BVwG W264 2150706-1

BVwGW264 2150706-126.9.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W264.2150706.1.00

 

Spruch:

W264 2150706-1/27E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Caritas Wien Perspektivenberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.02.2017, Zahl:

1091286708/VZ:151563944, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie gemäß

 

§§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 und 55 Abs. 1 FPG idgF sowie §§ 55 und 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal und schlepperunterstützt in Umgehung der Grenzkontrollen am 2.10.2015 ein und stellte den Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.10.2015 wurde der BF auf die Mitwirkungspflicht hingewiesen sowie auf die Wahrheitspflicht hingewiesen. Er gab in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi an, am XXXX in Shiraz im Iran geboren worden zu sein, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und Moslem (Sunnit) zu sein. Er sei mit der iranischen Staatsbürgerin XXXX, geb. XXXX, verheiratet und habe keine Kinder. Befragt zu weiteren Familienangehörigen gab der Beschwerdeführer als Vater XXXX, als Mutter XXXX und als Schwestern XXXX, XXXX und XXXX an. Er sei 1 1/2 Monate zuvor mit der Ehefrau illegal ausgereist und habe ca. vor 15 Tagen die österreichische Staatsgrenze überquert. Er sei noch nie in Afghanistan gewesen und könne dort nicht leben. Im Falle seiner Rückkehr habe er mit keinen von staatlicher Seite ausgehenden Sanktionen zu rechnen, so der BF. Weitere Fragen zu Befürchtungen im Falle der Rückkehr sind im Erstbefragungsprotokoll nicht dokumentiert. Am Ende der Niederschrift ist festgehalten, dass eine Rückübersetzung stattgefunden habe und es keine Verständigungsprobleme gegeben habe.

 

Im Akt liegt ein bei einer Dienststelle der LPD Wien gestellter Asylantrag, vom 2.10.2015, erstellt von GrInsp. XXXX ein, wonach sich der BF mit "Heiratsurkunde Afghanistan, Personalausweis Afghanistan" legitimierte und dieXXXX mit "Iran. Personalausweis" legitimierte. Diesem Asylantrag angeschlossen sind ein Foto des BF und derXXXX sowie Fotos von genannten Dokumenten.

 

2. Am 21.10.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Beisein eines Dolmetsch in der Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen, auf die Mitwirkungspflicht hingewiesen sowie auf die Wahrheitspflicht hingewiesen. Er gab in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi an, am XXXX in Shiraz im Iran geboren worden zu sein und bei seiner Erstbefragung "eine Scheidungsurkunde" und seine "ID-Karte aus dem Iran" abgegeben zu haben. Am Tag der Niederschrift vor dem BFA legte er identitätsbezeugende Dokumente er nicht vor.

 

Der BF gab an, dass er der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und ein nicht sehr gläubiger Moslem (Sunnit) sei. Auf Befragen gab er an den Dolmetsch "sehr gut" zu verstehen.

 

Er gab an, im Iran elf Jahre lang die Schule besucht und nach Abbruch der Schulausbildung mit 19 Jahren über einen Zeitraum von acht Jahren als Maurer gearbeitet zu haben. In Österreich sei seine Ehe auf Antrag der XXXXbei Gericht geschieden worden, ein schriftliches Dokument zur Scheidung gäbe es nicht. Es sei bei Gericht bloß mündlich ausgesprochen worden, eine Verschriftlichung habe es nicht gegeben. Befragt zur Familie gab er an vier Schwestern zu haben: XXXX(verheiratet und in Hannover lebend), XXXX,XXXX und XXXX. Letztere drei würden mit den Eltern in Freiburg, Deutschland, leben.

 

Nicht nur die Schwester XXXX, auch zwei Brüder namensXXXX(im Iran lebend) und XXXX (Deutschland) gab er erstmalig an. Auf die Frage, warum er bei der Erstbefragung keinen einzigen Bruder angegeben habe, gab er an "ich wurde nicht gefragt ob ich Brüder habe".

 

Er sei nicht mit den Eltern und den drei zuletzt genannten Schwestern, sondern mit XXXX geflohen. Er besitze ein Grundstück in Afghanistan, glaublich im Ausmaß von 2 ha. Sein Vater habe Feinde in Afghanistan gehabt, er habe ihm aber nicht viel darüber erzählt. Es sei zu der Zeit als die Regierung von Najibbullah gestürzt worden sei gewesen und seien die Mujahedin gekommen, woraufhin der Vater des BF habe flüchten müssen.

 

Zu seinen konkreten und individuellen Fluchtgründen befragt gab er an, dass zu einem Zeitpunkt, als er "fünf oder sechs" Jahre alt gewesen sei im Jahre 1995 / 1996, fremde Leute zu ihnen nach Hause gekommen seien, welche ihm und seiner Familie gedroht hätten. Was diese gesagt haben, wisse er nicht, weil er "viel zu jung" gewesen sei. Er "glaube" aber, dass es "wegen der Feindschaft meines Vaters in Afghanistan" gewesen sei, weshalb sie nach Ahwaz (Iran) geflohen wären. Drei Jahre später seien wieder fremde Leute (vier Männer mit verdeckten Gesichtern) zu ihnen nach Hause gekommen, sie hätten denen die Tür nicht geöffnet und sei der Vater zu diesem Zeitpunkt nicht daheim gewesen. Wieder sei die Familie "nach diesem Vorfall im Jahr 1388 (2009)" umgezogen und hätte sich in Karaj niedergelassen. Immer habe die Familie sich geängstigt, ob wieder jemand an der Tür klopfen werde. Er habe eine iranische Frau geheiratet und habe die Ehe offiziell eintragen lassen wollen, da er aber Afghane sei, sei dies verboten gewesen und "aus diesen Gründen haben wir beschlossen den Iran zu verlassen". Die letzte Bedrohung habe laut seinen Angaben 2015 stattgefunden. Nachgefragt wann die letzte Bedrohung stattgefunden habe, gab er dann noch eine Bedrohung im Jahr 2015 in Karaj an und besserte dann aus, dass dies 2014 gewesen sei, im Frühling / Sommer.

 

Auf die Nachfrage ob es weitere Fluchtgründe gäbe, gab er an: "es gibt nur diese zwei Gründe. Ich wurde von klein auf immer bedroht. Ich habe alles gesagt".

 

Die geschilderten Bedrohungen konkretisierte er nachfolgend. In Shiraz seien diese Männer abends zu ihnen nach Hause gekommen und hätten geschrien, dass ihnen die Tür zu öffnen sei und hätten diese die Fenster des Hauses eingeschlagen. Die Mutter haben den BF in einem Abstellraum eingeschlossen, damit ihm nichts passiere.

 

In Awas sei er zu dem Zeitpunkt des Vorfalls nicht zuhause gewesen. Er habe nur gehört, wie seine Mutter dem Vater davon berichtet habe, dass Männer gekommen wären und geklopft hätten. Diese hätten gesagt, der Vater habe sie geschickt um Arbeitsmaterial zu holen. Die Mutter habe nicht geöffnet und abends habe sich herausgestellt, dass diese Männer nicht vom Vater gesendet worden seien.

 

In Karaj habe der BF gehört, dass Männer nach ihnen suchen würden. Er habe seinen Vater immer nach dem Grund hierfür gefragt und habe dem Vater vorgeschlagen, nach Afghanistan zurückzukehren. Der Vater habe gesagt, dass sie dort nicht mehr leben könnten. Der BF gab an, einen Cousin zu haben, welcher im Alter von 14 Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt sei und drei Monate vor der Befragung des BF vor dem BFA ermordet worden sei. Der BF zeigte Fotos eines Leichnams vor.

 

Er sei persönlich nie bedroht worden, die Drohungen seien gegen seinen Vater gegangen und ergänzte er "wir sind eine Familie". Er könne nicht sagen, wie diese Männer sie an den unterschiedlichen Adressen gefunden hätten, er "glaube", dass es sich um Familienangehörige handle. Er wisse jedoch nicht um den Grund des Streits.

 

Er sei bei der Erstbefragung angehalten worden sich kurz zu halten und habe daher als Fluchtgrund nur die Ehe angeführt. Dann habe er mit der Diakonie gesprochen und sich beraten lassen und habe man ihm gesagt, dass das Problem mit der Drohung für das Verfahren relevant sei.

 

Nochmals nach dem Zeitpunkt der ersten Drohung befragt gab er an, es sei "1995 in Shiraz" gewesen. Er gab bezeichnete die Verständigung mit dem Dolmetsch als "einwandfrei" und verneinte die Frage, ob er in seiner Heimat jemals persönlich bedroht worden sei. Er sei nie religiös oder politisch tätig gewesen, bei seinem Vater sei er sich diesbezüglich nicht sicher. Er habe im Heimatstatt nie Probleme mit Behörden, Gerichten, Polizei gehabt. Am XXXX habe er in Wien Lassallestraße einen Streit mit einem Iraner gehabt und habe er auf eine Anzeige verzichtet. Er werde in Afghanistan weder von den Behörden, noch von den Taliban gesucht. Es würde herausgefunden werden, dass er zu seiner Familie gehöre, weil man ihn erkennen würde, so der BF auf die Frage nach einer Rückkehr nach Afghanistan. Auf die Frage nach seiner Arbeitswilligkeit gab er an "Ja, gelernt habe ich Maurer, aber da ich die Sprache nicht beherrsche, würde ich alles machen, ich bin beruflich flexibel."

 

Er lese in Österreich Bücher, um sich auf die Zukunft und auf die Berufswelt vorzubereiten. Es bestehe zu niemandem in Österreich ein Abhängigkeitsverhältnis. Weder im Iran, noch in Afghanistan sei er aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention verfolgt worden. Er sei illegal ausgereist und habe nie einen Reisepass gehabt.

 

Auf die Frage, ob er sich bei dieser Einvernahme konzentrieren habe können, antwortete der BF: "Sehr sogar, sehr gut. Danke".

 

Befragt nach dem Sachverhalt zu den politischen Parteien seines Vaters gab er an: "Da ich nichts Genaues über die Tätigkeiten meines Vaters weiß, möchte ich keine Behauptungen aufstellen, er erzählte uns nie etwas über die Tätigkeiten, ich glaube, dass er in der Partei Jammiat tätig war. Aber ich möchte nochmals wiederholen, dass ich es nicht genau weiß, sondern nur glaube."

 

Er könne nach Afghanistan nicht zurück, er habe große Angst davor und Ungewissheit, warum sein Vater Probleme hat, dies lasse ihm keine Ruhe. Er gab an, er habe "alles vorbringen" können und wolle nichts mehr ergänzend vorbringen.

 

Die Rückübersetzung fand wortwörtlich statt und wurde ihm eine Ausfertigung davon überlassen. Die Niederschrift wurde dem BF und der anwesenden Vertrauensperson XXXX vorgelesen.

 

Eine Bestätigung des Samariterbund vom 20.10.2016 wurde vorgelegt, wonach der BF im Notquartier in XXXX Wien seit seiner Ankunft als Reinigungskraft im Ausmaß der erlaubten Höchstgrenze zur vollsten Zufriedenheit arbeite. Vorgelegt wurde weiters die Anmeldungsbestätigung betreffend Alphabetisierungskurs der VHS Bildungsdrehscheibe.

 

Weiters wurde dem BFA mit E-Mail des Diakonie Flüchtlingsdienst, XXXX, vom 3.11.2016 nochmals die Bestätigung des Samariterbund vom 20.10.2016 vorgelegt sowie die Anmeldungsbestätigung betreffend Alphabetisierungskurs der VHS Bildungsdrehscheibe und

 

* Kopie eines Fotos in schwarz-weiß auf DIN A4, worauf Kopf und Thorax eines liegenden Jungen mit geschlossenen Augen mit einem vom Mund über die Wangen-Schläfen-Partie über die Schädeldecke führenden weißen Mullbindenverband abgelichtet ist

 

* Kopie eines Fotos in schwarz-weiß auf DIN A4, worauf ein auf einem Teppich liegender Junge mit geschlossenen Augen und offenem Mund (Zähne sichtbar) abgelichtet ist, zugedeckt mit einem karierten Stoff, den Kopf auf weißem Tuch liegend

 

* Kopie eines Fotos in schwarz-weiß auf DIN A4 (Junge mit dunklem Sakko und weißem Hemd)

 

* Kopie eines Ausweises des XXXX, StA Afghanistan, Datum der Asylantragstellung 25.5.2016, XXXX, ausgestellt vom LRA Breisgau/Hochschwarzwald

 

* Kopie eines Ausweises der XXXX, StA Afghanistan, Datum der Asylantragstellung 25.5.2016, XXXX, ausgestellt vom LRA Breisgau/Hochschwarzwald

 

* Bescheinigung über die Weiterleitung eines Asylsyuchenden betreffendXXXX, ausgestellt von Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, Landkreis Darmstadt-Dieburg und XXXX, Datum XXXX mit Stempel "Räumliche Beschränkung: Siehe Zuweisungsentscheidung"

 

* 5 Schriftstücke

 

3. Mit E-Mail vom 15.12.2016 übermittelte der Vertreter der Caritas Mag. XXXX dem BFA "im Auftrag von HerrnXXXX" angekündigte Beweismittel, nämlich drei Schriftstücke und einen Schriftsatz, wonach die beiden Schriftstücke die Bestätigung des Dorfältesten vonXXXX sind und die Tazkira seines Onkels zum Nachweise eines Verwandtschaftsverhältnisses.

 

4. In einer Stellungnahme vom 21.11.2016 brachte der BF im Wege der Caritas Wien zur Einvernahme vom 21.10.2016 vor, dass die "Verständigung mit dem Dolmetscher zwar gut" gewesen sei, aber habe er die Frage nach weiteren Verwandten so verstanden, ob ein Familienzweig existiere. Es habe in Afghanistan einen Onkel und Tanten gegeben, mit welchen er zu besonderen Anlässen während seiner Zeit im Iran Kontakt gehabt habe. Sämtliche dieser Verwandten seien aber inzwischen verstorben, zuletzt ein Onkel, welcher vor zwei Jahren wegen seiner Tätigkeit (bei der Polizei) getötet worden sei. Weiters wurde auf ein im Verfahren des Bundesverwaltungsgericht W119 2006001-1 eingeholtes Gutachten betreffend Rückkehrer nach Kabul ohne familiäre Bindung und ohne Geldmittel hingewiesen und zur Zumutbarkeit einer Rückkehr betreffend den BF ausgeführt.

 

5. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 17.2.2017, Zahl:

1091286708/VZ:151563944, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs 1 Z 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 leg.cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), wobei gleichzeitig gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen wurde (Spruchpunkt III.), ihm mit Spruchpunkt III ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 leg.cit. nicht erteilt wurde und mit Spruchpunkt IV die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt wurde.

 

6. Mit Eingabe vom 13.3.2017 brachte der Beschwerdeführer per Telefax fristgerecht die Beschwerde ein und langte diese bei der belangten Behörde am 13.3.2017 ein.

 

Darin wird ausgeführt, dass der BF im Iran geboren sei und seine Sozialisierung in der Sprache Farsi unter Iranern stattgefunden habe und er im Iran eine iranische Schulausbildung genossen habe. Im Iran habe er von einem Cousin mütterlicherseits erfahren, dass sein Onkel wegen der Tätigkeiten des Vaters des BF zu der Zeit der Mujaheddin elf Jahre in Haft gewesen sei und habe besagter Onkel später als Polizist gearbeitet und sei er getötet worden. Die Familie des BF sei wohlhabend, "was einen Rückschluss darauf sein könnte, dass der Vater des BF in Afghanistan eine höhere Position innehatte", so die Beschwerde.

 

Als Heranwachsender habe der BF nach Afghanistan zurückgehen wollen, doch habe der Vater ihn das nicht gestattet, ohne ihm von dessen Problemen, welche der BF im Falle einer Rückkehr hätte, zu erzählen. Der Vater habe gewollt, dass der BF im Iran ein Studium belege, was der BF aus Trotz nicht gemacht habe.

 

Ohne näher dazu auszuführen, wird in der Beschwerde vorgebracht, dass die Familie des BF während ihrer Zeit im Iran öfters bedroht worden wäre und daher ihren Wohnsitz (nicht nur kleinräumig) verlegt habe.

 

Einer seiner Cousins, welcher auch im Iran aufgewachsen und nach Afghanistan zurückgekehrt sei, sei "vor kurzem von den Feinden getötet" worden, obwohl er erst 14 Jahre alt gewesen sei, so die Beschwerde.

 

Die Eltern und Schwestern des BF seien nach Deutschland geflüchtet und habe der Vater dort Asylstatus erhalten. Der BF sei nicht sehr gläubig und trinke hie und da Alkohol und habe keinen Kontakt zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten, da er diese noch nie gesehen habe. Sämtliche seiner Tanten würden in einem eigenen Familienverband Leben und der erwähnte Onkel, welcher für die Polizei tätig gewesen sei, sei vor zwei Jahren getötet worden.

 

Die Beschwerde moniert unter Hinweis auf die sehr schlechte Qualität der nur als Kopie in Vorlage gebrachten Dokumente, dass die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt habe und nicht einmal versucht hätte, den zugrunde liegenden Sachverhalt vollständig zu ermitteln.

 

Es sei unklar, ob die belangte Behörde sich mit der Stellungnahme vom 15.12.2016 überhaupt auseinandergesetzt habe und wird dazu vorgebracht, dass mit der Übermittlung per E-Mail versucht worden sei, der Behörde Beweismittel "in bestmöglicher Qualität" zur Verfügung zu stellen.

 

Zu dem Vorwurf, dass der BF sein Vorbringen gesteigert habe, wird moniert, dass ihm bei der Erstbefragung nicht die Zeit eingeräumt worden sei, alles vorzubringen und ihm geraten wurde, jedenfalls auch diesen Teil im Rahmen der Einvernahme zu erwähnen. Seine Erstbefragung habe im Höhepunkt der Flüchtlingskrise stattgefunden und erscheine es nachvollziehbar, dass der BF angehalten worden sei, sich kurz zu halten. Er habe bei der Einvernahme am 21.10.2016 geantwortet, bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt zu haben, nicht aber, dass die Erstbefragung eine ordentliche und umfassende gewesen wäre.

 

Im Beschwerdeschriftsatz wird weiters vorgebracht "Obwohl es tatsächlich eine Partei Jamaat-e-Islami mit Bezug zu Indien, Pakistan und Bangladesch geben dürfte Und der Referent der belangten Behörde sich auf den diesbezüglichen Wikipedia zu stützen scheint (ohne die Quelle im Rahmen der getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland offen gelegt zu haben) ist für jede Person mit durchschnittlicher Vernunftbegabung und Wissen über Afghanistan [Anm: Hervorhebungen im Original] klar, dass der afghanische BF sich auf die Jamiat-e-Islami bezogen haben müsse." Dass die im Asylverfahren eingerichtete Spezialbehörde ihre Entscheidung (auch) auf diese Begründung stütze, sei angesichts der Entscheidungen VwGH 10.11.2016, 2016/20/0004 und BVwG W151 2115110-1, wonach "in einem so sensiblen Bereich wie dem Fremden- und Asylwesen nicht ungeschulte Mitarbeiter einsetzbar sind bzw. die eingesetzten Mitarbeiter einer besonderen Schulung bedürfen, so das etwa auch von anderen Behörden übernommene Mitarbeiter erst nach intensiven Schulungen einsetzbar sind, ein wenig irritierend", so die Beschwerde.

 

Dass es nicht glaubhaft sei, dass sein Vater nie über seine Fluchtgründe gesprochen haben soll, stelle lediglich eine in den Raum gestellte Mutmaßung da und vermag die Entscheidung in keiner Weise zu tragen und habe der BF den Vater durch das beschriebene Verhalten zwingen wollen, mehr über die Probleme preiszugeben.

 

Unklar sei, wie die Behörde angesichts der Tatsache, dass die gesamte Familie im Iran der Verfolgung von Afghanen oder aus Afghanistan stammenden Personen ausgesetzt gewesen sei, der Vollständigkeit halber ist zu halten meint, dass er bei keiner der Befragungen im Asylverfahren nur ansatzweise einen eigenen Fluchtgrund in Bezug auf sein eigentliches Heimatland Afghanistan vorgebracht habe, so die Beschwerde.

 

Im Beschwerdeschriftsatz wird vermutet, dass die belangte Behörde nicht einmal die Übersetzung der mit Stellungnahme vom 15.12.2017 eingebrachten Beweismittel veranlasst habe [Anm: es kann in Zusammenschau mit dem Einbringungsdatum des Beschwerdeschriftsatzes nur jene vom 15.12.2016 gemeint sein]. Zum Beweise seines Vorbringens werde beantragt, dass das Bundesverwaltungsgericht zielführende Ermittlungen im Dorf XXXX, dessen Dorfälteste die Bestätigung ausgestellt hätten, führen solle.

 

Die Lage habe sich in Afghanistan laut Anmerkungen des UNHCR auf Anfrage des deutschen Bundesministerium für Inneres aus Dezember 2016 massiv verschlechtert. Zur Lage der Rückkehrer in Kabul wurde auf einen TV-Beitrag der ARD vom 9.3.2017 hingewiesen sowie zu deren Wohnungs-, Arbeitsplatz- und finanziellen Situation ausgeführt. Der BF wird als eine wegen seines Aufenthalts im Iran "entwurzelte Person" bezeichnet, welchem eine Neuansiedlung in Kabul einerseits aus persönlicher Sicht nicht zumutbar sei - hierbei wurde auf die Richtlinien des UNHCR zur IFA vom 23.7.2003 und des UNHCR zu Afghanistan von April 2016 im besonderen - verwiesen. Andererseits würde der BF aufgrund fehlender Kenntnisse der afghanischen Konventionen und aufgrund Ablehnung seiner Person weitere Diskriminierungen hin zu nehmen haben, welche ihm in angemessener Zeit ein Erwerbseinkommen verunmöglichen und ihn daher in eine ausweglose Situation bringen würden. Es wurde auf das im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 26.1.2016, W119 2006001-1, eingeholte Gutachten hingewiesen, wonach Rückkehrer nach Kabul ohne familiäre Bindungen und ohne Geldmittel mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert seien, sofern es sie nicht über eine Fachausbildung verfügen sollten. Vor dem Hintergrund der derzeit massiven Binnenfluchtbewegungen und die jener Fluchtbewegung aus Pakistan und dem Iran werde sich der Druck auf die Versorgungslage der Einwohner Kabuls massiv erhöhen.

 

Zum Beweise seiner Identität, seiner iranischen Sozialisation und seiner Schulausbildung würden Unterlagen und der Führerschein in Vorlage gebracht, welche er erst nach der Entscheidung der belangten Behörde erhalten habe und welche dem Verwaltungsgericht "jederzeit im Original" [Anm: Hervorhebung in der Beschwerdeschrift] vorgelegt werden könnten.

 

Hätte die belangte Behörde ein mängelfreies Ermittlungsverfahren geführt und die Ermittlungsergebnisse im Rahmen der Beweiswürdigung schlüssig und nachvollziehbar gewürdigt, hätte sie dem BF wegen seiner ihm drohenden Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters bzw. aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der in Afghanistan entwurzelten Personen bzw jener, die einen westlichen Lebensstil (Alkohol, keinen Moscheebesuch) angenommen haben, ins Status eines Asylberechtigten oder jenen eines subsidiär Schutzberechtigten zu erkennen müssen, zumal Kabul für ihn keine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle, so die Beschwerde.

 

Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil diese für die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit im Rahmen eines wirksamen Rechtsbehelfes im Sinne der Charta der Europäischen Union unbedingt notwendig erscheine und wurde dabei auf die Entscheidungen VwGH 28.5.2014, 2014/20/0017 und 0018-9, EGMR Denk vs. Austria 23396/09, EGMR Willroider vs. Austria 22635/09 und EGMR Beck vs. Austria 19844/08 hingewiesen und beantragt, dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, eventualiter auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, in eventu den Spruchpunkt III, wonach die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs 9 FPG zulässig sein soll, zu beheben.

 

Der Beschwerde wurde die Stellungnahme vom 15.12.2016 samt Sendebestätigung sowie Unterlagen zur iranischen Schulausbildung und der Führerschein, "die dem BVwG jederzeit im Original vorgelegt werden können" angeschlossen und sind diese im Fremdakt auf Aktenseiten 237 bis 307 enthalten.

 

7. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 21.3.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

8. Am 24.10.2017 übermittelte Mag. XXXX dem Bundesverwaltungsgericht eine Email mit folgendem Inhalt:

 

"Sollte die belangte Behörde die mit E-Mail vom 15.12.2016 übermittelten Beweismittel lediglich in Papierform an das BVwG weitergeleitet haben, erlaube ich mir im Interesse des Beschwerdeführers dem BVwG die E-Mail samt Anhang in digitaler Form zu übermitteln, in der Hoffnung, dass die Dokumente in dieser Form besser lesbar sind. Anbei auch die mit dem Beschwerdeschriftsatz übermittelt den Schulunterlagen des Beschwerdeführers. Bedauerlicherweise befindet sich in meinem Akt keines der Dokumente im Original."

 

In dieser E-Mail befand sich weitergeleitet die E-Mail vom 15.12.2016 samt den mit dieser dem BFA übermittelten Beweismittel (33 DIN-A4-Seiten mit Ablichtungen von Dokumenten, welche jeweils nicht die volle DIN-A4-Seite ausfüllten).

 

9. Am 24.10.2017 fand die öffentliche mündliche Verhandlung mit Beginn 14.00 Uhr im Beisein eines der Sprachen Farsi und Dari mächtigen Dolmetsch statt und wurde der BF polizeilich vorgeführt.

 

Zu dieser Verhandlung wurde der BF laut unbedenklichem Rückschein RSa durch persönliche Übernahme an seiner Unterkunftsadresse am 4.10.2017 geladen, sowie dessen Rechtsberater Mag. XXXX, Caritas der Erzdiözese Wien, laut unbedenklichem Rückschein RSb durch persönliche Übernahme am 4.10.2017 geladen. Dem BF wurde die Ladung zu der Verhandlung infolge seines Adresswechsels im Wege der Anstaltsleitung der Justizanstalt Josefstadt nochmals zugestellt und wurde die Übernahme durch Übernahmsbestätigung am 23.10.2017 ausgewiesen (GZ W264 2150706-1/4Z).

 

Da der Rechtsberater Mag. XXXX bis um 14:10 Uhr noch nicht erschienen war, wurde dieser fernmündlich kontaktiert und teilte mit, dass er nicht vorhabe zu erscheinen und den BF nicht weiterhin vertrete. Unter der Maßgabe, dass der BF zustimme, ersuche er um Übermittlung des Verhandlungsprotokolls und war der BF damit einverstanden.

 

Der BF gab an, gegenüber dem anwesenden mit ihm auf Dari sprechenden Dolmetsch keine Ablehnungsgründe zu haben und diesen zu verstehen. Befragt zu chronischen Krankheiten und Medikamenteneinnahme gab er an, ein bisschen gestresst zu sein aber an keinen Krankheiten zu leiden und keiner Medikamenteneinnahme zu bedürfen.

 

Der BF wurde auf seine Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG Hingewiesen und auch darauf, alle fluchtveranlassenden Gründe vorzubringen, nichts zu verschweigen und auch Details, welche in seiner Heimat etwa zur Schande gereichen nicht zu verschweigen und wurde ihm mitgeteilt, dass nichts von dem, was er hier vorbringt, an die Behörden oder die Vertretung seines Herkunftsstaates weitergegeben wird. Der BF wurde über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt und auch darauf, für den Fall, dass es seinerseits Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetsch gäbe, sofort darauf hinzuweisen.

 

Der BF gab an, sowohl Dari als auch Farsi zu sprechen. Auf die Frage, welche Sprache ihm lieber sei, gab er an, dass dies keinen Unterschied mache, dass es die gleichen Sprachen wären, welche nur dialektmäßig unterschiedlich seien.

 

Der BF wurde darauf angesprochen, dass er bereits zweimal einvernommen worden wäre, einmal von der Polizei und einmal vor der belangten Behörde und wurde die Frage gestellt, ob er dort jeweils die Wahrheit gesagt habe er bejahte dies mit "JA, ich habe immer die Wahrheit gesagt."

 

Er rauche aufgrund von Stress seit 16 Monaten Marihuana und berichtete über einen Verkaufsvorgang, wegen welchem er nun in Untersuchungshaft sei, so der BF.

 

Zu Beginn der Verhandlung wurde der BF aufgefordert, seinen Namen, seine Herkunft (Volksgruppenzugehörigkeit, Religionsbekenntnis, Heimat Provinz und Heimatort, Name des letzten Wohnortes) bekannt zu geben und antwortete er darauf: "Mein Name ist XXXX. Ich bin in der Provinz Kabul im Distrikt Sharkardara, Dorf XXXX geboren. Volksgruppe Tadschike, Religion sunnitischer Moslem, afghanischer Staatsbürger."

 

Auf die Frage "Wo haben Sie zuletzt gelebt, in welcher Stadt, Provinz, Straße?" antwortete er: "Ich bin im Iran geboren, ich komme ursprünglich aus diesem Dorf, ich war nie in Afghanistan."

 

Auf Vorhalt, vorhin gesagt zu haben, in Kabul geboren zu sein, gab der BF an, es ursprünglich so verstanden zu haben, woher er gekommen wäre. Er sei aber in Iran in Sheraz geboren und wisse nicht genau, wann sein Vater aufgrund einer Feindschaft in den Iran gegangen sei. Er sei dort geboren.

 

Der BF wurde aufgefordert in Ruhe freier Erzählung alles seine Gründe mitzuteilen und nichts wegzulassen, sowohl betreffend Afghanistan als auch den Iran betreffend.

 

(Es folgt ein Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll; "R" steht für Richterin)

 

"BF: Mein Großvater wurde von Paschtunen und Taliban in Afghanistan getötet. Auf Befragen gebe ich an, dass ich es nicht weiß, wann das war.

 

R: Wer hat Ihnen das erzählt?

 

BF: Mein Vater hat das gesagt. Ich habe auch Beweismaterial, ich habe es schon vorgelegt. Ich habe schon alles vorgelegt, im Iran wurde ich auch bedroht und deshalb habe ich den Iran verlassen.

 

Auf Vorhalt der Unterlagen, welche per Email am 24.10.2017, 09:41 Uhr von XXXX, Caritas, übermittelt wurden, gibt der BF an, "Nein, das sind nicht die, die ich meine. Die ich meine, befinden sich in meiner Unterkunft. Vor drei Tagen habe ich sie bekommen, wo ich ursprünglich gelebt habe". Auf Befragen, warum ich sie heute nicht mithabe, gebe ich an, dass ich in U-Haft bin und keine Möglichkeiten dazu hatte."

 

Auf Befragen durch die R gab der Justizwachebeamte GI XXXX an, dass es möglich ist, in U-Haft im Wege eines Sozialarbeiters Kontakt zur Außenwelt herzustellen. Dem BF wurden 14 Tage Zeit zur allfälligen Vorlage dieser Unterlagen gegeben. Die R wies den BF diesbetreffend auf seine Mitwirkungspflicht hin und gab der BF auf Befragen an, er habe dies verstanden.

 

"R: Warum sind Sie aus dem Iran weggegangen?

 

BF: Ich brauche ca. 10 Minuten um zu reden und das ganze Problem zu erzählen.

 

R: Das ist kein Problem, erzählen Sie.

 

BF: Mein Vater wurde bedroht im Iran in Sheraz. Ich war ca. sechs Jahre alt. Wir mussten Sheraz verlassen und sind 1000 km weiter gefahren, wir sind zu einer anderen Provinz Awaz gegangen. Ich bin dort auch elf Jahre in die Schule gegangen.

 

Der BF bestätigt, dass die Unterlagen vom 24.10. (Email XXXX) Unterlagen über den Schulbesuch sind.

 

Der Dolmetsch wurde ersucht, eine Übersetzung vorzunehmen.

 

Nach Einsichtnahme in das Konvolut gab der Dolmetsch bekannt: Es handelt sich um eine Bestätigung um einen elfjährigen Schulbesuch in der Provinz Achmaz, jährliche Noten und einen Führerschein.

 

R: Diese Unterlagen gehören Ihnen?

 

BF nickt.

 

Der BF fährt fort: Ich wurde in der Schule sehr schlecht behandelt.

 

Der Dolmetsch erklärte, dass es sich um einen sehr schlecht lesbaren afghanischen Führerschein handle, ausgestellt vom Staat Afghanistan und gab der BF darauf an, dass er den Führerschein von der afghanischen Botschaft im Iran bekommen habe.

 

R an Dolmetsch: Sind das offizielle Schulbesuchsbestätigungen einer öffentlichen Schule?

 

Dolmetsch: Es sind schlechte Kopien, es ist daher schlecht zu beurteilen. Es gibt unterschiedliche Stempel.

 

BF: Das Original befindet sich in der Einrichtung, wo ich gelebt habe.

 

R: Sie sind im Iran in eine Schule gegangen, Sie haben einen Führerschein, ist das Ihr Führerschein?

 

BF: Ja, im Iran darf ein Afghane keinen Führerschein kriegen, man kann das aber im Wege der afghanischen Botschaft kann man das für den Iran organisieren.

 

R: War das eine offizielle Schule, waren da auch iranische Kinder in Ihrer Schule?

 

BF: Ja, aber man musste dafür zahlen. Zwei Jahre habe ich eine reguläre Schule besucht, da hatte ich genug Probleme, weil ich ein Afghane war. Dann habe ich eine andere Schule besucht, da musste ich dafür bezahlen.

 

R: D.h. Sie waren legal im Iran?

 

BF: Ja, es war alle drei Monate zu verlängern, man muss auch dafür zahlen.

 

R: Wurde immer verlängert?

 

BF: Bei manchen wurde verlängert, bei manchen nicht.

 

R: Nicht manche, es geht um Sie.

 

BF: Letztes Mal wurde nicht verlängert, weil ich eine Iranerin geheiratet habe.

 

R: War das der Grund, warum Sie dann weggegangen sind?

 

Der Dolmetsch musste die Frage noch einmal stellen.

 

BF: Ja, es wurde nicht verlängert und aus diesem Grund habe ich es dann verlassen.

 

R: Wie kommt es, dass Sie einen afghanischen Führerschein haben?

 

BF: Im Iran kann eine Afghane keinen Führerschein bekommen. Man geht zur afghanischen Botschaft, sie machen eine Prüfung, dann bekommt man den Führerschein.

 

R: Was kostet die Prüfung?

 

BF: Damals 120.000 Toman (1 Euro = 4.000 Toman)

 

R: Wann war das "damals", wann haben Sie den Führerschein gemacht?

 

BF: Vor vier oder fünf Jahren.

 

R: Was darf man mit diesem Führerschein lenken, welche Art von Kfz-Fahrzeugen?

 

BF: Klein-PKW.

 

R: Hatten Sie im Iran einen PKW? Haben Sie ein Auto gekauft im Iran?

 

BF: Ja. Auf Befragen gibt er an, dass das ein iranisches Auto war, eine iranische Marke.

 

Der BF schreibt den Namen auf ein Blatt Papier, welches als Beilage A zum Protokoll genommen wurde.

 

Der Markenname heißt: Paekanwanet.

 

R: Wie viel haben Sie für dieses Auto bezahlt?

 

BF: 7 Mio. Toman, es war gebraucht. Wir haben auf einer Baustelle gearbeitet und brauchten es als Fahrzeug.

 

R: Wer ist "wir"?

 

BF: Ich und mein Bruder, mein Bruder heißt XXXX.

 

R: Wie viele andere Geschwister haben Sie noch?

 

BF: Ich habe noch einen Bruder XXXX und vier Schwestern namens:

XXXX.

 

R: Sind die jünger oder älter als Sie?

 

BF: Zuerst komme ich und dann die Schwestern, XXXX ist der älteste.

 

R: Sie haben auf Baustellen gearbeitet. Welche Berufe und Ausbildungen haben Sie und wo haben Sie überall gearbeitet?

 

BF: Nach den elf Jahren Schule habe ich gearbeitet, nur auf der Baustelle.

 

R: Erklären Sie, was Sie dort gemacht haben.

 

BF: Ich habe betoniert, Fliesen gelegt, alles Mögliche.

 

R: Wo lebt Ihre Frau?

 

BF: Weiß ich nicht.

 

R: Wo leben Ihre Geschwister?

 

BF: Außer XXXX leben alle in Deutschland.

 

R: Wo ist XXXX?

 

BF: Er ist im Iran.

 

R: Haben Sie Kontakt zu XXXX?

 

BF: Ja, alle zwei Monate mehr oder weniger, via Facebook Messanger, XXXX hat kein internetfähiges Handy, aber seine Frau. Ca. vor einem Monat habe ich das letzte Mal mit ihm telefoniert. Er arbeitet auf der Baustelle weiterhin und hat das Auto, das wir gekauft haben, verkauft und ein anderes gekauft.

 

R: Haben Sie Kontakt zu den anderen in Deutschland?

 

BF: Ja, wir haben telefonischen Kontakt. Wir haben zuletzt am 10. Oktober telefoniert.

 

R: Sind die vier Geschwister alle Afghanen?

 

BF: Ja. Auf Befragen, warum Sie in Deutschland sind, gibt BF an, sie haben um Asyl angesucht und haben die Eltern noch nicht Asyl bekommen, aber zwei Schwestern schon. Die zwei Schwestern sind verheiratet.

 

R: Warum sind Sie nicht nach Deutschland gegangen?

 

BF: Wir haben Österreich erreicht, wir waren schon sehr müde, meine Frau sagte, wir sollten hierbleiben können. Meine Frau hat zu mir gesagt, wenn ich sie liebe, soll ich hier bleiben und nicht nach Deutschland zu meiner Familie gehen.

 

R: Wie heißt Ihre Frau und wo ist sie jetzt?

 

BF: Ich weiß nicht, wo sie ist. Sie heißt XXXX.

 

R: Ihre Frau ist Iranerin, warum ist sie aus dem Iran weggegangen?

 

BF: Sie ist meine Frau. Wir wollten heiraten. Wir haben traditionell geheiratet und im Iran war dies verboten, offiziell ist das nicht gegangen.

 

R: Jetzt sind Sie hier und trotzdem ist die Frau weg, wo ist sie?

 

BF: Wir sind geschieden. Wir waren traditionell verheiratet, aber nicht offiziell. Zwei, drei Jahre waren wir verlobt und zwei, drei Jahre verheiratet.

 

R: Haben Sie noch weitere Gründe, von denen Sie sagen, das sind meine Fluchtgründe

 

BF: Nein, das war es.

 

R: Wie geht es Ihrem Bruder finanziell im Iran?

 

BF: Man kann es gut nennen. Mein Bruder ist verheiratet und hat eine Frau und zwei Töchter. Wir haben vor einem Monat miteinander gesprochen, die Kinder haben auch keinen Aufenthaltstitel.

 

R: Haben Sie Grundstücke in Afghanistan? Wie viele, wo?

 

BF: Ja im Distrikt Shakardara, Provinz Kabul.

 

R: Wie kommt es, dass Sie in Afghanistan Grundstücke haben?

 

BF: Erbschaft von den Großeltern. Die Grundstücke wurden uns zwangsweise weggenommen, deshalb gibt es Feindschaft.

 

R: Von wem gibt es diese Feindschaft?

 

BF: In Shakardara sind 70% Paschtunen und 30% Tadschiken. Aber genau weiß ich nicht, wer die Feinde sind.

 

R: Wenn ich Sie jetzt frage, ob Sie Grundstücke haben und Sie sagen, die wurden Ihnen weggenommen. Haben Sie diese Grundstücke jetzt noch?

 

BF: Lt. meiner Mutter hatten wir.

 

R: Und laut dem Vater?

 

BF: Mein Vater hat nie mit mir gesprochen.

 

R: Haben Sie Verwandte in Afghanistan?

 

BF: Onkel väterlicherseits habe ich, er wurde getötet. Ich habe noch zwei Onkel väterlicherseits gehabt, die wurden schon damals getötet.

 

R: Haben die Kinder diese Onkel?

 

BF: Die wurden auch getötet.

 

R: Wer hat Ihnen das gesagt, dass die getötet wurden, Sie waren nie in Afghanistan.

 

BF: Mein Vater hat das gesagt.

 

Auf Vorhalt, warum er mit seinem Vater über Familienmitglieder, aber nicht über Grundstücke spricht, gab BF an: der Vater hat nie über Grundstücke gesprochen, mir ist es auch egal, ich verdiene selbst mein Geld, ich aber die Grundstücke nie gesehen. Auf Befragen, wie viel Geld ich im Iran verdient habe, gebe ich an, dass ich 2,5 bis 3 Mio. Toman im Monat verdient habe. Auf Befragen gebe ich an, dass das so mittelmäßig, man musste Miete zahlen. Auf Befragen, ob er Miete und Esse bezahlen konnte gebe ich an, Ja. Ich konnte mir damit mein Leben finanzieren, aber sehr oft wurde ich schlecht behandelt, indem ich mein Gehalt nicht bekommen habe.

 

R: Haben Sie auch im Iran schon Marihuana gekauft und geraucht?

 

BF: Nein, dort habe ich das nicht einmal gesehen. Meine Frau hat mich verlassen und ich habe gesehen, dass viele Jugendliche geraucht habe, so habe ich auch geraucht. Ich würde es nie mehr machen. Es wird nie mehr vorkommen, es ist ein Fehler passiert, es wird nie mehr passieren.

 

R: Haben Sie heute alle, wirklich alles, vorgebracht, was Fluchtgründe für Sie persönlich waren?

 

BF: Das habe ich schon gesagt, ja.

 

R: Sind Sie wegen in Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit schlecht behandelt oder verfolgt worden?

 

BF: Nein. Ich war nicht in Afghanistan. Die Paschtunen hier in Österreich, hier in unserer Einrichtung sagen Pakistan uns gehört, die Paschtunen sagen, wenn man kein Paschtu spricht, ist man kein Afghane. Sie sagen, ich bin ein falscher Iraner, aber ich hatte nie ein Reisedokument aus Afghanistan und dem Iran.

 

R: Sind Sie wegen Ihrer Religionszugehörigkeit einmal bedroht oder verfolgt worden?

 

BF: Im Iran meinen Sie?

 

R: Beides, in Afghanistan und im Iran.

 

BF: Nein. Die Sunniten haben im Iran keine Moschee.

 

R: Beten Sie, sind Sie ein gläubiger Moslem?

 

BF: Ja, jetzt auch, ich bete. Seit ich in Haft bin, bete ich. Vorher nur im Fastenmonat Ramadan, aber jetzt in Haft schon.

 

R: Gibt es irgendeinen Menschen, der Sie jemals persönlich verfolgt oder bedroht hat in Afghanistan?

 

BF auf Deutsch: Nein, nein.

 

R stellt einige Fragen auf Deutsch:

 

Haben Sie schon einen Deutschkurs besucht erzählen Sie über den Deutschkurs.

 

BF auf Deutsch: Ja, A1 und jetzt A2. Nächste Tage auch A2 gemacht und bin ich im Gefängnis.

 

R: Sie haben in Ihrer Schrift geschrieben, können Sie auch schon unsere Schrift, haben Sie einen Alphabetisierungskurs gemacht?

 

BF in Muttersprache: Ja, kann ich schreiben und lesen.

 

R: Was machen Sie den ganzen Tag?

 

BF auf Deutsch: im Gefängnis? Schauen Film mit einem Kollegen.

 

R: Welche Filme schauen Sie sich da an?

 

BF auf Deutsch: Ich weiß nicht denen Namen, diese. Schauen, was Sebastian Kurz.

 

R: Wer sind diese Personen?

 

BF in Muttersprache: Ich höre auch Nachrichten, Sebastian Kurz, Christian Kern ist zweite und Strache dritte.

 

R: Sie interessieren sich für Politik, kann man sagen?

 

BF auf Deutsch: Ja.

 

R: Wenn Sie in Österreich bleiben dürften, was möchten Sie machen?

 

BF auf Deutsch: Ich brauche eine Papier, dann ich machen Deutschkurs und möchte arbeiten diese Baustelle.

 

R: Haben Sie das in einer Ausbildung gelernt, was sie im Iran am Bau gemacht haben?

 

BF auf Deutsch: Im Iran keine.

 

R: Haben Sie Freunde hier in Österreich?

 

BF auf Deutsch: Ja, ich habe. Alles afghanische Freunde. Ich habe auch eine österr. Freund, heißt XXXX, nur diese Namen. Auf Befragen gebe ich an, dass ichXXXX von Facebook kenne. XXXX helft mich.

 

R: Bekommen Sie Besuch in U-Haft?

 

BF auf Deutsch: Ja, ein Freund von mir, war bei mir. Er heißt XXXX. XXXX war einmal bei mir. Auf Befragen, ob es derXXXX war, von dem Sie heute erzählt haben, gebe ich an, Ja, XXXX hat einen positiven Bescheid und hat mir 50 Euro geschickt.

 

R: Was möchten Sie sonst noch erreichen, wenn Sie in Österreich bleiben dürfen?

 

BF: Ich möchte eine Lehrstelle belegen, um auf der Baustelle zu arbeiten, ich habe 7 Jahre Berufserfahrung in diesem Bereich.

 

R: Was wünschen Sie sich noch vom Leben?

 

BF: Ich bin auch ein Mensch, ich möchte arbeiten gehen, ich habe meine Familie lange nicht gesehen, ich möchte meine Familie besuchen.

 

R: Haben Sie schon einen Kurs besucht, wo man Ihnen erklärt hat, was in Österreich wichtig ist und was man hier machen darf und was nicht?

 

BF: Ich habe mitbekommen, dass es sowas gibt, aber ich habe so einen Kurs nicht besucht.

 

R: Warum nicht?

 

BF: Ich habe es in Haft mitbekommen, dass es so was gibt, ich habe auch gesagt, dass ich kein Marihuana verkauft habe, sondern den Kontakt hergestellt habe. Aber es ist auch eine Straftat, das wusste ich nicht.

 

R: Sind Sie in Österreich Mitglied in einem Verein?

 

BF: Nein.

 

R: Wurden Sie in Afghanistan einmal von der Polizei gesucht oder inhaftiert?

 

BF: Ich habe Afghanistan nie gesehen und auch im Iran nicht.

 

R: Hatten Sie in einmal Afghanistan Probleme mit dem Gericht oder Behörden?

 

BF: Nein.

 

R: Was befürchten Sie, wenn man Sie nach Afghanistan zurückschickt?

 

BF: Lieber Gott, weiß, ich war noch nie in Afghanistan, ich habe dort niemanden.

 

R: Möchten Sie sonst noch etwas vorbringen, bevor wir die Verhandlung schließen?

 

BF: Nein.

 

R: Warum sind Sie im Iran als Familie öfters umgezogen?

 

BF: Ich erinnere mich, zweimal, wir wurden bedroht. Ich war auch in Teheran und in Sheraz bin ich geboren.

 

R: Wurden Sie auch bedroht, ja oder nein?

 

BF: Nein, die Familie. Ich gehöre auch zu dieser Familie. Sie haben herausgefunden, wo wir leben.

 

R: Wer ist "sie", beschreiben deren Namen!

 

BF: Ich war sechs Jahre alt, dann ist ein Pkw gekommen, wir wussten, dass wir Sheraz verlassen mussten.

 

R: Danach ist nichts mehr passiert bis zur Ausreise, da waren sie sechs Jahre alt.

 

BF: In Achmaz ist es auch passiert und deshalb sind wir nach Teheran.

 

R: Und in Teheran ist nichts mehr passiert?

 

BF: Fünf, sechs Jahre war ich in Teheran und Teheran habe ich verlassen, als ich nach Europa ging.

 

R: Und Ihre Frau, suchen Sie nach Ihr?

 

BF: Nein, wir sind geschieden.

 

Die Richterin wies darauf hin, dass dem BF mit der Ladung der aktuelle Länderbericht der Staatendokumentation übermittelt wurde und wurde an den BF die Frage gerichtet, ob hierzu Vorbringen erstatten werden, da beabsichtigt werde, diesen der Entscheidung zu Grunde legen. Der BF gab dazu an: "Ja, danke, ich habe es gelesen, es wurde in Farsi übersetzt und ich habe es von der Diakonie bekommen." Auf die Frage "Was stand da drinnen?" gab er an: "Keine Ahnung, ich kenne die afghanischen Gesetze nicht. Das ist auch nicht die Wahrheit, was dort geschrieben ist." und auf die Frage "Wieso wissen Sie das, wenn Sie nie in Afghanistan waren?" antwortete er:

"Ich bekomme die Nachrichten von Facebook. Es gibt täglich Selbstmordattentäter in Afghanistan und in BBC kann man auch die Nachrichten hören."

 

Auf die Frage ob er damit einverstanden sei, dass dieser Länderbericht in die Entscheidung einbezogen werde, gab er zur Antwort: "Wie Sie wollen".

 

Dem BF wurde eine Frist von 14 Tagen zur allfälligen Stellungnahme zum Länderbericht gegeben.

 

10. Am 7.11.2017 übermittelte Mag. XXXX dem Bundesverwaltungsgericht eine Email zu der dem BF in der Verhandlung aufgetragenen Beweismittelvorlage mit folgendem Inhalt:

 

"Sozialarbeiter des Quartiers, in dem der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung untergebracht war, haben mir Unterlagen in digitaler Form und mäßiger Qualität übermittelt; keine Klarheit herrscht darüber, ob diese Unterlagen nur in digitaler Form existieren oder er auch über die Originale verfügt. Eine Besprechung zu diesen Unterlagen war mir mit dem in U-Haft angehaltenen Beschwerdeführer aufgrund der Feiertage während der letzten beiden Wochen und dem Umstand, dass eine Unterredung mit einem U-Häftling einen größeren organisatorischen Aufwand mit sich bringt (beigezogen darf nur ein gerichtlich beeideter Dolmetscher werden und muss die Staatsanwaltschaft diese Unterredung zuvor genehmigen und eine Sprechkarte ausstellen, wobei mir erst gestern die Geschäftszahl der Strafsache bekannt gegeben wurde) Bisher noch nicht möglich. Erst gestern wurde mir der Name seines Strafverteidigers zur Kenntnis gebracht. Aus diesem Grunde ersuche ich höflich um eine Verlängerung der ihm eingeräumten Frist um weitere 2-4 Wochen (am 1.12.2017 Stünde mir derzeit jedenfalls ein gerichtlich beeideter Dolmetsch zur Verfügung)."

 

11. Mit Email vom 28.11.2017 übermittelte Mag. XXXX dem Bundesverwaltungsgericht im Interesse des Beschwerdeführers die Stellungnahme vom 28.11.2017 samt weiterer Beweismittel "(vorerst in digitaler Form)".

 

In der Stellungnahme wird berichtet, dass der Verfasser mit dem in U-Haft befindlichen BF im Rahmen des 30-minütigen Besuchergesprächs eine Besprechung versucht habe. Der BF bringe dem Gericht weitere Beweismittel zu seinem Fluchtvorbringen in Vorlage, welche er kurz vor seiner Inhaftierung von seinem älteren im Iran lebenden Bruder XXXX erhalten habe, nachdem er mit diesem Kontakt aufgenommen habe und ihm die Bedeutung für die Glaubhaftmachung in seinem Asylverfahren erklärt habe.

 

Die im Konvolut A vorliegenden Beweismittel stellte der Berater des BF eine Vermutung an ("dürften im Original vorliegen"), wobei der Rechtsberater den Namen des Freundes des BF erst im Rahmen des Besuches in der Justizanstalt erfahren habe, welcher im Besitz der Originale sein soll. Ohne den Namen dieser Person zu nennen bringt der Berater in diesem Schriftsatz weiters vor, diesen Freund noch am selben Tag kontaktiert zu haben und mit ihm die Übergabe der Dokumente für den 28.11.2017 vereinbart zu haben, dieser Freund jedoch nicht erschienen sei und sobald ihm die Unterlagen vorliegen würden, werde der Berater diese dem Bundesverwaltungsgericht umgehend übermitteln, wobei für ihn bisher sehr schwer einschätzbar sei, ob diese Unterlagen tatsächlich im Original zur Verfügung stehen.

 

Die im Konvolut B enthaltenen Beweismitteln würden dem BF bislang allerdings nur in digitaler Form vorliegen und sei es ihm in der Untersuchungshaft jedenfalls verwehrt, mit seinem Bruder ein persönliches Gespräch zu führen, um diesen zu überzeugen, auch diese Unterlagen an ihn im Original zu übermitteln. Der BF sei überzeugt, dass für den Fall, dass eine andere Person den Bruder um Übermittlung dieser Dokumente ersuche, der Bruder diesem Ersuchen nicht nachkommen würde. Der BF gehe davon aus, dass der Bruder die Übermittlung der Unterlagen im Original erst nach einem persönlichen Gespräch mit dem Bruder möglich sein werde.

 

Aus den im Konvolut B enthaltenen Beweismittel "dürfte" die Feindschaft seiner Familie hervorgehen: sein Onkel trage den Namen XXXX, sein Großvater:XXXX (Sohn des XXXX), sein Vater: XXXX. Eines der Dokumente "dürfte" noch vor der Ermordung seines Onkels ausgestellt worden sein und werde zur Erörterung der Beweismittel um die anberaumten einer weiteren Verhandlung ersucht, weil dies im Rahmen eines nur 30-minütigen Gesprächs nicht zu bewerkstelligen sei, so die Stlelungnahme.

 

Hinsichtlich des im Rahmen der Einvernahme vom 21.10.2016 erwähnten Ort "Koraj" sei ausgeführt, dass es sich dabei um Karadsch, einen Vorort von Teheran handelt.

 

Zu dem Länderbericht sei insbesondere auch auf die Stellungnahme der länderkundigen Sachverständigen Hila Asef vom 15.9.2017 (im Auftrag der Gerichtsabteilung W140 erstattet) hingewiesen, aus welcher im wesentlichen hervorgehe, dass für afghanische Bürger, welche im Iran geboren, aufgewachsen und dort sozialisiert worden seien, die im Länderbericht enthaltenen Informationen nicht auf die spezielle Situation von den im Iran geborenen dort sozialisierten Afghanen einzugehen scheint. Diese gutachterliche Stellungnahme der Hila Asef vom 15.9.2017 wurde dem Gericht übermittelt.

 

Weiters wurde auf die Entscheidung des VfGH vom 22.9.2017, E240/2017-21, verwiesen, wonach die Annahme, ein Beschwerdeführer könne ohne soziales Netzwerk nach Kabul, sei es auch durch Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe, zurückkehren vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht nachvollziehbar und wurde dabei auf folgende Entscheidungen hingewiesen: VfSlg. 19.695/2012; VfGH 21.9.2012, U883/12; VfGH 13.3.2013, U2185/12.

 

Dem Gericht wurden als Beilagen auf DIN-A4-Seiten nicht ganzseitige Kopien von acht Dokumenten übermittelt sowie drei Kopien von Lichtbildern, auf welchen junge männliche Personen abgelichtet sind.

 

12. Mit Telefax vom 29.11.2017 übermittelte Mag. XXXX dem Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme vom 28.11.2017 nochmals samt den vorgelegten Beweismitteln in äußerst schlechter und schlechtleserlicher Qualität.

 

13. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht mit Erledigung vom 13.2.2018 die Verständigung der Staatsanwaltschaft Wien vom 24.1.2018 über die Anklageerhebung über den Beschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), GZ: XXXX.

 

14. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.3.2018, 043 Hv 7/18i, wurde der BF wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 erster Fall Suchtmittelgesetz, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon 10 Monate unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

 

15. Unterlagen wurden mit Schriftsatz vom 3.5.2018 nachgereicht und zum Übersetzen gegeben. Nach mehrmaliger Urgenz langten die Übersetzungen am 19.9.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es handelt sich hiebei um:

 

* Schulnachricht der Islamischen Republik Iran, Ministerium für Erziehung und Unterricht, Mittelschule, Schuljahr 85/86, Name XXXX, Vater XXXX, geboren am 7.11.1386

 

* Schulnachricht der Islamischen Republik Iran, Ministerium für Erziehung und Unterricht, Mittelschule, Schuljahr 86/87, Art der Schule "ohne Gebühr", Name XXXX, Vater XXXX, geboren am 7.11.1386

 

* Prüfungsteilnahmebestätigung des Prüfungsrates für XXXX, Grundschule XXXX, Region Ahwaz, Jahr 1983, Gesamtnote 55/15, "bestanden"

 

* Ersuchen vom 13.8.1386 (4.11.2007) der Direktion für Unterricht und Erziehung des ersten Bezirks von Ahwaz, um Zuweisung eines Schulplatzes an XXXX, Sohn des XXXX

 

* Schulnachricht des Amtes für Bildung und Erziehung, Schulnachricht der zweiten Grundstufe, Schuljahr 77/78, XXXX, Sohn des XXXX, geb. XXXX (Umrechnung nach dem afghanischen Hirjri Shamsi Sonnenkalender: XXXX).

 

* Schulnachricht des Amtes für Bildung und Erziehung, Schulnachricht der dritten Grundschulstufe, Schuljahr 78/79,XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht des Amtes für Bildung und Erziehung, Schulnachricht der vierten Grundschulstufe, Schuljahr 78/79, XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht des Amtes für Bildung und Erziehung, Schulnachricht der fünften Grundschulstufe, Schuljahr 80/81, XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht der Orientierungsschule Baharestan, Ahwaz Erster Bezirk, Schulnachricht der ersten Orientierungsstufe, Schuljahr 82/83, XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht der Orientierungsschule Baharestan, Ahwaz Erster Bezirk, Schule XXXX, Schulnachricht der zweiten Orientierungsstufe, Schuljahr 81/82, XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht der dritten Orientierungsstufe, Ahwaz Erster Bezirk, Schule XXXX, Schulnachricht der zweiten Orientierungsstufe, Schuljahr 83/84, XXXX, Sohn des XXXX, geb. 7.11.68

 

* Schulnachricht der Islamischen Republik Iran, Ministerium für Erziehung und Unterricht, Voruniversitätslehrgang Schuljahr 84/85, Name XXXX, Vater XXXX, geboren am 7.11.1386

 

* Schulzeugnis (Erfolgsnachweis) der Islamischen Republik Iran, Ministerium für Erziehung und Unterricht, Sekundarschule, Schuljahr 84/85, Erstes Semester: Winter, Name XXXX, Vater XXXX, geboren am 7.11.1386

 

* Schulzeugnis (Erfolgsnachweis) der Islamischen Republik Iran, Ministerium für Erziehung und Unterricht, Sekundarschule, Schuljahr 85/86, Erstes Semester: Winter, Name XXXX, Vater XXXX, geboren am 7.11.1386

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

 

Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

 

1.1. Feststellungen zum Beschwerdeführer und zu seinen Fluchtgründen:

 

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger.

 

Der BF gehört der der zweitgrößten und zweitmächtigsten Gemeinschaft Afghanistans, der Volksgruppe der Tadschiken, an.

 

Der BF bekennt sich zum sunnitischen Glauben und gehört damit zu jener Religionsgemeinschaft, welche unter den 99,7% der Muslime Afghanistans zwischen 84,7% bis 89,7% ausmacht.

 

Der BF ist der Sprachen Farsi und Dari mächtig. Er stammt aus der Provinz Kabul aus dem Distrikt Sharkardara aus dem Dorf XXXX. Er ist im Iran geboren, wo er eine Schulbildung genoss.

 

Der BF ist geschieden und hat keine Sorgepflichten.

 

Der 28jährige BF ist gesund und bedarf keiner Medikamente.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung, welche er im Iran auf Baustellen sammeln konnte.

 

Der Beschwerdeführer reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte in Österreich am 2.10.2015 den Antrag auf internationalen Schutz.

 

Gegen den BF wurde von der Staatsanwaltschaft Wien im Jänner 2018 Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben und ist er rechtskräftig zu einer Haftstrafe von 15 Monaten, wovon 10 Monate unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

 

Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach.

 

Der Beschwerdeführer hat in Österreich in einer Unterkunft des Samariterbunds als Reinigungskraft gearbeitet und war zu einem Alphabetisierungskurs der VHS Wien Bildungsdrehscheibe angemeldet.

 

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet keine Angehörigen.

 

Der BF hat im Iran einen Bruder namens XXXX, welcher auf Baustellen arbeitet, ein Auto besitzt und dessen finanzielle Situation vom BF als gut bezeichnet wird. Der BF hält zu diesem über das Handy der Frau des Bruders Kontakt.

 

Der BF hat in Afghanistan Verwandte.

 

Eltern und Geschwister des BF leben in Deutschland.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die junge männliche Person auf den vom BF vorgelegten Kopien von Lichtbildern ein durch Fremdverschulden ums Leben gekommener Cousin des BF ist.

 

Das vom Beschwerdeführer dargelegte Verfolgungsvorbringen betreffend eine Gefahr einer Verfolgung bzw. Bedrohung durch Feinde seiner Familie aus eine Feindschaft seines Vaters und / oder einer Feindschaft seines Großvaters kann nicht festgestellt werden.

 

Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, wurde dort nie von der Polizei gesucht und hatte dort auch keine Probleme mit Gericht oder den Behörden. Der BF wurde in Afghanistan weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, noch aufgrund seiner Religionszugehörigkeit verfolgt oder bedroht.

 

Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat auch niemals von einem Menschen persönlich bedroht oder verfolgt.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war bzw. ihm eine solche Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des Beschwerdeführers sowie der Glaubensrichtung des Beschwerdeführers in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er in der Islamischen Republik Iran geboren ist, dort sozialisiert und gebildet wurde und sich zuletzt in Europa aufgehalten hat bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus dem Iran sowie aus Europa nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

Der BF verließ den Iran, da seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert wurde.

 

Der BF kann sich bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat in Mazar-e Sharif oder in Herat ansiedeln.

 

Der BF kann sowohl Mazar-e Sharif als auch Herat von Österreich aus sicher über den Luftweg erreichen.

 

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

 

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.06.2018 in der Fassung der Aktualisierung vom 11.09.2018:

 

Sicherheitslage:

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

 

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

 

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

 

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

 

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

 

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

 

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

 

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

 

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

 

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

 

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

 

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

 

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

 

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

 

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten:

 

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

 

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

 

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

 

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

 

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

 

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

 

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

 

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

 

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

 

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

 

• In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

 

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

 

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

 

• Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

 

• Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

 

• Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

 

Zivilist/innen:

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

 

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

 

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Taliban:

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

 

Haqqani-Netzwerk:

 

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

 

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

 

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

 

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

 

Al-Qaida:

 

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

 

Drogenanbau:

 

In den Jahren 2016 - 2017 haben sich die Flächen zum Mohnanbau für Opium um 63% vergrößert und kommen nun auf 328.000 Hektar; insgesamt verstärkte sich die Opiumproduktion um 87% und damit auf 9.000 metrische Tonnen - die größte Menge in der afghanischen Geschichte. Die stärkste Expansion der Mohanbauflächen war in der Provinz Helmand zu verzeichnen, die als Zentrum der Opiumproduktion erachtet wird: eine Fläche von 144.000 Hektar ist dort dem Mohnanbau gewidmet. Der Mohnanbau hat sich landesweit verstärkt, auch in nördlichen Provinzen, wie z.B. Balkh und Jawzjan (UNODC 11.2017).

 

Unterstützt von ihren internationalen Partnern führt die afghanische Regierung weiterhin Operationen zur Drogenbekämpfung durch. Im gesamten Jahr 2017 wurden von afghanischen Exekutivbehörden 445 solcher Einsätze durchgeführt. Beschlagnahmt wurden dabei: 391kg Heroin, 31kg Morphium, 8.141kg Opium, 2 kg Methamphitamine, 38.547 kg Haschisch, 1.256 kg fester Vorläuferchemikalien, 1.437 flüssige Vorläuferchemikalien und 1.590 Tabletten synthetischer Drogen (MDMA - 3,4-methylenedioxymethamphetamine); diese Beschlagnahmungen führten zu 531 Verhaftungen. Die beschlagnahmte Menge an Opiaten ist die höchste registrierte Menge seit dem Jahr 2012. Auch hat sich der Preis für Opium erheblich reduziert (-41%), was mit einer großen Ernte in Verbindung gebracht wird; reduziert hat sich auch der Heroinpreis (-7%) (UNGASC 27.2.2018).

 

Im letztem Quartal 2017 wurden 750 Hektar Mohnanbauflächen in den Provinzen Nangarhar, Kandahar, Badakhshan, Balkh, Kunar, Kapisa, Laghman, Ghor, Herat, Badghis, Nimroz, Takhar, und Kabul vernichtet. Der UN zufolge wurden in den letzten drei Jahren in den nördlichen Regionen keine Mohnanbauflächen vernichtet, außer in den Provinzen Sar-e Pul und Balkh im Jahr 2017 - wo insgesamt 25 Hektar zerstört wurden. Ebenso wurden im Jahr 2017 im Süden des Landes keine Mohnanbauflächen zerstört; die Ausnahme bildet Kandahar - dort wurden 48 Hektar zerstört (SIGAR 30.1.2018).

 

Kabul:

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

 

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

 

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

 

Herat:

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage:

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat:

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat:

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Rechtsschutz/Justizwesen:

 

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

 

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5 .2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5 .2018).

 

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

 

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9 .2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

 

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

Sicherheitsbehörden:

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

 

Weiterführende Informationen über Angriffe auf Einrichtungen der Streitkräfte können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF:

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).

 

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

 

Reformen der ANDSF:

 

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).

 

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung (SIGAR 30.4.2018a; vgl. NATO 21.7.2017).

 

Frauen in den ANDSF:

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans besonders herausfordert (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 3.7.2014; BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Die Aufnahme afghanischer Frauen in die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANA, ANP und NDS) wurde immer von zahlreichen Herausforderungen begleitet. Die traditionelle afghanische Gesellschaft und patriarchalische Mentalität machen es Frauen schwer, am öffentlichen Leben teilzuhaben, insbesondere in Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen. Aus diesen Gründen erlauben die meisten Familien ihren Töchtern und Frauen nicht, sich den Verteidigungs- und Sicherheitskräften anzuschließen. Auch Unsicherheit ist wahrscheinlich ein starker Grund für das Fehlen von Frauen in den Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen (AIHRC 9.12.2017).

 

Frauen sind Diskriminierung in verschiedenen Bereichen ausgesetzt, zum Beispiel in Hinsicht bestimmter Rechte und Privilegien, Weiterbildungsmöglichkeiten und den Zugang zu beruflichen Fortbildung im In- und Ausland. Einer Befragung der AIHCR zufolge, an der 648 Frauen teilnahmen (579 in der ANP, 60 in der ANA und zwölf im NDS), gaben die befragten Frauen an, dass in den drei Institutionen Diskriminierung gegen Frauen stattfindet. Einige Gründe, warum Frauen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nicht die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen Fortbildung und zur Weiterbildung erhalten, liegen in den Institutionen selbst; andere hängen mit Familie und Gesellschaft zusammen. Ein Anteil der befragten Frauen (17%) in den Provinzen (Kabul, Parwan, Kapisa und Panjshir) gaben gegenüber AIHCR an, keinen Zugang zu geschlechtergetrennten, geeigneten Toiletten und Umkleidebereichen zu haben. Das Fehlen von Umkleidebereichen bietet eine Grundlage für Missbrauch und Belästigung von Frauen und führt dazu, dass viele Frauen den Arbeitsplatz aufgeben. Auch gaben 13,2% der Befragten an, sexuell belästigt worden zu sein. Die Unterschiede beim Ausmaß der Belästigungen in den drei Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen (ANP, ANA und NDS) sind gering, jedoch in der ANP höher als in ANA und NDS (AIHRC 9.12.2017).

 

Im letzten Quartal des Jahres 2017 errichtete das afghanische Innenministerium ein Komitee zur Prävention von sexueller Belästigung und Gewalt; auch wurde eine Arbeitsanweisung dafür errichtet und die Aufgaben der bestellten Mitglieder erarbeitet - Berater/innen der Koalitionspartner sollen dem Komitee zur Seite stehen, um sicherzustellen, dass die Bemühungen gegen sexuelle Belästigung und Gewalt stark und effektiv sind (SIGAR 30.1.2018). Die AIHRC, in Kooperation mit dem afghanischen Verteidigungsministerium und dem Innenministerium erarbeitet derzeit ein Programm für den Ombudsmann, um externe Berichterstattung, Kontrolle und Opferunterstützung für weibliche Mitarbeiter der beiden Ministerien errichten. Dieses Programm soll Mitgliedern der ANDSF und der afghanischen Bevölkerung die Möglichkeit geben, geschlechtsspezifische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gefahrlos der AIHRC melden zu können (USDOD 12.2017; vgl. AIHRC 9.12.2017).

 

Im Allgemeinen verbesserte sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte seit 2001, wenngleich sexuelle Belästigung und Gewalt sowie geschlechtsspezifische Gewalt die erfolgreiche Integration und Verbleib von Frauen in der ANDSF bedrohen. Um dieses Risiko zu minimieren, hat das Verteidigungsministerium außerdem ein Gender Integration Office gegründet, welches aktiv Leitlinien und Prozesse errichtet, um sexuelles Fehlverhalten zu vermeiden und zu melden. Außerdem bietet das Büro Unterstützung für männliche und weibliche Opfer sexuellen Fehlverhaltens an (USDOD 12.2017).

 

Ein Dutzend Frauen arbeiten in der Crisis Response Unit der afghanischen Polizei. Diese Einheit ist die Ersthelfer bei großen Angriffen. Die konkrete Mitgliederanzahl dieser Einheit ist unbekannt, wird landesweit auf 5.000 Mitglieder geschätzt; von den 254 Planstellen, die für Frauen vorgesehen sind, sind 83 tatsächlich besetzt. Die Frauen nehmen - so wie Männer auch - an den Operationen dieser Einheit teil und sind nicht nur für die Sicherheitskontrolle von Frauen zuständig. Eine der Mitarbeiterinnen dieser Einheit berichtet davon, monatlich 640 USD Grundgehalt zu erhalten (zusätzlich kommen noch kleine Belohnungszahlungen für Kampfoperationen hinzu); sie könne damit ihre Mutter, ihren Bruder und drei junge Kinder versorgen, die bei Verwandten leben, während sie manchmal monatelang auf Einsatz ist (LAT 3.3.2017).

 

Die türkische Polizeiakademie Sivas Police Vocational School hat bisher 1.956 afghanische Männer und 1.027 Frauen polizeilich in der Türkei ausgebildet. Die sechste Ausbildungsklasse für Frauen der afghanischen Nationalpolizei läuft mit Anfang des Jahres 2018; an dieser nehmen derzeit 243 Kandidatinnen teil (HDN 15.2.2018). Auch in Indien wurden bereits 4.000 Mitglileder der afghanischen Nationalpolizei und Nationalarmee in der Vergangenheit ausgebildet. Zum ersten Mal wird in Indien auch weibliches Militärpersonal an der Offiziersakademie in Chennai (Anm.: Bundesstaat Tamil Nadu) zu Offizierinnen ausgebildet. 17 Frauen entstammen der afghanischen Armee selbst, drei aus der Luftwaffe und eine nicht bekannte Anzahl aus Spezialeinheiten sowie weiteren Bereichen des afghanischen Verteidigungsministeriums (NDTV 6.12.2017).

 

Nachdem das von der afghanischen Regierung und der NATO angestrebte Ziel, den Frauenanteil in den ANDSF von 2010 bis 2020 auf 10% zu bringen, nicht realisierbar scheint, setzte sich die Regierung ein neues Ziel: Bis 2025 sollen 5.000 Frauen in die nationale Armee und 10.000 Frauen in die nationale Polizei eintreten (TD 30.4.2018). Nichtsdestotrotz lag am 3. März 2018 der Frauenanteil in den ANDSF bei 4.335, was einen Rückgang um 297 Frauen im Vergleich zum vergangenen Quartal ausmacht. Insgesamt arbeiteten 3.040 Frauen für die ANP, 1.295 für die ANA, 72 für die ASSF und 98 für die AAF.

1.504 waren Offiziere, 1.551 Unteroffiziere, 1.305 einberufenes Personal und 145 Kadetten. Aktuell ist das Women's Participation Program (WPP) im Laufen, eine Initiative zur Steigerung und Förderung des weiblichen Anteils innerhalb der afghanischen Sicherheitsinstitutionen. Das Programm fördert sichere und geschützte Einrichtungen, angemessene Ausrüstung, Ausbildung usw. (SIGAR 30.4.2018a).

 

Geheimdienstliche Tätigkeiten:

 

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus (USDOD 6.2017). Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach (USDOD 6.2017). Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 20.4.2018). Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANA- und ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich (TD 24.7.2017).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP):

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).

 

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).

 

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).

 

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA):

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte (USDOD 6.2017). Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 20.4.2018).

 

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen (SIGAR 30.4.2018b). Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen (RSIS 1.6.2007; vgl. JCISFA 3.2011). Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (JCISFA 3.2011).

 

Resolute Support Mission (RS):

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekräter Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll (NATO o.D.). Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes usw. (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO o.D.). Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AJ 16.5.2018). Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF (TD 24.7.2017).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

 

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

 

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

 

Weiterführende Informationen zu Angriffen auf schiitische Glaubensstätten, Veranstaltungen und Moscheen können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Ethnische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

 

Tadschiken (aus Länderbericht 22.8.2018)

 

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).

 

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Auszug aus dem Staatendossier AfPAK Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur:

 

Tadschiken

 

In historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Das konnte ihr Siedlungsgebiet oder ihre Herkunftsregion sein. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pandschscher) oder badakhshi (aus Badachschan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Dann bezeichnete der Name tajik (Tadschike) sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Analog standen die Namen aymaq und elat für persischsprachige halbnomadische Stammesgruppen, ebenfalls sunnitischer Konfession. Persischsprecher konnten auch nach ihrer ethnischen Herkunft zusammengefasst und bezeichnet werden, zum Beispiel als hazara, arab (Araber) oder baloch (siehe unten). Diese Namen sind mit den beschriebenen Bedeutungen heute noch üblich. Das Dari-Persische ist ein Merkmal, das alle diese und andere Gruppen vereint. Trotzdem gab es keinen übergreifenden Namen, mit dem all diese Gruppen nach dem Kriterium der Sprache zusammengefasst worden wären. Das Wort parsiwan ‚Persischsprecher', das noch vor 20 oder 30 Jahren viel häufiger zu hören war als heute, könnte als ein solcher übergreifender Gruppenname angesehen werden. Tatsächlich wurde dieser Name aber nie auf alle Sprecher des Dari-Persischen angewandt. Heute wird der Terminus tajik ‚Tadschike' als eine Kategorie offeriert, unter der fast alle Dari/Persisch-Sprecher Afghanistans zusammengefasst werden. Vor dem Bürgerkrieg wurde dieser Name als Selbstbezeichnung fast nur von Dari-Sprechern in einigen Berggegenden in Nordost-Afghanistan verwendet. Heute benutzen ihn als Selbstbezeichnung auch Dari-Sprecher in Kabul, Mazar-i Scharif oder Ghazni. Mehr noch: Staatliche Behörden verwenden den Name Tadschike in Bezug auf Dari-Sprecher auch in vielen anderen Gegenden. Nur die Dari-sprachigen Bewohner von Herat scheinen noch einige Schwierigkeiten zu haben, sich selbst als Tadschiken anzusehen; aber wenn es darum geht, ihre ethnische Zugehörigkeit in offiziellen Dokumenten festzulegen wie zum Beispiel bei der Beantragung eines Personalausweises, dann lassen sie sich doch darauf ein, als Tadschike zu gelten. Schließlich kennt die verfassungsgemäße Nomenklatur der ethnischen Gruppen keinen Eintrag herati. Gleichermaßen werden andere Dari-sprachige Gruppen wie Aymaq, Araber oder Dari-sprachige Belutschen in Nord-Afghanistan, ja sogar die Sprecher von Pamirsprachen in der Provinz Badachschan heutzutage offiziell oft als Tadschiken registriert. In den ethnisch dominierten politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart erscheint eine Gruppe offensichtlich politisch umso einflussreicher, je mehr Angehörige sie aufweisen kann. Deshalb erfährt die ethnische Bezeichnung Tadschike heute eine politische Favorisierung. Wegen der politisch motivierten Inklusion vieler anderer Gruppen lassen sich die Tadschiken als eine ethnische Gruppe in Status Nascendi ansehen. Es scheint, dass die schiitischen Hazara die einzige Dari-sprachige Gruppe darstellen, auf die der Name Tadschike nicht anwendbar ist.

 

Weiter aus dem Länderbericht:

 

Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat- Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran- Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein

 

"wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban- Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

 

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit, sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5 .2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5 .2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).

 

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von "Alter im Jahr der Beantragung", z. B. "17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 5 .2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5 .2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).

 

Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).

 

Religion

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans.

 

Rückkehr:

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung:

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen:

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016:

 

Quelle:

 

 

http://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/04/AFG_042016.pdf

 

Wie von UNHCR in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 festgestellt, ist es erforderlich, dass die internationalen Schutzbedürfnisse afghanischer Asylsuchender auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Antragstellers geprüft werden und wird aus den UNHCR-Richtlinien Folgendes entnommen:

 

Zu Rechtsschutz, Justizsystem und Sicherheitsbehörden in Afghanistan:

 

"Die starke Zunahme von regierungsfeindlichen Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Vorgehensweisen, einschließlich insbesondere der neuen Bedrohung durch mit ISIS verbundene Gruppen, hat zusammen mit der Gewalt der aufständischen Gruppen untereinander zu einer zunehmend unübersichtlichen Sicherheitslage beigetragen. Berichten zufolge unterminieren außerdem regierungsnahe bewaffnete Gruppen in den Gebieten unter ihrem Einfluss die Autorität der Regierung und werden zunehmend mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. [ ]

 

Experten zufolge haben sich die afghanischen Sicherheitskräfte als generell in der Lage erwiesen, Provinzhauptstädte und größere städtische Zentren zu verteidigen. Eine wichtige Ausnahme stellte die kurzfristige Eroberung von Kunduz durch die Taliban im September 2015 dar. Jedoch stieg 2015 die Anzahl getöteter Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) deutlich, als die wiedererstarkten Taliban breit angelegte Offensiven starteten und die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) regelmäßig in eine reaktive Rolle drängten und während der Kämpfe 2015 ihre Kontrolle über ländliche Gebiete im ganzen Land stärkten. [ ]

 

Die Regierung der nationalen Einheit (NUG) bleibt eine instabile Regierungskoalition, die von ethnischen Trennlinien, Klientelpolitik und interner Uneinigkeit in Hinblick auf zentrale strategische Fragen geprägt ist. Die sich verschlechternde Sicherheitslage hat Berichten zufolge dazu geführt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Regierung, für Sicherheit zu sorgen, schwindet und dass die Regierung infolgedessen die Unterstützung der Bevölkerung verliert. [ ]

 

Diese Entwicklungen müssen vor dem Hintergrund einer berichteten endemischen Korruption, Schwierigkeiten bei der Einrichtung und Aufrechterhaltung der staatlichen Autorität, andauernder Bedenken hinsichtlich der mangelnden Rechtsstaatlichkeit und eines nicht ausreichend funktionierenden Justizsystems, eines hohen Maßes an Kriminalität, weit verbreiteter Menschenrechtsverletzungen und einem allgemeinen Klima der Straflosigkeit betrachtet werden. [ ]

 

Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der Verpflichtungen Afghanistans, nach nationalem und internationalem Recht diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung. Die Regierungsgewalt Afghanistans und die Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen, die Zufriedenheit der Öffentlichkeit mit der Regierungsarbeit und das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen sanken Berichten zufolge im Jahr 2015 auf drastische Weise.

 

Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird in vielen Distrikten durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte sind Berichten zufolge oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben.

 

Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung."

 

Zu der internen Schutzalternative:

 

"[ ] Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

[ ] Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte [ ] in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte [ ] befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte [ ] im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

[ ]

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig. [ ]"

 

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 betreffend Risikogruppen:

 

"Risikogruppen

 

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie ihre Familienangehörigen)."

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die getroffenen Feststellungen zur Person des BF fußen auf dem Antrag auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde, dem Beschwerdeschriftsatz, der Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Fremdakt und in die von der Staatanwaltschaft übermittelte Mitteilung vom 24.1.2018 und das Strafurteil vom 22.3.2018, in das Strafregister und das Grundversorgung-Informationssystem sowie auf den vom Beschwerdeführer der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Beweismitteln.

 

Der oben angeführte Verfahrensgang und die oben unter II.1.1. getroffenen Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und den vom BF im Wege seines Rechtsberaters der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Unterlagen und den Angaben des BF in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Afghanistan gründen auf den oben unter II.1.2 angeführten Quellen. Der Länderbericht der Staatendokumentation wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellt (Fassung: 30.1.2018). Dem Beschwerdeführer wurde der Länderbericht in der im Zeitpunkt der Verhandlung geltenden Fassung übermittelt und ist zu sagen, dass sich aus der neuen Fassung vom 30.1.2018 keine signifikanten Änderungen ergeben. Angesichts der Seriosität und der darin zitierten Quellen und der Plausibilität der Aussagen im Länderbericht besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben im Länderbericht der Staatendokumentation idF 30.1.2018 zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der islamischen Republik Afghanistan Grunde gelegt werden. Der Länderbericht als Erkenntnisquelle erscheint dem Bundesverwaltungsgericht schlüssig und nachvollziehbar.

 

2.2. Zu dem vom BF vorgebrachten Fluchtvorbringen ist Folgendes festzuhalten:

 

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Laut Rspr des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs 1, letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt mit Hilfe so genannter "parater" Bescheinigungsmittel zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.5.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und dies betreffend konkrete Umstände anzuführen, welche objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

 

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, welche sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt.

 

Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).

 

Die Glaubhaftmachung hat zum Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.5.2006, 2005/17/0257). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen eines Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, welche für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektive Sichtweise anzustellen. In diesem Zusammenhang ist der unmittelbar anzuwendende Art 4 Abs 5 der Richtlinie 2011/95/EU (Status-RL) maßgeblich, welcher betreffend "Prüfung der Tatsachen und Umstände" im Abs 5 normiert wie folgt:

 

"Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

 

a)-der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

 

b)-alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

 

c)-festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

 

d)-der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

 

e)-die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

 

Unter diesen Maßgaben ist ein Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen und ist dabei auf folgende Kriterien abzustellen: zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, welche insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselte oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

 

Weiters muss das Vorbringen eines Asylwerbers - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht jedoch in der Lage ist, Konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat überdies plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein - der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

 

Vor diesem Hintergrund geht die zur Entscheidung berufene Richterin aufgrund ihres in der mündlichen Verhandlung erhaltenen persönlichen Eindrucks des BF davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens - zu dessen Vortrag er aufgefordert wurde, in Ruhe in freier Erzählung alle Fluchtgründe mitzuteilen und nichts wegzulassen - keine Glaubwürdigkeit zukommt:

 

Der im Iran geborene BF brachte vor, dass sein Vater aufgrund einer Feindschaft Afghanistan verlassen habe und in den Iran gegangen sei. Sein Großvater sei von Paschtunen und Taliban in Afghanistan getötet worden, so der BF, und wisse er weder wann der Vater Afghanistan verlassen habe, noch wann der Großvater getötet worden sei.

 

Der BF brachte aus einer Erbschaft von den Großeltern stammende Grundstücke in Afghanistan vor, welche "uns" zwangsweise weggenommen worden wären und es daher eine Feindschaft gäbe. Auf die Frage von wem es diese Feindschaft gäbe, antwortete er nicht zu wissen, wer die Feinde sind. Laut seiner Mutter hatten sie diese Grundstücke gehabt, der Vater habe aber nie mit ihm gesprochen.

 

Sein Vater sei auch im Iran in Sheraz bedroht worden, als der BF im Alter von sechs Jahren gewesen sei. Dazu befragt gab er an, dass ein PKW gekommen sei und "wir wussten, dass wir Sheraz verlassen mussten". Dass dieser Vorfall auf die vom BF als in Afghanistan stattgefunden behaupteten Ereignisse zurückführbar sei, gab er nicht an. Er berichtete, dass seine Familie daher Sheraz verlassen habe und habe sich in der Provinz Ahwaz niedergelassen habe, wo er für 11 Jahre die Schule besucht habe. Auf Vorhalt, dass er damals sechs Jahre alt war und auf Befragen ob bis zur Ausreise nichts mehr passiert war, gab er an: "In Awarz ist es auch passiert und deshalb sind wir nach Teheran." Auf die Frage "Und in Teheran ist nichts mehr passiert?" brachte er ausweichend und ohne Details zur Fragen der Richterin vor: "Fünf, sechs Jahre war ich in Teheran und Teheran habe ich verlassen, als ich nach Europa ging." Die Aufenthaltsbewilligung im Iran sei gegen Bezahlung immer verlängert worden, zuletzt jedoch nicht, da er eine Iranerin geheiratet habe und auf die Frage "was war der Grund, warum Sie dann weggegangen sind?" antwortete der BF nach Wiederholung der Frage: "Ja, es wurde nicht verlängert und aus diesem Grund habe ich es dann verlassen."

 

Die Richterin richtete an den BF danach die Frage "Haben Sie noch weitere Gründe, von denen Sie sagen, dass sind meine Fluchtgründe?" und gab er darauf zur Antwort: "Nein, das war es." Und auf die Frage "Möchten Sie sonst noch etwas vorbringen, bevor wir die Verhandlung schließen?" antwortete er: "Nein."

 

Der BF hatte daher ausreichend Gelegenheit alles zu seiner Flucht vorzubringen. Die von ihm dargebrachten Fluchtgründe wurden farblos und nicht zusammenhängend vorgetragen. Dabei ist zu beachten, dass der BF 27 Jahre alt ist, laut vorgelegten Zeugnissen eine offizielle Schulbildung genossen (Mittelschule und Voruniversitätslehrgang) hat und von einem jungen Mann mit einer solchen Dauer an Schulbildung erwarten werden kann, dass dieser bestehende ihn zur Flucht veranlassende Vorbringen mit Details vorträgt und nicht bloß farblos und grob schildert. So brachte er vor, dass sein Großvater in Afghanistan von Paschtunen und Taliban getötet worden wäre. Es bedurfte dann der Nachfrage, wann dies gewesen sei und gab er an, es nicht zu wissen. Auch zu seinem Großvater brachte er nicht weiter vor, aus welchem Grunde - etwa laut Erzählung der Eltern - sich dies zugetragen habe.

 

Die die Grundstücke anbelangende Feindschaft vermochte er auch nicht näher zu konkretisieren und tat dies - vor expliziter Nachfrage durch die Richterin - auch nicht von sich aus. Auf Vorhalt, warum er mit seinem Vater über (nicht mehr lebende) Verwandte in Afghanistan spreche, aber nicht über die Grundstücke, antwortete er ausweichend, dass der Vater nie über Grundstücke gesprochen habe und es ihm egal sei, da er selbst sein Geld verdiene.

 

Auch bei der Schilderung der Bedrohung seiner Familie im Iran brachte er ohne Details vor, dass er im Alter von sechs Jahren gewesen sei als ein PKW gekommen wäre und sie dann gewusst hätten, dass sie Sheraz verlassen müssten. Auch aus dem Blickwinkel heraus, dass der BF damals im Alter von sechs Jahren war und dies zum Einen 21 Jahre zurückliegt und zum Anderen er als Kind möglicherweise auf die gesprochenen Worte und / oder gesetzten Taten ihm unbekannter Personen nicht so ein Augenmerk legt wie es ein Erwachsener tun würde, ist zu sagen, dass es bei einer persönlich erlebten Situation dennoch erwartet werden kann, dass der BF über seine persönlichen Empfindungen in dieser Situation oder seine Wahrnehmung der Empfindung der anwesenden Familienmitgliedern währenddessen oder danach schildert oder über die kurz davor verrichteten Tätigkeiten berichtet - handelt es sich doch bei einer Bedrohung, welche zur Flucht veranlasst, um eine einprägsame Situation, welche auch bei einem jungen Menschen einen Eindruck hinterlässt.

 

Der BF schilderte vor dem Gericht nicht etwa die Situation an sich, etwa welche Personen / wie viele Personen gekommen seien, zu welcher Tageszeit, wer aller aus seiner Familie daheim gewesen sei in den Zeitpunkt. Zu einer Bedrohung in Ahwaz brachte er auch bloß ohne Details vor "In Ahwaz ist es auch passiert".

 

Der BF erschütterte seine Glaubwürdigkeit: Auf die Frage, warum er bei der Erstbefragung keinen einzigen Bruder angegeben habe, gab er an "ich wurde nicht gefragt ob ich Brüder habe". In diesem Falle ist anzumerken, dass das Formular für die Erstbefragung in der Formularversion 19.8.2015 unter "5. Angaben über Familienangehörige im Herkunftsstaat oder anderem Drittstaat (Eltern, Gatten, Kinder, Geschwister)" ausweist und die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit dem Dienstgrad einer Gruppeninspektorin stattgefunden hat.

 

Es muss einem auf die Vernehmung von zu beamtshandelnden Personen geschulten und zur Überwachung der Einhaltung der fremdenpolizeilichen Vorschriften geschulten Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zugebilligt werden, dass dieses bei der Erstbefragung nach dem AsylG unter Verwendung des hierfür vorgesehenen Formulars dieses ordnungsgemäß anwendet und dabei die Ausfüllhilfe beachtet. Aus diesem Blickwinkel in Zusammenschau mit der Niederschrift "Vater: XXXX, 57-60 Jahre, Mutter: XXXX, 50 Jahre; Schwestern: XXXX - 19; XXXX - 15; XXXX - 11 Jahre" im Protokoll über die Erstbefragung geht die zur Entscheidung berufene Richterin davon aus, dass das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den BF mit den im Formular unter "5." abgedruckten Angaben "Angaben über Familienangehörige im Herkunftsland oder einem Drittstaat (Eltern, Ehegatten, Kinder, Geschwister, Name, Vorname, Geburtsdatum, / Keine)" konfrontiert hat.

 

In diesem Zusammenhang tat er seiner Glaubwürdigkeit abermals einen Abbruch, da er vor der belangten Behörde nicht nur die beiden Brüder namens XXXX (im Iran lebend) und XXXX (Deutschland) erstmalig angab, sondern in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmalig die Schwester XXXX nannte, bei der Erstbefragung aber bloß die drei anderen Schwestern [Anm: Angabe vor dem Bundesverwaltungsgericht: "Ich habe noch einen Bruder XXXX und vier Schwestern"].

 

Während im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht wird, dass der BF als Heranwachsender in den Herkunftsstaat Afghanistan zurückgehen habe wollen (Seite 2 von 8), bringt der BF dies in seiner freien Erzählung nicht vor.

 

Während im Beschwerdeschriftsatz auf Seite 2 von 8 vorgebracht wird, dass ein Onkel des BF in Afghanistan während der Tätigkeit des Vaters des BF 11 Jahre inhaftiert gewesen sei und später als Polizist tätig gewesen und in Folge getötet worden wäre, brachte dies der BF trotz Aufforderung "in Ruhe in freier Erzählung alle Fluchtgründe betreffend Afghanistan mitzuteilen und nichts wegzulassen" und auch nachdem er sagte "Ich brauche ca. 10 Minuten um zu reden und das ganze Problem zu erzählen" - worauf ihm geantwortet wurde "Das ist kein Problem, erzählen Sie" in seiner freien Erzählung nicht vor. Er berichtete über den Tod des Großvaters und eines Cousins. Einen bereits verstorbenen Onkel anbelangend erwähnte er auf die Frage nach Verwandten in Afghanistan nur "Onkel väterlicherseits habe ich, er wurde getötet. Ich habe noch zwei Onkel väterlicherseits, die wurden schon damals getötet", ohne konkret zu werden. Auf die Frage der Richterin "Haben Sie heute alles, wirklich alles, vorgebracht was Fluchtgründe für Sie persönlich waren?" antwortete der BF "Das habe ich schon gesagt, ja", ohne den Tod des Onkels zu erwähnen oder sonst näher zu ihn persönlich betreffende Fluchtgründe auszuführen.

 

Im Zusammenhang mit dem Tod des Großvaters brachte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, er habe iZm dem Tod des Großvaters Beweismaterial bereits vorgelegt, er habe schon alles vorgelegt. Als dem BF in der Verhandlung die Unterlagen vom 24.10.2017 vorgelegt wurden (welche jene aus der Email an das BFA vom 15.12.2016 waren), gab er an: "Nein, das sind nicht die, die ich meine. Die ich meine, befinden sich in meiner Unterkunft. Vor drei Tagen habe ich sie bekommen, wo ich ursprünglich gelebt habe." Daher wurde ihm zum Zwecke der Vorlage dieser Unterlagen eine Frist von 14 Tagen eingeräumt und wurden daraufhin die Emails vom 7.11.2017 und 28.11.2017 übermittelt.

 

Zunächst ist zu sagen, dass der BF mit dem Vorbringen, dass jene Unterlagen, welche er meine, er erst drei Tage vor der Verhandlung erhalten habe, den Eindruck vermittelte, gänzlich neue Unterlagen als Beweismittel in das Verfahren einbringen zu wollen. Die in der Verhandlung eingeräumte 14-tägige Frist zu Übermittlung dieser Unterlagen wurde vom Rechtsberater genutzt und übermittelte dieser dem Gericht die E-Mail vom 10.11.2017, worin mitgeteilt wurde, dass Sozialarbeiter des Quartiers des BF dem Rechtsberater Unterlagen "in digitaler Form und mäßiger Qualität" Übermittelt hätten und keine Klarheit darüber herrsche, ob diese Unterlagen nur in digitaler Form existieren oder der BF auch über die Originale verfüge.

 

Mit E-Mail vom 28.11.2017 bzw. Telefax vom 29.11.2017 unterrichtete der Rechtsberater das Gericht über eine stattgefundene Besprechung zwischen ihm und dem in der JA Josefstadt inhaftierten BF. Es wurden damit "weitere Beweismittel" in Vorlage gebracht und mutmaßt der Rechtsberater darin, dass die beigefügten Beweismittel "im Original vorliegen dürften". Einen Namen des angeblichen Freundes, welcher im Besitz der Originalurkunden sein soll, nannte der Rechtsberater nicht und berichtete er, dass eine mit diesem vereinbarte Übergabe nicht zustande gekommen sei. Ein Teil (Konvolut B) der beigefügten Unterlagen liege allerdings dem BF bislang nur in digitaler Form vor und würde der BF davon ausgehen, dass sein Bruder die Originalunterlagen nicht an eine andere Person als den BF selbst übermitteln würde. Hierzu ist unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG zu sagen, dass einem in der Untersuchungshaft Befindlichen der Briefverkehr erlaubt ist und es dem BF gemäß § 188 Abs 2 StPO unbenommen gewesen wäre, sowohl den namentlich nicht genannten Freund als auch den BruderXXXXim Iran schriftlich aufzufordern, dem Rechtsberater die Originalunterlagen zu übergeben bzw postalisch zu übermitteln, sodass dieser Originalunterlagen dem Gericht vorlegen hätte können.

 

Aus den im November 2017 dem Bundesverwaltungsgericht übermittelten Schriftsätzen des Rechtsberaters geht auch kein die Fluchtgründe des BF konkretisierendes Vorbringen hervor, sondern bloß eine Mutmaßung, dass aus den übermittelten Beweismitteln des Konvoluts B die Feindschaft seiner Familie hervorgehen "dürfte" mit dem Hinweis:

"sein Onkel trägt den Namen XXXX; sein Großvater: XXXX (Sohn des XXXX); sein Vater: XXXX"). Ohne das Dokument näher zu bezeichnen wird im Schriftsatz vom 28.11.2017 bloß im Konjunktiv vorgebracht:

"Eines der Dokumente dürfte noch vor der Ermordung seines Onkels ausgestellt worden sein" und wird darauffolgend die Anberaumung einer weiteren Verhandlung ersucht. Die übermittelten Unterlagen den von einer derart schlechten Qualität, dass eine Übersetzung nicht möglich ist bzw. sind Teile dieser Unterlagen eine schwarze Fläche auf weißem DIN-A4-Untergrund.

 

Im Beschwerdeschriftsatz wurde vorgebracht, dass der BF Unterlagen erst nach der Entscheidung der belangten Behörde erhalten habe und diese dem Verwaltungsgericht "jederzeit im Original" [Hervorhebung in der Beschwerdeschrift] vorgelegt werden könnten. Bis zum 31.3.2018 übermittelte der BF keines der von ihm bisher bloß in sehr schlechter bzw nicht lesbarer Kopie übergebenen Dokumente im Original.

 

Zu den im November 2011 (sowohl per E-Mail vom 28.11.2017, 17.52 Uhr als auch per Faxmitteilung vom 28.11.2017, 18.03 Uhr) übermittelten Unterlagen - welche der Rechtsberater als "weitere Beweismittel zu seinem Fluchtvorbringen" (Seite 2 von 3) bezeichnet - ist festzuhalten, dass es sich dabei überwiegend um solche handelt, welche bereits im vorgelegten Fremdakt der belangten Behörde einliegen und somit es sich nicht um "weitere" Beweismittel handelt, sondern solche, welche bereits der belangten Behörde bekannt gegeben wurden. Sowohl die per E-Mail als auch die per Faxmitteilung übermittelten Versionen der vorgelegten Dokumente sind nicht lesbar.

 

Die Kopie eines Dokuments auf Seite 007/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 73 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 008/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 75 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 009/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 77 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 010/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 79 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Lichtbilds (Bub unbekannten Alters mit hellem Hemd und dunklem Sakko) auf Seite 011/024 der Faxmitteilung wurde erstmals vorgelegt. Die Kopie eines Lichtbilds (Bub mit kariertem Tuch bedeckt mit geschlossenen Augen liegend, unbekannten Alters) auf Seite 012/024 der Faxmitteilung wurde erstmals vorgelegt. Die Kopie eines Lichtbilds (Bub mit Verband über Kinn / Mund und Schädeldecke mit halbgeschlossenen Augen liegend) auf Seite 013/024 entspricht der Kopie eines Lichtbilds auf Aktenseite 91 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 014/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 83 des Fremdaktes des BFA (Lichtbildausweis XXXX, ausgestellt vom deutschen LRA Breisgau/Hochschwarzwald). Die Kopie eines Dokuments auf Seite 015/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 85 des Fremdaktes des BFA (Lichtbildausweis XXXX, ausgestellt vom deutschen LRA Breisgau/Hochschwarzwald). Die Kopie eines Dokuments auf Seite 016/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 81 des Fremdaktes des BFA (Bescheinigung über die Weiterleitung eines Asylsuchenden (je mit Lichtbild von XXXX und XXXX ausgestellt von der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, Deutschland. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 017/024 der Faxmitteilung entspricht der Kopie eines Dokuments auf Aktenseite 71 des Fremdaktes des BFA. Die Kopie eines Dokuments auf Seite 018/024 der Faxmitteilung wurde erstmals vorgelegt und ist nicht lesbar.

 

Diese oben genannten im November 2011 (sowohl per E-Mail vom 28.11.2017, 17.52 Uhr als auch per Faxmitteilung vom 28.11.2017, 18.03 Uhr) übermittelten Unterlagen wurde - wie dem BF in der Verhandlung am 24.10.2017 aufgetragen - übermittelt und handelte es sich überwiegend um solche, welche bereits in dem Fremdakt der belangten Behörde einliegend waren und von welchen seitens des BF im Wege seines Rechtsberaters in den Raum gestellt wurde, dass diese im Original bei einem dem Gericht namentlich unbekannten Freund des BF und bei seinem Bruder im Iran befindlich seien. Somit wurde suggeriert, dass die vorgelegten Kopien von Originalen stammen, welche beigeschafft werden könnten.

 

Unter Hinweis auf VwGH 15.3.2016, Ra 2015/01/0069, ist festzuhalten, dass das Asylverfahren nur beschränkte Möglichkeiten bietet um Sachverhalte, welche sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (Hinweis VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 und 0101). Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Der BF wurde von der Richterin sowohl zu Beginn der Verhandlung vor der Befragung als auch iZm mit dem Auftrag der Unterlagenvorlage auf seine Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG hingewiesen. Die beigebrachten Beweismittel sind wegen Unleserlichkeit unverwertbar, sodass dem BF lediglich seine Aussage bleibt, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Laut Judikatur haben auch die Parteien - trotz des Grundsatzes der Amtswegigkeit im Ermittlungsverfahren - an der Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts mitzuwirken. Aufgrund der Offizialmaxime ist der Sachverhalt durch die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht zu erheben, soweit der Behörde bzw. dem Gericht dies möglich ist (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 321).

 

Die mit Schriftsatz vom 3.5.2018 nachgereichten Unterlagen wurden schriftlich übersetzt und handelt es sich dabei um iranische Schulnachrichten / Zeugnisse, nicht jedoch um Unterlagen, welche das Fluchtvorbringen des BF erläutern und / oder stützen würden.

 

Die Feststellung, dass der BF nicht einer asylrechtlich relevanten Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war bzw ihm eine solche Verfolgung im Falle der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, gründet auf Folgendem: Eine asylrelevante Verfolgung des afghanischen BF in Afghanistan ist im Fall des BF nach Würdigung seiner Vorbringen in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nach Würdigung seiner Angaben und der vorgelegten Dokumente nicht gegeben. Die Feststellung, dass das vom BF dargelegte Verfolgungsvorbringen betreffend eine Gefahr einer Verfolgung bzw. Bedrohung durch Feinde seiner Familie aus eine Feindschaft seines Vaters und / oder einer Feindschaft seines Großvaters nicht festgestellt werden kann, ist darin begründet, dass der BF zum Einen seine Glaubwürdigkeit erschütterte und zum Anderen Details zu seinem Fluchtvorbringen aussparte und bei der Erzählung an der Oberfläche blieb und nicht in die Tiefe ging, trotzdem ihm gesagt wurde, er solle in Ruhe in freier Erzählung all seine Fluchtgründe mitteilen und nichts weglassen und obwohl ihm auf seine Anmerkung "Ich brauche ca 10 Minuten um zu reden" hin gesagt wurde, dass es kein Problem sei, er solle erzählen. Auch nachdem ihm die Frage "haben Sie heute alles, wirklich alles, vorgebracht, was Fluchtgründe für Sie persönlich waren?" gestellt wurde und ihm damit eine weitere Gelegenheit für nähere Ausformulierungen von seine die Flucht veranlassenden Punkten gegeben wurde, wurde der BF nicht konkreter. Er antwortete mit "Das habe ich schon gesagt, ja". Zu seiner Vermutung iZm einer parteipolitischen Tätigkeit seines Vaters bei Jammiat in Afghanistan ("Aber ich möchte nochmals wiederholen, dass ich es nicht genau weiß, sondern nur glaube.") ist festzuhalten, dass er selbst hier nur eine Vermutung anstellt und aus seiner im § 15 AsylG 2005 normierten Mitwirkungspflicht heraus nicht näher dazu ausführt. Es ist zu beachten, dass der BF Schulzeugnisse über mehrere im Iran besuchte Schuljahre vorlegte - unter anderem auch einen Voruniversitätslehrgang betreffend - und von einem solcherart gebildeten jungen Menschen zu erwarten ist, dass er seine nach Deutschland geflüchteten Eltern näher befragt, um Kenntnis über die die Flucht auslösenden näheren Umstände - bei Wahrunterstellung - zu erhalten.

 

Zu seinem Vorbringen "Aber genau weiß ich nicht, wer die Feinde sind" ist in Zusammenschau damit, dass es in Afghanistan keine Meldepflicht gibt, zu sagen, dass - bei Wahrunterstellung - etwaigen Feinden es unmöglich wäre, den Aufenthalt des BF in Afghanistan zu eruieren.

 

Die Feststellung, dass der BF in Afghanistan niemals von irgendeinem Menschen persönlich verfolgt oder bedroht worden wäre, gründet auf seiner Angabe in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen, dass der BF in Afghanistan nie inhaftiert oder von der Polizei gesucht wurde und auch keine Probleme mit Gerichten und Behörden hatte, fußt auf seinen Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung, dass der BF im Herkunftsstaat wegen der Religionszugehörigkeit und / oder Volkgsgruppenzugehörigkeit nicht bedroht oder verfolgt wurde, basiert ebenso auf seinen Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Die Feststellung, dass der BF in Afghanistan Verwandte hat, basiert auf dem Beschwerdeschriftsatz (Seite 2 von 8). Der BF selbst nannte auf die Frage nach Verwandten in Afghanistan keine lebenden Verwandten, sondern nannte in der mündlichen Verhandlung bloß seine nicht mehr am Leben befindlichen Onkeln väterlicherseits und deren nicht mehr am Leben befindlichen Kinder.

 

Die Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass die auf den vorgelegten Lichtbild-Kopien befindliche junge männliche Person ein durch Fremdverschulden ums Leben gekommener Cousin des BF ist, war in Ermangelung von näheren Angaben zu diesen Lichtbildern und mangels die Identität der abgebildeten Person betreffenden Angaben zu treffen.

 

2.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ist zu sagen:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan fußen auf den Angaben im oben unter II.2. wiedergegebenen Länderbericht und dem oben unter II. wiedergegebenen Auszug aus einer Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016.

 

Zur Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

 

Die unter II.1.2. getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat fußen auf den Länderfeststellungen, welche sich aus dem Länderbericht der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergeben. Dieser Länderbericht wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Ein Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation ist ein COI-Dokument, das beruhend auf den Bedürfnissen in Verfahren des Asyl- und Fremdenwesens (RD, EASt, ASt, BVwG) mittels Recherche von vorhandenen, vertrauenswürdigen und vorrangig öffentlichen Informationen gemäß den Standards der Staatendokumentation erstellt wird.

 

Gegenständlich wird somit der Länderbericht in der aktuellen Fassung als Primat herangezogen, da laut Judikatur des VwGH immer die aktuellsten Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung heranzuziehen sind (VwGH 6.6.2000, 99/01/02109). Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen im Länderbericht und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen im Länderbericht besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der Islamischen Republik Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Gericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums die Beurteilung des gegenwärtigen Situationsfalls relevant nicht wesentlich geändert haben.

 

Überdies fußen die unter II.1.2. dargelegten Feststellungen auf den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016.

 

Gegenständlich werden somit die unter II.1.2. genannten Erkenntnisquellen der Staatendokumentation, des UNHCR als Primat herangezogen.

 

Die unter II.1.3. getroffenen Feststellungen zu den Folgen einer Wiederansiedlung des Beschwerdeführers in seiner Herkunftsprovinz Kunduz bzw zu den Folgen einer Ansiedelung in den innerstaatlichen Fluchtalternativen Mazar-e Sharif oder Herat ergeben sich aus dem Länderbericht vom 29.6.2018 idF 22.8.2018 sowie dem sich aus seinen Angaben ergebenden persönlichen und familiären Hintergrund des Beschwerdeführers.

 

Gemäß der höchstgerichtlichen Judikatur sind einer Entscheidung stets die im Zeitpunkt der Entscheidung aktuellen Erkenntnisquellen zu Grunde zu legen und wird der Länderbericht in der aktuellen Fassung herangezogen.

 

Das vom Beschwerdeführer Vorgetragene ist nicht geeignet, davon zu überzeugen, dass festgestellt werden könnte, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr durch Dritte und / oder die Regierung bedroht wäre.

 

Es wurde von dem geschiedenen, im erwerbsfähigen Alter befindlichen männlichen Beschwerdeführer ohne Sorgepflichten im bisherigen Verfahren nicht vorgebracht, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beeinträchtigt wäre. Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und damit grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen, um nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Nicht zu verkennen ist dabei, dass Afghanistan laut aktuellem Länderbericht eine hohe Analphabetismusrate aufweist, jedoch der BF hingegen auf eine mehrjährige im Iran erworbene Schulbildung und Arbeitserfahrung hinweisen kann, sodass ihm auch dieser Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan behilflich sein kann.

 

Zu der Thematik, ob der BF bei Rückkehr auf ein Netzwerk zurückgreifen wird können, ist auszuführen, wie folgt: UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

 

Im gegenständlichen Einzelfall ist festzustellen, dass der 28jährige Beschwerdeführer erst seit Oktober 2015 in Österreich aufhaltig ist, sich zum muslimischen Glauben bekennt (Angabe vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Frage: Beten Sie, sind Sie ein gläubiger Moslem?: "Ja, jetzt auch, ich bete. Seit ich in Haft bin, bete ich. Vorher nur im Fastenmonat, aber jetzt in Haft schon"). und der in Afghanistan von der Verfassung anerkannten Dari und Farsi mächtig ist und seine Lebenszeit von Geburt an bis zur Ausreise nach Europa im Iran, somit in einem - wie sein Herkunftsstaat Islamische Republik Afghanistan - von islamischen Werten geprägten Land, wo er auch eine Schulbildung und Arbeitserfahrung erwarb, verbrachte. Der seit Oktober 2015 in Österreich befindliche erwachsene BF verbrachte weniger als drei Jahre seines Lebens in einem westlichen Land, jedoch fast 25 Jahre seines Lebens in einem islamischen Land. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan bei der Wiederansiedelung allenfalls durch die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan oder durch die Rückkehrprogramme der afghanischen Regierung aufgrund seiner Sprachkenntnisse, aufgrund seiner (in Afghanistan aufgrund der hohen Analphabetenrate nicht von jedermann erreichten) Schulbildung und aufgrund seiner Arbeitserfahrung Fuß fassen wird können, denn mit der Schulbildung und der Arbeitserfahrung hat er Qualifikationen erworben, welche ihm in Afghanistan bei der Suche einer Arbeitsstelle behilflich sein werden. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren, sodass auch der BF in der Fluchtalternative Mazar-e Sharif davon profitieren könnte.

 

Der Beschwerdeführer ist ein alleinstehender leistungsfähiger lediger Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf. Sohin bildet er laut UNHCR eine Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung: als solcher kann er unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, welche die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig. Zu der Anforderung der externen Unterstützung des gegenständlichen Beschwerdeführers ist zu sagen, dass der erwerbsfähige BF infolge Scheidung alleinstehend, gesund und ohne Sorgepflichten ist.

Überdies gehört er der Volksgruppe der Tadschiken an: auch wenn er nicht auf ein in Afghanistan ansässiges Familiennetzwerk zurückgreifen kann, so ist zu sagen, dass laut aktuellem Länderbericht neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft noch weitere, wichtige Netzwerke für die Rückkehrer zum Tragen kommen, etwa solche auf Basis der Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion. Die Volksgruppe des Beschwerdeführers (Tadschiken) macht laut aktuellem Länderbericht etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Auch der UNHCR erwähnt für die innerstaatliche Fluchtalternative die "Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet".

 

Sohin kann davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken in den innerstaatlichen Fluchtalternativen Herat und Mazar-e Sharif ein Netzwerk bilden wird, welches ihn bei der Wiederansiedelung Unterstützung leisten kann, da dort laut Länderbericht jeweils Angehörige seiner Volksgruppe niedergelassen sind. Überdies verfügt der BF über den Bruder XXXXim Iran, zu welchem er laut seinen Angaben in der Verhandlung Kontakt hält und dessen finanzielle Lage er mit "man kann es gut nennen" bezeichnete. Afghanistan verfügt über ein Bankenwesen, sodass der Bruder XXXX aus dem Iran heraus und allenfalls die Eltern und Geschwister von Deutschland aus finanzielle Unterstützung leisten können.

 

Das Gericht verkennt nicht, dass Afghanistan laut Länderbericht trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade, eines der ärmsten Länder der Welt ist. Die ständige Judikatur des VwGH erachtet in einer allgemeinen desolaten wirtschaftlichen und sozialen Situation keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081) und aus der Perspektive dieser Judikatur ist das Gericht trotz der geschilderten schwierigen Bedingungen davon überzeugt, dass der BF aufgrund oben Dargetanem nicht alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten wird.

 

Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen im Länderbericht und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen im Länderbericht bestehen für das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in diesem Bericht. Aufgrund der Lage in der Herkunftsprovinz des BF (Kabul), welche obenstehend bereits beschrieben wurde, kommen für ihn als innerstaatliche Fluchtalternativen Mazar-e Sharif und Herat in Frage, welche jeweils über einen internationalen Flughafen verfügen und von Österreich aus über den Luftweg sicher erreichbar sind.

 

Rechtliche Beurteilung:

 

Gegenständlich sind das VwGVG und gemäß § 17 VwGVG die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005, samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht [ ].

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Ad Spruchpunkt A):

 

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde langte am 21.3.2017 beim BVwG ein. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung der nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG nunmehr zuständigen Einzelrichterin.

 

Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde. So wurde dem BF insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme vor dem BFA - jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt und wurden in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage schlüssig, klar und übersichtlich zusammengefasst.

 

Die gegenständliche Entscheidung fußt auf dem Länderbericht vom 29.6.2018 in der aktuellen Fassung 11.9.2018.

 

Zum Beschwerdevorbringen:

 

Das Vorbringen in der Beschwerde und die Ausführungen des BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht waren nicht geeignet, das bisherige Vorbringen des BF zum Zweck der Erlangung eines internationalen Schutzes zu unterstützen.

 

Ad Spruchpunkt I. -

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheids:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Gemäß § 3 Abs 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag betreffend Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative

 

(§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund iSd § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Ebenso liegen die Voraussetzungen bei Staatenlosen, die sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 21.9.2000, 2000/20/0286).

 

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, welche sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt.

 

Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).

 

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 6.10.1999, 99/01/0279; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 ua). Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um im obigen Sinne eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Eine allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zum Dartun von selbst Erlebtem nicht genügen.

 

Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 5.11.1992, 92/01/0792; 9.3.1999, 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Art. 1 Abschnitt A Z 2) haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die beststehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 16.6.1994, 94/19/0183).

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; VwGH 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; VwGH 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318;

 

VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates - kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 1.6.1994, 94/18/0263; 1.2.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - in diesem Fall wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2002, 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 8.9.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.1.1999, 98/20/0399; 3.5.2000, 99/01/0359).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist: Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Eine aktuelle und konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung aus Konventionsgründen vermochte der BF mit seinem Vorbringen zu Afghanistan - siehe oben - nicht darzutun. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.

 

Es ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF aufgrund generalisierender Merkmale, etwa als Zugehöriger zu seiner Religionsgemeinschaft oder zu seiner Volksgruppe, aktuell alleine deswegen in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre, zumal er während des gesamten Verfahrens keine diesbezüglichen konkreten persönlichen Probleme dargetan hat und solche auf konkretes Nachfragen verneinte. Er verneinte eine bisher stattgefundene Verfolgung wegen der Religions- und / oder Volksgruppenzugehörigkeit. Er sei nie von einer Person jemals verfolgt und / oder bedroht worden. Er sei nie von der Polizei gesucht und / oder inhaftiert worden, habe nie Probleme gehabt mit Gerichten und / oder Behörden. Für den Fall der Rückkehr gab er an, der liebe Gott wisse, dass er noch nie in Afghanistan gewesen sei, er habe dort niemanden.

 

Eine Verfolgung aus Gründen der Rasse oder politischen Gesinnung wurde von ihm bei der Einvernahme vor dem BFA auf die Frage, ob er alle Fluchtgründe genannt hatte, wie auch vor dem Bundesverwaltungsgericht auf Befragen, ob er alles zu seinen Fluchtgründen angegeben habe, auch nicht genannt.

 

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den BF eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten:

 

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.5.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529; 8.9.1999, 98/01/0614).

 

Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist. Der BF verfügt über eine Schulbildung, welche er in der Islamischen Republik Iran erworben hat und über Arbeitserfahrung auf der Baustelle, sodass er auf der Suche nach einer Tätigkeit, welche ihm ein solches Einkommen verschafft, dass er über eine Existenzgrundlage verfügt, einen Wettbewerbsvorteil hat gegenüber solchen Arbeitsuchenden, welche der hohen Analphabetenrate Afghanistans angehören.

 

Der 28jährige BF hält sich erst seit Oktober 2015 in Österreich auf und hat den überwiegenden Teil des Lebens in einem mit islamischen Werten geprägten Land (Iran) zugebracht. Dort wurde er sozialisiert, gebildet. Er spricht mit Dari und Farsi in der Islamischen Republik Afghanistan verbreitete Sprachen. Der BF selbst berichtete in der Verhandlung auf die Frage "Beten Sie, sind Sie ein gläubiger Moslem?", seit er in Haft sei zu beten. Der BF ist muslimischen Glaubens und damit ein Angehöriger des in Afghanistan als Staatsreligion geltenden Islams. Auch wenn er vorbringt, andere Afghanen würden ihn in der Flüchtlingsunterkunft als "falschen Iraner" bezeichnen und auch wenn in der Beschwerde mit dem Vorbringen er trinke Alkohol und besuche nicht die Moschee und lebe daher einen "westlichen Lebensstil", so ist zu sagen, dass er aufgrund dessen, dass er sich zuletzt in Europa und zuvor im Iran aufgehalten hat in Zusammenschau damit, dass nicht jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist, im Herkunftsstaat nicht von psychischer und/oder physischer Gewalt bedroht sein. Somit ist der BF nicht - wie in der Beschwerde vorgebracht - als zur Sozialen Gruppe jener, die einen westlichen Lebensstil angenommen haben - angehörig anzusehen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß

 

§ 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

Ad Spruchpunkt A) -

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist laut stRspr des VwGH im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls konkret und nachvollziehbar festzustellen, ob dem BF im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk einer gegen Art 3 ERMK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, welche dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die persönliche Situation des Beschwerdeführers (Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit und Arbeitserfahrung, Schulbildung, im Herkunftsstaat ausgeübte Tätigkeiten, Vorhandensein familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, allgemeine Sicherheitslage und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat sowie Erreichbarkeit des Herkunftsstaats bzw. Herkunftsort) ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0323 mHa VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039 mwN).

 

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; VwGH 25.1.2001, 2000/20/0438; VwGH 30.5.2001, 97/21/0560).

 

§ 8 AsylG beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs 1 AsylG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; VwGH 8.6.2000, 99/20/0203; VwGH 17.9.2008, 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs 1 AsylG die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen

 

(vgl. VwGH 08.6.2000, 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.2.2001, 98/21/0427;

 

VwGH 20.6.2002, 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse

 

(zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 2. 5.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich;

vgl. VwGH 21. 8.2001, 2000/01/0443; VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453;

VwGH 9.7.2002, 2001/01/0164;

 

VwGH 16.7.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.9.2004, 2001/21/0137).

 

Das BVwG hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat

 

Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Der VwGH hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Asylwerber das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; VwGH 17.7.1997, 97/18/0336). Diese Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann

 

(VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG nicht gegeben sind:

 

Dass der BF im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

 

Selbst wenn im Herkunftsstaat die Todesstrafe als gesetzliche Strafsanktion für besonders schwere Straftaten vorgesehen ist, so hat sich auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens kein reales Risiko ergeben, dass der BF im Herkunftsstaat einer dem 6. ZP zur EMRK bzw. dem 13. ZP zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen werden würde. Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

 

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers ist die Provinz Kabul. Unter Bezugnahme auf den unter II.1.2. enthaltenen Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des internen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.8.2018, wonach UNHCR zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul-Stadt ausführt, dass in Anbetracht der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation in Kabul eine innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt überhaupt nicht verfügbar ist, scheidet Kabul-Stadt als innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

 

Dem BF ist als innerstaatliche Fluchtalternative Mazar-e Sharif oder Herat möglich. Diese diese Orte kann der BF von Österreich aus gefahrlos auf dem Luftweg erreichen: Herat über den internationalen Flughafen Herat, Mazar-e Sharif über den Flughafen Mazar-e Sharif.

 

Herat ist trotz militärischer Operationen und Angriffen von Regierungsfeinden eine relativ entwickelte und relativ friedliche Provinz im Westen des Landes, wo unter anderem Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden und wo auch Angehörige der Volksgruppe des BF leben. Herat zählt laut aktuellem Länderbericht zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein.

 

Laut aktuellem Länderbericht ist Mazar-e Sharif, Hauptstadt der Provinz Balkh, ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Provinz Balkh ist laut aktuellem Länderbericht idF 22.8.2018 nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten Aufständischer zu verzeichnen.

 

Der BF verfügt über eine im Iran erworbene Schulausbildung und Arbeitserfahrung. Er selbst bezeichnete sich in der Verhandlung als "beruflich flexibel." Er ist ein arbeitsfähiger gesunder junger Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Wie oben dargestellt kann davon ausgegangen werden, dass der BF durch seine Berufserfahrung und durch Unterstützung seines Bruders aus dem Iran heraus und durch Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Eltern und Geschwister sowie durch Unterstützung vor Ort durch seine Volksgruppenangehörigen und / oder durch Programme für Rückkehrer Fuß fassen wird.

 

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des BF und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen der Staatendokumentation und des UNHCR (siehe oben) keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.2.2001, 98/21/0427; VwGH 20.6.2002, 2002/18/0028; vgl. dazu auch Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.6.2010, BVerwG 10 C 10.09).

 

Wie der EGMR in seinem Urteil vom 20.7.2010,

 

N. vs. Schweden, 23505/09, Rz 52, ausgeführt hat, stellt sich die Lage in Afghanistan trotz der verfügbaren Berichte über ernste Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nicht so dar, dass gleichsam jede Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, sondern es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem BF unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, nach einem - wenn auch anfangs nur vorläufigen - Wohnraum zu suchen und sich etwa mit seiner bisherigen Berufserfahrung ein für seinen Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften und / oder mit Hilfe eines sozialen Netzwerks aus Volkgsruppenangehörigen und / oder der Programme für Rückkehrer vor Ort eine Arbeitsstelle zu finden. Es besteht die Möglichkeit, sich an in der Hauptstadt Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt wird, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden können. Jedoch besteht die Möglichkeit, eine Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, um zumindest für die Zeit gleich nach der Rückkehr eine Unterstützung zu haben.

 

Im Hinblick auf die Schulbildung des BF in Zusammenschau mit der Annahme des UNHCR, dass zumindest alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können (UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9), ist ferner davon auszugehen, dass es dem BF möglich sein wird, seinen Lebensunterhalt allenfalls mit Hilfstätigkeiten zu bestreiten und so sein Fortkommen zu sichern.

 

Auf Grund der eben dargelegten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat erübrigt sich eine weitere Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §§ 8 Abs 3a AsylG oder § 9 Abs 2 leg.cit. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in Rechten nach Art 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden. Weder droht dem BF im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides gemäß

 

§ 8 Abs 1 Z 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

Ad Spruchpunkt A) -

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung):

 

Das Verfahren wird bezüglich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides nach

 

§ 10 AsylG geführt.

 

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG in der geltenden Fassung ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn

 

1. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Abs 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht;

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel;

 

oder

 

3. der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der BF befindet sich erst seit Oktober 2015 im Bundesgebiet, und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs 1 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

§ 9 Abs 2 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

§ 9 Abs 3 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. VfGH und VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Der BF bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich mit der staatlichen Grundversorgung und besuchte Kurse zur Erlangung der Schulbildung. Er verfügt über keine Prüfungsbestätigung hinsichtlich Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer weist eine strafrechtliche Verurteilung im Strafregister der Republik Österreich auf.

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 8.4.2008 (Nr 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; selbst dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und bereits zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Der erwachsene BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in einem islamischen Land verbracht und wurde dort sozialisiert. Er hält sich erst seit Oktober 2015 in Österreich auf, sodass die Dauer des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet als relativ kurz zu bezeichnen ist. Sie wird dadurch weiter dadurch relativiert, dass sein Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu einem in Österreich aufhaltigen Familienmitglied oder zu einer anderen Person nicht vorgebracht. Er brachte vor in Österreich afghanische Freunde und einen österreichischen Freund namensXXXX - dessen Nachname er nicht kenne und welchen er nur von Facebook kenne - zu haben. In der Haft habe ihn ein Freund namens XXXX einmal besucht und dieser habe einen positiven Asylbescheid und dem BF 50 Euro geliehen.

 

In Anbetracht der dargelegten Umstände ist zusammenfassend jedoch davon auszugehen, dass im Falle des BF ein nur geringer Grad an Integration erreicht worden ist. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben. Der BF beherrscht zwei Sprachen des Herkunftsstaates als Muttersprache, bekennt sich zur Staatsreligion Afghanistans und verbrachte den überwiegenden Teil seines Lebens in einem von islamischen Werten geprägten Land.

 

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und seine Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung - welchem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt - in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Der BF ist nach dem Ergebnis des Verfahrens ein junger, infolge Scheidung wieder lediger, erwerbsfähiger Mann. Laut eigener Angabe ist er gesund und sind seine Gesundheit betreffend keine Belege vorgelegt worden, welche dies in Abrede stellen würden. Es liegt aufgrund seiner Lebenssituation im Falle seiner Verbringung in seinen Herkunftsstaat mangels außerordentlicher Integration keine Verletzung des Art 8 EMRK vor.

 

Gemäß § 46 Abs 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint;

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind;

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen;

 

oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr 6 oder das Protokoll Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

Nach § 50 Abs 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs 2 FPG ab Rechtskraft des Bescheides 14 Tage, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist im Spruchpunkt IV zu Recht eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt worden.

 

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen war dem BF nicht zu erteilen. Im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung aus den in § 57 AsylG angeführten Gründen hätten schließen lassen. Ferner sind auch keine Umstände bekannt, welchen zufolge gegenständlich von einem Anwendungsfall des

 

§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG gesprochen werden könnte.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß

 

§§ 10 Abs. 1 Z 3, und 57 AsylG sowie §§ 52 und 55 FPG, in der jeweils geltenden Fassung, als unbegründet abzuweisen.

 

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen vor. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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