OGH 2Ob205/22v

OGH2Ob205/22v13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, sowie den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. C*, vertreten durch Mag. Wolfgang Steiner, Mag. Anton Hofstetter, Rechtsanwälte in Wolkersdorf im Weinviertel, wegen zuletzt 104.527,06 EUR, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Juni 2022, GZ 11 R 43/22g‑52, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 3. Jänner 2022, GZ 10 Cg 29/20d‑48, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00205.22V.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in der Abweisung des Mehrbegehrens in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind die Söhne der am 1. 6. 2019 verstorbenen Erblasserin (im Folgenden: Mutter). Der Vater der Streitteile und Ehemann der Mutter verstarb bereits 2010. Der Mutter wurde der Nachlass nach dem Vater aufgrund ihrer unbedingten Erbantrittserklärung als testamentarische Erbin mit Einantwortungsbeschluss vom 16. 5. 2011 zur Gänze eingeantwortet. Der Beklagte verzichtete im Verlassenschaftsverfahren nach seinem Vater – im Gegensatz zum Kläger – auf seinen Pflichtteil. Gegenüber dem Kläger verpflichtete sich die Mutter als Alleinerbin, dessen Pflichtteil von 37.541,46 EUR bis 15. 6. 2011 zu zahlen.

[2] Nach dem Tod ihres Ehemanns setzte die Mutter den Beklagten mit Testament vom 6. 4. 2010 zu ihrem Alleinerben ein, während der Kläger auf den Pflichtteil gesetzt wurde.

[3] Es steht nicht fest, dass die Mutter die erbrechtliche Stellung des Klägers über den Wortlaut des Testaments weiter beschränken, insbesondere seinen Pflichtteil kürzen oder ihn enterben wollte.

[4] Die Mutter war Eigentümerin zweier Liegenschaften, wobei das von ihr als Erbin ihres Ehegatten an den Hälfteanteilen dieser Liegenschaften erworbene Eigentum nicht verbüchert war. Mit dem in Form eines Notariatsakts abgeschlossenen (und vom Nebenintervenienten aufgesetzten) Übergabsvertrag vom 6. 6. 2011 übertrug die Erblasserin diese Liegenschaften dem Beklagten.

[5] Im Vertrag verpflichtete sich der Beklagte neben der Übernahme eines auf einer der Liegenschaften haftenden Höchstbetragspfandrechts von 32.000 EUR, einen Kredit aufzunehmen, zurückzuzahlen und auf der Liegenschaft mit einem Höchstbetragspfandrecht im Betrag von 50.000 EUR hypothekarisch zu besichern. Dieser Kredit sollte es ermöglichen, dass die Erblasserin den Pflichtteil des Bruders im Verlassenschaftsverfahren nach dem Vater der Streitteile berichtigen kann. Darüber hinaus wurde der Mutter ein lebenslängliches Wohnrecht eingeräumt. Der Beklagte verpflichtete sich weiters zur Zahlung einer monatlichen Leibrente von 500 EUR ab 1. 7. 2011. Es steht nicht fest, aufgrund welcher Überlegungen die Leibrentenvereinbarung gewählt wurde und welche Faktoren die Vertragsteile für deren Höhe als wertbestimmend erachtet hatten. Neben der Leibrente und der Übernahme der Kreditverbindlichkeiten wurden keine weiteren Leistungen des Beklagten vereinbart, insbesondere nicht, dass dieser die Liegenschaft instand zu halten oder seine Mutter zu pflegen hatte.

[6] Die Mutter meinte nach Abschluss des Übergabsvertrags nun alles geregelt zu haben. Sie war bis zu ihrem Ableben gesund und hätte eine Änderung ihres letzten Willens vornehmen oder sich über gesetzliche Änderungen informieren können.

[7] Dem Beklagten wurde die überschuldete Verlassenschaft der Mutter aufgrund seiner bedingten Erbantrittserklärung als testamentarischer Erbe mit Einantwortungsbeschluss vom 24. 8. 2020 zur Gänze eingeantwortet.

[8] Bis zum Ableben der Mutter zahlte der Beklagte die Leibrente durchgehend, die Kreditraten wurden hingegen von der Mutter bis zu ihrem Ableben selbst zurückgezahlt.

[9] Der Kläger begehrt zuletzt die Zahlung von 104.527,06 EUR. Dieser Betrag stehe ihm als Pflichtteilsberechtigtem nach seiner Mutter unter Berücksichtigung der von dieser dem Beklagten geschenkten Liegenschaften zu. Der Beklagte habe sich diese Schenkungen anrechnen zu lassen und dem Kläger als Pflichtteilsberechtigtem davon ein Viertel zu leisten.

Der Beklagte wandte – für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, dass mangels Schenkungsabsicht mit dem Übergabsvertrag keine anrechnungspflichtigen Zuwendungen an den Beklagten verbunden gewesen seien. Vielmehr sei der Übergabsvertrag als Kaufvertrag zu qualifizieren. Darüber hinaus sollten mit dem Übergabsvertrag nach dem Willen der Mutter die vom Beklagten übernommenen Haftungen und der von ihm „aufgrund moralischer Erwägungen“ befolgte Wunsch des Vaters auf den (den Nachlass des Vaters betreffenden) Pflichtteilsverzicht wirtschaftlich ausgeglichen werden. Nach dem Willen der Mutter sollte der Kläger aus ihrer Verlassenschaft möglichst gar nichts mehr, höchstens jedoch das gesetzlich Zulässige erhalten. Ihr Testament sei dahin auszulegen, dass der Pflichtteil des Beklagten gemindert werden sollte. Von der später eingeführten gesetzlichen Möglichkeit habe sich die Verstorbene mangels Kenntnis in einem Rechtsirrtum befunden. Eine allfällige Pflichtteilsforderung sei zudem um 62.826 EUR für Pflegeleistungen des Beklagten für die Mutter zu reduzieren. Ansprüche aus diesen Pflegeleistungen wurden auch compensando gegen die Klageforderung eingewandt.

[10] Das Erstgericht wies das Begehren im Ausmaß von 13.704 EUR sA unbekämpft ab und gab der Klage im Übrigen (90.823,06 EUR sA) statt.

[11] Es bejahte das Vorliegen einer (gemischten) Schenkung. Dabei legte das Erstgericht seiner Entscheidung den (auf den Todeszeitpunkt aufgewerteten) Wert beider Liegenschaften zugrunde, den es um den kapitalisierten Barwert der Leibrente bzw einen Marktanpassungsabschlag sowie um die Verlassenschaftspassiva (einschließlich der Verlassenschaftskosten) reduzierte und von diesem „Reinnachlass“ dem Kläger ein Viertel zusprach. Ausgaben für Pflegeleistungen und Investitionen an der Liegenschaft seien mangels Vereinbarung als Gegenleistung nicht von den Werten der Liegenschaften abzuziehen. Der Wert des Wohnrechts sei nicht zu berücksichtigen, weil dieses im maßgeblichen Zeitpunkt des Erbanfalls weggefallen sei. Auch die Kreditzahlungen seien nicht zu beachten. Zwischen der Mutter und dem Beklagten sei nämlich abseits des Übergabsvertrags ausgemacht worden, dass der Beklagte die Rückzahlungen nicht zu leisten habe, was er auch nicht getan hätte.

[12] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil aufgrund der Berufung des Beklagten teilweise dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 50.748 EUR sA zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend feststellte. Es gab der Klage daher mit 50.748 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Letzteres erwuchs in Rechtskraft.

[13] Es prüfte zunächst das Vorliegen einer (gemischten) Schenkung durch den Übergabsvertrag, indem es dem Verkehrswert der Liegenschaften (unter Berücksichtigung des Wohnrechts und des übernommenen Pfandrechts auf einer Liegenschaft) die Gegenleistungen des Beklagten (Leibrente, Übernahme einer Kreditverpflichtung)gegenüberstellte und daraus den unentgeltlichen Anteil mit 44 % berechnete. Es bestehe kein Zweifel, dass zwischen den Leistungen ein krasses Missverhältnis bestehe, sodass der wirtschaftliche Charakter des Übergabsvertrags iSd § 781 Abs 2 Z 6 ABGB zumindest teilweise einem unentgeltlichen Geschäft unter Lebenden gleichkomme. Bei der Berechnung des Pflichtteils sei die Quote von 44 % der Berechnung des Pflichtteils zugrunde zu legen. Auf die Frage eines Schenkungswillens der Parteien des Übergabsvertrags komme es nicht an.

[14] Für die Bemessung des Schenkungspflichtteils hielt es fest, dass das bei der Übergabe vorbehaltene Wohnrecht außer Ansatz zu lassen sei. Die Verkehrswerte der unbelasteten Liegenschaften im Übergabsvertrag wertete es auf den Todestag auf und zog 44 % dieses Wertes (als Geschenkquote) heran, wovon es die Verlassenschaftspassiva abzog und dem Kläger ein Viertel der Restsumme zusprach. Die Voraussetzungen für eine Pflichtteilsminderung lägen nicht vor.

[15] Einen Ersatz der Pflegekosten verneinte das Berufungsgericht. Ein allfälliges Pflegevermächtnis sei bei der Berechnung des Pflichtteils nicht zu berücksichtigen. Eine Analogie zu § 1435 ABGB sei hier schon mangels enttäuschter Erwartungshaltung nicht vorzunehmen.

[16] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Rechtsprechung zur Frage, ob die Verpflichtung einer Leibrentenzahlung bei der Liegenschaftsübergabe eine Gegenleistung darstelle oder als wertmindernd zu berücksichtigen sei, uneinheitlich sei.

[17] Gegen dieses Urteil richtet sich die ordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Klage zur Gänze abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[18] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision ist zur Klarstellung des § 781 ABGB zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Das Rechtsmittel argumentiert damit, dass im Anlassfall keine anrechnungspflichtige Zuwendung im Sinn des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB vorliege. Zudem habe mit Blick auf die Entschlagung des Beklagten im Verlassenschaftsverfahren nach dessen Vater eine sittliche Pflicht der Mutter zur Übergabe der Liegenschaften bestanden. Selbst wenn man eine anzurechnende Schenkung bejahe, sei nach Ansicht des Beklagten die Schenkungsquote bzw die Höhe des Pflichtteils falsch berechnet worden. Ein allfälliger Anspruch des Klägers sei auch wegen der anzuwendenden Pflichtteilsminderung (§ 776 Abs 1 ABGB) zu kürzen. Für den Fall, dass der Kläger einen Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten geltend machen könne, sei dieser aufgrund der für den Pflegeaufwand eingewandten Gegenforderung abzuweisen bzw entsprechend zu reduzieren.

[20] 2. Entgegen dem Rechtsmittel scheitert eine Anrechnung im Anlassfall jedenfalls nicht schon daran, dass die Mutter die Schenkungen aus einer sittlichen Pflicht gemacht hat (§ 784 ABGB).

[21] 2.1 Dieser Tatbestand ist dann erfüllt, wenn eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers (Erblassers) bestand. Dabei sind die persönlichen Beziehungen zwischen Schenker und Beschenkten, ihr Vermögen und ihre Lebensstellung entscheidend (RS0012972). Das österreichische Erbrecht sieht als Grundsatz einen Pflichtteilsanspruch bestimmter naher Angehöriger vor, der nur in besonders gewichtigen Fällen nicht zum Tragen kommen soll. Eine ausdehnende Auslegung des Begriffs der „sittlichen Pflicht“ würde dieses System entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers unterlaufen und den Anrechnungsregeln des österreichischen Erbrechts widersprechen (RS0012972 [T10]). Ein häufiger Anwendungsfall dieser Bestimmung ist jener, in welchem die „sittliche Pflicht“ wegen des Empfangs von (außerordentlichen) Beistandsleistungen, die über die gesetzlich geschuldeten weit hinausgehen, angenommen wird, so insbesondere wenn dem Geschenkgeber dadurch die sonst unumgängliche Fremdpflege, etwa der Aufenthalt in einem Pflegeheim, erspart bleibt (RS0115477). Dass dem Beschenkten für seine Leistungen geradezu ein Lohn als Pfleger zustand, ist dabei nicht Voraussetzung für das Bestehen einer sittlichen Pflicht (RS0012972 [T2]).

[22] 2.2. Der von der Revision ins Treffen geführte Umstand, dass der Beklagte seinen Pflichtteilsanspruch nach seinem Vater im Gegensatz zum Kläger nicht geltend gemacht hat, erfüllte für die Mutter nicht das Erfordernis einer sittlichen Pflicht zur Übergabe ihres kompletten Liegenschaftsvermögens zu ihren Lebzeiten an einen ihrer Söhne. Dies auch deshalb nicht, weil der Beklagte ohnedies als Alleinerbe eingesetzt wurde.

[23] 2.3. Aus der Entscheidung 2 Ob 44/20i ist für den Standpunkt der Revision hier nichts abzuleiten, weil sich der Senat wegen des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot mit der diesbezüglichen Argumentation nicht zu beschäftigen hatte.

[24] 2.4. Damit scheitert die Klage nicht daran, dass eine Ausnahme für die Hinzu- und Anrechnung iSd § 784 ABGB vorliegt.

[25] 3. Das Rechtsmittel zeigt aber zutreffend auf, dass aufgrund der getroffenen Feststellungen die Frage einer anrechnungspflichtigen Zuwendung iSd § 781 ABGB noch nicht abschließend geklärt werden kann, was die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen notwendig macht, insoweit den Rechtsschutzanträgen des Beklagten nicht Folge gegeben wurde. Auf die im Rechtsmittel weiters aufgeworfenen Fragen zur konkreten Berechnung der Hinzu- und Anrechnung, zur allfälligen Pflichtteilsminderung und Gegenforderung ist damit nicht weiter einzugehen, weil zuerst geklärt werden muss, ob der Anspruch des Klägers wegen des Vorliegens einer Zuwendung nach § 781 ABGB überhaupt dem Grunde nach zu Recht besteht.

3.1. Die hier zu prüfende Bestimmung des § 781 ABGB lautet – in der aufgrund des Ablebens der Erblasserin nach dem 31. 12. 2016 anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015 (§ 1503 Abs 7 Z 2 ABGB) – wie folgt:

3. Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen unter Lebenden

 

§ 781.

(1) Schenkungen, die der Pflichtteilsberechtigte oder auch ein Dritter vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten oder auf den Todesfall erhalten hat, sind der Verlassenschaft nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Geldpflichtteil des Geschenknehmers anzurechnen.

 

(2) Als Schenkung in diesem Sinn gelten auch

1. die Ausstattung eines Kindes,

2. ein Vorschuss auf den Pflichtteil,

3. die Abfindung für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht,

4. die Vermögenswidmung an eine Privatstiftung,

5. die Einräumung der Stellung als Begünstigter einer Privatstiftung, soweit ihr der Verstorbene sein Vermögen gewidmet hat, sowie

6. jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt.

 

[26] 3.2. Ausgangspunkt des Regelungskonzepts des § 781 Abs 1 ABGB ist die Schenkung gemäß §§ 938 ff ABGB (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  33; 2 Ob 110/20w Rz 31).

[27] 3.2.1. Die Schenkung ist ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, einem anderen eine Sache unentgeltlich zu überlassen (§ 938 ABGB). Neben der objektiven Bereicherung des Geschenknehmers (RS0018795) und dem Fehlen einer Leistungsverpflichtung des Geschenkgebers (Freiwilligkeit, RS0018833) setzt eine Schenkung mit der Schenkungsabsicht des Geschenkgebers (bzw dessen Willen zur Freigiebigkeit) ein subjektives Element voraus (RS0018833).

[28] 3.2.2. Das gilt auch für den Fall der sogenannten gemischten Schenkung (RS0019356), also wenn sich ein Vertrag aus entgeltlichen und unentgeltlichen Teilen zusammensetzt. In welchem Ausmaß eine Liegenschaftsübergabe als entgeltlich oder als unentgeltlich zu werten ist, ist daher nicht nur nach den Wertverhältnissen von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (vgl dazu sowie zur wertmindernden Berücksichtigung von zu übernehmenden Belastungen der betreffenden Liegenschaft [einschließlich der zugunsten der Übergeber vorbehaltenen Dienstbarkeiten] und zum Begriff der Gegenleistung: RS0012978; auch 2 Ob 96/16f Pkt 2.5.; 2 Ob 8/17s Pkt 3.6 [keine wertmindernde Berücksichtigung von zum Zeitpunkt des Erbanfalls jedenfalls wegfallenden Belastungen]) zu beurteilen. Die Parteien müssen die teilweise Unentgeltlichkeit gewollt und auch zum Ausdruck gebracht haben (RS0019371 [T2, T5]; RS0019293). Eine gemischte Schenkung kann nämlich keinesfalls schon deshalb angenommen werden, weil die Leistung der einen Seite objektiv wertvoller ist als die der anderen, wenn das Entgelt für eine Leistung bewusst niedrig, unter ihrem objektiven Wert angesetzt wurde und sich ein Vertragspartner mit einer unter dem Wert seiner Leistung liegenden Gegenleistung begnügte oder sich die Partner des objektiven Missverhältnisses der ausgetauschten Werte bewusst waren (RS0012959 [T6, T7]).

[29] 3.3. Die Vorinstanzen haben zur Schenkungsabsicht der Mutter bzw darüber, ob nach dem Willen der Parteien dem Übergabsvertrag eine (gemischte) Schenkung zugrundelag, keine Feststellungen getroffen. Die bisher getroffenen Feststellungen können damit eine Hinzu- und Anrechnung einer Schenkung nach § 781 Abs 2 ABGB nicht tragen.

[30] 3.4. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass Feststellungen zum Schenkungswillen der Mutter fehlen, es bejahte aber nach § 781 Abs 1 Z 6 ABGB die Hinzu- und Anrechnung der dem Beklagten von der Mutter zugewendeten Liegenschaften.

[31] 3.4.1. Diese Norm ergänzt die ausdrücklich normierten Fälle der Ausstattung eines Kindes, des Vorschusses auf den Pflichtteil, der Abfindung für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht, der Vermögenswidmung an eine Privatstiftung und der Einräumung der Stellung als Begünstigter einer Privatstiftung um einen Auffangtatbestand, der „jede andere Leistung“ umfasst, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt.

[32] 3.4.2. Die Materialien nehmen darauf Bezug, dass es auch unentgeltliche Vermögensverschiebungen gibt, die nicht als „Schenkung“ im technischen Sinn betrachtet werden und dennoch – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – den Zuwendungsempfänger einseitig begünstigen (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  33). Als Beispiele werden einseitig begünstigende Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen, Zuwendungen an eine ausländische Stiftung oder an eine vergleichbare Vermögensmasse (etwa an einen Trust) angeführt.

[33] 3.4.3. In der Rechtsprechung wurde die Anwendung des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB bei folgenden in Frage stehenden „Zuwendungen“ in Betracht gezogen: Errichtung einer allgemeinen bereits unter Lebenden wirksamen Gütergemeinschaft (2 Ob 110/20w), Schenkung an einen allfälligen Treuhänder des anrechnungspflichtigen Pflichtteilsberechtigten (2 Ob 194/21z), unentgeltliche Ausschlagung einer Erbschaft (2 Ob 52/18p) oder die Tilgung von fremden Schulden (2 Ob 44/20i). Die zuletzt zitierte Entscheidung ging davon aus, dass eine solche Zuwendung unter § 781 Abs 2 Z 6 ABGB fällt, „wenn man nicht ohnehin eine Schenkung ieS annimmt“.

[34] 3.4.4. Im Schrifttum werden – zum Teil unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung vor dem ErbRÄG 2015 – weitere Beispiele angeführt: Vertraglich begründetes Besitznachfolgerecht (Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer,Erbrecht2 611; Umlauft, Hinzu- und Anrechnung2 277), Begünstigung aus einer Lebensversicherung (Musger in KBB6 § 781 ABGB Rz 4; Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Kodek 5 § 781 ABGB Rz 19; Umlauft aaO 274 ff; Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 ABGB Rz 16; vgl 4 Ob 136/97x), unentgeltliche Erbsentschlagung (Likar-Peer aaO 612; vgl 2 Ob 354/98t), Erträge aus einer Gütergemeinschaft auf den Todesfall (Likar-Peer aaO 612), bewusstes Verjährenlassen einer Forderung (Vogl, Verjährenlassen einer Forderung als „Schenkung“ iSd §§ 781 ff ABGB idF ErbRÄG 2015, EF‑Z 2017/102; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer 1.05 § 781 ABGB Rz 3; Umlauft in Klang3 § 781 ABGB Rz 30), Einräumung oder Erhöhung einer (Kommandit-)Beteiligung (Bittner/Hawel aaO), unentgeltliche Übertragung/Anwachsung eines Geschäftsanteils (Umlauft aaO Rz 28) oder eine Haftungsübernahme (Nemeth/Niedermayr in Schwimann/ Neumayr 5 § 781 ABGB Rz 5; vgl 6 Ob 805/82).

[35] 3.4.5. Die von den Materialien, der Rechtsprechung und der Lehre erwähnten Beispiele für unentgeltliche Zuwendungen iSd § 781 Abs 2 Z 6 ABGB sind davon geprägt, dass dem Begünstigen nicht (oder nicht unmittelbar) eine Sache iSd § 938 ABGB unentgeltlich überlassen wird, sondern er anderweitig von (für ihn) unentgeltlichen Rechtshandlungen („anderen Leistungen“) des Erblassers profitiert. Diese Begünstigung kann zum einen dadurch erfolgen, dass die Sache einem Dritten (Gesellschaft, Stiftung, Treuhänder) überlassen wird, der Begünstigte davon aber (indirekt) profitiert, oder zum anderen auch darin liegen, dass dem Begünstigen keine Sache unentgeltlich überlassen wird, er aber durch andere Rechtshandlungen des Erblassers bereichert ist (zB begünstigende Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen, unentgeltliche Ausschlagung einer Erbschaft, bewusstes Verjährenlassen einer Forderung).

[36] 3.4.6. Der wirtschaftlich geprägte Schenkungsbegriff des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB soll damit auch Gestaltungen unter Lebenden umfassen, „die nicht im Kleid einer Schenkung daherkommen, in ihren wirtschaftlichen Folgen einer Schenkung jedoch um nichts nachstehen“ (zutreffend Vogl, EF-Z 2017/102), um Umgehungen zu erfassen (s zB 2 Ob 194/21z [„wohl unmittelbar der Tatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB erfüllt wäre, sodass die Figur des Umgehungsgeschäfts nicht 'bemüht' werden müsste“]; vgl auch 2 Ob 354/98t zur alten Rechtslage [„Die Vorgangsweise wurde allein gewählt, um den Klägern die ihnen zustehenden Ansprüche auf den Schenkungspflichtteil zu nehmen.“]). Nach der ratio legis soll § 781 Abs 2 Z 6 ABGB damit solche „Vermögensverschiebungen“ erfassen, die nicht als „Schenkung im technischen Sinn“ (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  33) betrachtet werden und dennoch – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – den Zuwendungsempfänger einseitig begünstigen (2 Ob 110/20w).

[37] 3.4.7. Der Senat hatte in der Entscheidung 2 Ob 110/20w zu prüfen, ob die Errichtung oder Aufhebung einer Gütergemeinschaft unter Lebenden unter § 781 Abs 2 Z 6 ABGB fällt. Die Tatsacheninstanzen konnten einen Schenkungswillen des Erblassers nicht feststellen. Der Senat hielt fest, dass der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB auch solche Rechtsgeschäfte umfassen kann, bei denen zwar eine Schenkungsabsicht nicht feststehe, dennoch aber ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und (allfälliger) Gegenleistung bestehe. Letzteres wurde im dortigen Anlassfall aber verneint.

4. Der Senat gelangt zu folgenden Schlussfolgerungen:

[38] 4.1. Der Gesetzgeber wollte mit dem Auffangtatbestand den Kreis der hinzu- und anrechnungspflichtigen Leistungen ausdehnen, um Umgehungen des Erblassers zu verhindern. Die Regel umfasst neben Schenkungen an Dritte, von denen der Anrechnungspflichtige nur mittelbar profitiert, vor allem solche Vermögensverschiebungen, die die objektiven Voraussetzungen einer Schenkung „im technischen Sinn“ (= unentgeltliche Überlassung einer Sache, § 938 ABGB) nicht erfüllen, aber nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Zuwendung einer Schenkung gleichkommen. Der Auffangtatbestand wurde aber nicht für jene Zuwendungen geschaffen, die (ohnedies) die objektiven Voraussetzungen einer Schenkung des § 938 ABGB erfüllen können.

[39] 4.2. Nach verständiger Würdigung des referierten Normzwecks ist daher jedenfalls bei unentgeltlichen Zuwendungen, die – wie im Anlassfall – die objektiven Voraussetzungen für eine (gemischte) Schenkung nach § 938 ABGB erfüllen können, eine Anrechnung nach § 781 ABGB nur dann zu bejahen, wenn das gebotene subjektive Element (Wille zur Freigiebigkeit) vorliegt. Jedenfalls bei jenen Zuwendungen, bei denen der Empfänger durch die Überlassung einer Sache objektiv bereichert wird, setzt eine Hinzu- und Anrechnung der Zuwendung nach § 781 Abs 1 ABGB dieses subjektive Element voraus. Der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB dient damit entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht für jene Fälle, die bereits unter Abs 1 fallen können, bei denen die Anrechnung aber (nur) am fehlenden Schenkungswillen scheitert (vgl auch 2 Ob 184/22f). Sollte sich aus der Entscheidung 2 Ob 110/20w Gegenteiliges ergeben, wird das nicht mehr aufrecht erhalten.

[40] 4.3. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund der im Übergabsvertrag vereinbarten Gegenleistungen des Beklagten keine reine Schenkung vorliegt. Das kann sich neben den Übernahmen von Verbindlichkeiten auch auf die Verpflichtung zur Leistung einer Leibrente stützen. Auch eine solche Verpflichtung zur Zahlung einer Leibrente stellt eine Gegenleistung dar (6 Ob 66/13v [Pkt 2.4]; 7 Ob 162/05g; 6 Ob 154/06z [Ausgedingeleistungen]; vgl auch RS0012965 und RS0019241). Sofern in der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 8 Ob 55/13s davon ausgegangen wird, dass Leibrentenzahlungen als Wertminderung der übergebenen Sache zu veranschlagen seien, wird dies nicht geteilt.

[41] 4.4. Mit Blick auf die übernommenen Gegenleistungen des Beklagten liegen die objektiven Voraussetzungen für eine gemischte Schenkung vor. Wie bereits erwähnt, setzt eine gemischte Schenkung den Parteiwillen voraus, dass ein Teil der Leistung als geschenkt angesehen werden kann. Eine gemischte Schenkung kann keinesfalls schon deshalb angenommen werden, weil die Leistung der einen Seite objektiv wertvoller ist als die der anderen und sich die Partner des objektiven Missverhältnisses der ausgetauschten Werte bewusst waren (6 Ob 66/13v; RS0012959 [T7]). Für die hier zu beurteilende Konstellation ist es damit relevant, ob im Zeitpunkt des Übergabsvertrags die Parteien einen Teil einer Leistung als geschenkt ansehen wollten (RS0019217). Zu dieser Tatfrage der Schenkungsabsicht (RS0043441; RS0019293 [T3]) fehlen aber die erforderlichen Feststellungen, weshalb die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen (im stattgebenden Umfang) und die Zurückverweisung der Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zwingend ist.

[42] 4.5. Der Kläger kann sich im Anlassfall nicht auf eine reine, sondern nur (allenfalls) auf eine gemischte Schenkung berufen. Er ist für das Vorliegen der Schenkungsabsicht als anspruchsbegründende Tatsache beweispflichtig. Ein allfälliges non liquet ginge damit zu seinen Lasten, zumal jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation einer möglichen gemischten Schenkung eine Schenkungsabsicht nicht zu vermuten ist (RS0018794).

[43] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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