Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190406.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 14. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu brachte er vor, in seinem Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt worden zu sein.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das ‑ im Säumnisweg zuständig gewordene ‑ Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Beschwerde des Revisionswerbers lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 3291/2020, ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
4 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die vorliegende Revision wendet sich (in ihrer Zulässigkeitsbegründung) gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung gemäß Art. 8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung des BVwG.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Die durch das BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2020/19/0139).
8 Im vorliegenden Fall setzte sich das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung mit den entscheidungswesentlichen, insbesondere auch den zu Gunsten des Revisionswerbers sprechenden Umständen auseinander. Es berücksichtigte den nahezu sechsjährigen Aufenthalt, das Vorliegen eines Arbeitsvorvertrages sowie einen gescheiterten Versuch der Ablegung einer Deutschprüfung für das Niveau A2. Die privaten Interessen des Revisionswerbers erachtete das BVwG jedoch als durch den unsicheren Aufenthaltsstatus relativiert und als nicht derart schützenswert, dass sie die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens überwiegen könnten.
9 Die Revision zeigt nicht auf, dass die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Gesamtabwägung im Ergebnis nicht den in der Rechtsprechung dargelegten Leitlinien entspräche.
10 Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, dass im Akt erliegende Empfehlungsschreiben nicht berücksichtigt worden seien, legt sie die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht dar (vgl. zu diesem Erfordernis etwa VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0308, mwN).
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Bei stärkerem Integrationserfolg wurde diese Judikatur vom Verwaltungsgerichtshof auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/14/0385). Ein solcher Fall liegt gegenständlich nicht vor, weil das BVwG zum einen vertretbar nur von einem geringen Grad der Integration ausging und zum anderen sich der Revisionswerber seit nur etwas mehr als sechs Jahren in Österreich aufhält.
12 Soweit die Revision die lange Verfahrensdauer im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA‑VG ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/18/0325). Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag die Revision nicht darzulegen.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 23. Februar 2021
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