjährige Schulbesuch des Drittrevisionswerbers, sowie ihrer sonstigen gesellschaftlichen Integrationsbemühungen (Teilnahme an Kursen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Empfehlungsschreiben) - angesichts des (bis zur Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse) erst etwas mehr als fünf Jahre dauernden, nur auf unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz beruhenden Aufenthaltes der Revisionswerber in Österreich in Verbindung mit der bislang fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit aber nicht angesehen werden.

8 An dieser Beurteilung ändern auch die vorgebrachten - vom Verwaltungsgericht berücksichtigten - psychischen Erkrankungen der Revisionswerber (Posttraumatisches Belastungssyndrom, Depression) nichts, weil im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon ausgesprochen, dass es einem Fremden obliegt, substanziiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058, mwN). Vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes, wonach Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen in Armenien kostenfrei bestünden und sowohl der Erstrevisionswerber als auch die Zweitrevisionswerberin bereits in ihrem Herkunftsstaat medizinisch betreut worden seien, zeigen die Revisionswerber nicht auf, dass eine notwendige medizinische Versorgung nur in Österreich möglich sei.

9 Soweit die Revisionswerber eine mögliche Trennung von ihren beiden weiteren (erwachsenen) Kindern in Anschlag bringen, ist ihnen entgegen zu halten, dass auch diesen Kindern kein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt und familiäre Beziehungen unter Erwachsenen nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. September 2014, 2013/22/0246, mwN). Eine solche Abhängigkeit wurde mit dem Vorbringen, wonach ein gemeinsamer Haushalt geführt werde und ein enger persönlicher Kontakt bestehe, nicht dargelegt.

10 In den wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Revisionen werden somit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unzulässig zurückzuweisen waren.

Wien, am 13. September 2016

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