BVwG L518 2283084-1

BVwGL518 2283084-18.3.2024

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:L518.2283084.1.00

 

Spruch:

L518 2283084-1/16E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des BFA, Außenstelle Wiener Neustadt vom 18.11.2023, ZI. 226944307-231734392, wegen §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz (AsylG 2005) und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.02.2024, zu Recht:

 

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als BF bezeichnet) reiste erstmals im Jahr 1995 aus Armenien aus und stellte 1996 in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Antrag wurde abgewiesen und der BF im Jahr 2000 nach Armenien abgeschoben.

I.2. Am 19.01.2002 reiste der BF erstmalig von Armenien kommend in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde am 27.01.2003 abgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde rechtskräftig mit 12.04.2007 abgewiesen.

I.3. Der BF reiste freiwillig aus dem Bundesgebiet aus und befand sich laut eigenen Angaben von 2007 bis August 2023 in Moskau.

I.4. Am 02.09.2023 reiste der BF neuerlich in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung brachte der BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt vor „Meine Fluchtgründe von meinem Asylantrag von 2002, als ich aus Armenien floh, sind noch dieselben. Ich kann nicht Armenien, da ich einiges von dem Parlamentsattentäter im Jahr 1999, er ist ein Verwandter von mir und heißt Unanyan. Dieser gab mir Beweise die ich für ihn verstecken muss. Sollte ich diese Beweise den Behörden geben, werde ich von jemanden umgebracht. Welche Beweise dies genau sind, sage ich nicht. Mein jetziger Fluchtgrund aus Moskau ist, da Russland auch alle Ausländer die sich in Russland aufhalten in das Kriegsgebiet schicken“.

I.5. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 07.11.2023 vor dem BFA, EAST West, niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er zu den Ausreisegründen befragt vor „Mein jetziger Fluchtgrund aus Moskau ist, da Russland auch alle Ausländer, die sich in Russland aufhalten, in das Kriegsgebiet schicken“. Hinsichtlich Armenien brachte der BF keine Gründe vor, er teilte diesbezüglich nur mit, dass er nicht nach Armenien zurück möchte.

I.6. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurden mit dem gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass eine vorgebrachte Furcht vor Verfolgung nicht festzustellen ist. Zum Zeitpunkt der Ausreise lag keine nachgewiesene, feststellbare, glaubwürdige Gefährdung gegenüber dem BF vor. Es konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr nach Armenien Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe, oder der Todesstrafe, unterworfen zu werden. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass Ihnen im Fall einer Rückkehr in Ihr Heimatland Verfolgung droht. Eine Rückkehr ist Ihnen jedenfalls zumutbar.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar, weshalb Rückehrentscheidung und Abschiebung in Bezug auf Armenien zulässig sind.

I.7. Mit Urteil des BG XXXX vom 22.02.2007, RK 20.11.2023, wurde der BF wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

I.8. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Moniert wurden inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Begründend wurde ausgeführt, dass der BF im Jahr 2019 kurzzeitig wieder in Armenien war und nach ein paar Tagen erfahren hatte, dass er wegen dem Vorfall mit dem Parlamentsattentäter immer noch gesucht werde. Weiters wären die getroffenen Feststellungen in Bezug auf die Länderberichte unvollständig und befassen sich nicht ausreichend mit dem individuellen Vorbringen des BF. Die belangte Behörde beschäftigt sich ausschließlich mit den Gründen des BF für das Verlassen von Russland, was insofern völlig verfehlt ist, als sich die Entscheidung natürlich auf den Herkunftsstaat Armenien bezieht.

Beantragt werde jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung, weiters den angefochtenen Bescheid zu beheben und der bP den Status des Asylberechtigten, in eventu den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückverweisen; in eventu festzustellen, dass die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und der bP daher eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen; in eventu der bP eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

I.9. Mit Eingabe vom 17.01.2024 teilte die rechtsfreundliche Vertretung schriftlich mit, dass sich der BF seit dem 11.01.2023 (gemeint wohl 11.1.2024) in der Justizanstalt Krems aufhält.

I.10. Am 28.02.2023 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, dessen rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines Dolmetschers für die armenische Sprache durchgeführt.

I.11. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den im Spruch genannten Namen, er ist Staatsangehöriger von Armenien, Angehöriger der armenischen Volksgruppe und Christ. Der BF wurde am XXXX in XXXX geboren. Der BF besuchte zehn Jahre lang die Schule und absolvierte danach ein Jahr Berufsschule für Schuhmacher und eine Ausbildung zum Automechaniker. Die Identität des BF1 steht nicht fest.

Der BF ist ledig, hat keine Kinder und bringt vor, von 2007 bis August 2023 in Moskau gelebt zu haben, wo er eine Lebensgefährtin mit dem Namen Natascha gehabt hätte.

Der BF ist gesund und benötigt keine Medikamente.

In XXXX halten sich noch die Mutter und ein Bruder auf. Der BF hat Kontakt zu seinen Verwandten. Der BF bzw. seine Mutter ist noch im Besitz eines Hauses in Jerewan. Zudem halten sich in Jerewan noch Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins auf, es handelt sich um etwa 12 Familienmitglieder.

Der BF reiste erstmals 1995 aus Armenien aus und stellte 1996 in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Antrag wurde abgewiesen und der BF im Jahr 2000 nach Armenien abgeschoben. Am 19.01.2022 reiste der BF erstmals in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 27.01.2003 abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde am 12.04.2007 abgewiesen. Die damals genannten Ausreisegründe wurden vom BF beim gegenständlichen Antrag abermals vorgebracht.

Der BF wurde strafrechtlich verurteilt (Urteil des BG XXXX vom 22.02.2007, RK 20.11.2023, wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat). Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Der BF gehörte keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat vor der Ausreise keine Schwierigkeiten mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor der Ausreise Schwierigkeiten aufgrund seines religiösen Bekenntnisses bzw. ethnischen Zugehörigkeit zu gewärtigen hatte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Jahr 1999 vom Parlamentsattentäter UNANYAN Beweismittel erhielt und bis dato verborgen hält. Auch kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Jahr 2019 in Armenien war. Nicht festgestellt werden kann weiters, dass der BF von 2007 bis 2023 in Russland lebte. Der BF hat in Russland keinen Einberufungsbefehl erhalten, es besteht kein Haftbefehl gegen ihn.

Der BF verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft.

Der BF hält sich seit 02.09.2023 erneut in Österreich auf und bezieht Grundversorgung. Er hat im Bundesgebiet keine Verwandten und ist für niemanden sorgepflichtig. Er besucht einen Deutschkurs, Prüfungen wurden noch nicht absolviert. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er hat keine österreichischen Freunde, Einstellungszusagen und Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt.

Der BF war zu folgenden Zeiten im Bundesgebiet inhaftiert: 17.05.2002 – 17.07.2002 JA Wien Josefstadt, 09.08.2002 – 06.06.2003 JA Krems, 07.12.2004. – 17.12.2004 JA Wiener Neustadt, 17.12.2004. – 03.02.2005 JA Hirtenberg und 08.02.2005 – 03.01.2006 JA Innsbruck.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF. Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Armenien droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

 

II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt. Zur aktuellen Lage in Armenien werden folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung 2023-10-10 11:59

Sofern nicht anders angegeben, schließen die Themenbereiche der Länderinformationen zu Armenien die Situation in der separatistischen Entität Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, nicht ein. Dazu darf bemerkt werden, dass durch die jüngsten Ereignisse im Sept. 2023 (Exodus des größten Teils der dort ansässigen Bevölkerung aus Bergkarabach nach Armenien aufgrund des Einmarsches aserbaidschanischer Truppen) diese Region auch bekannt als selbst ernannte Republik Arzach mit Jänner 2024 aufgelöst werden soll.

Armenien wird in Österreich laut Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV) derzeit als sicherer Herkunftsstaat geführt. Vom länderkundlichen Standpunkt aus geben die jüngsten Aktualisierungen der Länderinformationen zu Armenien keinen Anlass zur Änderung der länderkundlichen Einschätzung zur Eigenschaft als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der HStV.

COVID-19

Letzte Änderung 2023-10-10 12:00

Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

In Armenien wurden fast alle COVID-bezogenen Beschränkungen aufgehoben (WKO 26.5.2022).

Seit Anfang März 2022 ist die Maskenpflicht in allen Innenbereichen (mit Ausnahme von medizinischem Personal in Krankenhäusern sowie in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und in Taxis) aufgehoben. Seit 1.Mai 2022 besteht keine 3-G-Nachweispflicht mehr. Für die Einreise nach Armenien besteht seit 1. Mai 2022 ebenfalls keine 3-G-Nachweispflicht (WKO 26.5.2022).

Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO 26.5.2022).

Politische Lage

Letzte Änderung 2023-10-10 12:00

Die armenische Verfassung sieht eine parlamentarische Republik mit einer Einkammer-Legislative, der Nationalversammlung (Parlament), vor. Der vom Parlament gewählte Premierminister steht an der Spitze der Regierung; der ebenfalls vom Parlament gewählte Präsident hat weitgehend eine zeremonielle Funktion (USDOS 20.3.2023).

Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine Amtszeit von fünf Jahren nach einem neu eingeführten Verhältniswahlsystem mit geschlossenen Listen gewählt werden, wodurch das frühere zweistufige Verhältniswahlsystem vereinfacht wird. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und es können weitere Sitze hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 10.3.2023).

Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.2021 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 % der Stimmen gewonnen (BAMF 28.6.2021; vgl EurasiaNet 21.6.2021, USDOS 20.3.2023, FH 10.3.2023). Die neue Regierung unter Pashinjan hat sich verpflichtet, seit Langem bestehende Probleme wie systemische Korruption, undurchsichtige Politikgestaltung, ein fehlerhaftes Wahlsystem und schwache Rechtsstaatlichkeit anzugehen (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 20.3.2023, BAMF 16.8.2021).

Im April 2021 änderte das Parlament die bestehenden Wahlgesetze, um den Empfehlungen der Venedig-Kommission und des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der OSZE Rechnung zu tragen. Die vorgezogenen Wahlen im Juni 2021 wurden erfolgreich nach dem reformierten System durchgeführt, bei dem die territorialen Listen abgeschafft und das bestehende Wahlsystem vereinfacht wurde. Die Änderungen fanden breite Unterstützung bei den politischen Kräften und der Zivilgesellschaft; weitere Reformen wurden im Mai 2021 verabschiedet und sollen 2022 in Kraft treten (FH 10.3.2023).

Im April 2021 nahm das Parlament Änderungen an, die härtere Strafen für Stimmenkauf, Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen und die Störung des Wahlprozesses vorsehen und die Behinderung von Wahlkampfaktivitäten unter Strafe stellen (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 12.4.2022). Obwohl bei den Wahlen 2021 ein Rückgang solcher Praktiken zu verzeichnen war, berichteten internationale Beobachter über angebliche Wahlstörungen, darunter vereinzelte Vorfälle von Stimmenkauf und Missbrauch von Verwaltungsmitteln (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023).

In der armenischen Hauptstadt Jerewan kam es nach der schnellen Kapitulation der politischen Führung Berg-Karabachs [Anm.: nach dem dortigen Einmarsch aserbaidschanischer Truppen im September 2023] zu massiven Protesten, Zusammenstößen mit der Polizei und zahlreichen Verhaftungen. Tausende Demonstrierende verlangten den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinjan. Sie warfen ihm Verrat sowie Nachgiebigkeit gegenüber Aserbaidschan vor und forderten die Wiederaufnahme der militärischen Unterstützung von Berg-Karabach. Oppositionsvertretende erklärten, sie prüften im Parlament die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (AA 25.9.2023).

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2023-10-10 15:10

Am 19.09.23 hat Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region Berg-Karabach gestartet. Nur einen Tag später ergaben sich die Karabach-Armenier (AA 25.9.2023). Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aserbaidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Paschinjan machte Moskau deshalb Vorwürfe. Russland warf Jerewan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen "großen Fehler" zu begehen (derStandard 28.9.2023).

In der armenischen Hauptstadt Jerewan kam es nach der schnellen Kapitulation der politischen Führung Berg-Karabachs zu massiven Protesten, Zusammenstößen mit der Polizei und zahlreichen Verhaftungen. Tausende Demonstrierende verlangten den Rücktritt von Ministerpräsident Paschinjan. Sie warfen ihm Verrat sowie Nachgiebigkeit gegenüber Aserbaidschan vor und forderten die Wiederaufnahme der militärischen Unterstützung von Berg-Karabach. Oppositionsvertretende erklärten, sie prüften im Parlament die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (AA 25.9.2023).

Viele Armenierinnen und Armenier werfen der traditionellen Schutzmacht Russland, die seit dem sechswöchigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 eine Friedenstruppe mit rd. 2.000 Soldaten vor Ort stationiert hat, vor, sie im Stich gelassen zu haben. Armenien ist militärisch betrachtet Aserbaidschan eindeutig unterlegen und kann nicht mehr auf die Unterstützung der russischen Führung bauen (AA 25.9.2023; vgl. DW 21.9.2023)).

Nach der Massenflucht der Armenierinnen und Armenier aus Berg-Karabach kamen die meisten Menschen in der armenischen Grenzstadt Goris an. Die Flüchtlinge besitzen in der Regel bereits auch die armenische Staatsangehörigkeit oder können sie nun problemlos beantragen. Berichten zufolge wollen viele Flüchtlinge versuchen, zunächst in der Hauptstadt Jerewan unterzukommen. Armenien mit seinen rd. drei Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern befindet sich in einer schweren innen- und außenpolitischen Krise, die durch die Flüchtlinge und die angespannte wirtschaftliche Situation verschärft wird. UN-Generalsekretär Guterres kündigte unterdessen eine UN-Mission in Berg-Karabach an, was laut Beobachtenden jedoch zu spät komme und an der völkerrechtswidrigen Vertreibung der armenischen Bevölkerung nichts mehr ändern könne. Armenien ist dringend auf Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Auch gibt es in Armenien ernsthafte Befürchtungen, dass Aserbaidschan unter Umständen als nächstes Ziel die territoriale Integrität Armeniens infrage stellen könnte, um sich durch den Süden Armeniens einen Landweg bzw. Korridor in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan zu schaffen (AA 9.10.2023).

Regionale Konfliktzone: Bergkarabach (Berg-Karabach)

Letzte Änderung 2023-10-10 17:46

Sicherheitslage

Am 19.09.2023 hatte Aserbaidschan eine Militäroperation zur Eroberung der Region Berg-Karabach gestartet (AA 9.10.2023; vgl. AA 25.9.2023, derStandard 19.9.2023). Nur einen Tag später ergaben sich die Karabach-Armenier (AA 9.10.2023; vgl. AA 25.9.2023). Das Ende der Kämpfe in Berg-Karabach hat in Armenien eine politische Krise ausgelöst. Die Behörden der nicht anerkannten Republik Berg-Karabach gaben bekannt, dass sie eine Einigung über einen vollständigen Waffenstillstand in der Region erzielt hätten. Durch Vermittlung der dort stationierten russischen Truppen wurde vereinbart, dass das armenische Militär aus dem Einsatzgebiet des russischen Friedenskontingents abgezogen und die Formationen der "Verteidigungsarmee von Berg-Karabach" aufgelöst und vollständig entwaffnet werden. Auch schwere militärische Ausrüstung und Waffen sollen aus dem Gebiet abgezogen werden (DW 21.9.2023). Am 21.09.2023 wurde die Auflösung der selbst ernannten Republik Berg-Karabach, die nahezu ausschließlich von Armenierinnen und Armeniern bewohnt war, zum 01.01.2024 angekündigt. Völkerrechtlich betrachtet ist Berg-Karabach ein Teilgebiet Aserbaidschans (AA 9.10.2023; vgl. der Standard 28.9.2023, Zeit online 28.9.2023).

Während der kurzen Kämpfe starben armenischen Angaben zufolge mehr als 200 Menschen, rd. 400 weitere wurden demnach verletzt. Bereits im Dezember 2022 hatte Aserbaidschan die einzige Verbindungsstraße von Armenien nach Berg-Karabach, den sogenannten Latschin-Korridor, blockiert und seit Juli 2023 auch keine humanitäre Hilfe erlaubt, wodurch es zu einer schwerwiegenden Krise in Bezug auf die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten in Berg-Karabach gekommen ist (AA 25.9.2023).

Nach der Militäroffensive Aserbaidschans haben offiziell 100.514 Armenierinnen und Armenier ihre Heimat in Berg-Karabach verlassen und damit nahezu die gesamte Bevölkerung der Region. Anscheinend war die geschätzte Zahl von 120.000 Menschen in Berg-Karabach zu hoch angesetzt, da bereits während des sechswöchigen Krieges im Herbst 2020 viele Armenierinnen und Armenier aus Berg-Karabach in die Republik Armenien geflohen und nicht alle danach wieder zurückgekehrt waren (AA 9.10.2023).

Seit dem erzwungenen Waffenstillstand warf Armenien Aserbaidschan vor, eine ethnische Säuberung in der Region zu planen bzw. durchzuführen (Zeit online 28.9.2023; vgl. derStandard 28.9.2023).

Nachdem die volle Kontrolle über das Gebiet von Berg-Karabach gewonnen wurde, geht die aserbaidschanische Regierung, Medienberichten zufolge, nun gegen Vertretende der dortigen bisherigen Autoritäten der international nicht anerkannten und sich zum 01.01.2024 auflösenden „Republik Arzach“ vor. Den Festgenommenen werde Terrorismus, Finanzierung von Terrorismus, Gründung bewaffneter Gruppen und von Gruppen, die in der Gesetzgebung nicht vorgesehen sind, vorgeworfen. Anderen führenden Vertretenden der Autoritäten von Berg-Karabach sei die Ausreise nach Armenien über den offiziellen Checkpoint hingegen gewährt worden, darunter dem ehemaligen Staatsminister (AA 9.10.2023).

Die aserbaidschanische Regierung habe erklärt, sie beabsichtige, Kämpfern aus Berg-Karabach grundsätzlich Amnestie zu gewähren, aber diejenigen zu verhaften, welche Kriegsverbrechen begangen hätten. Wie weiter mit Verweis auf armenische Medien berichtet wurde, sollen die aserbaidschanischen Behörden nach dem 19.09.2023 eine Liste von Vertretenden der „Republik Arzach“ erstellt haben, deren Auslieferung sie fordern (AA 9.10.2023).

Fast zwei Wochen nach dem Großangriff Aserbaidschans auf Bergkarabach ist eine UN-Mission in der mittlerweile nahezu menschenleeren Kaukasusregion eingetroffen. Die UN-Mission war in Karabach angekommen, um vor allem den humanitären Bedarf einzuschätzen. Es ist die erste UN-Mission für Bergkarabach seit über 30 Jahren. Inzwischen haben jedoch nahezu alle der geschätzt 120.000 armenischen Einwohner die Region fluchtartig aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen Aserbaidschans in Richtung Armenien verlassen. Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es lebten dort bisher aber überwiegend ethnische Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem Referendum für unabhängig erklärt. Dieses wurde international nicht anerkannt und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottiert (VN o.D.)

Historischer Rückblick:

Die Republik Berg-Karabach, die sich auch Republik Artsakh nannte, war seit einem Waffenstillstandsabkommen von 1994, das einen etwa zweijährigen offenen Krieg beendete, de facto von Aserbaidschan unabhängig, obwohl ihre Unabhängigkeit von keinem UN-Mitgliedstaat anerkannt wurde. Die Bevölkerung des Gebiets bestand zum größten Teil aus ethnischen Armeniern und war aufgrund ihrer geografischen und diplomatischen Isolation auf enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Armenien angewiesen. Ein Drittel von Berg-Karabach und einige angrenzende Gebiete wurden 2020 im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens, das einen wochenlangen Konflikt beendete, unter aserbaidschanische Kontrolle gestellt. Die Zivilbevölkerung war zuweilen der Gefahr von Gewalt durch aserbaidschanische Militäroperationen ausgesetzt (FH 2023 - Nagorno-Karabakh).

Armenien erkannte die „Republik Bergkarabach“ offiziell nicht an, praktisch waren beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Bergkarabach erhielten - neben ihrem „RBK“-Pass - armenische Pässe. In Eriwan gibt es eine bergkarabachische Vertretung, und auf armenischen Landkarten erscheint die „RBK“ - einschließlich der besetzten Gebiete - als unabhängiger Staat. Die „Republik Bergkarabach“ hatte einen eigenen Verteidigungsminister und eine Armee, die aber sicherheits-politisch eng mit den armenischen Streitkräften zusammenarbeitete. Sie verfügte über eigene quasi-staatliche Strukturen. Zum Teil galten eigene Gesetze, zum Teil wurden die armenischen Gesetze angewendet. Die eigenständigen Verwaltungsstrukturen waren eng an die Armeniens gebunden. Von der „RBK“ ausgestellte Pässe sind äußerlich nur anhand der dreistelligen Kennziffer des Ausstellungsortes von armenischen Pässen zu unterscheiden. „Amtssprache“ war armenisch; die „Währung“ war der armenische Dram (AA 25.7.2022).

Der zwischen Armenien, der sog. „RBK“ und Aserbaidschan geschlossene Waffenstillstand von 1994 war immer wieder – mit unterschiedlicher Intensität – gebrochen worden. Bis zum Tag des Ausbruchs des zweiten Berg-Karabach-Kriegs am 27. September 2020 hatte die „RBK“ das in Aserbaidschan früher als Autonome Region Bergkarabach verwaltete Gebiet sowie weitere sieben Provinzen Aserbaidschans in den Grenzgebieten zu Armenien und Iran und in der Region um Agdam kontrolliert (AA 25.7.2022). Es gab glaubwürdige Berichte, dass ethnische armenische und aserbaidschanische Streitkräfte während und in einigen Fällen nach den Kämpfen im November 2020 rechtswidrige Tötungen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen vornahmen (USDOS 12.4.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Mit Ende des Krieges (9. November 2020) hatte Armenien alle bis 1994 von Aserbaidschan eroberten Gebiete sowie ca. 40 % der „RBK“ an Aserbaidschan verloren. Gemäß einem zwischen Russland, Aserbaidschan und Armenien am 9. November 2020 geschlossenen Waffenstillstand hatte Russland entlang der Frontlinie in der „RBK“ mit mittelschweren Waffen ausgerüstete Friedenstruppen stationiert. Des Weiteren waren russische Friedenstruppen zu dessen Sicherung im Latschin-Korridor stationiert, der die Republik Armenien mit der „RBK“ verband (AA 25.7.2022).

Die Sicherheitslage an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze blieb mit häufigen Gefechten angespannt (AI 27.3.2023). Nach intensiven Kämpfen zwischen aserbaidschanischen und armenischen Streitkräften Mitte September 2022 gab es glaubwürdige Berichte über rechtswidrige Tötungen, bei denen armenische Soldaten in aserbaidschanischem Gewahrsam im Schnellverfahren hingerichtet wurden. Ebenso gab es Berichte, dass aserbaidschanische Streitkräfte medizinische Rettungsfahrzeuge und andere für die Zivilbevölkerung benötigte Gegenstände beschossen (USDOS 20.3.2023).

Seit dem 12.12.2022 war der Zugang von Armenien zur fast ausschließlich armenisch besiedelten Exklave Bergkarabach, die völkerrechtlich betrachtet zu Aserbaidschan gehört, gesperrt. Mit der Blockade sollte der Druck auf Armenien erhöht werden, mit Aserbaidschan ein Friedensabkommen zu unterzeichnen, das den Forderungen der aserbaidschanischen Führung entgegenkommt. Auch die als Garanten der Sicherheit der Berg-Karabach-Armenier stationierten russischen Friedenstruppen konnten oder wollten die Blockade nicht verhindern. Infolge der Blockade des Latschin-Korridors waren rd. 120.000 Menschen in Berg-Karabach von Armenien abgeschnitten und die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und teilweise auch Energie unterbrochen (BAMF 16.1.2023; vgl. derStandard 23.8.2023, t-online 31.7.2023).

Justizwesen/Rechtsschutz

Letzte Änderung 2023-10-10 12:02

Obwohl das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsieht, wurde diese aufgrund ihrer Geschichte von Korruption und politischer Einflussnahme, ihres Widerstands gegen Reformen und der jüngsten öffentlichkeitswirksamen Skandale nicht als unabhängig oder unparteiisch angesehen. Es gab unbestätigte Berichte über Versuche der Regierung, Richter zu beeinflussen. Die hohe Zahl der Fälle, das mangelnde Vertrauen der Öffentlichkeit und der Vorwurf des Drucks durch die Regierung hielten Fachleute davon ab, sich auf Richterstellen zu bewerben (USDOS 20.3.2023). Richter fühlen sich Berichten zufolge unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig. Die Behörden wenden das Recht selektiv an, und ein ordnungsgemäßes Verfahren ist weder in Zivil- noch in Strafsachen gewährleistet (FH 10.3.2023).

Das zivil- und strafrechtliche Gerichtssystem besteht aus drei Instanzen; daneben existieren eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verfassungsgericht. Die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis hat sich seit Mitte 2018 verbessert. Die Regierung treibt eine Justizreform mit dem Ziel größerer Effizienz der Justiz voran, die allerdings seit 2020 ins Stocken geraten ist. Kollektivhaft (z. B. innerhalb der Familie) gibt es in Armenien nicht (AA 25.7.2022). Die Regierung veröffentlichte 2019 eine auf fünf Jahre angelegte Strategie zur Reform der Justiz; die Reformen wurden 2022 fortgesetzt, kamen jedoch nur langsam voran (FH 10.3.2023).

Beobachter stellten fest, dass die Bestechung von Richtern zwar kein weitverbreitetes Problem mehr sei, dass aber Verteidiger von ihren Mandanten Geld erpressten, indem sie behaupteten, es sei für die Bestechung eines Richters bestimmt, wodurch das Vertrauen in das System untergraben wurde (USDOS 20.3.2023).

Am 6. Juli nahm das Parlament Änderungen am Gerichtsgesetzbuch an, die Disziplinarverfahren gegen Richter ermöglichen, die über Fälle entschieden haben, in denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu irgendeinem Zeitpunkt während des Verfahrens Menschenrechtsverletzungen festgestellt hat (USDOS 20.3.2023).

Die Bürger hatten auch die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Rechtsakten, die ihre Grundrechte und -freiheiten verletzten, vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Bürger, die den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben, können bei angeblichen Verstößen der Regierung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention den EGMR anrufen (USDOS 20.3.2023). Die Regierung hielt sich im Allgemeinen an die vom EGMR ausgesprochenen Entschädigungszahlungen (USDOS 12.4.2022).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sehen das Recht jeder Person vor, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Bei der Prüfung der Festnahme muss das Gericht auch die Rechtmäßigkeit der Verhaftung prüfen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Polizei die Festgenommenen über die Gründe für ihre Festnahme sowie über ihr Recht zu schweigen, einen Rechtsbeistand zu haben und einer Person ihrer Wahl ihren Aufenthaltsort mitzuteilen, informieren muss. Eine Kaution war eine legale Option (USDOS 20.3.2023).

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Justiz setzte dieses Recht nicht durch. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung vor, aber Verdächtige kamen in der Regel nicht in den Genuss dieses Rechts. Die Pflichtverteidiger waren überlastet. Das Gesetz sieht vor, dass Angeklagte Zeugen zur Rede stellen, Beweise vorlegen und die Argumente im Vorfeld eines Prozesses prüfen können, doch hatten Angeklagte und ihre Anwälte kaum die Möglichkeit, den Zeugen oder der Polizei zu widersprechen, während die Gerichte dazu neigten, das Material der Staatsanwaltschaft routinemäßig zu akzeptieren (USDOS 20.3.203).

Menschenrechtsanwälten zufolge wurde weiterhin in erheblichem Umfang von der Untersuchungshaft Gebrauch gemacht, wobei die Verdächtigen die Beweislast dafür tragen, dass sie keine Fluchtgefahr darstellen oder die Ermittlungen nicht behindern. Mit der neuen Strafprozessordnung wurden auch neue Präventivmaßnahmen wie Hausarrest und Verwaltungsaufsicht eingeführt, die die Inanspruchnahme der Untersuchungshaft möglicherweise verringern könnten (USDOS 20.3.2023).

Die lange Untersuchungshaft blieb ebenso ein Problem (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023). Einige Beobachter sahen in der übermäßig langen Untersuchungshaft ein Mittel, um Angeklagte zu einem Geständnis oder zur Offenlegung selbstbelastender Beweise zu bewegen. Mit der neuen Strafprozessordnung wurden strenge Beschränkungen für die Dauer der Untersuchungshaft und die Dauer der Ermittlungen eingeführt. Nach der neuen Strafprozessordnung darf die Höchstdauer der Untersuchungshaft die in dem angeklagten Artikel vorgesehene Freiheitsstrafe nicht überschreiten (USDOS 20.3.2023).

Die Behörden setzten Gerichtsbeschlüsse im Allgemeinen durch (USDOS 12.4.2022). Der Partnerschaftsrat der EU bekräftigte das gemeinsame Bekenntnis der EU und Armeniens zu den Menschenrechten, den Grundfreiheiten, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratischen Grundsätzen. Der Partnerschaftsrat begrüßte die bisherigen Erfolge bei der Umsetzung der nationalen Strategie Armeniens für Justiz- und Rechtsreformen, räumte jedoch ein, dass nach wie Herausforderungen bestünden (EU - Rat der EU 18.5.2022).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung 2023-10-10 12:03

Die nationale Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst für die nationale Sicherheit, nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Grenzkontrolle verantwortlich ist (CIA 26.9.2023; vgl. AA 25.7.2022). Seit dem 30. Dezember ist der Polizeichef dem Innenminister unterstellt, der wiederum direkt dem Premierminister untersteht. Der Innenminister wird vom Präsidenten auf Vorschlag des Premierministers ernannt. Der Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes ist ebenfalls direkt dem Premierminister unterstellt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 25.7.2022). Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Es gab Berichte, wonach Angehörige der Sicherheitskräfte einige Missbräuche begangen haben (USDOS 20.3.2023).

Polizei und Nationaler Sicherheitsdienst (NSD) sind direkt der Regierung unterstellt. Ein Innenministerium gibt es nicht. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Hin und wieder treten aber Kompetenzstreitigkeiten auf, z. B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 25.7.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung 2023-10-10 12:21

Die Verfassung und das Gesetz verbieten derartige Praktiken. Dennoch gab es Berichte, dass Angehörige der Sicherheitskräfte weiterhin Personen in ihrem Gewahrsam folterten oder anderweitig misshandelten. Menschenrechtsanwälten zufolge definiert das Strafgesetzbuch zwar Folter und stellt sie unter Strafe, nicht aber andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (USDOS 20.3.2023).

Es gibt keine systematischen Folterungen (AA 25.7.2022). Gleichwohl ist bekannt, dass festgenommene Personen in Polizeistationen mitunter geschlagen wurden (AA 25.7.2022; vgl. FH 10.3.2023, USDOS 20.3.2023). Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 25.7.2022). Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die fehlende Rechenschaftspflicht für alte und neue Fälle von Missbrauch durch die Strafverfolgungsbehörden weiterhin zum Fortbestehen des Problems beiträgt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 20.6.2021).

Mit der Auflösung des Sonderermittlungsdienstes (SIS) im Jahr 2021 wurde die Untersuchung von Folterfällen zunächst auf den Nationalen Sicherheitsdienst (NSS), den Internationalen Strafgerichtshof und den neu geschaffenen Antikorruptionsausschuss umverteilt. Mit der Inkraftsetzung einer neuen Strafprozessordnung am 1. Juli wurde die Zuständigkeit für die Untersuchung von Folterstrafsachen auf den Untersuchungsausschuss übertragen, aber die Funktion der Voruntersuchung von Straftaten (einschließlich Folter), die von Ermittlern des Untersuchungsausschusses begangen wurden, wurde dem NSS übertragen (USDOS 20.3.2023).

Die Strafverfolgungsbehörden verließen sich weiterhin auf Geständnisse und Informationen, die sie bei Verhören erhalten hatten, um Verurteilungen zu erreichen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten waren die verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie die Unzulässigkeit von durch Gewalt oder Verfahrensverstöße erlangten Beweisen, unzureichend, ebenso wie das in den Polizeistationen installierte Videoüberwachungssystem (USDOS 20.3.2023).

Folter und Misshandlung im Gewahrsam halten an und werden häufig ungestraft verübt. Selbst wenn strafrechtliche Ermittlungen aufgrund von Foltervorwürfen eingeleitet werden, werden sie meist mit der Begründung eingestellt, dass keine Straftat begangen wurde, oder sie werden eingestellt, weil ein Verdächtiger nicht identifiziert werden konnte. Sieben Jahre, nachdem Folter in Armenien zu einem spezifischen Straftatbestand wurde, fällte ein Gericht im März sein erstes Urteil zu solchen Vorwürfen und verurteilte einen ehemaligen Gefängnisbeamten zu sieben Jahren und sechs Monaten. Zuvor mussten sich Beamte, die wegen körperlicher Misshandlung zur Rechenschaft gezogen wurden, mit dem allgemeinen Straftatbestand des "Amtsmissbrauchs" auseinandersetzen (HRW 12.1.2023).

Zur Bekämpfung der Folter veranstaltete die Regierung im Laufe des Jahres gezielte Schulungen für Richter, Staatsanwälte, Ermittler, militärisches Führungspersonal, Militärpolizei, Polizei und Gefängnispersonal (USDOS 12.4.2022).

Am 25. Mai [2021] veröffentlichte das Komitee des Europarats zur Verhütung von Folter (CPT) einen Bericht über seinen letzten regelmäßigen Besuch im Land im Dezember 2019. Das CPT stellte fest, dass die große Mehrheit der von seiner Delegation befragten Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder kürzlich befunden hatten, angaben, dass sie angemessen behandelt worden waren (USDOS 12.4.2022).

Korruption

Letzte Änderung 2023-10-10 12:54

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen bei behördlicher Korruption vor (USDOS 20.3.2023). Das Land hat ein Erbe von systemischer Korruption in vielen Bereichen (USDOS 12.4.2022). Die Behörden ergriffen Maßnahmen zur Stärkung des institutionellen Rahmens für die Korruptionsbekämpfung, einschließlich der Schaffung des rechtlichen Rahmens für den Antikorruptionsgerichtshof, der als Spezialgericht für Korruptionsfälle dienen soll. Der Antikorruptionsausschuss, der als Hauptuntersuchungsorgan für Korruptionsfälle dient, nahm im Laufe des Jahres seine Tätigkeit auf (USDOS 20.3.2023).

Im April 2020 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Möglichkeiten der Staatsanwälte erweitert, korrupte Handlungen ehemaliger Beamter zu untersuchen. Nach dem neuen Gesetz können Staatsanwälte leichter die Beschlagnahme unrechtmäßig erworbener Vermögenswerte beantragen, wenn deren Status vor Gericht bewiesen wird, und sie dürfen Taten untersuchen, die zehn Jahre zurückliegen (FH 3.3.2021). Im November 2022 traten der neue Anti-Korruptionsgerichtshof und die Anti-Korruptionskammer des Kassationsgerichtshofs in Kraft, nachdem die beiden Gremien im April 2021 per Gesetz geschaffen worden waren. Im August 2022 leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren zur Wiedererlangung gestohlener Vermögenswerte von angeblich korrupten ehemaligen Beamten des vorrevolutionären Regimes ein (FH 10.3.2023).

Die Korruption ist nach den politischen Ereignissen im Jahr 2018 deutlich zurückgegangen. Die Regierung unternimmt Schritte zur Beseitigung von oligarchischen Strukturen und Hindernissen. Im November 2019 wurde vom Parlament eine neue Kommission zur Vorbeugung von Korruption gewählt. Die Regierung hat im Jahr 2021 eine Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsbekämpfung eingerichtet (AA 25.7.2022).

Das Gesetz verlangt von hochrangigen Beamten und ihren Familien, jährliche Vermögenserklärungen abzugeben, die teilweise im Internet öffentlich zugänglich waren. Die Kommission zur Verhinderung von Korruption (CPC), die im November 2019 die Ethikkommission für hochrangige Beamte ersetzt hat, führt die Analyse der Vermögenserklärung durch (USDOS 30.3.2021).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International für das Jahr 2022 belegte Armenien Rang 63 von 180 bewerteten Ländern (TI 2023). Im Vergleich zu 2021: Platz 58 (TI 1.2022).

NGOs und Menschrechtsaktvisten

Letzte Änderung 2023-10-10 12:54

Die meisten inländischen und internationalen Menschenrechtsgruppen arbeiteten im Allgemeinen ohne staatliche Einschränkungen und konnten ihre Erkenntnisse über Menschenrechtsfälle frei untersuchen und veröffentlichen (USDOS 20.3.2023). Während einige Regierungsbeamte mit ihnen kooperierten und auf ihre Ansichten eingingen, berichteten zivilgesellschaftliche Organisationen, dass es nur wenige Treffen mit Regierungsbeamten (sowohl online als auch persönlich) gab und dass die Regierung die Ansichten von NGO-Sachverständigen in mehreren wichtigen Bereichen, wie etwa der Rede- und Pressefreiheit, ignorierte oder nicht einholte. In anderen Bereichen, wie z. B. bei den Reformen zur Förderung einer unparteiischen, unabhängigen Justiz, sammelte die Regierung Berichte und Empfehlungen der Zivilgesellschaft, aber es war unklar, inwieweit die Empfehlungen berücksichtigt wurden (USDOS 12.4.2022).

Die Regierung unternahm nichts, um zivilgesellschaftliche Organisationen vor Desinformation oder Drohungen zu schützen, einschließlich Drohungen, einzelnen Aktivisten zu schaden (USDOS 20.3.2023). Ein Trend, der im Jahr 2020 einsetzte, führte dazu, dass Akademiker und andere Meinungsführer, einschließlich derjenigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, aufgrund von Hasskampagnen, die von nationalistischen Gruppen und Personen, die der Opposition und Russland nahestehen, angezettelt wurden, zögerten, ihre Meinung öffentlich zu äußern, insbesondere online. Infolgedessen nahm der konstruktive Diskurs über Menschenrechte allgemein ab. Die Regierung verfolgte keine Aufrufe zur Schädigung zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen der 2020 verabschiedeten Gesetzgebung, die öffentliche Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellt (USDOS 20.3.2023).

In Armenien sind zahlreiche NGOs tätig, die meisten von ihnen haben ihren Sitz in Eriwan. Diese NGOs verfügen nicht über nennenswerte lokale Finanzmittel und sind häufig auf ausländische Geber angewiesen (FH 10.3.2023).

Die Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen ist nach der „Samtenen Revolution“ 2018 wirksamer geworden. Die Regierung Pashinyan bezieht die NGOs in die Entscheidungsprozesse mit ein, auch wenn sich einige NGOs, z. B. im Umweltbereich, eine noch stärkere Wahrnehmung wünschen. Angehörige von NGOs werden seit den Wahlen im Dezember 2018 in größerer Zahl zu Abgeordneten gewählt (AA 25.7.2022).

Ombudsperson

Letzte Änderung 2023-10-10 12:55

Das Amt des Menschenrechtsverteidigers (die Ombudsperson) hat den Auftrag, die Menschenrechte und Grundfreiheiten auf allen Ebenen der Regierung vor Missbrauch zu schützen. Das Büro arbeitete unabhängig und fungierte als wirksamer Anwalt in Einzelfällen (USDOS 20.3.2023). Das Büro lehnte es jedoch ab, einige Fälle im Zusammenhang mit LGBTQI+ Personen zu übernehmen (USDOS 12.4.2022).

Die vom Parlament gewählte und als unabhängige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson für Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Die Kompetenzen der Ombudsperson wurden im Jahr 2016 durch ein eigenes Gesetz erweitert (AA 25.7.2022).

Die Ombudsperson kann Empfehlungen aussprechen, hat aber nicht die Befugnis, diese durchzusetzen (USDOS 2.6.2022).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung 2023-10-10 12:57

Männer armenischer Staatsangehörigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate) (AA 25.7.2022; vgl. CIA 26.9.2023). Die Einberufung von Wehrdienstleistenden erfolgt jeweils im Frühjahr und im Herbst. Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. Bei der Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (z. B. pflegebedürftige Eltern, zwei oder mehr Kinder) muss bei Wegfall der Gründe der Betreffende bis zum 27. Lebensjahr noch einrücken. Wenn die Gründe nach dem 27. Lebensjahr noch bestehen, ist eine Einrückung in Friedenszeiten nicht mehr vorgesehen. Derjenige muss sich allerdings als Reservist zur Verfügung stellen (bis zum 50. Lebensjahr. CIA 26.9.2023). Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA 25.7.2022).

Der vertragliche Wehrdienst beträgt 3-12 Monate oder 3 oder 5 Jahre; Männer unter 36 Jahren, die noch nicht als Vertragsbedienstete gedient haben und in der Reserve registriert sind, sowie Frauen, unabhängig davon, ob sie in der Reserve registriert sind, können zum vertraglichen Wehrdienst gemeldet werden (CIA 26.9.2023).

Männliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, müssen sie zur Musterung nach Armenien zurückkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Rückkehr ins Ausland erfolgen (AA 25.7.2022).

Mit der Ende 2017 erfolgten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes bietet das armenische Verteidigungsministerium im Rahmen des Konzepts „Armee-Nation“ zwei neue flexible Optionen für den Wehrdienst. Das Programm „Jawohl“ ermöglicht den Rekruten einen flexiblen Wehrdienst von insgesamt drei Jahren mit mehrmonatigen Unterbrechungen. Im Anschluss erhalten die Rekruten ca. 9.000 Euro für eine Existenzgründung sowie einen Wohnungskredit. Diese Regelung ist seit Dezember 2017 in Kraft. Das Programm „Es ist mir eine Ehre“ erlaubt Hochschulstudenten das Studium abzuschließen und erst dann als Offizier ihren Wehrdienst abzuleisten. Im Laufe des Studiums werden für diese Studenten Pflichtveranstaltungen im Militärinstitut organisiert. Diese Regelung trat im Mai 2018 in Kraft (AA 25.7.2022).

Laut Auskunft eines lokalen Anwaltes verleiht ein Aufenthaltsstatus im Ausland der betroffenen Person keine Privilegien in Bezug auf die Befreiung vom Militärdienst (VP 6.2.2020).

Nichtregierungsorganisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, äußerten weiterhin ihre Besorgnis über Todesfälle in der Armee, die nicht auf Kampfhandlungen zurückzuführen waren, und über das Versäumnis der Strafverfolgungsbehörden, glaubwürdige Untersuchungen dieser Todesfälle durchzuführen. Nach Ansicht von Organisationen der Zivilgesellschaft und Familienangehörigen der Opfer hat die Praxis, viele Todesfälle außerhalb von Kampfhandlungen zu Beginn der Ermittlungen als Selbstmord einzustufen, die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Missbräuche aufgedeckt und untersucht werden (USDOS 20.3.2023).

Obwohl in der armenischen Rechtsordnung Homosexualität nicht als psychische Erkrankung gilt, gilt diese jedoch innerhalb der Streitkräfte als Persönlichkeitsstörung, wodurch der Betroffene als nicht wehrtauglich gilt (VP 22.7.2023).

Es gab weiterhin Berichte über erniedrigende Behandlung in der Armee, deren Ausmaß unbekannt war. Die Rechte einiger besonders schutzbedürftiger Militärangehöriger, einschließlich derer, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer und intersexuell (LGBTQI+) identifizierten, wurden sowohl von den Befehlshabern als auch von anderen Militärangehörigen in grober Weise verletzt, einschließlich unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Arbeitsausbeutung (USDOS 20.3.2023).

Wehrersatzdienst, Wehrdienstverweigerung / Desertion

Letzte Änderung 2023-10-10 13:07

Auf Antrag besteht die Möglichkeit der Befreiung oder Zurückstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militärischen oder zivilen Ersatzdienstes. In anderen Fällen gilt eine Zurückstellung vom Militärdienst aus sozialen Gründen (arbeitsunfähige Eltern, mutterlose Kinder, zwei oder mehrere Kinder, Ehefrau mit Behinderungen der 1. oder 2. Kategorie, arbeitsunfähige Geschwister mit Behinderungen, Beschluss des Verteidigungsministeriums auf Grundlage der Stellungnahme der Gesundheitskommission) bis zum 27. Lebensjahr. Fallen diese Gründe vor Vollendung des 27. Lebensjahrs weg, ist der Wehrdienst abzuleisten. Bleiben die Gründe nach Vollendung des 27. Lebensjahrs bestehen, muss sich der Betreffende als Reservist zur Verfügung halten und wird in Friedenszeiten nicht mehr eingezogen. Eine Zurückstellung aus Gesundheitsgründen ist ebenfalls möglich (AA 25.7.2022; vgl. CIA 26.9.2023).

Wehrpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht entzogen haben, werden strafrechtlich belangt. Nach der Vollendung des 27. Lebensjahres wurde früher ein faktischer Freikauf vom Wehrdienst über eine Ersatzzahlung durch das sogenannte „Freikaufsgesetz“ der Republik Armenien vom 17.12.2003 ermöglicht. Dieses Gesetz trat am 31.12.2019 außer Kraft (AA 25.7.2022).

Es gibt einen Ersatzdienst, der sich in einen innerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Wehrdienst und einen außerhalb der Streitkräfte zu leistenden alternativen Arbeitsdienst gliedert. Man ist berechtigt, einen alternativen Dienst zu leisten, wenn die Leistung des obligatorischen Militärdienstes in militärischen Einheiten sowie das Tragen, Halten, Aufbewahrung und die Benutzung von Waffen der Konfession oder den religiösen Überzeugungen des Wehrdienstpflichtigen widersprechen. Der alternative Wehrdienst dauert 30 Monate, der alternative Arbeitsdienst 36 Monate. Die Anzahl derjenigen, die den Ersatzdienst beantragen, ist sehr gering (AA 25.7.2022; vgl. USDOS 12.5.2021).

Zu Fällen von Misshandlung von Ersatzdienstleistenden durch Vorgesetzte liegen keine Erkenntnisse vor (AA 25.7.2022).

Offen homosexuelle Männer fürchten um ihre körperliche Sicherheit beim Militär und einige versuchen, sich von der Wehrpflicht befreien zu lassen (HRW 13.1.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung 2023-10-10 13:08

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Artikel 80 der Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 25.7.2022).

Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechtsdefizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verbessert. Mängel bestehen jedoch nach wie vor bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität und beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen hat Premierminister Pashinyan sichtbare Erfolge erzielt (AA 25.7.2022). Daneben bestehen allerdings weiter Defizite bei der Untersuchung und Bestrafung mutmaßlicher Übergriffe durch ehemalige und derzeitige Regierungsbeamte und Strafverfolgungsbehörden (UDOS 20.3.2023).

Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den genannten Gründen, wenn eine solche Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung, wenn sie von Beamten begangen wird als einen erschwerenden Umstand. Die Regierung setzte das Gesetz gegen rassistische/ethnische Gewalt und Diskriminierung uneinheitlich durch (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz schützt die Freizügigkeit und das Recht des Einzelnen, seinen Wohnsitz, seinen Arbeitsplatz und seine Ausbildung zu wechseln. In der Praxis wird der Zugang zur Hochschulbildung durch eine Kultur der Bestechung etwas erschwert. Das armenische Recht schützt die Eigentumsrechte in angemessener Weise, auch wenn die Beamten diese in der Vergangenheit nicht immer eingehalten haben (FH 10.3.2023).

Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um diese zu erreichen. Es gab keine Berichte über das Verschwinden von Personen durch oder im Namen von Regierungsbehörden. Es gab keine Berichte darüber, dass die Regierung oder ihre Vertreter im Laufe des Jahres willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben (USDOS 20.3.2023).

Die Verfassung verbietet unbefugte Durchsuchungen und sieht das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation vor. Die Behörden dürfen keine Telefone abhören, keine Korrespondenz abfangen und keine Durchsuchungen durchführen, ohne die Erlaubnis eines Richters einzuholen, der zwingende Beweise für kriminelle Aktivitäten vorlegt. Die Verfassung sieht jedoch Ausnahmen vor. Die Bürger haben die Möglichkeit, ihre Regierung in freien und fairen, regelmäßig stattfindenden, geheimen Wahlen auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen (USDOS 20.3.2023).

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung 2023-10-10 14:09

In der Verfassung und im Gesetz ist das Recht auf freie Meinungsäußerung verankert, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien. Die Regierung hat dieses Recht im Allgemeinen respektiert, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Einzelpersonen durften die Regierung kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen (USDOS 20.3.2023). Im Juli 2022 entfernte der Justizminister Bestimmungen aus dem Strafgesetzbuch, die Verleumdung unter Strafe stellten. Diese Bestimmungen waren im Juli 2021 in Kraft getreten und hatten zur Einleitung von mindestens neun Strafverfahren gegen Personen geführt, die der Beleidigung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beschuldigt wurden (FH 10.3.2023).

Unabhängige und investigative Medien arbeiten in Armenien relativ frei und veröffentlichen in der Regel online. Kleine unabhängige Medien bieten oft eine solide Berichterstattung, die die Darstellungen der staatlichen Rundfunkanstalten und anderer etablierter Medien infrage stellt. Im Vergleich dazu sind die meisten Printmedien und Rundfunkanstalten mit politischen oder größeren kommerziellen Interessen verbunden (FH 10.3.2023).

Die meisten Rundfunk- und Fernsehsender und Zeitungen waren im Besitz von Privatpersonen oder Gruppen, von denen die meisten Berichten zufolge mit der früheren Regierung oder den parlamentarischen Oppositionsparteien in Verbindung standen und die tendenziell die politischen Neigungen und finanziellen Interessen ihrer Eigentümer widerspiegelten. Derzeitige und frühere Regierungsbehörden und Oppositionsparteien erwarben weitere Medien, was die Polarisierung noch verschärfte. Es gab nur noch wenige unabhängige Medien, die nicht von der finanziellen Unterstützung politisch verbundener Geber abhingen; diejenigen, die noch existierten, waren aufgrund ihrer begrenzten Einnahmen aus Werbung und Abonnementgebühren auf die Unterstützung internationaler Geber angewiesen (USDOS 20.3.2023).

Die Rundfunkmedien, insbesondere das öffentliche Fernsehen, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung eine der wichtigsten Nachrichten- und Informationsquellen. Einigen Medienbeobachtern zufolge präsentierte das öffentlich-rechtliche Fernsehen weiterhin Nachrichten und politische Debatten von einem regierungsfreundlichen Standpunkt aus, obwohl es auch weiterhin für oppositionelle Stimmen zugänglich war (USDOS 20.3.2023).

Journalist:innen sind, außer in Fällen schwerer Straftaten, nicht verpflichtet, vertrauliche Quellen offen zu legen. Das Fernsehen ist nach wie vor das am weitesten verbreitete Informationsmedium. Zahlreiche TV-Medien werden von alten Einflussgruppen kontrolliert und versuchen gezielt, die öffentliche Meinung zu manipulieren bzw. Stimmung gegen die Regierung zu machen. Die Vergabe der (befristeten) Sendelizenzen ist weiterhin problematisch. Die Printmedien genießen große Unabhängigkeit, haben jedoch – insbesondere außerhalb der Hauptstadt – ein wesentlich kleineres Publikum als die elektronischen Medien. Internetseiten sind frei zugänglich (AA 25.7.2022).

Das Komitee zum Schutz der Meinungsfreiheit (CPFE), eine lokale NRO, stellte eine Zunahme der Gewalt gegen Journalisten fest. Bis Juni 2022 dokumentierte es 12 Vorfälle mit 13 Opfern (HRW 12.1.2023; vgl. FH 10.3.2023, AI 27.3.2023), die sowohl von Beamten als auch von Privatpersonen verübt wurden. Die meisten Vorfälle ereigneten sich während verschiedener Proteste der Opposition (HRW 12.1.2023).

Am 25. Mai verabschiedeten regierungsnahe Gesetzgeber ein Gesetz, das es staatlichen Stellen erlaubt, Journalisten die Zulassung zu entziehen, wenn sie zweimal innerhalb eines Jahres gegen die "Arbeitsregeln" der zuständigen Stellen verstoßen haben (USDOS 20.3.2023).

Das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation ist grundsätzlich vorhanden. Ohne richterliche Erlaubnis und der Angabe zwingender Beweise für kriminelle Aktivitäten, dürfen Behörden keine Telefone abhören, Korrespondenzen abfangen oder Durchsuchungen durchführen. Die Verfassung sieht jedoch Ausnahmen vor (USDOS 20.3.2023).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit für 2022 befindet sich Armenien auf Platz 51 von 180 gelisteten Ländern (RSF 2023). Im Vergleich zu 2021: Platz 63 (RSF 2022).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung 2023-10-11 06:14

In der Verfassung und in den Gesetzen sind die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verankert. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, es gab jedoch einige Einschränkungen (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 10.3.2023).

Die Strafverfolgungsbehörden griffen während des gesamten Jahres bei Protesten in die Versammlungsfreiheit ein. Das armenische Helsinki-Komitee, eine Nichtregierungsorganisation, dokumentierte einen unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt bei Oppositionsprotesten im Mai und Juni (HRW 12.1.2023). Es wurde mehrfach berichtet, dass die Polizei während der Proteste im Laufe des Jahres willkürlich Demonstranten festnahm. Ein Bericht der Ombudsperson stellte außerdem fest, dass die Polizei unverhältnismäßige Gewalt anwandte, um Demonstranten festzuhalten, aber auch, dass die Demonstranten die Polizei provozierten, indem sie Beleidigungen riefen, und Schultergurte und Abzeichen abrissen (USDOS 20.3.2023; vgl. AI 27.3.2023).

Das Gesetz schützt das Recht aller Beschäftigten, unabhängige Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, mit Ausnahme des nicht zivilen Personals der Streitkräfte und der Strafverfolgungsbehörden (FH 10.3.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Das Gesetz sieht auch das Streikrecht vor, mit denselben Ausnahmen, und lässt Tarifverhandlungen zu (USDOS 20.3.2023).

Sowohl die Oppositionsparteien als auch die außerparlamentarische Opposition können sich frei äußern (AA 25.7.2022). Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, mit denen die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des ganzen Landes gebunden und individuelle Spenden begrenzt wurden. An den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2021 nahm eine noch nie da gewesene Anzahl politischer Einheiten (22 politische Parteien und 4 Bündnisse) teil (FH 10.3.2023).

Das Gesetz schränkt weder die Registrierung noch die Tätigkeit von politischen Parteien ein (USDOS 20.3.2023).

Im Januar 2021 traten Änderungen des Parteiengesetzes in Kraft, die die öffentliche Finanzierung politischer Parteien an die Vertretung von Frauen und des Landes binden und die Spenden von Einzelpersonen begrenzen (FH 10.3.2023).

Es gibt keine Berichte darüber, dass Personen, die im Ausland politisch aktiv waren, nach ihrer Rückkehr nach Armenien Repressionen erfahren hätten (AA 25.7.2022).

Es gab keine glaubwürdigen Berichte über politische Gefangene oder Inhaftierte (USDOS 20.3.2023).

Todesstrafe

Letzte Änderung 2023-10-11 07:44

Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 25.7.2022; vgl. AI 21.4.2020, Standard 19.4.2003, Frankreich Diplomatie 10.2022).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung 2023-10-11 07:47

Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Artikel 17 der Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5 % aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Bei der Diskussion über ein überfälliges und erst Ende 2017 verabschiedetes Gesetz gegen häusliche Gewalt spielte die Kirche eine konstruktive Rolle. Zunehmend nimmt die Kirche ihre soziale Verantwortung wahr (etwa durch Aufbau von Jugendzentren). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 25.7.2022; vgl. USDOS 2.6.2022).

Laut der Volkszählung von 2011 bekennen sich etwa 92 % der Bevölkerung zum armenisch-apostolischen Glauben. Andere religiöse Gruppen umfassen römische Katholiken, armenische unierte (mekhitaristische) Katholiken, orthodoxe Christen und evangelikale Christen, einschließlich Anhänger der Armenischen Evangelischen Kirche, Angehörige der Pfingstkirche, Siebenten-Tags-Adventisten, Baptisten, charismatische Christen und Zeugen Jehovas. Es gibt auch Anhänger der Kirche Jesu Christi und der Heiligen Apostolischen Katholischen Assyrischen Kirche des Ostens, Molokan-Christen, Jeziden, Juden, Baha'is, schiitische Muslime, sunnitische Muslime und Heiden, die Anhänger eines vorchristlichen Glaubens sind. Nach Angaben von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gibt es etwa 800 bis 1.000 Juden im Land (USDOS 15.5.2023; vgl. CIA 26.9.2023).

Die meisten religiösen Minderheiten, einschließlich der Siebenten-Tags-Adventisten, evangelikaler christlicher Gruppen, der Zeugen Jehovas und der Baha'is, berichteten, dass die öffentliche Einstellung ihnen gegenüber im allgemeinen positiv sei und dass es nur wenig oder gar keine negative Medienberichterstattung über sie gebe, obwohl mehrere Medien im Laufe des Jahres negative Berichte über sie brachten (USDOS 15.5.2023).

Gesellschaftlicher und familiärer Druck war weiterhin eine große Abschreckung für ethnische Armenier, eine andere Religion als den armenisch-apostolischen Glauben zu praktizieren (USDOS 2.6.2022).

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung 2023-10-11 10:30

Die Bevölkerung setzt sich aus ca. 96 % armenischen Volkszugehörigen und ca. 4 % Angehörigen anderer Ethnien (vor allem Jesiden, Russen, Kurden und Assyrer, denen nach der Verfassung bzw. dem Wahlgesetz als den vier größten Minderheitengruppen jeweils ein Parlamentssitz zusteht) zusammen. Die Volkszugehörigkeit wird in armenischen Reisepässen nur eingetragen, wenn der Passinhaber dies beantragt. Die Verfassung garantiert nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie u. a. studieren und veröffentlichen dürfen. Zugleich verpflichtet ein Gesetz alle Kinder zu einer Schulausbildung in armenischer Sprache. Dennoch wird an einigen armenischen Schulen in Gegenden mit jesidischer Bevölkerung (derzeit in 23 Dörfern) auch Unterricht in Jesidisch erteilt. Angehörige der jesidischen Minderheit berichten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber weder Jesiden noch andere Minderheiten sind Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repressionen (AA 25.7.2022).

Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion, der politischen Meinung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögensstatus, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder anderer persönlicher oder sozialer Umstände. Das Strafgesetzbuch verbietet die ungleiche Behandlung von Personen aus den oben genannten Gründen, wenn diese Behandlung die Menschenrechte und die rechtmäßigen Interessen einer Person verletzt, und betrachtet die gleiche Handlung von Beamten als erschwerenden Umstand (USDOS 20.3.2023).

Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, und sie haben sich auch beteiligt (USDOS 20.3.2023). Für die vier größten ethnischen Minderheiten des Landes sieht das Gesetz einen zusätzlichen Sitz in der Nationalversammlung vor: Jesiden, Kurden, die assyrische und die russische Gemeinschaft (USDOS 12.4.2022). Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert, und weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten. Alle vier müssen über eine Parteiliste gewählt werden. Im Jahr 2021 gewann Civil Contract drei Minderheitensitze, die ethnische Russen, Jesiden und Kurden vertraten, während die Armenia Alliance einen Sitz als Vertreter der ethnischen Assyrer gewann (FH 10.3.2023).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung 2023-10-11 14:52

Das Gesetz sieht garantierte Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.3.2023).

Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 25.7.2022).

Die Einreise nach Aserbaidschan über die Landgrenze aus Armenien ist nicht möglich. Das betrifft auch die Region Bergkarabach und den sogenannten „Latschin-Korridor“. Die Landgrenze zum Iran ist nur unter strengen Gesundheitsauflagen passierbar. Die Grenzen zur Türkei sind seit Jahren dauerhaft geschlossen (AA 2.10.2023; vgl. BMEIA 2.10.2023).

 Rights Practices: Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089129.html , Zugriff 2.10.2023

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung 2023-10-11 14:52

Die Behörden arbeiteten mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen oder anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 20.3.2023). Es gab Berichte über nicht systembedingte Diskriminierung bei der Annahme von Anträgen und bei der Inhaftierung von Asylbewerbern aufgrund des Herkunftslandes, der Rasse oder der Religion des Asylbewerbers sowie über Schwierigkeiten bei der Integration. Kontaktpersonen aus der Zivilgesellschaft berichteten von diskriminierenden Haltungen und Misstrauen gegenüber ausländischen Migranten, die Arbeit suchen (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet. Das Gesetz verpflichtet die Inhaftierungsbehörde, die Inhaftierten über ihr Recht auf Asylantragstellung zu informieren, und sieht eine Frist von 15 Tagen für die Antragstellung vor. Der UNHCR berichtete über Probleme mit den ordnungsgemäßen Notifizierungsverfahren, die zu verpassten Fristen und Ablehnungen von Asylanträgen führten (USDOS 20.3.2023). Das Gesetz berücksichtigt die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Menschen mit geistigen Behinderungen und Traumaüberlebenden und erlaubt Haftanstalten, Asylanträge entgegenzunehmen. Das Gesetz wurde im Allgemeinen in dem Maße durchgesetzt, wie es die Ressourcen zuließen. Flüchtlinge, die nicht der armenischen Volksgruppe angehörten, konnten eine erleichterte Einbürgerung beantragen (USDOS 20.3.2023).

Die Regierung nahm Flüchtlinge zur Neuansiedlung auf und bot den in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Flüchtlingen die Einbürgerung an. Im Mai nahm die Regierung den konzeptionellen Rahmen für die staatliche Steuerung der Migration an, der die Entwicklung der Integrationsstrategie 2021-31 und des Aktionsplans für 2021-26 vorsah. Der Rahmen bot auch Integrationsprogramme für Rückkehrer aus westeuropäischen Ländern an, die entweder freiwillig zurückkehrten oder vom Aufnahmeland abgeschoben wurden (USDOS 12.4.2022).

Die Behörden boten einigen vertriebenen ethnischen Armeniern aus dem Ausland weiterhin eine Reihe von Schutzoptionen an, darunter die beschleunigte Einbürgerung, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Flüchtlingsstatus. Durch die rasche Einbürgerung erhielten die Vertriebenen den gleichen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung und die meisten anderen sozialen Dienste wie andere Bürger. Viele der landesweiten Reformen, wie die Bereitstellung von mehr Sozialleistungen, höheren Renten und einer leichter zugänglichen Gesundheitsversorgung, kamen auch den Flüchtlingen zugute, die eingebürgert wurden (USDOS 20.3.2023).

Flüchtlinge, die keine ethnischen Armenier sind, können eine erleichterte Einbürgerung beantragen, die das Bestehen eines Tests erfordert, der sich auf die Kenntnis der Verfassung konzentriert (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht die Verleihung der Staatsbürgerschaft an staatenlose Kinder vor, die auf dem Territorium des Landes geboren wurden (USDOS 20.3.2023).

Seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien kamen über 20.000 Flüchtlinge nach Armenien (99 % armenisch-stämmige Christen), davon wurde ein Großteil aufgrund des gegenüber Immigranten armenischer Abstammung liberalen armenischen Staatsangehörigkeitsrechts mittlerweile eingebürgert (AA 25.7.2022).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung 2023-10-11 14:53

In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2020 leben 27 % der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. AMD 60.000 [ca EUR 146] im Monat, der offizielle Mindestlohn AMD 55.000. Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 25.7.2022).

Im Jahr 2022 hat die Arbeitslosenquote in Armenien geschätzt rund 12,50 % betragen. Für das Jahr 2023 wird die Arbeitslosenquote in Armenien auf rund 12,50 % prognostiziert (statista 3.8.2023). Im Jahr 2022 ist die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit vielen Jahrengefallen (WKO 4.2023).

Armenien verfügt über reiche Vorkommen mineralischer Rohstoffe. Die armenische Wirtschaft wuchs 2022 um +12,1 %. Das ist die höchste jährliche Wachstumsrate der letzten 15 Jahren. Aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität werden die Bergbauprodukte bisher als Rohstoffe exportiert. Die Landwirtschaft gehört zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren des Landes, auch wenn dieser Sektor 2022 stagnierte. Das Wirtschaftswachstum konzentrierte sich bislang primär auf die Hauptstadt Jerewan. Das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt Jerewan und den Regionen des Landes bleibt groß. Die ländlichen Regionen haben eine hohe Unterbeschäftigung und niedriges Einkommen. Um die regionale Entwicklung weiter anzukurbeln, verfolgt die armenische Regierung eine aktive Regionalpolitik (WKO 4.2023).

Die durch den Krieg ausgelöste massive Migration von Russen nach Armenien förderte die Wirtschaftsleistung, trug aber auch zu einem Anstieg der Mietpreise und der Lebenshaltungskosten im Allgemeinen bei (AI 27.3.2023).

Das Gesetz verbietet und kriminalisiert alle Formen von Zwangs- und Pflichtarbeit. Am 5. Oktober nahm die Regierung eine Definition von Zwangs- und Pflichtarbeit in das Arbeitsgesetzbuch auf. Die Strafverfolgung war nicht proaktiv und stützte sich weitgehend auf die Selbstauskunft der Opfer (USDOS 20.3.2023).

Das Gesetz sieht eine 40-Stunden-Woche, 20 Tage bezahlten Jahresurlaub und einen Ausgleich für Überstunden und Nachtarbeit vor (USDOS 20.3.2023).

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung 2023-10-16 09:31

Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, dringende Unterstützungen, pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 2021).

Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten: Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleistern, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 2021).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2021).

Die staatliche Arbeitsagentur des Ministeriums für Arbeit und Soziales setzt die staatlichen Programme um, die darauf abzielen, eine nachhaltige Beschäftigung für Arbeitssuchende und die Befriedigung der Nachfrage nach Arbeitskräften zu sichern und eine effektive Nutzung der verfügbaren Arbeitskräfte zu gewährleisten. Eine detaillierte Beschreibung der Programme ist auf der offiziellen Website der staatlichen Arbeitsagentur unter www.employment.am zu finden. In Armenien gibt es auch private Arbeitsvermittlungsagenturen, die freie Stellen ausschreiben (IOM 2021).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung 2023-10-11 14:53

Krankenhäuser – insbesondere außerhalb der großen Städte – entsprechen nicht dem europäischen Standard (BMEIA 5.10.2023). Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet. Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen, unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist (AA 25.7.2022).

Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei. Kostenlose medizinische Versorgung gilt nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre Ebene. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei Weitem (AA 25.7.2022).

Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 2020).

Die Versorgung mit Arzneimitteln, inklusive Einwegspritzen kann nicht immer gewährleistet werden (BMEIA 5.10.2023). Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist beschränkt auf 10 Arzneimittel, mit jeweils 3 Packungen (IOM 2020; vgl. BMEIA 5.10.2023). Verschreibungen müssen in russischer oder armenischer Sprache mitgeführt werden (BMEIA 5.10.2023).

Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. EUR 250/Monat). Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammografie sowie Computer- und Kernspintomografie zur Verfügung (AA 25.7.2022).

Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze für Dialyse ist begrenzt, aber gegen Bezahlung von ca. USD 100 jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet (AA 25.7.2022).

Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer alle Präparate vorhanden sind. Nach dem Regierungsbeschluss vom 23.11.2006 ist die Ausgabe von Medikamenten in Polikliniken kostenlos bei bestimmten Krankheiten und für Menschen, die in die Kategorie 1 besonders schutzbedürftiger Personen fallen. Hierzu gehören insbesondere Kinder und Menschen mit mittlerer bis schwerer Behinderung. Patienten der Kategorie 2 müssen 50 %, Patienten der Kategorie 3 müssen 70 % ihrer Medikamentenkosten selbst tragen (AA 25.7.2022).

Rückkehr

Letzte Änderung 2023-10-12 06:23

Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration (OFFI). Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 25.7.2022).

Seit 2019 führ der Migrationsdienst der Republik Armenien das "Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) Staatsbürger:innen in die Republik Armenien" durch. Das Programm bietet armenischen Staatsbürger:innen, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten (IOM 2020).

Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Reintegration nach der Rückkehr nach Armenien an (return from Austria, ohne Datum).

 

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakte Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Person des BF, ausweislich seiner Identität, ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie den Sprach- und Ortskenntnissen. Mangels Vorlage originaler Identitätsdokumente handelt es sich bei der Identität des BF lediglich um eine Verfahrensidentität.

II.2.3 Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behaupteter maßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.

Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.

Die Republik Österreich betrachtet zudem die Republik Armenien als sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG und geht daher von der normativen Vergewisserung der Sicherheit Armeniens aus.

II.2.4. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -–z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (zB. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461)- zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass der BF in Armenien keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt war bzw. im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

II.2.5. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte vor Ort zu verifizieren, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt dabei positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein Vorbringen im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden kann, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650).

II.2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen darzulegen. Darüber hinaus geht das BVwG ausfolgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF zum Ausreisegrund aus:

Der BF reiste erstmals am 19.01.2002 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei führte er aus, dass ihm ein Verwandter mit dem Namen UNANYAN Beweise für das Attentat auf das Parlament im Oktober 1999 übergeben hätte, welche er verborgen halte. Für den Fall, dass er diese Beweise den Behörden übergeben sollte, würde er von jemanden getötet werden. Er könne nicht sagen, um welche Beweise es sich handelt. Aufgrund diese vagen und allgemein gehaltenen Darstellung wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz am 27.01.2023 abgewiesen. Nachdem auch eine dagegen erhobene Beschwerde rechtskräftig in 2. Instanz am 12.04.2007 abgewiesen wurde, reiste der BF freiwillig nach Armenien aus. Anschließend begab er sich nach Russland und lebte dort bis August 2023, wie er vorbrachte.

Nachdem der BF am 02.09.2023 in das Bundesgebiet einreiste, stellte er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er zum Grund dafür befragt, bekannt „Ich kann nicht nach Armenien, da ich einiges von dem Parlamentsattentäter im Jahr 1999 habe, er ist ein Verwandter von mir und heißt Unanyan. Dieser gab mir Beweise die ich für ihn verstecken muss. Sollte ich diese Beweise den Behörden geben, werde ich von jemanden umgebracht. Welche Beweise dies genau sind, sage ich nicht. Mein jetziger Fluchtgrund aus Moskau ist, da Russland auch alle Ausländer die sich in Russland aufhalten in das Kriegsgebiet schicken...“. Er gab sohin bekannt, dass seine Ausreisegründe aus Armenien jenen von 2002 entsprechen, welche schon seinerzeit zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz führten. Aus Russland wäre er ausgereist, weil alle Ausländer in den Krieg entsendet werden würden.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF dann zum Ausreisegrund befragt bekannt „Mein jetziger Fluchtgrund aus Moskau ist, da Russland auch alle Ausländer, die sich in Russland aufhalten, in das Kriegsgebiet schicken. Ich will noch sagen, dass ausschließlich Armenier in den Ukraine Krieg geschickt werden. Russland unterstützt Armenien derzeit nicht. Armenien ist in Vergessenheit geraten. Armenien arbeitet mit USA und Europa. Armenier werden in den Krieg geschickt“. Hinsichtlich Armenien gab der BF keinen Grund mehr bekannt. Er führte dezidiert dazu befragt jedoch aus, dass er in Armenien keine Strafrechtsdelikte beging, kein Haftbefehl gegen ihn besteht, er nicht politisch tätig war und keiner politischen Partei oder bewaffneten Gruppe angehört. Auch gab er bekannt, dass er nach dem abgelehnten Asylantrag in Deutschland im Jahr 2000 zwar nach Armenien abgeschoben wurde, jedoch weiter nach Russland reiste, wo er sich bis zur Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 2002 aufhielt. Dezidiert zum letzten Aufenthalt in Armenien befragt, führte er aus, dass er sich das letzte Mal 2002 in Armenien aufhielt. Zudem gab er bekannt, dass er in Russland aktuell keinen Einberufungsbefehl erhielt.

Hinsichtlich Rückkehrbefürchtungen führte er aus, dass er nicht nach Armenien zurück möchte. In Russland fürchte er den Krieg.

In der mündlichen Verhandlung gab er dann gleich massiv gesteigert und konträr zu seinen bisherigen Angaben bekannt, dass er sich im Jahr 2019 das letzte Mal in Armenien aufgehalten hätte. Er folgt damit wohl der Argumentation der rechtsfreundlichen Vertretung, welche in der Beschwerde – entgegen den Ausführungen des BF – einen Aufenthalt in Armenien im Jahr 2019 bekannt gab. Bis zur Beschwerdeschrift führte der BF dessen ungeachtet aus, dass er seit 2002 nicht mehr in Armenien war. Diese nicht zu übersehende Diskrepanz demonstriert folgerichtig die Unglaubwürdigkeit des BF.

Nach zweimaliger Befragung zum Ausreisegrund aus dem Heimatland gab er in der mündlichen Verhandlung sichtlich aufgewühlt bekannt, dass es am 27.70.1999 im armenischen Parlament ein Attentat gab. Nachgefragt gab er an, dass er zwar nichts damit zu tun hatte, sich bei ihm jedoch die ganzen Beweismittel befinden würden. Bestätigend führte er weiters aus, dass er diese Gründe bereits im Jahr 2002 bekannt gab. Es würde sich um Beweismittel handeln, welche die Mörder sowie deren Auftraggeber überführen wurden, gab er weiters bekannt. Er könne jedoch nicht sagen, um welche Beweismittel es sich handeln würde, weil dies streng geheim sei. Auf nochmalige Befragung führte er schlicht aus, dass es sich um Videoaufzeichnungen handeln würde. Nachgefragt teilte er mit, dass darauf Attentäter gezeigt werden würden, die noch in Freiheit leben. Dem BF wurde in weiterer Folge vorgehalten, dass die Attentäter bereits ermittelt und im Zuge eines Gerichtsverfahrens zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Der BF gab weiters wahrheitswidrig bekannt, dass ihm die Aufnahmen von seinem Cousin mütterlicherseits, ca. einen Monat vor dem Attentat übergeben worden wären. Sein Cousin wäre einer der Attentäter. Dazu befragt, wo er die Beweismittel versteckt hätte, gab er bekannt, an einem sicheren Ort. Abermals befragt teilte er mit, in der Nähe des Berges Ararat. Neuerlich dazu befragt führte er schlicht aus „lch werde das nicht bekanntgeben.“ Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass der BF tatsächlich über derartige Beweise verfügt. Noch weniger verständlich ist, dass er bald 25 Jahr danach noch immer nicht in der Lage sein sollte, dieses Material zu veröffentlichen. So hat er sich bereits von 2002 bis 2007 in Österreich aufgehalten, wo er diesbezüglich in Sicherheit war. Ebenso sei ihm die Veröffentlichung seit seiner abermaligen Einreise am 02.09.2023. Zudem können ihm die Beweismittel nicht einen Monat vor dem Attentat übergeben worden sein. Das Attentat ereignete sich im Oktober 1999, demnach wäre dem BF das besagte Video im September 1999 übergeben worden. Er war zu dieser Zeit (1996 bis 2000) aber in Deutschland aufhältig, von wo er erst im Jahr 2000 nach Armenien abgeschoben wurde. Diesen Aufenthalt bestätigte der BF, wenn im Zuge der öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung dem BF der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt mit der Möglichkeit zur Berichtigung bzw. Ergänzung vorgehalten wurde, und der BF lediglich meinte, dass der Sachverhalt teilweise richtig sei, zumal er keinen Diebstahl begangen und im März 2007 Österreich verlassen habe (S6 des Verhandlungsprotokolls).

Unplausibel ist weiter, dass es sich beim damaligen Auftraggeber um einen seinerzeitigen Präsidenten handeln soll. Diesbezüglich führt der BF auf die Frage, woher die Auftraggeber wissen würden, dass er über derartige Beweismittel verfüge ausweichend aus, dass es ein Präsident war, das war leicht herauszufinden. Abermals dazu befragt gab er kryptisch zur Antwort „Der Auftraggeber ist der Präsident, woher sollte er das nicht wissen?“ Dem BF wurde vom Richter mehrmals vorgehalten, dass es nicht plausibel sei, dass ein Präsident im Bewusstsein, dass er aufgezeichnet wird, ein Attentat bzw. einen Terroranschlag in Auftrag gibt und die aufzeichnende Person ungeschoren lässt. Der BF gab dazu bekannt, dass damals nur zwei Personen das ganze Land regiert hätten. Nochmals vorgehalten, teilte der BF bereits sichtlich genervt mit, dass das Video von jemand anderen aufgezeichnet wurde. Nachgefragt führte er aus, dass die beiden Personen nicht bemerkt hätten, dass sie aufgenommen wurden. Die Frage, warum die beiden Personen dann von der Existenz des Videos Kenntnis hatten, wurde vom BF mit der beinahe verächtlichen Äußerung „Sie haben diese Frage bereits gestellt“ beantwortet. Mehr konnte oder wollte der BF dazu offensichtlich nicht bekannt geben. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der BF vorgibt im Besitz eines Videos zu sein, dass die Drahtzieher eines Attentats im Jahr 1999 zeige, welche von einem Dritten bei der Planung des Attentats dabei gefilmt worden wären, diese die Anfertigung des Videos zwar nicht bemerkten, den BF dessen ungeachtet jedoch verfolgen oder bedrohen würden, zumal sie auf unerklärliche Weise von der Existenz des Videos erfahren hätten. Die vom BF vorgebrachte Geschichte ist jedenfalls bei lebensnaher Betrachtung absolut unplausibel und nicht glaubwürdig und entspricht eher einem gedanklichen Konstrukt. Dies wird zudem dadurch bestätigt, dass sich der BF zum genannten Zeitpunkt der Übergabe der Beweise, im September 2019, gar nicht in Armenien, sondern in Deutschland aufhielt, wie bereits ausgeführt wurde. Zudem verschweigt der BF viel zu viele Details, weicht dezidiert wiederholt gestellten Fragen aus und gibt, wenn überhaupt, nur allgemeine und vage Antworten. Auch spricht für die Unglaubwürdigkeit seiner Geschichte, dass er vor dem BFA zu Rückkehrbefürchtungen befragt lediglich bekannt gab, dass er nicht nach Armenien zurück möchte. Insbesondere Erweist es sich als nicht nachvollziehbar, dass der BF den Aufenthaltsort des Videos dem befragenden Richter verschweigt und zudem nicht logisch nachvollziehbar zu erklären vermochte, wie seine „Verfolger“ von der Existenz des Videos erfahren haben wollen, wo diese doch, wie der BF in der Beschwerdeverhandlung selber einräumte, nicht einmal die Anfertigung des Videos wahrgenommen haben.

So gab der BF trotz Versuch den Sachverhalt durch Nachfragen zu erhellen, lediglich ausweichende Antworten und gestaltete sich die Befragung diesbezüglich wörtlich wie folgt:

„…

 

RI: Was konkret beweisen diese Beweismittel?

P: Es handelt sich um Beweismittel, die die Mörder sowie die Auftraggeber überführen.

 

RI: Welche Konkreten Beweismittel sind das?

P: Das ist streng geheim.

 

RI wiederholt die Frage.

P: Es sind Videoaufzeichnungen.

 

RI: Was konkret zeigt diese Videoaufzeichnung?

P: Es sind Attentäter, die noch in Freiheit leben.

 

RI: Soweit ich weiß, sind die Attentäter einem Gerichtsverfahren zugeordnet worden.

P: Die Attentäter wurden verhaftet, die beiden Auftraggeber nicht.

 

RI: Von wem haben Sie die Beweismittel erhalten?

P: Von meinem Cousin mütterlicherseits, einem der Attentäter.

 

RI: Wann hat er Ihnen die Beweismittel übergeben? (Datum, vor oder nach dem Attentat?)

P: Ca. 1 Monat vor dem Attentat. Die Aufzeichnungen wurden auf der Krim aufgenommen.

 

RI: Wo konkret haben Sie diese Beweismittel versteckt?

P: In einem sicheren Ort.

 

RI wiederholt die Frage.

P: In der Nähe von dem Berg Aragats.

 

RI wiederholt die Frage.

P: Ich werde das nicht bekanntgeben.

 

RI: Sie fragten zuerst betreffend Fluchtgründe aus dem Jahr 2023, welche sind dies?

P: Die Fluchtgründe 2023 beziehen sich auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Nachgefragt gebe ich an, dass ich nicht russischer Staatsbürger bin.

 

RI: Sie gaben an, dass sie sich im Jahr 2019 im Juni oder im Juli nach Armenien begeben haben, um sich ein Reisedokument ausstellen zu lassen. Gab es irgendwelche Vorfälle?

P: Das war im Juni. Ich bin nicht nur wegen den Pass nach Armenien gereist, sondern um dabei zu sein, ob mein Cousin freikommt oder nicht.

 

RI wiederholt die Frage.

P: Nein es gab keine Probleme bzw. Vorfälle.

 

RI: Woher sollen die Auftraggeber wissen, dass Sie über Beweismittel verfügen?

P: Das war ein Präsident, das war leicht herauszufinden.

 

RI wiederholt die Frage.

P: Der Auftraggeber ist der Präsident, woher sollte er das nicht wissen?

 

RI Vorhalt: Es ist nicht plausibel, dass ein Präsident im Bewusstsein, dass er aufgezeichnet wird ein Attentat bzw. einen Terroranschlag in Auftrag gibt und die aufzeichnende Person ungeschoren lässt.

P: Damals haben nur 2 Personen das ganze Land regiert und machten was sie wollten.

 

RI Vorhalt: Selbst, wenn diese beiden Personen uneingeschränkt das Land regierten ist es nicht plausibel, dass sie Aufzeichnungen über ein geplantes Attentat, welches sie in Auftrag gaben zulassen.

P: Das Video ist von jemand anderen aufgezeichnet worden. Nachgefragt gebe ich an, dass diese beiden Personen nicht bemerkten, dass sie aufgezeichnet werden.

 

RI: Woher wussten die beiden Personen von der Existenz des Videos?

P: Sie haben diese Frage bereits gestellt.

…“

Zudem steigert der BF dann sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung abermals massiv und gibt sohin erstmalig bekannt, dass er im Jahr 2001 in Jerewan mit einer Pistole im Bereich des Brustkorbes angeschossen worden wäre. Ein derartiger Vorfall wurde nicht einmal von der rechtsfreundlichen Vertretung vorgebracht. Auf weitere Befragung gab er bekannt, dass er von der Rettung mitgenommen und im Krankenhaus einige Stunden behandelt und danach gleich entlassen wurde. Nach der Entlassung sei er dann zu Fuß nach Hause gegangen. Natürlich könne er keine diesbezüglichen Bescheinigungsmittel, wie etwa Röntgenbefund oder ärztliche Schreiben, beibringen. Es ist auch anhand dieses – gesteigerten – Vorbringens nicht glaubwürdig, dass eine Person im Bereich des Brustkorbs angeschossen wird, in einem Krankenhaus mehrere Stunden behandelt und unmittelbar darauffolgend entlassen wird und anschließend zu Fuß nach Hause geht. Diesbezügliche Befunde oder Atteste konnte er keine in Vorlage bringen. Diesbezüglich erweist sich auch der Umstand als bemerkenswert, als der BF eigenen Angaben zu Folge das Projektil nach wie vor in seinem Körper habe. Zur Begründung, weshalb dieses im Krankenhaus im Zuge seiner mehrstündigen medizinischen Behandlung bzw. ärztlichen Intervention nicht entfernt wurde, gab der BF lediglich an, dass er Angst vor einer OP gehabt hätte.

Zum Zeitpunkt der geäußerten Geschichte gab der BF bekannt, dass sich der Vorfall am 24.01.2001 ereignet hätte. Ausgereist wäre er dann am 15.01.2002. Vom Richter wurde der BF dazu befragt, ob es in diesem Zeitraum zu weiteren Vorfällen gekommen wäre. Daraufhin ergänzte der BF sein Vorbringen mit der nächsten massiven Steigerung dahingehend, dass er mitteilte „Ja ich wurde geschlagen, meine Rippen wurden gebrochen. Nachgefragt gebe ich an, dass dieser Vorfall am 28.12.2001 war. Nachgefragt gebe ich an, dass mich viele Leute geschlagen haben. Nachgefragt gebe ich an, dass es 3 Personen waren, diese kannte ich jedoch nicht“. Der BF bringt demnach jetzt auch erstmalig vor, am 28.12.2001 von drei Unbekannten geschlagen worden zu sein, dabei wären ihm die Rippen gebrochen worden. Festgehalten werden muss dabei, dass seine allgemeinen Antworten beinahe akribisch gestellte Nachfragen des Richters bedurften. Seine beiden nun erstmals vorgebrachten Schilderungen demonstrieren zudem ein weiteres Mal lediglich seine Unglaubwürdigkeit.

Zur erstmals von der rechtsfreundlichen Vertretung vorgebrachten Darstellung, dass der BF im Jahr 2019 in Armenien aufhältig war, präzise im Jahr 2019 war die bP kurzzeitig wieder in Armenien, weil sie sich nach dem Regierungswechsel 2018 erhoffte, dass sie dort nicht mehr gesucht werde und endlich in ihre Heimat zurückkehren könne. Sie musste Armenien allerdings nach ein paar Tagen wieder verlassen, weil sie erfahren hatte, dass sie wegen dem Vorfall mit dem Parlamentsattentäter immer noch gesucht wird und ihr das Leben in Armenien weiterhin nicht möglich ist, da ihr die Ermordung droht, sind folgende Überlegungen maßgeblich. So wurde der BF in der mündlichen Verhandlung dazu befragt, weil er weder in der Erstbefragung, noch in der Einvernahme vor dem BFA derartiges vorbrachte. Dabei teilte er mit, dass er vom 01.06.2019 bis 07.06.2019 in Armenien gewesen wäre, um sich einen Reisepass ausstellen zu lassen. Es könnte aber auch im Juli gewesen sein. Vom Richter wurde er aus diesem Grund befragt, ob es zu Vorfällen gekommen wäre, woraufhin er ausweichend bekannt gab, dass er nicht nur wegen dem Pass nach Armenien reiste, sondern auch um in Erfahrung bringen zu können, ob sein Cousin aus der Haft entlassen werde oder nicht. Nochmals dazu befragt führte er aus „Nein es gab keine Probleme bzw. Vorfälle“. Fraglich bleibt, wie der BF ohne gültigen Reisepass nach Armenien gelangte, ist vor allem auffällig, dass Probleme in Armenien lediglich von der rechtsfreundlichen Vertretung vorgebracht wurden. Während der BF selbst bekannt gab, dass es keine Probleme und Vorfälle im Rahmen seiner im Jahr 2019 erfolgten Einreise nach Armenien gegeben habe, behauptet die rechtsfreundliche Vertretung dessen ungeachtet wahrheitswidrig, dass dem BF die Ermordung drohe. Es kann nicht ersehen werden, worin die rechtsfreundliche Vertretung die drohende Ermordung des BF sieht, wenn der BF selber über Nachfragen angibt, dass es anlässlich seiner Einreise und Aufenthaltes in Armenien im Jahr 2019 keinerlei Probleme bzw. Vorfälle gab.. Die dritte diesbezügliche Variante gab der BF in der Erstbefragung und vor dem BFA bekannt, indem er mitteilte, dass er das letzte Mal im Jahr 2002 in Armenien war.

Da vage, allgemeine und massiv gesteigerte Vorbringen des BF ist folgerichtig nicht geeignet, internationalen Schutz zu gewähren. Auch besteht zum Zeitpunkt des angeblichen Vorfalles im Jahr 1999 kein zeitlicher Konnex mehr. Zudem kehrte der BF erst im Jahr 2000 wieder nach Armenien zurück und reiste nach Russland weiter, wo er sich bis 2002 aufhielt. Auch konnte der BF nicht belegen, dass es sich bei Nairi Unanjan um einen Verwandten handelt. Und selbst bei Wahrheitsunterstellung bedeute dies nicht, dass Unanjan dem BF tatsächlich Beweise für das Attentat übergab. Vor allem kann der BF die genannten Beweise auch erst im Jahr 2000 und nicht wie von ihm in der mündlichen Verhandlung behauptet, im September 1999 erhalten haben. Er wurde ja nach der Abweisung seines Asylantrages erst im Jahr 2000 von Deutschland nach Armenien abgeschoben und reiste nach Russland weiter. Aber selbst wenn ihm die Beweise tatsächlich im Jahr 2000 übergeben worden wären, hätte er spätestens im Jahr 2002, als er nach Österreich reiste, diese veröffentlichen können. Im Bundesgebiet wäre er jedenfalls keiner wie auch immer gearteten Gefahr aus Armenien ausgesetzt gewesen. Auch demonstriert der abgelehnte Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, der auch in 2. Instanz am 12.04.2007 rechtskräftig abgelehnt wurde, dass es sich beim Vorbringen des BF um keine real erlebten Tatsachen handelt. Wäre der BF tatsächlich – im Jahr 2002 und aktuell - einer Gefährdung bzw. dem Tod ausgesetzt, hätte er selbstverständlich die Beweise offengelegt und nicht nur allgemeine und äußerst dürftige Angaben dazu bekannt gegeben. Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet war und ist er zu keiner Zeit einer Gefährdung ausgesetzt und hätte dies, würde sein Vorbringen der Wahrheit entsprechen, vermutlich zur Gewährung von internationalen Schutz geführt.

Hinsichtlich seines Vorbringens, in Russland in den Krieg geschickt zu werden bleibt festzuhalten, dass dies ebenfalls nicht der Realität entspricht, wie aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Russland zu entnehmen ist Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren der Einberufung zum Wehrdienst (RF 4.8.2023b). Ab dem Jahr 2024 erhöht sich das wehrdienstpflichtige Alter auf 30 Jahre (Duma 25.7.2023) …. Einberufungsbefehle werden Einzuberufenden in schriftlicher Form und zusätzlich elektronisch übermittelt…Die Einberufungsbefehle werden vom Militärkommissariat per eingeschriebenem Brief verschickt. Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine (EUAA 16.12.2022a; vgl. ÖB 8.11.2022, ÖB 25.1.2023). Wehrpflichtige werden allerdings in Grenzregionen stationiert (EUAA 16.12.2022a; vgl. ISW 13.6.2023) (beispielsweise in Belgorod, Kursk, Brjansk, Rostow und Krasnodar) sowie auf der von Russland besetzten Krim (EUAA 16.12.2022a) …. Manche Personen, welche während der Mobilisierung die Flucht versuchten, trafen an der Grenze auf Sicherheitspersonal, welches ihnen Einberufungsbefehle ausgehändigt hat (FH 2023). Es geht nicht hervor, dass armenische Staatsbürger zum Militär einberufen werden, geschweige denn für Kriegshandlungen selbst eingesetzt werden. Zudem gab der BF selbst bekannt, dass er keinen Einberufungsbefehl erhalten hat.

Das Bundesverwaltungsgericht geht jedenfalls davon aus, dass der BF aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Österreich reiste. Hinsichtlich Armenien ist festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen (vom BF ohnehin nur spekulativ vorgebrachte) Drohungen in seinem Herkunftsstaat amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren andererseits im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben. Zudem wäre es dem BF freigestanden, sich an eine übergeordnete Polizeidienststelle, eine StA, ein Gericht oder einer NGO oder den Ombudsmann zu wenden. Letztgenannter unterstützt Personen auch bei rechtswidrigem Verhalten durch Polizeiorgane. Festzuhalten war, dass Armenien ein sicherer Herkunftsstaat ist und eine Anzeigenerstattung den BF zumutbar wäre.

II.2.7. Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des unplausiblen Vorbringens, das zudem äußerst vage und allgemein vorgebracht wurde, von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte ausgeht.

Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht einmal ansatzweise erkennbar waren.

Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein und äußerst vage gehaltenen, bzw. teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

II.2.8. Nach Ansicht des ho. Gerichts hat die belangte Behörde auch ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung der angefochtenen Bescheide die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehen. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden.

II.2.9. Die Sicherheitslage in Armenien kann, von der Problemzone Nagorny-Karabach abgesehen, als unbedenklich bezeichnet werden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der Feststellungen zur Sicherheitslage in Armenien nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des BF dort davon ausgegangen werden muss, dass er wahrscheinlich Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder sonstiger Gewalt, wie etwa einem Ehrenmord oder Blutrache, würde.

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den BF, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder kriminelle Aktivtäten hindeuten würden, kamen im Verfahren nicht hervor. Eine dahingehende darstellbare Gefährdung im Rückkehrfall kann sohin ausgeschlossen werden.

II.2.10. Der BF ist gesund und arbeitsfähig und kann so auch für seinen Unterhalt aufkommen. In Jerewan begründen noch die Mutter und ein Bruder ihren Lebensmittelpunkt. Die Verwandten verfügen dementsprechend über Wohnmöglichkeiten, der BF hat zudem regelmäßigen Kontakt zu ihnen. Einer Aufnahme und Unterstützung durch die in Armenien aufhältige Verwandtschaft ist somit als gesichert anzusehen. Zudem steht der armenische Migrationsdienst den Rückkehrern mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite. Der BF hat Zugang zu allen Berufsgruppen und wird in Armenien in die Gesellschaft integriert. Die Chancen eine Arbeit zu finden, sind als überdurchschnittlich gut zu bezeichnen. Dem BF ist somit die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar.

Zudem ist es dem BF zumutbar, das – wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige – Sozialsystem (vgl. Länderinformationen) des armenischen Staates oder karitativer Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.

II.2.11. Bezüglich der Integration der BF bleibt festzuhalten, dass sich der BF seit 02.09.2023 in Österreich aufhält und Grundversorgung bezieht. Er hat im Bundesgebiet keine Verwandten und ist für niemanden sorgepflichtig. Er besucht einen Deutschkurs, Prüfungen wurden noch nicht absolviert. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er hat keine österreichischen Freunde, Einstellungszusagen und Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt. Der BF wurde strafrechtlich verurteilt (Urteil des BG Baden vom 22.02.2007, RK 20.11.2023, wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat). Eine maßgebliche Integration ist folgerichtig nicht ansatzweise erkennbar.

II.2.12. Die Außerlandesschaffung von Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn die Betroffenen dort keine Lebensgrundlage vorfinden, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005).

In Ansehung des BF und den bereits getätigten Ausführungen sind folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:

Die sozioökonomische Lage in Armenien spricht gegen exzeptionelle Umstände. Den eingesehenen Länderberichten lässt sich nicht entnehmen, dass diese von Massenarbeitslosigkeit, Not oder Elend in großem Ausmaß geprägt wäre. Im gegeben Kontext ist von Bedeutung, dass nach der Rechtsprechung das Vorliegen exzeptioneller Umstände detailliert und konkret darzulegen ist, umso mehr als in Armenien Familien leben, was dafürspricht, dass zumindest im Regelfall sehr wohl eine Lebensgrundlage im Herkunftsstaat besteht. Eine glaubhafte Darstellung exzeptioneller Umstände im Sinn der eingangs zitieren Rechtsprechung erfolgte im Verfahren nicht.

Ein dahingehendes Vorbringen wurde im Verfahren zudem nicht erstattet und es kann das Bundesverwaltungsgericht in Ansehung des persönlichen Profils des BF auch kein amtswegig wahrzunehmendes besonderes Gefährdungsmoment erkennen. Die Sicherheitslage in Armenien ist nicht problematisch. Zudem ist die Republik Armenien sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG und der Herkunftsstaaten-Verordnung.

Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass der BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen wäre. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Herkunftsstaat ist der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes, wobei die Asylbehörde [das Gericht] nicht an die Angaben des Antragstellers gebunden ist, sondern die Staatsangehörigkeit amtswegig - allenfalls auch von den Angaben des Antragstellers abweichend - festzustellen hat. Hinsichtlich der Ermittlungspflicht des Herkunftsstaates wird hier auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen. Dieser hat in seinem Erkenntnis vom 16.04.2002, Zahl: 2000/20/0131, ausgeführt: "... Dazu ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Begriff des Herkunftsstaates ... derjenige Staat zu verstehen ist, hinsichtlich dessen bei der Entscheidung über den Asylantrag das Bestehen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr zu prüfen ist. Im Falle einer evident falschen Darstellung einer Bedrohungssituation in einem vom Asylwerber fälschlich als Herkunftsstaat bezeichneten Staat ist die Asylbehörde ohne ein weiteres konkretes Vorbringen oder sonstigen konkreten Hinweis nicht verhalten zu ermitteln, welcher Staat der (wahre) Herkunftsstaat des Asylwerbers sein könnte und ob er dort allenfalls im Sinne der Flüchtlingskonvention bedroht sein könnte." (vgl. auch VwGH vom 23.07.1999, Zahlen: 98/20/0464 und 99/20/0220).

 

Auch in seinem Erkenntnis vom 06.03.2001, Zahl 2000/01/0402, nimmt der Verwaltungs-gerichtshof Bezug auf sein Erkenntnis vom 23.07.1999, Zahlen: 98/20/0464 und 99/20/0220, und erläutert, dass diesem "bereits deutlich zu entnehmen ist, dass die Angabe des Herkunftsstaates im Rahmen der Erfüllung der den Asylwerber treffenden Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes zu erfolgen hat und es im Falle einer zunächst wahrheitswidrigen Angabe bei entsprechender Ergänzung des Vorbringens (oder bei Vorliegen "sonstiger Hinweise") auch die Pflicht der Behörde sein kann, auf die Gefahr der Verfolgung in einem anderen - tatsächlichen - Herkunftsstaat einzugehen.

 

Aus der zitierten Judikatur geht zweifelsfrei hervor, dass die Behörde [das Gericht] - entsprechende Hinweise vorausgesetzt, nicht nur den tatsächlichen Herkunftsstaat eines Asylwerbers zu ermitteln, sondern darüber hinaus nach dessen Feststellung diesen zum Gegenstand von Ermittlungen bezüglich der Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz zu machen hat.

 

Für Staatenlose gilt der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat iSd § 15 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005. Der zeitliche Bezug des Wortes "frühere" ist nicht auf die Asylantragstellung im Sinne von "wo hat sich der Fremde vor der Asylantragstellung aufgehalten" bezogen, sondern ist im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdefinition der GFK davon auszugehen, dass sich der Wortsinn "frühere" auf den Vorgängeraufenthaltsstaat bezieht, also auf jenen Staat, in dem sich der Fremde dauernd aufgehalten hat, bevor er in den Asylantragstaat eingereist ist (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 3. Auflage, K36f zu §2).

 

Primär ist jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, als dessen Herkunftsstaat zu bezeichnen.

 

Die Gleichsetzung des Staates des früheren Aufenthaltes mit dem Herkunftsstaat setzt eine annähernd gleiche Qualität der Beziehung zwischen Fremden und Aufenthaltsstaat voraus. Der bloße Aufenthalt - insbesondere der illegale - kann keine einer Staatsbürgerschaft gleichwertige Staat-Bürger-Beziehung bewirken.

 

UNHCR erläutert in seinem Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1993), es müsse zur Festlegung des maßgeblichen Herkunftsstaates geprüft werden, ob eine Wechselbeziehung zwischen den angegebenen Fluchtgründen und dem Land, in dem der bisherige Wohnsitz lag, und im Verhältnis zu dem Furcht vor Verfolgung geltend gemacht wird, bestehe. Er bezieht sich dabei (wie auch Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966), 160 f) auf die Materialien zur Genfer Flüchtlingskonvention, wonach es sich um das Land handle, "in dem er (der Asylwerber) seinen Wohnsitz hatte und wo er Verfolgung erlitten hatte bzw. fürchtete, verfolgt zu werden, wenn er dahin zurückkehrte" (UNHCR-Handbuch, Rz 103). Gefordert wird eine 'feste Bindung' zu diesem Staat im Sinne einer zumindest für eine gewisse Dauer erfolgten Verlagerung der Interessen dorthin (vgl. Grahl-Madsen, a.a.O., 160; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999(, Rz 158, und ihm folgend das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0089, sowie Schmidt/Frank, AsylG 1997, K 22 zu § 1). Unter dem "Land seines (das heißt des Asylwerbers) gewöhnlichen Aufenthaltes" ("country of his former habitual residence" bzw "pays dans laquelle elle avait sa résidence habituelle") iSd Art 1 lit A Z 2 GFK ist nur ein solcher Aufenthalt zu verstehen, der sich auf eine gewollte Rechtsbeziehung zwischen Flüchtling und Aufenthaltsstaat gründet.

 

Solch eine Beziehung würde jedenfalls bei sich unrechtmäßig im betreffenden Staatsgebiet aufhaltenden Personen nicht vorliegen (vgl. Amann, Die Rechte des Flüchtlings, 129, zum gleichlautenden Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes" in Art 14 GFK; Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 3. Auflage, E7 zu §2).

 

Zu A)

 

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) …

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.

dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2.

der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

  

...“

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.2.2. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).

Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).

II.3.2.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Es ist festzuhalten, dass der BF keine Fluchtgründe ins Treffen führte, die auf eine persönliche Verfolgung im Herkunftsland im Sinne der GFK, mithin aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung schließen lassen.

Auch eine Verfolgung durch staatliche Behörden bzw. dass eine solche Verfolgung durch staatliche Behörden drohen würde, wurde vom BF nicht in substantiierter Weise behauptet oder belegt und verneinte er eine solche zudem dezidiert. Zudem bleibt hhinsichtlich Armenien festzuhalten, dass die Polizei bzw. staatlichen Behörden Schutzfähig und Schutzwillig sind. Auch wenn ein solcher Schutz nicht lückenlos, wie in keinem anderen Staat der Erde sonst auch möglich ist, stellen die vom BF bereits 2002 geschilderten Drohungen in seinem Herkunftsstaat jedenfalls amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren andererseits im Herkunftsstaat Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben. Zudem wäre es dem BF freigestanden, sich an eine übergeordnete Polizeidienststelle, eine StA ein Gericht oder einer NGO oder den Ombudsmann zu wenden.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist.

II.3.2.4. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen des BF zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, bzw. besteht auch zu den Ereignissen des Jahres 1999 kein zeitlicher Konnex mehr, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die vom BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass der BF keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798). Die Beschwerdeführer sind außerdem sunnitischen und schiitischen Glaubens, sie haben demnach im Fall einer Rückkehr insbesondere keine Schwierigkeiten aufgrund ihres Religionsbekenntnisses zu befürchten.

 

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

 

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.

der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.

  

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.…“

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solch innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates des BF scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat des BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Armenien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der BF selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Armenien jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

II.3.3.3. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht über eine, allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage gerate.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht dem BF im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

 

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

 

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

II.3.4.2. Der gegenständlich in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt der BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Es liegen keine Umstände vor, dass dem BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

II.3.4.4. Der BF hält sich seit 02.09.2023 in Österreich auf und bezieht Grundversorgung. Er hat im Bundesgebiet keine Verwandten und ist für niemanden sorgepflichtig. Er besucht einen Deutschkurs, Prüfungen wurden noch nicht absolviert. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er hat keine österreichischen Freunde, Einstellungszusagen und Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt. Der BF wurde strafrechtlich verurteilt (Urteil des BG Baden vom 22.02.2007, RK 20.11.2023, wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat).

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:

- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Der BF hält seit 02.09.2023 erneut in Österreich auf. Der BF gelangte von Russland kommend schlepperunterstützt mit dem Auto in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der BF konnte seinen Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Hätten er diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wäre er rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und er sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.

- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:

Der BF verfügt über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte.

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Der BF begründete sein Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt des BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass der BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihr frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).

- Grad der Integration

Der BF ist erst seit einigen Monaten in Österreich aufhältig, hat hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und war im Asylverfahren nicht in der Lage, seinen Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen. Der BF lebt von der Grundversorgung. Er hat im Bundesgebiet keine Verwandten und ist für niemanden sorgepflichtig. Er besucht einen Deutschkurs, Prüfungen wurden noch nicht absolviert. Der BF ist in keinen Vereinen oder Organisationen tätig und leistet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er hat keine österreichischen Freunde, Einstellungszusagen und Unterstützungsschreiben wurden nicht vorgelegt.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

- Bindungen zum Herkunftsstaat

Der BF verbrachte zumindest 30 Jahre seines Lebens in Armenien, wurde dort sozialisiert, ist Angehöriger der armenischen Volksgruppe und bekennen sich zum christlichen Glauben. Er spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. In Jerewan halten sich noch die Mutter und ein Bruder auf. Der BF hat Kontakt zu seinen Verwandten. Der BF bzw. seine Mutter ist noch im Besitz eines Hauses in Jerewan. Zudem halten sich in Jerewan noch Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins auf, es handelt sich um etwa 12 Familienmitglieder. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

- strafrechtliche Unbescholtenheit

Der BF wurde strafrechtlich verurteilt (Urteil des BG Baden vom 22.02.2007, RK 20.11.2023, wegen §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat).

Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Dem BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.

- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Derartiges ist nicht feststellbar.

 

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass dem Art. 8 EMRK innewohnenden Recht auf das Privat- und Familienleben auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8). Vor diesem Hintergrund ist die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Lichte des Art. 8 EMRK auch vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat, welche die bP im Falle einer Rückkehr vorfinden, zu prüfen, wobei bereits an dieser Stelle Art. 8 EMRK –anders als Art. 3 leg. cit.- einen Eingriffsvorbehalt kennt.

 

Im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage in der der Republik Armenien ist zu berücksichtigen, dass –wie bereits mehrfach erwähnt- gem. § 1 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, die Republik Armenien als sicherer Herkunftsstaat gilt und ergaben sich im gegenständlichen Fall keine Hinweise auf einen aus diesem Blickwinkel relevanten Sachverhalt.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

 

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen BF grundsätzlich nicht mehr möglich, den Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass der BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offensteht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist der BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

II.3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der vom BF in seinem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht ansatzweise erkennbar. Der BF hält sich im Vergleich zu seinem Lebensalter erst einen sehr kurzen Zeitraum in Österreich auf. Eine über das normale Maß hinausgehende gesellschaftliche Integration ist nicht erkennbar. Der BF hat zumindest 30 Jahre seines Lebens in Armenien verbracht und wurde dort sozialisiert. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Armenien eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

II.3.5. Abschiebung

II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

 

Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.

 

Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.

 

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt.

 

II.3.5.2. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

 

Dass besondere Umstände, die die Drittstaatsangehörigen bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidungen geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits festgehalten, dass es sich bei den in § 55 Abs. 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, ohnehin nur um solche handeln kann, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind (VwGH vom 31.07.2020; Ra 2020/19/0252; vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/21/0114; vgl näher zu der nach § 55 FPG zu setzenden Frist VwGH 16.5.2013, 2012/21/0072, mwN).

 

Im Hinblick darauf, dass das Gesetz bei der Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ebenfalls auf die "Regelung der persönlichen Verhältnisse" abstellt und die (Verlängerung der) Ausreisefrist auch der Sache nach i.W. dieselbe Zielrichtung hat wie der Durchsetzungsaufschub, ist die erwähnte Rechtsprechung auch bei der Auslegung des§ 55 Abs. 2 und 3 FPG einzubeziehen. Demnach muss es sich bei den in diesen Bestimmungen genannten "besonderen Umständen" um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.

 

Vor diesem Hintergrund ist § 55 Abs. 2 und 3 FPG auszulegen und zu beurteilen, ob im jeweiligen Einzelfall besondere Gründe im genannten Sinn, welche die Einräumung einer mehr als 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise notwendig machen, gegeben sind. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.

 

II.3.5.3. Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

 

II.3.5.4. Da auch alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Rückkehrentscheidungen und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, waren die Beschwerden auch gegen diese Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

 

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienlebens, sowie zur Feststellung des Herkunftsstaates bzw. den rechtlichen Folgen von dessen Nichtfeststellbarkeit abgeht.

Im Falle verfahrensrechtlicher Neuordnungen wird auch die einheitliche Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen verwiesen.

Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.

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