European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00248.23V.1119.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der 2020 verstorbene Erblasser hinterließ eine Ehefrau und drei Kinder (die Streitteile). Mit Übergabevertrag vom 3. April 1997 übergaben der Erblasser und seine Ehefrau dem Beklagten den gesamten „größtenteils“ dem Erblasser gehörenden Weinbaubetrieb, der mehrere Liegenschaften umfasste (die überwiegend im Alleineigentum des Erblassers, zum Teil aber im Hälfteeigentum der Ehegatten standen). Der Beklagte verpflichtete sich zur Erbringung verschiedener Gegenleistungen: So übernahm er eine näher bezeichnete Kreditverbindlichkeit als „persönliche Schuld“ (wobei die Höhe der damals aushaftenden Verbindlichkeit nicht feststellbar ist) und räumte den beiden Übergebern ein Wohnungsgebrauchsrecht am gesamten ersten Stock eines näher bezeichneten Hauses sowie ein Belastungs‑ und Veräußerungsverbot ein. Weiters verpflichtete er sich zur Verköstigung des Erblassers und dessen Ehefrau, zur unentgeltlichen Lieferung von fünfhundert Flaschen Wein pro Jahr an den Erblasser und zu einer (wertgesicherten) monatlichen Unterhaltszahlung von 4.000 ATS an den Erblasser.
[2] Der Verkehrswert des übergebenen Unternehmens belief sich zum Zeitpunkt des Übergabevertrags auf 573.810 EUR. Das (zum Todeszeitpunkt des Erblassers bewertete) Wohnungsgebrauchsrecht der Ehefrau wies einen Wert von 106.000 EUR auf. Die zu erbringenden Gegenleistungen in Form von Verköstigung, Unterhaltszahlung und Weinlieferung wiesen einen Gesamtwert von 124.500 EUR auf.
„Es kann nicht festgestellt werden, welche Vorstellungen die Übergeber und der Beklagte bei Abschluss des Übergabsvertrages vom Wert des Unternehmens und der vereinbarten Gegenleistungen hatten. Es kann auch nicht festgestellt werden, ob die Vertragsparteien den Willen hatten oder in irgendeiner Weise äußerten, dass ein Teil des Geschäfts unentgeltlich sein sollte oder dass sie Leistung und Gegenleistung nicht als äquivalent vereinbaren wollten.“
[3] Die Kläger begehren vom Beklagten als Geschenknehmer (§ 789 f ABGB) die Zahlung von jeweils 121.639 EUR sA. Der (beinahe wertlosen) Verlassenschaft sei die dem Beklagten im Jahr 1997 gemachte gemischte Schenkung hinzuzurechnen. Zwischen der Übergabe eines renommierten Weinbaubetriebs und den vom Beklagten zu erbringenden Gegenleistungen bestehe ein krasses Missverhältnis, wobei der entgeltliche Anteil nur rund 15 % betrage. Aus diesem krassen Missverhältnis ergebe sich, dass eine gemischte Schenkung vorliege. Der Wert des dem Beklagten übergebenen Vermögens sei mit rund 900.000 EUR zu beziffern, die Pflichtteilsquote der Kläger belaufe sich auf je ein Neuntel.
[4] Der Beklagte bestreitet. Er habe einen defizitären Betrieb übergeben bekommen und sich zur Erbringung umfassender Gegenleistungen verpflichtet. Da der Wert der Gegenleistungen den Wert des übergebenen Weinbaubetriebs sogar übersteige, liege keine gemischte Schenkung vor. Aus dem Übergabevertrag sei kein Schenkungswille ersichtlich.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil es die zur Erfüllung des Tatbestands nach § 781 Abs 1 ABGB erforderliche Schenkungsabsicht nicht feststellen habe können.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Den Pflichtteilskläger treffe die volle Beweislast für den Nachweis der Schenkungsabsicht.
[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn gänzlicher Klagsstattgebung, hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
[8] Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
[9] Die außerordentliche Revision der Kläger ist zulässig, weil die Frage der Zuerkennung von Beweiserleichterungen im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens einer Schenkungsabsicht im Pflichtteilsrecht einer näheren Überprüfung bedarf. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Kläger argumentieren, dass aufgrund divergierender höchstgerichtlicher Entscheidungen derzeit nicht geklärt sei, ob der Oberste Gerichtshof bei Vorliegen eines objektiv krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bei einer gemischten Schenkung den Schenkungswillen vermute, also eine Beweislastumkehr bestehe. Außerdem müsse § 781 Abs 2 Z 6 ABGB als Auffangtatbestand auch im Fall nicht nachgewiesener Schenkungsabsicht bei Bestehen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung Anwendung finden.
Dazu hat der Fachsenat erwogen:
[11] 1. Nach § 781 Abs 1 ABGB – in der aufgrund des Ablebens des Erblassers nach dem 31. 12. 2016 anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015 (§ 1503 Abs 7 Z 2 ABGB) – sind Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers oder auf dessen Todesfall, die ein Pflichtteilsberechtigter oder ein Dritter vom Erblasser erhalten hat, dem Nachlass hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Pflichtteil anzurechnen.
[12] Nach § 781 Abs 2 Z 6 ABGB gilt auch „jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt“, als Schenkung in diesem Sinn.
[13] 2. Ausgangspunkt des Regelungskonzepts des § 781 Abs 1 ABGB ist die Schenkung gemäß §§ 938 ff ABGB (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 33; 2 Ob 110/20w Rz 31).
[14] Die Schenkung ist ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, einem anderen eine Sache unentgeltlich zu überlassen (§ 938 ABGB). Neben der objektiven Bereicherung des Geschenknehmers (RS0018795) und dem Fehlen einer Leistungsverpflichtung des Geschenkgebers (Freiwilligkeit, RS0018833) setzt eine Schenkung mit der Schenkungsabsicht des Geschenkgebers (bzw dessen Willen zur Freigiebigkeit) ein subjektives Element voraus (RS0018833). Das gilt auch für den Fall der sogenannten gemischten Schenkung (RS0019356), also wenn sich ein Vertrag aus entgeltlichen und unentgeltlichen Teilen zusammensetzt.
[15] Diese Grundsätze ziehen die Kläger in ihrer außerordentlichen Revision nicht in Zweifel.
[16] 3. Der Fachsenat hat sich in den Entscheidungen 2 Ob 184/22f und 2 Ob 205/22v mit der Frage des Verhältnisses zwischen den Regelungen des § 781 Abs 1 ABGB und des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB im Fall von gemischten Schenkungen befasst. Er kam nach Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien, der bisherigen Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB und Literaturmeinungen zu folgendem Schluss (2 Ob 205/22v Rz 38 f):
[17] 3.1. Der Gesetzgeber wollte mit dem Auffangtatbestand den Kreis der hinzu- und anrechnungspflichtigen Leistungen ausdehnen, um Umgehungen des Erblassers zu verhindern. Die Regel umfasst neben Schenkungen an Dritte, von denen der Anrechnungspflichtige nur mittelbar profitiert, vor allem solche Vermögensverschiebungen, die die objektiven Voraussetzungen einer Schenkung „im technischen Sinn“ (= unentgeltliche Überlassung einer Sache, § 938 ABGB) nicht erfüllen, aber nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Zuwendung einer Schenkung gleichkommen. Der Auffangtatbestand wurde aber nicht für jene Zuwendungen geschaffen, die (ohnedies) die objektiven Voraussetzungen einer Schenkung des § 938 ABGB erfüllen können.
[18] Nach verständiger Würdigung des referierten Normzwecks ist daher jedenfalls bei unentgeltlichen Zuwendungen, die – wie im Anlassfall – die objektiven Voraussetzungen für eine (gemischte) Schenkung nach § 938 ABGB erfüllen können, eine Anrechnung nach § 781 ABGB nur dann zu bejahen, wenn das gebotene subjektive Element (Wille zur Freigiebigkeit) vorliegt. Jedenfalls bei jenen Zuwendungen, bei denen der Empfänger durch die Überlassung einer Sache objektiv bereichert wird, setzt eine Hinzu- und Anrechnung der Zuwendung nach § 781 Abs 1 ABGB dieses subjektive Element voraus. Der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB dient damit nicht für jene Fälle, die bereits unter Abs 1 fallen können, bei denen die Anrechnung aber (nur) am fehlenden Schenkungswillen scheitert. Sollte sich aus der Entscheidung 2 Ob 110/20w Gegenteiliges ergeben, wird das nicht mehr aufrecht erhalten.
[19] 3.2. Hofmann (Gemischte Schenkung, Schenkungsabsicht und der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB, JEV 2023, 4) merkt dazu kritisch an, dass § 781 Abs 2 Z 6 ABGB als „Auffangtatbestand“ anzusehen sei, dem im Sinn einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ein weit gefasster Schenkungsbegriff zugrunde liege. Diese Generalnorm solle daher auch solche Zuwendungen umfassen, die sich nicht genau in die zivilrechtliche Definition des § 938 ABGB einfügten. Eine gemischte Schenkung unterliege nicht uneingeschränkt § 938 ABGB und unterfalle daher § 781 Abs 2 Z 6 ABGB. In 2 Ob 110/20w habe der Fachsenat noch den zutreffenden Rechtssatz geprägt, dass § 781 Abs 2 Z 6 ABGB auch dann anwendbar sei, wenn zwar keine Schenkungsabsicht, aber ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und allfälliger Gegenleistung vorliege, weil in diesen Fällen der maßgebliche wirtschaftliche Charakter des Vorgangs (teilweise) einem unentgeltlichen Geschäft unter Lebenden gleichkomme. Durch das Abgehen von dieser Rechtsansicht in 2 Ob 205/22v werde der Regelung ein völlig neues und vom Gesetzgeber wohl nicht intendiertes Verständnis beigelegt. Die vom Senat vorgenommene Abgrenzung zwischen Schenkungen im engeren Sinn, die § 781 Abs 1 ABGB unterfallen sollten, und anderen Verfügungen, sei nicht trennscharf. Wieso § 781 Abs 2 Z 6 ABGB – und damit der wirtschaftliche Schenkungsbegriff, der ohne Schenkungsabsicht auskomme, – nur solche Rechtsgeschäfte erfassen solle, in denen der Vorteil mittelbar oder im Umweg über andere Rechtshandlungen zugewendet werde, sei schwer zu erfassen.
[20] Maier (Der wirtschaftlich geprägte Schenkungsbegriff im Pflichtteilsrecht, JEV 2023, 189) stimmt der Argumentation zu, dass der Gesetzgeber mit § 781 Abs 2 Z 6 ABGB eine gesetzliche Regelung habe schaffen wollen, die es ermögliche, Zuwendungen auch bei fehlenden Formalvoraussetzungen iSd § 938 ABGB einer Hinzu- und Anrechnung zu unterwerfen. Der Oberste Gerichtshof lasse aber außer Acht, dass § 938 ABGB auch Dreieckskonstruktionen oder andere Rechtshandlungen erfasse. Für eine sinnvolle Abgrenzung aus erbrechtlicher Sicht müsse § 938 ABGB daher eingeschränkt betrachtet werden. Begünstigungen, die aus der Überlassung einer Sache an einen Dritten bzw aus einer anderweitigen Rechtshandlung resultierten, dürften im Anrechnungsrecht nicht mehr unter § 938 ABGB subsumiert werden.
3.3. An den zu Punkt 3.1. dargestellten Grundsätzen ist trotz dieser Kritik festzuhalten:
[21] Hofmann setzt sich letztlich nicht mit der auf die Gesetzesmaterialien Bezug nehmenden Argumentation des Senats auseinander. Seine Überlegungen laufen im Ergebnis darauf hinaus, dass jedes objektive Auseinanderklaffen von Leistung und Gegenleistung – allenfalls nach Einziehung einer Relevanzgrenze – pflichtteilsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ein solches Verständnis kann dem Gesetzgeber aber nach Ansicht des Senats nicht unterstellt werden, wäre doch in diesem Fall die Beibehaltung des § 781 Abs 1 ABGB und die darin implizit enthaltene Anknüpfung an § 938 ABGB nicht verständlich. Wieso eine gemischte Schenkung entgegen ständiger Rechtsprechung nicht als „Schenkung im technischen Sinn“ zu qualifizieren und damit nach § 938 ABGB zu beurteilen sein sollte, legt Hofmann nicht näher dar. Der Vorwurf mangelnder Trennschärfe in der Abgrenzung ist im hier zu beurteilenden Fall der Übergabe eines Unternehmens (samt Liegenschaften) jedenfalls nicht stichhältig. Im Fall der unmittelbaren Überlassung einer Sache ist damit nur § 781 Abs 1 ABGB, nicht aber § 781 Abs 2 Z 6 ABGB einschlägig.
[22] 4. In der Entscheidung 2 Ob 205/22v nahm der Senat zur Frage der Beweislast für das Vorliegen der Schenkungsabsicht wie folgt Stellung (Rz 42):
„Der Kläger kann sich im Anlassfall nicht auf eine reine, sondern nur (allenfalls) auf eine gemischte Schenkung berufen. Er ist für das Vorliegen der Schenkungsabsicht als anspruchsbegründende Tatsache beweispflichtig. Ein allfälliges non liquet ginge damit zu seinen Lasten, zumal jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation einer möglichen gemischten Schenkung eine Schenkungsabsicht nicht zu vermuten ist (RS0018794).“
4.1. An diesen Ausführungen wurde im Schrifttum übereinstimmend Kritik geübt:
[23] Zollner (EAnm zu 2 Ob 205/22v, PSR 2023/24, 97 f) führt aus, dass nach bisheriger Ansicht der Schenkungswille bei einem erheblichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu vermuten gewesen sei. Gegen die Annahme, dass mit der Entscheidung 2 Ob 205/22v die bisher angenommene Indizwirkung eines krassen Missverhältnisses für das Vorliegen einer Schenkungsabsicht generell abgelehnt werden sollte, spreche, dass der Senat keine Argumente für oder gegen ein solches Verständnis vorgebracht habe. Die Abkehr von einer solchen Indizwirkung würde jedenfalls die pflichtteilsrechtliche Bedeutung gemischter Schenkungen drastisch reduzieren. Das § 781 ABGB generell zu Grunde liegende Ziel, Umgehungen bzw Aushöhlungen des Pflichtteilsrechts zu verhindern und damit – allgemein formuliert – Pflichtteilsberechtigte zu schützen, erscheine damit gefährdet.
[24] Hofmann (Gemischte Schenkung, Schenkungs-absicht und der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB, JEV 2023, 4) führt aus, dass die zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 ergangene Rechtsprechung und die herrschende Lehre einem objektiv krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung „im Sinn einer widerlegbaren Vermutung oder eines Anscheinsbeweises“ Indizwert zuerkannt habe. In diesen Fällen sei Schenkungsabsicht vermutet worden und habe nicht ausdrücklich festgestellt werden müssen. Es sei dann am Pflichtteilsschuldner gelegen, den objektiv geschaffenen Eindruck einer gewollten Schenkung zu entkräften, was einer Beweislastumkehr gleichkomme. Allerdings hätten sich die Gerichte nicht eindeutig zu dieser Frage geäußert, weil die grobe Wertdifferenz kein zwingendes Indiz darstelle und fallweise auch die Feststellung eines entsprechenden Schenkungsbewusstseins verlangt worden sei. Dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 205/22v nunmehr auch im Fall eines krassen Missverhältnisses auf die volle Beweislast des Pflichtteilsberechtigten verweise, sei im Hinblick auf den zwingenden Charakter des Anspruchs nicht sachgerecht. Das Argument, dass Parteien bewusst eine niedrigere Gegenleistung wählen könnten, werde auf Verträge unter Fremden nur ausnahmsweise zutreffen. Bei Geschäften in der Familie werde in der Regel das Angehörigenverhältnis das Motiv für das Abfinden mit einem geringeren Entgelt darstellen, was wiederum für nichts anderes als Schenkungsabsicht spreche.
[25] Musger (Rechtsprechung im Erb- und Pflichtteils-recht 2023, NZ 2024/35, 118 [124]) merkt zu dieser Entscheidung an, dass auch nach deren Vorliegen nicht auszuschließen sei, dass bei einem tatsächlich krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aufgrund des Zwecks der Norm bei einem non liquet Schenkungsabsicht anzunehmen, diese also zu vermuten, sei.
[26] 4.2. Diese Kritik gibt Anlass zu einer neuerlichen Prüfung der Frage, ob Pflichtteilsberechtigten im Kontext des § 781 ABGB Beweiserleichterungen im Zusammenhang mit der Frage des Vorliegens von Schenkungsabsicht zuzuerkennen sind.
[27] 5. Nach einer Vielzahl höchstgerichtlicher Entscheidungen wird in Fällen, in denen schutzwürdige Interessen Dritter berührt werden, einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein besonderer Indizwert für das Vorliegen einer Schenkungsabsicht zuerkannt werden müssen (RS0111389; RS0012971 [T5]; vgl auch RS0012959 [T8]).
[28] Andere Entscheidungen sprechen davon, dass sich aus den Umständen des Einzelfalls, zu denen das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses gehöre, der Schenkungswille erschließen lasse (7 Ob 529/80 SZ 53/167 mwN; RS0019356 [T1]). In (tendenziell) älteren Entscheidungen wird in ähnlichem Zusammenhang wiederholt betont, dass „unter nahen Angehörigen auch eine Verschleierung möglich ist“ (1 Ob 11/70 SZ 44/30; 7 Ob 529/80 SZ 53/167).
[29] 5.1. In der Literatur wird diese Rechtsprechung wiederholt dahin zusammengefasst, dass das objektive krasse Missverhältnis die Schenkungsabsicht vermuten lässt (Umlauft, Anrechnung² 280; Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 ABGB Rz 9). Damit wird im Ergebnis eine Beweislastumkehr angesprochen (so wohl auch Musger in KBB7 § 781 ABGB Rz 2).
[30] Andere Autoren verweisen darauf, dass nach der Rechtsprechung aus einem krassen Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen auf Schenkungsabsicht geschlossen werden kann (Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Kodek 5 § 781 ABGB Rz 7). Nach Likar‑Peer (in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht² Rz 11.11) indiziert ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in der Regel einen entsprechenden Parteiwillen, wobei der Gegenbeweis zulässig ist.
[31] 6. Eine nähere Analyse der Entscheidungen, die den in Punkt 5. angeführten Rechtssätzen zu Grunde liegen, zeigt ein differenziertes Bild:
[32] 6.1. In der Entscheidung 1 Ob 895/30 SZ 12/214 hatte der Oberste Gerichtshof unter anderem die Frage zu beurteilen, ob die Übergabe einer Liegenschaftshälfte an den Sohn des Erblassers als nunmehrigen Pflichtteilskläger um einen besonders günstigen Übergabspreis einen Vorempfang (§ 788 ABGB aF) darstellt. Die andere Liegenschaftshälfte wurde der „damaligen Braut“ des Klägers übergeben. Die Gegenleistungen des Klägers und seiner Frau machten rund ein Viertel des Liegenschaftswerts aus. In diesem Zusammenhang betonte der Oberste Gerichtshof, dass es auf einen Schenkungswillen des Erblassers nicht ankomme, weil nach zutreffender Ansicht auch solche Leistungen als Vorempfänge gelten würden, zu denen der Erblasser gesetzlich verpflichtet gewesen sei (etwa ein Heiratsgut). Maßgebend sei nur, ob der Leistung eine entsprechende Gegenleistung gegenüber gestanden sei.
[33] 6.2. In der Entscheidung 3 Ob 273/54 SZ 27/222 war zu prüfen, ob ein „Kauf- und Übergabevertrag“ über ein Haus eine anrechnungspflichtige gemischte Schenkung nach § 785 ABGB aF darstellt. Der Oberste Gerichtshof hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und trug dem Berufungsgericht auf, insbesondere „zu dem in SZ 12/214 ausgesprochenen Rechtsgedanken Stellung zu nehmen“, dass dem von § 785 ABGB aF „geforderten Erfordernis der Schenkungsabsicht schon dann Genüge geleistet sei, wenn zwischen der Leistung des Erblassers und der Gegenleistung ein so erhebliches Missverhältnis besteht, dass sich der Erblasser darüber im Klaren gewesen sein muss“.
[34] 6.3. In der Entscheidung 1 Ob 11/70 SZ 44/30 enthielt sich der Oberste Gerichtshof einer Stellungnahme zur Rechtsansicht der Vorinstanzen, die in einem bäuerlichen Übergabevertrag eine gemischte Schenkung erblickt hatten, weil nur der Kläger als Revisionswerber auftrat. Er verwies aber letztlich obiter darauf, dass es bei Beurteilung der Frage, ob eine teilweise Schenkung vorliege, im Wesentlichen auf den geäußerten Willen – also die Schenkungsabsicht – und darauf ankomme, ob der Wert der versprochenen Leistungen in einem krassen Missverhältnis zum Übergabewert stehe, weil insbesondere unter nahen Angehörigen auch eine Verschleierung möglich sei.
[35] 6.4. In der Entscheidung 8 Ob 51/70 NZ 1971, 45 war im Rahmen einer Pflichtteilsergänzungsklage zu beurteilen, ob die Übergabe einer Liegenschaft an die Beklagten eine (gemischte) Schenkung darstellte. Der Oberste Gerichtshof verwies darauf, dass der Übergabevertrag nach den Feststellungen den Übernehmer für von ihm und seiner Frau bereits erbrachte Leistungen und dem Übergeber in Zukunft zu erbringende Leistungen entschädigen sollte. Daraus schloss der Oberste Gerichtshof auf das Fehlen einer Schenkungsabsicht. Da überdies kein krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliege, komme eine Anrechnung nach § 785 ABGB aF nicht in Frage. Der Oberste Gerichtshof wiederholte im Übrigen die in 1 Ob 11/70 gemachten Aussagen zu den Voraussetzungen für die Annahme einer gemischten Schenkung.
[36] 6.5. In der erneut einen bäuerlichen Übergabevertrag betreffenden Entscheidung 7 Ob 529/80 SZ 53/167 verwies der Oberste Gerichtshof auf die Rechtsprechung, wonach sich aus den Umständen des Einzelfalls, zu denen das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses gehöre, der Schenkungswille erschließen lasse. Dies gelte besonders bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen, bei denen eine Verschleierung der teilweisen Schenkungsabsicht möglich sei. Im Hinblick auf das krasse Missverhältnis müsse den Vertragsparteien die teilweise Unentgeltlichkeit bewusst gewesen sein. Da auch das Erstgericht von einer Schenkungsabsicht ausgehe, sei insgesamt von einer gemischten Schenkung auszugehen.
[37] 6.6. In der (unveröffentlichten) Entscheidung 6 Ob 3/83 hatte der Oberste Gerichtshof erneut einen bäuerlichen Übergabevertrag zu beurteilen. Er führte aus, dass es zur Annahme einer gemischten Schenkung erforderlich sei, dass sich die Vertragspartner des doppelten Charakters der Leistung als teilweise entgeltlich und teilweise unentgeltlich bewusst gewesen seien; beide müssten die teilweise Unentgeltlichkeit gewollt und ausdrücklich oder schlüssig zum Ausdruck gebracht haben. Es sei daher das Vorliegen einer subjektiven Komponente erforderlich, alleine das objektive krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung genüge nicht. Die Notwendigkeit der Ermittlung der subjektiven Voraussetzungen des Schenkungstatbestands bringe allerdings denjenigen, der das Vorliegen einer gemischten Schenkung als anspruchsbegründende Tatsache behaupte, als Beweispflichtigen in eine schwierige Lage, weil grundsätzlich Schenkungen nicht zu vermuten seien und aus verschiedenen Gründen – etwa zur Verkürzung von Pflichtteilsansprüchen – versucht werden könne, die Schenkungsabsicht zu verschleiern. Zwar habe die Rechtsprechung bereits ausgesprochen, dass sich das Vorliegen von Schenkungsabsicht aus den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls, zu denen auch das krasse Missverhältnis der wechselseitigen Leistungen zähle, erschließen lasse. Allerdings reiche das krasse Missverhältnis allein in der Regel nicht aus, den subjektiven Tatbestand der gemischten Schenkung zu erfüllen. In Fällen, in denen schutzwürdiges Interesse Dritter – wie etwa bei Übergabeverträgen und Vorhandensein anderer Pflichtteilsberechtigter – berührt werde, werde aber einem krassen Missverhältnis ein besonderer Indizwert für das Vorliegen einer Schenkungsabsicht zuerkannt werden müssen. Der Oberste Gerichtshof begründete diese Rechtsansicht unter anderem mit Verweis auf Rechtsprechung des deutschen BGH, der bei Vorliegen eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung von einer tatsächlichen Vermutung für ein Bewusstsein der Vertragsschließenden um eine (teilweise) Unentgeltlichkeit ausgeht (vgl unten Punkt 7.2.). Der Oberste Gerichtshof erteilte jedoch dem Ansinnen der Klägerin, dass das krasse Missverhältnis allein zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands der gemischten Schenkung ausreiche und somit eine unwiderlegliche Vermutung für das Vorliegen von Schenkungsabsicht bedeuten solle, eine Absage. Feststellungen zur (Tatfrage des Vorliegens von) Schenkungsabsicht seien erforderlich.
[38] 6.7. In der Entscheidung 6 Ob 13/84 betonte der Oberste Gerichtshof, dass die Schenkungsabsicht aus den Umständen des Einzelfalls erschließbar sein könne. Das treffe häufig bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen zu, die eine Verschleierung der (teilweisen) Schenkungsabsicht möglich erscheinen lassen. Wenn dabei – wie bei Übergabeverträgen, wenn noch weitere Pflichtteilsberechtigte vorhanden seien – schutzwürdige Interessen Dritter berührt würden, sei bei krassem Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen die Absicht einer – teilweise – unentgeltlichen Leistung zu vermuten. Von einer solchen Schenkungsabsicht seien auch die Vorinstanzen ausgegangen.
[39] 6.8. In der Entscheidung 1 Ob 701/85 wies der Oberste Gerichtshof darauf hin, dass aus einem krassen Missverhältnis auf die Schenkungsabsicht geschlossen werden kann. Im Anlassfall fehlten allerdings ausreichende Feststellungen sowohl zum Vorliegen eines krassen Missverhältnisses als auch zur Schenkungsabsicht.
[40] 6.9. In der Entscheidung 8 Ob 608/88 wiederholte der Oberste Gerichtshof, dass es bei Beurteilung der Frage, ob eine teilweise Schenkung vorliege, im Wesentlichen auf den geäußerten Willen – also die Schenkungsabsicht – und darauf ankomme, ob der Wert der versprochenen Leistungen in einem krassen Missverhältnis zum Übergabewert stehe, weil insbesondere unter nahen Angehörigen auch eine Verschleierung möglich sei. Wegen Fehlens jeglicher Feststellungen darüber, inwieweit die Übergabe der Liegenschaften unentgeltlicher Natur gewesen sei, hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.
[41] 6.10. In der Entscheidung 3 Ob 66/97w war zu prüfen, ob ein „Kauf- und Leibrentenvertrag“ eine nach § 785 ABGB aF anrechnungspflichtige gemischte Schenkung darstellte. Das Erstgericht traf nur Feststellungen zum objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung, jedoch nicht zur Schenkungsabsicht. Das Berufungsgericht erachtete jedoch Feststellungen zur Schenkungsabsicht als erforderlich. Dem schloss sich der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Rechtsprechung zum „besonderen Indizwert“ an.
[42] 6.11. In der Entscheidung 6 Ob 24/01z, die erneut auf die Rechtsprechung zum „besonderen Indizwert“ hinwies, fehlte es nach den Feststellungen sowohl an einem krassen Missverhältnis als auch an Schenkungsabsicht.
[43] 6.12. In der anfechtungsrechtlichen Entscheidung 6 Ob 175/01f wies der 6. Senat darauf hin, dass der Frage der Schenkungsabsicht jene eines Schenkungsbewusstseins, das bei einem gemischten Vertrag von beiden Vertragspartnern zu fordern sei, vorgelagert sei. Sowohl Schenkungsbewusstsein als auch Schenkungsabsicht könnten aus dem Missverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungen erschlossen werden. Das Missverhältnis sei ein Indiz für die Schenkungsabsicht. Zwar sei das Schenkungsbewusstsein „primär festzustellen“, im Anlassfall sah der Oberste Gerichtshof das Schenkungsbewusstsein allerdings aufgrund einer Vertragsklausel als „mit hinlänglicher Sicherheit“ festgestellt an. Die Anfechtung scheiterte jedoch daran, dass dem Kläger der ihm obliegende Beweis des Vorliegens einer überwiegenden Unentgeltlichkeit (§ 3 Z 1 AnfO) misslang.
[44] 6.13. In der unterhaltsrechtlichen Entscheidung 6 Ob 128/05z verneinte der 6. Senat das Vorliegen einer gemischten Schenkung im Fall der Feststellung fehlenden Schenkungsbewusstseins. Zwar sei ein krasses Missverhältnis der Gegenleistung im Vergleich zum Übernahmswert ein Indiz für das Vorliegen von Schenkungsabsicht. Allerdings setze Schenkungsabsicht ein entsprechendes Schenkungs-bewusstsein voraus, an dem es nach den Feststellungen gefehlt habe.
[45] 6.14. In der Entscheidung 7 Ob 162/05g führte der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Rechtsprechung, wonach einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bei schutzwürdigen Interessen Dritter ein besonderer Indizwert für das Vorliegen von Schenkungsabsicht zukomme, aus, dass der für eine Schenkung notwendige Schenkungswille, falls er nicht erwiesen sei, bei einem krassen Missverhältnis abgeleitet werden könne.
[46] 6.15. In der Entscheidung 10 Ob 33/08p war ein Übergabevertrag im Rahmen eines Pflichtteilsprozesses zu beurteilen. Der Oberste Gerichtshof wies auf die Notwendigkeit der subjektiven Voraussetzungen des Schenkungstatbestands hin. Ob diese subjektiven Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen würden, gehöre in das Gebiet der Tatsachenfeststellungen. Beweispflichtig sei grundsätzlich derjenige, der die Schenkung als anspruchsbegründende Tatsache behaupte. Allerdings lasse sich aus den Umständen des Einzelfalls, zu denen auch ein krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zähle, auf das Vorhandensein von Schenkungsabsicht schließen. So werde insbesondere in Fällen, in denen ein schutzwürdiges Interesse Dritter – wie etwa bei Übergabeverträgen und Vorhandensein mehrerer Pflichtteilsberechtigter – berührt werde, einem solchen krassen Missverhältnis ein besonderer Indizwert für das Vorliegen einer Schenkungsabsicht zuerkannt werden müssen. Für sich allein werde jedoch dieser Umstand für die Annahme einer gemischten Schenkung in der Regel nicht ausreichen. Da die Vertragspartner nach den Feststellungen bei Abschluss der Übergabeverträge nicht die Absicht hatten, eine Schenkung zu vereinbaren, liege keine (gemischte) Schenkung vor.
[47] 6.16. In der Entscheidung 6 Ob 232/09z war im Rahmen einer Klage auf Schenkungspflichtteil zu beurteilen, ob ein Übergabe- und Schenkungsvertrag als gemischte Schenkung iSd § 785 ABGB aF zu qualifizieren war. Der Oberste Gerichtshof verwies darauf, dass eine gemischte Schenkung einerseits ein objektives Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, andererseits Schenkungsabsicht voraussetze. Für die Schenkungsabsicht genüge es jedoch, dass der Ablauf des Geschehens eine derartige Vermutung begründe. Zur Begründung dieser Ansicht zitierte der 6. Senat RS0117937, wonach es Sache des Beklagten ist, einen gerechtfertigten Beweggrund für sein Verhalten zu behaupten und zu beweisen, wenn der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht begründet.
[48] 6.17. In der pflichtteilsrechtlichen Entscheidung 5 Ob 191/10i wies der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision der Beklagten mit der Begründung zurück, dass die Vorinstanzen im Anlassfall unter Beachtung der Rechtsprechung zur Unentgeltlichkeit der Eigentumsübertragung an der Liegenschaft gelangt seien. Bei einem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Schenkungszeitpunkt sei unter besonderen, hier vorliegenden Umständen – konkret auch infolge des schutzwürdigen Interesses der pflichtteilsberechtigten Klägerin – das Vorliegen von Schenkungsabsicht indiziert.
[49] 6.18. In der Entscheidung 6 Ob 7/11i hatte der Oberste Gerichtshof einen als „Schenkung“ bezeichneten Vertrag über die Übertragung einer Liegenschaft gegen Erbringung von Pflegeleistungen im pflichtteilsrechtlichen Zusammenhang zu beurteilen, wobei der Wert der Pflegeleistungen nicht feststellbar war. Eine Schenkungsabsicht wurde „ausgehend von den Negativfeststellungen“ nicht festgestellt. Der Oberste Gerichtshof wies eine Revision der Kläger mit der Begründung zurück, dass das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nicht feststehe und „damit“ verbleibende Unklarheiten zu Lasten der Kläger gehen müssten.
[50] 6.19. Der Entscheidung 6 Ob 140/11y lag eine Pflichtteilsergänzungsklage zu Grunde, in deren Rahmen ein bäuerlicher Übergabevertrag zu beurteilen war. Das Erstgericht stellte nur die Werte von Leistung und Gegenleistung fest, ging von einem krassen Missverhältnis aus und nahm an, dass der Schenkungswille daher „zu vermuten“ sei. Das Berufungsgericht ging wiederum von einer Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung aus, sodass das Fehlen einer Feststellung zur Schenkungsabsicht nicht schade. Der 6. Senat hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf, weil sowohl verlässliche Feststellungen zum Wert von Leistung und Gegenleistung als auch zur Schenkungsabsicht notwendig seien. Zwar seien Schenkungen grundsätzlich nicht zu vermuten, die Beweispflicht treffe denjenigen, der sich auf die Schenkung als anspruchsbegründende Tatsache stütze. Allerdings könne ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung – insbesondere bei schutzwürdigen Interessen pflichtteilsberechtigter Dritter – Schenkungsabsicht indizieren. Ein krasses Missverhältnis würde ein Indiz für eine (teilweise) Schenkungsabsicht der Parteien darstellen.
[51] 6.20. In der Entscheidung 2 Ob 14/12s scheiterte die Bejahung einer anrechnungspflichtigen gemischten Schenkung iSd § 785 ABGB aF schon am Fehlen eines krassen Missverhältnisses. Der Senat betonte, dass ein objektives Auseinanderklaffen zwischen Leistung und Gegenleistung für sich allein die Annahme einer gemischten Schenkung nicht rechtfertige. Ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung könne aber – insbesondere bei schutzwürdigen Interessen pflichtteilsberechtigter Dritter – Schenkungsabsicht indizieren. Dennoch werde immer ein entsprechendes Schenkungsbewusstsein vorausgesetzt, dessen Vorliegen eine Frage der Tatsachenfeststellung sei.
[52] 6.21. In der Entscheidung 5 Ob 188/13b wies der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision des den Schenkungspflichtteil begehrenden Klägers zurück. Die Qualifikation des Übergabevertrags als (gemischte) Schenkung würde ein Einverständnis der Vertragspartner über die (teilweise) Unentgeltlichkeit der Vermögensverschiebung voraussetzen. Auch ein krasses objektives Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bedeute noch nicht zwingend ein Indiz für die Schenkungsabsicht, die auch Schenkungsbewusstsein voraussetze. Das Vorliegen von Schenkungs-absicht habe derjenige zu beweisen, der darauf seinen Anspruch gründe. Im Anlassfall sei die Tatfrage, ob der Parteiwille auf eine Schenkung gerichtet gewesen sei, durch die Feststellungen eindeutig im Sinn einer Verneinung von Schenkungsabsicht beantwortet worden.
[53] 6.22. In der Entscheidung 2 Ob 96/16f war der teilweise Schenkungscharakter des Übergabevertrags im Rechtsmittelverfahren unstrittig, sodass sich die Entscheidung auf die Frage des Umfangs der anzurechnenden gemischten Schenkung beschränkt.
[54] 6.23. Der die außerordentliche Revision des Klägers zurückweisenden Entscheidung 2 Ob 58/18w lag ein Fall zu Grunde, in dem die Vorinstanzen das Vorliegen einer Schenkungsabsicht ausdrücklich verneinten.
[55] 6.24. In der Entscheidung 2 Ob 110/20w war (unter anderem) die Frage zu beantworten, ob in der Begründung einer allgemeinen Gütergemeinschaft unter Lebenden eine hinzuzurechnende Verfügung lag. Das Erstgericht konnte zu dieser Frage nicht feststellen, ob der Erblasser beim Vertragsabschluss mit zumindest teilweisem Schenkungswillen handelte. Der Senat erachtete es vor diesem Hintergrund trotz nicht feststehender Schenkungsabsicht als denkbar, dass eine nach § 781 Abs 2 Z 6 ABGB hinzuzurechnende Schenkung vorliegt, wenn eine Leistung ohne nennenswerte Gegenleistung erbracht wird oder ex ante ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Im Anlassfall verneinte der Senat aber schon mangels krassen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung im Vertragsabschlusszeitpunkt eine hinzuzurechnende Verfügung.
[56] 6.25. In der Entscheidung 5 Ob 205/21i erachtete der Oberste Gerichtshof das Vorgehen des Berufungsgerichts als nicht korrekturbedürftig, das ausgehend von einem groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (unter anderem) daraus auf einen bei den Vertragsparteien insoweit auf „Unentgeltlichkeit“ gerichteten Vertragswillen geschlossen hat.
[57] 6.26. Der anfechtungsrechtliche Fachsenat ging in der Entscheidung 17 Ob 5/22t davon aus, dass bei Prüfung der Frage, ob eine unentgeltliche Verfügung gemäß § 3 Z 1 AnfO vorliege, im Fall eines non liquet zur Frage der Schenkungsabsicht auf die objektiven Umstände abzustellen sei, wobei allerdings nur ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Annahme einer unentgeltlichen Verfügung führen könne (Rz 15). Der weiteren Begründung lässt sich jedoch entnehmen, dass das Erstgericht gar keine Feststellung zur Frage des Vorliegens einer Schenkungsabsicht getroffen hatte (Rz 17) und der 17. Senat das Vorliegen einer unentgeltlichen Verfügung letztlich deswegen verneinte, weil es an einem krassen Missverhältnis fehlte (Rz 20).
[58] 6.27. In der Entscheidung 2 Ob 27/22t führte der Senat zu § 785 ABGB aF aus, dass ein krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung – und damit umso mehr das Fehlen einer Gegenleistung – Schenkungsabsicht indizieren könne. Im Anlassfall sei die Annahme einer Schenkung nicht zu beanstanden, weil der Erblasser der Beklagten ein Wohnungsgebrauchsrecht an in den Nachlass fallenden Wohnungen eingeräumt habe, „um den Pflichtteil des Klägers zu mindern“. Vor diesem Hintergrund sei es trotz Fehlens einer expliziten Feststellung zur Schenkungsabsicht unbedenklich, die ohne Gegenleistung erfolgte Einräumung eines Wohnrechts als unentgeltliche Zuwendung anzusehen.
[59] 6.28. In der Entscheidung 8 Ob 88/23h hatte der Oberste Gerichtshof zu beurteilen, ob in einer „Besserungsvereinbarung“ eine unentgeltliche Vermögenszuwendung lag. Er verwies darauf, dass es nach ständiger Rechtsprechung ausreiche, wenn der Schenkungswille aus den Umständen erschlossen werden könne. Wenn – wie im vorliegenden Fall – schutzwürdige Interessen Dritter berührt würden, liege im krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen von Schenkungsabsicht. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall trotz Fehlens ausdrücklicher Feststellungen zur Schenkungsabsicht von einer unentgeltlichen Vermögens-zuwendung auszugehen sei, sei vor dem Hintergrund gänzlich fehlender Gegenleistung „jedenfalls gut vertretbar“.
[60] 7. Die dargestellten Entscheidungen zeichnen damit kein einheitliches Bild.
[61] Während vereinzelte Entscheidungen eine ausdrückliche Feststellung zur Schenkungsabsicht für entbehrlich zu erachten scheinen (etwa 3 Ob 273/54 SZ 27/222), fordert die weit überwiegende Anzahl der Entscheidungen das Vorliegen einer solchen Feststellung (6 Ob 3/83, 3 Ob 66/97w uva). Letzteres überzeugt, weil die Frage des Vorliegens von Schenkungsabsicht letztlich eine Tatfrage ist (RS0019229). Nur in Ausnahmefällen kann aus Feststellungen zu weiteren Umständen des Vertragsabschlusses ein verlässlicher Rückschluss auf das Vorliegen (oder Fehlen) von Schenkungsabsicht gezogen werden (vgl 2 Ob 27/22t).
[62] Einzelne Entscheidungen betonen die Beweislast desjenigen, der sich auf die Schenkung als anspruchsbegründende Tatsache stützt (vgl RS0019370) und führen ins Treffen, dass auch das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung für sich allein genommen nicht zur Annahme von Schenkungsabsicht führt (etwa 10 Ob 33/08p, 5 Ob 188/13b und 2 Ob 118/20x [„kein zwingendes Indiz“]). Andere, teils jüngere Entscheidungen gehen hingegen im anfechtungs- und pflichtteilsrechtlichen Kontext bei Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung im Ergebnis von einer Beweislastumkehr zu Gunsten des schützenswerten Dritten (Anfechtender bzw Pflichtteils-berechtigter) aus (etwa 17 Ob 5/22t, 2 Ob 110/20w).
[63] Zahlreiche Entscheidungen betonen, dass dem Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung im Fall des Vorliegens schutzwürdiger Interessen Dritter (besondere) Indizwirkung zukomme (vgl RS0111389). In welcher Form die zuletzt genannten Entscheidungen dem schutzwürdigen Dritten Beweiserleichterungen zuerkennen möchten, lässt sich aus diesen nicht ohne Weiteres ableiten. In Frage kommen grundsätzlich drei Arten von Beweiserleichterungen:
[64] 7.1. Erstens könnte dem nach allgemeinen Grundsätzen Beweispflichtigen durch Zuerkennung eines Indizienbeweises die Beweisführung erleichtert werden. Der Indizienbeweis ist darauf gerichtet, durch den Beweis bestimmter Hilfstatsachen dem Gericht die volle Überzeugung des Vorhandenseins der direkt nicht oder nur schwer zu beweisenden Haupttatsache zu vermitteln (RS0040290). In einem solchen Fall wäre im Rahmen der Beweiswürdigung das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung als (gewichtiges) Indiz für das Vorliegen von Schenkungsabsicht zu werten. Zu beweisen wäre im Ergebnis aber nach wie vor die Schenkungsabsicht als Haupttatsache (vgl 5 Ob 111/20i Rz 8).
[65] Zweitens käme die Zubilligung eines Anscheinsbeweises in Betracht. In diesem Fall käme es zur Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RS0040274). Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RS0040266). Er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287). Er ist dort ausgeschlossen, wo der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann (RS0040288). Im Unterschied zur Beweislastumkehr genügt zur Widerlegung des ersten Anscheins seine Entkräftung durch den Nachweis einer anderen ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeit; eine solche muss nicht noch wahrscheinlicher als der erste Anschein gemacht werden (RS0040196).
[66] Drittens könnten diese Entscheidungen eine noch weitergehende (vgl dazu etwa Spitzer in Spitzer/Wilfinger, Beweisrecht § 270 ZPO Rz 4 ff) Beweislastumkehr ansprechen. Eine diese umfassende Beweiserleichterung tragende gesetzliche Anordnung (wonach ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung das Fehlen von Schenkungsabsicht vermuten lässt) fehlt (vgl RS0109832 zur allgemeinen Beweislastregel „mangels gesetzlicher Spezialregeln“). Nach Teilen der Rechtsprechung ließe sich eine solche Umkehr der Beweislast allerdings damit rechtfertigen, dass eine Beweisführung von der an sich dazu verpflichteten Partei billigerweise nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur ihr bekannt und damit auch nur durch sie beweisbar sind (RS0040182; vgl RS0013491). Diese Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof in jüngerer Zeit jedoch zunehmend kritisch gesehen (vgl etwa 5 Ob 47/22f Rz 2 mwN).
[67] 7.2. Für die Zuerkennung eines bloßen Indizienbeweises spricht – jedenfalls auf den ersten Blick – die verwendete Formulierung („Indiz“; „indiziert“). Auch die Rechtsprechung, wonach das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung für sich allein genommen nicht zur Annahme von Schenkungsabsicht führt (10 Ob 33/08p, 5 Ob 188/13b und 2 Ob 118/20x), legt die Annahme eines bloßen Indizienbeweises nahe. Es wäre damit allein Sache der Tatsacheninstanzen, die Indizwirkung des krassen Missverhältnisses im Rahmen der Beweiswürdigung angemessen zu berücksichtigen.
[68] Gerade dieser Umstand spricht allerdings dagegen, dass der Oberste Gerichtshof in der dargestellten Rechtsprechung tatsächlich von einem bloßen Indizienbeweis ausging. Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz und kann den Vorinstanzen damit keine Vorgaben im Hinblick auf die vorzunehmende Beweiswürdigung machen. Auch der wiederholt betonte Umstand, dass „Verschleierungen“ vermieden werden sollen (etwa 7 Ob 529/80 SZ 53/167), spricht gegen die bloße Zuerkennung eines Indizienbeweises.
[69] Der Rückgriff der Entscheidung 6 Ob 3/83, auf die die „Indiz‑Judikatur“ (RS0111389) zurückgeht, auf Rechtsprechung des deutschen BGH legt ebenfalls nahe, dass der Oberste Gerichtshof dem Pflichtteilsberechtigten mehr als einen bloßen Indizienbeweis zuerkennen wollte. Der BGH judiziert nämlich seit vielen Jahrzehnten in gefestigter Rechtsprechung, dass es im Einklang mit der Lebenserfahrung die tatsächliche, widerlegbare Vermutung für einen Schenkungswillen der Vertragsparteien begründet, wenn zwischen dem Wert der Zuwendung und dem Wert der Gegenleistung eine auffallende, über ein geringes Maß deutlich hinausgehende Diskrepanz besteht (etwa BGH X ZR 45/10 Rn 19 mwN). Koch (in MüKoBGB9 § 516 Rn 22, 35) betont, dass diese Vermutung allerdings in erster Linie zu Gunsten (schutzwürdiger) Dritter bestehe.
[70] Insgesamt ist damit davon auszugehen, dass die bisherige überwiegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur allzu leichten Vermeidung von Umgehungen des Pflichtteilsrechts eine über den bloßen Indizienbeweis hinausgehende Beweiserleichterung zuerkennt (idS auch die unter Punkt 5.1. dargestellte hL). Daran ist im Hinblick auf die Zwecke des Pflichtteilsrechts, das eine Gleichbehandlung der Pflichtteilsberechtigten sicherstellen und Umgehungen verhindern soll (vgl Musger in KBB7 § 781 Rz 1 mwN), festzuhalten. Die in der Entscheidung 2 Ob 205/22v Rz 42 ohne nähere Auseinandersetzung mit der dargestellten Rechtsprechung gemachten Ausführungen werden damit nicht in dieser allgemeinen Form aufrecht erhalten.
[71] 7.3. Nach Ansicht des Fachsenats sprechen die besseren Argumente für die Zuerkennung eines Anscheinsbeweises:
[72] In Fragen der An- und Hinzurechnung stehen einander typischer Weise der konkret Pflichtteilsberechtigte einerseits und der Erbe bzw Geschenknehmer, der eine Zuwendung des Erblassers erhalten hat, andererseits gegenüber. Der konkret pflichtteilsberechtigte Kläger wird im Regelfall keinen Einblick in die Rechtsbeziehung zwischen dem Erblasser und dem Erben bzw Geschenknehmer haben, befindet sich also regelmäßig in einer schwierigen Beweislage (vgl 6 Ob 3/83).
[73] Nach Ansicht des Senats lässt das krasse Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nach der Lebenserfahrung in pflichtteilsrechtlich relevanten Konstellationen (§§ 782, 783 ABGB) den gleichartigen und zuverlässigen Schluss auf das Vorliegen von Schenkungsabsicht zu, legt also einen typischen Erfahrungszusammenhang nahe (vgl bereits Schauer, Rechtsprobleme der erbrechtlichen Nachfolge bei Personenhandelsgesellschaften [1999], 90). In diese Richtung deuten auch die in der Rechtsprechung wiederholt gemachten Ausführungen, wonach Schenkungsabsicht bei Vorliegen eines krassen Missverhältnisses erschlossen werden kann (etwa 8 Ob 51/70 NZ 1971, 45, 7 Ob 529/80 SZ 53/167 und 7 Ob 162/05g [„abgeleitet“]).
[74] Die Rechtsprechung, dass der Anscheinsbeweis dort ausgeschlossen ist, wo der Kausalablauf durch den individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann (RS0040288), steht diesem Ergebnis aus folgenden Erwägungen nicht entgegen:
[75] In dem dem Rechtssatz zu Grunde liegenden Ausgangsfall 1 Ob 502/84 SZ 57/20 verneinte der Oberste Gerichtshof die Zubilligung eines Anscheinsbeweises in einer Fallkonstellation, in der Schmuck aus ungeklärter Ursache aus einem Hotelzimmer „verschwunden“ war. Ein bestimmter Geschehensablauf sei beim Abhandenkommen eines Schmuckstücks aus einem Hotelzimmer nicht typisch, vielmehr werde der Ablauf durchwegs von individuellen Willensentschlüssen mehrerer Personen bestimmt. In weiteren Entscheidungen wurde die Zubilligung eines Anscheins-beweises etwa im Zusammenhang mit folgenden Fragen verneint: wer ein Motorrad gelenkt habe (2 Ob 119/88), ob eine idente Geschäftsadresse mehrerer Personen auf deren wirtschaftliche oder persönliche Verflechtung schließen lasse (5 Ob 133/92), ob zwischen einer fehlerhaften Schibindung und einem Kreuzbandriss ein Kausalzusammenhang bestehe (1 Ob 2051/96s), ob ein (aufgrund eines Wartungsfehlers nicht ausgelöster) „stiller Alarm“ bei einer Alarmanlage den Täter zur Aufgabe bewogen hätte (10 Ob 13/13d) oder ob ein zusätzlich zur Meldung von Vorunfällen an einer bestimmten Eisenbahnkreuzung gestellter Antrag auf Änderung der Sicherung dieser Kreuzung die Behörde zu einer (rechtzeitigen) Änderung bewogen hätte (2 Ob 95/19p). All diesen Fällen ist gemein, dass – anders als im vorliegenden Fall – kein typischer Erfahrungszusammenhang vorlag. Auch der 1. Senat betonte jüngst in der Entscheidung 1 Ob 39/24b, dass die zu RS0040288 indizierten Entscheidungen Konstellationen betrafen, in denen es gar keinen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf gab, weil dieser ausschließlich von individuellen Ereignissen bestimmt war.
[76] Andere zu RS0040288 indizierte Entscheidungen betrafen wiederum Sachverhalte, in denen – wiederum anders als im vorliegenden Fall – der individuelle Willensentschluss des Beweisführers zu beurteilen war und dem Obersten Gerichtshof aus diesem Grund keine Beweiserleichterung geboten erschien (etwa 10 ObS 56/90 [lag ein in der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckter Arbeitsweg vor ?]; 6 Ob 2100/96h [Anlageentschluss auf Grundlage eines Prospekts?]; 9 Ob 26/14k [Auswirkung einer Ad‑hoc‑Meldung auf Entscheidung über Veranlagung]). Dass der typische Erfahrungszusammenhang zwischen einer nach außen tretenden Tatsache (objektives krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) und dem inneren Zustand eines Menschen (subjektives Freigiebigkeitselement des [verstorbenen] Geschenkgebers) besteht, steht der Zubilligung eines Anscheinsbeweises ebenfalls nicht entgegen (vgl 8 Ob 615/92).
[77] Für die Annahme einer Beweislastumkehr fehlt es hingegen an einer gesetzlichen Grundlage. Der bloße Umstand, dass es sich bei der Schenkungsabsicht um Umstände handelt, die nicht in der Sphäre des grundsätzlich Beweisbelasteten liegen, reicht für die Annahme einer Beweislastumkehr nicht hin (vgl etwa 5 Ob 47/22f Rz 2 mwN; vgl auch Schauer, Rechtsprobleme, 90 FN 147). Zu bedenken ist überdies, dass die in Richtung einer Beweislastumkehr argumentierenden Entscheidungen 2 Ob 110/20w und 17 Ob 5/22t jeweils Fälle betrafen, in denen gar kein krasses Missverhältnis vorlag. Die Ausführungen zum erkennbar angenommenen Bestehen einer Beweislastumkehr für den Fall des Vorliegens eines solchen krassen Missverhältnisses stellen daher letztlich obiter dicta dar. Die Entscheidung 6 Ob 232/09z, die ebenfalls als Anhaltspunkt für die Zubilligung einer Beweislastumkehr gedeutet werden könnte, stützt sich insoweit ausschließlich auf einen auf § 1295 Abs 2 ABGB bezogenen – und damit nicht unmittelbar einschlägigen – Rechtssatz, wonach es Sache des Urhebers eines Geschehens, das die Vermutung der Schädigungsabsicht nahe lege, sei, für sein Verhalten einen gerechtfertigten Beweggrund zu behaupten und zu beweisen.
Als Zwischenergebnis folgt:
[78] Dem insoweit schutzwürdigen Pflichtteilsberechtigten ist (auch) im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015 bei Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ein Anscheinsbeweis zuzubilligen, auf dessen Grundlage auf das Vorliegen von (festzustellender) Schenkungsabsicht geschlossen werden kann.
[79] 8. Ob ein solches krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, lässt sich im vorliegenden Fall anhand der getroffenen Feststellungen allerdings noch nicht abschließend beurteilen:
[80] 8.1. Die Rechtsprechung verlangt für das Vorliegen eines „krassen Missverhältnisses“ zwischen Leistung und Gegenleistung nicht das Überschreiten der Laesio‑enormis‑Grenze (RS0012959; 6 Ob 140/11y; 8 Ob 51/70 NZ 1971, 45 [46] mwN; 3 Ob 273/54 SZ 27/222), sodass je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ein „krasses Missverhältnis“ auch schon bei einem ganz erheblichen, aber 50 % nicht erreichenden Auseinanderklaffen von Leistung und Gegenleistung angenommen werden kann.
[81] 8.2. Bei der Berücksichtigung von dem Erblasser vorbehaltenen Nutzungsrechten bei der Überlassung von Liegenschaften ist nach der Rechtsprechung zwischen zwei Fragen zu unterscheiden: erstens der Frage, ob überhaupt eine (gemischte) Schenkung vorliegt; zweitens der Frage, wie im Falle der Bejahung der ersten Frage bei der darauffolgenden Berechnung des Schenkungspflichtteils vorzugehen ist (2 Ob 96/16f Punkt 2.1. mwN).
[82] 8.3. Im Hinblick auf die Frage, ob überhaupt eine (gemischte) Schenkung vorliegt, ist durch das ErbRÄG 2015 keine Änderung der Rechtslage eingetreten, beruht doch die insoweit gebotene Heranziehung des Vertragsabschlusszeitpunkts auf allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen (vgl Umlauft in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 788 ABGB Rz 25). Daher ist die Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 im Hinblick auf die erste Frage auch zur Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 fortzuführen. Dies vermeidet auch Wertungsinkonsistenzen, hat doch der Fachsenat die Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015 im Hinblick auf die zweite Frage auch zur Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 fortgeschrieben (RS0133183).
8.4. Damit gilt auch im Anwendungsbereich des ErbRÄG 2015:
[83] Das für die Frage, ob überhaupt eine (gemischte) Schenkung vorliegt, bedeutsame Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ist nach den Wertverhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beurteilen (RS0019380). Zur Beurteilung des Vorliegen eines krassen Missverhältnisses müssen Leistung und Gegenleistung objektiv – also ohne Bedachtnahme auf die „von den Parteien bestimmten“ Werte – bewertet werden (6 Ob 3/83 = RS0018901). Bei der Bewertung der übergebenen Liegenschaft sind alle Belastungen (auch ein lebenslanges Nutzungsrecht des Erblassers selbst) als wertmindernd zu berücksichtigen, die der Übernehmer zu übernehmen hatte. Als Gegenleistung ist aber nur eine aus dem Vermögen des Übernehmers (allenfalls auch aus dem Vermögen eines Dritten für ihn) erbrachte Leistung zu veranschlagen, nicht etwa auch der Vorbehalt von Nutzungen und sonstigen Befugnissen eines Eigentümers, die dem Übergeber kraft seines Eigentums zustanden und die er sich zum Teil über den Übergabszeitpunkt hinaus, unter Umständen bis zu seinem Ableben für sich vorbehält (RS0012978; 2 Ob 96/16f).
[84] 8.5. Zu beachten ist weiters, dass bisher der zutreffende Hinweis der Klägerin unbeachtet blieb, wonach der Erblasser gemeinsam mit der Witwe das Unternehmen übergab.
[85] 9. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht unter Beachtung des im Fall des Vorliegens eines krassen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung im pflichtteilsrechtlichen Kontext zuzubilligenden Anscheinsbeweises neuerlich zu entscheiden haben.
[86] 10. Insgesamt war damit der außerordentlichen Revision im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.
[87] 11. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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