BVwG W226 2282877-1

BVwGW226 2282877-124.6.2024

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W226.2282877.1.00

 

Spruch:

 

W226 2282877-1/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Gambia, vertreten durch die BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2023, Zl. 1296185604-220423655, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 28.05.2024 zu Recht:

 

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird insofern stattgegeben und ausgesprochen, dass die Rückkehrentscheidung vorübergehend unzulässig ist.

III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: „BF“), ein Staatsangehöriger von Gambia, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.03.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der am 07.03.2022 erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF zu seinem Fluchtgrund befragt Folgendes an:

 

„Ich habe Gambia verlassen, weil ich Bi-Sexuell bin. Ich wurde dabei erwischt, wie ich Sex mit einem Mann hatte. Ich wurde daraufhin zusammengeschlagen und man drohte mich zu töten. Aus Angst um mein Leben, bin ich aus Gambia im Jahr 2019 geflüchtet. Dies sind all meine Fluchtgründe die ich genannt habe, andre Gründe hab ich nicht.“

 

Bei einer Rückkehr befürchte der BF getötet zu werden.

 

I.2. Am 10.10.2023 erfolgte eine Einvernahme des BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“). Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass seine Eltern verstorben seien. Im Herkunftsland seien noch drei Geschwister des BF aufhältig. Ein weiterer Bruder sei in XXXX wohnhaft. In Österreich verfüge der BF über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Gattin und seiner beiden Kinder. Der BF stehe etwa einmal pro Woche in Kontakt mit seinen Angehörigen im Herkunftsland.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass seine Probleme damit begonnen hätten, dass seine Familie ihn mit seiner Cousine zwangsverheiraten hätte wollen. Der BF sei auch mit ihr traditionell verheiratet worden und habe mit ihr zusammengelebt. Die Cousine des BF sei aber mit dem Lebensstil des BF und seinen sexuellen Vorlieben nicht zurechtgekommen, weshalb sie sich für eine Trennung entschieden hätten. Die Familien des BF und seiner Cousine seien aber gegen eine Trennung gewesen. Der BF habe einen homosexuellen Freund gehabt, der ihn oft zuhause besucht habe. Dabei sei es aber nicht zu sexuellen Kontakten gekommen. Das Umfeld des BF habe fälschlicherweise angenommen, dass der BF mit ihm eine homosexuelle Beziehung führe. Der BF sei mit diesem Freund auch auf eine Homosexuellen-Party gegangen. Dort seien sie von der Polizei festgenommen und für drei Tage verhaftet worden. Nach der Haftentlassung sei der BF von seiner Community zusammengeschlagen worden, weil alle dachten, er sei homosexuell. Der BF hielt fest, tatsächlich nicht homosexuell, sondern heterosexuell zu sein.

Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat würde der BF von seiner Familie bedroht und getötet werden.

 

I.3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 17.11.2023 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 06.03.2022 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Gambia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgesellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise in der Dauer von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

 

Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF durch seine Ehe mit einer Frau und seinen beiden Kindern möglich sei, seine wahre sexuelle Orientierung zu beweisen. Eine tatsächliche Verfolgung aufgrund einer vermeintlichen bzw. unterstellten sexuellen Orientierung könne daher nicht festgestellt werden. Auch sonst seien keine Gründe hervorgekommen, die gegen eine Rückkehr des BF in sein Herkunftsland sprechen würden. Trotz der in Österreich aufhältigen Gattin und Kinder des BF sei es ihm möglich und zumutbar, bis zum Erhalt eines Aufenthaltstitels in sein Herkunftsland zurückzukehren bzw. ein Visum für Besuchszwecke zu beantragen.

 

I.4. Am 11.12.2023 erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte erneut sein Fluchtvorbringen vor. Ergänzend gab der BF an, dass sein Bruder aufgrund der dem BF unterstellten Homosexualität selbst Probleme im Herkunftsland habe. Die örtliche Community und die Familie distanziere sich vom Bruder des BF. Die Behörde habe es unterlassen, sich hinreichend mit den Unterstützungsmöglichkeiten durch die Familie des BF bei einer Rückkehr auseinanderzusetzen. Die wirtschaftliche Lage in Gambia sei prekär, eine medizinische Versorgung existiere kaum. Der BF habe im Herkunftsland kein familiäres Netzwerk, das ihn unterstützen könnte. Auch habe sich die Behörde nicht ausreichend mit dem Privat- und Familienleben des BF befasst.

 

I.5. Am 28.05.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, im Rahmen welcher der BF erneut zu seinen Fluchtgründen, dem Leben im Herkunftsland und in der Ukraine und dem Leben im Bundesgebiet befragt wurde. Auch die Gattin des BF – eine ukrainische Staatsbürgerin - wurde als Zeugin befragt.

 

I.6. Am 29.05.2024 brachte der BF eine Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung ein.

 

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers:

 

Der BF ist Staatsangehöriger Gambias, bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Mandingo an. Seine Identität steht fest.

 

Die Muttersprache des BF ist Mandingo/Malinke/Mandinka, zudem beherrscht er die englische Sprache und weißt Kenntnisse der Sprachen Wolof und Russisch auf.

 

Der BF wurde in XXXX , Gambia, geboren. Im Zeitraum 2008/2009 verließ der BF sein Herkunftsland und reiste in den Senegal. Dort hielt er sich bis zum Jahr 2012 auf und reiste dann weiter in die Ukraine. In der Ukraine lebte der BF bis zu seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.03.2022. Er verließ die Ukraine aufgrund des Ausbruchs des Krieges zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation.

 

Im Herkunftsland besuchte der BF zwölf Jahre lang die Grundschule. Es kann nicht festgestellt werden, welcher Beschäftigung der BF vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland zuletzt nachging. In der Ukraine war der BF im Baubereich tätig.

 

Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Im Herkunftsland sind noch zwei Schwestern und ein Bruder des BF aufhältig. Ein weiterer Bruder lebt aktuell in XXXX . Der BF hat etwa einmal pro Woche Kontakt zu seinen Angehörigen.

 

Der BF hat am XXXX traditionell mit XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörige der Ukraine, die Ehe nach der Scharia in der Ukraine geschlossen. Der BF und seine Gattin haben zwei Kinder, XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX . Die Gattin und die Tochter des BF kamen im Zuge des Ausbruchs des Krieges zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation zu einem späteren Zeitpunkt in das Bundesgebiet, der Sohn wurde in Österreich geboren, die Angehörigen verfügen in Österreich über ein Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenenverordnung.

 

Abgesehen von seiner Gattin – erst in Österreich erfolgte am XXXX die standesamtliche Eheschließung - und seinen Kindern verfügt der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

 

Der BF lebt mit seiner Gattin und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt und ist in die Kinderbetreuung involviert. Er hat ein sehr enges Verhältnis zu den Kindern und seiner Gattin.

 

Der BF absolvierte bereits einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 im Bundesgebiet und besucht aktuell einen Kurs auf dem Niveau A2. Er leistet Freiwilligenarbeit in der Gemeinde, in welcher er aktuell wohnhaft ist. Der BF geht zum Entscheidungszeitpunkt keiner Beschäftigung nach. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

 

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

 

Aktuell ist der BF kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

 

Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist arbeitsfähig.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen:

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

 

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr nach Gambia:

 

Vom Nichtbestehen einer Verfolgungsgefahr abgesehen, können im gegenständlichen Verfahren auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe, der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt wäre oder dass er im Falle einer Rückkehr als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts zu befürchten hätte.

 

Der BF wäre im Falle seiner Rückkehr auch in keine existenzbedrohende Notlage gedrängt. Seine Existenz ist durch eine mögliche Erwerbstätigkeit gesichert; er leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensgefährlichen Erkrankungen, ist im erwerbsfähigem Alter und spricht zudem die Landessprache. Zudem weist der BF familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsland auf.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Gambia vom 21.11.2023:

1. Politische Lage

Gambia ist eine Präsidialrepublik mit starker Stellung des direkt gewählten Staatspräsidenten (ÖB 19.4.2023). Dieser ist gleichzeitig Regierungschef. Die Nationalversammlung umfasst 58 Sitze (53 gewählt, 5 vom Präsidenten ernannt). Die Amtszeit des Präsidenten und die Legislaturperiode der Nationalversammlung betragen jeweils 5 Jahre. Im Dezember 2021 gewann Adama Barrow mit rund 53 % der Stimmen eine zweite Amtszeit in einem Kandidatenfeld von sechs Kandidaten (FH 2023).

Insgesamt gibt es 22 registrierte politische Parteien. Stärkste Oppositionspartei ist die „United Democratic Party“ (UDP) mit Parteichef und mutmaßlichem Präsidentschaftskandidaten Ousainou Darboe, der bei der Wahl mit 28 % den zweiten Platz belegte. Ex-Präsident Jammeh ist im Exil in Äquatorial-Guinea weiterhin Oberhaupt der Partei „Alliance for Patriotic Reorientation and Construction“ (APRC). Barrow trat im Jänner 2022 seine zweite Amtszeit als Präsident an (FH 2023).

Weiterhin wurden die Parlamentswahlen vom April 2022, bei denen Barrows National People's Party (NPP) eine Mehrheit der Sitze gewann, von internationalen Beobachtern als transparent, friedlich und ordnungsgemäß bewertet. Zu den Schwächen dieser Wahlen gehörten die niedrige Wahlbeteiligung und eine gewisse Verwirrung im Vorfeld der Wahl über die Anzahl der Wahlkreise. Die NPP gewann 18 Sitze, die UDP 15. Drei kleinere Parteien und zwölf unabhängige Kandidaten gewannen ebenfalls Sitze (FH 2023).

Die am 10. Dezember 2015 erfolgte Umbenennung Gambias zur „islamischen Republik“ wurde durch Präsident Barrow unmittelbar nach seiner Amtsübernahme rückgängig gemacht (ÖB 19.4.2023). Zur Aufklärung und Aufarbeitung der unter der Regierung Jammeh verübten Menschenrechtsverletzungen wurde unter der Leitung des Ministeriums für Justiz die „Truth, Reconciliation and Reparation Commission“ (TRR) eingerichtet, welche an der Aufklärung der verübten Menschenrechtsverletzungen arbeitet (AA 12.1.2022). Die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission nahm Zeugenaussagen zu Missbräuchen aus der Jammeh-Ära entgegen und gab Empfehlungen ab, wie die mutmaßlichen Täter zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Beobachter hielten Kommission für unabhängig und effizient (USDOS 20.3.2023). Im Mai 2022 erklärte sich die Regierung bereit, die meisten Empfehlungen aus dem Abschlussbericht der TRR-Kommission umzusetzen (AI 28.3.2023). Dazu gehörte auch die strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Yahya Jammeh wegen Menschenrechtsverletzungen während seiner 22-jährigen Amtszeit (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023).

Ende Dezember 2022 verhaftete die Regierung mehrere Militärangehörige sowie eine Zivilperson, und richtete wegen eines fehlgeschlagenen Putschversuches eine Untersuchungskommission ein (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023).2. Sicherheitslage

Es bestehen anhaltende Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit transnationalen Akteuren in Gambia. Dazu gehört der immer noch schwelende Konflikt in der benachbarten Casamance. Erst im November 2020 soll die wichtigste Rebellengruppe, der Casamance (MFDC) Gambia mit einem Angriff gedroht haben, falls das Land die Bemühungen Senegals in der Region unterstützen würde (BS 2022).

Aufgrund der generell schlechten wirtschaftlichen Lage hat die Kriminalität zugenommen. Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl und Handtaschenraub, aber auch gewalttätige Überfälle sind keine Seltenheit (BMEIA 24.7.2023). Aber auch die grenzüberschreitende Kriminalität stellt ein Problem dar. In den letzten Jahren kam es in Gambia zu mehreren erheblichen Drogenbeschlagnahmungen (BS 2022).

Letztlich ist Gambia zwar vom islamistischen Terror verschont geblieben (BS 2022; vgl. BMEIA 24.7.2023, AA 18.9.2023), dies kommt jedoch in der Region vor und die Terrorismusbekämpfung ist Teil des laufenden Reformprogramms für den Sicherheitssektor (BS 2022). Angesichts der unsicheren Lage in anderen Regionen Westafrikas kann aber auch für Gambia ein „Spill-Over“ - Effekt bzw. ein Anschlagspotenzial nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 24.7.2023; vgl. AA 18.9.2023).

So kam es am 12.9.2023 zu einem Attentat auf Polizeibeamte durch zwei UDP-Mitglieder; die Regierung stufte diesen Angriff, bei dem zwei Polizisten getötet und ein weiterer schwer verletzt wurden, als Terroranschlag ein. Der mutmaßliche Hauptverdächtige habe inzwischen gestanden, ein vormaliges Mitglied der senegalesischen Bewegung demokratischer Kräfte in Casamance (MFDC) zu sein (BAMF 25.9.2023). Die Mitglieder griffen die Beamten tödlich an, sodass der Angriff durch die Regierung als Terroranschlag eingestuft wurde (Garda 25.4.2022). Es wird von zunehmenden bewaffneten Raubüberfällen, Banditentum und Morden berichtet (BS 2022). Aufgrund der generell schlechten wirtschaftlichen Lage sind Kleinkriminalität, aber auch gewalttätige Überfälle in Gambia keine Seltenheit mehr. Es finden außerdem häufig Demonstrationen zu verschiedenen lokalen und nationalen politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Themen statt (Garda 25.4.2022). Es gibt Berichte über übermäßige Gewaltanwendung der Polizei gegen Demonstranten (BS 2022). Während die meisten dieser Versammlungen friedlich verlaufen, kam es zwischenzeitlich zu polizeilichem Einsatz durch ungenehmigte Fortsetzung von Protesten (FH 2023). Zwar sind erhebliche Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie zu verzeichnen, doch wächst die Unzufriedenheit über die Unfähigkeit der Regierung, die Sicherheit aufrechtzuerhalten (GOCI 2023).3. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung Gambias sieht eine unabhängige Justiz vor (ÖB 19.4.2023; vgl. USDOS 20.3.2023), und die Regierung respektiert im Allgemeinen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieser (USDOS 20.3.2023). Die Regierung Barrow hat Schritte zur Verbesserung des Justizwesens unternommen, das unter Jammeh durch Korruption und Ineffizienz beeinträchtigt war (FH 2023; vgl. ÖB 19.4.2023). Seit dem Machtwechsel haben die Gerichte eine stärkere Unabhängigkeit bewiesen. Des Weiteren wurde die Judicial Service Commission, welche Empfehlungen über die Bestellung von Richterposten und zur Effizienzsteigerung ausspricht, wieder eingesetzt. Der Rückstau bei Gerichtsverfahren ist trotz Maßnahmen der Regierung in diesem Bereich weiterhin groß und das Justizsystem weiterhin durch Korruption und Ineffizienz beeinträchtigt (AA 12.1.2022; vgl. FH 2023).

Die verfassungsmäßigen Garantien für einen fairen Prozess werden nur schwach umgesetzt (ÖB 19.4.2023; vgl. AA 12.1.2022). Beamte informieren die Angeklagten nicht immer unverzüglich über die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Der Rückstau von Fällen behindert das Recht auf ein rechtzeitiges Verfahren (USDOS 20.3.2023).

Der Oberste Gerichtshof verhandelt Zivil- und Menschenrechtsfälle, einschließlich Berufungen von Gewohnheits- und Scharia-Gerichten (islamische Gerichte). Einzelpersonen können sich bei Menschenrechtsverletzungen auch an das Büro des Ombudsmanns wenden, das solche Fälle untersucht und Abhilfemaßnahmen zur gerichtlichen Prüfung empfiehlt. Ferner können Einzelpersonen und Organisationen gegen ablehnende nationale Entscheidungen bei regionalen Menschenrechtsgremien Berufung einlegen (USDOS 20.3.2023).

Mit dem Legal Aid Act 2008 wurde der Zugang zur Justiz und zur Rechtshilfe für sozial benachteiligte Gruppen erweitert. Wurde bis dahin Rechtshilfe nur in Fällen mit Aussicht auf Todesstrafe bzw. lebenslänglich gewährt, kann nun auch um Rechtshilfe in Straf- oder Zivilrechtsangelegenheiten angesucht werden, sofern der Angeklagte weniger als den „festgesetzten Mindestlohn“ verdient (ÖB 19.4.2023).

Obwohl die Dominanz der Exekutive nach wie vor ein Problem darstellt, hat die Justiz in den letzten Jahren eine gewisse Unabhängigkeit von den anderen Regierungszweigen bewiesen (FH 2023).

Im November 2022 erklärte der Justizminister, dass die Regierung Gespräche mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS aufgenommen habe, um ein hybrides Gericht einzurichten, das die unter Yahya Jammeh begangenen völkerrechtlichen Verbrechen strafrechtlich verfolgen soll (FH 2023).

Bereits im Mai 2018 hatte eine verfassungsgebende Kommission ihre Arbeit an einem neuen Verfassungsentwurf aufgenommen, welcher die Verfassung von 1997 ablösen und mit seinen zahlreichen Reformen eine neue demokratische Ära in Gambia einleiten sollte. Im September 2020 wurde der Entwurf von der Nationalversammlung abgelehnt. So ging Gambia im Dezember 2021 mit der alten Verfassung in die Präsidentschaftswahl. Ein neuer Entwurf ist bislang nicht in Arbeit (AA 12.1.2022).4. Sicherheitsbehörden

Die gambische Polizei ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit verantwortlich und und ist dem Innenministerium unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 19.4.2023) Sie besitzt sowohl eine Menschenrechts- und Beschwerdeabteilung, sowie eine Kinderfürsorge und „Gefährdete Personen“-Abteilung (ÖB 19.4.2023). Die zivilen Behörden haben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 20.3.2023).

Die State Intelligence Service (bis Februar 2017 National Intelligence Agency (NIA), welche weiterhin gemäß Artikel 191 der Verfassung direkt dem Präsidenten untersteht, ist für die Staatssicherheit verantwortlich. Die NIA war in der Vergangenheit eines der Hauptinstrumente des Präsidenten Jammeh für die Identifizierung und Bestrafung/Ausschaltung von Oppositionellen und wird auch für Folter und willkürliche Inhaftierung verantwortlich gemacht ( ÖB 19.4.2023).

Die Gambia Armed Forces (GAF) unterstützen die zivilen Behörden in Notfällen und bei Naturkatastrophen und sind dem Verteidigungsminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 19.4.2023).

Hauptaufgabe der Gambian National Army (GNA) ist die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Sicherheit. Es gibt formell keine Luftstreitkräfte und die Marinekräfte sind überschaubar (ÖB 19.4.2023).5. Folter und unmenschliche Behandlung

Allgemein verbieten die Verfassung und das Gesetz Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Es gab jedoch Berichte, dass Sicherheitskräfte wie Gefängnisdienste, die Polizei und das Militärs Zivilisten menschenunwürdig behandelten (USDOS 20.03.2023).

Seit Amtsübernahme der Regierung Barrow im Januar 2017 sind keine Berichte über Folter bekannt. Im September 2018 hat Gambia das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ratifiziert. Folter und andere unmenschliche, grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafe sind mittlerweile nach geltendem Recht und der Verfassung verboten (AA 12.1.2022).

Zu den Ämtern, die mit der Untersuchung von Missständen beauftragt wurden, gehörten die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC), das Büro des Ombudsmanns und die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC) (USDOS 20.3.2023).6. Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, jedoch hat die Regierung diesbezügliche Verfehlungen weder glaubwürdig untersucht noch verfolgt. Obwohl die Regierung einige Schritte unternommen hat, um gegen Missbrauch oder Korruption vorzugehen (USDOS 20.3.2023), wurde bisher nur vereinzelt gegen Korruption vorgegangen (ÖB 19.4.2023). Es gibt zahlreiche Berichte über Korruption innerhalb der Regierung, und es herrscht nach wie vor eine Korruptionskultur unter den Regierungsbeamten, einschließlich ehemaliger Beamter der Regierung Jammeh, die immer noch in Regierungspositionen tätig sind. Korruption auf kleiner Ebene ist weiterhin die Norm, da Bürger oft Schmiergelder zahlen müssen, um bürokratische Hürden zu überwinden oder Zugang zu staatlichen Dienstleistungen zu erhalten. Korruption bei der Polizei ist ebenfalls ein alltägliches Problem, da Beamte routinemäßig Fahrer anhalten und Verstöße fälschen oder Geld verlangen (USDOS 20.3.2023).

Außerdem sind, laut einer Diagnose des Internationalen Währungsfonds (IWF), staatliche Verfahren anfällig für Korruption und uneinheitliche Entscheidungen, da die Voraussetzungen für die Ausübung von Befugnissen nicht klar definiert sind (IMF 26.1.2023). Die Tätigkeit der Regierung ist im Allgemeinen undurchsichtig. Beamte müssen gegenüber dem Ombudsmann Vermögenserklärungen abgeben, die jedoch nicht von der Öffentlichkeit und den Medien eingesehen werden können. Es gibt weitverbreitete Korruptionsvorwürfe im öffentlichen Auftragswesen. Wichtige Genehmigungsverfahren, insbesondere für Industriezweige, die auf natürliche Ressourcen angewiesen sind, sind nicht transparent (FH 2023).

Die Mehrheit der Befragten Menschen in Gambias sind der Meinung, dass die Regierung nicht genug tut, um Korruption zu bekämpfen. Zudem, gibt es bisher keine klare Antikorruptionspolitik (ÖB 19.4.2023). Dies ist auch sichtbar auf dem "Transparency International Corruption Perceptions Index" aus dem Jahr 2022, in dem sich Gambia gegenüber den Vorjahren verschlechtert hat und nun 34 von 100 Punkten erhält (TI 31.1.2023; vgl. ÖB 19.4.2023). Die Wahrnehmung in der Bevölkerung spricht laut Umfrage des AfroBaromenter 2021 für eine wachsende Korruption und ein Scheitern der Antikorruptionspolitik der Regierung (ÖB 19.4.2023)

Ein Gesetzentwurf zur Korruptionsbekämpfung, der 2019 in die Nationalversammlung eingebracht wurde, muss noch verabschiedet werden, und eine vorgeschlagene Antikorruptionskommission wurde noch nicht eingerichtet. Andere Antikorruptionsstellen wie die Financial Intelligence Unit of The Gambia (FIU) verfügen nur über schwache Durchsetzungsbefugnisse (FH 2023).

Es bestehen mehrere unabhängige Einrichtungen wie die Gambia Financial Intelligence Unit (GFIU) to the Gambia Public Service Commission (GPSC), the Gambia Public Procurement Authority (GPPA) und die Assets Recovery and Management Corporation (AMRC), die den Kampf gegen die Korruption unterstützen. Allerdings wurde das 2012 verabschiedete Gesetz über die Anti-Korruptionskommission bis dato nicht umgesetzt. Das 2019 ausgearbeitete Anti-Korruptionsgesetz, in dem ebenfalls auch Errichtung einer neuen Anti-Korruptionskommission vorgesehen wäre, wurde noch nicht verabschiedet (CMI U4 21.6.2021).7. Wehrdienst und Rekrutierungen

Es besteht keine allgemeine Wehrpflicht (AA 12.1.2022). Der Dienst in der Gambia National Army (GNA) ist freiwillig und steht sowohl Männern als auch Frauen ab dem 18. Lebensjahr offen mit einer Dienstverpflichtung von 6 Monaten (ÖB 19.4.2023; vgl. CIA 6.11.2023). Fehlverhalten von Militärangehörigen wird nach dem „The Gambia Armed Forces Act“ verfolgt und ggf. bestraft (AA 12.1.2022). Militärangehörige, die während der politischen Krise im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel Ende 2016/Anfang 2017 desertiert und danach zurückgekommen sind, haben keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten (AA 12.1.2022).8. Allgemeine Menschenrechtslage

Während unter der Regierung Jammeh willkürliche Rechtsverletzungen üblich waren, hat die neue Regierung unter Präsident Barrow sich zum umfassenden Schutz der Menschenrechte bekannt (AA 12.1.2022). Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden durch die Verfassung garantiert (USDOS 20.3.2023). Die Nationale Menschenrechtskommission ist ein unabhängiges Regierungsgremium, das für die Verbesserung der Menschenrechtsstandards im Lande und die Förderung einer Kultur der Achtung der durch die Rechtsstaatlichkeit geschützten Rechte und Freiheiten zuständig ist (USDOS 20.3.2023).

Das Büro des Ombudsmanns unterhält eine nationale Menschenrechtseinheit (NHRU) mit dem Auftrag, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen und gefährdete Gruppen zu unterstützen (USDOS 20.3.2023).

Unter der Regierung Barrow haben die Menschen in Gambia mehr Freiheit, ihre politischen Ansichten zu äußern. Die nach wie vor geltenden Gesetze gegen Volksverhetzung könnten jedoch genutzt werden, um Kritik an der Regierung zu kriminalisieren, auch in den sozialen Medien (FH 2023).

Auch ist der Schutz des Rechts auf Privatsphäre begrenzt und die Überwachung von Informations- und Kommunikationstechnik bleibt, aufgrund der rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen problematisch. Weiterer Kritikpunkt ist die Strafbewährung für einvernehmliche homosexuelle Handlungen (AA 12.1.2022).

Menschenrechtsverletzungen die im Land außerdem auftreten sind Menschenhandel, Genitalverstümmelungen und mangelhafte Haftbedingungen (AA 12.1.2022).

Die Verfassung garantiert die Versammlungsfreiheit, aber das Public Order Act (POA) verlangt von Veranstaltungsorganisatoren, für öffentliche Versammlungen eine polizeiliche Genehmigung einzuholen (FH 2023). Dennoch geht die Polizei mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor. Sowohl das Gambia Centre for Victims of Human Rights Violations als auch die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) verurteilten die übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, und die NHRC forderte den Generalinspektor der Polizei auf, die Umsetzung der Leitlinien der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker für die Kontrolle von Versammlungen durch Vollzugsbeamte in Afrika sicherzustellen (AI 28.3.2023).Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) fordert in ihrem Jahresbericht 2022 eine Änderung von Art. 5 des geltenden Gesetzes über die öffentliche Ordnung von 1961 (Public Order Act, POA), der die Grundrechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Zudem erinnert sie die Regierung des Weiteren, Maßnahmen zur Förderung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu ergreifen und die Kapazitäten, Schulung zu Methoden und Ausbildung der Sicherheitskräfte im Bereich der Kontrolle von Menschenmengen zu verbessern. Besonders da 21 % der im Jahr 2022 eingegangenen Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen sich gegen die nationalen Sicherheitskräfte wie die Polizei, die Armee sowie die Drogen- und Einwanderungsbehörden richtete (BAMF 30.6.2023).

Wesentliche Fortschritte betreffen die Verbesserung des Umfelds für Medien und die damit einhergehende Wiederansiedlung von Medieninstitutionen, die Aufhebung mancher restriktiver Gesetze durch den Obersten Gerichtshof, die Verringerung von Belästigungen und Einschüchterungen von Journalisten sowie Verbesserungen der Meinungsfreiheit im Internet. Die Beschränkungen des Internets haben seit der Amtsübernahme Barrow’s stark abgenommen, und zuvor geblockte Webseiten der Opposition, Apps und Kommunikationsplattformen und soziale Netzwerke sind wieder zugänglich (ÖB 19.4.2023). Gemäß RSF-Korrespondent in Gambia, hat das Land in diesem Jahr erhebliche Fortschritte im World Press Freedom Ranking gemacht. Er betont das Fehlen willkürlicher Verhaftungen, Folter, Töten oder Verbrennen von Medienhäusern oder Büros ist, weil Journalisten ihren Job oder Beruf ausüben und fügt hinzu, dass die Situation der Journalisten in Gambia „jetzt viel besser“ sei als in der Jammeh-Ära (TSN 4.5.2023). Dennoch sind nach wie vor eine Reihe von Gesetzen in Kraft, die die Meinungsfreiheit einschränken - Medienunternehmen wurden willkürlich suspendiert, und Journalisten wurden im Rahmen ihrer Arbeit gelegentlich verhaftet oder tätlich angegriffen (FH 2023).

Die Regierung betreibt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber allen Formen des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, und bekräftigt das stetige Engagement der Regierung für Prävention, Schutz und strafrechtliche Verfolgung jeglicher Fälle des Menschenhandels (BAMF 30.6.2023). Die Regierung wird für ihre Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels gelobt, erfüllt jedoch noch nicht alle Mindeststandards, da die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die Kapazitäten der Regierung beeinträchtigt haben. Zu den Bemühungen der Regierung gehört, dass mehr Opfer identifiziert wurden, und Beamte wurden in Bezug auf Verfahren zur Identifizierung von Opfern geschult. Allerdings erhielt das Personal in staatlichen Unterkünften keine spezifische Ausbildung, und den mit der Bekämpfung des Menschenhandels beauftragten Behörden fehlt es weiterhin an Ressourcen (USDOS 8.6.2023).9. Haftbedingungen

Die Haftbedingungen entsprechen weiterhin nicht den Mindeststandards der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen (AA 12.1.2022; vgl. ÖB 19.4.2023), und bleiben hart und lebensbedrohlich (USDOS 20.3.2023). Grund dafür sind vor allem schlechte Lebensbedingungen, mangelnder Nahrungsmittelversorgung sowie schlechter sanitärer und medizinischer Versorgung, extremer Überbelegung und körperlicher Misshandlung (ÖB 19.4.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Die meisten Haftanstalten stammen noch aus der Kolonialzeit und sind in schlechtem baulichen Zustand (AA 12.1.2022). Die Belüftung, die Hygiene und die sanitären Bedingungen sind in den meisten Gewahrsamszellen von Polizeistationen unzureichend. Außerdem fehlte es an den meisten Haftorten an einer angemessenen Verpflegung der Häftlinge (BAMF 30.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Insbesondere im Untersuchungshafttrakt des Gefängnisses Mile 2 in Banjul, stellt Überbelegung ein Problem dar. Es gab glaubwürdige Berichte über Teenager im Alter von 15 Jahren, die zusammen mit Erwachsenen in Untersuchungshaftanstalten festgehalten wurden (USDOS 20.3.2023). Strafverfahren dauern meist sehr lange. Fälle von verlängerter Untersuchungshaft stellen ein Problem dar. In den Gefängnissen Janjanbureh und Mile 2 wurden Personen festgehalten, die seit mehreren Jahren auf ihre Verurteilung warteten. Außerdem schreibt das Gesetz vor, dass ein Inhaftierter innerhalb von 72 Stunden angeklagt oder freigelassen werden muss (USDOS 20.3.2023; vgl. BAMF 30.6.2023). Rückstände und Ineffizienz im Justizsystem führen zu langwierigen Untersuchungshaftstrafen. Es gab jedoch zahlreiche Fälle, in denen die 72-Stunden-Frist überschritten wurde. In einigen Fällen gestatteten die Beamten den Festgenommenen keinen sofortigen Zugang zu einem Anwalt oder zu Familienangehörigen (USDOS 20.3.2023).

Während der Zutritt zu Gefängnissen unter dem Jammeh-Regime stark eingeschränkt war, haben lokale und internationale NGOs auf Ansuchen nun unbeschränkten Zugang zu Haftanstalten (ÖB 19.4.2023). Seit der Regierungsübernahme 2017 werden Anstrengungen zur Verbesserung der Haftbedingungen unternommen, die bereits in einer besseren Nahrungsversorgung Erfolg zeigen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurden zudem dringende Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen ergriffen, um die Haftanstalten nicht zu Epizentren für die Ausbreitung der Pandemie werden zu lassen. Unter anderem wurden Gefangene entlassen, um das Übertragungsrisiko in den Gefängnissen zu verringern (AA 12.1.2022).

Die Behörden untersuchten glaubwürdige Misshandlungsvorwürfe. Des Weiteren, gewährt die Regierung dem Büro des Ombudsmannes, der TRRC sowie lokalen und internationalen NGOs uneingeschränkten Zugang zu allen Gefängnissen (USDOS 20.3.2023).10. Todesstrafe

In Gambia kann die Todesstrafe für Verbrechen wie Mord und Hochverrat verhängt werden, doch seit knapp einem Jahrzehnt wird sie in lebenslange Haft umgewandelt (AA 12.1.2022). Seit Februar 2018 gilt ein De-facto-Moratorium für Hinrichtungen in Gambia, wobei alle bisher ausgesprochenen Todesstrafen in lebenslängliche Haftstrafen umgewandelt wurden (BAMF 30.6.2023; vgl. ÖB 19.4.2023). Die endgültige Abschaffung der Todesstrafe sollte mit Inkrafttreten der für 2020 erwarteten neuen Verfassung erfolgen, die jedoch von der Nationalversammlung abgelehnt wurde (ÖB 19.4.2023; vgl. AA 12.1.2023). Allgemein stellt die Justiz nur denjenigen bedürftigen Personen Anwälte auf staatliche Kosten zur Verfügung, die aufgrund eines Kapitalverbrechens wie Mord angeklagt sind, für das die Todesstrafe verhängt werden kann (USDOS 20.3.2023).11. Minderheiten

In Gambia leben zahlreiche westafrikanische ethnische Gruppen. Die größte Bevölkerungsgruppe stellen die Mandinka mit etwa 34 % dar (AA 12.1.2022). Weitere Ethnien sind die Fulbe/Fulani mit 22 %, Wolof mit 13 %, Diola mit 7 %, Serahuli mit 7 % und Serer mit 3 % (ÖB 19.4.2023). Die Amtssprache ist Englisch, die wichtigsten Umgangssprachen sind Mandinka, Wolof, Diola und Fula. Eine weitere Minderheit im Land sind Christen mit 3,5 %. Die restlichen 96,4 % des Landes sind muslimisch (CIA 6.11.2023).

Eine diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis besteht nicht (AA 12.1.2022). Das Gesetz verbietet bestimmte Arten der rassischen und ethnischen Diskriminierung. Politischen Kandidaten ist es untersagt, Spannungen zwischen Volksgruppen oder Ethnien zu schüren. Die Regierung hat diese Gesetze gleichmäßig und wirksam angewandt (USDOS 20.3.2023).12. Relevante Bevölkerungsgruppen

12.1. Homosexuelle/Sexuelle Minderheiten

Nach dem gambischen Strafgesetzbuch (1934) sind sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen im Privaten nach Artikel 144 ("unnatürliche Straftaten") kriminalisiert und können mit bis zu 14 Jahren Haft geahndet werden (UKHO 2.2023; vgl. AA 12.1.2022). Der im Oktober 2014 in Kraft getretene Artikel 144a des Strafgesetzbuches sieht in bestimmten Fällen der „aggravated homosexuality“ gar eine lebenslange Freiheitsstrafe vor (UKHO 2.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Das Gesetz stellt auch das sogenannte Cross-Dressing unter Strafe. Die Behörden setzten diese Bestimmungen nicht durch (USDOS 20.3.2023). Homosexualität und sexuelle Minderheiten sind in der breiten Öffentlichkeit in Gambia verpönt (AA 19.4.2023). Die LGBTQI+ Gemeinschaft in Gambia ist im Alltag sowie im Beruf Diskriminierung ausgesetzt und sexuelle Handlungen werden sowohl zwischen Männern als auch zwischen Frauen unter Strafe gestellt (FH 2023; vgl. USODS 20.3.2023, AA 12.1.2022). Die letzten bekannt gewordenen Verhaftungen erfolgten nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes im Jahr 2015; zu Verurteilungen kam es nach Kenntnis des Auswärtigen Amts nicht (AA 12.1.2022).

Das gambische Justizministerium hat auf Anfrage vom Oktober 2020 hin bestätigt, dass unter der seit 2017 amtierenden gambischen Regierung keine Verhaftungen oder Strafverfolgung aufgrund von Homosexualität mehr erfolgten. Gleichwohl beabsichtigt die Regierung an der Kriminalisierung von Homosexualität festzuhalten, wie der Regierungssprecher im August 2020 öffentlich erklärte; und Präsident Barrow gab ausdrücklich zu verstehen: „homosexuality is not an issue in The Gambia“ (AA 12.1.2022).

Das Gesetz befasst sich nicht mit der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten bei wesentlichen Gütern und Dienstleistungen wie Wohnraum, Beschäftigung und Zugang zu staatlichen Dienstleistungen, einschließlich der Gesundheitsversorgung. Aufgrund der starken gesellschaftlichen Diskriminierung, gab es nur wenige Informationen über den gleichberechtigten Zugang zu Wohnraum, Beschäftigung und Bildung. Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft berichteten über mangelnden Zugang zu HIV- und AIDS-Versorgung und -Behandlung aufgrund fehlender Privatsphäre in Gesundheitseinrichtungen und Stigmatisierung durch das Gesundheitspersonal (USDOS 20.3.2023).13. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, die Reisefreiheit ins Ausland, die Auswanderung und die Wiedereinbürgerung vor, und die Regierung hat diese Rechte im Allgemeinen respektiert (USODS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Auch die Freiheit, den Wohn- oder Arbeitsort zu wechseln, ist gesetzlich nicht eingeschränkt (FH 2023). In der Praxis wird die Möglichkeit, den Wohnsitz zu wechseln, durch das Fortbestehen starker verwandtschaftlicher Netzwerke, unklare Landbesitzregeln und wirtschaftliche Spekulationen beeinträchtigt. Polizei und Einwanderungsbehörden errichteten häufig Sicherheitskontrollpunkte im Land (FH 2023). Personen, die sich nicht ordnungsgemäß ausweisen konnten, werden inhaftiert, zu Geldstrafen verurteilt oder zur Zahlung von Bestechungsgeldern gezwungen (USDOS 20.3.2023).

Im August 2022 wurden die durch das Coronavirus bedingten Beschränkungen für Reisen innerhalb und außerhalb des Landes, die im Jahr 2020 verhängt worden waren, aufgehoben, obwohl in einigen öffentlichen Bereichen weiterhin Gesichtsmasken vorgeschrieben sind. Im September 2022 hob die Regierung alle inoffiziellen Kontrollpunkte im ganzen Land auf und begründete dies mit dem Wunsch nach mehr Bewegungsfreiheit (FH 2023).14. Grundversorgung und Wirtschaft

Die Wirtschaft Gambias stützt sich auf Landwirtschaft, Tourismus und Geldüberweisungen (UNEP 27.1.2023) und ist stark anfällig für externe wirtschaftliche Krisen (ÖB 19.4.2023; vgl. UNEP 27.1.2023). Unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität fällt Gambia unter die ärmsten Länder der Welt (LI o.D.c). Trotz eines deutlichen Anstiegs der Lebenserwartung zwischen 1990 und 2015 ist das Armutsniveau im Wesentlichen unverändert geblieben. Ein hohes Maß an Armut führt zu einer prekären Ernährungssicherheit; ein Viertel der Bevölkerung ist von Ernährungsunsicherheit betroffen. Bauern und Landarbeiter, insbesondere Frauen und junge Menschen, machen einen großen Teil der armen und extrem armen Bevölkerung aus; und so leben 73,9 % der Einwohner in ländlichen Gebieten unterhalb der Armutsgrenze (UNEP 27.1.2023).

Die NHRC forderte in ihrem Jahresbericht 2022 die Regierung auf, gegen die kontinuierlich angestiegenen Lebenshaltungskosten vorzugehen und soziale Sicherheitsnetze für die vulnerabelsten vor allem unterhalb der Armutsgrenze lebenden Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Auch in der Zeit nach der COVID-19-Pandemie kommt es zu sehr hohe Lebenshaltungskosten und die Kosten für Güter des täglichen Gebrauchs, Treibstoff und Transport sind weiter angestiegen. Zu den pandemiebedingten Folgewirkungen gehören zudem ein Anstieg der Armuts- und Arbeitslosenrate. Zuletzt gab es Berichte über die Verschärfung der Ernährungsunsicherheit sowie die schlimmsten Hungersnöte seit zehn Jahren im Land, für die es mehrere Ursachen gibt (BAMF 6.2023). In der Zeit nach der COVID-19-Pandemie sind die Lebenshaltungskosten nach wie vor hoch, und die Preise für lebensnotwendige Güter, Kraftstoffe und Verkehrsmittel sind stetig gestiegen. Die Entwicklung des ländlichen Raums ist von zentraler Bedeutung für ein integratives Wachstum, Ernährungssicherheit, Arbeitsplätze und Armutsbekämpfung (UNEP 27.1.2023; vgl. IFAD 11.4.2019). Das Welternährungsprogramm (WFP) in Gambia unterstützt die Versorgung der von der Krise betroffenen Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und bietet Grundschulkindern in ernährungsunsicheren Gebieten nahrhafte Mahlzeiten aus lokalen Erzeugnissen an. Das WFP entwickelt derzeit seinen nächsten Länderstrategieplan für 2024-2028, um gefährdete Bevölkerungsgruppen zu unterstützen, und die Fortschritte bei der Verringerung der mäßigen akuten Unterernährung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Unterstützung für Haushalte, die von den hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen sind (WFP 11.2023). Über 60 % der Gambier leben von der Landwirtschaft, die etwa ein Drittel des BIP des Landes erwirtschaftet (UNEP 27.1.2023).

Laut gambischer Integrated Household Survey 2010 (IHS) gehen 73 % der Bevölkerung einer Beschäftigung (Kleinhandel, Kleinhandwerk, Gelegenheitsjobs, Straßenverkauf, etc.) nach, wovon 96 % im informellen Sektor tätig sind. Der gesetzliche Mindestlohn (im formellen Sektor) für ungelernte Arbeiter beträgt GMD 50 pro Tag [0,68 Euro] bei einer staatlich festgelegten Armutsgrenze von GMD 38/Tag [0,52 Euro] (ÖB 19.4.2023). In Gambia liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei jährlich 769 Euro und liegt damit im weltweiten Vergleich extrem niedrig (LI o.D.a). Die Lebenshaltungskosten liegen deutlich unterhalb des weltweiten Durchschnitts und weisen auf massive sozioökonomische Probleme hin (LI o.D.c). Die Einwohner in ländlichen Gebieten leben meist unterhalb der Armutsgrenze (UNEP 27.1.2023), und die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in diesen ländlichen Gegenden grundsätzlich nur beschränkt gewährleistet (AA 12.1.2022).

14.1. Sozialbeihilfen

Die Institution, von der die Bürger/-innen Gambias Unterstützung für ihre Sozialfürsorge erhalten können, ist das Ministerium für Sozialfürsorge (IOM 7.2022). Für bedürftige Frauen und Kinder bietet der staatliche „Social Welfare Service“ Unterbringung, Nahrung und soweit erforderlich auch Kleidung. Dennoch sind nach Angaben von UNICEF, WHO und Weltbank 11,6 % der Kinder unter fünf Jahren akut unterernährt. Sozialhilferegelungen etc. bestehen nicht. Das World Food Programme hat ein Projekt aufgelegt, das kostenloses Schulessen bereitstellt. Einige NGOs geben finanzielle Starthilfen für Berufsanfänger. Sozialhilferegelungen gibt es keine (AA 12.1.2022).

Allerdings bietet die Social Security Housing & Finance Cooperation (SSHFC) Sozialschutzdienste an (IOM 7.2022). Viele Gambier sind auf jede Unterstützung angewiesen, die sie auf informellem Wege über beispielsweise erweiterte Verwandtschaft erhalten können (BS 2022). Staatsbedienstete erhalten Pensionsleistungen. Die SSHFC bietet ein zusätzliches Rentensystem an, das auf Angestellte öffentlicher oder halb-öffentlicher Einrichtungen beschränkt ist. Private Pensionsleistungen sind selten. Die SSHFC leitet auch einen Entschädigungsfonds für Arbeitsunfälle und bietet Hypotheken zu festen Zinssätzen an (BS 2022).15. Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung in Gambia ist trotz einiger Fortschritte mangelhaft und nicht flächendeckend verfügbar (AA 12.1.2022; vgl. ÖB 19.4.2023). Das gambische Gesundheitssystem wird zu rund 46 % von externen Quellen finanziert. Die Gesundheitsausgaben betrugen 3,82 % des BIP (ÖB 19.4.2023). Eine allgemeine Krankenversicherung existiert nicht (AA 12.1.2022). Die gambischen Einrichtungen konzentrieren sich auf städtische Gebiete. Dies erschwert den Zugang zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, wo die traditionelle Heilkunst weit verbreitet ist. Traditionelle Heilkundige stellen auch im Allgemeinen die erste Anlaufstelle der Bevölkerungsmehrheit dar. Staatliche Krankenhäuser bieten zwar eine quasi kostenlose Versorgung, diese ist jedoch aufgrund mangelnder Ärzte, Geräte, Ausstattung und Medikamente unzureichend (IOM 7.2022; vgl. AA 12.1.2022). Insgesamt wird pro Einwohner eine Summe von 17,65 Euro veranschlagt, die jährlich auf Staatskosten für gesundheitliche Maßnahmen ausgegeben wird (LI o.D.d). Die Ärztedichte liegt bei 1,1 Ärzten pro 10.000 Einwohnern und 11 Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (ÖB 19.4.2023; vgl. LI o.D.d). Somit stehen mit rund 291 ausgebildeten Ärzten in Gambia pro 1.000 Einwohner rund 0,11 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.d). Dies hat die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für die allgemeine Bevölkerung stark beeinträchtigt (IOM 7.2022). Auch im privaten Sektor ist nur eine begrenzte Diagnostik und Behandlung möglich. Die Versorgung ist besonders bei Notfällen, z. B. nach Autounfällen, aber auch im Falle eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalles sehr eingeschränkt (AA 18.9.2023). Jedoch kann durch die medizinische Versorgung die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand nur etwa 21 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.d). Da die Erbringung von Gesundheitsdiensten weiterhin stark beeinträchtigt ist, ist auch die Erbringung von psychiatrischen Diensten aufgrund des Personalmangels und der begrenzten Finanzierung des Gesundheitswesens sehr eingeschränkt (IOM 7.2022). Es existiert eine staatliche psychiatrische Einrichtung, in der es allerdings oft an Medikamenten und gelegentlich an Lebensmitteln fehlt (AA 12.1.2022; vgl. IOM 7.2022).

Die COVID-19-Pandemie hat die Schwächen des Gesundheitssystems vor Augen geführt, wobei seit Ausbruch der Krise die Bestrebungen zur Verbesserung des Gesundheitssystems mit Unterstützung internationaler Geber wie der EU intensiviert wurden. Erfolgreiche Programme zur Aidsbekämpfung sorgten dafür, dass die Aids-Rate in Gambia rückläufig ist und somit niedriger als im weltweiten Durchschnitt von neun Prozent liegt. Auch das Malaria-Kontroll-Programm Gambias gilt als vorbildlich für ganz Westafrika. Ebenfalls problematisch gestaltet sich die hohe Hepatitis B Infektionsrate, welche bei 8,8 % der Bevölkerung liegen soll. Dennoch sinkt die Infektionsrate aufgrund der Bemühungen zu einer hohen Durchimpfungsrate, derzeit sind rund 96 % der Bevölkerung gegen HepB3 geimpft (ÖB 19.4.2023).

Gängige Medikamente sind in der Regel in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen erhältlich und werden kostenlos abgegeben (IOM 7.2022). Einige der nicht erhältlichen Medikamente müssen jedoch in einer privaten Apotheke gekauft werden, sodass die meisten hoch entwickelten Medikamente nicht ohne Weiteres erhältlich sind. Aufgrund des besseren Zugangs zu medizinischer Versorgung stieg im Zeitraum 2001-2020 die durchschnittliche Lebenserwartung von 53,7 auf 62,61 Jahre (ÖB 19.4.2023).16. Rückkehr

Es existieren keine staatlichen Einrichtungen zur Aufnahme von Rückkehrerinnen und Rückkehrern (AA 12.1.2022). Rückkehrer werden in der Regel wieder durch die (Groß-)Familie aufgenommen. Allerdings werden Rückkehrer selten mit offenen Armen empfangen, da die meisten Familien sich für die Reise des Familienmitglieds nach Europa oft verschuldet haben. Die ökonomische Situation der Haushalte hat sich durch die COVID-Pandemie zusätzlich verschlechtert (ÖB 19.4.2023).

Im Dezember 2020 brachte die gambische Regierung ihre erste Nationale Migrationsrichtlinie ("National Migration Policy") auf den Weg, die als Orientierungsrahmen für die künftige nationale Migrationspolitik dienen sollte. Die Richtlinie befasst sich mit verschiedenen zentralen Migrationsdimensionen wie Binnen-, Arbeits-, Diasporamigration und Rückkehr; und wurde mit starker Unterstützung der IOM entwickelt (AA 12.1.2022). Mit Oktober 2022 hat IOM mehrere Meilensteine bei der Unterstützung der Migrationssteuerungsbemühungen der Regierung Gambias erreicht, wie technische Hilfe zur Einrichtung eines Nationalen Koordinierungsmechanismus für Migration (NCM), welcher im November 2019 ins Leben gerufen wurde. IOM trug auch zur Entwicklung der ersten eigenständigen Nationalen Migrationspolitik (NMP) Gambias bei, die im Dezember 2020 offiziell eingeführt wurde (IOM 2022).

Ferner hat IOM auch dazu beigetragen Richtlinien für den National Referral Mechanism (NRM) zum Schutz schutzbedürftiger Migranten, einschließlich Opfer von Menschenhandel; eine Arbeitsmigrationsstrategie; Ethische Einstellungsrichtlinien; ein Schulungshandbuch vor der Abreise; und verschiedene nationale Rahmenwerke und Standardarbeitsanweisungen (SOPs) zu Grenzmanagement, Gesundheit (einschließlich psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung (MHPSS)), Schutz unbegleiteter und getrennter Migrantenkinder sowie Rückkehr und Reintegration, einzuführen. Zwischen Januar 2017 und Oktober 2022 ermöglichte IOM die Rückkehr von mehr als 7.500 gambischen Migranten, von denen fast 6.000 Wiedereingliederungshilfe erhielten (IOM 2022).

Daneben gibt es allgemeine Berufsbildungs- und Förderungsprogramme, von denen auch Rückkehrende profitieren können. Rückkehrende bzw. rückgeführte Personen unterliegen keiner besonderen Behandlung (AA 12.1.2022).

Der lokale Partner der österreichischen Rückkehr-Beratung (BBU) in Gambia ist Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS). Das Reintegrationsprogramm bietet folgende Unterstützung bei der Reintegration nach der Rückkehr: Bei freiwilliger Rückkehr aus Österreich ins Heimatland, wird ein Post-arrival-Paket im Wert von 615 Euro zur unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft ausgehändigt. Das beinhaltet auch die Begrüßung durch den Reintegrationspartner (Caritas Belgien) direkt am Flughafen und Übergabe eines Willkommenspakets:

Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), 1 Flasche Wasser, 1 warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder; Airport Pick-up, bzw. Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), temporäre Unterkunft bis zu 3 Tage nach der Ankunft und Unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).

Benötigt eine rückgeführte Person keine oder weniger Sofortleistungen, wird der Betrag von 615 Euro vom lokalen Partner in Bar ausbezahlt (BMI 2023).

Bei längerfristiger Reintegrationsunterstützung erhalten Rückgeführte Personen ein Post-return Paket in der Höhe von 2.000 Euro. Davon 200 Euro Bargeld und 1.800 Euro in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten 6 Monaten nach der Rückkehr erstellt wird (BMI 2023).

Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens; Bildungsmaßnahmen und Trainings; Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt; Unterstützung bei der Einschulung von mitausreisenden Kindern; Rechtliche & administrative Beratungsleistungen; Familienzusammenführung; Medizinische und Psychosoziale Unterstützung und Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) (BMI 2023).

Minderjährige haben die Möglichkeit die Einrichtung des ‚Social Welfare Service‘ in Anspruch zu nehmen, in der vor allem junge Kinder untergebracht werden können (AA 12.1.2022).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Die Feststellungen zur Person des BF (Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit) ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Seine Identität konnte aufgrund der Vorlage seines Reisepasses zweifelsfrei festgestellt werden.

 

Die Sprachkenntnisse des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor der Behörde (AS 25f).

 

Die Feststellungen zum Leben des BF im Herkunftsland ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren (AS 25ff, 71ff). Der Schulbesuch des BF konnte ebenso aufgrund seiner Angaben festgestellt werden (AS 26, 71). Angesichts des Umstandes, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung angab, zuletzt als Installateur und Maurer gearbeitet zu haben (AS 26), in der Einvernahme vor dem BFA aber vorbrachte, dass er für etwa vier Jahre im Bereich der Telekommunikation tätig war, konnte nicht festgestellt werden, welche Angaben tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Seine Beschäftigung in der Ukraine ergab sich aus seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VH S. 3).

 

Hinsichtlich der Feststellungen zu den Angehörigen des BF ist auf seine Angaben im Verfahren zu verweisen (AS 27, 71). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der BF bezüglich dem Alter seiner Geschwister keine konsistenten Angaben machte. So brachte er in der Erstbefragung am 07.03.2022 vor, dass im Herkunftsland zwei Schwestern im Alter von 18 und 14 Jahren und ein Bruder im Alter von 11 Jahren aufhältig seien. Ein weiterer Bruder sei als Baby verstorben (AS 27). Im Rahmen der Einvernahme vor der Behörde, welche etwa eineinhalb Jahre später, am 10.10.2023, stattfand, gab der BF wiederum an, dass die Schwestern im Herkunftsland 21 und 18 Jahre alt seien, der Bruder sei 16 Jahre alt. Zudem sei ein Bruder im Alter von 28 Jahren in XXXX aufhältig. Auf diesen Widerspruch wurde der BF in der Beschwerdeverhandlung vom 28.05.2024 befragt, woraufhin er lediglich angab, dass er bereits im Interview angegeben habe, dass er nicht wisse, wie alt seine Geschwister sind. Er könne es nicht genau berechnen (VH S. 4). Der bestehende Kontakt zu seinen Angehörigen ergibt sich aus den Angaben des BF (AS 73) sowie seiner Gattin (VH S. 14).

 

Die Feststellungen zum Familienstand des BF ergeben sich aus seinen Angaben (AS 27) sowie aus der vorgelegten Heiratsurkunde. Die Feststellungen zu den Kindern des BF stützen sich auf den unstrittigen Akteninhalt sowie auf die vorgelegte Geburtsurkunde des Sohnes. Die Aufenthaltsberechtigungen der Gattin und der Kinder des BF ergeben sich aus den im Akt enthaltenen Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister.

 

Dass der BF mit seiner Frau und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebt, konnte aufgrund der im Akt enthaltenen Auszüge aus dem Zentralen Melderegister festgestellt werden. Seine Frau gab gleichlautend wie der BF selbst an, dass der BF intensiv in die Kinderbetreuung involviert ist (VH S. 15) und konnte der BF Fotos vorlegen, die von einer engen Bindung zu seiner Familie zeugen.

 

Die Integrationsleistungen des BF ergeben sich aus seinen Angaben (ua VH S. 17, AS 77) in Zusammenschau mit den vorgelegten Unterlagen (Teilnahmebestätigung A1.2. Deutschkurs vom 31.05.2023, AS 93). Aus dem aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem lässt sich entnehmen, dass der BF Leistungen aus der Grundversorgung bezieht.

 

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF konnte aufgrund des im Akt enthaltenen Strafregisterauszuges festgestellt werden.

 

Dass der BF aktuell kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er zu keinem Zeitpunkt Gegenteiliges behauptet hat.

 

Der Gesundheitszustand des BF konnte aufgrund seiner Angaben im Verfahren festgestellt werden. Zwar gab der BF im Rahmen der Beschwerdeverhandlung an, dass er wegen seinem Bauch und seinem rechten Zeigefinger in ärztlicher Behandlung sei, diesbezüglich legte er aber lediglich Befunde aus den Jahren 2021 und 2022 vor (ua Ambulanzbefund Innere Medizin LKH XXXX vom 28.03.2022). Dem Befund ist zu entnehmen, dass der BF in der Ukraine an anamnest. chron. Gastritis Hp-pos. und anamnest. chron. Pakreatitis sowie an einer Hiatushernie litt. Bei der Untersuchung im LKH XXXX wurde aber kein akut internes Geschehen erkannt und wurde der BF wieder nach Hause entlassen. Der BF war bis zu seiner Ausreise aus der Ukraine berufstätig und ist im Verfahren kein Umstand hervorgekommen, der gegen seine Arbeitsfähigkeit spricht.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Zusammengefasst brachte der BF zu seinem Fluchtgrund befragt vor, dass ihm aufgrund unterstellter Homosexualität im Herkunftsland Verfolgung und der Tod drohe.

 

Dass der BF im Herkunftsland im Falle seiner Rückkehr keiner staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre, ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

 

Zunächst ist auszuführen, dass der BF im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben zu seinem Fluchtvorbringen machte. So brachte er im Rahmen der Erstbefragung als Fluchtgrund vor: „Ich habe Gambia verlassen, weil ich Bi-Sexuell bin. Ich wurde dabei erwischt, wie ich Sex mit einem anderen Mann hatte.“ (AS 30). Er gab sohin explizit an, nicht heterosexuell zu sein und tatsächlich sexuelle Handlungen mit einem anderen Mann durchgeführt zu haben. Im Gegensatz dazu gab der BF in der Einvernahme vor der Behörde an, dass er heterosexuell sei und er nur aufgrund der Freundschaft zu einem Homosexuellen, der den BF auf eine Homosexuellen-Party eingeladen habe, in seiner Community der Verdacht aufgekommen sei, dass auch der BF homosexuell sei und er deshalb ausgegrenzt und geschlagen worden sei (AS 73f). An diesem Vorbringen hielt er auch im weiteren Verfahrensverlauf fest.

 

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhob, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl betonte der Verwaltungsgerichtshof aber, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 12.12.2023, Ra 2023/14/0449 bis 0450-7; VwGH 1.6.2023, Ra 2023/14/0043, mwN).

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich jedenfalls um einen massiven Widerspruch zwischen den Angaben des BF in der Erstbefragung und jenen im weiteren Verfahren, der an der Glaubwürdigkeit des BF zweifeln lässt.

 

Hinzu kommt, dass der BF im gesamten Verfahren einen unglaubwürdigen Eindruck machte, zumal es immer wieder zu Widersprüchen in seinen Angaben kam. Wie bereits oben ausgeführt, machte der BF zum Alter seiner Geschwister befragt unterschiedliche Angaben. Diese Widersprüche im Vorbringen des BF sind nicht erklärlich, zumal der BF angab, eine zwölfjährige Schulbildung aufzuweisen. In Anbetracht dessen wäre jedenfalls anzunehmen, dass der BF derart wesentliche Informationen über seine Geschwister wie etwa das Alter konsistent angeben könnte und wissen müsste.

 

Auch in Zusammenhang mit dem zeitlichen Ablauf seiner Ausreise ergaben sich Unstimmigkeiten. So gab der BF in der Einvernahme durch das BFA an, dass er im Winter 2008 oder 2009 auf die Homosexuellen-Party eingeladen worden sei (AS 75). Zudem führte der BF aus, dass er im Jahr 2010 wegen Problemen mit seiner Familie Gambia verlassen habe und in den Senegal gereist sei (AS 71). Im Gegensatz dazu führte der BF in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er bereits vor dem Vorfall mit der Homosexuellen-Party, welcher sich im Dezember 2009 ereignet habe, im Senegal gelebt habe (VH S. 8). Dieses Vorbringen lässt sich in keiner Weise mit dem Vorbringen in der Einvernahme vor der Behörde vereinbaren und ist in Anbetracht der obigen Ausführungen davon auszugehen, dass der BF persönlich unglaubwürdig ist.

 

Ferner ist auszuführen, dass das Vorbringen des BF, wonach sein Bruder im Herkunftsland den gleichen Fußballverein wie der BF vor seiner Ausreise besuche, wobei er wegen dem BF Probleme mit den anderen Mitgliedern habe, nicht nachvollziehbar ist. Die Teamkollegen des Bruders würden nach wie vor über den BF sprechen (VH S. 4f). Es erscheint hierbei nicht plausibel, weshalb der Bruder des BF einem Fußballverein beitritt bzw. überhaupt beitreten kann, der zuvor den BF ausgegrenzt hat. Es wäre vielmehr anzunehmen, dass dieser Verein den Bruder des BF gar nicht erst aufnehmen würde bzw. dass der Bruder den Verein verlässt, wenn er tatsächlich derartige Probleme mit seinen Kollegen hat. Nachdem der Bruder des BF aber weiterhin Mitglied in dem Fußballverein ist, ist anzunehmen, dass der Bruder gar keine Probleme hat.

 

Dies würde auch erklären, weshalb der Gattin des BF keine Probleme der Angehörigen des BF im Herkunftsland bekannt sind (VH S. 15, „Dort ist es allgemein schwer, aber den so untereinander haben sie keine Probleme“).

 

Außerdem fällt auf, dass der BF in der Ukraine zu keinem Zeitpunkt einen Asylantrag einbrachte und keine Probleme hinsichtlich einer drohenden Verfolgung im Herkunftsland schilderte. Dem BF sei in der Ukraine ein temporärer Aufenthalt angeboten worden (VH S. 3). Bei der Annahme, dass dem BF im Herkunftsland tatsächlich Verfolgung und der Tod droht, wäre davon auszugehen, dass sich der BF auch in der Ukraine schon um Asyl bemüht hätte, um nicht das Risiko einer Rückkehr eingehen zu müssen. Dies tat der BF aber über mehrere Jahre nicht.

In Summe ergibt sich für den erkennenden Richter somit eindeutig, dass der BF – überrascht vom Kriegsausbruch in der Ukraine – mit Freunden in die Europäische Union gelangt ist (seine Lebensgefährtin verblieb vorerst bei der Mutter, die sie zu Kriegsbeginn in XXXX gerade besuchte). Um den Aufenthalt regeln zu können, erfand der BF offensichtlich sein einstudiertes Vorbringen über – unterstellte – Homosexualität, wobei er erkennbar bei der Einreise noch nicht von einem Nachzug seiner Frau und seiner Tochter ausging und deshalb völlig andere Daten (Ausreise aus der Heimat 2019, auch alle beschriebenen Vorfälle 2019) nannte.

Da seine Gattin dann jedoch nachkam und erkennbar wurde, dass der BF als Vater einer 2014 in der Ukraine geborenen Tochter nicht erst 2019 ausgereist sein kann, modifizierte er seine Angaben.

Probleme bei der Ausstellung seiner Reisedokumente (zuletzt 2020) oder die Existenz behördlicher Schreiben oder Ladungen wegen Homosexualität wurde verneint.

 

Angesichts der obigen Ausführungen ist somit von keiner staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung des BF im Herkunftsland auszugehen, das völlig unglaubwürdige Vorbringen ist dem Umstand geschuldet, dass der BF auf der Flucht vor den Kriegshandlungen in der Ukraine ein irgendwie asylrelevantes Vorbringen erfinden musste.

 

Eine Verfolgung aufgrund weiterer asylrelevanter Gründe brachte der BF zu keinem Zeitpunkt vor und haben sich im Verfahren auch diesbezüglich keinerlei Anhaltspunkte ergeben.

 

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:

 

Wie soeben dargelegt, hat der BF im Herkunftsstaat keine Verfolgung zu befürchten. Sonstige Gründe, die einer Rückkehr, entgegenstehen, wurden von ihm nicht substantiiert vorgebracht und sind auch anhand der Länderfeststellungen nicht objektivierbar.

 

Dem BF ist eine Rückkehr nach Gambia in seinen Herkunftsort oder auch an einen anderen Ort im Herkunftsland möglich. In Gambia sind nach wie vor die beiden Schwestern und ein Bruder des BF aufhältig und hat der BF auch wöchentlich Kontakt seinen Angehörigen. Es ist sohin jedenfalls anzunehmen, dass der BF bei einer Rückkehr von seinen im Herkunftsland aufhältigen Angehörigen Unterstützung erhalten würde.

 

Der BF ist im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia weder in seinem Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht. Der BF läuft dort nicht Gefahr, seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens vor der Einreise nach Österreich in Gambia verbracht. Der BF spricht muttersprachlich Mandingo und verfügt über gute Kenntnisse der Sprachen Englisch und Wolof. Im Herkunftsland besuchte er zwölf Jahre lang die Schule und weist zudem mehrjährige Berufserfahrung auf.

 

Der BF ist mit den Gepflogenheiten im Herkunftsland vertraut und wurde mit diesen sozialisiert. Er befindet sich im erwerbsfähigen Alter, spricht die Landessprache und leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, weshalb es ihm möglich und zumutbar ist, im Herkunftsstaat eine Arbeit aufzunehmen und sich seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer und der geringen Integration des BF ist bei einer Rückkehr des BF nach Gambia auch nicht von einem unrechtmäßigen Eingriff in das Privatleben des BF auszugehen. Gegenständlich ergibt sich jedoch im Hinblick auf die hier aufenthaltsberechtigte Gattin und der im Bundesgebiet aufhältigen Kinder des BF ein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben des BF in Österreich, wie in der rechtlichen Beurteilung näher auszuführen sein wird.

 

2.4. Zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln und ist ihnen der BF auch nicht substantiiert entgegengetreten. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

 

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

 

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz oder anhängige Verfahren, sohin auch auf das vorliegende Verfahren, anzuwenden.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG, wenn es in der Sache selbst entscheidet, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. etwa VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332).

Zu A)

 

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

3.2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vgl. auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153, u.a.).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Eine Bürgerkriegssituation (bzw. die eines sonstigen bewaffneten Konfliktes) in der Heimat des Antragstellers schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht generell aus. Der Antragsteller muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 8.7.2000, 99/20/0203).

 

Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, hat der BF eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung nicht glaubhaft vorgetragen und kann eine individuelle Verfolgung aus seinen Angaben nicht abgeleitet werden.

 

Dem BF ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für den BF war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

3.3. Zur Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

 

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

 

Die allgemeine Situation in Gambia ist nicht derart gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR 09.04.2013, Nr. 70073/10 und 44539/11 H. und B./Vereinigtes Königreich, sowie zuletzt die Urteile vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). Die allgemeine Situation in Burundi steht daher als solche einer Rückführung des BF im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

 

Im vorliegenden Fall ist Folgendes festzuhalten:

 

Wie bereits beweiswürdigend festgehalten wurde, ist im gegenständlichen Fall keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ersichtlich.

 

Aus den Länderfeststellungen ergaben sich zudem keine Umstände, wonach in Gambia aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

 

Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und arbeitsfähig. Er weist eine zwölfjährige Schulbildung auf. Ferner ist zu beachten, dass er bis zum Alter von 20 Jahren im Herkunftsland gelebt hat und somit mit der Sprache, den örtlichen Gegebenheiten und den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates umfassend vertraut ist. Der BF gehört auch keinem Personenkreis an, von welchem zu erwarten wäre, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt, als die übrige Bevölkerung, welche ebenso für ihre Existenzsicherung aufkommen kann und muss.

 

Wenngleich die Versorgungs- und Sicherheitslage in Gambia nicht mit jener in Österreich vergleichbar, so ist die Lage im Herkunftsland jedenfalls aus hinreichend stabil anzusehen und ist aufgrund des Vorbringens des BF auch kein besonderes individuelles Risiko zu erblicken. Hinsichtlich der obigen Ausführungen besteht somit im gegenständlichen Fall kein hinreichender Grund zur Annahme, dass der BF in Anbetracht seiner individuellen Lebensumstände aufgrund generell schwankender Versorgungssicherheit in eine lebensbedrohliche Notlage geraten könnte. Schwierige Lebensumstände allein genügen jedenfalls nicht für eine Schutzgewährung im Sinne des § 8 AsylG 2005.

 

Der BF hat seit seiner Geburt in Gambia gelebt und verfügt dort über sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte, da seine Schwestern und sein Bruder nach wie vor im Herkunftsstaat leben. Er kann somit von seinen Familienangehörigen- zumindest anfänglich - finanziell unterstützt werden.

 

Dem BF ist es daher aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich mithilfe der Unterstützung seines familiären Netzwerks wieder im Herkunftsland einzufinden, eine Arbeit zu finden und seine Existenz wiederaufzubauen. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

 

Der BF brachte auch (wie beweiswürdigend ausgeführt) nicht substantiiert vor, an schwerwiegenden Erkrankungen zu leiden, die im Herkunftsland nicht behandelbar wären.

 

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Gambia und Rückkehr in die Herkunftsregion, in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr nach Gambia entgegenstehen würden.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.

 

3.4. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides war daher seitens des Bundesverwaltungsgerichtes abzuweisen.

 

3.5. Zur vorübergehenden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

 

3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt, außer bei diesem handelt es sich um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen.

 

3.5.2. Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehörigen und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet. Gegenteiliges wurde von ihm auch nicht vorgebracht.

 

Insofern der BF angibt, dass in der Vertriebenen-Verordnung eine Regelungslücke in § 2 zu finden sei, wenn es um die Ableitung des Aufenthaltsrechts von Kindern auf ihre Eltern geht (VH S. 18), so kann dieser Meinung nicht gefolgt werden:

Der BF war in der Ukraine noch nicht standesamtlich mit seiner Gattin verheiratet, war somit nicht deren „Ehegatte“ und handelte es sich bei ihm auch nicht um den „eingetragenen Partner“ der Gattin. Es bestand auch keine „vollständige oder größtenteils“ Abhängigkeit des BF von seiner Tochter in der Ukraine.

Die Regelung des § 2 Vertriebenen-VO ist daher klar und unmissverständlich und liegt kein Tatbestand vor, aufgrund dessen dem BF ein Aufenthaltsrecht nach der Vertriebenen-VO zukommen würde.

 

3.5.3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

 

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

3.5.4. Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt.

 

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

 

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Der Begriff des Familienlebens ist sohin nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13.06.1979, Fall Marckx). Ehen, die nicht nationalem Recht entsprechen, sind kein Hindernis für ein Familienleben (EGMR 28.05.1985, Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali). Ebensowenig reicht das Eheband allein nicht aus, um die Anwendbarkeit des Art. 8 EMRK auszulösen. Reine Scheinehen sind deshalb nicht geschützt (VwGH 29.06.2010, 2006/18/0484).

 

Im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sind die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des BF auf das Familienleben und auf das Kindeswohl etwaiger Kinder des Betroffenen zu erörtern. Einer mit der Ausweisung verbundenen Trennung von Familienmitgliedern kommt eine entscheidungswesentliche Bedeutung zu (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt; diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019). Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019); der Verfassungsgerichtshof erachtet die Annahme als lebensfremd, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. VfGH vom 24.11.2020, E3806/2019; VfGH vom 25.02.2013, U2241/12).

 

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]).

 

Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl. VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN).

 

Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 28.2.2012, B 1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl. 55.597/09; 12.10.2016, E 1349/2016).

 

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 9.6.2016, E 2617/2015; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 14.3.2018, E 3964/2017; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018; 11.6.2018, E 435/2018). Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018).

 

3.5.5. Im gegenständlichen Fall verfügt der BF über familiäre Bindungen im Bundesgebiet in Form seiner Gattin und seiner minderjährigen Kinder. Seine Familienmitglieder sind in Österreich gemäß der Vertriebenenverordnung aufenthaltsberechtigt. Es steht aktuell nicht fest, ob die Gattin und die Kinder des BF in naher Zukunft wieder in die Ukraine zurückkehren können bzw. ob und wie lange, also dauerhaft, deren Aufenthaltsrecht über den 04.03.2025 hinaus verlängert werden wird.

Daher ist auch noch nicht klar, ob der BF zur Aufrechterhaltung des Familienlebens eine legale Zuwanderung nach Österreich anstreben müsste oder wieder in die Ukraine zurückkehren könnte, wobei die Ehegattin eine Rückkehr in der Beschwerdeverhandlung offen ließ („Wir haben das geplant, aber nur, wenn sich die Situation dort normalisiert.“).

 

Eine Rückkehrentscheidung und Ausweisung des BF würde sohin zu einer Trennung des BF von seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen führen und wäre eine Aufrechterhaltung des Kontakts zur Gattin und der zehnjährigen Tochter zwar virtuell oder telefonisch möglich, den Kontakt zum Sohn könnte der BF dadurch aber nicht aufrechterhalten. Der Sohn des BF ist zum Entscheidungszeitpunkt erst knapp ein Jahr alt und befindet sie sich sohin noch nicht in einem Alter, in welchem es ihr tatsächlich möglich wäre, den Kontakt zu ihrem Vater über das Telefon oder Videoanrufe effektiv weiterzuführen. In diesem Zusammenhang ist auf die geltende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Annahme als lebensfremd erachtet werde, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 3.10.2019, E3456/2019; 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).

 

Der BF lebt aktuell im gemeinsamen Haushalt mit seiner Gattin und seinen Kindern und beteiligt sich intensiv an der Erziehung und der Versorgung der Kinder. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass eine enge Bindung zwischen dem BF, seiner Gattin und seinen Kindern besteht.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung würde den Kontaktabbruch des BF zu seinen Kindern bedeuten und stellt sohin einen schwerwiegenden Eingriff in sein Familienleben dar. Eine Ausweisung bedeutet daher einen Eingriff in sein Familienleben iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK.

 

3.5.6. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Fremde in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt kann den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen bzw. eine auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt gegründete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können solche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ausnahmsweise auch nach einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (s. VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036). Zuweilen wurde – ausgehend von den zugunsten eines Fremden festgestellten Umständen – diese Rechtsprechung auch auf einen knapp zehn Jahre noch nicht erreichenden Aufenthalt angewendet (vgl. zu einem Aufenthalt von mehr als neuneinhalb Jahren VwGH 09.09.2014, 2013/22/0247). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (s. VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054). Umgekehrt kann auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247).

 

Bei der Beurteilung des Grades der Integration des Fremden ist insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/22/0023).

 

Im gegenständlichen Fall ist der BF unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er hält sich nunmehr seit spätestens März 2022, somit seit etwa zwei Jahren. Wedergleich weder das Gesetz noch die Rechtsprechung eine konkrete Aufenthaltsdauer nennen, welche auf eine Relevanz im Hinblick auf Art. 8 EMRK hindeutet, ist im gegenständlichen Fall darauf hinzuweisen, dass die im vorliegende Aufenthaltsdauer von zwei Jahren zu kurz ist um von einer rechtlich relevanten Integration sprechen zu können. Der BF durfte sich in Österreich bisher auch nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten. Der Asylantrag war zu keinem Zeitpunkt berechtigt.

 

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist und dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0002, mwN). Im Umkehrschluss ist sohin davon auszugehen, dass einer darüber hinausgehenden Aufenthaltsdauer eine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Abwägung zukommen kann. Liegt – wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0498, mwN).

 

Gegenständlich weist der BF aber keine besonderen Integrationsschritte auf. Er besuchte Deutschkurse auf dem Niveau A1 und A2 und verfügt somit bislang lediglich über rudimentäre Deutschkenntnisse. Wenngleich er zwar Freiwilligenarbeit in der Gemeinde seines Wohnortes ausübte, ist auszuführen, dass keine Selbsterhaltungsfähigkeit erreicht hat. Er ist während seines gesamten Aufenthalts auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen. Auch ist er nicht Mitglied in einem Verein. Abgesehen von seinen Kindern und seiner Gattin sind eine besonderen sozialen Kontakte des BF in Österreich hervorgekommen.

 

Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung seiner privaten Interessen im Bundesgebiet ist auch dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste.

 

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen.

 

Zu Lasten des BF ist ferner anzumerken, dass nach wie vor von einer engen Bindung des BF in sein Herkunftsland auszugehen ist, zumal er dort den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat. Er wurde in Gambia sozialisiert und bestritt dort seinen Lebensunterhalt. Er spricht auch eine Landessprache als Muttersprache. Hinzu kommt, dass er nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Schwestern und seines Bruders hat.

 

3.5.7. Den privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Der BF konnte während der kurzen Aufenthaltsdauer zwar kleine Integrationsschritte setzen, es liegen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände vor.

 

3.5.8. Bei Gesamtbetrachtung all der oben behandelten Umstände und der Abwägung dieser im Sinne des § 9 BFA-VG ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet sein persönliches Interesse, nämlich die Aufrechterhaltung des stark ausgeprägten Naheverhältnisses bzw. des Familienlebens zu seiner Gattin und seiner Tochter, am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliegt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin eine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

3.5.9. Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen. Ergibt die Abwägung, dass die privaten und familiären Interessen des Fremden das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung überwiegen, hat diese zu unterbleiben. Zugleich ist auszusprechen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur vorübergehend oder auf Dauer unzulässig ist. Wird Ersteres rechtskräftig festgestellt, ist der Aufenthalt des betreffenden Fremden damit gemäß § 46a Abs 1 Z 4 (iVm Abs 6) FPG geduldet. Kommt es zum Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, ist gemäß § 58 Abs 2 AsylG gegebenenfalls ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu erteilen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224). Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird regelmäßig von einer Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auf Dauer auszugehen sein, wenn familiäre Bindungen zu einer Ankerperson einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen und anzunehmen ist, dass sich diese Ankerperson weiterhin auf Dauer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten wird. Ist das nicht der Fall und kommt der Ankerperson nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu, so liegt dagegen nur eine vorübergehende Unzulässigkeit vor (vgl. VwGH 25.10.2012, 2012/21/0030; 13.12.2018, Ra 2018/18/0260). Anhand der Definition des § 2 Abs. 1 Z 16 AsylG 2005 und des in diesem Sinn inhaltliche Festlegungen vornehmenden § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ergibt sich, dass es sich beim Status des subsidiär Schutzberechtigen (anders als beim Status des Asylberechtigten, der zu einem dauernden Aufenthaltsrecht führen kann; vgl. § 2 Abs. 1 Z 15 und § 3 Abs. 4 AsylG 2005) - um ein dem Fremden von Österreich nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährtes, stets nur vorübergehendes (wenn auch verlängerbares) Einreise- und Aufenthaltsrecht handelt (vgl. VwGH, 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rz 72).

 

Gegenständlich kommt der Gattin und den Kindern des BF eine Aufenthaltsberechtigung nach der Vertriebenenverordnung zu. Die Gattin und die Kinder des BF haben vor, (zusammen mit dem BF) wieder in die Ukraine zurückzukehren, sobald es die Situation zulässt. Ein dauerhafter Aufenthalt der Gattin und der gemeinsamen Tochter ist aktuell somit nicht feststellbar.

 

Aufgrund der oben angeführten Entscheidungen ist spruchgemäß festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung – zur Aufrechterhaltung des Familienlebens - in Bezug auf den Herkunftsstaat, Gambia, vorübergehend unzulässig ist. Bis zu einer Klärung des Aufenthaltes bzw. einer möglichen Rückkehr von der Gattin und der mj. Kinder in ihr Herkunftsland Ukraine, ist der Aufenthalt des BF daher geduldet iSd § 46a Abs. 1 Z 4 FPG.

 

Entsprechend war der angefochtene Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. spruchgemäß stattzugeben und die entsprechenden darauf aufbauenden Spruchpunkte V. und VI. ersatzlos zu beheben waren.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, der Wortlaut der Vertriebenen–VO ist wie dargestellt eindeutig.

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