OGH 3Ob273/54

OGH3Ob273/5410.9.1954

SZ 27/222

Normen

ABGB §938
ABGB §1267
ABGB §1284
ABGB §938
ABGB §1267
ABGB §1284

 

Spruch:

Zur Rechtsnatur eines aleatorischen synallagmatischen Vertrages.

Voraussetzung der Beurteilung eines Leibrentenvertrages als einer gemischten Schenkung.

Entscheidung vom 10. September 1954, 3 Ob 273/54.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger ist der Sohn des am 26. Jänner 1952 verstorbenen Julius N. sen., aus dessen im Jahre 1933 geschiedenen Ehe mit Aloisia N. Die Beklagte ist die zweite Gattin des Julius N. sen. Ihr wurde dessen Nachlaß auf Grund des Testamentes vom 13. März 1944 zur Gänze eingeantwortet.

Mit dem in Form eines Notariatsaktes errichteten Kauf- und Übergabsvertrages vom 8. Mai 1950 hat Julius N. sen. der Beklagten ein Haus in Wien, XV., um 30.000 S verkauft und am Tage der Vertragserrichtung übergeben. Der Kaufpreis wurde wie folgt verrechnet:

a) Die Beklagte übernahm die Verpflichtung, an die geschiedene Gattin des Übergebers eine monatliche Rente von 80 S zu bezahlen. Der Wert dieser Verpflichtung wurde angeblich im Sinne des Reichsbewertungsgesetzes mit 7200 S angenommen.

b) Die Beklagte verpflichtete sich, für den gesamten Lebensunterhalt des Verkäufers im Umfang des § 672 ABGB. aufzukommen und ihm überdies das lebenslängliche unentgeltliche Wohnungsrecht in der im Kauf- und Übergabsobjekt gelegenen Wohnung im bisherigen Umfang einzuräumen. Diese Verpflichtung wurde mit monatlich 220 S und im Hinblick auf das Alter des Übergebers (geboren 9. November 1870) angeblich im Sinne des Reichsbewertungsgesetzes mit dem Betrage von 19.800 S bewertet.

c) Der Kaufpreisrest von 3000 S, womit der gesamte Kauf- und Übergabspreis von zusammen 30.000 S verrechnet erscheint, wurde als Entgelt für die Forderung der Beklagten für ihre Mitarbeit im Fleischhauereigeschäft ihre Gatten verrechnet.

Der Kläger, der von der Beklagten den Betrag von 10.000 S als Pflichtteil ausbezahlt erhielt, verlangt Pflichtteilsergänzung um weitere 27.320 S mit der Begründung, daß in dem erwähnten Kauf- und Übergabsvertrag eine verschleierte Schenkung an die Beklagte enthalten sei, die gemäß § 785 ABGB. bei Berechnung des Nachlasses in Anschlag zu bringen sei.

Das Erstgericht gab dem Pflichtteilsergänzungsbegehren zum Teil statt. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren zur Gänze abwies.

Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile beider Vorinstanzen auf und trug dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht hat das in Rede stehende Verkaufs- und Übergabsgeschäft als einen Glücksvertrag qualifiziert und hat in den Mittelpunkt seiner Begründung den Satz gestellt, daß nur dann, wenn der Wagnischarakter des Geschäftes ganz in den Hintergrund getreten sei, bei einem Glücksvertrag eine Kollation erfolgen könne. Das Berufungsgericht verkennt damit die Bedeutung der sogenannten Glücksverträge. Das Wesen eines aleatorischen synallagmatischen Vertrages besteht darin, daß von vornherein nicht gesagt werden kann, ob sich im Endergebnis der Vertrag für sich allein betrachtet, für den einen oder für den anderen Teil vorteilhaft auswirken wird. Die Tatsache, daß ein Vertrag als Glücksvertrag im Sinne des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 1267) anzusehen ist, bedeutet aber noch keineswegs, daß die beiderseitigen Leistungen nicht geschätzt werden können. Die Entwicklung des Versicherungswesens seit der Erlassung des ABGB. hat z. B. dazu geführt, daß der Wert von Versicherungsleistungen, insbesondere in der Lebensversicherung mit Hilfe von Sterbetafeln gemäß den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung viel genauer berechnet werden kann, als der Wert der meisten marktgängigen Waren. Er ist wesentlich konstanter als der Wert börsenmäßig gehandelter Spekulationspapiere. Dasselbe gilt vom Wert einer Leibrente, die als Gegenwert einer anderen Leistung übernommen wird. Wer eine Leibrente verkauft, über nimmt zwar ein gewisses Wagnis - wenn er sich nicht durch eine Versicherung eindeckt -; der Wert, den er überträgt, ist aber versicherungstechnisch berechenbar. Es ist daher ein schiefer Gedanke, wenn das Berufungsgericht aus dem Wagnischarakter des Leibrentenverkaufes den Grundsatz ableitet, daß man Leibrenten nicht bewerten und daher bei einem Leibrentenverkauf nicht behaupten könne, daß eine gemischte Schenkung vorliege, wenn der Wert der Leibrente im Leibrentenverkaufsvertrag höher geschätzt wurde, als der versicherungstechnische Wert der Rente beträgt.

Diese Auffassung ist vom Obersten Gerichtshof in ständiger Praxis als lebensfremd und mit den Gesetzen unvereinbar abgelehnt worden, insbesondere in der Entscheidung vom 12. Feber 1930, 2 Ob 123/30, JBl. 1930, 149, wo zutreffend ausgeführt wird, die Gewährung einer Leibrente bzw. des ihr wirtschaftlich gleichkommenden Ausgedinges beinhalte eine Gegenleistung für die Übergabe des Gutes. Das Geschäft sei daher bis zur Höhe des Entgeltes als ein entgeltliches anzusehen. Aus § 1267 ABGB. folge aber die Möglichkeit sowohl einer entgeltlichen wie einer unentgeltlichen Bestellung. Im vorliegenden Fall sei der Beweis erbracht, daß zwischen dem Wert des Ausgedinges (Kapitalswert) und dem des übergebenen Gutes ein bedeutender Unterschied bestehe. Der durch den Kapitalswert des Ausgedinges nicht gedeckte Mehrwert des Gutes beinhalte daher eine vom Übergeber beabsichtigte Schenkung. Mit Recht habe das Berufungsgericht hierin einen gemischten Vertrag erblickt. Der Kapitalswert des Ausgedinges sei vom Berufungsgericht ermittelt worden. Die Revision bekämpfte diese Feststellung lediglich mit der angeblichen Unmöglichkeit einer solchen Schätzung, weil der Wert des Ausgedinges sich nach der unbestimmten Lebensdauer und den unbestimmten Erfordernissen, insbesondere der kranken Tochter, bestimmt hätte, deren Umfang sich weder voraussehen noch vorausberechnen lasse. Diese Anschauung widerspreche jedoch den Tatsachen der versicherungstechnischen Berechnung auch solcher Risken und weiters auch gesetzlichen Vorschriften, welche wie §§ 225 ff. EO., 21 RealSchO. usw. die Schätzung solcher Rechte anordnen. Es könne daher aus der Schwierigkeit der Schätzung solcher Rechte keineswegs auf die Unmöglichkeit der Schätzung geschlossen werden. Die Unbestimmtheit der Leistungen sei vielmehr ein besonderes Merkmal des Glücksvertrages.

Der Gedanke, daß die Unbestimmbarkeit übernommener Leistungen noch nicht die Schätzbarkeit einer Leistung ausschließe, liegt auch der im gleichen Jahr ergangenen Entscheidung vom 4. November 1930, 1 Ob 895/30, SZ. XII/214, zugrunde. Der Oberste Gerichtshof lehnte damals die Meinung des Klägers ab, es könne eine nach § 785 ABGB. zu berücksichtigende gemischte Schenkung deshalb nicht angenommen werden, weil sich der fragliche Vertrag einerseits aus einem Kaufvertrag mit Verzicht auf die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte und anderseits wegen des zu leistenden Auszuges aus einem Glücksvertrag (Leibrentenvertrag) zusammensetzte. Der Oberste Gerichtshof verwies demgegenüber darauf, daß die Vorschriften über den Glücksvertrag deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Leibrente (Auszug und Wohnungsrecht) neben der 60.000 K einen Teil des Gegenwertes für die verkaufte Liegenschaft, also einen Teil des Kaufpreises, bildeten. Nach der unangefochtenen Berechnung des Berufsgerichtes betrage für den Zeitpunkt der Schenkung die Differenz zwischen dem Liegenschaftswert und dem Wert des dafür entrichteten Entgelts 331.415 Papierkronen. Da das Entgelt nicht einmal die Hälfte des Liegenschaftswertes erreiche, so liege eine gemischte Schenkung vor.

An diesen Grundsätzen hat der Oberste Gerichtshof seither festgehalten. So führt z. B. die Entscheidung vom 12. September 1951, 2 Ob 62/51 aus: "Insofern der Sachwert den Kapitalswert der Gegenleistung übersteigt, muß auch dem Leibrentenvertrag der Charakter einer Schenkung zukommen." Ähnlich die neueste einschlägige Entscheidung dieses Senates vom 17. Feber 1954, 3 Ob 638/53: "Im Übergabsvertrag vom 25. Jänner 1936 konnte ein entgeltliches und ein unentgeltliches Rechtsgeschäft enthalten sein, falls die Gegenleistung des Übernehmers wesentlich hinter den Übergabsverträgen üblichen Gegenleistungen zurückbleiben und die Vertragsschließenden in diesem Umfang eine Schenkung beabsichtigen (SZ. II/51; 3 Ob 21/51; 2 Ob 562/51; 1 Ob 938/52)."

Aus dieser Entscheidung ergibt sich auch, daß es nicht etwa darauf ankommt, ob ein Fall einer laesio enormis vorliegt, sondern daß eine gemischte Schenkung bereits dann angenommen werden kann, wenn der Wert der Gegenleistungen wesentlich geringer als der Sachwert der überlassenen Liegenschaft ist, so insbesondere auch die Entscheidung dieses Senates vom 1. Juli 1953, 3 Ob 414/53, Das wird aber vom Erstgericht angenommen; es nimmt den Wert der Liegenschaft mit 40.600 S an und bewertet die Rentenverpflichtung mit 17.846 S auf Grund des Sachverständigengutachtens, während sie im Vertrag mit 27.000 S angenommen werden. Dazu sei bemerkt, daß der Vertrag zwar behauptet, daß die Rentenleistungen nach dem "Bewertungsgesetz" berechnet sind, daß dies aber tatsächlich nicht der Fall ist, denn nach § 16 RBewG. ist der Wert der Leibrente bei einer 75 bis 80jährigen Person mit dem 5fachen Werte der einjährigen Leistung anzunehmen. Da sowohl Julius als auch Aloisia N. im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in diese Alterklasse fielen, so hätten die Vertragsparteien, wenn sie tatsächlich, wie behauptet, den Gebührenwert angenommen hätten, zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Rente Aloisia N.s mit 4800 S, die des Julius N. mit 13.200 S zu bewerten ist, also insgesamt mit 18.000 S, was trotz der rohen Berechnungsgrundlage des § 16 RBewG. ungefähr zu dem gleichen Ergebnis führt wie die unter Zugrundelegung der versicherungstechnischen Berechnungsmethoden erfolgte Berechnung des Sachverständigen.

Die Überwertung der Renten um 50% ist jedenfalls ein Umstand, der bei der Beurteilung der Absicht der Parteien, den Wert der Renten höher anzugeben, als der tatsächliche Wert beträgt, zu berücksichtigen sein wird. Dabei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu dem in SZ. XII/214 ausgesprochenen Rechtsgedanken Stellung zu nehmen haben, daß dem von § 785 ABGB. geforderten Erfordernis der Schenkungsabsicht schon dann Genüge geleistet sei, wenn zwischen der Leistung des Erblasses und der Gegenleistung ein so erhebliches Mißverhältnis besteht, daß sich der Erblasser darüber im klaren gewesen sein muß.

Aber auch sonst ist die Sache nicht spruchreif. Der Berufungswerber hat die Nichterhebung des Verkehrswertes der Liegenschaft durch den Erstrichter beanständet. Das Berufungsgericht hat sich dem Erstrichter angeschlossen. Das wird mit Recht im Revisionsverfahren gerügt, weil insbesondere bei mietergeschützten Liegenschaften der Verkehrswert oft stark von den aus Grundwert, Bauwert und Ertragswert errechneten Durchschnittswertes abweicht. Um festzustellen, ob die gegenseitigen Leistungen in einem angemessenen Verhältnis stehen, muß daher auch der Verkehrswert festgestellt werden. Die Berücksichtigung dieser Rüge durch den Obersten Gerichtshof ist zulässig und keine Verletzung des Grundsatzes, daß es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, Mängel des erstrichterlichen Verfahrens zu beachten, die das Berufungsgericht als nicht gegeben erachtet hat, weil es sich hier nicht um einen echten Verfahrensmangel, sondern einen sogenannten Feststellungsmangel handelt, nämlich um die Nichtberücksichtigung von Umständen infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

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