European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00176.22V.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Normen für einzelne gesetzlich geregelte Dauerschuldverhältnisse sind verallgemeinerungsfähig und können daher grundsätzlich auf andere Dauerrechtsverhältnisse übertragen werden (1 Ob 17/12z mwN).
[2] Dauerschuldverhältnisse können generell aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vereinbarten Zeit ohne Anwendung der sonst anwendbaren Kündigungstermine und Kündigungsfristen aufgelöst werden (RS0018305). Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Vertragsverhältnisses ist allen Tatbeständen vorzeitiger Beendigung immanent und dient der Abgrenzung bloß geringfügiger Verstöße von tatbestandsmäßigen Begehungshandlungen (vgl RS0029095 [T16]).
[3] 1.2. Der Maklervertrag ist ein Dauerschuldverhältnis. Der Alleinvermittlungsauftrag ist der typische Fall eines befristeten (§ 12 Abs 1 iVm § 14 Abs 2 MaklerG) Maklervertrags; er kann nach § 12 Abs 2 MaklerG bei Vorliegen wichtiger Gründe von jedem Vertragspartner ohne Einhaltung einer Frist vorzeitig aufgelöst werden. Ein wichtiger Grund für die fristlose Auflösung ist dann anzunehmen, wenn besondere Umstände einem Teil die Fortsetzung des Maklervertrags nicht mehr zumutbar erscheinen lassen; welche Gründe in diesem Fall die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen, muss immer aufgrund einer Interessensabwägung (Gegenüberstellung von Auflösungsinteresse einerseits und Bestandsinteresse andererseits) festgestellt werden. Neben in der Person des Maklers liegenden Gründen kommen auch Umstände in Betracht, die in der Person des Auftraggebers liegen oder durch anderweitige Dritte herbeigeführt werden (2 Ob 135/14p [B.IV] und 3 Ob 2/99m je mwN; vgl RS0018305 [T57] = RS0027780 [T47]; RS0018377 [T20]).
[4] 1.3. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, sodass sich dabei regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage stellt (RS0042834, RS0111817, RS0018377 [T18, T20], RS0018305 [T52, T57, T65]; vgl RS0106298, RS0103201, RS0044088 [T31], RS0029323 [T6], RS0029547 [T40], RS0029095 [T18], RS0108379 [T1]).
[5] 2. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend das Vorliegen einer gerechtfertigten vorzeitigen Auflösung des Alleinvermittlungsauftrags wegen Vertrauensverlustes im Einzelfall bejaht, weil der Geschäftsführer der klagenden Maklergesellschaft einen grob unhöflichen und unflätigen, unprofessionellen und respektlosen Umgangston gegenüber dem Auftraggeber gepflogen habe, weil die Klägerin entgegen dem wiederholt ausdrücklich geäußerten Auftrag des Beklagten, der mehrere Liegenschaften strikt nur gemeinsam verkaufen habe wollen, beharrlich eigenmächtig Inserate geschaltet habe, aus denen eine separate Käuflichkeit der Liegenschaft hervorgegangen sei, und weil der Geschäftsführer der Klägerin Telefongespräche mit dem Beklagten ohne dessen Wissen und Zustimmung heimlich auf Tonband aufgezeichnet hätte (was im Prozess als Auflösungsgrund „nachgeschoben“ wurde).
[6] 3. Die Revision zeigt keine erheblichen Rechtsfragen oder sonstige Gründe auf, aus denen sich ergäbe, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen, das auf eine (unstrittig vorliegende) Provisionsvereinbarung iSd § 15 MaklerG gestützte Klagebegehren der Maklerin wegen insgesamt berechtigter vorzeitiger Auflösung abzuweisen, unrichtig sein sollte.
[7] 3.1. Die Revision führt einerseits ins Treffen, es gebe keine Rechtsprechung zur Frage der Möglichkeit des „Nachschiebens“ von Auflösungsgründen nach Beendigung des Vertragsverhältnisses (hier des zeitlichen Ablaufs des befristeten Alleinvermittlungsauftrags).
[8] Dies trifft nicht zu. Die Rechtsprechung insbesondere zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen anerkennt die Möglichkeit, Austritts- ebenso wie Entlassungsgründe „nachzuschieben“ (vgl RS0029131, RS0112695, RS0029144, RS0029489), wenn nur im Prozess ein die vorzeitige Beendigung rechtfertigender, im Zeitpunkt des Ausspruchs vorliegender und nachträglich nicht untergegangener Beendigungsgrund nachgewiesen wird (vgl 8 ObA 2/15z = RS0029131 [T10]; RS0029327 [insb T1]). Der Grundsatz der Unverzüglichkeit der Geltendmachung (vgl RS0014427, RS0029131) gilt dabei nur für den Ausspruch der vorzeitigen Auflösung, nicht aber für die Geltendmachung der hierfür maßgebenden Gründe; daher kommt es nicht darauf an, wann etwa ein Dienstgeber einen Entlassungsgrund verifiziert hat, wenn dieser nur im Zeitpunkt der Entlassungserklärung vorlag (vgl 9 ObA 126/93): Wird ein derart „nachgeschobener“ Grund erwiesen, ist die vorzeitige Beendigung berechtigt, selbst wenn sie durch die bei ihrem Ausspruch genannten Gründe nicht gerechtfertigt werden könnte (RS0029139 [insb T3]). Entscheidend ist das Vorliegen einer Vertrauensverwirkung, wobei es weder auf die Länge der (ordentlichen) Kündigungsfrist im Einzelfall ankommt noch darauf, ob überhaupt eine Gelegenheit besteht, die Interessen des den Vertrag Auflösenden in Zukunft wieder zu verletzen (vgl RS0029797, RS0029013).
[9] Entgegen der Revision betrafen Entscheidungen, in denen das „Nachschieben“ eines vorzeitigen Beendigungsgrundes gebilligt wurde, auch keineswegs nur solche, in denen noch ein aufrechtes Vertragsverhältnis gegeben oder dessen Bestehen an sich Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre (vgl etwa 4 Ob 87/85, 9 ObA 104/92, 9 ObA 2/04s). Warum entgegen der Rechtsprechung ein Nachschieben von Kündigungsgründen nur dann zulässig sein sollte, wenn über die Zumutbarkeit des weiteren Bestands des Rechtsverhältnisses selbst abzusprechen wäre, und nicht auch dann, wenn – wie hier – die Zumutbarkeit als Vorfrage für aus der vorzeitigen Beendigung (bzw deren Berechtigung) abgeleitete Ansprüche zu beurteilen ist, vermag die Revision nicht nachvollziehbar darzulegen.
[10] 3.2. Andererseits meint die Klägerin, die Vorinstanzen hätten verkannt, dass die vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund nur als ultima ratio im Sinne eines „äußersten Notventils“ zulässig wäre, was hier nicht gegeben sei.
[11] Die Beurteilung der Vorinstanzen hält sich jedoch im Rahmen der Rechtsprechung und des ihnen im Einzelfall dabei zukommenden Ermessensspielraums. Warum dieser hier in vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Weise überschritten worden wäre, zeigt die Revision nicht nachvollziehbar auf. Von dieser ins Treffen geführte Entscheidungen betrafen gänzlich anders gelagerte Sachverhalte (4 Ob 211/03p – § 78 UrhG, Widerruf der Zustimmung zur Bildnisveröffentlichung; 9 Ob 69/11d – Klauselverfahren, Gründe, mit denen schon bei Abschluss eines Fitnessstudio-Mitgliedsvertrags gerechnet werden musste; 7 Ob 250/11g – Vertrag über die Beteiligung an den Erträgen eines Patents); aus ihnen ist für die Frage, warum die Beurteilung der Vorinstanzen im Einzelfall unvertretbar sein sollte, nichts zu gewinnen.
[12] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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