BVwG L518 2256625-1

BVwGL518 2256625-127.2.2023

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L518.2256625.1.00

 

Spruch:

L518 2256625-1/10E

L518 2256624-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Markus STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde der (1.) XXXX geb. XXXX geb., und der (2.) XXXX , geb. XXXX , beide Staatsangehörigkeit Pakistan, beide vertreten durch RA Mag. BISCHOF und Mag. LEPSCHI, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2022, Zl. (1.) 1285954206-211442966 und (2.) 1285954500-211442915, betreffend Antrag auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.02.2023 zu Recht:

 

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin (in weiterer Folge als BF1 und BF2 bezeichnet) sind Staatsangehörige von Pakistan, Angehörige der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Ahmadi.

I.2. Die BF stellten im Gefolge ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 01.10.2021 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei brachten beide BF gleichlautend vor, „wir gehörten der islamischen Gemeinschaft „Ahmedi“ an. Wir haben immer Probleme mit den anderen Religionsgruppierungen gehabt.“

I.3. Nach Zulassung des Verfahrens wurden die BF am 19.11.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen uns Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte die BF1 zu ihren Ausreisegründen befragt vor, „Weil ich so einen großen Druck hatte als Ahmadi. Als ich meinen Job verlassen habe wurde ich auch zu Hause aufgesucht. Die sunnitischen Gläubigen waren zweimal bei mir am Abend, sie sind gekommen und haben geklopft. Ich habe aber nicht aufgemacht. Dann hatten wir viel Angst. Ich bin dann krank geworden und mit dem Blutdruck Probleme bekommen und Schwindel. Ich wollte meine Tochter in eine gute Schule schicken aber Sie hat keinen guten Platz bekommen. Es gibt ein Gesetz in Pakistan, dass jeder sunnitische Priester in ein Haus eindringen kann und wir müssen dann alles machen, was uns befohlen wird. Er sagt z.B. wann wir das Haus verlassen sollen und wann nicht. Wir waren zu Hause und ich sagte meinem Mann, dass er arbeiten solle, so kann es nicht weitergehen. Mein Schwager hat ihm dann Geld gegeben, dass er neu anfängt. Dann ist er zu einem Großhändler einkaufen gegangen für den Neuanfang und am Schluss fragte dieser meinen Mann woher er komme. Er hat dann nach mehrmaligem nachfragen sagen müssen woher er kommt und dann wurde ihm das Geschäft verweigert und sie wollten ihm nichts verkaufen. Mit uns wollte keiner etwas zu tun haben. Es ist so in Pakistan, mit uns „Ungläubigen“ wollen sie nichts zu tun haben. Das ist Gesetz. Dass waren alles meine Gründe“.

Von der BF2 wurde mitgeteilt „Erstens, ich bin Ahmadi. Die Einwohner Pakistans betrachten uns nicht als Moslems. Meine Mutter war Lehrerin und da Sie Ahmadi ist hat Sie viele Drohungen bekommen. Sie waren sogar bei uns zu Hause. Wir konnten nicht mehr aus dem Haus gehen. Wenn wir trotzdem hinausgegangen sind, haben die uns verfolgt. Keine Universität hat uns Platz zum Studieren gegeben. Nur weil wir Ahmadi sind. Wir wohnen in einem kleinen Ort aber, wenn wir einkaufen waren, haben wir keine Sachen bekommen. Wir wurden hinausgeschmissen. Auf einem Plakat vor dem Geschäft stand, dass wir nicht willkommen wären. Als die Drohungen immer mehr wurden und wir dachten, dass unser Leben in Gefahr wäre, haben wir Pakistan verlassen. Das sind alle Gründe“.

 

I.4. Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2022 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass alleine die die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadi die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung noch nicht nach sich ziehen würde, eine individuelle Verfolgung konnte nicht glaubhaft vorgebracht werden.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.5. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.6. Gegen die am 22.05.2022 zugestellten Bescheide erhob die damalige rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde. Moniert wurden Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafte Beweiswürdigung.

Begründend wurde angeführt, dass die (als Bescheid bezeichneten) Erledigung der belangten Behörde mangels Unterschrift des genehmigenden Organs oder eines Hinweises auf eine elektronische Genehmigung sohin an der Bescheidqualitat fehle, weshalb eine absolut nichtige Erledigung vorliegt. Weiters wurden vom Bundesamt veraltete Länderinformationen verwendet und keine Erhebungen zur Zugehörigkeit der BF zur Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya getätigt. Zudem hätte sich auch der EGMR bereits mit der Lage der Ahmadiyya in Pakistan auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss, dass für Mitglieder der Ahmadiyya in Pakistan eine generell erhohte Verfolgungsgefahr bestehe.

Beantragt werde jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung, weiters den BF den Status der Asylberechtigten, in eventu der subsidiär Schutzberechtigen zuzuerkennen, in eventu einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG zu erteilen, in eventu festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer und eine Abschiebung nach Pakistan unzulässig ist, in eventu die gegenständliche Beschwerde angesichts der mangelnden Bescheidqualitat als unzulässig zurückzuweisen, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und an die Behorde erster Instanz zurückzuverweisen.

I.7. Mit Eingabe vom 02.12.2022 beantragte die rechtsfreundliche Vertretung die zeugenschaftliche Vernehmung von XXXX und XXXX , zum Beweis dafür, dass die BF tatsächlich aktive Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat sind und eine besondere Verbundenheit zu ihrer Religion aufweisen.

I.8. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.01.2023 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L506 abgenommen und neu zugewiesen.

I.9. Mit Eingabe vom 13.02.2023 teilten die RAe Mag. BISCHOF und Mag. LEPSCHI mit, von den BF mit der rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt worden zu sein. Weiters wurden Berichte über Vorfälle gegen Ahmadis in Pakistan, Nachweise über die aktive Mitgliedschaft der BF bei den Ahmadis in Österreich und Unterlagen zur Ingetration übermittelt.

I.10. Am 14.02.2023 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der BF, ihrer rechtlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Urdu durchgeführt.

I.11. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1.Feststellungen:

II.1.1. Zu den Beschwerdeführerinnen:

Die BF1 führt den im Spruch angeführten Namen. Sie ist Staatsangehöriger von Pakistan, Angehörige der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Ahmadi. Die BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren und zog 1982 mit ihren Eltern nach XXXX , wo sie bis zur Ausreise lebte. Nach dem Schulbesuch war die BF1 26 Jahre lang als Lehrerin beruflich tätig, sie bezieht eine staatliche Pension. Sie ist verheiratet und hat eine Tochter, die BF2. Die Identität der BF1 steht fest.

Die BF1 ist gesund und benötigt keine Medikamente. Sie gehört auch nicht zur COVID-19-Risikogruppe.

In Rabwah leben noch der Gatte der BF1, eine Schwester mit deren Sohn, zwei Tanten mütterlicherseits mit deren Familien, drei Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits, insgesamt wohnen noch ca. 15 Verwandte in Pakistan. Die BF1 ist im Besitz eines Hauses, indem aktuell ihr Gatte wohnt, dieser ist Paketzusteller und vertreibt Plastikgeschirr. Die BF1 hat mit ihrem Gatten telefonischen Kontakt.

Die BF2 führt den im Spruch angeführten Namen und ist die Tochter der BF1. Sie ist Staatsangehörige von Pakistan, Angehörige der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Ahmadi. Die BF2 wurde am XXXX in XXXX geboren, wo sie bis zur Ausreise im Haus der Mutter lebte. Die BF2 besuchte zehn Jahre lang die Schule und studierte danach zwei Jahre Betriebswirtschaft. Die BF2 gibt bekannt geschieden zu sein und hat keine Kinder. Die Identität der BF2 steht fest.

Die BF2 ist gesund und benötigt keine Medikamente. Sie gehört auch nicht zur COVID-19-Risikogruppe.

In Pakistan leben noch die bei der BF1 angeführten Verwandten, sowie ihr leiblicher Vater.

Die BF reisten am 30.09.2021 auf dem Luftweg von Abu Dhabi kommend in Österreich ein, wo sie am 01.10.2021 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Die BF gehörten keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und konnte keine Schwierigkeiten in ihren Herkunftsstaat vor der Ausreise mit staatlichen Organen, Sicherheitskräften oder Justizbehörden glaubhaft vorbringen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in eine lebens- bzw. existenzbedrohende Notlage geraten und von staatlichen Stellen oder seitens Privatpersonen einer Verfolgung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder anderen Umständen ausgesetzt sind und sie ihre Heimat aufgrund solcher Verfolgung bzw. Bedrohung verlassen haben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder er sie Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Den BF droht im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine in Pakistan drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen sowie willkürliche Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte bei nicht gewalttätigen Protesten gegen die Regierung.

Die BF sind arbeits- und anpassungsfähige Menschen mit ausgezeichneter Schulbildung. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, zumindest anfänglich auch mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, zur Sicherstellung des Auskommens ist den BF möglich und zumutbar.

Die BF halten sich seit dem 30.09.2021 durchgehend in Österreich auf.

Die BF leben von der Grundversorgung und haben Deutschkurse besucht, Zertifikate wurden keine vorgelegt. Die BF sind Mitgliederinnen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich und engagieren sich ehrenamtlich innerhalb der Gemeinschaft, wie den beiden gänzlich gleichlautenden Schreiben der Organisation zu entnehmen ist. Einstellungszusagen wurde nicht vorgelegt. Die BF2 war von Juni 2022 bis September 2022 in Bruck/Mur am dortigen Tennisplatz ehrenamtlich tätig. Von 31.01.2022 bis 27.01.2023 besuchte die BF2 20 Stunden pro Woche ein Steirisches Jugendcollege. Die BF sind für niemanden im Bundesgebiet sorgepflichtig und haben keine österreichischen Freunde. Die BF verfügen in Österreich über keine Verwandten und leben mit keinen ihnen nahestehenden Person zusammen. Sie haben keine Sorgepflichten und sind strafrechtlich unbescholten.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation der BF.

Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage der BF im Falle einer Rückkehr nach Pakistan konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass den BF im Falle einer Rückkehr nach Pakistan der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Pakistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Die Abschiebung der BF nach Pakistan ist zulässig und möglich.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

 

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 23.03.2022

Hinweis:

Die Länderinformationen gehen nicht oder nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur SelbstQuarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit nicht absehbar sind. Diese Informationen werden in einem eigenen Kapitel zur Verfügung gestellt, sind jedoch aufgrund der Möglichkeit schneller Änderungen im Land als Momentaufnahme zu sehen.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.in t/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der John HopkinsUniversität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740 fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Covid-19

Letzte Änderung: 22.03.2022

COVID-19 wurde in Pakistan erstmals im Feber 2020 festgestellt. Mit 23.3.2020 wurden Eindämmungsmaßnahmen beschlossen, die selektive Quarantänen, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Verbot öffentlicher Veranstaltungen, soziale Distanzierungsmaßnahmen und die Schließung von Bildungseinrichtungen beinhalteten. Nach einem Höhepunkt Mitte Juni 2020 sanken die Zahlen wieder. Nachdem in der ersten Welle strenge Lockdown-Maßnahmen eingesetzt und diese ab April 2020 schrittweise gelockert wurden, wurden in der zweiten Welle Ende des Jahres 2020 zeitlich begrenzte, „smarte“ Lockdown-Maßnahmen eingesetzt (IMF 2.7.2021). Dabei wurden lokale Lockdowns in Gegenden eingesetzt, wo Ausbrüche festgestellt worden waren (BS 25.2.2022). Auch in der dritten Welle im März und April 2021 wurde so verfahren. Im Mai 2021 wurden die Maßnahmen aufgrund der Eid-Feiern verstärkt, Ende dieses Monats wurden die Restriktionen zu einem großen Teil wieder gelockert (IMF 2.7.2021). Mit 16.3.2022 wurden alle Maßnahmen aufgehoben (WSTO 16.3.2022).

Insgesamt wurden in Pakistan mit Stand 21.3.2022 1.522.191 Fälle COVID-19-Infektionen und

30.331 damit verbundene Todesfälle festgestellt (JHU 21.3.2022).

Im Allgemeinen kam Pakistan besser durch die COVID-19-Pandemie als seine Nachbarländer. Im März 2021 hatte die Regierung allerdings noch kein Budget für den Kauf von Impfstoffen veranschlagt und sich anscheinend in erster Linie auf die Spenden von Impfstoffen durch China und andere Länder verlassen (BS 25.2.2022).

Die Impfkampagne wird von der COVAX, der Weltbank und der Asian Development Bank unterstützt (IMF 2.7.2021). Mit Stand 21.3.2022 sind laut offiziellen Angaben des zuständigen National Command and Operation Center (NCOC) 101.881.176 Menschen vollständig immunisiert worden und 4.869.245 Menschen haben zusätzlich eine Booster-Impfung erhalten. Insgesamt wurden 219.368.557 Dosen verimpft (NCOC 21.3.2022).

Am 24.3.2020 wurde von der Bundesregierung ein Hilfspaket im Wert von 1,2 Billionen PKR (ca. 6,2 Milliarden Euro) angekündigt, das inzwischen fast vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören u.a. die Abschaffung der Importzölle auf medizinische Notfallausrüstung; Bargeldtransfers an 6,2 Millionen Tagelöhner (75 Mrd. PKR); Bargeldtransfers an mehr als 12 Millionen einkommensschwache Familien (150 Mrd. PKR); Unterstützung für KMUs und den Agrarsektor (100 Mrd. PKR) in Form eines Aufschubs der Stromrechnung, Bankkrediten sowie Subventionen und Steueranreizen. Das Konjunkturpaket sah außerdem Mittel für eine beschleunigte Beschaffung von Weizen (280 Mrd. PKR), finanzielle Unterstützung für Versorgungsunternehmen (50 Mrd. PKR), eine Senkung der regulierten Kraftstoffpreise (mit einem geschätzten Nutzen für die Endverbraucher in Höhe von 70 Mrd. PKR), Unterstützung für die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung (15 Mrd. PKR), Unterstützungsleistungen bei der Bezahlung von Stromrechnungen (110 Mrd. PKR), einen Notfallfonds (100 Mrd. PKR) und eine Überweisung an die National Disaster Management Authority (NDMA) für den Kauf von COVID-19-bezogener Ausrüstung (25 Mrd. PKR) vor. Der nicht ausgeführte Teil des Hilfspakets wurde auf das Jahr 2021 übertragen. Darüber hinaus enthält das Budget für das Jahr 2021 weitere Erhöhungen der Gesundheits- und Sozialausgaben, Zollsenkungen auf Lebensmittel, eine Zuweisung für das „COVID-19 Responsive and Other Natural Calamities Control Program“ (70 Mrd. PKR), ein Wohnungsbaupaket zur Subventionierung von Hypotheken (30 Mrd. PKR) sowie die Bereitstellung von Steueranreizen für den Bausektor (Einzelhandels- und Zementunternehmen), die im Rahmen der zweiten Welle bis Ende Dezember 2021 verlängert wurden. Maßnahmen der pakistansichen Staatsbank inkludierten u.a. Refinanzierungen zur Unterstützung von Krankenhäusern, stimulierende Investitionen und Lockerung der Zinsen und Vorgaben für Privatkredite (IMF 2.7.2021) [Zu Wirtschaftsdaten, sozialen Folgen und Maßnahmen siehe Kapitel Versorgungslage].

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.04.2022

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 20.4.2022). Die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes, die ehemaligen Federally Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Bundesverwaltung und Provincially Administered Tribal Areas bzw. Stammesgebiete unter Provinzverwaltung, wurden nach einer Verfassungsänderung 2018 in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert und damit die nationalen und verfassungsmäßigen Rechte auf dieses Gebiet ausgedehnt (ICG 14.2.2022). Pakistan kontrolliert außerdem die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu und Kaschmir auf der pakistanisch verwalteten Seite des Kaschmir (AA 20.4.2022).

Pakistan ist eine föderale parlamentarische Republik (USDOS 12.4.2022). Es werden regelmäßig Wahlen im Wettbewerb eines Mehrparteiensystems abgehalten (FH 3.3.2021). Die Nationalversammlung besteht aus 342 Abgeordneten, die für fünf Jahre gewählt werden. Zehn der Sitze sind für Nicht-Muslime reserviert, 60 für Frauen. Der Senat hat 100 Mitglieder. Der Premierminister wird für fünf Jahre durch die Nationalversammlung gewählt (EB 22.4.2022). Der Präsident hat eher symbolische Funktionen und wird ebenfalls für fünf Jahre durch ein Wahlkollegium aus den beiden Häuser des Parlaments und den Provinzversammlungen gewählt (FH 4.2022; vgl. EB 22.4.2022).

Trotz der Existenz formaler demokratischer Institutionen übt das mächtige militärische Establishment de facto einen starken Einfluss aus. Dies hemmt die Entwicklung der demokratischen Institutionen. Eine lange Reihe an politischen Domänen wird dem Militär überlassen - von der Außenpolitik bis zum Management von Infrastrukturprojekten. Dem Militär wird auch immer wieder vorgeworfen, sich in den Wahlprozess einzumischen (BS 25.2.2022; vgl. FH 3.3.2021). Auch Gruppen, die ökonomische Eliten vertreten, haben oft enge Verbindungen zum Staat. Ebenso profitieren religiöse Gruppen vom Zurückgreifen des Staates auf den Islam als ideologische Legitimation. Zwar gab es Fortschritte in einigen Bereichen, doch vieles in der Politik des Landes ist weiterhin an klientelistischen Diensten orientiert und durch traditionelle Eliten aus den vermögenden Klassen dominiert (BS 25.2.2022).

Die Verstrickung des zu diesem Zeitpunkt amtierenden Premierministers Nawaz Sharif der Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N) und seiner Familie in ein System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche wurde durch internationale Ermittlungen von Journalisten, den „Panama Papers“, aufgedeckt. Dies führte zur Amtsenthebung durch den Supreme Court und zu einer Verurteilung (ICIJ 3.4.2021). Bei den folgenden Parlamentswahlen 2018 gewann die Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die meisten Sitze in der Nationalversammlung, und der Parteivorsitzende, Imran Khan, wurde Premierminister. Während Beobachter der EU einerseits einen gut durchgeführten und transparenten Wahlprozess, doch eine manchmal problematische Auszählung feststellten, äußerten zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Parteien andererseits Bedenken hinsichtlich Einflussnahmen sowie Einschränkungen der Redefreiheit im Vorfeld der Wahlen, was demnach zu ungleichen Wahlbedingungen geführt hat (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 4.2022). So dokumentierten Beobachter konzertierte Anstrengungen von Teilen des militärischen und richterlichen Establishments, die PML-N zu behindern. Dies inkludierte Strafverfahren u.a. in Bezug auf Korruption und Terrorismus gegen Mitglieder der PML-N und die Ablehnung von Entlassungen gegen Kaution bis nach den Wahlen. Außerdem berichteten Beobachter von Druck und Einflussnahme auf die Medien durch den Sicherheitsapparat, der zu einer gedämpften Berichterstattung über den Wahlkampf der PML-N führte (FH 4.2022). Zudem wurde die Wahl von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen überschattet (EASO 10.2021).

Mit dem Wahlkampfthema der Korruptionsbekämpfung gelang Imran Kahn mit der PTI der Wahlsieg. Doch anstatt rechtliche Grundlagen für eine Rechenschaftspflicht der Regierenden zu stellen, konzentrierte sich die Korruptionsbekämpfung rein auf die vorangegangenen Regierungsparteien Pakistan People’s Party (PPP) und PML-N bzw. die sie dominierenden Familiendynastien (Diplomat 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021). Die Korruptionsermittlungen gegen führende Mitglieder und Parlamentarier der großen Oppositionsparteien und der Unwillen, mit ihnen zu kooperieren, und sie in die Gesetzgebung miteinzubeziehen, führten zu einer Hemmung der Arbeit des Parlaments (Dawn 17.3.2022). Die dadurch entstandene starke politische Polarisierung wirkte als Hindernis für die Umsetzung von politischen Programmen. Sie war einer der Gründe, warum die PTI-Regierung hauptsächlich auf den Erlass von Präsidialdekreten zurückgriff, um ihre Politik umzusetzen. Außerdem haben die föderale und die Provinzregierungen in unterschiedlichen Politikdomänen Kompetenzen; und die Provinzregierung des Sindh wird von der Oppositionspartei PPP gestellt. Die starke politische Polarisierung erhöhte den Einfluss des militärischen Establishments weiter, das bereits durch die zentrale Rolle, die es in der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einnahm, seinen Einfluss vergrößern konnte (BS 25.2.2022).

Gleichzeitig war die PTI-Regierung in der Umsetzung ihrer Politik durch dieselben Hindernisse gehemmt wie frühere Regierungen. Der Großteil der Abgeordneten der PTI setzt sich aus den traditionellen politischen und ökonomischen Eliten zusammen, die als Hemmschuh für jede Politik agieren, die ihre Interessen gefährden könnte. Querelen innerhalb der Partei führten zu einigen Wechseln im Kabinett und zu einem Mangel an Umsetzung auch an finalisierten Programmen (BS 25.2.2022). Im Oktober 2021 wurden zudem Verstrickungen von Mitgliedern bzw. Geldgebern des PTI-Kabinetts sowie hoher Militärs in illegale Geldgeschäfte durch die internationalen Ermittlungen der „Pandora Papers“ aufgedeckt (Diplomat 9.10.2021; vgl. ICIJ 3.10.2021).

Bereits im Oktober 2020 hatte sich eine Allianz aus elf Oppositionsparteien unter dem Namen Pakistan Democratic Movement formiert (BS 25.2.2022; vgl. FH 4.2022). Im März 2022 kam es zu gewalttätigen Protesten von Anhängern und Abgeordneten der Regierungspartei PTI gegen abtrünnige Abgeordnete derselben Partei, die in Interviews angedeutet hatten, einen geplanten Misstrauensantrag der vereinten Opposition gegen Premierminister Khan unterstützen zu wollen. Die Protestierenden versuchten, das „Sindh House“, die Vertretung des Sindh in Islamabad, wo sich die Abgeordneten aufhielten, zu stürmen (Geo News 18.3.2022). Zuvor hatten zwei Minister Gewalt andeutende Drohungen gegen Abgeordnete ausgesprochen (HRW 16.3.2022).

Das für 3. April 2022 angesetzte Misstrauensvotum wurde durch den stellvertretenden Parlamentssprecher mit Verweis auf Artikel 5 der Verfassung, wonach alle Bürger dem Staat gegenüber zur Loyalität verpflichtet sind, untersagt. Im Vorfeld hatte der Premierminister die Behauptung aufgestellt, das Misstrauensvotum sei von den USA zu seinem Sturz initiiert und damit die Einflussnahme eines fremden Staates (TNT 3.4.2022a). Mit diesem Argument bat er auch den Präsidenten um Auflösung der Nationalversammlung. Dieser kam der Forderung nach und kündigte gleichzeitig Neuwahlen an (TNT 3.4.2022b; vgl. Zeit-Online 3.4.2022). Der von der Opposition angerufene Supreme Court erklärte vier Tage später dieses Vorgehen allerdings für verfassungswidrig und ordnete die Wiedereinsetzung der Nationalversammlung sowie der Abstimmung an (TNT 7.4.2022).

Premierminister Imran Kahn wurde im Misstrauensvotum abgesetzt, Oppositionsführer Shabaz Sharif, Vorsitzender der PML-N, schließlich von der Nationalversammlung zum neuen Premierminister gewählt (Zeit-Online 11.4.2022). Aus Protest zog der abgesetzte Premierminister Khan sich sowie seine Partei aus der Nationalversammlung zurück. 123 der PTI-Abgeordneten folgten seinem Aufruf zum Rücktritt aus der Nationalversammlung, den 31 verbliebenen sprach er das Recht ab, als Opposition in der Nationalversammlung unter dem Namen der PTI aufzutreten (TNT 14.4.2022). Nach der Absetzung initiierte die PTI eine andauernde, landesweite Kampagne von Protesten und Demonstrationen (Dawn 20.4.2022). Die Situation ist angespannt. Der ehemalige Premierminister mobilisiert seine Anhänger gegen die neue Regierung und drängt auf vorgezogene Wahlen. Er wirft der neuen Regierung vor, vom Ausland eingesetzt worden zu sein (VB 21.4.2022).

Im Jahr 2021 war Pakistan außerdem durch religiös motivierte, gewalttätige politische Proteste der fundamentalistischen Partei Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP) und ihrer Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften gezeichnet, bei denen mindestens 24 Menschen - darunter 10 Polizisten - getötet wurden (PIPS 4.1.2022). Hintergrund waren vorangegangene Proteste Tausender TLP-Unterstützer im Zuge der Aussagen des französischen Präsidenten in Reaktion auf die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich aus dem Jahr 2020. Nach der Verhaftung des Anführers der TLP im April 2021 brachen schließlich nochmals mehrtägige, landesweite Proteste aus. Dabei kam es u.a. am 18. April 2021 zu Ausschreitungen in Lahore, Punjab, bei denen TLP-Anhänger auch ein Polizeirevier stürmten und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte als Geiseln nahmen (BAMF 19.4.2021; vgl. OF 15.9.2021). Die Regierung verbot die TLP und verhaftete Hunderte Anhänger, doch die Proteste und gewalttätigen Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften setzten sich fort. Sie wurden nach mehreren Verhandlungen und der Einstellung von Anzeigen beendet (OF 15.9.2021). Die Regierung gab dem Druck der Gruppe nach, ließ den Anführer frei und hob das Verbot auf. Dies verdeutlicht auch die Gefahr, die von extremistischen Gruppen für den Staat ausgeht(PIPS 4.1.2022). Die TLP, eine Bewegung der sunnitischen Barlevi, hat sich in der Vergangenheit u.a. über die Verfolgung von Blasphemiefällen zu einer Massenbewegung entwickelt (OF 15.9.2021).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.03.2022

Allgemeine Entwicklung

Es zeigte sich in Pakistan mit Ausnahme des Jahres 2013 ein kontinuierlicher Rückgang der Anschläge von Jahr zu Jahr von 2009 bis ins Jahr 2020. Für das Jahr 2020 konnte nochmals ein deutlicher Rückgang der Terroranschläge im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. Die kontinuierlichen Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte und polizeilichen Anti-Terrorabteilungen, darunter die groß angelegten Militäroperationen Zarb-e-Azb, Khyber I-IV und Raddul Fasaad, sowie einige Anti-Extremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) haben dazu beigetragen (PIPS 15.6.2021).

Die Operation Zarb-e-Azb 2014 war in erster Linie auf die Provinz Khyber Pakhtunkhwa und die damaligen FATA ausgerichtet, um Terrorgruppen in Nord-Waziristan zu bekämpfen. Aus den meisten Gebieten konnten die Militanten vertrieben werden, mit Ausnahme einiger weniger Rückzugsorte und Schläferzellen. Unter den Militäroperationen litt allerdings auch die Zivilbevölkerung vor Ort, eine hohe Anzahl an Personen wurde zu intern Vertriebenen. Die darauf folgende Operation Raddul Fasaad 2017 involviert auch zivile Einsatzkräfte, wie die Polizei, und konzentrierte sich auf geheimdienstliche Operationen im gesamten Land, um Schläferzellen und Verstecke Militanter zu finden. Sie zielte darauf ab, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb zu konsolidieren (EASO 10.2021).

Der NAP wurde nach dem Anschlag auf die Army Public School im Dezember 2014 mit dem Ziel eingeführt, einen sinnvollen Konsens zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu erreichen. Die 20 Aktionspunkte des NAP erzielten seither unterschiedliche Erfolge. Taktische Operationen in ganz Pakistan haben zu einem verbesserten allgemeinen Sicherheitsumfeld beigetragen. Durch die Militäroperationen wurde die Fähigkeit der Militanten zur Ausführung größerer Angriffe reduziert. Auch wurden signifikante Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorfinanzierung unternommen, wie Verbote von Organisationen, Sanktionen von Einzelpersonen und Einfrieren von Bankkonten (FES 12.2020).

Bei der Bekämpfung des Extremismus hat der NAP allerdings den Anzeichen nach nur geringe Erfolge erzielt. Extremistische Literatur ist online und offline in Fülle vorhanden, sektiererische Extremisten hielten in mehreren Städten Kundgebungen ab, und die Verherrlichung von Terroristen und ihrer Taten hält an. Auch zur Unterstützung des politischen Versöhnungsprozesses in Belutschistan, wie im NAP festgehalten, wurde nichts Wesentliches unternommen (FES 12.2020). Es gibt wenig Fortschritte bei der Regulierung von Madrassen oder des Internets, um dem Extremismus entgegenzutreten. Bei der Umsetzung des NAP wurde auf die nicht den Sicherheitsapparat betreffenden Maßnahmen nur sehr wenig Aufmerksamkeit gelegt (PIPS 15.6.2021b). Die Einsätze gegen die Terroristen haben diese zwar geschwächt. Doch die Dynamiken des religiösen Extremismus bleiben bestehen und bieten einen Nährboden für die Netzwerke der terroristischen Gruppen, die in den Militäroperationen nicht vollständig eliminiert werden konnten (PIPS 4.1.2022). Ab Mitte 2020 kam es zu einem Wiederaufleben jihadistischer militanter Gruppen und sektiererischer Extremisten in Gebieten wie Nord-Waziristan und Bajaur in Khyber Pakhtunkhwa (FES 12.2020). So begannen einige Gruppen eine Neuformierung in Teilen des Landes (PIPS 15.6.2021b). Der Regimewechsel in Afghanistan hat diese Gruppen weiter ermutigt. Dies zeigt sich in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan und sporadisch auch in Karatschi und Punjab (PIPS 4.1.2022).

Trendumkehr in den Anschlagszahlen 2021 und Reaktion der Sicherheitskräfte

Das Jahr 2021 war von einem 42-prozentigenAnstieg derAnschläge im Vergleich zum Jahr 2020 auf 207 Terrorakte gezeichnet. Diese forderten zusammen 335 Menschenleben, ein Anstieg von 52 Prozent, wobei 32 der Todesopfer Terroristen waren. Verletzt wurden 555 Menschen (PIPS 4.1.2022).

Hauptsächlich resultiert der Anstieg zum einen aus einer Steigerung der Anschläge der pakistanischen Taliban (Tehrik-e Taliban Pakistan / TTP) in Khyber Pakhtunkhwa und der belutschischen Terrorgruppen in Belutschistan sowie zum anderen aus der Entwicklung des sogenanntenIslamischen Staates Khorasan Province (ISKP) hin zu einem Hauptakteur terroristischer Gewalt in Pakistan. DieAuseinandersetzung zwischen dem ISKP und den Taliban hat damit auch pakistanischen Boden erreicht, wo der ISKP einige Anschläge in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan gegen angebliche afghanische Taliban oder mit diesen verbundenen Klerikern durchgeführt hat (PIPS 4.1.2022).

Von der Gesamtzahl der Terroranschläge wurden so auch 128 - im Vergleich zu 95 des Vorjahres - von islamistisch motivierten Terrorgruppen, also den TTP, dem ISKP oder lokalen Taliban-Gruppen, verübt. Verschiedene belutschische und Sindhi-nationalistische Gruppierungen verübten 44 Anschläge mit 97 Toten (PIPS 4.1.2022).

Begründet liegt der Anstieg der Terroranschläge nach Ansicht von PIPS auch in den Entwicklungen in Afghanistan. Trotz gegenteiliger Versprechungen ziehen die afghanischen Taliban nicht ernsthaft in Erwägung, gegen die pakistanischen Taliban auf afghanischem Gebiet vorzugehen. Sie haben Gespräche zwischen der pakistanischen Regierung und den TTP vermittelt, doch diese haben mit Stand Anfang des Jahres 2022 keine dauerhaften Ergebnisse erzielt (PIPS 4.1.2022).

Auf den Anstieg der terroristischen Gewalt reagierten die Streitkräfte mit geheimdienstlichen Operationen, der Fortführung der Operation Raddul Fasaad und der Stationierung regulärer Armeetruppen in den Grenzregionen anstatt des paramilitärischen Frontier Corps (EASO 10.2021). Die Sicherheitskräfte führten 2021 63 operative Schläge gegen Terrorgruppen durch, bei denen 197 Personen getötet wurden. In sechs Fällen gab es direkte bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Militanten, bei denen 15 Personen getötet wurden, 156 Verdächtige wurden bei Suchoperationen festgenommen (PIPS 4.1.2022).

Die NGO Center for Research and Security Studies (CRSS) zählt für das Jahr 2021 403 Terrorakte mit 555 Toten, davon 330 Zivilisten, sowie 146 Sicherheitsoperationen, bei denen 298 mutmaßliche Terroristen getötet wurden (CRSS 3.1.2022).

 

Quelle: PIPS 4.1.2022

Regionale Konzentration der Anschlagszahlen

Regional aufgeschlüsselt fanden 2021 die meistenAnschläge, konkret 111, in Khyber Pakhtunkhwa statt. Hier konzentrierte sich wiederum, wie seit Jahren, die terroristische Gewalt in den beiden Agencies Nord- und Süd-Waziristan. Belutschistan war mit 81 Anschlägen am zweitstärksten betroffen. Acht Anschläge wurden im Sindh verübt, fünf im Punjab. Zwei terroristische Anschläge wurden in Islamabad verzeichnet, dabei töteten die TTP insgesamt drei Polizisten (PIPS 4.1.2022). CRSS zählte beinahe 75 Prozent aller Todesopfer der von ihm erfassten sicherheitsrelevanten Gewalt in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan [Anm.: dies ist nicht auf die Terroranschläge aufgeschlüsselt] (CRSS 3.1.2022).

Im Jahr 2020 betrafen 83 Prozent aller Anschläge die beiden Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa zusammengenommen (PIPS 15.6.2021).

Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und KP konzentriert bleibt. Auch der Anstieg der terroristischen Gewalt 2021 geht auf einen Anstieg in diesen beiden Provinzen zurück. 93 Prozent der gesamtenAnschläge dieses Jahres in Pakistan trafen zusammengenommen diese beiden Provinzen. Punjab und Sindh verzeichneten hingegen auch 2021 einen Rückgang der Anschlagszahlen. Während aber der Sindh auch einen Rückgang der Todesopfer vermelden konnte, stieg die Zahl der Todesopfer im Punjab an (PIPS 4.1.2022).

 

Quelle: Darstellung der Stdk. nach Daten von PIPS 15.6.2021 sowie PIPS 4.1.2022

Hauptsächliche Zielsetzungen und Mittel der Anschläge

66 Prozent der Anschläge zielten 2021 gegen die Sicherheitskräfte. Dementsprechend waren 177 der 335 Todesopfer Mitglieder der Sicherheits- oder Strafverfolgungsbehörden. 16 Anschläge richteten sich direkt gegen zivile Ziele, neun Anschläge gegen regierungsfreundliche Stammesführer oder Mitglieder von Friedenskomitees, sieben gegen politische Führer bzw. politisch Tätige und sieben gegen Einrichtungen oder Personal der Regierung. Zwei konfessionell motivierte Anschläge wurden durchgeführt - im Vergleich zu sieben 2020, sie forderten zwei Menschenleben (PIPS 4.1.2022).

PIPS berichtet, dass sich auch im Jahr 2020 der Großteil der Anschläge gegen Sicherheitskräfte gerichtet hatte, gefolgt von allgemeinen zivilen Zielen, regierungsfreundlichen Stammesältesten, politischen Führern sowie Mitarbeitern und Schiiten (PIPS 15.6.2021).

80 der Anschläge verübten Terroristen 2021 mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs), 102 mit Schusswaffen(PIPS 4.1.2022). Diese Wahl der Mittel entspricht jener im Jahr 2020 (vgl. PIPS 15.6.2021).

 

Entwicklung 2022

Im Jänner 2022 zählte PIPS 24 Terroranschläge mit 35 Toten, davon 24 Sicherheitskräfte und acht Zivilisten. Sechs operative Schläge wurden durch die Sicherheitskräfte durchgeführt. Jeweils ein Terroranschlag wurde in den Städten Lahore, Rawalpindi (beide Punjab) und Islamabad verübt. In Lahore und Islamabad wurden dabei jeweils drei Personen getötet, in Rawalpindi eine. Im Sindh wurde ein Terroranschlag verübt, konkret in der Provinzhauptstadt Karachi, es gab keine Todesopfer. In KP wurden 15 Anschläge in sieben Distrikten durchgeführt, alle durch die TTP oder ähnliche Gruppierungen. Fünf der Anschläge betrafen Nord-Waziristan. Zwei Drittel aller Anschläge richtete sich gegen Sicherheitskräfte. In Belutschistan wurden 15 Tote bei 5 Anschlägen dokumentiert. Alle wurden durch belutschische nationalistische Gruppen durchgeführt, drei der Anschläge richteten sich gegen Sicherheitskräfte (PIPS 10.2.2022).

Im Feber 2022 starben laut den Aufzeichnungen von PIPS 38 Menschen bei 13 Anschlägen, die allesamt in Belutschistan und KP durchgeführt wurden. Drei der Toten waren Zivilisten, 12 Sicherheitskräfte und 23 Terroristen. In Belutschistan starben 31 Menschen bei acht Anschlägen.

17 der Toten waren Terroristen, die großteils durch Abwehrfeuer starben, drei Zivilisten und zwei Sicherheitskräfte. In KP starben sieben Personen, davon 6 Terroristen, in fünf Anschlägen. Die Anschläge gingen damit in KP um 67 Prozent zum Vormonat zurück (PIPS 4.3.2022).

Weitere Aspekte sicherheitsrelevanter Gewalt

Es zeigt sich, dass der religiöse Extremismus, auch abseits der Terrorgruppen, eine große Herausforderung darstellt. Zum einen ist dies in den Gewalttaten von aufgestachelten Menschenmengen, sogenannten Mobs, erkennbar - 2021 wurden sieben religiös motivierte Vorfälle von Mob-Gewalt verzeichnet, bei denen zwei Menschen getötet wurden [siehe Kap. Religionsfreiheit]. Zum anderen manifestiert sich dies in den gewalttätigen Protesten der politisch-religiösen Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP), bei denen hauptsächlich in den Städten des Punjab 24 Menschen ums Leben kamen, 10 davon Polizisten (PIPS 4.1.2022).

Insgesamt zeichnete PIPS für das Jahr 2021 326 gewalttätige, sicherheitsrelevante Vorfälle auf, neben den Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen, Mob-Gewalt und Zusammenstößen zwischen Polizei und TLP-Demonstranten, waren darunter fünf Vorfälle ethnopolitischer Gewalt, eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Stämmen und eine zwischen militanten Gruppen sowie 23 Auseinandersetzungen an den Grenzen zu Afghanistan, Indien und Iran. Insgesamt wurden bei all diesen von PIPS erfassten Vorfällen 609 Personen getötet (PIPS 4.1.2022).

Im Feber 2021 verständigten sich Indien und Pakistan darauf, das Waffenstillstandsübereinkommen von 2003 an der zwischen dem indischen und dem pakistanischen verwalteten Teil Kaschmirs liegenden Grenze, der Line of Control, verstärkt einzuhalten. Die Zahl der Übergriffe an dieser Grenze ging 2021 stark zurück (PIPS 4.1.2022).

Im Nordwesten Pakistan wurde 2017 mit dem Bau eines Grenzzaunes entlang der 2.611 km langen „Durand-Linie“ genannten Grenze zu Afghanistan begonnen. Dies soll den Bewegungen von Militanten und Schmugglern sowie illegalen Grenzübertritten Einhalt gebieten. Anfang Juli 2021 war laut pakistanischen Angaben der Bau des Zauns auf über 90 Prozent der Strecke abgeschlossen (AP 13.7.2021). Der Bau des Grenzzauns wird allerdings vom nunmehrigen Taliban-Regime in Afghanistan zurückgewiesen, insbesondere aufgrund des Verlaufs an der Durand-Linie, auf deren definitive Grenzsetzung Pakistan aus Sicht der Taliban keinen rechtlichen Anspruch hat (PIPS 4.1.2022; vgl. Dawn 14.1.2022). Im Jänner 2022 sicherte Pakistan zu, die verbliebenen 21 Kilometer Grenzzaun in diplomatischer Übereinkunft mit Afghanistan errichten zu wollen (Dawn 14.1.2022).

 

Quelle: Darstellung der Stdk. nach Daten von ACLED o.D.

Anmerkung: ACLED erfasst sicherheitsrelevante Vorfälle unter Verwendung festgelegter Kriterien und Methodologien mittels Medienbeobachtung. Sind die Angaben zu den Todesopfern in den Quellen ungenau (z.B. „zahlreiche Tote“) oder unbekannt, so codiert ACLED automatisch zehn Todesopfer - oder drei Todesopfer, sofern bekannt ist, dass es sich um weniger als zehn Todesopfer handelt (ACLED 2020).

Relevante Terrorgruppen

Letzte Änderung: 23.03.2022

Folgend ein Auszug relevanter extremistischer Gruppen:

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP, auch pakistanische Taliban genannt, ist der Hauptproponent militanter Gewalt in Pakistan (PIPS 4.1.2022). Sie ist eine Dachorganisation aus ungefähr 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen. 2008 wurde sie durch Pakistan verboten. Ihre ursprüngliche Basis befand sich in der damaligen Agency Süd-Waziristan. Die ursprünglichen Ziele der Organisation waren unter anderem die Umsetzung der Scharia in Pakistan, die Zurückdrängung des pakistanischen Militärs aus den damaligen FATA, ein „defensiver Jihad“ gegen das pakistanische Heer und die Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die Gruppe richtet ihre Aktivitäten allerdings nicht gegen Afghanistan, sondern konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (CEP o.D; vgl. EASO 10.2021).

Ausgehend von der 2014 begonnenen Militäroperation Zarb-e-Azb in Nord-Waziristan wurde die TTP aus Pakistan verdrängt. Man geht davon aus, dass die Basen der verschiedenen Gruppen der pakistanischen Taliban seitdem in den afghanischen Provinzen Nangarhar, Khost und Kunar liegen (PIPS 15.6.2021b; vgl. EASO 10.2021). Seit dem Sommer 2020 gibt es Berichte über eine Re-Gruppierung der TTP und ein stilles Comeback in den Stammesgebieten an der Grenze zuAfghanistan. Die Wiedervereinigung mit Splittergruppen stärkte die TTP (EASO 10.2021). Die beiden Splittergruppen Jamaat-ul Ahrar und Hizbul Ahrar erklärten im August 2020 ihre Rückkehr in die Struktur der TTP. Militante bzw. Splittergruppen der Hakimullah Mehsud Gruppe, der Lashkar-e-Jhangvi und derAl-Quaeda im Subkontinent sollen sich ebenfalls der TTP angeschlossen haben. Die Einigung der Gruppen wird auf die Bemühungen des TTP Anführers Mufti Noor Wali Mehsud sowie die Entwicklungen inAfghanistan zurückgeführt. Die Bemühungen zur Neuformierung in Pakistan sind allerdings nur teilweise erfolgreich, da die Sicherheitskräfte weiterhin sogenannte Search-and-Hunt-Operationen durchführen, die sich hauptsächlich gegen die TTP richten (PIPS 15.6.2021). Der Regimewechsel in Afghanistan bestärkte andererseits die terroristischen Gruppen (PIPS 4.1.2022). Das Taliban-Regime entließ viele Gefangene in die Freiheit, darunter auch TTP-Mitglieder (CEP o.D).

Im Jahr 2020 wurden ihr 46 Terroranschläge zugerechnet, davon 40 in Khyber Pakhtunkhwa, drei im Punjab, zwei in Belutschistan und einer in Karatschi. Neben Anschlägen führte sie im Jahr 2020 auch 11 Grenzangriffe aus Afghanistan durch (PIPS 15.6.2021). Im Jahr 2021 hat die TTP 84 Prozent mehr Anschläge verübt - nämlich auf 87, 78 davon in Khyber Pakhtunkhwa. Auch wenn sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf die Stammesgebiete konzentrieren, verübte sie auch einige Anschläge in Belutschistan, Punjab und Islamabad. Trotz Versprechungen ziehen die afghanischen Taliban nicht ernsthaft in Erwägung, gegen die pakistanischen Taliban auf afghanischem Gebiet vorzugehen. Sie haben Gespräche zwischen der pakistanischen Regierung und den TTP vermittelt. Die Regierung führte in den Jahren 2020 und 2021 mehrere Friedensgespräche mit den Taliban (PIPS 4.1.2022).

Neben Schmuggel und der Finanzierung durch Geldgeber füllen die Taliban ihre finanziellen Ressourcen mit Entführungen und Erpressungen in ihren regionalen Einflusssphären auf (CEP o.D.).

Daesh, Islamic State Khorasan Province (ISKP): Der sogenannte Islamische Staat (IS) sah eine weltweite Expansion des Kalifats vor. Die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken konzipierte er als Provinz Khorasan (Wilayat Khorasan) (EASO 10.2021). 2015 erklärte der IS die Formierung eines eigenen Zweiges für diese Region. Dieser IS - Khorasan Province (ISKP) entwickelte sich um ein Epizentrum in Afghanistan, Nord-West Pakistan und Belutschistan und konnte zwischen 2015 und 2019 22 Anschläge in Pakistan für sich beanspruchen. Der pakistanische Staat führte zahlreiche Sicherheitsoperationen gegen den ISKP durch, in denen auch viele Führungspersonen ausgeschaltet wurden. Im Jahr 2020 zeigte der ISKP in Pakistan eine minimale Präsenz, er verübte zwei Anschläge mit 24 Todesopfern. Laut Analyse von PIPS ist die Gruppe in Pakistan bis ins Jahr 2020 stark dezimiert geworden und nach Afghanistan geflohen. Die Gruppe verfügt jedoch über enge Netzwerke zu anderen Jihadisten-Gruppen (PIPS 15.6.2021). 2021 konnte die Gruppe ihre Anschlagszahl erhöhen. Sie führte acht Anschläge durch, sieben in KP und einen in Belutschistan. Insgesamt 21 Todesopfer sind darauf zurückzuführen, darunter 11 Minenarbeiter der schiitischen Hazara-Minderheit (PIPS 4.1.2022). Ein Großanschlag auf eine schiitische Moschee am 4.3.2022 in Peschawar mit 56 Toten geht ebenfalls auf den IS zurück (AP 5.3.2022).

Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine konfessionell motivierte Terrorgruppe der Deobandi-Strömung des Sunnismus. Sie wurde gegründet, um Schiiten anzugreifen, dementsprechend richtet sich ihre Gewalt größtenteils gegen Schiiten. Die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Sie wurde 2001 in Pakistan verboten. Viele ihrer Führer wurden im Zuge der Militäroperationen getötet oder gefangen genommen, und sie hat in den letzten Jahren kontinuierlich an operativer Stärke verloren (EASO 10.2021). Laut den Aufzeichnungen von PIPS war LeJ im Jahr 2020 für einen Anschlag in Pakistan - in Karatschi - verantwortlich, verglichen mit acht im Jahr 2019. Die Sicherheitskräfte verhafteten in mehreren Operationen der Führer- oder Mitgliedschaft verdächtigte Personen (PIPS 15.6.2021). Auch 2021 wurden einige Operationen gegen die Gruppe und Verhaftungen durchgeführt (PIPS 4.1.2022).

Punjab

Die Provinz Punjab ist in 36 Distrikte unterteilt und beherbergt laut dem letzten Zensus von 2017 eine Einwohnerzahl von beinahe 110 Millionen. Punjab ist damit die am stärksten besiedelte Provinz, flächenmäßig ist sie die zweitgrößte (EASO 10.2021; vgl. PBS o.D.).

Seit vielen Jahren ist sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa konzentriert bleibt, doch auch Sindh und Punjab sporadisch trifft. Auch wenn der Punjab im Jahr 2021 wiederum einen Rückgang der Anschlagszahlen verzeichnete, stieg die Zahl der Todesopfer an (PIPS 4.1.2022).

So fanden im Jahr 2020 im Punjab sieben Terroranschläge statt, die fünf Todesopfer und 59 Verletzte forderten. Mit Ausnahme eines Anschlags, der von einer belutschischen Gruppe, der BLA, im Süden des Punjab verübt wurde, betrafen alle Anschläge im Punjab Rawalpindi und wurden von den pakistanischen Taliban, einschließlich ihrer wieder mit ihr vereinten Abspaltungen Jamaat-ul Ahrar und Hizb-ul Ahrar verübt. Während fünf dieser Anschläge im Punjab offenbar Zivilisten zum Ziel hatten, richtete sich ein Anschlag gegen die Polizei und ein weiterer gegen eine Gaspipeline. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und forderte zwei Menschenleben. Im Punjab wurden 2020 zwei operative Gegenschläge der Sicherheitskräfte durchgeführt und es kam zweimal zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militanten (PIPS 15.6.2021).

Im Jahr 2021 war der Punjab von 5 Terroranschlägen betroffen, die insgesamt 14 Menschenleben forderten. Davon wurden zwei Anschläge wieder durch die TTP in Rawalpindi, bei dem zwei Personen ums Leben kamen, durchgeführt. Ein Anschlag war konfessionell motiviert und richtete sich gegen Schiiten während einer Ashura Prozession. Er forderte 2 Menschenleben. Ein Anschlag mit sechs Toten dürfte der Amoklauf eines religiösen Einzeltäters gewesen sein, bei einem weiteren Anschlag ist die Motivation unbekannt. 2021 wurde ein operativer Einsatz der Sicherheitskräfte durchgeführt (PIPS 4.1.2022).

Außerdem kam es 2020 im Punjab zu zwei Vorfällen von gesellschaftlicher religiöser Gewalt, in Form von Übergriffen gewalttätiger Menschenmengen (PIPS 15.6.2021). 2021 wurden fünf solcher Vorfälle von Mob-Gewalt aus religiösen Motiven im Punjab gezählt. Diese kosteten zwei Menschenleben [vgl. Kap. Religionsfreiheit] (PIPS 4.1.2022).

Die politisch-religiöse Bewegung Tehreek-i-Labbaik Pakistan (TLP) zeigt in Protesten auch immer wieder ihre gewalttätige Seite. Diese fanden hauptsächlich in den Städten des Punjab statt. 24 Menschen kamen dabei ums Leben, 10 davon Polizisten. Dass die Regierung dem Druck dieser Gruppe auf der Straße nachgab und ihren Anführer aus der Haft freiließ und das zuvor verhängte Verbot der Gruppe aufhob, zeigt auch welche Bedrohung solche extremistischen Bewegungen für das Land darstellen (PIPS 4.1.2022).

Das CRSS registrierte für das Jahr 2021 für den Punjab 66 Tote in sicherheitsrelevanten Vorfällen, wobei hierbei nicht nach Terroranschlägen, Sicherheitsoperationen oder Mob-Gewalt unterschieden wurde (CRSS 3.1.2022).

Im Jänner 2022 fand jeweils ein Terroranschlag in den Städten Lahore und Rawalpindi im Punjab statt. In Lahore wurden drei Personen getötet, in Rawalpindi eine (PIPS 10.2.2022).

Rechtsschutz, Justizwesen

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgangs „Council of Islamic Ideology“ jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 12.2020).

Der Aufbau des Justizsystems ist in der Verfassung geregelt, die folgende Organe aufzählt:

Supreme Court of Pakistan - das pakistanische Höchstgericht, ein Oberstes Gericht in jeder Provinz sowie im Islamabad Capital Territory und anderweitige Gerichte, die durch das Gesetz eingerichtet werden. Die fünf Obersten Gerichte fungieren zum einen als originäres Rechtsprechungsorgan für die Durchsetzung der Grundrechte zum anderen als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von untergeordneten Gerichten und der Spezialgerichte in allen zivilen und strafrechtlichen Angelegenheiten sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court (FSC), das zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen oder diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Es fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood-Verordnungen von 1979, die eine vor allem Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir sowie in Gilgit-Baltistan gibt es derzeit noch eigene Justizsysteme (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).

Es gilt das Recht auf öffentliche Verhandlungen, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Berufung. Auch gegen Entscheidungen des FSC können Einzelpersonen Berufung bei der „Shariat Appellate Bench“ des Supreme Court einlegen, wobei noch eine weitere Berufung durch den Supreme Court zugelassen werden kann. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt werden, für deren Verurteilung die Todesstrafe droht. Für andere Fälle wird nicht regelmäßig eine rechtliche Vertretung zur Verfügung gestellt. Die Verfassung erkennt das Recht auf Habeas Corpus an und erlaubt es den hohen Gerichten, die Anwesenheit einer Person, die eines Verbrechens beschuldigt wird, vor Gericht zu verlangen. In vielen Fällen, in denen es um das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen ging, versäumten es die Behörden, die Inhaftierten gemäß den Anordnungen der Richter vorzuführen. Das Gesetz erlaubt es Bürgern, Habeas-Corpus-Ansuchen bei den Gerichten einzureichen (USDOS 30.3.2021).

Die Justiz - vor allem die oberen Gerichte - versucht ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit zu verteidigen und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter starkem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee sowie Beeinflussungen durch die pakistanische Regierung (AA 28.9.2021). So unterliegt die Justiz laut NGOs und Rechtsexperten - obwohl das Gesetz ihre Unabhängigkeit vorsieht - oft externen Einflüssen, wie zum Beispiel der Angst vor Repressalien durch extremistische Elemente in Terrorismus- oder Blasphemie-Fällen und der öffentlichen Politisierung bei hochkarätigen Fällen. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten, dass Richter zögern, der Blasphemie beschuldigte Personen freizusprechen, da sie Selbstjustiz befürchten. Untere Gerichte unterliegen Berichten zufolge nicht nur dem Druck höherrangiger Richter, sondern auch prominenter, wohlhabender, politischer und religiöser Persönlichkeiten (USDOS 30.3.2021). Anhänger konservativer und extremer Denkschulen des Islams sind bestrebt, mit Druck auf allen Ebenen die Rechtspflege zu beeinflussen (AA 28.9.2021). Gleichzeitig lassen sich in der Strafverfolgung von Korruptionsfällen Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren lässt - etwa wenn Verfahren gegen mehrere wichtige Oppositionsführer verfolgt werden, während bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung herrscht (FH 3.3.2021).

Hinzu kommen Berichte über Korruption im Justizsystem. Untere Gerichte werden als korrupt angesehen, während die oberen Gerichte und der Supreme Court bei der Bevölkerung und den Medien höhere Glaubwürdigkeit genießen. Doch auch hier wird Einflussnahme thematisiert (USDOS 30.3.2021). Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind zudem hochgradig ineffizient. Mangelhafte Ausbildung, Befähigung und Ausstattung großer Teile der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Justizwesens zeigen nachteilige Auswirkungen (AA 28.9.2021). Ein exzessiver Rückstau an Fällen in den unteren und oberen Gerichten führt zu einer Schwächung des Rechts auf wirksame Rechtsmittel und ein faires Verfahren.Antiquierte Prozessregeln, unbesetzte Richterstellen, unzureichende rechtliche Ausbildung und mangelhaftes Fallmanagement führen zu Verzögerungen und damit auch zu langer Untersuchungshaft. Nach offiziellen Angaben waren mit Stand November 2020 mehr als 2 Millionen Verfahren an den Gerichten offen (USDOS 30.3.2021).

Nach Einschätzung des UK Home Office hat der Staat somit zwar ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit auch durch die genannten Probleme begrenzt (UKHO 9.2021). Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Pakistan bekennt sich in seiner Verfassung und auf der Ebene einfacher Gesetze grundsätzlich zur Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Gleichwohl fällt es Pakistan insgesamt angesichts der schwach ausgebildeten rechtsstaatlichen Strukturen und der geringen Verankerung des Rechtsstaatsgedankens in der Gesellschaft schwer, rechtsstaatlichen Entscheidungen und damit auch der Schutzpflicht Geltung zu verschaffen (AA 28.9.2021). Neben dem staatlichen Justizwesen bestehen in der Folge vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst (AA 28.9.2021). Das World Justice Project reiht Pakistan 2021 auf Platz 130 von 139 teilnehmenden Staaten (WJP 14.10.2021).

Informelle Rechtsprechung und islamisch geprägte Rechtsnormen

Letzte Änderung: 23.03.2022

In ländlichen Gebieten Pakistans bestehen auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehemals semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali eine bedeutende Rolle. Dieser wird bei Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Erklärtes Ziel der pakistanischen Bundesregierung ist es, die ehemaligen Stammesgebiete vollständig in das staatliche Rechtssystem einzugliedern. Der Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen steht jedoch noch ganz am Anfang (AA 28.9.2021).

Jirgas sind in Pakistan allerdings auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet, neben den ehemaligen FATA und den ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan auch im inneren Sindh und im südlichen Punjab. Sie wenden neben Stammesauch Schariarecht an. Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad-hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung - insbesondere Frauen - stark benachteiligt. Dies resultiert in oft menschenverachtenden Strafen für Frauen durch Jirgas, wie z.B. angeordnete Vergewaltigungen, Zwangsheiraten etc. Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Neben Stammesgerichten üben in Sindh und Punjab vereinzelt Grundbesitzer zum Teil richterliche Funktionen aus. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (ÖB 12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).

Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestehen allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 12.2020). Im Oktober 2021 urteilte der Federal Shariat Court ebenso, dass die Übergabe von minderjährigen Mädchen zur Streitbeilegung gegen die Prinzipien des Islams verstößt und mindestens vier islamische Rechtsprinzipien bricht (Dawn 26.10.2021).

Gegen die Interessen der Frauen wirken oft aber auch die Gesetzesnormen zur Entschädigung für körperlichen Schmerz oder Sachbeschädigung, die auf den Traditionen des Qisas und Diyat beruhen. Sie erlauben Vereinbarungen zwischen Konfliktparteien, die auf Vergebung, Entschädigung oder anderen Formen der Beilegung beruhen (DFAT 20.2.2019; vgl. ÖB 12.2020). Das Strafgesetzbuch sieht eine Anwendung dieser islamischen Rechtsprinzipien vor. Damit ermöglicht es zum Beispiel Erben bzw. Nachkommen von Getöteten dem Täter verzeihen (Qisas) und/oder ein Blutgeld als Entschädigung akzeptieren (Diyat) und in der Folge den Täter der Strafverfolgung zu entziehen. Da dieser z.B. bei Ehrenmorden in der Regel aus dem familiären Umfeld stammt, kann in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass die berechtigen Erben der gütlichen Einigung zustimmen (BAMF 5.2020). Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung der Ehrenmorde verabschiedete das pakistanische Parlament 2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung. Damit ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Anwendung des 2004 verabschiedeten „Honour Killing Act“ eingetreten [siehe Kapitel Betroffene von Blutfehden, Ehrverbrechen und anderen schädlichen traditionellen Praktiken] (AA 28.9.2021). Trotz der verschiedenen Versuche, diese traditionelle Praxis abzuschaffen, bleibt sie somit verbreitet (FH 3.3.2021).

Die 1979 unter der Militärdiktatur proklamierten Hudood-Verordnungen waren Teil einer Islamisierungspolitik Pakistans (France24 20.8.2021). Sie sehen die Anwendung von Strafen des islamischen Rechts für eine Reihe von Vergehen vor. Jedoch war die Strafverfolgung für Ehebruch „Zina“ - überproportional hoch (ILS 17.6.2021). 2006 wurden mit dem Frauenschutzgesetz Ehebruch und Vergewaltigung aus den Hudood-Verordnungen entfernt. Die Hudood-Verordnungen werden weiterhin parallel zum auf britischem Recht basierenden Strafgesetz angewandt, kommen tatsächlich allerdings selten zum Einsatz (France24). Ehebruch wurde als „Unzucht“ in das Strafgesetzbuch aufgenommen und wird mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und Geldstrafe geahndet (AA 29.9.2020). Seit der Reform sind die diesbezüglichen Anzeigen zurückgegangen [siehe Kapitel Frauen] (ILS 17.6.2021).

Rechtliche und politische Transformation in den KP Tribal Districts (ehemals FATA)

Letzte Änderung: 23.03.2022

Per Verfassungsänderungsgesetz vom Mai 2018 wurden die FederallyAdministered TribalAreas (FATA) mit der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) zusammengelegt und damit die verfassungsmäßigen Bürgerrechte auf ihre ungefähr 5 Millionen Einwohner ausgedehnt (USIP 6.5.2021). Das Wirkungsgebiet des pakistanischen Strafgesetzes sowie die Zuständigkeit der höheren Gerichte wurde auf die früheren Stammesgebiete ausgedehnt und die reguläre Polizei in den Stammesdistrikten eingerichtet (FH 3.3.2021). Die sieben Agencies und sechs Frontier Regions der zuvor semiautonomen Stammesregion wurden in Distrikte und Sub-Divisionen von KP umstrukturiert. Sie werden jetzt als Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs), Stammesdistrikte, bezeichnet (EASO 10.2021).

Die Umsetzung der damit einhergehenden Ausdehnung des gesamten pakistanischen Rechtsund Justizsystems auf die ehemalige FATA begann ab März 2019, doch gibt es dabei weiterhin grundlegende Herausforderungen. Die FATA wurden als Gebiet Pakistans anerkannt, aber von den sogenannten „settled districts“ unterschieden, wobei ihr Sonderstatus im Rahmen der Frontier Crimes Regulation (FCR) durch Artikel 247 der Verfassung legitimiert wurde. Nach dem Aufheben der FCR trat die FATA Interim Governance Regulation 2018 in Kraft, die als fünfjährige Übergangsregelung bis zum Abschluss des Aufbaus eines Gerichtssystems geplant war. Sie wurde allerdings vom Obersten Gericht der Provinz KP noch im Oktober 2018 aufgehoben, das entschied, dass die Gesetze und Rechte der Provinz vollumfänglich anzuwenden sind. Darüber hinaus erklärte das Urteil des Obersten Gerichtshofs parallele Justizsysteme (z.B. die Jirgas) im ganzen Land für illegal und verfassungswidrig. In dem Urteil heißt es, dass Jirgas und andere informelle Systeme nur als Mechanismen zur Vermittlung, Schlichtung und Verhandlung von zivilrechtlichen Streitigkeiten dienen könnten (USIP 6.5.2021; vgl. USDOS 30.3.2021).

Der rechtliche Eingliederungs- und Reformprozess geht nur schleppend voran, und es mangelt an der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung („ownership“). Die Errichtung von Gerichten stagniert, außerdem wurden die meisten Zivil- und Strafgerichte für die neuen Stammesdistrikte in den jeweils an sie angrenzenden, bestehenden Distrikte KPs eingerichtet (PIPS 15.6.2021). Der Mangel an Infrastruktur an Gerichten und auch Polizeistationen stellt außerdem ein Problem in der Zugänglichkeit zum Recht dar. Für die Bevölkerung ist es schwierig und kostenintensiv, überhaupt zu Gerichten zu kommen (USIP 6.5.2021).

Auch bei der Staatsanwaltschaft mangelt es an Ermittlungskapazitäten. In Bezug auf die Polizeiarbeit stellt die Eingliederung der vorher bestehenden beinahe 30.000 Levies- und Khasadar-Einheiten in die reguläre Polizei eine Herausforderung dar. Dabei fehlt es auch an Grundlagen der polizeilichen Arbeit gemäß dem pakistanischen Rechtssystem, angefangen vom Ausfüllen der FIR bis zur Durchführung von Ermittlungen (USIP 6.5.2021). Der Prozess der Einrichtung von Polizeistationen und Ausbildung der Strafverfolgungsorgane schreitet - langsam - voran. Polizeischulen arbeiten in den Stammesdistrikten Khyber und Kohat (PIPS 4.1.2022). Im September 2021 berichtete die Polizei, dass 25.879 von 29.833 Mitglieder der Levies- und Khasadar-Einheiten bereits in die Polizei von KP eingegliedert worden sind (TET 15.9.2021). In den meisten Gebieten der neuen Distrikte werden Aufgaben der Sicherheitskräfte allerdings weiterhin durch die Armee oder paramilitärische Truppen durchgeführt (PIPS 15.6.2021).

Als positive Entwicklungen im Transformationsprozess zeigte eine US-Studie, dass Gerichte selbst bereits Ermittlungsfehler oder Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren in Verhandlungen feststellten, Frauen - im Gegensatz zu Jirgas - nun direkten Zugang zum Rechtssystem haben, und die Bevölkerung den Zugang zu den verfassungsmäßigen Rechten bei Befragungen als sehr wichtig angab. Außerdem wurden einige der Gerichte, die zuvor in den angrenzenden Distrikten untergebracht waren, bereits in den jeweiligen Stammesdistrikt verlegt (USIP 6.5.2021). Der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Verfahren hat in den früheren FATA-Gebieten zugenommen (FH 3.3.2021). Auch das Sozialversicherungsprogramm der Provinz KP, Sehat Sahulat, wurde auf die Stammesdistrikte ausgedehnt (NDM 30.5.2021).

Die Forderungen, dass Reformen sich beschleunigen müssen, werden lauter. Es wird kritisiert, dass einerseits Stämme traditionelle Jirgas nicht mehr abhalten dürfen, andererseits jedoch das staatliche Rechts- und Polizeisystem noch nicht vollständig eingerichtet worden ist (PIPS 4.1.2022). Allerdings sind trotz der Aufhebung des Rechtskodex der FCR in den ehemaligen FATA Urteile durch informelle Justizsysteme noch gängige Praxis [siehe Kap. zu informeller Rechtsprechung und Frauen] (USDOS 30.3.2021).

Mit dem langsamen Reformprozess in der Verwaltung und im Gerichtssystem wird zudem dieZunahme von Landstreitigkeiten verbunden (PIPS 4.1.2022). Die Administration von KP hat die Anwendung der Grundstücksgesetze auch in die Stammesgebiete ausgedehnt, damit sind die Einwohner berechtigt, Grundstücksstreitigkeiten vor die formalen Gerichte zu bringen. Doch die Grundstücksregistrierung geht nur sehr langsam voran, so befindet sich Grund und Boden oft noch ohne Dokumentation in kollektivem Besitz. Streitigkeiten über Grundstücksbesitz nehmen besonders in jenen Gebieten zu, wo IDPs zurückgekommen sind, und wurden zu einem der dominanten Konflikte in den Stammesdistrikten.Im Jahr 2020 fielen laut Aufzeichnungen des FRC 158 Stammesangehörige in 15 Vorfällen Grundstückskonflikten zum Opfer (FRC 7.1.2021).

Das Versprechen der politischen Teilhabe der neuen Stammesdistrikte im politischen Prozess von KP ist ebenfalls weitgehend uneingelöst. Im Zuge der Zusammenführung wurde 2019 die Gesamtzahl der Abgeordneten in der Provinzversammlung um 21 Sitze für Abgeordnete aus den Stammesdistrikten erhöht. Die Abgeordneten zur Provinzversammlung aus den Stammesgebieten, Stammesältere und Parlamentarier der Stammesdistrikte protestierten im Jahr 2020 gegen die mangelnde Umsetzung der Reformen und verlangten u.a. eine Erhöhung der Zahl an Sitzen für die Stammesdistrikte, eine Erhöhung der Anteile am nationalen Finanzbudget für die Stammesdistrikte und den Wiederaufbau der durch die Militäroperationen zerstörten Häuser (HRCP 2021). Mittel, welche für Entwicklungsprogramme für die zurückgekehrten Vertriebenen zugeteilt waren, wurden zu weiten Teilen in das Sicherheitsbudget umgeleitet. Die Bewohner der betroffenen Gebiete unterliegen weiterhin einem mangelhaften Zugang zu sauberem Trinkwasser, medizinischer Grundversorgung, Bildung und Stromversorgung. Das gesamte Jahr 2020 über wurden Proteste und Sitzstreiks abgehalten, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. Analysten warnen, dass ein Versagen in der Regierungsführung in den ehemaligen FATA Militanten neue Potenziale öffnen könnte (PIPS 15.6.2021).

Politischer und rechtlicher Aufbau Gilgit-Baltistan und Azad Jammu Kaschmir

Letzte Änderung: 23.03.2022

Pakistan kontrolliert die Gebiete Gilgit-Baltistan (GB) und Azad Jammu und Kaschmir (AJK) auf der pakistanischen Seite Kaschmirs (AA 3.3.2022). Jedes dieser beiden Territorien hat eine gewählte Versammlung und eine Regierung mit einer begrenzten Autonomie. Ihnen fehlt allerdings die Vertretung im pakistanischen Parlament und andere Rechte pakistanischer Provinzen. Die pakistanischen Bundesinstitutionen haben einen überwiegenden Einfluss auf die Sicherheit, auf Justiz und auf die meisten wichtigen politischen Angelegenheiten. Die pakistanische Regierung kontrolliert direkt und indirekt wichtige exekutive Funktionen (FH 28.2.2022). Gilgit-Baltistan und AJK werden damit von Pakistan verwaltet, während die Bürger Gilgit-Baltitstans und AJKs in den gesamtstaatlichen Institutionen keine politische Repräsentation haben (HRCP 2021). Die Politik innerhalb der beiden Gebiete wird sorgfältig gesteuert, um die Idee eines eventuellen Beitritts Kaschmirs zu Pakistan zu fördern (FH 28.2.2022).

Die gesetzgebende Versammlung von AJK setzt sich aus 53 Abgeordneten zusammen, fünf der Sitze sind für Frauen reserviert, drei für Kleriker. Zuletzt wurden im Juli 2021 Wahlen für die gesetzgebende Versammlung abgehalten. Die in Pakistan regierende Partei PTI gewann 32 Sitze und stellt den Premierminister und den Präsidenten von AJK. Der AJK-Rat befindet sich in Islamabad und setzt sich aus kaschmirischen und pakistanischen Vertretern zusammen. Er wird vom pakistanischen Premierminister geleitet (FH 28.2.2022). Der Rat hat durch die Änderung der Übergangsverfassung von AJK im Jahr 2018 nur noch eine rein beratende Funktion. Seine vorigen Befugnisse wurden zum einem auf die gesetzgebende Versammlung von AJK übertragen, zum anderen auf den pakistanischen Premierminister, der Gesetze für AJK über die pakistanische Regierung festlegt (HRCP 2021).

Die gesetzgebende Versammlung von Gilgit-Baltistan besteht aus 33 Sitzen, von denen 6 für Frauen reserviert sind. Die Machtbefugnisse sind stark begrenzt und einige Themen wie Äußere Angelegenheiten, Verteidigung, innere Sicherheit dürfen nicht thematisiert werden. Einige Machtbefugnisse des Gilgit-Baltistan Council, der vom pakistanischen Premierminister geleitet wird, wurden unter der Gilgit-Baltistan Government Order 2018 auf die gesetzgebende Versammlung übertragen. Der Council hat nur noch beratende Funktion. Die exekutiven Funktionen wurden zwischen einem Gouverneur, der durch Pakistan besetzt wird, und einem Ministerpräsidenten, der durch die Versammlung von Gilgit-Baltistan gestellt wird, neu aufgeteilt. Der Gouverneur unterzeichnet die Gesetzgebung und hat bedeutende Machtbefugnisse, wie die Ernennung von Richtern. Seine Entscheidungen können nicht von der Versammlung Gilgit-Baltistans überstimmt werden. Die Verordnung spricht außerdem dem pakistanischen Premierminister weitgehende Befugnisse zu, unter anderem alleinige exekutive und legislative Kompetenzen in einer langen Reihe an Angelegenheiten. Der verfassungsmäßige Status des Territoriums Gilgit Baltistan ist unverändert, doch es werden Möglichkeiten erwogen, ihm einen Provinzstatus zuzusprechen. Das pakistanische Justizministerium hat eine Verfassungsänderung vorbereitet (FH 28.2.2022)

Beide Gebiete haben nominell unabhängige Justizsysteme, aber die Bundesregierung spielt bei Richterbesetzungen eine gewichtige Rolle. Gilgit-Baltistan und AJK haben beide ein Oberstes Berufungsgericht und einen Obersten Gerichtshof. In Gilgit-Balitstan werden der Höchstrichter und die Richter des Berufungsgerichts durch den Premierminister Pakistans auf Empfehlung des Gouverneurs ernannt. In AJK wird der Oberste Richter durch den Präsident von AJK und den AJK-Rat ernannt, die anderen Richter der oberen Gerichte werden durch den Präsidenten auf Vorschlag des Rats ernannt. Bei politisch heiklen Fällen werden die Gerichte von Gilgit-Baltistan und AJK als nicht von der pakistanischen Exekutive unabhängig eingestuft. Das Justizsystem in beiden Territorien umfasst grundlegende Rechte und Garantien, darunter auf einen Strafverteidiger und Berufung. Unrechtmäßige Verhaftungen sind allerdings nicht ungewöhnlich, insbesondere in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen (FH 28.2.2022). Einige der höchsten richterlichen Positionen in AJK sind un- bzw. nur interimistisch besetzt, und auch in den unteren Rängen fehlen Richter, was einen Rückstau an Fällen verstärkt (HRCP 2021).

Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, insbesondere in Bezug auf den Status der Territorien sowie jede politische Aktivität, die als konträr zur pakistanischen Kaschmirpolitik angesehen wird, sind rechtlich eingeschränkt. Kleinere Parteien, die gegen eine Einheit mit Pakistan auftreten, werden aktiv marginalisiert oder vom politischen Prozess ausgeschlossen. Aktivisten, die in Opposition zur pakistanischen Oberhoheit über die Territorien stehen, sind Überwachung, Belästigung und manchmal Verhaftungen ausgesetzt. Die Interimsverfassung von AJK verbietet Parteien, die in Opposition zu einer eventuellen Eingliederung an Pakistan stehen. Ähnliche Regelungen gelten auch in Gilgit-Baltistan (FH 28.2.2022).

Die Sicherheitsbehörden in beiden Territorien sind Bundeseinrichtungen. Die Geheimdienste sind in AJK und Gilgit-Baltistan sehr präsent. Es gibt Berichte zu willkürlichen Verhaftungen, Folter und Todesfällen in Gewahrsam durch die Sicherheitskräfte, insbesondere gegen Unabhängigkeitsbefürworter und -aktivisten (FH 28.2.2022). Nach der Verabschiedung des Nationalen Aktionsplan 2015 haben sich viele rechtlich orientierte NGOs aus AJK zurückgezogen. Derzeit gibt es keine unabhängigen Organe oder Foren, die Menschenrechtsverletzungen überwachen. Die Anti-Terrorismusgesetze werden missbraucht, um gegen Rechtsaktivisten in Gilgit-Baltistan vorzugehen. Die Aktivitäten von Jugend- und Rechtsaktivisten, Journalisten und politischen Aktivisten werden überwacht und in den letzten fünf Jahren wurden auch einige hundert Aktivisten angezeigt (HRCP 2021).

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency / FIA) ist dem Innenministerium unterstellt. Ihre Zuständigkeit liegt im Bereich der Einwanderung, der Organisierten Kriminalität sowie der Terrorismusbekämpfung. Bei letzterer sind auch die pakistanischen Nachrichtendienste ISI (InterServices Intelligence) und IB (Intelligence Bureau) aktiv. Die einzelnen Provinzen verfügen über ihre eigenen Strafverfolgungsbehörden. Gegenüber diesen Provinzbehörden ist die FIA nicht weisungsbefugt (AA 28.9.2021). Die lokalen Polizeieinheiten fallen in die Zuständigkeit der Provinzregierungen (USDOS 30.3.2021).

Daneben gibt es paramilitärische Organisationen, die dem Innenministerium unterstehen und für dieAufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zuständig sind. Dazu zählen das Frontier Corps, das in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (inklusive den ehemaligen FederallyAdministered Tribal Areas / FATA) operiert und die Rangers im Punjab und Sindh. Die Hauptaufgabe des Frontier Corps ist die Sicherheit an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Seine Berichtspflicht besteht in Friedenszeiten gegenüber dem Innenministerium, in Kriegszeiten gegenüber der Armee (USDOS 30.3.2021).

In den ehemaligen FATA ist weiterhin das Militär das führend für Sicherheitsaufgaben zuständige staatliche Organ (USDOS 30.3.2021). Im Zuge der Eingliederung der ehemaligen FATA in das staatliche Rechtssystem wurden auch die lokalen Sicherheitskräfte - die circa 30.000 Mann starken Levies- und Khasadar-Einheiten - in die Polizei von Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (TET 15.9.2021). Die ersten Ausbildungsstätten wurden errichtet, doch der Prozess geht langsam voran (PIPS 17.1.2022).

Die militärischen und zivilen Geheimdienste unterstehen offiziell der Berichtspflicht gegenüber zivilen Behörden, doch operieren sie unabhängig und ohne effektive zivile Aufsicht. In Fällen unter dem Anti-Terrorismus Gesetz haben die Strafverfolgungsbehörden zusätzliche Befugnisse, wie Durchsuchungen und Beschlagnahmungen ohne Gerichtsbeschluss (USDOS 30.3.2021).

Die Effizienz der Polizei variiert je nach Provinz. Der Staat hat ein funktionierendes Strafjustizsystem aufgebaut, doch ist dessen Funktionsfähigkeit begrenzt, was im polizeilichen Bereich auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung sowie unzureichende und veraltete Ausrüstung zurückzuführen ist und zu mangelhaften Ermittlungen führen kann (UKHO 9.2021). Zusätzlich binden religiöse Gewalt und Terrorismus die Ressourcen der Polizei zuungunsten allgemeiner polizeilicher Arbeit (UKHO 6.2020). Die Sicherheitskräfte stellen auch selbst ein Hauptziel von Anschlägen verschiedener Terrorgruppen dar (HRW 13.1.2022; vgl. PIPS 17.1.2022).

Darüber hinaus wird die Effektivität der Polizei durch Einflussnahme durch Vorgesetzte, politische Akteure und die Justiz beeinträchtigt (UKHO 9.2021). Der Polizei wird seit Langem ein vorurteilsbehafteter und willkürlicher Umgang bei der Aufnahme von Anzeigen vorgeworfen (FH 3.3.2021). Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiliche Untersuchungen durchzuführen. Die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung sind gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 28.9.2021).

Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei, wie unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen (AA 28.9.2021).

Dabei stellt Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte ein erhebliches Problem dar. Es mangelt an effektiven Mechanismen, um Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Die Regierung bietet begrenzt Schulungen an, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu erhöhen (USDOS 30.3.2021).

Korruption

Letzte Änderung: 25.04.2022

Korruption ist in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und bei den Sicherheitsorganen weit verbreitet (AA 28.9.2021). Von der international tätigen Compliance-Plattform GAN Integrity wird das Risiko, mit Korruption konfrontiert zu werden, unter anderem in den Bereichen Justizsystem, Polizei und öffentlicher Dienst als hoch eingeschätzt (GAN 10.2020). Verschiedene Politiker und Inhaber öffentlicher Ämter sind mit Vorwürfen unterschiedlichster Korruptionsvergehen konfrontiert. Die unteren Instanzen des Justizsystems sind Berichten zufolge korrupt und dem Druck von höherrangigen Richtern sowie einflussreichen Persönlichkeiten ausgesetzt (USDOS 12.4.2022). Auch die Polizei ist anfällig für Korruption und Bestechung. Die Annahme von Bestechungsgeldern, um wahre oder falsche Anzeigen aufzunehmen oder um Strafen zu vermeiden, ist weit verbreitet (UKHO 9.2021). Pakistan nimmt auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International 2021 Platz 140 von 180 Ländern ein (TI 25.1.2022). Im Vergleich dazu nahm es im Jahr 2020 Platz 124 von 180 Ländern ein (TI 28.1.2021).

Es gibt relativ progressive Gesetze zu öffentlichen Finanzen und Vergabeprozessen und eine eigene Behörde zur Regulierung von öffentlichen Aufträgen, die viele standardmäßige Maßnahmen zur Transparenz einsetzt. Internationale Einrichtungen hinterfragen jedoch den öffentlichen Vergabeprozess. Mitglieder des Parlaments und ausgewählte Amtsträger müssen ihre Einkommen deklarieren. Es sind zahlreiche formale Schutzmaßnahmen in Kraft, doch die Anwendung der Mechanismen zur Rechenschaft ist selektiv und politisch motiviert. Militär und Justiz haben ihre eigenen Systeme zur Bekämpfung von Korruption, doch das Militär, das weite Bereiche an Regierungsfunktionen unter dem Banner der nationalen Sicherheit innehält, agiert weitgehend undurchsichtig in seinen Belangen (FH 4.2022).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption von Amtsträgern vor, die Regierung setzt das Gesetz im Allgemeinen aber nicht effektiv um. Das National Accountability Bureau (NAB) dient als höchste Antikorruptionsbehörde mit dem Auftrag, Korruption durch Sensibilisierung, Prävention und Rechtsdurchsetzung zu beseitigen. Das NAB und andere Ermittlungsbehörden, wie das Federal Board of Revenue, die Nationalbank von Pakistan oder die Federal Investigation Agency führen Untersuchungen zu Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch (USDOS 12.4.2022). Nach Angaben des NAB hatte es mit Stand September 2020 3.371 Verfahren eröffnet, 1.124 Schuldsprüche erwirkt und 1.257 Verfahren offen (FH 3.3.2021). 2017 wurde der damalige Premierminister Nawaz Sharif vom Supreme Court des Amtes enthoben, nachdem die „Panama Papers“, eine internationale Ermittlung von Journalisten in 200 Ländern, die Verstrickung seiner Familie in das aufgedeckte System an Steuerhinterziehung und Geldwäsche öffentlich machten. Ein Jahr später wurde er aufgrund von Korruption verurteilt (ICIJ 4.2021). Der darauffolgende Premierminister hatte diese Korruptionsermittlungen zu seinem Wahlkampfthema gemacht. Doch statt im Allgemeinen die Veruntreuung durch Eliten anzugehen und die rechtlichen Weichen zu stellen um eine Verantwortlichkeitspflicht einzuführen, blieb das Vorgehen gegen die Familien Sharif und Bhutto gerichtet. Noch stärker als zuvor beschränkte sich die Arbeit des NAB großteils auf die Opposition (The Diplomat 9.10.2021). Der Supreme Court Pakistans, die Anwaltskammer des Supreme Courts und der pakistanische Anwaltsrat verurteilten in verschiedenen Fällen das Vorgehen des NAB gegenüber Oppositionspolitikern (HRW 13.1.2021). Gegen mehrere Führungspersonen unterschiedlicher Oppositionsparteien gab es Strafanzeigen aufgrund von Korruptionsermittlungen, so auch gegen den Oppositionsführer in der Nationalversammlung, Shabaz Sharif [Anmerkung: dieser wurde im April 2022 nach einem Misstrauensvotum selbst Premierminister; siehe Kap. Politische Lage] (USDOS 12.4.2022). Hingegen herrschte bei Mitgliedern der Regierungspartei ein Mangel an ähnlicher Strafverfolgung. Dies lässt Anzeichen erkennen, wonach sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren hat lassen (FH 3.3.2021; vgl. FH 4.2022).

Gleichzeitig gibt es Vorwürfe, wonach Journalisten, die über Belange wie Korruption berichteten, Online-Diskreditierungskampagnen ausgesetzt waren, sodass politische Parteien oder Staatsinstitutionen im Hintergrund vermutet werden (USDOS 30.3.2021). Außerdem wurden im Jahr 2020 auch Vergehen nach den neu eingeführten Cybercrime-Gesetzen gegen Journalisten und Aktivisten registriert, die Korruption öffentlich machten (HRCP 2021).

Im Oktober 2021 wurden die „Pandora Papers“, neue internationale journalistische Ermittlungen, veröffentlicht. Sie deckten die Verwicklung mehrerer Minister und Geldgeber der damaligen pakistanischen Regierung sowie Militärgeneräle und deren Familien in mutmaßliche Steuerhinziehung und Geldwäsche auf (ICIJ 3.10.2021).

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 23.03.2022

Zivilgesellschaftliche Menschenrechtsorganisationen können sich in Pakistan betätigen. Die angesehene NGO Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) befasst sich z.B. mit der Aufklärung und Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen aller Art. In allen Landesteilen gibt es Provinzbüros und freiwillige Helfer, die Menschenrechtsverletzungen aufnehmen, Fakten sammeln und Fälle der Justiz zuführen. Eine Vielzahl weiterer Organisationen und Einzelpersonen beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten des Schutzes der Menschenrechte (AA 28.9.2021). Ebenso nehmen zivilgesellschaftliche Organisationen oft lautstark Anteil an politischen Debatten. Debatten jedoch, welche die nationale Sicherheit berühren, werden schnell unterbunden (FH 3.3.2021).

Während einige Menschenrechtsorganisationen ohne nennenswerte Restriktionen agieren, recherchieren und publizieren können, schränkt die Regierung im Allgemeinen allerdings zunehmend dieArbeitsmöglichkeiten von NGOs ein (USDOS 30.3.2021, vgl. AA28.9.2021). Die jetzige Regierung setzt damit das strikte Vorgehen gegenüber NGOs, das bereits unter der Vorgängerregierung 2015 begonnen hat, fort. NGOs unterliegen exzessiven Registrierungsanforderungen (FH 3.3.2021). Diese erschweren es ihnen, ihren Tätigkeiten nachzugehen und Zugang zu ihren Zielgruppen zu erhalten. Während des Registrierungsprozesses, aber auch danach, unterliegen die Organisationen konstanten Kontrollen und Belästigungen durch die Behörden (USDOS 30.3.2021).

Insbesondere betrifft dies jene, deren Arbeit Verfehlungen der Regierung, des Militärs oder der Geheimdienste aufdeckt oder die zu Themen im Zusammenhang mit Konfliktgebieten arbeiten. Diese Gruppen sehen sich mit zahlreichen Vorschriften in Bezug auf Reisen, Visa und Registrierung konfrontiert, die ihre Bemühungen um Programme und die Beschaffung von Mitteln behindern (USDOS 30.3.2021).

Die Geheimdienste überwachen und kontrollieren Menschenrechtsorganisationen. Bedrohungen und Einschränkungen erfolgen, wenn ihre Arbeit die staatlichen Sicherheitsorgane berührt. Institutionen und Menschen, die Kritik am Militär und an dessen Geheimdienst üben, müssen mit Sanktionen rechnen (AA 28.9.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). So berichten verschiedene Menschenrechtsorganisationen von Belästigungen, Einschüchterung und Überwachung durch Behörden (HRW 13.1.2022).

Menschenrechtsorganisationen berichten, dass paschtunische, Sindhi und belutschische Menschenrechtsaktivisten sowie Nationalisten Opfer von Verschwindenlassen durch die Behörden werden. Verschwindenlassen kommt allerdings im ganzen Land vor. Die unabhängige NGO HRCP schätzt, dass mindestens 2.100 politische Dissidenten und Rechtsaktivisten vermisst werden, obwohl die tatsächliche Zahl höher sein könnte (USDOS 30.3.2021). Im Jahr 2020 konnte zum Beispiel die Spur einiger prominenter politischer Aktivisten, die im Sindh Opfer von Verschwindenlassen wurden, durch breite öffentliche Kampagnen in Gefängnissen ausfindig gemacht werden. Bei einigen von diesen konnte eine Freilassung erwirkt werden (HRCP 2021).

In den ehemaligen Stammesgebieten (FATA) und in Belutschistan ist sowohl für Menschenrechtsals auch für Hilfsorganisationen die Arbeit nur sehr eingeschränkt möglich (AA 28.9.2021). Zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans erhalten nur wenige NGOs Zugang (USDOS 30.3.2021).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Bekämpfung wurden die Registrierungsmodalitäten für humanitäre NGOs temporär gelockert (AA 28.9.2021).

Ombudsmann

Letzte Änderung: 22.03.2022

Der föderale Ombudsmann Pakistans (Wafaqi Mohtasib) ist für unabhängige Ermittlungen zu Beschwerden über Fehlleistungen der Bundesverwaltung [„maladministration“] zuständig. Die Einschaltung des Ombudsmannes ist kostenlos und steht jedem offen. Sein Mandat erstreckt sich jedoch nicht auf Beschwerden, die laufende Gerichtsverfahren, ausländische Angelegenheiten oder Verteidigungsangelegenheiten betreffen. Zusätzlich gibt es jeweils unabhängige Ombudsmänner (Mohtasibs) für Angelegenheiten in Bezug auf Steuern, private Versicherungen und private Banken sowie gegen Belästigung von Frauen amArbeitsplatz (FOP o.D.). In das Mandat der eigenständigen Föderalen Ombudsperson gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fallen zusätzlich seit 2020 auch Beschwerden in Bezug auf die Verletzung der Erbschaftsrechte von Frauen (FOSPAH o.D.). Ombudspersonen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind für jede Provinz gesetzlich vorgeschrieben und alle Provinzen sowie Gilgit Baltistan haben eine solche Institution eingerichtet. Außerdem wurde die Position eines Ombudsmannes für Gefängnisinsassen mit einem zentralen Büro in Islamabad sowie mit Büros in jeder Provinz eingerichtet (USDOS 30.3.2021).

Weiters gibt es unabhängige Ombudsmänner für jede Provinz, die für Beschwerden in Bezug auf Fehlverhalten der Provinzregierungen zuständig sind (vgl. FOP o.D., OM KP o.D., OM SD o.D., OM PJ o.D.).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die Menschenrechtslage in Pakistan bleibt schwierig und hat sich im Berichtszeitraum insgesamt nicht verbessert. Zwar garantieren die pakistanische Verfassung und eine Reihe von Gesetzen fundamentale Bürgerrechte, Menschenrechte und politische Rechte, meist mangelt es jedoch an der Implementierung (AA 28.9.2021).

Der Raum für Zivilgesellschaft und öffentlich-kritische Debatte schrumpft weiter. Militär und Geheimdienste begrenzen den Aktionsradius von Zivilgesellschaft und Medien. Die öffentliche Thematisierung politisch und religiös sensibler Fragen wird eingeschränkt. Das Militär zwingt Journalisten mit Druck erfolgreich zu Selbstzensur (AA 28.9.2021). Behörden setzen Schikanierungen und gelegentlich auch strafrechtliche Verfolgung gegen Journalisten, Menschenrechtsverteidiger oder Anwälte ein, die Kritik an Maßnahmen der Regierung übten. Die drakonischen Gesetze gegen Volksverhetzung und zur Terrorismusbekämpfung werden auch eingesetzt, um politischen Widerspruch zu unterdrücken und regierungskritische zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen strikt zu regulieren. Es gab gewalttätige Übergriffe gegen Mitarbeiter von Medien (HRW 13.1.2022).

Politische Parteien können weitgehend frei arbeiten, jedoch üben Militär und Geheimdienste Druck auf unliebsame Parteien aus. Institutionen und Menschen, die Kritik am Militär und am Nachrichtendienst ISI üben, müssen mit Sanktionen rechnen. So geht der Sicherheitsapparat teils mit harter Hand gegen die PTM („Bewegung zum Schutz der Paschtunen“), eine Protestbewegung gegen die Diskriminierung von Paschtunen, vor (AA 28.9.2021). Gegen mehrere wichtige Oppositionsführer werden Korruptionsverfahren geführt - bei gleichzeitigem Mangel an ähnlicher Strafverfolgung gegenüber Mitgliedern der Regierungspartei. Dies lässt Anzeichen erkennen, dass sich die Justiz von der nationalen Politik instrumentalisieren hat lassen (FH 3.3.2021).

Die pakistanischen Strafverfolgungsbehörden werden für Menschenrechtsverletzungen wie Haft ohne Anklage und außergerichtliche Tötungen verantwortlich gemacht (HRW 13.1.2022; vgl. EASO 10.2021). Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form von polizeilichen Auseinandersetzungen vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Militanten oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften. Als Begründung führt die Polizei regelmäßig an, dass die Opfer versuchten, aus dem Polizeigewahrsam zu flüchten, oder bei ihrer Verhaftung von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hätten. 2020 kamen laut der Menschenrechtsorganisation HRCP landesweit 293 Menschen bei sogenannten „police encounters“ ums Leben. In der Regel werden diese Fälle nicht gerichtlich untersucht (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021).

Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt - trotz des Folterverbots in der Verfassung - als weit verbreitet. Die Todesstrafe wird vollstreckt. Im Jahr 2020 fand jedoch keine Hinrichtung statt. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile auf rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren. Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weitverbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Als Beispiel hierfür dienen die Blasphemie-Fälle (AA 28.9.2021).

Die Sicherheitsdienste greifen in Fällen mit terroristischem Hintergrund oder in Fällen von Landesverrat auf willkürlichen und rechtswidrigen Gewahrsam zurück. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte vor allem in den Provinzen Belutschistan und Khyber-Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verbrechen. Sogenannte „Enforced Disappearances“ - das Verschwindenlassen von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen - zählen in diesem Zusammenhang zu den eklatantesten Menschenrechtsverletzungen in Pakistan - auch weil der Staat (v. a. Militär/ Nachrichtendienste, insb. ISI) oftmals als Täter auftritt und seiner Schutzverantwortung nicht gerecht wird (AA 28.9.2021, vgl. HRCP 2021). Amnesty International berichtet, dass das Verschwindenlassen, um politischen Dissens zu bestrafen, verstärkt öffentlich und auch breiter zum Einsatz kam und auch bei Tag und in Städten Personen von den Geheimdiensten entführt wurden. In den vergangenen Jahren gehörten zu den Opfern des Verschwindenlassens Menschenrechtsverteidiger, politische Aktivisten, Studenten und Journalisten, die außerhalb ihrer Gemeinschaften kaum bekannt waren, aber auch bekannte Kritiker (AI 7.4.2021).

Auch bei schwerwiegenden Übergriffen der Strafverfolgungsbehörden verabsäumt es die Regierung, diese zur Rechenschaft zu ziehen (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 30.3.2021).

Der Polizei wird auch allgemein übermäßige Gewaltanwendung, z. B. bei Protesten vorgeworfen. Dies betraf z. B. 2020 auch friedliche Proteste des medizinischen Personals gegen die mangelnde medizinische Ausrüstung und fehlende Sicherheitsvorkehrungen in den Krankenhäusern. Die COVID-19-Pandemie stellt die Lage im Land auch im Menschenrechtsbereich vor neue Herausforderungen. Medizinisches Personal war am Arbeitsplatz öfters gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt, z. B. wenn es Patienten oder Angehörige abweisen musste (AI 7.4.2021; vgl. HRCP 2021).

Gewalt und Missbrauch sowie soziale und religiöse Intoleranz durch militante Organisationen und andere nicht-staatliche Akteure tragen ebenfalls zu Problemen im Menschenrechtsbereich bei (USDOS 30.3.2021). So sind Frauen, religiöse Minderheiten und Transgender mit Gewalt, Diskriminierung und Verfolgung konfrontiert, wobei die Behörden es oft verabsäumen, angemessenen Schutz zu bieten (HRW 13.1.2022). Übergriffe bleiben oft ungestraft, was eine Kultur der Straflosigkeit unter den Tätern - ob offiziell oder inoffiziell - fördert (USDOS 30.3.2021). Viele Menschenleben fallen den Anschlägen von islamistischen Militanten zum Opfer (HRW 13.1.2022). Staatliche Institutionen zum Schutz von Menschenrechten existieren auf Bundes- und Provinzebene. Diese bleiben jedoch schwach, da sie ohne angemessene Ressourcenausstattung operieren und zudem kein Schutz vor staatlicher Einflussnahme gegeben ist. Die staatliche National Commission for Human Rights (NCHR) ist eine dem pakistanischen Innenministerium zugeordnete Institution und verfügt nur über begrenzte Kapazitäten und kein eigenes Budget. Auch die National Commission on the Status of Women, die Frauenrechte in Pakistan stärken soll, sowie die National Commission on the Rights of the Child bleiben in ihren Arbeitsmöglichkeiten stark beschränkt (AA 28.9.2021). Ein eigenständiges Ministerium für Menschenrechte wurde im Jahr 2015 wieder eingerichtet. Die ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechte führen Anhörungen zu einer Reihe von Menschenrechtsproblemen durch (USDOS 30.3.2021).

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 23.03.2022 Pressefreiheit

Die Verfassung garantiert die Pressefreiheit. Diese kann jedoch zum Schutz der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung von Pakistan oder zum Schutz des Islam eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Neben diesen verfassungsmäßigen Einschränkungen führen auch Drohungen, Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen dazu, dass Journalisten und Redakteure Selbstzensur üben (USDOS 30.3.2021, vgl. AA 28.9.2021, AI 7.4.2021, RSF 2021). Angriffe auf Journalisten gehen primär von Extremisten, aber auch regelmäßig von staatlichen Akteuren aus (ÖB 12.2020, vgl. USDOS 30.3.2021). Auch im Jahr 2021 wurden mehrere Journalisten Opfer gewalttätiger Attacken. Ein Klima der Angst erschwert folglich die Medienberichterstattung über Übergriffe sowohl der staatlichen Sicherheitskräfte als auch militanter Gruppen (HRW 13.1.2022, vgl. RSF 2021).

Medien werden auch behördlich unter Druck gesetzt, Regierungsinstitutionen oder die Justiz nicht zu kritisieren (HRW 13.1.2022). Es gab viele Fälle von Zensur, in denen das Militär unterschiedliche Methoden Druck auszuüben einsetzte. Der Vertrieb von Zeitungen wurde gestoppt, Medienhäusern mit der Einstellung von Werbeeinschaltungen gedroht, Übertragungen blockiert (RSF 2021). Auch im Jahr 2021 blockierten staatliche Aufsichtsbehörden in mehreren Fällen Kabelbetreiber und Fernsehsender, die kritische Programme ausgestrahlt hatten (HRW 13.1.2022). Zwar leisten Zivilgesellschaft und teils Justiz partiell Widerstand, doch gibt es zahlreiche Berichte über eine Vielzahl von Einzelinterventionen im Medienbereich und gegen einzelne unliebsame Journalisten - seitens Regierungsagenturen, etwa der Medienregulierungsbehörde PEMRA, des Militärs oder nominell unabhängigen Institutionen, wie der Anti-Korruptionsbehörde (AA 28.9.2021).

Die pakistanischen Medien haben eine lange Tradition einer lebendigen Berichterstattung, doch sind sie ein Hauptziel des militärischen und nachrichtendienstlichen Establishments geworden, das seinen Einfluss auf sie stark erweitern konnte. Journalisten, die Themen aufgreifen, die vom Militär als tabu erachtet werden, werden vom Nachrichtendienst (ISI) organisierten Schikanierungskampagnen ausgesetzt (RSF 2021; vgl. AI 7.4.2021). In mehreren Fällen wurden Journalisten entführt oder durch die Sicherheitsbehörden verhaftet und später wieder freigelassen (HRCP 2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021).

Journalisten sind außerdem, besonders in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa, dem Risiko ausgesetzt, ins Schussfeld zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Rebellen zu geraten. Vier Journalisten wurden im Jahr 2020 in Pakistan getötet (RSF 2021, vgl. AA 28.9.2021). Während in letzter Zeit Fälle von physischer Gewalt, z.B. Morde oder Mordversuche, abgenommen haben, steigt die Zahl von Fällen virtueller Gewalt (Online-Hetzkampagnen, Identitätsdiebstahl, Hacking-Versuche etc.). Mehrere hochrangige Journalistinnen prangerten in einem offenen Brief an den Premierminister Probleme wie sexualisierte Online-Belästigung und -Diffamierung aufgrund ihres Berufs an (AA 28.9.2021).

Unabhängige Berichterstattung aus Gebieten, in denen sich die pakistanische Armee oder Geheimdienste im Einsatz befinden, wird grundsätzlich stark reglementiert oder unterbunden. Dies gilt besonders für die früheren Stammesgebiete FATA, heute als Newly Merged Districts Teil der Provinz Khyber Pakhtunkhwa bekannt (AA 28.9.2021). Um im pakistanisch verwalteten Kaschmir zu publizieren, müssen Medieninhaber die Erlaubnis des Kaschmir-Rates und des Ministeriums für Kaschmir-Angelegenheiten einholen. Die Journalisten müssen sich weitgehend auf Informationen verlassen, die von der Regierung und vom Militär bereitgestellt werden. Es gibt Beschränkungen für die Übertragung von Inhalten indischer Medien (USDOS 30.3.2021).

Im World Press Freedom Index 2021 von Reporter ohne Grenzen findet sich Pakistan gleichbleibend auf Rang 145 von 180 untersuchten Ländern (RSF 2021, vgl. AA 28.9.2021). Die Lage wird als schwierig eingeschätzt (AA 28.9.2021).

Meinungsfreiheit und soziale Medien

Die Verfassung garantiert den Bürgern, öffentlich Kritik an der Regierung üben zu können, mit den Einschränkungen des Schutzes der Integrität, Sicherheit oder Verteidigung Pakistans oder zum Schutz des Islam. Gerichtsentscheidungen haben die Verfassung allerdings dahingehend ausgelegt, dass Kritik am Militär und an der Justiz verboten sind (USDOS 30.3.2021). In der Praxis verfügen Pakistanis über die Freiheit, viele Themen diskutieren zu können - auch online (FH 3.3.2021). Internet und soziale Medien haben in den vergangenen Jahren weiteren Raum für eine kritische journalistische Debatte geschaffen. Diese wird jedoch zunehmend eingeschränkt (AA 28.9.2021).

Die Pakistan Telecommunication Authority (PTA) kann über die Entfernung von Inhalten aus sozialen Medien, die gegen die Interessen des Islams, die Integrität und Sicherheit Pakistans oder gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen, ohne Hinzuziehung von Gerichten entscheiden (AA 28.9.2021). Der Prevention of Electronic Crimes Act gibt der PTA eine unkontrollierte Macht, Internetinhalte zu zensurieren. Das Blockieren von Inhalten wird für gewöhnlich mit dem Verhindern von blasphemischen und pornografischen Inhalten gerechtfertigt. In der Praxis geschieht die Zensierung willkürlich (FH 3.3.2021). Dies führt zur Unterdrückung und Kriminalisierung von freier Meinungsäußerung, kreiert zunehmend auch im Netz ein Klima der Unsicherheit und stärkt Tendenzen zur Selbstzensur. Ähnliches gilt für die „Citizens Protection (Against Online Harm) Rules“ von Feber 2020. Diese wurden nach massiver öffentlicher Kritik leicht abgemildert (AA 28.9.2021; vgl. FH 3.3.2021).

Blasphemiegesetze schränken das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf Angelegenheiten der Religion und der religiösen Lehre ein. Die Regierung schränkt einige sprachliche und symbolische Äußerungen auf der Grundlage der Bestimmungen über Hassreden und Terrorismus ein (USDOS 30.3.2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 25.04.2022

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind durch die Verfassung gewährleistet, können aber aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeschränkt werden (AA 28.9.2021). Die Regierung schränkt diese Rechte auch ein (USDOS 12.4.2022). Dies äußert sich teilweise in der Anordnung von Sicherheitsverwahrung oder durch Gewalteinsatz der Polizei gegenüber Demonstranten (AA 28.9.2021). Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten bei Protesten kommen häufig vor (HRCP 2021).

Auch führt das Versäumnis der Regierung, Angriffe auf friedliche Demonstranten und Menschenrechtsverteidiger zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, faktisch zu Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 12.4.2022). Die Gefahr terroristischer Anschläge schränkt diese Rechte ebenfalls ein, da der Staat nicht immer in der Lage oder willens ist, angemessenen Schutz zu gewähren. So wurde beispielsweise Anfang März 2020 der AuratFrauenmarsch in Islamabad von Hunderten radikalen Islamisten angegriffen, es gab mehrere Verletzte. 2021 fand er zwar weitgehend ohne physische Übergriffe statt, Teilnehmerinnen wurden danach allerdings durch Online-Hasskampagnen und Blasphemieanzeigen eingeschüchtert (AA 28.9.2021).

Während einerseits die Vereinigungsfreiheit oft eingeschränkt wird, kommt es andererseits auch zu deren Missbrauch. Illegale militante und extremistische Gruppierungen und gewaltbereite Führungsfiguren, z. B. Hassprediger, setzen ihre Aktivitäten oftmals trotz offiziellen Verbots und aufgrund fehlenden politischen Willens zur Durchsetzung der Verbote fort (AA 28.9.2021).

Das Recht der Arbeitnehmer, Gewerkschaften zu gründen, ist gesetzlich festgelegt und die Verfassung garantiert das Recht auf Kollektivverhandlungen und Streik. Diese Schutzrechte werden allerdings nicht stark durchgesetzt. Ungefähr 70 Prozent der Arbeitskräfte sind im informellen Sektor tätig, wo Gewerkschaften und rechtlicher Schutz minimal sind. Dessen ungeachtet werden regelmäßig Streiks und Arbeiterproteste abhalten. Oft führen diese zu Zusammenstößen mit der Polizei sowie Entlassungen durch die Arbeitgeber (FH 4.2022). Berufsverbände wie die Anwalts- und Ärzteverbände organisieren sich häufig zu Protesten, um Forderungen durchzusetzen. Oft ist der Erfolg allerdings begrenzt (BS 25.2.2022).

Die Regierung wendet in Khyber Pakhtunkhwa weiterhin die West-Pakistanische Verordnung zur Aufrechterhaltung des Friedens sowie Abschnitt 144 des Strafgesetzbuches aus der Ära der britischen Kolonialherrschaft an. Diese Regeln ermöglichen es den Behörden, die langjährige Praxis der Aussetzung des Versammlungs- und Rederechts in den neu zusammengelegten Gebieten [ehemalige Federally Administered Tribal Areas (FATA)] fortzusetzen. Den AhmadiMuslimen wird es im Allgemeinen untersagt, Konferenzen und Versammlungen abzuhalten (USDOS 12.4.2022).

Insgesamt hat der Staat den Raum zur öffentlichen kritischen Debatte und für die Zivilgesellschaft weiter eingeschränkt („shrinking space“). Aktuelles Beispiel ist der Umgang mit der PTM („Bewegung zum Schutz der Paschtunen“). Der Sicherheitsapparat geht teils mit harter Hand gegen diese Bewegung vor (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021). Die Behörden stören weiterhin die Aktivitäten der PTM, die gegen die Gewalt in den paschtunischen Gebieten mobilisiert. In der Vergangenheit lösten die Sicherheitsbehörden Demonstrationen auf, verhafteten Teilnehmer und Aktivisten, unterbanden Medienberichterstattung und klagten Demonstrationsteilnehmer der Staatsgefährdung an. So wurde eine Fürhungsperson und 10 weitere Teilnehmer einer Demonstration vor einem Anti-Terrorismus-Gericht angeklagt. Das Militär verdächtigt Berichten zufolge die Führung der PTM, gegen den Staat zu agieren und Verbindungen zum indischen Geheimdienst zu unterhalten, was die PTM bestreitet [siehe auch Kapitel Paschtunen] (FH 4.2022).

Todesstrafe

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die Todesstrafe wird in Pakistan im Prinzip vollstreckt. Ein 2008 eingesetztes Moratorium auf die Vollstreckung der Todesstrafe wurde als Folge des Terrorangriffs auf die Army Public School in Peshawar, bei dem ca. 150 Schüler ums Leben gekommen sind, im Jahr 2015 aufgehoben. Nach Schätzungen von pakistanischen Menschenrechtsorganisationen - der Staat veröffentlicht keine offizielle Statistik - wurden seit Aufhebung des Moratoriums über 500 Menschen hingerichtet, mindestens 14 von ihnen 2019. Die Zahl der Hinrichtungen war allerdings bereits von 2015 bis 2019 stark rückläufig (AA 28.9.2021). Im Jahr 2020 wurden schließlich zum ersten Mal seit der Wiederaufnahme der Vollstreckung der Todesstrafe keine Hinrichtungen gemeldet (AI 4.2021; vgl. HRCP 2021, AA 28.9.2021). Auch im Jahr 2021 fand laut Informationen des australischen Außenministeriums und des Cornell Centers on the Death Penalty Worldwide keine Hinrichtung statt (DFAT 25.1.2022; CCDPW o.D.).

Nichtsdestotrotz werden weiterhin Todesurteile ausgesprochen (AA 28.9.2021). Für das Jahr 2020 geht die NGOHuman Rights Commission of Pakistan (HRCP) aufgrund von Presseberichten von mindestens 177 Todesurteilen aus. Dies stellt einen deutlichen Rückgang gegenüber den mindestens 578 Todesurteilen des Jahres 2019 dar (HRCP 2021). Amnesty International geht im selben Zeitraum von mindestens 49 Todesurteilen aus. Dies ist ebenfalls ein Rückgang zu den Daten der Vorjahre. Nach Einschätzung von Amnesty International könnte der Rückgang teilweise mit der Unterbrechung der Gerichtsverfahren aufgrund der COVID-19-Pandemie zusammenhängen (AI 4.2021). Die Gesamtzahl der zum Tode Verurteilten in pakistanischen Gefängnissen lag Ende April 2021 bei ca. 3.800-4.200 (AA 28.9.2021).

Die Regierung stellt einen staatlich finanzierten Rechtsbeistand für Gefangene zur Verfügung, die wegen Verbrechen angeklagt sind, welche mit der Todesstrafe sanktioniert werden können (USDOS 30.3.2021). Bei 27 verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden, darunter Blasphemie, Mord, Hochverrat, Spionage, Vergewaltigung und terroristischer Anschlag mit Todesfolge. Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gesetzten Rahmen der „most serious crimes“ hinaus. Diesen hat auch Pakistan ratifiziert. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile außerdem auf rechtsstaatlich zweifelhaften Verfahren. So passieren auch in Verfahren, in denen die Todesstrafe verhängt wird, immer wieder schwere Justizirrtümer, und grundlegende Verfahrensrechte der Angeklagten werden schwer missachtet. Urteile werden mitunter ausschließlich aufgrund von Geständnissen verhängt, wobei davon auszugehen ist, dass diese immer wieder auch durch Folter oder Misshandlung in Polizeigewahrsam erzwungen werden. Zum Tode Verurteilten stehen als Rechtsmittel der normale gerichtliche Instanzenweg bis zum Supreme Court und anschließend die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten offen. Seit Aufhebung des Moratoriums hat der Staatspräsident nach Kenntnis des Deutschen Auswärtigen Amts jedoch in keinem Fall einem Gnadengesuch stattgegeben (AA 28.9.2021). Zahlreiche Todesstrafen werden allerdings in Berufungsverfahren aufgehoben (DFAT 25.1.2022).

Es besteht die Gefahr, dass Personen, die gemäß völkerrechtlich für Pakistan bindender Verträge zwingend von der Verhängung der Todesstrafe ausgenommen sind, dennoch zum Tode verurteilt und auch hingerichtet werden. Dies gilt etwa für Minderjährige oder Menschen mit geistigen Behinderungen (AA 28.9.2021). Das staatliche Recht verbietet ebenfalls die Anwendung der Todesstrafe für Minderjährige, dennoch verurteilen Gerichte Minderjährige nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz zum Tode. Dabei erschwert der Mangel an zuverlässigen Unterlagen die Bestimmung des Alters möglicher Minderjähriger (USDOS 30.3.2021). Im Feber 2021 hat der Supreme Court mit einem wegweisenden Urteil die Todesstrafe für zwei psychisch Kranke aufgehoben. Inwieweit das Urteil Präzedenzcharakter hat, bleibt abzuwarten (AA 28.9.2021).

Bereits kurz danach wurden einige Todesurteile psychisch kranker Häftlinge in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt (DFAT 25.1.2022).

Das pakistanische Strafgesetzbuch verbietet in §295c die Beleidigung des Propheten Mohammed und sieht selbst bei unbeabsichtigter Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oftmals wird auf Druck von Extremisten erstinstanzlich die Todesstrafe verhängt, diese wurde bislang jedoch noch nie für Blasphemie vollstreckt, sondern häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben. Nach divergierenden Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mit Stand Mai 2021 zwischen 30 und 80 wegen Blasphemie zum Tode Verurteilte auf die Vollstreckung ihres Urteils warten (AA 28.9.2021). In den letzten Jahren wurden auch einige Todesurteile aufgrund blasphemischer Inhalte in Nachrichten in den sozialen Medien, wie Facebook und WhatsApp verhängt (The Guardian 19.1.2022).

Eine Abschaffung der Todesstrafe ist aufgrund der überwältigenden Unterstützung für die Todesstrafe in der Bevölkerung auch längerfristig unrealistisch (AA 28.9.2021).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 23.03.2022

Laut der Volkszählung von 2017 sind 96 Prozent der ca. 210 Millionen Einwohner Pakistans sunnitische oder schiitische Muslime. Schätzungen zufolge sind circa 80-85 Prozent der muslimischen Einwohner Pakistans Sunniten und 15-20 Prozent Schiiten, zu welchen auch die Ismaelitischen Schiiten, die Bohra sowie die ethnische Minderheit der Hazara gehören (USDOS 12.5.2021). Laut dem Zensus sind Hindus mit 1,73 Prozent der Bevölkerung die größte Minderheit, gefolgt von Christen mit 1,27 Prozent. Ahmadis stellen einen Anteil von 0,09 Prozent (PBS o.D.). Schließlich entfallen 0,3 Prozent auf die weiteren religiösen Gruppen, wie Zoroastrier, Bahai, Sikhs, Buddhisten, Kalasha, Kihal und Jainisten (USDOS 12.5.2021). Allerdings sind laut Verfassung Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadis keine Muslime, obwohl sie sich selbst als solche sehen. Viele Ahmadis boykottierten die Volkszählung deshalb, sodass ihre Anzahl größer sein dürfte. Auch Vertreter der anderen Minderheitenreligionen meinen, ihre jeweilige Anzahl wäre größer (USDOS 12.5.2021; vgl. ACCORD 3.2021). Die pakistanische Verfassung erklärt den Islam zur Staatsreligion und hält fest, dass alle Gesetze in Einklang mit den Prinzipien des Islams zu bringen sind und keine Gesetze verabschiedet werden dürfen, die diesen zuwiderlaufen. Die Verfassung hält allerdings fest, dass diese Vorgaben nicht das Personenstandsrecht sowie die Staatsbürgerschaft von NichtMuslimen beeinträchtigen dürfen. Zur Prüfung von Gesetzen und Urteilen ist in der Verfassung das Federal Shariat Court und für Empfehlungen an den Gesetzgeber der Council of Islamic Ideology vorgesehen. Per Verfassung sind in der Nationalversammlung, im Senat und den Provinzversammlungen Sitze für nicht-muslimische Abgeordnete reserviert. (USDOS 12.5.2021). Das zuständige Ministerium für religiöse Angelegenheiten und interreligiöse Harmonie konzentriert sich hauptsächlich auf muslimische Angelegenheiten und bietet keinen effektiven Schutz für die Minderheitenrechte, unterstützt aber auch religiöse Minderheiten und deren Einrichtungen finanziell (UKHO 2.2021). Mit der 18. Verfassungsänderung 2010 wurden außerdem in allen Provinzen Ministerien zur Wahrung der Rechte der Minderheiten eingerichtet (AA 28.9.2021).

Grundsätzlich garantiert die Verfassung jedem Bürger das Recht, sich zu seiner Religion zu bekennen, sie auszuüben und diese zu propagieren (USDOS 12.5.2021). Die gesellschaftliche Realität sieht anders aus (AA 28.9.2021). Mitglieder von religiösen Minderheiten werden regelmäßig Opfer religiös motivierter Übergriffe, die vor allem von sunnitisch-extremistischen Gruppierungen verübt oder veranlasst werden (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). So sind religiöse Minderheiten eines der erklärten Hauptziele von Anschlägen islamistischer militanter Gruppen (HRW 13.1.2022). Sektiererische Anschläge und Opferzahlen sind allerdings in den letzten Jahren zurückgegangen (USDOS 12.5.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete das Sicherheitsanalyseinstitut PIPS zwei terroristische Anschläge auf die schiitische Religionsgemeinde mit insgesamt 13 Toten und einen Anschlag auf die Sikh-Gemeinde mit einem Toten (PIPS 17.1.2022). Am 4.3.2022 gelang es allerdings dem IS, einen Großanschlag auf eine schiitische Moschee in Peshawar durchzuführen, dem mindestens 56 Menschen zum Opfer fielen (AP 5.3.2022).

Mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft und Vertreter der Religionsgemeinden berichten, dass die Regierung die Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit an religiösen Orten der Minderheiten, die in den letzten Jahren häufig Ziele von Übergriffen waren, verstärkt hat. Während religiöser Feiertage erhöht die Polizei außerdem die Sicherheitsmaßnahmen in Abstimmung mit den Religionsführern. Die Regierung setzt ihren Nationalen Aktionsplan (NAP) gegen Terrorismus, der auch konfessionell motivierten Extremismus und Hassreden berücksichtigt, fort. Es werden Militär- und Strafverfolgungsoperationen zur Bekämpfung des Terrorismus durchgeführt (USDOS 12.5.2021).

Radikal-islamistische Gruppierungen stellen allerdings nicht die einzige Gefahr für religiöse Minderheiten dar. Diese sehen sich zusätzlich einer existenziellen Bedrohung durch Anschuldigungen wegen Verstoßes gegen Religionsstraftaten, wie „Prophetenbeleidigung“ oder Gotteslästerung bzw. Blasphemie ausgesetzt, die auffallend häufig gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgebracht werden (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). Besonders Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft sind ein Hauptziel der Strafverfolgungen nach den Blasphemiegesetzen sowie nach speziellenAnti-Ahmadi-Gesetzen. Militante Gruppen und die islamistische politische Partei Tehreek-e-Labbaik (TLP) beschuldigen Ahmadis, sich „als Muslime auszugeben“ - ein Straftatbestand nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch (HRW 13.1.2022).

Das Strafgesetzbuch sieht bei Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Diese wurde für Blasphemie bislang jedoch noch nie vollstreckt und häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben (AA 28.9.2021). Die zumeist haltlosen Anschuldigungen haben allerdings nicht nur strafrechtliche Verfolgung und teilweise jahrelange schuldlose Inhaftierung zur Konsequenz, sondern werden auch zum Anlass genommen, Menschenmengen gegen die Beschuldigten oder deren religiöse Gemeinschaft zu mobilisieren (BAMF 5.2020; vgl. USDOS 12.5.2021). Ein gewöhnlicher Disput kann für Mitglieder der Minderheitenreligionen das Risiko einer Anschuldigung der Blasphemie bergen, die zu Strafverfolgung und Mobgewalt führen kann. Die Blasphemiegesetze und ihr Missbrauch durch religiöse Fanatiker beschränken allerdings auch die Meinungsfreiheit von Muslimen (FH 3.3.2021). Fälle von Mob-Gewalt nach Blasphemievorwürfen betreffen so auch Muslime (Al Jazeera 13.2.2022; vgl. PIPS 17.1.2022).

Gesellschaftliche Gewalt aufgrund religiöser Intoleranz bleibt damit ein ernstes Problem (US- DOS 30.3.2021; vgl. HRCP 2021, AI 7.4.2021). Es kommt zu gelegentlichen Ausbrüchen von Mobgewalt gegen Minderheiten, wie Christen, Hindus und Ahmadis sowie zu gezielte Tötungen an Personen schiitischen Glaubens und an Ahmadis (USDOS 30.3.2021). Für das Jahr 2021 verzeichnete PIPS sieben Vorfälle religiös-motivierter „Mob“-Gewalt in Pakistan. Diese forderten zwei Tote, darunter ein Ahmadi. Vier Vorfälle betrafen Mobgewalt nach Blasphemievorwürfen, ein Hindu wurde dabei getötet. Bei zwei Gewaltakten wurden Hindu-Tempel beschädigt (PIPS 17.1.2022).

In Hinblick auf die gesellschaftliche Gewalt gegen religiöse Minderheiten berichten NGOs, dass Behörden oft darin versagen, bei derartigen Vorfällen einzugreifen - aus Angst vor Vergeltung oder aufgrund eines mangelnden Personalstandes. Für Täter gibt es häufig aufgrund eines mangelhaften Durchgreifens der Strafverfolgung, Bestechung oder Druck auf die Opfer keine rechtlichen Konsequenzen. Die Regierung setzt einige Schritte, um religiöse Minderheiten zu schützen (USDOS 12.5.2021).

Außerdem gibt es Fälle von Entführungen und Zwangsheiraten sowie Zwangskonversionen von christlichen und hinduistischen Mädchen und Frauen durch muslimische Männer (HRCP 2021; vgl. USDOS 12.5.2021, USCIRF 4.2021, FH 3.3.2021). Die Zahl an Entführungen soll in die Hunderte gehen und besonders Minderheiten betreffen, da sie aufgrund ihrer marginalen ökonomischen Lage ungeschützter sind und ihre Konversion zum Islam als religiös wünschenswert gesehen wird (DFAT 25.1.2022). Christen treffen aufgrund mangelhafter rechtlicher Vorgaben außerdem auf Schwierigkeiten, ihre Ehen registrieren zu lassen, Ahmadis zusätzlich aufgrund dessen, dass sie ihre Ehe nicht als Muslime registrieren lassen dürfen (USDOS 12.5.2021).

Laut Vertretern der religiösen Minderheiten erlaubt die Regierung den meisten organisierten religiösen Gruppen, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden. Einige Hindu- und Sikh-Tempel wurden nach einer Renovierung im Jahr 2020 wieder eröffnet. Ahmadis jedoch verweigern die lokalen Behörden regelmäßig die notwendigen Baubewilligungen für ihre Gebetshäuser. Offizielle Restriktionen diesbezüglich gibt es nicht, abgesehen davon, dass sie ihre Gebetshäuser nicht Moscheen nennen dürfen (USDOS 12.5.2021).

Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten. Die Ständigen Ausschüsse des Senats und der Nationalversammlung für Minderheiten und für Menschenrechte halten Anhörungen ab. Die National Commission on Human Rights (NCHR) ist ebenfalls mit der Untersuchung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen beauftragt und kann diese auch vor Gericht bringen. Sie hat aber wenig Macht zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Zudem blieb sie auch im Jahr 2020 wie die Jahre davor ohne Mandat und disfunktional (USDOS 12.5.2021).

Die Regierung hat im Mai 2020 die Schaffung einer National Commission for Minorities, verortet innerhalb des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten, beschlossen. Die Einrichtung folgt einer Entscheidung des Supreme Courts zur staatlichen Sicherstellung der Rechte der religiösen Minderheiten. Vorsitzender ist ein Hindu, Mitglieder sind u.a. Christen, Sikh, Parsi und Kalasha. Aktivisten für religiöse Freiheit meinen, dass diese Kommission wirkungslos ist. Sie zeigen sich besorgt über den Mangel an Einbeziehung der Öffentlichkeit, die eingeschränkten Machtbefugnisse und den Ausschluss der Ahmadis aus der Kommission (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 28.9.2021).

Vertreter der Minderheiten berichten, dass die Regierung bei der Anwendung der Gesetze zur Sicherstellung der Minderheitenrechte sowie der Durchsetzung der Schutzregelungen für Minderheiten auf Bundes- und Provinzebene inkonsequent ist. Folglich ist auch der Schutz vor gesellschaftlicher Diskriminierung inkonsequent. Die Minderheiten sehen sich auch im staatlichen Bereich Diskriminierungen in unterschiedlichen Ausmaßen konfrontiert, wobei Ahmadis am stärksten betroffen sind (USDOS 12.5.2021). Die Benachteiligung religiöser Minderheiten im Bildungswesen, in der Wirtschaft und im Berufsleben bleibt weit verbreitet. Geschätzte 80 Prozent der pakistanischen Minderheitenbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (AA 28.9.2021).

Gemäß Verfassung dürfen Personen bei der Anstellung im öffentlichen Dienst nicht aufgrund ihrer Religion diskriminiert werden. Im öffentlichen Dienst gilt außerdem eine Minimumquote von 5 Prozent für Minderheiten. Diese Quote wird oft nicht erreicht (USDOS 12.5.2021). Nach Regierungsangaben sind es 2,8 Prozent (UKHO 2.2021). Die meisten religiösen Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei Anstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst sowie bei der Aufnahme an Hochschulen. Auch im Militärdienst gibt es zwar keine offiziellen Hürden für einen Aufstieg, allerdings steigen Angehörige von religiösen Minderheiten nur selten in einen höheren Dienstgrad als Oberst auf (USDOS 12.5.2021). Minderheiten sind besonders in den Streitkräften, der Polizei und der Judikative stark unterrepräsentiert (AA 28.9.2021).

Nach Angaben der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NCJP) haben sich während der COVID-19-Pandemie Vorfälle gehäuft, wonach Christen und andere religiöse Minderheiten bei der Verteilung von Schutzausrüstungen und humanitären Hilfen benachteiligt worden sind. Demnach haben z.B. islamische Organisationen und Moscheegemeinden Christen bei der Verteilung von Lebensmitteln und anderen Nothilfen in ländlichen Gebieten der Provinz Punjab zurückgewiesen (BAMF 5.2020).

Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise. Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben besteht vor allem dann, wenn sich der Betroffene besonders exponiert (AA 28.9.2021). Ein Abschwören des Islams wird gemeinhin unter islamischen Klerikern als Blasphemie ausgelegt, auf welche die Todesstrafe steht (USDOS 12.5.2021). Eine Konversion vom Islam, obwohl sie nicht verboten ist, wird somit oft als Blasphemie angesehen und kann in einer Strafverfolgung unter den Blasphemiegesetzen oder in familiärer oder gesellschaftlicher Gewalt münden (DFAT 25.1.2022).

Ahmadis

Letzte Änderung: 23.03.2022

Beim letzten Zensus von 2017, dessen Ergebnis im April 2021 offiziell angenommen wurde (PBS 10.12.2021), registrierten sich an die 192.000 Menschen als Ahmadis (PBS o.D.a). Offiziell machen Ahmadis damit 0,09 Prozent der pakistanischen Bevölkerung aus (PBS o.D.). Quellen zufolge boykottierten viele Ahmadis den Zensus, da sie sich nicht als Muslime registrieren lassen durften. Außerdem wird berichtet, dass sich viele Ahmadis öffentlich nicht als solche zu erkennen geben aus Sorge vor Repressalien. Es gibt somit keine verlässlichen Statistiken zur Anzahl der Ahmadis in Pakistan. Die Schätzungen über die Anzahl der Anhänger der Ahmadiya Muslim Jamaat, der Hauptströmung dieses Glaubens, in Pakistan reichen von 500.000 bis 5 Millionen Mitglieder. Die Mitgliederzahl der kleineren Lahore-Gruppe [Anmerkung: Ahmadiya Anjuman Ischaʽat-i-Islam Lahore] wird auf rund 5.000 bis 10.000 Anhänger in Pakistan geschätzt. Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan befindet sich in Rabwah, offiziell Chenab Nagar benannt. Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Einwohner der Stadt, circa 60.000 bis 70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere Siedlungszentren der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters Peschawar, Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 9.2021; vgl. AA 28.9.2021).

Die Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft wird von Gesetzes wegen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Dies wurde Verfassungsgrundsatz durch die Änderung der Verfassung 1974. Den Ahmadis wird zwar vom Gesetz der Status einer religiösen Minderheit eingeräumt, gleichzeitig ist es ihnen aber ausdrücklich und unter Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten (AA 28.9.2021). Dieses Verbot ist seit 1984 im Pakistanischen Strafgesetzbuch (§ 298 b und 298 c PPC) niedergelegt und mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren sanktioniert. Dieser Abschnitt des Strafgesetzes wird gemeinhin auch „Anti-Ahmadiyya Gesetze“ genannt. Damit ist es für Ahmadis unter anderem auch strafbar, ihren Glauben als Islam und ihre Gebetshäuser als Moscheen zu bezeichnen, die traditionellen islamischen Grußformeln und den traditionellen muslimischen Aufruf zum Gebet zu benutzen oder öffentlich aus dem Koran zu zitieren. Kernelemente ihrer Glaubensausübung sind somit kriminalisiert. An sich ist der Besitz von Ahmadi Literatur nicht verboten, jedoch der Verkauf und die Veröffentlichung. Außerdem gibt es Berichte, wonach die Sicherheitsbehörden fallweise das Anti-Terror-Gesetz verwenden, um Ahmadi Literatur als Hassschriften zu kriminalisieren. Bei einem Vorgehen nach diesem Gesetz sind auch die Rechte der Beschuldigten eingeschränkt (UKHO 9.2021).

20 Prozent aller Blasphemie Anzeigen des Jahres 2020, die insgesamt auf mindestens 199 anstiegen, richteten sich gegen Ahmadis (USDOS 12.5.2021). Bei Ahmadis kommt auch die Strafverfolgung durch die oben erläuterten „Anti-Ahmadiyya Gesetze“ hinzu (HRW 31.1.2021).

In der Regel bringen islamistische Gruppierungen Strafverfahren gegen Ahmadis in Gang. Die Blasphemie-Gesetzgebung wird benutzt, die Angehörigen der Ahmadi-Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und Auseinandersetzungen um Grundbesitz. Nach Eigenangaben der Ahmadiyya befinden sich mit Stand 31.03.2021 elf Ahmadis in Haft (AA 28.9.2021). Die korrekten Vorgehensweisen und Beweisstandards werden in Blasphemiefällen sowohl von Polizei als auch erstinstanzlichen Gerichten nicht durchgängig eingehalten (UKHO 9.2021).

Das Gesetz verlangt von gewählten muslimischen Volksvertretern einen Schwur, der bekräftigt, dass Mohammed der letzte Prophet des Islams ist. Da Ahmadis an weitere Propheten nach Mohammed glauben, verwehrt ihnen dieses Gesetz die Bekleidung dieser Ämter (USDOS 12.5.2021). Da sie sich gleichzeitig selbst als Muslime verstehen, kandidieren sie nicht für die Listenplätze der Parteien für nicht-muslimische Minderheiten und sind somit nicht im Parlament vertreten (AA 28.9.2021).

Bei Beantragung des Personalausweises (Computerized National Identity Card / CNIC) muss die eigene Religion registriert werden. Diese wird aber nicht auf der Karte angegeben. Der Personalausweis ist für alle Staatsbürger über 18 verpflichtend und wird unter anderem für Wahlen und Pensionsauszahlungen benötigt. Personen, die sich als Muslime verzeichnen lassen wollen, müssen eine Deklaration unterschreiben, in der sie an den Glauben schwören, dass Mohammed der letzte Prophet ist, sie den Gründer der Ahmadiyya Religion als falschen Propheten verurteilen und Ahmadis als Nicht-Muslime bezeichnen (USDOS 12.5.2021). Registrieren sie sich hingegen als Ahmadis müssen sie einen Schwur unterzeichnen, dass sie nicht Muslime sind (UKHO 9.2021). Derselbe Vorgang ist für die Zulassung an einem College oder einer Universität notwendig. Viele Ahmadis boykottieren Wahlen, zum einen aus Protest, da dieser Vorgang notwendig ist, um wählen zu können, und zum anderen aus Furcht vor Bedrohungen, da Personen, die sich als Ahmadis registrieren, auf einer eigenen Wählerliste geführt werden. Am Reisepass ist die Religionszugehörigkeit angegeben. Es wird als Religionszugehörigkeit

„Ahmadi“ angegeben, wenn der Antragsteller sich als solcher deklariert (USDOS 12.5.2021).

Viele Ahmadis unterzeichnen aber auch den Schwur um als Muslime eingetragen zu werden aus Sorge vor Benachteiligungen im Beruf. Es gibt auch Berichte von Fällen, wo die Erklärung nicht abgegeben wurde und trotzdem ein Pass ausgestellt wurde. Auf älteren Pässen ist die Religionszugehörigkeit nicht angegeben (UKHO 9.2021).

Eine objektiv meinungsbildende Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft kommt im öffentlichen Diskurs nicht vor. Vielmehr wird eine gegen Ahmadis gerichtete Rhetorik in sozialen und Printmedien, bei Versammlungen oder Freitagsgebeten sowie im Alltag auf Plakaten verbreitet (BAMF 5.2020). Außerdem werden wirtschaftliche Ausgrenzungskampagnen von einigen muslimischen Klerikern forciert, die dazu aufrufen, Geschäfte von Ahmadis zu boykottieren (UKHO 9.2021). Ahmadis berichten von weitverbreiteten sozialen Belästigungen und Diskriminierungen, darunter auch physischen Angriffen, Zerstörung von Häusern oder Drohungen mit dem Ziel, den Arbeitsplatz oder den Wohnort zu verlassen. Laut NGOs beschränkt die Regierung Werbung oder Ansprachen, die zu Gewalt gegen Ahmadis aufrufen, nicht (USDOS 12.5.2021).

Im Jahr 2020 kam es zu einer spürbaren Zunahme an rhetorischen Entgleisungen - bis hin zu Mordaufrufen - gegenüber Anhängern der Ahmadiyya, auch von hochrangigen Regierungsmitgliedern (AA 28.9.2021). Dem vorangegangen war eine Gerichtsverhandlung gegen einen Ahmadi unter dem Vorwurf von Blasphemie, bei welcher der Beschuldigte im Gerichtssaal ermordet wurde. Der Mord fand großen öffentlichen Zuspruch in gegen Ahmadis gerichteten Hassreden und Umzügen. Auch der Beschluss aus der im Mai 2020 genehmigten Nationalen Kommission für Minderheiten Ahmadis auszunehmen, wurde von einer Welle an Hassreden gegen Ahmadis begleitet. Unter anderem verabschiedete die Provinzversammlung des Punjabs eine Resolution, die verlangte, dass Ahmadis erst in eine solche Kommission aufgenommen werden sollten, wenn ihre Führer öffentlich erklärten, dass sie keine Muslime seien. Mehrere hochrangige Regierungsmitglieder forderten öffentlich dasselbe. Das ganze Jahr 2020 über hielten islamische Organisationen gegen Ahmadis gerichtete Versammlungen und Protestzüge ab (USDOS 12.5.2021).

NachAngaben der HRCP wurden 2020 mindestens dreiAnhänger derAhmadiyya-Gemeinschaft getötet. Einige Quellen sprechen von bis zu fünf religiös motivierten Morden. Besonders in der Stadt Peschawar kam es zu einer auffälligen Häufung von Gewaltakten (AA 28.9.2021; vgl. HRCP 2021). Seit Jahrzehnten kommt es in Pakistan immer wieder zu Ausschreitungen gegen Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft und Schändungen ihrer religiösen Stätten und Friedhöfe (AA 28.9.2021). Mehrere Berichte zu Verwüstungen an religiösen Stätten gibt es auch für das Jahr 2021 (BAMF 5.7.2021). Die Polizei ist im Allgemeinen zögerlich beim Schutz der Ahmadis. Es gibt Berichte über Vorfälle, wo die lokale Polizei in falscheAnklagen gegenAhmadis, in die Entfernung islamischer Symbole oder die Konfiszierung von Ahmadi Glaubensstätten involviert war. Außerdem zögern Ahmadis oft, Vorfälle der Polizei zu melden, aus Angst vor einer Anzeige aufgrund der Anti-Ahmadi- oder Blasphemiegesetze (UKHO 9.2021). Ahmadis werden außerdem Opfer von radikal-sunnitischem Terrorismus. In Rabwah finden schwere Gewalttaten gegen Mitglieder der Ahmadiyya nach Erkenntnissen des Deutschen Auswärtigen Amts selten statt (AA 28.9.2021).

Jede lokale Ahmadi-Gemeinschaft führt eine Liste ihrer Mitglieder (UKHO 9.2021). Es ist möglich und kommt gelegentlich vor, dass ein Nicht-Ahmadi-Muslim Ahmadi-Muslim wird. Es gibt keine besondere Zeremonie, die mit dem Übertritt in die Ahmadi-Gemeinschaft verbunden ist, aber ein Verfahren. Dabei erhält die Person ein Baiat-Formular (Initiationsformular), das zur Genehmigung die Hierarchie der Führung der Ahmadiyya durchläuft. Da die pakistanischen Gesetze Konversionen behindern, ist es nicht mehr möglich, das Verfahren in Pakistan akribisch zu befolgen (VB 3.10.2020).

Konversion und Apostasie

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die Rechtsordnung schränkt nicht die Freiheit ein, die Religion zu wechseln. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise (AA 28.9.2021; vgl UKHO 2.2021). Eine Konversion vom Islam, obwohl sie nicht verboten ist, wird oft als Blasphemie gesehen und kann in einer Strafverfolgung unter den Blasphemiegesetzen oder in familiärer oder gesellschaftlicher Gewalt münden (DFAT 25.1.2022).

Personen, die sich vom Islam abwenden, vertreten dies in aller Regel nicht öffentlich. Eine eventuelle Gefahr für Leib und Leben besteht v.a. dann, wenn sich der Betroffene besonders exponiert (AA 28.9.2021; vgl. UKHO 2.2021). Es besteht die Gefahr, dass extremistische religiöse Gruppen, die von Fällen (angeblicher) Blasphemie oder Apostasie erfahren, Lynchjustiz gegen Muslime und Angehörige religiöser Minderheiten üben (AA 28.9.2021).

Die Situation ist für eine Person, von der bekannt ist, dass sie vom Islam zum Christentum konvertiert ist, viel schwieriger als für eine Person, die als Christ geboren wurde. In Pakistan ist es selten, dass eine Person offen zum Christentum konvertiert, da es wahrscheinlich ist, dass die Konversion einer Person innerhalb ihrer Gemeinschaft bekannt wird, was mögliche Auswirkungen hat. Im Allgemeinen ist die Gesellschaft extrem feindselig gegenüber Konvertiten zum Christentum. Eine Folge kann z.B. sein, dass ein Mullah eine Fatwa erlässt, die ein Todesurteil gegen einen Konvertiten fordert, der als Abtrünniger betrachtet wird (UKHO 2.2021). Ein Abschwören vom Islam wird auch gemeinhin unter islamischen Klerikern als Blasphemie angesehen (USDOS 12.5.2021). Menschen, von denen bekannt ist, dass sie zum Christentum konvertiert sind, erleiden Gewalt, Einschüchterung und schwere Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure. Eine solche Praxis ist in ganz Pakistan gängig (UKHO 2.2021). NGOs berichten, dass Konvertiten vom Islam in unterschiedlichen Graden der Geheimhaltung leben, aus

Angst vor einer gewalttätigen Reaktion durch die Familie oder Gesellschaft (USDOS 12.5.2021).

Die christliche NGO Centre for Legal Aid Assistance & Settlement unterhält u. a. ein Safe House für christliche Paare und Familien, die z.B. aufgrund einer interreligiösen Heirat oder einer Konversion gefährdet sind (CLAAS o.D.). Im Jahr 2019 waren vier der Bewohner Männer (CLAAS 23.11.2022).

Einige Gerichtsurteile haben die Ehe einer nicht-muslimischen Frau zu einem nicht-muslimischen Mann als aufgelöst beurteilt, wenn sie zum Islam konvertiert. Im Gegensatz dazu wird die Ehe eines nicht-muslimischen Mannes weiterhin als aufrecht anerkannt, wenn er konvertiert (USDOS 12.5.2021).

Blasphemiegesetze

Letzte Änderung: 22.03.2022

Pakistan gehört zu den Ländern mit den schärfsten Blasphemiegesetzen. Der überwiegende Teil der pakistanischen Gesellschaft unterstützt die Blasphemie-Gesetzgebung. Seit 1990 verbietet § 295a des Strafgesetzbuches das absichtliche Verletzen religiöser Objekte oder Gebetshäuser, § 295b die Entweihung des Koran und § 295c die Beleidigung des Propheten Mohammed. Die letztgenannte Norm sieht selbst bei unbeabsichtigter Erfüllung des Tatbestands der Prophetenbeleidigung die Todesstrafe vor. Oft wird auf Druck von Extremisten im erstinstanzlichen Urteil die Todesstrafe verhängt. Diese wurde bislang jedoch noch nie in einem Blasphemiefall vollstreckt und häufig durch ein höherrangiges Gericht aufgehoben (AA 28.9.2021; vgl. USDOS 12.5.2021, DFAT 25.1.2022). Nach unterschiedlichen Angaben von Menschenrechtsaktivisten sollen mit Stand Mai 2021 zwischen 30 und 80 wegen Blasphemie zum Tode Verurteilte auf die Vollstreckung ihres Urteils warten (AA 28.9.2021).

Besonders Mitglieder der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft sind ein Hauptziel der Strafverfolgungen nach den Blasphemiegesetzen sowie nach speziellen Anti-Ahmadi-Gesetzen. Militante Gruppen und die islamistische politische Partei Tehreek-e-Labbaik (TLP) beschuldigen Ahmadis, sich „als Muslime auszugeben“ - ein Straftatbestand nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch (HRW 13.1.2022). Ahmadis ist es ausdrücklich und unter massiver Strafandrohung verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder sich wie Muslime zu verhalten. Dieses Verbot für NichtMuslime ist mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert. Es besteht dabei immer die Gefahr, dass – ähnlich wie bei christlichen Minderheiten – ein gegen Ahmadis gerichtetes Verfahren um den Vorwurf der Blasphemie erweitert wird. In der Berufungsinstanz wird der Strafvorwurf häufig abgeändert, sodass die für Blasphemie vorgesehene Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe (die auf 25 Jahre begrenzt ist) umgewandelt wird (AA 28.9.2021).

Richter sind oft zögerlich, Blasphemiefälle zu verhandeln oder zu entscheiden, aus Angst vor Vergeltungstaten oder Ausschreitungen. NGOs, Rechtsexperten und Vertreter religiöser Minderheiten bringen vor, dass die unteren Gerichte die Beweisstandards in Blasphemiefällen kaum einhalten. Schleppende Verfahren führen weiters dazu, dass Verdächtige jahrelang in Haft verbringen oder ihre Berufung abwarten müssen, wobei einige nach Jahren aufgrund von Mängeln in der Beweisführung freigesprochen werden (USDOS 12.5.2021; vgl. UKHO 2.2021). Die Verurteilungsrate in den unteren Gerichten ist hoch, Richter stehen dabei oft unter enormen Druck. Die meisten Verurteilungen werden in den höheren Gerichten aufgehoben (DFAT 25.1.2022). Eine Erhebung im Jahr 2015 zeigte, dass 80 Prozent der Blasphemieanklagen in Freisprüchen mündeten (UKHO 2.2021). NGOs berichten außerdem, dass viele der Blasphemie beschuldigte Personen für längere Zeit in Einzelhaft bleiben. Die Regierung argumentiert, dies diene der Sicherheit der Betreffenden (USDOS 30.3.2021).

Insgesamt wurden seit Beginn der stringenten Anwendung der Blasphemiegesetze im Jahr 1987 bis inklusive 2021 von der NGO Commission on Social Justice (CSJ) 1.949 Blasphemieanzeigen registriert, wobei diese besonders in der letzten Dekade zugenommen haben. Die tatsächliche Zahl an Anzeigen dürften laut ihrer Einschätzung höher sein. Von der Gesamtzahl betrafen 47,6 Prozent Muslime, 33 Prozent Ahmadis, 14,4 Prozent Christen und 2,15 Prozent Hindus. Regional liegt der Schwerpunkt mit knapp 76 Prozent aller Anzeigen im Punjab (CSJ 2.2022).

Insgesamt ist zu beobachten, dass zwar Muslime die numerische Mehrheit der wegen Blasphemie Inhaftierten bilden, dass aber gleichzeitig religiöse Minderheiten im Verhältnis zu ihrem geringen Anteil an der Bevölkerung überproportional betroffen sind (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 28.9.2021). Die nicht-staatlichen Akteure, die Blasphemiegesetze gegen Christen anwenden, werden oft durch persönliche oder geschäftliche Streitigkeiten, Auseinandersetzungen um Land und Eigentum motiviert. Auch bestimmte politische Ereignisse können solche Anschuldigungen auslösen (UKHO 2.2021). Ebenso wird die Blasphemie-Gesetzgebung dazu benutzt, die Angehörigen der Ahmadi-Minderheit aus verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben (AA 28.9.2021). Besonders radikal tritt in der Öffentlichkeit die Gruppe TLP sowohl für die Beibehaltung der Blasphemie-Gesetzgebung als auch in Zusammenhang mit Blasphemie-Anschuldigungen auf (BAMF 5.2020).

Im Jahr 2020 wurden die Blasphemiegesetze auch gegen Künstler, Menschenrechtsverteidiger und Journalisten angewendet (AI 7.4.2021). Außerdem wurden in den letzten Jahren einige Todesurteile aufgrund blasphemischer Inhalte in Nachrichten in sozialen Medien, wie Facebook und WhatsApp verhängt (The Guardian 19.1.2022). Die Blasphemiegesetze und ihr Missbrauch durch religiöse Fanatiker beschränken somit auch die Meinungsfreiheit von Muslimen (FH 3.3.2021).

Echte Beweise liegen in den seltensten Fällen vor. Die Verurteilungen wegen angeblicher Blasphemie stützen sich oft ausschließlich auf Zeugenaussagen. Außerdem können Personen, denen „Prophetenbeleidigung“ vorgeworfen wird, kaum Rechtsbeistand finden. Pflichtverteidiger lehnen dieAnnahme der Fälle nicht selten ab oder verfolgen das Mandanteninteresse aus Furcht vor persönlichen Konsequenzen nicht ernsthaft (BAMF 5.2020). Gruppen wie die TLP bedrohten in einigen Fällen auch die Anwälte der Angeklagten, ihre Familien oder Unterstützer (USDOS 12.5.2021).

Problematisch bleibt damit die Wirkung der Blasphemie-Gesetzgebung auf das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Blasphemie-Vorwürfe werden immer wieder zum Anlass oder Vorwand für Mob-Gewalt oder Mordanschläge genommen. Jemand, der einmal wegen Blasphemie verurteilt wurde, wird auch nach Freispruch durch ein Berufungsgericht vielfach von extremistischen Organisationen verfolgt. Insbesondere bei Angehörigen religiöser Minderheiten geraten Familienangehörige von Angeklagten häufig ebenfalls ins Visier von Extremisten (AA 28.9.2021). Auch wenn die Behörden noch keine Person wegen Blasphemie hingerichtet haben, führen Anschuldigungen wegen Blasphemie oft zu Selbst- und Lynchjustiz durch aufgebrachte Menschenmengen (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 25.1.2022). Seit 1987 wurden laut den Aufzeichnungen von CSJ mindestens 84 Personen nach Vorwürfen der Blasphemie oder Apostasie getötet, darunter 42 Muslime, 23 Christen, 14 Ahmadis, zwei Hindus und eine Buddhist (CSJ 2.2022).

Die Polizei griff bei mehreren Gelegenheiten ein, um die Gewalt des Mobs gegen Personen zurückzudrängen, die der Blasphemie beschuldigt wurden. Meist erhebt die Polizei gegen Personen, die falsche Blasphemievorwürfe äußern, allerdings keine Anklage (USDOS 12.5.2021).

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 22.03.2022

Pakistan ist eine pluralistische Gesellschaft mit einer Vielzahl an religiösen und ethno-linguistischen Identitäten. Die pakistanischen Minderheiten lassen sich im Wesentlichen in die Kategorien „ethnisch und sprachlich“ sowie „religiös“ einteilen. Der Begriff „Minderheit“ wird in der Verfassung der Islamischen Republik Pakistan von 1973 an mehreren Stellen verwendet, es gibt jedoch keine Definition dieses Begriffs. Aufeinanderfolgende Bundesregierungen haben die Position vertreten, dass Minderheiten innerhalb Pakistans notwendigerweise religiös sind, und dass es keine ethnischen oder sprachlichen Minderheiten oder indigene Völker gibt (MRGI 6.2019).

Laut dem letzten Zensus von 2017 sprechen 38,8 Prozent der Bevölkerung Punjabi, 18,2 Prozent Paschtu, 14,6 Prozent Sindhi, 12,2 Prozent Saraiki, 7,1 Prozent Urdu, 3 Prozent Belutschisch, 2,44 Prozent Hindko, 1,2 Prozent Brahvi, 0,2 Prozent Kashmiri und auf weitere, kleinere Sprachen entfallen 2,26 Prozent (PBS o.D.).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 23.03.2022

Die Rolle und das Bild der Frau in Pakistan werden in erster Linie von einer islamischen Gesellschaft geprägt, in der weite Teile einer sehr konservativen Denkweise anhängen. Dem setzen sich vor allem Frauen aus der wirtschaftlichen Oberschicht entgegen, denen es zum Teil gelingt, wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft zu erringen (AA 28.9.2021). Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, aber die Behörden setzen dies nicht um. Frauen sind mit Diskriminierung im Beruf, bei Erb-, Familien- und Eigentumsrecht sowie im Justizsystem konfrontiert (USDOS 30.3.2021). Aufgrund der Anwendung der Scharia, die in Teilen des materiellen und prozessualen Rechts vorrangig zur Anwendung kommt, sind Frauen deutlich schlechter gestellt. Rechtliche Bestimmungen, die Frauen benachteiligen, finden sich u. a. im pakistanischen Strafgesetz und dem Staatsangehörigkeitsrecht. Im Global Gender Gap Report 2021 des World Economic Forum belegte Pakistan von 156 erfassten Staaten den 153. Platz

(AA 28.9.2021). Die weitverbreitete Diskriminierung der Geschlechter zeigt sich auch bei der Erwerbsquote von nur 20,5 Prozent bei Frauen - eine Zahl, die sich, seit einer Dekade nicht geändert hat (BS 25.2.2022).

Frauen nehmen aktiv am politischen Geschehen teil. Sie beteiligen sich aktiv als Mitglieder in politischen Parteien, aber sie waren nicht immer erfolgreich bei der Sicherung von Führungspositionen innerhalb der Parteien, abgesehen von den Frauenflügeln (USDOS 30.3.2021). Nur vier der 50 Kabinettsmitglieder der PTI-Regierung sind Frauen (BS 25.2.2022). Im Jänner 2022 wurde erstmals eine Frau zur Richterin am pakistanischen Supreme Court ernannt (ABC News 8.1.2022).

Gemäß dem 2017 verabschiedeten neuen Wahlgesetz müssen Frauen mindestens fünf Prozent der Kandidatenplätze einer Partei bekommen. Es sind 60 Sitze in der Nationalversammlung, 17 Sitze im Senat, 132 der 779 Sitze in den Provinzversammlungen und ein Drittel der Sitze in den Gemeinderäten für Frauen reserviert. In ländlichen Gebieten halten kulturelle und traditionelle Barrieren Frauen oft davon ab, zu wählen. Falls weniger, als 10 Prozent der Frauen eines Wahlkreises ihre Stimme abgeben, ist es den Behörden möglich, das Ergebnis für den betreffenden Wahlkreis zu annullieren, unter dem Verdacht, dass Frauenstimmen unterdrückt wurden. Dies wurde bei den Wahlen 2018 auch erstmals in einem Wahlkreis in Khyber Pakhtunkhwa umgesetzt (USDOS 30.3.2021).

Gewalt gegen Frauen und Mädchen - einschließlich Vergewaltigung, Mord, Säureangriffe, häusliche Gewalt und Zwangsverheiratung - ist nach wie vor in ganz Pakistan ein ernstes Problem. NGOs schätzen, dass etwa 1.000 Frauen im Jahr Opfer von Ehrenmorden werden. Die Regierung hat wenig getan, um Zwangsehen zu verhindern. Frauen, die religiösen Minderheiten angehören, sind diesbezüglich besonders gefährdet (HRW 13.1.2022). Hunderte von Fällen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen wurden im Laufe des Jahres 2020 gemeldet. Nur in wenigen Fällen, wenn überhaupt, wurden die Täter zur Rechenschaft gezogen (AI 7.4.2021). Studien zeigen, dass die Gewalt gegen Frauen während der Covid-19-Pandemie drastisch zugenommen hat (AF 2.2021; vgl. HRCP 2021). Vergewaltigung ist eine Straftat mit einem Strafrahmen von 10 bis 25 Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe. Gesetzlich ist u. a. die Abnahme von DNA, der Datenschutz des Opfers und das Recht auf juristische Vertretung für Vergewaltigungsopfer vorgesehen. Das Gesetz stellt Vergewaltigung in der Ehe nicht ausdrücklich unter Strafe. Obwohl Vergewaltigungen häufig vorkommen, werden sie nur selten angezeigt. Selbst bei den eingebrachten Anzeigen ist eine Strafverfolgung selten (USDOS 30.3.2021). Eine Erhebung aus dem Jahr 2020 ergab, dass nur 0,3 Prozent aller angezeigten Fälle zwischen 2015 und 2020 zu einer Verurteilung führten (TNI 13.11.2020; vgl. AA 28.9.2021). NGOs berichten, dass die Polizei mitunter Bestechungsgelder von Tätern annimmt, Opfer missbraucht oder bedroht oder Druck ausübt, damit die Anzeige fallengelassen wird. Darüber hinaus werden Vergewaltigungsvorwürfe häufig außergerichtlich gelöst, indem das Opfer gezwungen wird, den Täter zu heiraten. Allerdings gibt es Berichte, wonach in letzter Zeit die Strafverfolgung zunimmt. Die meisten Vergewaltigungsopfer, insbesondere in den ländlichen Gebieten, haben keinen Zugang zum vollständigen Spektrum an grundlegenden Versorgungsleistungen. Eine begrenzte Anzahl an Frauenhilfszentren bietet im Rahmen von Netzwerken mit lokalen Hilfsleistern Opfern sexueller Gewalt das gesamte Spektrum an grundlegenden Versorgungsleistungen an (USDOS 30.3.2021). Die NGO War against Rape unterstützt z.B. Überlebende sexueller Gewalt mit Langzeit-Psychotherapie (WAR o.D.a) und unterhält ein Netzwerk zur ergänzenden Unterstützung der Opfer unter anderem im medizinischen, sozialen und rechtlichen Bereich (WAR o.D.b).

Häusliche Gewalt ist weit verbreitet, es gibt kein Bundesgesetz dagegen. Die Polizei kann Taten häuslicher Gewalt gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu Körperverletzung anklagen (USDOS 30.3.2021). Im Jänner 2021 trat in Khyber Pakhtunkhwa, als letzter der vier Provinzen, ein eigenes Provinzgesetz zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt - Domestic Violence against Women (Prevention and Protection) Act - in Kraft. Neben einem rechtlichen Regelwerk sieht es auch die Verpflichtung zur Einrichtung verschiedener Infrastrukturen zum Schutz und zur Prävention auf Bezirksebene vor (Dawn 8.4.2021). Eine Begutachtung durch den Council of Islamic Ideology, der einige Teile für unislamisch erklärte, hatte das Inkrafttreten um vier Jahre verzögert. Belutschistan, Sindh und Punjab haben ihre Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt verabschiedet, ohne diese dem Council vorzulegen.

Im Juni 2021 verabschiedete der pakistanische Senat ein Bundesgesetz gegen häusliche Gewalt (TNI 25.7.2021). Nach Protesten verschiedener islamischer Rechtsgelehrter wurde es allerdings vor seinem möglichen Inkrafttreten dem Council of Islamic Ideology zur Revision im Hinblick auf die Übereinstimmung mit islamischen Prinzipien vorgelegt (The Nation 11.8.2021). Der Rat hat befunden, dass das Gesetz gegen einige dieser Prinzipien verstößt (HRW 13.1.2022).

Frauen stehen hinsichtlich einer Anzeige von Misshandlungen vor großen Hürden (USDOS 30.3.2021). Oft nehmen Polizisten die Anzeigen nicht auf, da sie solche Taten als Familienangelegenheit erachten. Es gibt Berichte, wonach die Behörden Frauen einschüchterten oder belästigten. Außerdem berichten Aktivisten, dass Polizisten Frauen nicht ausreichend über die Verfahrensregeln aufklären, z.B. über die Verpflichtung zur medizinischen Untersuchung für die Beweisaufnahme (New Frame 1.9.2021). Statt Anzeigen aufzunehmen, ermutigt die Polizei oft die Streitparteien, sich zu versöhnen, und schickt Missbrauchsopfer regelmäßig zu den sie misshandelnden Familienangehörigen zurück. Um den sozialen Normen entgegenzuwirken, die Opfer davon abhalten, geschlechtsspezifische Gewalt anzuzeigen, wurden eigene Frauenpolizeistationen mit Polizistinnen eingerichtet, um Frauen einen sicheren Ort für Anzeigen zu bieten. Den Einrichtungen mangelt es aber an Anzahl, Personal und Ausstattung (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung unterhält ein Krisenzentrum für Frauen in Notlagen, das misshandelte Frauen an NGOs zur Unterstützung weitervermittelt. Weiters gibt es landesweit zahlreiche staatliche Shaheed-Benazir-Bhutto-Frauenschutzzentren, die temporären Schutz, rechtliche Hilfe sowie medizinische und psychologische Betreuung bieten. Von diesen werden die Frauen in eines von landesweit mehreren hundert von den Provinzen verwalteten Frauen- und Kinderwohnheimen (Dar-ul-Aman) weitergeleitet. Dort wird Unterkunft und medizinische Versorgung gewährt, allerdings gibt es keine rechtliche oder psychologische Beratung. Viele der staatlichen Zentren sind überfüllt und nicht ausreichend mit Ressourcen, sanitären Einrichtungen und Personal ausgestattet. Es gibt Berichte, wonach Frauen in staatlichen Schutzhäusern missbraucht, zur Prostitution gezwungen, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder gedrängt wurden, zu ihren Misshandlern zurückzukehren. Der Punjab baute im Rahmen seines Gesetzes zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt ein neues Netzwerk von Schutzhäusern auf Bezirksebene auf, die ein breites Angebot an Hilfsleistungen wie Unterkunft sowie medizinische, rechtliche und psychologische Unterstützung bieten. Auch wurden in der Provinzhauptstadt Lahore für Frauen eigene Zentren zur Unterstützung bei der Arbeitssuche sowie ein eigenes Gericht für Verbrechen geschlechtsspezifischer Gewalt eingerichtet (USDOS 30.3.2021).

Zusätzlich gewähren NGOs nicht nur Schutz in Frauenhäusern, sondern leisten Rechtsbeistand, engagieren sich für eine Ausbildung der Frauen und versuchen, eine gütliche Verhandlungslösung herbeizuführen und in weiterer Folge eine Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen (ÖB 12.2020). Die private Edhi Foundation bietet beispielsweise u.a. auch Unterkunft für Frauen, die häuslicher Gewalt entkommen sind (Edhi o.D.; vgl. The Nation 11.8.2021).

Das Familienrecht gibt klare Richtlinien mit Bezug auf Schutz für Frauen im Falle einer Scheidung vor, unter anderem in Bezug auf Unterhaltsleistungen und das Sorgerecht für minderjährige Kinder. Vielen Frauen sind diese rechtlichen Schutzbestimmungen nicht bekannt oder sie sind nicht in der Lage, zu deren Durchsetzung einen Rechtsbeistand heranzuziehen. Geschiedene Frauen stehen oft ohne jegliche Unterstützung da, weil sie von ihren Familien geächtet werden (USDOS 30.3.2021).

Registrierung und Staatsbürgerschaft

Die Staatsbürgerschaft wird im Allgemeinen über die Geburt im Land bestimmt. Kinder, die nach 2000 im Ausland geboren wurden oder werden, können ihre Staatsbürgerschaft über Abstammung geltend machen, wenn entweder die Mutter oder der Vater Staatsbürger sind und die Kinder bei den zuständigen Behörden registriert sind (USDOS 30.3.2021). Seit 2000 werden auch alle Kinder einer pakistanischen Mutter und eines Vaters mit fremder Staatsbürgerschaft automatisch als pakistanische Staatsbürger betrachtet (UKHO 6.2020). Kinder von Flüchtlingen oder staatenlosen Personen in Pakistan erhalten nicht die Staatsbürgerschaft über die Geburt im Land (USDOS 30.3.2021).

Die Geburtenregistrierung hat sich verbessert, doch waren beim letzten Demographic and Health Survey 2017-18 immer noch 57,8 Prozent aller Unter-5-Jährigen nicht registriert. Pakistan liegt sowohl im internationalen als auch im regionalen Vergleich zurück. Eine Geburtenregistrierung ist für die Ausstellung einer Identitätskarte sowie eines Reisepasses notwendig [siehe auch Kapitel Registrierungswesen] (UniB 16.7.2021). Sie ist damit auch Voraussetzung für den offiziellen Zugang zu vielen staatlichen Dienstleistungen, wie die Einschreibung an öffentlichen Schulen (bolo 1.2022; vgl. CRCA 11.2021).

Schutzeinrichtungen

Das Committee on the Rights of the Child listet die Einrichtung von nationalen und regionalen Kinderschutzzentren und Rehabilitationszentren für ehemalige Kinderarbeiter und Unterkünfte für Waisenkinder als Erfolg im Kinderrechtsbereich auf. Es gibt allerdings nach wie vor kein Pflegeelternmodell und private Waisen- und Schutzhäuser entsprechen oft nicht den erforderlichen Qualitätsstandards. Mehrere Hilfs- und Kinderrechtsorganisationen sind in den meisten größeren Städten Pakistans tätig (ÖB 12.2020). Pakistan Sweet Homes bietet in 36 Zentren in mehreren Städten Platz für 3.600 Waisenkinder (PSH o.D.a; vgl. PSH o.D.b). In den SOS Children Villages Pakistan sind um die 2.000 Waisenkinder untergebracht (SOS o.D.). Pakistan Children Relief unterhält ein Safe Home für Straßenkinder in Karatschi, wo 25 Kinder untergebracht werden (PCR o.D.a). Außerdem unterstützt es finanziell die Versorgung und Ausbildung von Waisen, die bei ihren Vormunden untergebracht sind (PCR o.D.b). Die private Edhi Foundation unterhält Frauenhäuser für Frauen, die häuslicher Gewalt entkommen sind sowie Heime für Waisen und verlassene Kinder (Edhi o.D.a). Die meisten Edhi-Einrichtungen verfügen über Babyklappen für ungewollte Kinder, z.B. aus illegitimen Beziehungen, die an Adoptiveltern vermittelt werden (Edhi o.D.b). Obwohl Adoptionen in einem strikten, westlichen Sinn in Pakistan nicht möglich sind, können Einzelpersonen die rechtliche Vormundschaft für ein Kind über den Guardians and Wards Act übernehmen (Shahid 3.7.2019).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 22.03.2022

Per Gesetz sind die Bewegungsfreiheit im Land sowie ungehinderte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung gewährleistet. Diese Rechte werden allerdings eingeschränkt (USDOS 30.3.2021). Die Behörden beschränken aus Sicherheitsbedenken regelmäßig Reisen in einige Teilen des Landes bzw. auch interne Bewegungen innerhalb dieser Gebiete (FH 3.3.2021). So ist der Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistans - meist aufgrund von Sicherheitsbedenken - eingeschränkt. Für Reisen in Gebiete, die als sensibel eingestuft werden, ist ein beglaubigtes „No-Objection-Certificate“ notwendig (USDOS 30.3.2021; vgl. HRCP 2021). Innerhalb sensibler Gebiete wird die Bewegungsfreiheit durch Straßensperren und Checkpoints eingeschränkt (HRCP 2021). In den Wochen vor und während der schiitischen Feierlichkeiten zu Muharram werden außerdem die Bewegungs- und Reisefreiheit sowie die Aktivitäten von Klerikern, die für die Aufwiegelung von konfessionell motivierten Spannungen bekannt sind, eingeschränkt (USDOS 12.5.2021).

Das Hauptinstrument zur Einschränkung von Auslandsreisen ist die Exit Control List (ECL), die namentlich genannte Personen von der Nutzung der offiziellen Ausreisepunkte des Landes ausschließt (FH 3.3.2021). Personen auf der ECL ist es verboten, ins Ausland zu reisen. Diese Liste soll Personen, welche in staatsfeindliche Aktivitäten und Terrorismus involviert sind oder in Verbindung zu einer verbotenen Organisation stehen bzw. jene, gegen die ein Strafverfahren vor höheren Gerichten anhängig ist, von Auslandsreisen abhalten (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 25.1.2022). Regelmäßig wird die ECL allerdings als Mittel zur Kontrolle Andersdenkender eingesetzt (FH 3.3.2021), und laut Zivilgesellschaft befinden sich auch Menschenrechtsverteidiger und Kritiker der Regierung und des Militärs auf der Liste. Es ist möglich, vor Gericht Einspruch zu erheben und seinen Namen streichen zu lassen (USDOS 30.3.2021). Für Personen, die auf der Liste stehen, ist es schwierig, aber nicht unmöglich, über illegale Wege das Land zu verlassen (DFAT 25.1.2022).

Regierungsangestellte und Studenten müssen vor Reisen ins Ausland ein sogenanntes No-Objection-Certificate einholen, doch von Studenten wird dies selten verlangt (USDOS 30.3.2021).

Ausweichmöglichkeiten

Interne Migration ist weit verbreitet und üblich. Große Städte, wie Karatschi, Islamabad und Lahore haben eine ethnisch und religiös diverse Bevölkerung und bieten für jene Menschen eine gewisse Anonymität, die vor Gewalt durch nicht-staatliche Akteure fliehen (DFAT 25.1.2022; vgl. AA 28.9.2021). Es gibt zahlreiche große Städte mit einer Bevölkerungsgröße von 1 bis 16 Millionen. Karatschi ist die zwölftgrößte Stadt der Welt und ethnisch besonders divers (UKHO 6.2020).

Schiiten sind über das ganze Land verteilt, und es gibt große schiitische Gemeinschaften in den großen Städten (UKHO 7.2021). Angehörige der schiitischen Minderheit leben in Pakistan beinahe ausschließlich in der Provinz Belutschistan, die meisten in Quetta. Im Ergebnis sind inländische Ausweich- oder Fluchtmöglichkeiten zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, scheinen aber im Falle der Hazara aus Belutschistan deutlich beschränkt (AA 28.9.2021).

Ahmadis bietet ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen und administrativen Zentrum, einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind,auch wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind (AA28.9.2021). Rabwah erlaubt damit einen größeren Grad an Freiheit, doch durch die große Anzahl an Ahmadis ist sie auch ein Ziel für ihre Gegner. Die staatlichen Gesetze betreffend der Ahmadiyya-Glaubensauslegung gelten in ganz Pakistan und damit auch in Rabwah (UKHO 9.2021). Für Ahmadis besteht ebenso die Möglichkeit, in den Schutz größerer Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Menschen handelt, die überregional bekannt geworden sind. Dies sehen auch Vertreter unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als grundsätzliche Ausweichmöglichkeit. Verfolgte Angehörige der christlichen Minderheit haben generell Ausweichmöglichkeiten in andere Landesteile - abgesehen von Fällen, die überregional bekannt geworden sind (AA 28.9.2021).

Für Angehörige aller Gruppen gilt, dass ein Ausweichen oft das Aufgeben der bisherigen wirtschaftlichen Basis mit sich bringt (AA 28.9.2021). Die Möglichkeit, in einer neuen Umgebung Fuß zu fassen, hängt von finanziellen Mitteln sowie familiären, tribalen und/oder ethnischen Netzwerken ab. Für alleinstehende Frauen ist es schwierig, umzusiedeln (DFAT 25.1.2022).

Alle größeren Städte sind mit Autobahnen verbunden. Die Hauptbahnroute verläuft mehr als 1.600 km quer durchs Land von Karatschi nach Peschawar, via Lahore und Rawalpindi. Eine weitere Hauptbahnlinie verläuft nordwestlich von Sukkur nach Quetta. Die Hauptflughäfen sind Karatschi, Lahore, Rawalpindi, Quetta und Peschawar (EB 4.3.2022; vgl. UKHO 6.2020).

Registrierungswesen

Letzte Änderung: 22.03.2022

Ein dem deutschen vergleichbares Meldewesen existiert nicht, und es ist kein zentrales Personenstandsregister vorhanden. Es gibt keine zentralen Informations- oder Fahndungsregister, nur regionale in den jeweiligen Provinzen sowie Bundesbehörden - und auch diese werden unvollständig bestückt. Haftbefehle werden nur eingetragen, wenn ausdrücklich erbeten, was oftmals nicht geschieht. Es gibt ein Datensystem der Bundespolizei FIA, worin ebenfalls Personen aufgenommen werden können, die bei der Ausreise überprüft oder festgenommen werden sollen (AA 29.8.2021).

Identitätskarten (NIC) sind verpflichtend vorzuweisen, um Dokumente (z.B. Führerschein, Reisepass) zu erhalten, ein Bankkonto zu eröffnen, sich als Wähler registrieren zu lassen, Wohnungen zu kaufen oder einer legalen Anstellung nachzugehen. Identitätskarten werden allen Bürgern ab dem 18. Lebensjahr auf Antrag ausgestellt. Die für die Ausstellung zuständige Behörde ist die National Database and Registration Authority (NADRA). Beim Registrierungsprozess werden auch Daten wie die Religionszugehörigkeit sowie die permanente und temporäre Adresse erhoben. Die Computerised National Identity Cards (CNIC) sollen allmählich durch die Smart National Identity Card (SNIC) ersetzt werden. Derzeit sind beide gültig (DFAT 25.1.2022). 95 Prozent aller erwachsenen Pakistani sind laut Angaben der NADRA mit den Identitätskarten registriert (BRG 11.2.2022). Für im Ausland lebende pakistanische Staatsbürger ist es möglich, bei der NADRA online eine „National Identity Card for Overseas Pakistanis“ zu beantragen (DFAT 25.1.2022).

Unter-18-Jährige können eine Juvenile Card beantragen (NADRA o.D.). Geburten können bei der NADRA oder den dafür zuständigen lokalen Behörden der Provinzregierungen, meist sind dies Union Councils in Kooperation mit der NADRA, registriert und dementsprechend Geburtsurkunden ausgestellt werden (CSC 1.2021). Spitäler stellen automatisch Geburtsurkunden für die bei ihnen geborenen Kinder aus. Außerhalb der Spitäler gibt es keinen automatischen Geburtenregistrierungsprozess, und es gibt keine zentrale Datenbank. UNICEF schätzte 2019, dass 60 Millionen Kinder in Pakistan nicht registriert sind (DFAT 25.1.2022). Der Demographic and Health Survey 2017-18 ergab, dass 57,8 Prozent aller Unter-5-Jährigen nicht registriert sind (UniB 16.7.2021).

Die Proof of Registration Card (PoR), der Identitätsnachweis der circa 1,4 Millionen durch Pakistan registrierten afghanischen Flüchtlinge, wird ebenfalls durch die NADRA ausgestellt. Über-5Jährige erhalten eine eigene Karte, Unter-5-Jährige werden bei den Eltern vermerkt. Im Rahmen des DRIVE Programms führt die NADRA mit Unterstützung des UNHCR eine aktualisierte Registrierung durch und stellt dabei allen PoR-Karten Besitzern neue, biometrische Smartcards aus (TRAFIG 31.8.2021; vgl. UNHCR 14.1.2022a).

Die Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh sowie das Hauptstadtterritorium Islamabad haben ein System für die Registrierung von Mietern, Hotelgästen bzw. temporären Bewohnern. Die Mieterregistrierung ist verpflichtend und findet auf der lokalen Polizeistation statt (IRB 23.1.2018; vgl. UKHO 6.2020). Zweck dieser „Information of Temporary Residents Acts“ ist es, die Möglichkeiten für Terroristen, Wohnungen, Hotelzimmer und Unterkünfte zu mieten, zu vermindern. Bei Mietverträgen ist es die Pflicht des Mieters oder Vermieters, der Polizei zusammen mit dem Mietvertrag vollständige Angaben über den Mieter zu machen. Hotels und Hostels sind verpflichtet, Informationen über ihre Gäste für die Polizei jederzeit einsehbar zu halten. Nach Razzien wurden wegen einer Nicht-Einhaltung dieser Vorschriften mitunter Strafen verhängt. Insgesamt wird das Mietermeldesystem allerdings nicht breit umgesetzt, und nur wenige Personen registrieren ihre Mietübereinkünfte bei den Behörden (IRB 23.1.2018). Die Einführung der verpflichtenden Meldung bei der Polizei und dieAndrohung hoher Strafen hat allerdings z.B. dazu geführt, dass Immobilienbesitzer im Punjab und in Islamabad zögerlich wurden, an Afghanen zu vermieten. Verstärkt wurde dies, nachdem durch den Nationalen Aktionsplan gegen TerrorismusUntersuchungen gegen die pakistanischen Hausbesitzer durchgeführt wurden (TRAFIG 31.8.2021).

IDPs und Flüchtlinge

IDPs

Letzte Änderung: 22.03.2022

Sowohl Umweltkatastrophen als auch Gewalt sind Gründe für interne Vertreibungen in Pakistan. Der Großteil der konflikt- und gewaltbedingt Binnenvertriebenen (IDPs) geht auf militärische Operationen gegen nicht-staatliche bewaffnete Gruppen in den früheren Federally Administered Tribal Areas (FATA) zwischen 2008 bis 2014 zurück. Das International Displacement Monitoring Centre (IDMC) gibt die Zahl dieser IDPs mit Stand Ende 2020 mit 104.000 an (IDMC 3.11.2021).

EASO benennt mit Stand August 2021 die Größenordnung dieser Gruppe von Vertriebenen mit 16.483 registrierten Familien, wobei laut dieser Aufstellung nur aus Nord Waziristan und Khyber die Rückkehr noch nicht abgeschlossen war (EASO 10.2021).

Die Rückkehr wird unter verbesserten Sicherheitsbedingungen fortgesetzt. Es gibt keine Berichte über unfreiwillige Rückkehrer. Berichten zufolge wollen viele IDPs in ihre Heimat zurückkehren, trotz des Mangels an lokaler Infrastruktur, Unterkünften und verfügbaren Dienstleistungen, sowie der strengen Kontrolle, die die Sicherheitskräfte durch umfangreiche Kontrollpunkte über die Bewegungen der Rückkehrer ausüben. Andere IDP-Familien zögern hinsichtlich einer Rückkehr oder entscheiden sich dafür, dass einige Familienmitglieder in den sogenannten „settled areas“ von Khyber Pakhtunkhwa bleiben, wo ein regulärer Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und anderen sozialen Diensten möglich ist. Für ehemals binnenvertriebene Kinder ist es schwierig, nach der Rückkehr in die ehemaligen Konfliktzonen Bildungseinrichtungen zu besuchen. Die Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa hat einige der 1.800 Schulen in den ehemaligen FATA, wo eine große Anzahl an Menschen zurückgekehrt ist, wiederaufgebaut. Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen, hat sich verringert (USDOS 30.3.2021).

Für IDPs, die nicht zurückkehren wollen oder können, koordiniert die Regierung die Unterstützung mit den UN und anderen internationalen Organisationen. Die Regierung und UN-Organisationen wie der UNHCR, UNICEF und das Welternährungsprogramm arbeiten zusammen, um IDPs zu unterstützen und zu schützen. Diese leben im Allgemeinen bei Gastfamilien, in gemieteten Unterkünften oder - in geringerem Umfang - in Lagern. Viele IDPs leben auch in informellen Siedlungen außerhalb der größeren Städte (USDOS 30.3.2021). IDPs gehören zu jenen Bevölkerungsgruppen, die besonders von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind. Viele haben Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden staatlichen Dienstleistungen. 64 Prozent der IDPs in Khyber Pakhtunkhwa haben einer Erhebung des IDMC zufolge keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, 47 Prozent benutzen verunreinigtes Wasser. Der Zugang zu Registrierung und Dokumentation ist im Punjab und in Sindh kompliziert, da viele Menschen ohne ihre ID-Karten geflohen waren. Es existieren Familienzusammenführungsprogramme (IDMC 3.11.2021).

Medien behandelten im Jahr 2021 häufig Proteste von Menschen aus den ehemaligen Stammesgebieten, die noch keine Kompensation für ihre zerstörten Häuser oder Geschäfte erhalten haben (EASO 10.2021).

Afghanische Flüchtlinge

Letzte Änderung: 21.01.2022

Rechtlicher Status

Pakistan ist eines der weltweit größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen und beherbergt seit rund vier Jahrzehnten Millionen afghanische Staatsbürger (AA 28.9.2021). Diese unterteilen sich nach ihrem rechtlichen Status in dreiKategorien (VB 6.5.2021):

Zum einen sind dies registrierte afghanische Flüchtlinge, UNHCR beziffert sie mit Stand 31.8.2021 auf 1.435.026 (UNHCR 31.8.2021). Sie sind sogenannte Proof of Residence (PoR) - Karteninhaber unter UNHCR-Mandat. Die Lage dieser registrierten Flüchtlinge ist aufgrund ihres legalen Aufenthaltsstatus in der Regel geprägt von höherer Rechtssicherheit und einem verbesserten Zugang zu Unterstützungsangeboten des UNHCR sowie zu bestimmten staatlichen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit). Die zweite Kategorie umfasst rund 880.000 afghanische Staatsangehörige im Besitz der sogenannten „Afghan Citizen Card“ (ACC), die ebenfalls einen legalen Aufenthaltstitel bietet (AA 28.9.2021). Das allgemeine Gültigkeitsdatum der PoR-Karten wird regelmäßig von der Regierung für einen längeren Zeitraum verlängert. Die Inhaber der ACC haben keinen Flüchtlingsstatus. Die Gültigkeit dieser Karten wird typischerweise für kurze Zeiträume verlängert (USDOS 30.3.2021). Neben diesen beiden Kategorien halten sich nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zwischen 500.000 und 1 Mio. nicht-dokumentierte afghanische Staatsbürger in Pakistan auf (AA 28.9.2021).

Pakistan hat kein nationales Asylsystem und ist kein Unterzeichnerstaat der Flüchtlingskonvention von 1951 (UNHCR 14.1.2022a). Seit 2007 hat es keine Personen mehr als Flüchtlinge registriert (FP 22.11.2021). Doch die Regierung arbeitet mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um - unter anderen - den afghanischen Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen und Asylsuchenden Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 30.3.2021). UNHCR führt dabei auch eine Registrierung von Personen mit erhöhtem Schutzbedürfnis durch. Dazu führt es ein Vorab-Screening durch, um Risikoprofile und Schutzbedürfnisse zu erheben. UNHCR priorisiert dabei die Registrierung von Personen mit nachvollziehbaren Asylgründen, unter anderem Minderheiten, Kinder, ältere Menschen und Frauen in Risikosituationen, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung. Nach dem Registrierungsprozess wird eine entsprechende Dokumentation ausgestellt. Pakistan akzeptiert im Allgemeinen die Entscheidungen des UNHCR und erlaubt vom UNHCR registrierten Asylsuchenden in Pakistan zu bleiben, während eine dauerhafte Lösung für sie gesucht wird (UNHCR 14.1.2022a).

UNHCR betreibt neun Zentren für rechtliche Beratung und Unterstützung in den Gebieten, in denen die Mehrheit der Flüchtlinge lebt. Ein Fokus liegt auf der Intervention bei Verhaftungen aufgrund des rechtlichen Aufenthaltsstatus (UNHCR 14.1.2022a). Für den Zeitraum zwischen Jänner und August 2020 zählte UNHCR 370 Festnahmen afghanischer Flüchtlinge. Afghanische Flüchtlinge haben Zugang zu Polizei und Gerichten, doch insbesondere Ärmere fürchten sich davor (USDOS 30.3.2021).

Verteilung und Grundversorgung

Ungefähr 58 Prozent der afghanischen Flüchtlinge leben in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, 22,8 Prozent in Belutschistan und 11,7 im Punjab (UNHCR 31.8.2021). Rund zwei Drittel der Flüchtlinge leben in Städten (AA28.9.2021). Ein Drittel der registrierten afghanischen Flüchtlinge lebt in einem der 54 Flüchtlingsdörfer, die restlichen zwei Drittel leben in Aufnahmegemeinden in ländlichen und städtischen Gebieten und suchen dort den Zugang zur Grundversorgung (USDOS 30.3.2021). Sie setzen damit die bereits belasteten lokalen Systeme öffentlicher Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit) und den Arbeitsmarkt zusätzlich unter Druck (UNHCR 6.7.2020).

Schwierig ist die soziale und wirtschaftliche Lage der Afghanen in den Flüchtlingssiedlungen, vor allem aber in den Ballungszentren der Großstädte (AA28.9.2021).Eine pakistanische Menschenrechtsorganisation berichtet z.B. über schlechte hygienische Bedingungen in Flüchtlingslagern, und dass Flüchtlinge Schikanierungen und Xenophobie durch die lokalen Behörden und die Bevölkerung ausgesetzt sind (HRCP 22.11.2021).

Es gibt kein formales Dokument, das es Flüchtlingen erlaubt, legal zu arbeiten, aber es gibt auch kein Gesetz, das es ihnen verbietet. Viele Flüchtlinge arbeiten als Tagelöhner oder auf informellen Märkten. Die lokalen Arbeitgeber beuten die Flüchtlinge auf dem informellen Arbeitsmarkt oft mit niedrigen oder unbezahlten Löhnen aus. Frauen und Kinder sind besonders gefährdet und nehmen unterbezahlte und unerwünschte Arbeit an. Im Jahr 2019 erlaubte die Regierung afghanischen Flüchtlingen mit ihren PoR-Karten Bankkonten zu eröffnen (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung garantiert kostenfreie Bildung für alle Kinder zwischen fünf und sechzehn, unabhängig von ihrer Nationalität. Alle registrierten Flüchtlinge haben theoretisch Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen. Der Zugang ist allerdings durch die Verfügbarkeit von Plätzen bestimmt. Die meisten registrierten Flüchtlingskinder besuchen private afghanische Schulen oder Schulen finanziert durch die internationale Gemeinschaft. Für ältere Kinder, besonders Mädchen in Flüchtlingslagern, ist der Zugang zu Bildung schwierig. Registrierte afghanische Flüchtlinge haben das Recht auf Einschreibung an den Universitäten (USDOS 30.3.2021). UNHCR unterhält Projekte zum Aufbau der Fähigkeit zur Selbstversorgung und sozio-ökonomischen Kapazität in den Flüchtlingsgemeinden. Dies umfasst Ausbildungen in Handwerk und Landwirtschaft sowie unterschiedlichen Berufen ebenso wie die Unterstützung beim Zugang zu höherer und tertiärer akademischer Bildung. Wo vorhanden, versucht UNHCR den Zugang afghanischer Kinder zum regulären Schulsystem zu ermöglichen. Außerdem vergibt es auch Universitätsstipendien (UNHCR 14.1.2022a).

Undokumentierte Afghanen haben nur begrenzten Zugang zu Arbeit, Unterkunft und Bildung. Ohne rechtlichen Schutz sind sie Ziel von Diskriminierung und Schikanen durch die Behörden (FP 22.11.2021). Es gibt keine Berichte über Flüchtlinge, denen der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen aufgrund ihrer Nationalität verweigert wurde (USDOS 30.3.2021). Um den Zugang der Flüchtlinge zu medizinischer Versorgung zu verbessern, verfolgt UNHCR, wo möglich, nicht mehr den Ansatz Parallelstrukturen für Flüchtlinge zu schaffen, sondern die lokale Infrastruktur für alle zu fördern, deren Kapazität und Qualität zu erhöhen und damit den Zugang dazu für die Flüchtlinge zu verbessern (UNHCR 14.1.2022a).

Am 15. April 2021 wurde der Beginn der Umsetzung des DRIVE-Programmes (Documentation Renewal and Information Verification Exercise) eingeläutet (VB 6.5.2021). DRIVE wird durch die Regierung Pakistans - namentlich das „Ministry of States and Frontier Regions“ (SAFRON), den Chief Commissioner für afghanische Flüchtlinge und die „National Database and Registration Authority“ (NADRA) - in Unterstützung durch den UNHCR durchgeführt. Ziel ist es, die Daten zu den registrierten afghanischen Flüchtlingen in Pakistan zu erneuern und neue, biometrische „Smartcards“ auszustellen. Letztere dienen als Identitäts- und Aufenthaltsnachweis (UNHCR 14.1.2022a). Die „Smartcards“ werden somit jenen ungefähr 1,4 Millionen afghanischen Flüchtlingen in Pakistan ausgestellt, die Inhaber einer PoR-Karte sind. Die neuen Karten sind zwei Jahre gültig und technologisch kompatibel mit Systemen, die in Pakistan zur Verifikation der Identität der eigenen Staatsbürger beim Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwendet werden. Zudem werden Fertigkeiten, Bildungsniveau sowie die sozio-ökonomischen Umstände afghanischer Flüchtlinge erfasst. Dies dient – laut Behördenangaben – zur Ermöglichung einer gezielteren Unterstützung in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (VB 6.5.2021; vgl. UNHCR 15.4.2021). Die Implementierungsphase wurde am 31. Dezember 2021 erfolgreich abgeschlossen. Die finale Phase wird im ersten Quartal 2022 durchgeführt. Dabei werden schließlich die neuen „Smartcards“ ausgestellt (UNHCR 14.1.2022a).

Grenzübertritte und Neuankommende

Seit der Machtübernahme der Taliban hat Pakistan Neuzugänge von Afghanistan zurückgedrängt, seine Grenzrestriktionen verstärkt und einige Personen ohne Visa abgeschoben. Viele Afghanen wurden an Grenzen zurückgewiesen, die sie zuvor noch leicht überqueren konnten. Diese Einstellung gegenüber den Neuankommenden spiegelt die Ängste eines Staates wieder, der die Bürde der Unterbringung vieler Flüchtlinge trägt und besorgt über seine eigene nationale Sicherheit ist. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Afghanen für die Regierung und Teile der Öffentlichkeit hinsichtlich ökonomischer Unsicherheit und Extremismus oft als Sündenböcke dienen. Die Möglichkeiten für Afghanen in Pakistan Unterschlupf zu finden, sind begrenzt. Haben sie es geschafft, finden sie sich in prekärer Lage in einem System, das sie offiziell nicht anerkennt. Der pakistanische Innenminister bestritt im September, dass es einen Zustrom von Flüchtlingen gäbe und erklärte, Pakistan würde keine Flüchtlingslager aufstellen (FP 22.11.2021).

Es gibt keine speziellen Maßnahmen für den Einlass von Personen, die um Asyl ansuchen wollen. UNHCR arbeitet daran, dem Thema bei den Behörden Gehör zu verschaffen. Die Grenzen zu Afghanistan sind grundsätzlich nur für jene offen, die Pässe und gültige Visa haben, oder aber für Personen mit Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Behandlung. Beim Grenzübergang Torkham beschränkt man sich auf dieses Vorgehen, während beim Grenzübergang Chaman - dem wichtigsten zu Afghanistan - uneinheitlich vorgegangen wird (UNHCR 15.12.2021). Der Grenzübergang Chaman erlaubt im Normalfall auch visafreien Grenzverkehr von Afghanen aus bestimmten Grenzregionen, doch ist er zeitweise immer wieder auch geschlossen. Der Hauptteil der Grenze zu Afghanistan ist mit einem Zaun gesichert und wird durch die Armee patrouilliert. Dennoch finden Afghanen einen Weg über die Grenze. Familien zahlen z.B. für Identitätspapiere, die sie als Einwohner der Grenzregionen ausweisen (FP 22.11.2021). HRCP kritisiert, dass für die Grenzpatrouillen und die Polizei eine besorgniserregende Unklarheit zum Umgang mit den Ankommenden vorherrscht. Es gibt Berichte über Erpressung von Geld, bevorzugte Behandlungen, Verweigerung der Einreise oder gar Gewalt durch die Behörden (HRCP 22.11.2021).

UNHCR schätzt, dass zwischen Jänner 2021 und Jänner 2022 89.349 Afghanen neu in Pakistan angekommen sind. Davon waren 53 Prozent männlich und 47 Prozent weiblich. 57 Prozent der Neuangekommenen seien demnach Paschtunen, 21 Prozent Hazara und 12 Prozent Tadschiken. 96 Prozent gaben als Grund für die Flucht die allgemeine Gewalt und Unsicherheit an. Die Hauptsorgen von befragten afghanischen Neuangekommenen in Pakistan waren Zugang zu Unterkunft, Lebenserhalt, Lebensmittel und medizinischer Versorgung (UNHCR 11.1.2022).

UNHCR stellt Zertifikate aus, die auch die Neuankommenden als Asylsuchende bestätigen, doch verhandelt es noch mit der pakistanischen Regierung über deren Rechte. Flüchtlingsorganisationen berichten, dass die fehlenden politischen Vorgaben zu den Neuankünften es den Hilfsorganisationen schwierig machen, diesen zu helfen. Sie müssen auf persönliche Netzwerke zurückgreifen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Viele Menschen versuchen aus Angst vor den Behörden, unter dem Radar zu bleiben. Wachsende Ressentiments gegen die Flüchtlinge haben das Problem vergrößert. Seit der Machtübernahme der Taliban haben manche Provinzen Einwohner, welche Afghanen Unterschlupf gewährten, gestraft (FP 22.11.2021).

 

Quelle: UNHCR 11.1.2022

Rückkehr und Abschiebung

UNHCR unterhält in Pakistan zwei Zentren zur Unterstützung einer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, eines in Khyber Pakhtunkhwa und eines in Belutschistan (UNHCR 14.1.2022a). Im Jahr 2021 kehrten zwischen Jänner und Dezember 451 Afghanen freiwillig mit der Unterstützung des UNHCR zurück. 71 Prozent gaben das Fehlen der Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu bestreiten, als Grund das Land zu verlassen an (UNHCR 14.1.2022b).

 

Quelle: UNHCR 14.1.2022b

Fälle zwangsweiser Rückführungen von PoR-Karteninhabern nach Afghanistan sind nicht bekannt, bei ACC-Karteninhabern und insbesondere bei nicht-dokumentierten afghanischen Staatsangehörigen finden diese jedoch statt (AA 28.9.2021). Die Zahl der Abschiebungen nach Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme der Taliban erhöht. Im September und Oktober 2021 wurden laut UNHCR 1.800 Personen zurückgeführt (UNHCR 15.12.2021). Zwischen Juli und September 2021 wurden laut IOM 1.100 Afghanen ohne Aufenthaltspapiere behördlich rückgeführt (IOM 17.11.2021). Im zweiwöchigen Erhebungszeitraum zwischen 5. Dezember und 18. Dezember 2021 wurden 32 Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung behördlich rückgeführt (IOM 29.12.2021).

IOM Pakistan sammelt Daten über die Abwanderung afghanischer Migranten ohne Aufenthaltspapiere an den Grenzübergängen Torkham und Chaman. Demnach kehrten im Zeitraum [nach der Machtübernahme der Taliban] zwischen Juli und September 2021 - zusätzlich zu den behördlich Rückgeführten - 5.960 Afghanen ohne Papiere selbstständig nach Afghanistan zurück. 5.442 davon über den Chaman Grenzübergang, 518 über Torkham. 86 Prozent der befragten Rückkehrer gaben als Zielprovinz Kandahar an (IOM 17.11.2021).

Insgesamt kehrten 24.874 afghanische Migranten ohne Aufenthaltspapiere zwischen Jänner und Dezember 2021 selbstständig an den beiden Grenzübergängen nach Afghanistan zurück. Als Gründe Pakistan zu verlassen („Push-Faktoren“) wurden von 37 Prozent der Befragten die fehlende Möglichkeit, die Unterkunft zu bezahlen, von 26 Prozent die fehlende Möglichkeit die Grundversorgung zu bestreiten und von 22 Prozent eine fehlende Arbeit angegeben. Als Gründe für die Rückkehr nach Afghanistan („Pull-Faktoren“) wurden von 52 Prozent die Möglichkeit von Unterstützung und von 44 Prozent die Wiedervereinigung mit der Familie angegeben. Im zweiwöchigen Erhebungszeitraum zwischen 5. Dezember und 18. Dezember 2021 kehrten 3.627 undokumentierte afghanische Migranten nach Afghanistan zurück, davon 654 über den Grenzübergang Torkham und 2.973 über Chaman. Von den Rückkehrern wurden 11 Prozent als vulnerable Personen eingestuft, hauptsächlich ältere Menschen und chronisch Kranke. In Pakistan gingen von den Rückkehrern 58 Prozent einer Hauptbeschäftigung als ungelernte Arbeitskraft, 23 Prozent als Facharbeiter, 17 Prozent im Handel, 1 Prozent als formellAngestellter und 1 Prozent als Studenten nach. Die drei größten Herausforderungen, die die Rückkehrer in Afghanistan selbst erwarteten, waren, den Lebensunterhalt bestreiten (27 Prozent), in eine neue Stadt ziehen (27 Prozent) und Einkommensmöglichkeiten zu finden (27 Prozent) (IOM 29.12.2021).

 

Quelle: IOM 29.12.2021

Grundversorgung Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Letzte Änderung: 22.03.2022

Allgemeine Wirtschaftsleistung

Pakistan weist eine gemischte Wirtschaft auf, in der Firmen in staatlichem Eigentum für einen großen Anteil des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich sind. Früher überwiegend landwirtschaftlich geprägt, hat sich die Wirtschaft deutlich diversifiziert. Der Handels- und Dienstleistungssektor ist stark gewachsen und trägt heute den größten Anteil an der Wirtschaftsleistung. Die Land-

wirtschaft trägt noch zu einem Fünftel zum BIP bei (EB 11.3.2022). Sie bleibt aber die größte Deviseneinnahmequelle (PBS o.D.a). Handwerk und Produktion sind ebenfalls ein bedeutendes Segment. Der Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP ist gering, doch stark steigend. Eine wichtige Einnahmequelle sind die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis. Die Wirtschaftsleistung schneidet im Vergleich mit vielen anderen Entwicklungsländern gut ab, und Pakistan konnte die letzten Jahrzehnte eine solide Wachstumsrate vorweisen. Gleichzeitig ist die Bevölkerung stark angewachsen, was das Wirtschaftswachstum pro Kopf verringert (EB 11.3.2022). Außerdem weist Pakistan einen sehr großen informellen Wirtschaftssektor auf, dessen Wirtschaftsgröße geschätzt nochmals halb so groß ist, wie das offizielle Bruttoinlandsprodukt. Diese Größe stellt eine Herausforderung für die Planbarkeit von Maßnahmen und für Steuereinnahmen dar (BS 25.2.2022).

Konfrontiert mit der Pandemie fokussierte sich die Regierung auf die COVID-19-Infektionswellen, hat eine Massenimpfkampagne eingesetzt, finanzielle Zuschüsse erhöht und Maßnahmen der Geldpolitik zur Stärkung der Wirtschaft gesetzt. Die Regierung hat auf Mikro-Lockdowns gesetzt, um die Ausbreitung des Virus’ zu begrenzen und gleichzeitig die Fortführung ökonomischer Aktivitäten zu gewährleisten und dadurch den wirtschaftlichen Ausfall abzuschwächen (WB 6.10.2021). Der Regierung gelang es damit, eine relativ effektive Antwort auf die COVID19-Pandemie zu setzen, mit Schul- und Geschäftsschließungen bei gleichzeitiger Ankurbelung von Technologien um „smarte“ [Anm.: partielle, lokal begrenzte] Lockdowns zur Viruseindämmung zu ermöglichen (BS 25.2.2022). Die Rücküberweisungen von Auslandspakistanis über offizielle Kanäle erreichten ein Rekordhoch. Die Produktion hat sich 2021 nach zwei Jahren des Rückgangs etwas erholt, ebenso der Dienstleistungssektor, der 60 Prozent des BIP ausmacht. Durch den sich erholenden heimischen Bedarf wird geschätzt, dass das BIP 2021 um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen ist. Die Inflation bleibt mit 8,9 Prozent erhöht, wenngleich sie sich auch verlangsamt hat. Besonders die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln hat überproportional starke Auswirkungen auf ärmere Haushalte (WB 6.10.2021).

Arbeitsmarkt

Pakistan verfügt laut Schätzung von IOM über 63 Millionen Arbeitskräfte (IOM 30.3.2021). Geschätzt 64 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 (BS 25.2.2022). Das Durchschnittsalter beträgt 22 Jahre, die Bevölkerung wächst jedes Jahr um etwa zwei Prozent. Jährlich streben etwa sechs Millionen Jugendliche auf den Arbeitsmarkt (BMZ o.D.). Das Land steht damit vor der Herausforderung, seiner Bevölkerung berufliche Möglichkeiten zu bieten (BS 25.2.2022).

Landwirtschaft und Fischerei stellen den größten Anteil am Arbeitsmarkt und tragen zum Einkommen für ein breites Segment der Bevölkerung bei (EB 11.3.2022). So stellt die Landwirtschaft laut Angaben des Pakistan Bureau of Statistics die Hälfte aller Beschäftigten (PBS o.D.a). IOM rechnet diesbezüglich mit ca. 37 Prozent der Beschäftigten, tendenziell abnehmend. Der Dienstleistungssektor macht demnach etwa 39 Prozent der Gesamtzahl der Arbeitsplätze aus, die Industrie ca. 24 Prozent - Tendenz steigend (IOM 2021). Handwerk und Produktion sind insbesondere durch die Textilindustrie ein bedeutendes Segment des Arbeitsmarktes. Das Staats--wesen ist traditionell ein Hauptarbeitgeber in Pakistan, dort findet sich ungefähr ein Fünftel der Arbeitskräfte (EB 11.3.2022). 60 Prozent der Arbeitskräfte des Landes sind in der Provinz Punjab konzentriert (IOM 30.3.2021).

Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten, die internationalen Sozialstandards entsprechen, sind allerdings kaum vorhanden: 30 Prozent der arbeitenden Bevölkerung gelten trotz der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns als „Working Poor“, über 70 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse liegen im informellen Sektor (BMZ o.D.). Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt zwischen 15.000 PKR und 30.000 PKR. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei fast 6 Prozent (IOM 2021).

Der pakistanische Arbeitsmarkt wurde außerdem durch die COVID-19-Krise hart getroffen. Das Center for Labor Research schätzt die strukturelleArbeitslosigkeit in Pakistan auf drei bis fünf Millionen, die temporäreArbeitslosigkeit als Folge der Pandemie auf 10,5 Millionen (IOM 30.3.2021). Eine staatliche Erhebung zu den sozio-ökonomischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beziffert die Zahl der arbeitenden Pakistanis vor Ausbruch der Pandemie mit ungefähr 55,74 Millionen. Durch den groß angelegten Lockdown 2020 reduzierte sich die Zahl auf 35,04 Millionen. Nach dem Lockdown erholte sie sich demnach wieder auf 52,56 Millionen. Damit verloren 37 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihre Arbeit zumindest vorübergehend (PBS o.D.b).

Arbeitslosenunterstützung, Berufsförderung

Pakistan verfügt über einige Programme zur Unterstützung Arbeitsloser. Diese beinhalten z.B. eine bezahlte Weiterbildung, die Förderung von Geschäftsgründungen oder auch Programme zur Anstellung im staatlichen Sektor (ILO 1.9.2021). Staatliche Projekte zur Förderung der Berufstätigkeit von Arbeitslosen sind z.B. das PM Youth Business Program oder PM Youth Loan Programs. Über jährliche, von der Regierung sowie durch staatliche und private Banken durchgeführte Projekte werden Darlehen von 500.000 bis 1.000.000 PKR (2.683 bis 5.366 Euro) ermöglicht, um ein Unternehmen zu gründen. Weiters gibt es auch Programme für Absolventen & MA-Pass-Studenten im Punjab und ein spezielles Programm für wissenschaftliche Talente für Absolventen (IOM 30.3.2021). Initiativen der pakistanischen Regierung zur Berufsausbildung sind z.B. die National Vocational & Technical Education Commission und die Technical Education and Vocational Training Authority. Provinzprogramme des Punjab bieten eine Vielzahl von Kursen zur technischen Weiterbildung an. Staatliche Stellen zur Vermittlung von Arbeitsplätzen sind z.B. Career Pakistan oder Small and Medium Enterprises Development Authority (IOM 2021). Weiters zu nennen ist das staatliche Vermittlungsprogramm NEXT, das National Employment Exchange Tool (NEXT o.D.).

Weiters gibt es für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Tameer-e-Pakistan-Programm als Maßnahme zur Armutsbekämpfung, um mehr Einkommensquellen für die Armen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen; ein weiteres Programm unterstützt kleine und mittlere Betriebe vor allem durch Gewährung von Steuerbefreiungen (IOM 30.3.2021). Unter dem Mantel der Pakistan Bait-ul-Maal wurden Women Empowerment Centers im ganzen Land eingerichtet, inklusive Azad Jammu Kaschmir und Gilgit-Baltistan. Diese Zentren bieten kostenfreie Ausbildung für Witwen, Waisen und bedürftige Frauen und Mädchen in Bereichen wie Schneiderei, Sticken und Weben (PASSD 7.2.2021).

Versorgungssicherheit bei Nahrungsmitteln und Wohnraum

Letzte Änderung: 22.03.2022

Nahrungsmittelsicherheit, Armut

Das solide Wirtschaftswachstums trägt dazu bei, dass das hohe Bevölkerungswachstum nicht wie in anderen südasiatischen Ländern zu einem hohen Anteil an absoluter Armut führte. Nichtsdestotrotz lebt ein bedeutender Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (EB 11.3.2022). Pakistan ist es in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen, die Einkommensarmut stark zu senken. Der Anteil der Armen an der Bevölkerung hat sich laut Weltbank von 57,9 Prozent im Jahr 1998 auf 21,9 Prozent 2018 reduziert (BMZ o.D.). Laut dem Bertelsmann Transformations Index lebten 2020 geschätzt 24,3 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und 38,4 Prozent waren von multidimensionaler Armut nach den Kriterien des UNDP betroffen (BS 25.2.2022). Im letzten Human Development Index 2020 von UNDP, der 189 Staaten umfasst und Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Einkommen im internationalen Vergleich misst, liegt Pakistan auf Rang 154 (UNDP 15.12.2020).

Verschärft wird die Situation durch einen scharfen Kontrast zwischen der relativen Prosperität der industrialisierten Regionen um Karatschi und Lahore und der Armut in den semi-ariden Gebieten in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (EB 11.3.2022). So gibt UNDP die Armutsrate für Belutschistan und in den Newly Merged Districts von Khyber Pakhtunkhwa (ehemalige FATA) mit 70 Prozent an. Im Vergleich dazu weisen die reichsten Bezirke Pakistans im Norden und in der Mitte des Punjabs eine Armutsrate von unter 10 Prozent auf (UNDP 6.4.2021).

Die Landwirtschaft konnte bedeutend modernisiert werden (EB 11.3.2022). Pakistan hat sich zu einem Land mit einer Überschussproduktion an Nahrungsmittel entwickelt und ist ein wichtiger Produzent von Weizen. Dieser wird zwar über verschiedene Mechanismen, unter anderem das World Food Programme, auch an eigene bedürftige Bevölkerungsgruppen verteilt, doch zeigte die nationale Ernährungssicherheitserhebung von 2018, dass 36,9 Prozent der Bevölkerung mit Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert sind. Im Wesentlichen ist dies auf einen eingeschränkten Zugang der ärmsten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen, besonders Frauen, zu ausreichender Ernährung zurückzuführen. Die Studie zeigte auch die zweithöchste Rate an Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren in der Region. 18 Prozent der Kinder unter 5 Jahren leiden an akuter Mangelernährung, 40 Prozent sind unterentwickelt und 29 Prozent untergewichtig. Es gibt eine starke Korrelation zwischen dem Bildungsniveau von Mädchen und allen Formen der Unterernährung. Doch gerade der Zugang der Mädchen zu Bildung, insbesondere in Gebieten, die an Afghanistan grenzen, und in Belutschistan bleibt eine Herausforderung. Außerdem sind aufgrund sozialer und kultureller Normen und Praktiken Frauen und Mädchen mit Schwierigkeiten beim Zugang zu humanitärer Unterstützung konfrontiert (WFP o.D.).

Ein durchschnittlicher pakistanischer Haushalt wendet 50,8 Prozent seines monatlichen Einkommens für Nahrungsmittel auf (WFP o.D.). Aufgrund der COVID-19-Pandemie bzw. des Lockdowns 2020 hatten 53 Prozent aller pakistanischen Haushalte Einkommensverluste zu verzeichnen. Am stärksten betraf dies Khyber Pakhtunkhwa, wo 64 Prozent von Einkommensverlusten betroffen waren, hier wiederum besonders stark in den städtischen Regionen. Den Punjab betraf es mit 49 Prozent (PBS o.D.b).

Der Verlust des Einkommens und der Anstieg der Nahrungsmittelpreise während der Pandemie bedeuteten für viele Menschen, die vorher nicht als armutsanfällig gesehen wurden, dass eine ausreichende Ernährung unleistbar wurde. Besonders betroffen waren Personen, die auf Tagelohnbasis und im informellen Sektor arbeiten, aber es betraf auch Angestellte im Privatsektor, wo in einigen Bereichen über Monate keine Löhne ausbezahlt wurden (WFP 1.2.2022). Von starker Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung betroffen waren laut einer staatlichen Studie während des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie 2020 10 Prozent der Haushalte gegenüber 3 Prozent bei der letzten Erhebung von 2018/2019; von einer moderaten Versorgungsunsicherheit betroffen waren 30 Prozent im Vergleich zu 13 Prozent davor. 60 Prozent der Haushalte konnten ihre Versorgungssicherheit beibehalten (PBS o.D.b). Die Regierung reagierte auf die Krise mit der Einführung des Ehsaas Emergency Cash Programme im April 2020 (WFP 1.2.2022).

Wohnraum

Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass ein Wohnraummangel herrscht, besonders in den Städten. Außerdem wird Wohnraum oft als kaum erschwinglich bezeichnet, zum einen aufgrund der Armut, zum anderen aufgrund des Mangels an formaler Wohnraumfinanzierung. Die Mehrheit des Wohnraums findet sich somit in Slums, meist in informellen Siedlungen. 30 bis 50 Prozent der Stadtbewohner leben nach Schätzungen in Slums. Laut UNHABITAT sind andererseits 74 Prozent der Stadtbewohner auch Eigentümer ihrer Unterkunft und Städte mit einem großen Anteil an Staatsdienern, wie Islamabad, verfügen über einen großen Anteil an mietfreiem oder stark subventioniertem Wohnraum (UKHO 6.2020).

Konkret wird der Mangel an Wohneinheiten auf 12 Millionen Einheiten geschätzt, wobei der Bedarf im Vergleich zum Angebot weiterhin hoch bleibt. Die Regierung hat Maßnahmen eingeführt, um die Möglichkeit der Finanzierung zu erhöhen, speziell für niedrig- bis mittelpreisige Wohneinheiten. Die Förderungen wurden erhöht, Regelungen für die Vergabe von Finanzierungen gelockert und die Dauer für die Rückzahlung verlängert (TET 27.2.2022).

IOM berichtet, dass in Großstädten Wohnungen und Einzelhäuser zwar leicht verfügbar sind, aber die Miet- und Nebenkosten, insbesondere für Strom und Gas, sehr hoch sind. In ländlichen Gebieten und am Stadtrand kleinerer Städte sind allerdings Wohnungsmöglichkeiten nicht nur kostengünstig, sondern auch zahlreich vorhanden (IOM 2021).

Sozialwesen

Letzte Änderung: 22.03.2022

Soziale Wohlfahrt

Pakistan unterhält einige Programme für soziale Wohlfahrt, die auf das Bereitstellen eines rudimentären sozialen Sicherheitsnetzes für die Bürger ausgerichtet sind. Staatliche Schulen und Krankenhäuser bieten eine hoch subventionierte Bildung und Gesundheitsversorgung und Einrichtungen wie Pakistan Bait-ul-Mal verteilen wohltätige Beiträge, die über Steuern eingenommen werden. Doch die Versorgung mit effektiven öffentlichen Dienstleistungen ist aufgrund ernster Kapazitätsengpässe schwach (BS 25.2.2022). Die staatlichen Systeme sozialer Sicherung sind schwach entwickelt und völlig unterfinanziert. Die Notwendigkeit von Investitionen u. a. in Bildung, berufliche Entfaltung und soziale Absicherung wird den pakistanischen Eliten allerdings immer mehr bewusst (BMZ o.D.).

Während ernste Herausforderungen weiterhin bestehen, gibt es auch Fortschritte im Bereich der öffentlichen sozialen Wohlfahrt. Das 2008 eingeführte Benazir Income Support Program (BISP) ist ein auflagenfreies Geldtransferprogramm zur Armutsreduktion, das auf Frauen fokussiert ist. Die Regierung hat als Erweiterung des BISP das Ehsaas Programm eingeführt, das während der ersten Welle der Covid-19-Pandemie zum Einsatz kam. Es agiert ebenfalls als Geldtransferprogramm und beinhaltete für das Jahr 2020 monatliche Geldzahlungen an 15 Millionen vulnerable Haushalte (BS 25.2.2022). Es verstärkte das BISP, indem es die Kriterien zur Anspruchsberechtigung erweitert und somit mehr Menschen miteingeschlossen hat (WFP 1.2.2022). Laut einer Evaluierung der Weltbank erreichten die Notfallzahlungen des EhsaasProgrammes knapp über 100 Millionen Menschen und waren damit von der Reichweite das viertgrößte Programm weltweit (WB 14.5.2021).

Ehsaas wurde dauerhaft als Schirmorganisation eingerichtet, bei der das BISP nur noch eine von 34 Verwaltungseinheiten darstellt (TET 11.7.2021). Als zentrale, für soziale Wohlfahrt zuständige Stelle, wurde die „Poverty Alleviation and Social Safety Division“ eingerichtet, die im allgemeinen Gebrauch auch Ehsaas-Ministerium genannt wird. Zuvor waren für einzelne soziale Programme unterschiedliche Einrichtungen bei verschiedenen Ministerien zuständig, diese wurde nun gebündelt. So wurden die bestehenden Schemen der staatlichen sozialen Wohlfahrt Zakat und Ushr, das BISP und Pakistan Bait-ul-Mal in die Struktur eingegliedert. Die Leistungen umfassen damit Stipendien, Katastrophenhilfe, verschiedene Geldtransferprogramme, Waisenheime, Suppenküchen, zinsfreie Kredite, Unterstützungsleistungen für Behinderte und bedürftige Frauen, Nahrungsmittelhilfen für Mütter und Kinder, Förderungen für bedürftige religiöse Minderheiten und mit der „Sehat Karte“ eine Gesundheitsversicherung für Bedürftige.

Insgesamt verfügt Ehsaas über mehr als 260 Einzelprogramme (PASSD 7.2.2021).

 

Quelle: PASSD 7.2.2021

Ein Programm enthält eine monatliche Zahlung von 2.000 Rupien [ca. 10 Euro] an ärmere Familien mit einem behinderten Familienmitglied. Es umfasst 2 Millionen Familien. In einem weiteren werden 80.000 zinsfreie Kleinkredite für ärmere Haushalte zur Eröffnung von Geschäften vergeben, die Hälfte davon ist für Frauen reserviert (TET 11.7.2021). Das Ehsaas Waseela-e-Taleem Programm ist darauf ausgerichtet, den Grundschulzugang für Kinder ärmerer Familien zu fördern, indem es eine quartalsmäßige Beihilfe für jedes Kind von Ehsaas-Empfängern, das die Schule besucht, leistet. Buben erhalten in der Primarstufe 1.500 Rupien, in den Sekundarstufen 2.500 Rupien, Mädchen jeweils 500 Rupien mehr. Für die höheren Stufen erhöhen sich die Beihilfen. So erhielten 2021 nach offiziellen Angaben eine Million Schüler der Grundschule, 500.000 der Sekundarstufe und 225.000 Schüler der höheren Stufen diese Beihilfe (TET 19.7.2021).

Mit Abschluss der Entwicklung der nationalen sozio-ökonomischen Registrierung können nun Daten zu den sozialen Bedingungen erhoben und auf deren Grundlage die Förderungswürdigkeit bestimmt werden. Man kann auch selbstständig eine Registrierung beantragen, falls man nicht erfasst wurde (PASSD 1.2022). Die Erhebung der Bedürftigkeit und Anspruchsberechtigung geschieht über die Bürgerkarte der NADRA (PPI o.D.; vgl. WFP 1.2.2022).

Die Geldtransferprogramme sind ein wichtiges Mittel zur Armutsreduktion, auch wenn ihre Nachhaltigkeit Fragen offen lässt. Das Ehsaas-Programm stellt eine bedeutende Ausdehnung des Benazir Bhutto Income Program dar, das auf ganz Pakistan angewendet wird. Es ist damit eine signifikante Erweiterung des Systems der sozialen Wohlfahrt, doch Verbesserungen in anderen Formen der Wohlfahrt blieben begrenzt (BS 25.2.2022).

Leistungen der Sozialversicherung, staatliche Altersversorgung

Mitarbeiter der Bundes- und Provinzregierungen, der Regierung von Azad Jammu & Kaschmir, der Streitkräfte und der halbstaatlichen / autonomen Einrichtungen sind rentenberechtigt (IOM 2021). Alle Staatsbediensteten erhalten damit bei Eintritt in den Ruhestand eine Pension, ebenso Mitarbeiter von Unternehmen, die bei der Employees’ Old Age Benefits Institution registriert sind (ILO 2019). Im Pensionssystem sind Angestellte von Unternehmen mit mehr als fünf Personen erfasst. Pensionsberechtigt sind Männer ab 60 und Frauen ab 55 Jahren mit mindestens 15 Beitragsjahren (USSSA 3.2019). Das Rentensystem bietet den Versicherten oder ihren Hinterbliebenen folgende vier Arten von Leistungen: Altersrente oder gekürzte Rente, Hinterbliebenenrente, Invaliditätsrente und Altersbeihilfe, wenn ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Rente hat. Da nur Arbeitskräfte des formellen Sektors Anspruch auf Renten haben, kann nur ein kleiner Teil der Bevölkerung im fortgeschrittenen Alter die Vorteile des Rentensystems in Anspruch nehmen. Die ältere Bevölkerung, die im informellen Sektor arbeitet, bekommt diese Sozialversicherungsleistungen nicht (IOM 2021).

Einige Altersheime werden in den größeren Städten über das staatliche Pakistan Bait-ul-Maal bzw. die Departments für Soziale Wohlfahrt der Provinzen betrieben. Bedürftige ältere Personen gehören auch zu den Gruppen, die Anspruch auf Leistungen aus dem Zakat-System haben, doch im Allgemeinen ist das Sozialsystem für Ältere begrenzt (ILO 2019).

Pakistan hat auf Ebene der Provinzen Schemen einer Arbeitsunfallversicherung eingeführt. Die Abdeckung ist allerdings ebenfalls begrenzt, zum einen aufgrund der Struktur desArbeitsmarktes mit einem hohen Anteil an Arbeitskräften in der informellen Wirtschaft, sowie zum anderen durch Anstellungspraktiken, die häufig eine Minderregistrierung oder keine Registrierung der Arbeiter aufweisen (ILO 1.9.2021).

In den Provinzen sind Employees’ Social Security Institutions (ESSIs) eingerichtet. Sie bieten Renten für die Familien von Arbeitnehmern, die bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen sind. Finanziert durch eine zusätzliche Abgabe von 6-7 Prozent der Lohnsumme, die vom Arbeitgeber gezahlt wird, bieten die ESSIs Mutterschafts- und Krankheitsleistungen, Leistungen bei Invalidität und Verletzungen. Einige Dienstleistungen für gering bezahlte Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen werden ebenfalls durch die ESSI angeboten. Der Workers’ Welfare Fund stellt Wohnkolonien für Arbeiter in Industriegebieten bereit und betreibt Fair-Price-Shops in Industriegebieten mit ermäßigten Preisen (ILO 2019).

Die bestehenden Sozialversicherungssysteme schließen die Beschäftigten in der informellen Wirtschaft aus, indem sie nur die Beschäftigten in der formellen Wirtschaft abdecken. Das DWCP (Decent Work Country Programme) (2016-22) soll die Herausforderung angehen, die bestehenden Sozialschutzsysteme zu erweitern und nachhaltiger zu gestalten. In Zusammenarbeit mit der ILO wurde eine Einheit innerhalb des Ehsaas-Programmes eingesetzt (Labour Social Protection Expert Group, Mazdoor ka Ehsaas), die an der Einbeziehung der Arbeitskräfte in der informellen Wirtschaft in das Sozialversicherungssystem arbeitet (ILO o.D.; vgl PASSD 7.2.2021). Pilotprojekte zur Gesundheitsversicherung der ärmeren Bevölkerung wurden in Khyber Pakhtunkhwa und Gilgit Baltistan mithilfe der German Development Bank (KfW) umgesetzt und auf ganz Pakistan ausgedehnt. Es ist damit eines der weltweit größten Gesundheitsversicherungsschemen für die ärmere Bevölkerung (OPM o.D.). Die Provinzregierung von Khyber Pakthunkhwa hat mit einem Projekt begonnen, das auf eine Gesundheitsversicherung für alle Einwohner der Provinz zielt (BS 25.2.2022).

Private Wohlfahrtsleistungen

Die Edhi Foundation ist die größte private Wohlfahrtstiftung Pakistans und eine der größten weltweit. Das Leistungsspektrum umfasst u.a. Fortbildungen für Arbeitslose, Hilfe für Obdachlose, Heime für Waisen, Behinderte, misshandelte Frauen und Senioren, Rettungswägen, kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe oder Hilfsmaßnahmen bei Naturkatastrophen (Edhi o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Bezirken der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden. Sie ist damit die größte Entwicklungshilfeorganisation für die ländliche Region in Pakistan (NRSP o.D.b).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 22.03.2022

Der Gesundheitssektor des Landes ist gleichermaßen durch ein Stadt-Land-Gefälle in der Gesundheitsversorgung und ein Ungleichgewicht bei den Arbeitskräften im Gesundheitswesen gekennzeichnet. Es mangelt an medizinischen Fachkräften, Krankenschwestern, Sanitätern und qualifiziertem Gesundheitspersonal, insbesondere in den Randgebieten (TSOP 2020). Trotz einer ausgefeilten und umfangreichen Gesundheitsinfrastruktur leidet die Gesundheitsversorgung unter einigen zentralen Problemen wie dem hohen Bevölkerungswachstum, der ungleichen Verteilung der medizinischen Fachkräfte, dem Mangel an Arbeitskräften, der unzureichenden Finanzierung und dem begrenzten Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten (WHO o.D.).

Insgesamt basiert das System der Gesundheitsversorgung in Pakistan auf zwei Hauptsäulen, zu denen öffentliche und private Gesundheitseinrichtungen gehören (IOM 30.3.2021; vgl. WHO o.D.) - wobei in den privaten, anders als in den öffentlichen, entsprechende Kosten für die Behandlung anfallen (IOM 30.3.2021). Nach der Verfassung fällt das Gesundheitswesen in erster Linie in die Zuständigkeit der Provinzregierung, außer in den auf Bundesebene verwalteten Gebieten. Die Gesundheitsversorgung wird traditionell von der Bundes- und der Provinzregierung gemeinsam verwaltet, wobei die Distrikte hauptsächlich für die Umsetzung verantwortlich sind. Der Staat stellt die Gesundheitsversorgung über ein dreistufiges Gesundheitssystem und eine Reihe von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sicher. Die erste Ebene zur primären medizinischen Versorgung umfasst Stellen zur medizinischen Grundversorgung („basic health units“) und ländliche Gesundheitszentren („rural health centers“). Notfall-, ambulante und stationäre Versorgung wird auf der sekundären Versorgungsebene durch Tehsil Headquarter Hospitals (THQs) und District Headquarter Hospitals (DHQs) angeboten, auf tertiärer Versorgungsebene auch durch Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.).

Die Aktivitäten des öffentlichen Gesundheitswesens haben in Bezug auf die materielle Infrastruktur und das Personal stetig zugenommen. Die nationale Gesundheitsinfrastruktur umfasst 1.201 Krankenhäuser, 5.518 Stellen zur medizinischen Grundversorgung („basic health units“), 683 Gesundheitszentren für den ländlichen Raum, 5.802 Apotheken („dispensaries“), 731 Zentren für Mutterschaft und Kindergesundheit sowie 347 Tuberkulosezentren. Darüber hinaus bieten mehr als 95.000 Gesundheitshelferinnen in sogenannten „health houses“ eine medizinische Grundversorgung an. Angesichts der wachsenden Bevölkerung versucht der private Sektor, die Lücke zwischen der steigenden Nachfrage und den begrenzten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zu schließen. Die Zahl der privaten Krankenhäuser, Kliniken und Diagnoselabors hat erheblich zugenommen. Sogenannte stand-alone clinics - meist von Einzelnen betrieben - sind die wichtigsten Anbieter ambulanter Gesundheitsversorgung (WHO o.D.).

In öffentlichen Krankenhäusern kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann.Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z. B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA28.9.2021). Das Ministerium für nationale Gesundheitsdienste, Regulierung und Koordination hat in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation und der Marie Stopes Gesellschaft Pakistan das „Sehat Sahulat Programm“ ins Leben gerufen (WHO 31.8.2021; vgl. Dawn 18.1.2022) - ein Pilotprojekt zur Krankenversicherung für ambulante Patienten im Hauptstadtgebiet von Islamabad (WHO 31.8.2021), wobei bis Ende 2021 das Programm ausgeweitet wird, sodass auch alle ständigen Einwohner des Hauptstadtgebiets von Islamabad (ICT), Punjab und Gilgit-Baltistan in den Genuss der Initiative kommen (TNI 12.11.2021). Im Rahmen des Pilotprojekts werden ambulante Leistungen der primären Gesundheitsversorgung durch Allgemeinmediziner unter Verwendung des Essential Package of Health Services erbracht, einschließlich Leistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und der Familienplanung (WHO 31.8.2021). Die Initiative bietet der allgemeinen Bevölkerung aus unteren sozio-ökonomischen Schichten die Möglichkeit, ihre privaten Krankenhauskosten von der Regierung übernehmen zu lassen. Die „Sehat Insaaf Card“ (auch Qaumi Sehat Card), ist für jeden erhältlich, der unterhalb der Armutsgrenze lebt (d. h., mit einem Einkommen von weniger als 2 US-Dollar (1,68 Euro) pro

Tag. Die Karte ist ein Jahr gültig (IOM 30.3.2021; vgl. Dawn 18.1.2022). Sie deckt die kostenlose Behandlung von fast allen wichtigen Krankheiten ab und bietet auch eine individuelle Finanzhilfe für Personen mit schweren Krankheiten/Behinderungen, Witwen und Invaliden mit unterhaltsberechtigten Kindern, Waisen, Studenten mit nachgewiesenen und beständigen akademischen Leistungen und mittellose Personen. COVID-19-Tests in ausgewiesenen Testeinrichtungen des öffentlichen Sektors werden kostenlos angeboten, in privaten Testeinrichtungen sind sie jedoch kostenpflichtig (IOM 30.3.2021). Im Rahmen des Programms erhalten die angemeldeten Familien kostenlosen Zugang zu Gesundheitsdiensten in zugelassenen Krankenhäusern - die Leistungen werden über Qaumi Sehat Cards erbracht und unterstützt Krankenhausaufenthalte und die Behandlung chronischer Krankheiten. Es handelt sich um ein bargeldloses Programm, bei dem die Begünstigten nur die Karte benötigen, um Leistungen in Anspruch zu nehmen. Bis Ende 2021 waren insgesamt 13,26 Millionen Familien eingeschrieben und mehr als 800.000 Begünstigte haben Leistungen von über 600 zugelassenen Krankenhäusern, einschließlich Privatkliniken, in ganz Pakistan in Anspruch genommen (Dawn 18.1.2022). Das Ministerium für Gesundheitsdienste meldete im Januar 2022, dass die Zahl der Krankenhäuser, die Teil des „Sehat Sahulat-Programms“ sind, bis März 2022 auf 1.000 erhöht werden soll (DT 11.1.2022). Da Sindh und Belutschistan das Programm jedoch [Anm.: mit Stand Jänner 2022 noch] nicht übernommen haben, gilt eine große Zahl von Menschen, deren Eltern, in einigen Fällen auch Großeltern, in den 1960er Jahren nach Islamabad kamen, immer noch nicht als Einwohner in der Stadt, da ihre ständigen Adressen in Sindh und Belutschistan auf ihren CNICs (Computerised National Identity Card) eingetragen sind. Der Sprecher des Ministeriums für nationale Gesundheitsdienste (NHS), sagte, dass die Gesundheitskarten unter Berücksichtigung der auf den CNICs vermerkten ständigen Adressen ausgestellt würden, es jedoch für jene Personen die über Eigentum in Islamabad verfügen möglich sei, ihre ständige Adresse ändern zu lassen (Dawn 18.1.2022).

Die nicht-staatliche Entwicklungshilfeorganisation Aga Khan Development Network (AKDN) betreibt landesweit über 450 Kliniken, fünf weiterführende Krankenhäuser in Karatschi, Hyderabad und Gilgit sowie das Aga Khan University Hospital in Karatschi. Darüber hinaus arbeitet die Aga Khan Foundation mit lokalen Regierungen zusammen, um eine Reihe von gesundheitsbezogenen Initiativen zu unterstützen, die den Zugang zur medizinischen Grundversorgung verbessern sollen (AKDN o.D.). Einige staatliche/halbstaatliche Organisationen wie die Streitkräfte, halbstaatliche Unternehmen wie Sui Gas, WAPDA, die Eisenbahn, die Fauji Foundation und die Employees Social Security Institution, bieten ihren Mitarbeitern und deren Angehörigen Gesundheitsdienste über ihr eigenes System an, die jedoch insgesamt nur etwa 10 % der Bevölkerung abdecken (WHO o.D.).

In der Stadt Quetta in der Provinz Belutschistan hat die Polizei im November 2021 19 Ärzte festgenommen, weil sie eine Verbesserung der Bedingungen in den öffentlichen Krankenhäusern, Medikamente für die Patienten und moderne medizinische Ausrüstung und die Sicherheit von Ärzten und paramedizinischem Personal gefordert hatten (Dawn 29.11.2021).

Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt. Hierfür muss in Pakistan nur ein Bruchteil der in Deutschland anfallenden Kosten aufgewendet werden, sodass sie für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich ist (AA 28.9.2021).

Psychische Gesundheitsprobleme sind in Pakistan ein Tabuthema, über das man nicht spricht. Dies wirkt sich ungünstig auf die Qualität der Versorgung von Menschen aus, die an psychischen Krankheiten leiden. Scham aufgrund von psychischen Problemen sowie Vorurteile gegenüber Patienten und Familien halten Menschen davon ab, psychologische Hilfe und psychiatrische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Zudem genießt die psychische Gesundheit keine hohe Priorität.Außerdem ist es durchaus üblich, sich bei körperlichen oder psychischen Erkrankungen an spirituelle oder traditionelle Heiler zu wenden, da die Menschen psychische Erkrankungen in der Regel als Folge übernatürlicher Einflüsse wahrnehmen. So genannte Glaubensheiler sind in Pakistan eine wichtige Quelle für die Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen, insbesondere für Frauen und Menschen mit geringer Bildung (TSOP 2020).

In Pakistan sind etwa 400 qualifizierte Psychiater tätig. Die meisten Psychiater gibt es in Städten, obwohl im ganzen Land auch Stellen für Bezirkspsychiater geschaffen wurden. Der Mental Health Atlas 2017 der WHO berichtet, dass es nur vier große psychiatrische Krankenhäuser im Land gibt, mit 344 stationären Einrichtungen und 654 psychiatrischen Einheiten in allgemeinen Krankenhäusern (TSOP 2020). Der Mangel an Psychiatern in peripheren Regionen sowie die Kosten der Behandlung sind für durchschnittliche Menschen unleistbar (Dawn 13.5.2019; vgl. Dawn 31.12.2020). Abseits davon ist beispielsweise die Telefonseelsorge Talk2Me kostenlos und rund um die Uhr erreichbar und führt 75-90 psychologische Beratungen pro Woche durch (Dawn 13.5.2019).

Anm.: Weitere Informationen zur Lage betreffend Covid-19 sind dem Kapitel „Covid-19“ zu entnehmen.

Rückkehr

Letzte Änderung: 22.03.2022

Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischen Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 28.9.2021). Für pakistanische Staatsangehörige gibt es keine Einreisebeschränkungen, wenn sie freiwillig zurückkehren wollen (IOM 30.3.2021). In den meisten Fällen geschieht die Ausreise mit gültigen Reisepapieren. Freiwillige Rückkehrer mit gültigen Reisedokumenten werden von den Grenzbehörden wie alle anderen Pakistani, die aus dem Ausland einreisen, behandelt. Zwangsweise Rückgeführte erregen mehr Aufmerksamkeit und wenn vermutet wird, dass die Ausreise illegal war, werden sie von den Grenzbehörden befragt. Wenn keine Vorwürfe vorliegen, wird die Person normalerweise nach einigen Stunden entlassen (DFAT 25.1.2022).

Zurückgeführte haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags weder mit staatlichen Repressalien noch mit gesellschaftlicher Stigmatisierung zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die pakistanischen Behörden erfragen lediglich, ob die Rückkehrer Pakistan auf legalem Weg verlassen haben. Im Falle einer illegalen Ausreise ist grundsätzlich eine Geld- oder Haftstrafe, bis zu sechs Monate, möglich (AA 28.9.2021). Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani nämlich mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration IOM werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um Schmiergelder zu zahlen, wurden in einigen Fällen inhaftiert (ÖB 12.2020). Nach einem anderen Bericht werden Personen, die illegal ausgereist sind, in Haft genommen und normalerweise nach einigen Tagen bei Bezahlung einer Strafe entlassen. Personen, die aufgrund eines Verbrechens in Pakistan gesucht werden oder im Ausland eine schwere Straftat begangen haben, werden verhaftet oder müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden (DFAT 25.1.2022). Dem deutschen Auswärtigen Amt ist kein Fall bekannt, in dem aus Deutschland abgeschobene pakistanische Staatsangehörige inhaftiert wurden. Aus Ländern wie der Türkei und aus den Staaten der Europäischen Union finden regelmäßig Abschiebungen nach Pakistan statt (AA 29.8.2021).

Personen, die nach Pakistan zurückkehren, erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z.B. das European Return and Reintegration Network (ERRIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 28.9.2021). Derzeit gibt es keine von IOM Österreich durchgeführten Reintegrationsprojekte in Pakistan. Allerdings können freiwillige Rückkehrer aus Österreich nach Pakistan durch das ERRIN-Projekt unterstützt werden. Dieses wird von einer NGO in Pakistan durchgeführt und bietet freiwillig und zwangsweise rückgeführten Personen Wiedereingliederungshilfe an, abhängig von ihrer Berechtigung, die von dem jeweiligen europäischen Land festgelegt wird. Einige Organisationen helfen bei der Gründung von Kleinunternehmen, indem sie finanzielle Unterstützung für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, in Form von Krediten oder Mikrokrediten unterstützen, z. B. die KASHF-Stiftung oder die Jinnah Welfare Society (IOM 30.3.2021).

Dokumente

Letzte Änderung: 22.03.2022

Für eine Beschreibung der wichtigsten Arten der Identitätsnachweise sowie der Registrierungsprozesse siehe Kapitel Registrierungswesen

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weitverbreitetes Phänomen, v. a. von manuell angefertigten Dokumenten. Um gefälschte Dokumente zu erlangen, werden meist Bestechungsgelder bezahlt und/oder politischer Einfluss bzw. Kontakte von Familie und Freunden genutzt. Manche Dokumente sind sogar online oder in Märkten erhältlich. Folgende Dokumente werden regelmäßig gefälscht: Zeugnisse, akademische Titel, Empfehlungsschreiben, Geburts-, Todes-, Heirats- und Scheidungsurkunden, finanzielle Belege/Bestätigungen bzw. Kontoauszüge, Besitzurkunden, polizeiliche Dokumente (u. a. First Information Reports / FIRs), Einreise- und Ausreisestempel in Reisepässen sowie ausländische Visa. Überprüfungen treffen auf Herausforderungen. Vielfach sind Dokumente zwar nicht komplett gefälscht, aber wurden nicht ganz richtig ausgestellt; von verspäteten Eintragungen oder Änderungen sollte z.B. von den Behörden eine Kopie gemacht werden, was nicht immer der Fall ist. In manchen Städten (insbesondere in Gujranwala, Gujrat und Sialkot) kennen die zuständigen Beamten die zu überprüfenden Personen und nehmen Bestechungsgelder an. Darüber hinaus werden mitunter auch vermeintlich echte und in die Register eingetragene Urkunden ausgestellt, die jedoch inhaltlich nicht oder nur zum Teil richtig sind (z. B. Heiratsurkunden) (ÖB 12.2020).

Die Zahl der vorgelegten inhaltlich ge- oder verfälschten antragsbegründenden Unterlagen ist sehr hoch. Angesichts weitverbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, einen fiktiven Standesfall (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf Basis dieser Eintragung eine formal echte Urkunde ausgestellt zu bekommen. Ebenso leicht lassen sich Verfälschungen einzelner Fakten tatsächlicher Personenstandsfälle (z. B. Geburtsdatum) in den Personenstandsregistern erreichen, um damit echte standesamtliche Urkunden zu erhalten, deren Inhalt der tatsächlichen Faktenlage nur teils entspricht. Merkmale auf einigen modernen Personenstandsurkunden zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können so mühelos unterlaufen werden. Die Passbehörden haben mit dem Aufbau eines zentralen Passregisters unter Erfassung einzelner Biometrie-Merkmale und der Einführung fälschungssicherer Reisepässe die Fälschung von Pässen theoretisch deutlich erschwert. Die eingebauten Sicherheitssysteme versagen allerdings, da sie bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte unterlaufen werden können. Im Übrigen zirkulieren aufgrund der Urkundenproblematik zahlreiche echte Identitätsdokumente falschen Inhalts (AA 28.9.2021).

Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z. B. FIR) dann formal echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert

wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen (AA 28.9.2021).

Flutkatastrophe

Die diesjährigen Monsun Regenfälle erreichten – mit der 3 bis 5-fachen Menge des 30-Jahresdurchschnitt – ein noch nicht dagewesenes Ausmaß (PPAF 7.10.2022). Mit Ende der Monsun Saison sind die Regenfälle und Überschwemmungen am Zurückweichen. In den meisten Distrikten Belutschistans sind die Wasserstände bereits auf ihr normales Niveau zurückgefallen. In 18 der 22 Distrikte des Sindh sind sie zwar ebenfalls gesunken, allerdings sind weite Teile der Provinz noch überflutet (UNOCHA 1.10.2022). Behörden warnen, dass es bis zu 6 Monate dauern kann, bis sich die Wassermassen vollständig zurückgezogen haben (IFRC 4.10.2022).

Was die aktuelle Situation im Zusammenhang mit den großflächigen Überschwemmungen anlangt, so sind von den ca. 220 Millionen Einwohnern Pakistans ca. 30 Millionen betroffen, von diesen wiederum ca. 6.6 Millionen schwer. Am stärksten betroffen sind mit Abstand die beiden Provinzen Sindh und Belochistan.

1.700 Menschen wurden von den Fluten getötet, 12.800 verletzt, eine halbe Million Menschen wurde intern vertrieben. Beinahe 17 Millionen km2 Anbaufläche wurden zerstört und über eine Million Nutztiere getötet (UNHCR 5.10.2022). An die 2.000 Gesundheitseinrichtungen (WHO 5.10.2022), mehr als 2 Millionen Häuser, 13.000 Kilometer an Straßen und über 25.000 Schulen wurden vollständig zerstört oder beschädigt. Mehr als 7.000 Schulen werden derzeit als Unterkünfte verwendet (UNOCHA 1.10.2022).

Die Zerstörung von Infrastruktur zur Wasserversorgung und Sanitäreinrichtungen ließ Schätzungen zufolge 5,5 Millionen Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser zurück (UNICEF 7.10.2022). Die Wassermassen kontaminierten das Trinkwasser, schneiden die Wege zu Gesundheitseinrichtungen ab und dienen als Brutstätte für Moskitos: Malaria, Dengue Fieber und andere Krankheiten breiten sich aus (Malteser 7.10.2022). Nach Angaben von Gesundheitsbehörden mussten seit Juli 3,5 Millionen Menschen in Sindh, der am stärksten betroffenen Provinz aufgrund von Krankheiten behandelt werden, die sich über das Wasser ausbreiten, wie Malaria, Cholera oder Dengue-Fieber (N-TV 4.10.2022). 17.285 Fälle von Malaria wurden im Sindh bestätigt (Gandhara 3.10.2022).

Seitens der pakistanischen Regierung werden Maßnahmen zur Linderung der Auswirkungen ergriffen, wie zb die Errichtung von Auffanglagern, Bereitstellung von Trinkwasser, Nahrung, Unterstützung durch Zahlungen für die am stärksten betroffenen Gebiete. Ebenso finden auf internationaler Ebene Hilfszahlungen statt.

(Quellen: OCHA: PAKISTAN: 2022 Monsoon Floods, Situation Report No. 6, 16.09.2022; Pakistan Floods 2022 Bi-Weekly Highlights Update #5 16.09.2022; Kurzinformation der Staatendokumentation, Pakistan Bilanz der Monsunflut 11.10.2022)

Zur aktuell vorherrschenden Situation aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ ; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; www.oesterreich.gv.at/ )

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch die vorliegenden Verwaltungsakten Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Ergänzend nahm das BVwG in tagesaktuelle länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der BF Einsicht, welche in den verfahrensrelevanten Teilen als notorisch bekannt vorausgesetzt werden können.

Die Feststellungen zur Person der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, den vorgelegten Dokumenten sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.

Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).

II.2.2. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348). Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschieberelevanten Situation ist seit Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht eingetreten.

Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste. Die Erstbehörde hat sich mit dem individuellen Vorbringen auseinandergesetzt.

Die BF traten den Quellen und deren Kernaussagen, welche in den Länderfeststellungen getroffen wurden, nicht konkret und substantiiert entgegen.

In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist.

Im Rahmen der oa. Ausführungen ist durch das erkennende Gericht anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten -– z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).

Weiter ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).

II.2.3. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

II.2.4. Der belangten Behörde ist insofern zuzustimmen, als sie zum Schluss kommt, dass die BF in Pakistan keiner asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt waren bzw. im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Das Bundesverwaltungsgericht geht zudem aus folgenden Erwägungen von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der BF aus, wobei sich die BF auch zum Fluchtgrund selbst mehrmals in nicht zu übesehende Widersprüche und Unplausibilitäten verwickelten:

In der Erstbefragung führten sie zum Ausreisegrund befragt gleichlautend aus „wir gehörten der islamischen Gemeinschaft Ahamdi an. Wir haben immer Probleme mit den anderen Religionsgruppierungen gehabt.“

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gab die BF1 zum Ausreisegrund befragt bekannt „Weil ich so einen großen Druck hatte als Ahmadi. Als ich meinen Job verlassen habe wurde ich auch zu Hause aufgesucht. Die sunnitischen Gläubigen waren zweimal bei mir am Abend, sie sind gekommen und haben geklopft. Ich habe aber nicht aufgemacht. Dann hatten wir viel Angst. Ich bin dann krank geworden und mit dem Blutdruck Probleme bekommen und Schwindel. Ich wollte meine Tochter in eine gute Schule schicken aber Sie hat keinen guten Platz bekommen. Es gibt ein Gesetz in Pakistan, dass jeder sunnitische Priester in ein Haus eindringen kann und wir müssen dann alles machen, was uns befohlen wird. Er sagt z.B. wann wir das Haus verlassen sollen und wann nicht. Wir waren zu Hause und ich sagte meinem Mann, dass er arbeiten solle, so kann es nicht weitergehen. Mein Schwager hat ihm dann Geld gegeben, dass er neu anfängt. Dann ist er zu einem Großhändler einkaufen gegangen für den Neuanfang und am Schluss fragte dieser meinen Mann woher er komme. Er hat dann nach mehrmaligem nachfragen sagen müssen woher er kommt und dann wurde ihm das Geschäft verweigert und sie wollten ihm nichts verkaufen. Mit uns wollte keiner etwas zu tun haben. Es ist so in Pakistan, mit uns „Ungläubigen“ wollen sie nichts zu tun haben. Das ist Gesetz. Das waren alles meine Gründe“.

Von der BF2 wurde mitgeteilt „Erstens, ich bin Ahmadi. Die Einwohner Pakistans betrachten uns nicht als Moslems. Meine Mutter war Lehrerin und da Sie Ahmadi ist hat Sie viele Drohungen bekommen. Sie waren sogar bei uns zu Hause. Wir konnten nicht mehr aus dem Haus gehen. Wenn wir trotzdem hinausgegangen sind, haben die uns verfolgt. Keine Universität hat uns Platz zum Studieren gegeben. Nur weil wir Ahmadi sind. Wir wohnen in einem kleinen Ort aber, wenn wir einkaufen waren, haben wir keine Sachen bekommen. Wir wurden hinausgeschmissen. Auf einem Plakat vor dem Geschäft stand, dass wir nicht willkommen wären. Als die Drohungen immer mehr wurden und wir dachten, dass unser Leben in Gefahr wäre, haben wir Pakistan verlassen. Das sind alle Gründe“.

Von den BF wird demnach mitgeteilt, dass sie aufgrund der Zugehörigkeit zu den Ahmadi bedroht worden wären. In der Erstbefragung führten beide allgemein aus, dass es immer Probleme mit den anderen Religionsgruppierungen gegeben hätte. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt erfuhr das Vorbringen dann eingehende Steigerungen. So teilte die BF1, welche 26 Jahre lang als Lehrerin tätig war mit, dass sie daheim Besuch erhielt, nachdem sie ihre Arbeit am 31.01.2020 aufgab. So wären sunnitische Gläubige zweimal am Abend bei der BF1 daheim gewesen und hätten geklopft. Die BF1 öffnete jedoch die Türe nicht. Danach hätte sie viel Angst bekommen und wäre auch krank geworden. Konkret hätte sie Blutdruckprobleme und Schwindel bekommen. Im Rahmen der freien Erzählung zum Ausreisegrund machte die BF1 dann noch allgemeine und unwesentliche Äußerungen über ihren beschäftigungslosen Gatten, den sie aufgefordert hätte, wieder einmal einer Arbeit nachzugehen. Dieser hätte jedoch aufgrund der Ahmadi Zugehörigkeit die Arbeit nicht ausführen dürfen. Konkret zu den beiden Vorfällen hinsichtlich des Klopfens befragt, teilte die BF1 mit, dass es im Jänner 2019 gewesen wäre, es war sehr kalt. Ein konkretes Datum könne sie nicht nennen. Auf die Frage, warum sie vermute, dass es sich bei den Besuchern um Sunnite handeln würde (die BF1 öffnete ja die Türe nicht, konnte folglich nicht erkennen, wer davorsteht) gab sie ausweichend zur Antwort, dass sie auch beim Einkaufen öfters verfolgt worden wäre. Diese Einkäufe, bei denen sie verfolgt worden wäre, hätten im Sommer 2019 stattgefunden. Weil aktuell noch immer ca. 15 Verwandte in Pakistan leben, bzw. sich der Gatte nach wie vor im Haus der BF aufhält, wurde diese befragt, ob diese Angehörigen ebenfalls Probleme hätten. Dazu gab sie bekannt, dass ihre Schwester Probleme hatte. Nach einem Unfall ihres Neffen hätte ihre Schwester versucht in eine andere Stadt zu ziehen. Darum hätte sie einen Bekannten in Lahore gebeten, eine Unterkunft zu organisieren. Weil die dortigen Personen erfuhren hätten, dass dieser Bekannte ebenfalls ein Mitglied der Ahmadi sei, wäre sein Auto in Brand gesteckt worden. Deswegen hätten sie den Plan verworfen. Die BF1 schildert dann noch einen Vorfall im Jahr 2018, ein konkretes Datum konnte sie abermals nicht angeben, es wäre jedenfalls kalt gewesen. Jedenfalls wäre sie mit ihrem Gatten auf dem Motorrad in ein anderes Dorf gefahren. Dabei hätte sie jemand überfahren wollen, es sei aber nichts passiert.

In der mündlichen Verhandlung steigerte die BF1 ihr Vorbringen dann abermals, so wäre sie jetzt auch schon während ihrer Beschäftigung in der Schule bedroht worden. Dabei wäre einmal im Monat ein Offizier in der Schule gekommen und hätte mitgeteilt, dass Ahmadis unterdrückt werden müssten. Von den vier Lehrkräften wären zwei Ahmadis gewesen. Vom Richter wurde die BF1 aufgefordert, konkrete Angaben zu machen. Die BF1 führte dann aus, dass sie als Heidin bezeichnet worden wäre und der Offizier gemeint hätte, dass sie unterdrückt werden müsse. Dies hätte schon 2015 begonnen. Aufgrund der unplausiblen Angaben, wurde die BF1 erneut dahingehend aufgefordert, ein konkretes Vorbringen zu erstatten. Die BF1 führte daraufhin fort, dass es da auch eine Frau gegeben hätte, die ihren Posten haben wollte. Diese Frau wäre dabei zu ihr nach Hause gekommen, die BF1 war jedoch nicht zu Hause. Jedenfalls hätte die BF2 die Türe geöffnet und die Frau in das Haus gebeten. Die Frau teilte der BF2 mit, dass ihre Mutter die Arbeitsstelle verlassen solle, damit sie selbst diesen Posten bekommt, sie hätte dafür sogar bezahlt. Für den Fall, dass die BF1 den Posten nicht hergeben würde, könne sie ohnehin machen, was sie wolle, weil die BF1 Ahmadi sei. Der Mann dieser Frau sei jedenfalls ein Geistlicher und wäre im Jänner 2019 zu den BF nach Hause gekommen. Dieser Geistliche hätte geklopft, die BF hätten jedoch die Türe nicht geöffnet. Der Geistliche gab ihnen zu verstehen, dass er dafür sorgen werde, dass die BF1 den Arbeitsplatz aufgeben wird. Auf Nachfrage führte sie aus, dass der Geistliche zweimal zu ihr nach Hause gekommen wäre, es wäre im Jänner gewesen, mehr könne sie nicht angeben. Zudem wären die BF im Sommer 2019 einkaufen gegangen, wobei sie entdeckt und verfolgt worden wären. Nachgefragt teilte sie mit, dass sie ein Geistlicher mit langem Bart verfolgte. Er hätte auch ein Tuch über den Kopf geworfen gehabt. Der Geistliche wäre ihnen überall hin gefolgt. Betraten sie ein Geschäft hätte er davor gewartet. Die BF1 führte weiter aus, dass er durch seine Gegenwart Angst auslösen wollte. Gesagt hätte er nichts. Danach wären die BF jedenfalls am Abend nicht mehr hinausgegangen.

Auch von der BF2 erfuhr das allgemeine Vorbringen in der Einvernahme vor dem Bundesamt eine massive Steigerung. So gab sie bekannt, dass ihre Mutter als Lehrerin viele Drohungen erhalten hätte. Sie (gemeint sind offenbar die Drohenden) wären sogar vor ihrem Haus gewesen, dieses hätten sie nicht mehr verlassen können. Wenn sie das Haus verlassen haben, wären sie verfolgt worden. Es hätte ihr auch keine Universtität Platz zum Studieren gegeben. Auch beim Einkaufen hätten sie keine Sachen bekommen, sie wären aus dem Geschäft hinausgeschmissen worden. Obwohl gesteigert, war das Vorbringen der BF2 abermals nur allgemein gehalten. Aus diesem Grund wurden bzw. waren konkretere Fragen erforderlich. Konkret befragt, wann genau diese Drohungen stattgefunden hätten, gab die BF2 zur Antwort, Ende 2018 hätte es angefangen. Allgemein führte sie aus, dass ihre Mutter am Arbeitsplatz bedroht worden wäre, es wäre ihr Korruption vorgeworfen worden, es wäre immer mehr geworden, es sei gedroht worden. Explizit befragt gab sie bekannt, dass „weil diese sunnitischen Leute nichts gegen meine Mutter finden konnten, ist ein Mann immer zu uns nach Hause gekommen und hat sie bedroht, dass sie Ihren Job aufgeben solle und wollte auch Geld von ihr haben. Dreimal war er ca. bei uns zu Hause. Es war immer am Abend, wenn es dunkel war“. Zu dem Mann befragt, teilte sie mit, dass er ein langes Shirt und eine Hose trug, eine traditionelle Kleidung. Aufgrund der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Bei der Drohung wäre sie jedenfalls anwesend gewesen. Zum Zeitpunkt befragt, teilte sie mit, dass sie es nicht wisse, es wäre zwischen 2019 und 2020 gewesen. Zum Vorfall, als ihre Mutter, die BF1, und ihr Stiefvater auf dem Motorrad umgefahren worden wären, teile sie mit, dass es deswegen Absicht gewesen sein musste, weil sonst an dieser Stelle niemand anderer unterwegs war. Dieser Vorfall hätte sich jedenfalls Ende 2020 ereignet. Ihr wäre zudem verweigert worden, die Universität zu besuchen.

In der mündlichen Verhandlung führte die BF2 schlussendlich aus, dass ihre Muter unter Druck gesetzt worden sei. Sie arbeitete als Lehrerin und musste die Ausgaben für die Schule rechtfertigen, weswegen sie als Betrügerin bezeichnet worden wäre. Nachgefragt gab sie bekannt, dass die BF1 jedoch nicht angezeigt worden sei. Konkret befragt, wer wann was, wo, wie und weshalb gemacht hätte, führte sie ausweichend aus „Sie sind zu uns nachhause gekommen“. Abermals konkret dazu befragt, gab sie bekannt, dass ein Mann von der Schule der Mutter immer nachts zu ihnen nach Hause gekommen wäre. Zweimal wäre er gekommen, ein konkretes Datum wisse sie nicht. Nachgefragt teilte sie mit, dass er eine pakistanische Tracht und ein Tuch über dem Gesicht trug. Dies müsste sich Ende 2019 zugetragen haben, wie sie weiter bekannt gab. Einmal als sie alleine zu Hause gewesen sei, wäre eine Frau gekommen und hätte ihr mitgeteilt, dass ihre Mutter den Arbeitsplatz aufgeben solle. Ansonsten wäre es auch kein Problem für sie, dies anders zu regeln. Nachgefragt gebe sie an, dass diese Frau nur einmal gekommen sei. Nachgefragt teilt sie weiters mit, dass sie die Tür öffnete und die Frau hereinließ. Dieser Vofall hätte sich 2019 ereignet. Auch durch mehrmaliges Nachfragen, ob die BF2 zumindest das Monat oder zumindest die Jahreszeit oder ob es Tag oder Nacht war, angeben könne, führte zu keiner konkreten Auskunft. Befragt, ob sie persönlich angegriffen oder bedroht worden sei, gab sie bekannt, dass sie einmal mit ihrer Mutter im Basar einkaufen gewese wäre und ein Mann sie verfolgt hätte. Nachgefragt teilte sie mit, dass es vermutlich im Sommer 2020 war, gegen Abend.

Festgehalten kann folglich werden, dass sich das Vorbringen der BF1 als auch der BF2 jeweils in sich selbst widerspricht und die allgemeinen und vagen Angaben gegenübergestellt, zusätzlich nicht zu übersehende Diskrepanzen aufweisen. Von der BF1 wurde mitgeteilt, dass nach der Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit, sunnitische Gläubige zweimal am Abend bei den BF daheim gewesen wären und geklopft hätten. Die BF1 öffnete jedoch die Türe nicht. Warum sie durch die verschlossene Tür sunnitische Gläubige erkannt haben mag, konnte sie genauso wenig beantworten, wie die konkrete Datierung dieser Vorfälle. Sie gab – eher schätzend – bekannt, dass es im Jänner 2019 gewesen wäre, es wäre sehr kalt gewesen. Diese Vorfälle können sich jedoch so nicht zugetragen haben, hatte die BF1 doch am 31.01.2020 ihren letzten Arbeitstag. Wenn tatsächlich sunnitische Gläubige zu ihr nach Hause gekommen wären, nachdem sie ihren Arbeitsplatz aufgab, könnte dies denklogisch erst nach dem 31.01.2020 passiert sein. Von der BF2 wurde zudem ohnehin gleich bekannt gegeben, dass die Drohungen bereits Ende 2018 begonnen hätten. Gegensätzlich zur BF1 gibt sie weiters bekannt, dass ein Mann, also nicht mehrere wie die BF1 angab, dreimal, demnach nicht zweimal, zu ihnen nach Hause gekommen sei. Obwohl die Türe nicht geöffnet worden wäre, war der BF2 sogar eine vage Kleiderbeschreibung möglich. Er hätte ein langes Shirt und eine Hose getragen, eine traditionelle Kleidung. Die Besuche hätten zwischen 2019 und 2020 stattgefunden, also ein Zeitraum von einem Jahr. Jedenfalls liegt auch dieser Zeitraum vor dem 31.01.2020. Auch hinsichtlich des Einkaufs widersprechen sich die zwei BF. So teilte die BF1 mit, dass sie und ihre Tochter bei den Einkäufen im Sommer 2019 verfolgt worden wären. In der Verhandlung teilt sie dann konträr mit, dass sie nur einmal beim Einkauf im Sommer 2019 von einem Geistlichen mit langem Bart entdeckt und verfolgt worden wären. Der Geistliche hätte auch ein Tuch über den Kopf geworfen gehabt. Er wäre ihnen überall hin gefolgt, wenn sie ein Geschäft betraten, wartete er davor. Gesprochen hätte er nichts. Die BF2 schildert den – einen – Vorfall insoweit, dass sie beim Einkauf mit ihrer Mutter im Basar von einem Mann verfolgt worden wäre. Zeitlich ordnete sie diese Verfolgung mit Sommer 2020 gegen Abend ein. Die Verfolgung am Basar geschah nach der BF1 demnach im Sommer 2019, glaubt man der BF2 jedoch erst im Sommer 2020. Auch hinsichtlich der vorgeworfenen Korruption bzw. des Betruges der BF1 bieten die beiden BF zwei Varianten an. So teilte die BF1 mit, dass einmal im Monat ein Offizier in die Schule gekommen wäre und ihr mitgeteilt hätte, dass Ahmadis unterdrückt werden müssten. Von der BF2 wurde hingegen bekannt gegeben, dass der ihre Mutter bedrohende Mann zu ihnen nach Hause gekommen wäre. Einen weiteren Vorfall beschrieb die BF2, indem sie einmal alleine zu Hause gewesen sei und eine Frau gekommen wäre und hätte ihr mitgeteilt hätte, dass ihre Mutter den Arbeitsplatz aufgeben solle. Ansonsten wäre es auch kein Problem für sie, dies anders zu regeln. Nachgefragt gebe sie an, dass diese Frau nur einmal gekommen sei. Nachgefragt teilt sie weiters mit, dass sie die Tür öffnete und die Frau hereinließ. Dieser Vofall hätte sich 2019 ereignet. Es ist absolut denkunlogisch, dass für den Fall einer tatsächlichen Bedrohung, die drohende Person vorerst freundlich bei den BF daheim vorbeikommt und die Tochter bittet, dass die Mutter ihren Arbeitsplatz aufgeben soll. Sollte sie das nicht tun, wäre es auch kein Problem, dann würde sie es anders regeln.

Auch widersprach sich die BF1 bei einem offenbar geplanten Umzug nach Lahore massiv. So teilte sie vor dem BFA mit, dass nach einem Unfall ihres Neffen, ihre Schwester versuchte in eine andere Stadt zu ziehen. Darum hätte sie einen Bekannten in Lahore gebeten, eine Unterkunft zu organisieren. Weil die dortigen Personen erfahren hätten, dass dieser Bekannte ebenfalls ein Mitglied der Ahmadi sei, wäre sein Auto in Brand gesteckt worden. Deswegen hätte ihre Schwester den Plan verworfen. In der mündlichen Verhandlung teilte sie dann diametral dazu mit, dass sie selbst vorhatte nach Lahore zu ziehen, weil dort eine Freundin ihrer Schwester wohnte. Weil die Nachbarn dann erfuhren, dass diese Freundin Angehörige der Ahmadi sei, hätten sie deren Auto in Brand gesetzt. Dann wäre die Freundin wieder nach Rabwah zurückgezogen. Dies demonstriert mehr als deutlich, dass das Vorbringen der BF1 absolut unglaubwürdig ist.

Die BF1 schildert dann noch einen Vorfall im Jahr 2018, ein konkretes Datum konnte sie abermals nicht angeben, es wäre jedenfalls kalt gewesen. Dabei wäre sie mit ihrem Gatten auf dem Motorrad in ein anderes Dorf gefahren und hätte offenbar jemand vorgehabt, die beiden anzufahren. Konkrete Angaben dazu konnte sie nicht machen, weswegen auch diesem Vorbringen mangels greifbaren Ausführungen die Glaubwürdigkeit abgesprochen wird.

Dass die BF beim Einkaufen aus den Geschäften gewiesen worden wären, wurde einzig von der BF2 vorgebracht, freilich ohne konkret das Datum bekanntgeben zu können. Von der BF1 wurden derartige Vofälle mit keinem Wort geschildert.

Dazu muss noch angeführt werden, dass die BF in der Verhandlung vom 14.02.2023 grundsätzlich ohnehin nicht in der Lage waren, ihre Ausreisegründe von sich aus und unter Nennung von Details und Gefühlslagen darzulegen. So ergaben sich die Gründe für ihre Ausreise lediglich aus kurzen und vagen Antworten. Diese abstrakt und emotional distanzierten Angaben der BF lassen folgerichtig erhebliche Zweifel daran entstehen, dass die BF die dargelegten Ereignisse auch tatsächlich persönlich erlebt haben.

Abgesehen davon fehlt es am zeitlichen Konnex. Begonnen hätten die Drohungen bereits 2015, die ausreisekausalen Bedrohungen hätten, so die BF, im Jänner 2019 (Besuch daheim) bzw. im Smmer 2019 (Verfolgung am Basar) stattgefunden. Die Ausreise aus Pakistan erfolgte dessen ungeachtet erst Ende September 2021. Dies demonstriert folgerichtig, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht. Im Rahmen realer Bedrohung und Sorge um das eigene Leben wären die BF, bei lebensnaher Betrachtungsweise, selbstverständlich umgehend nach den Bedrohungen augereist. Zudem lebt der Gatte der BF1, welcher ebenfalls der Religionsgemeinschaft der Ahmadis angehört, nach wie vor unbehelligt im Haus der BF1, ist als Paketzusteller tätig und vertreibt Plastikgeschirr.

II.2.5. Hinsichtlich der vorgebrachten Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Ausführungen der BF glaubwürdig sind und deswegen davon ausgeht, dass beide BF auch tatsächlich Ahmadiyya Angehörige sind.

Dessen ungeachtet ist den Länderinformationen der Staatendokumentation zu entnehmen: die Schätzungen über die Anzahl der Anhänger der Ahmadiya Muslim Jamaat, der Hauptströmung dieses Glaubens, in Pakistan reichen von 500.000 bis 5 Millionen Mitglieder. Die Mitgliederzahl der kleineren Lahore-Gruppe [Anmerkung: Ahmadiya Anjuman Ischaʽat-i-Islam Lahore] wird auf rund 5.000 bis 10.000 Anhänger in Pakistan geschätzt. Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan befindet sich in Rabwah, offiziell Chenab Nagar benannt. Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Einwohner der Stadt, circa 60.000 bis 70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere Siedlungszentren der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters Peschawar, Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 9.2021; vgl. AA 28.9.2021). In Rabwah finden schwere Gewalttaten gegen Mitglieder der Ahmadiyya nach Erkenntnissen des Deutschen Auswärtigen Amts selten statt (AA 28.9.2021).

Dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan des Auswärtigen Amtes vom 08.08.2022, Gz.: 508-516.80/3 PAK VS-NfD ist schließlich zu entnehmen: es gibt keine verlässlichen Angaben, wie viele Ahmadis in Pakistan leben. Die Zahlen schwanken zwischen 500.000 und 4 Mio. Das spirituelle und administrative Zentrum der Ahmadis ist Rabwah (offiziell: Chenab Nagar) im Punjab. Ca. 95 % der Einwohner*innen sind Ahmadis, schwere Gewalttaten gegen Mitglieder der Ahmadiyya finden dort nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts selten statt (zuletzt Ermordung eines Mitglieds der Gemeinschaft im Jahr 2016, wobei unklar ist, ob ein religiöses Motiv hinter der Bluttat stand). Nach Eigenangaben der pakistanischen Ahmadiyya befinden sich mit Stand 31.03.2022 sieben Ahmadis aus religiösen Gründen in Haft.

Sofern von der rechtlichen Vertretung im Verfahren zahlreiche Berichte zur prekären Situation von Ahmadiyyas in Pakistan vorgelegt wurden, lässt sich nicht erkennen, dass sich aus diesen Beweismitteln eine andere Bewertung der Lage in Pakistan ergibt. Insbesondere wird durch die vorgelegten Berichte nicht substantiiert dargetan, dass die im Verfahren miteinbezogenen Länderfeststellungen nicht die tatsächliche Situation darlegen würden. Darüber hinaus ist anzuführen, dass sich diese Berichte nicht mit einzelnen individuellen Umständen der Bedrohungslage der BF befassen, sodass sich daraus eine asylrelevante Verfolgung oder die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten konkret für die BF nicht ergibt.

Die dadurch belegten bzw. erwähnten Diskriminierungen bzw. Übergriffe gegen Ahmadiyyas finden auch in der im gegenständlichen Verfahren herangezogenen Berichtslage ihren Niederschlag. Dass es derartige Sachlagen im Herkunftsstaat der BF im Allgemeinen geben kann, wird nicht bestritten.

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich ebenso, dass Gewaltvorkommen gegen Ahmadis in Pakistan nicht dergestalt sind, dass abgeleitet werden kann, dass jeder Ahmadiyya in Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der landesweiten Gefahr ausgesetzt ist, Opfer von Gewalt zu werden; jedoch muss immer der konkrete Einzelfall betrachtet werden. Es muss zu einer individuellen Prüfung der Ereignisse und Umstände kommen (siehe auch VwGH 20.12.2016, Ra 2016/01/0098).

Zur Lage der Ahmadiyya allgemein ist festzuhalten, dass sich aus den im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zwar ergibt, dass es zu Übergriffen kommen kann, es ergibt sich hieraus jedoch auch, dass die überwiegende Zahl der Ahmadiyyas in Pakistan unbehelligt lebt. Die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiya teilt sich in die Qadiani-Gruppe (Ahmadiya Muslim Jamaat) und die wesentlich kleinere Lahore-Gruppe (Ahmadiya Anjuman Ischaʽat-i-Islam Lahore) (BFA 10.2014). Es gibt keine zuverlässigen Statistiken zur Anzahl der in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiya-Gemeinschaft. Der größeren Qadiani-Gruppe gehören in Pakistan schätzungsweise 600.000 bis 5 Millionen Mitglieder an; viele Ahmadis lassen sich nicht registrieren. Die Mitgliederzahl der kleineren Lahore-Gruppe wird auf rund 30.000 Anhänger weltweit geschätzt, von ihnen sollen 5.000 bis 10.000 Mitglieder in Pakistan leben. Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan befindet sich in Rabwah, offiziell Chenab Nagar benannt. Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Einwohner der Stadt, circa 60.000 bis 70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere Siedlungszentren der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters Peschawar, Khewra,Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 9.2021; vgl. AA 28.9.2021). Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen, berichtet wird aber weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (AA 29.9.2020).

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich ebenso, dass Gewaltvorkommen gegen Ahmadiyyas in Pakistan nicht dergestalt sind, dass abgeleitet werden kann, dass jeder Ahmadi in Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der landesweiten Gefahr ausgesetzt sei, Opfer solcher Gewalt zu werden; jedoch muss immer der konkrete Einzelfall betrachtet werden. Es muss zu einer individuellen Prüfung der Ereignisse und Umstände kommen.

Es ist und war im Allgemeinen möglich für Ahmadis ihren Glauben auf einer eingeschränkten Basis sowohl im privaten Bereich als auch in der Gemeinschaft in Pakistan auszuüben, ohne das heimische pakistanische Gesetz zu verletzen. Laut Vertretern der Minderheitsreligionsgemeinschaften hindert die Regierung organisierte religiöse Gruppen prinzipiell nicht daran, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden, jedoch verweigern lokale Behörden Ahmadis regelmäßig notwendige Baubewilligungen (USDOS 10.6.2020). Der Oberste Gerichtshof richtete einen Sondergerichtsausschuss zwecks Anhörung von Petitionen im Zusammenhang mit Rechten von Minderheiten ein und ernannte einen Kommissar, der die Umsetzung von Urteilen durch den Gerichtshof selbst überwachen soll. Während das Ministerium für Recht und Justiz offiziell für die Gewährleistung der gesetzlichen Rechte aller Bürger verantwortlich ist, übernimmt das Ministerium für Menschenrechte in der Praxis weiterhin die Hauptverantwortung für den Schutz der Rechte religiöser Minderheiten.

Auf Grundlage dieser Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage in ganz Pakistan gesprochen werden, dass gleichsam jede Person bzw. jeder Angehöriger der Ahmadiyyas, der sich in Pakistan aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist.

Zur Bewegungsfreiheit in Pakistan in Form einer Verlegung eines Lebensmittelpunktes ist zu bedenken, dass anhand der aktuellen bzw. im Verfahren miteinbezogenen Berichtslage feststeht, dass es für Angehörige aller Gruppen die Möglichkeit gibt in Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande zu leben, dies gilt auch für potentiell Verfolgte. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben. Ahmadiyyas bietet ein Umzug nach Rabwah, ihrem religiösen Zentrum, einen erheblichen Schutz vor Repressionen, weil sie dort weitgehend unter sich sind, auch wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind. Zudem besteht die Möglichkeit, in den Schutz größerer Städte zu fliehen, falls es sich nicht um Menschen handelt, die überregional bekannt geworden sind. Dies sehen auch Vertreter unabhängiger pakistanischer Menschenrechtsorganisationen als grundsätzliche Ausweichmöglichkeit.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die BF vor ihrer Ausreise aus Pakistan keine hochrangigen Positionen in ihrer Religionsgemeinschaft innehatten bzw. dies auch in Österreich nicht der Fall ist. Aufgrund dieser Umstände ist nicht davon auszugehen, dass die BF bei seiner Rückkehr nach Pakistan Handlungen setzen, die in Pakistan als verbotene öffentliche Glaubensausübung gelten bzw. diese Handlungen für ihre religiöse Identität unverzichtbar sind.

Dass die BF persönlich daran gehindert worden wären, ihre Religion frei auszuüben bzw. eine Moschee zu besuchen, kann weder glaubwürdig ihrem Vorbringen noch den getroffenen Länderfeststellungen entnommen werden. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich jedenfalls, dass es Ahmadis möglich ist, religiöse Aktivitäten durchzuführen. Die von den BF vorgebrachten Verfolgungshandlungen wurden als nicht den Tatsachen entsprechend gewertet. Da die von den BF vorgebrachten Verfolgungshandlungen als unglaubwürdig zu bewerten waren, gibt es auch keine Hinweise darauf, dass die BF an der Ausübung ihres Glaubens gehindert wären.

Darüber hinaus ist auch anzumerken, dass auch die übrige Familie der BF unbehelligt in Pakistan, präzise in Rabwah, leben kann. Rabwah ist das religiöse Zentrum der Ahmadis, wo nahezu 95 % der Einwohner Ahmadis sind. Der Gatte der BF1 lebt nach wie vor im Haus der Familie, ist als Paketzusteller tätig und vertreibt Plastikgeschirr. Auch halten sich noch zwei Onkel der BF1 in Pakistan auf, welche ebenfalls Ahmadis sind. Eine tatsächliche Beeinträchtigung in der Lebensweise der Verwandten der BF wurde nicht vorgebracht. Dafür spricht auch der Umstand, dass es die in Pakistan lebenden Familienangehörigen nicht für erforderlich halten, ihr Heimatland zu verlassen.

II.2.6. Zur Lage der Ahmadiyya allgemein ist festzuhalten, dass sich aus den getroffenen Feststellungen zwar ergibt, dass es zu Übergriffen bzw. Diskriminierungen kommen kann, es ergibt sich hieraus jedoch auch, dass die überwiegende Zahl der Ahmadis in Pakistan unbehelligt lebt. Es ist letztlich daher im Rahmen eines Vergleichs der Anzahl der Ahmadis in Relation zu den dokumentierten Übergriffen festzuhalten, dass Übergriffe zwar möglich, aber nicht maßgeblich wahrscheinlich sind.

Was eine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Ahmadis betrifft, ist allgemein anzumerken, das nicht erkannt werden kann, dass aufgrund dieses Umstandes ohne Hinzutreten weiterer persönlicher Gefährdungsmerkmale alleine eine Asylrelevanz zu erkennen ist. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die gesellschaftliche Diskriminierung und Propaganda gegen die Religionsgemeinschaft der Ahmadis weit verbreitet sind und auch Angehöriger der Ahmadi Gemeinschaft aus religiösen Gründen vereinzelt strafrechtlich belangt werden. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadis in Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der landesweiten Gefahr ausgesetzt sei, Opfer solcher Gewalt zu werden. Vielmehr geht das erkennende Gericht nach Würdigung und Bewertung der Berichtslage im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien davon aus, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Ahmadis allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit, also ohne hinzukommende persönliche Gefährdungsmerkmale, in Pakistan keiner hieran anknüpfenden gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung ausgesetzt sind. Solche hinzukommenden persönlichen Gefährdungsmerkmale wurden jedoch vom Beschwerdeführer im Verfahren nicht vorgebracht. Die bloße Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Ahmadis bildet jedoch noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung (vgl. VwGH 22.5.2018, Ra 2018/18/0220, mwN).

II.2.7. Auch aus dem Nachweis über die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich, lässt sich für die BF nichts gewinnen. Die BF haben weder in der Beschwerde, noch in der mündlichen Verhandlung dargetan, dass sie sich in irgendeiner Form in leitender Funktion exponiert haben, welche sie für islamistische Gruppierungen in Pakistan oder andere Gruppierungen interessant machen würde. Aus der vorgelegten Bestätigung ergibt sich lediglich, dass die BF Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich sind. Das Schreiben vom 01.02.2023 bestätigt, dass die BF aktive Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Gemeinschaft sind und sich regelmäßig an Onlinekonferenzen und Events beteiligen. Besondere Funktionen kommen den BF nicht zu. So gibt die BF1 in der mündlichen Verhandlung auch nur bekannt, dass elf Personen in Klagenfurt in der Ahmadigemeinde sind. Sie müsse nachfragen, ob die Mitglieder gespendet haben und wie viel sie ehrenamtlich gearbeitet haben. Eine besondere Funktion kann darin nicht erkannt werden. Die BF sind daher überwiegend nur einfache Mitglieder, weshalb keine Gefährdung der BF aufgrund dieser Mitgliedschaft im Fall ihrer Rückkehr nach Pakistan erkannt werden kann. Es ist nicht davon auszugehen, dass die BF in exponierter Art und Weise nach außen in Erscheinung getreten sind und deshalb ins Blickfeld islamischer Gruppierungen oder staatlicher Stellen geraten sind. Auch wurde derartiges im Beschwerdeverfahren zu keiner Zeit behauptet. Insoweit das Vorbringen der BF dahingehend als wahr unterstellt wurde, konnte von der zeugenschaftlichen Einvernahme der namentlich benannten Zeugen Abstand genommen werden.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass anhand der Aussagen der BF zwar eine tiefe religiöse Überzeugung im Hinblick auf den Ahmadiyya Glauben erkennbar ist, dessen ungeachtet jedoch keine solche Beeinträchtigung der Religionsausübung vorliegt, die Verfolgungscharakter aufweist und damit asylrelevant wäre.

Es ist davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland die Religion nicht auf eine andere Art und Weise praktizieren werden, als sie dies schon vor der Ausreise gemacht haben und dies schon seinerzeit – wie oben dargestellt – zu keinen relevanten Verfolgungshandlungen geführt hat. Für die Annahme einer besonderen inneren religiösen Wertvorstellung, die es den BF besonders schwermachen würde, von einer im Heimatland verpönten religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, haben sich zu wenige Anhaltspunkte ergeben, zumal sie nicht einmal in Österreich einer besonders intensiven religiösen Betätigung nachgehen, woran sie aber zumindest hier aufgrund umfassender Religionsfreiheit in keiner Weise gehindert wären.

Eine ernsthafte missionarische Tätigkeit der BF in Österreich, welche die Weitergabe von Glaubenslehre, die Verkündung des Glaubens und die Bekehrung zu dem betreffenden Glauben beinhaltet, kann ebenfalls nicht erkannt werden.

Aufgrund obiger Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die BF zwar den Ahmadis angehören, jedoch keinen individuell die Asylrelevanz erreichende gegen sie gerichteten Übergriffen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt waren.

Aus diesem Grund kann auch der beantragten Beiziehung eines Länderkundlichen Sachverständigen für das Land Pakistan, zum Beweis dafür, dass Angehörige der Minderheit der Ahmadis im Falle der Praktizierung der Religion im gesamten Staatsgebiet mit staatlicher Verfolgung zu rechnen haben, nicht entsprochen werden.

II.2.8. Zu dem Vorbringen des BF wird abschließend ausgeführt, dass es diesem nicht möglich war, konstante und nachvollziehbare Angaben zu machen bzw. auch keine konkreten Ausführungen tätigten. Auch widersprachen sich die BF bei ihrem Vorbringen mehrmals und massiv. Die konträren Ausführungen und doch recht drastischen Widersprüche und Unplausibilitäten lassen aus diesem Grund mehr als schwere Zweifel an einer tatsächlich erlebten Fluchtgeschichte aufkommen.

Das BVwG geht daher zusammenfassend davon aus, dass die BF Pakistan lediglich aus persönlichen Motiven heraus bzw. aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben. Auch die behauptete Verfolgung bzw. Bedrohung entspricht nicht den Tatsachen. Aus diesem Grund sah das erkennende Gericht, ebenso wie bereits das BFA auch keine Veranlassung für weitergehende Erhebungen im Herkunftsstaat der BF.

Zusammenfassend ist zum Vorbringen der BF auszuführen, dass das erkennende Gericht zur Überzeugung gelangte, dass in den Angaben der BF glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.

II.2.9. Unter Heranziehung dieses Sachverhaltes und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung im Zusammenhang mit der allgemein gehaltenen, widersprüchlichen und teilweise nicht nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen der BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung – wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung – eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde.

Dazu ist grundsätzlich in diesem Zusammenhang auszuführen, dass etwaige wirtschaftliche oder private Schwierigkeiten objektiv nicht dazu geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Der bloße Wunsch in Österreich ein besseres Leben aufgrund eines erhofften leichteren Zugangs zum Arbeitsmarkt zu haben, vermag die Gewährung von Asyl jedenfalls nicht zu rechtfertigen.

Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, wäre dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls zu erwarten gewesen, dass von Asylwerbern schon in der Erstbefragung die unmittelbar erlebten Vorfälle glaubwürdig dargelegt werden.

Sofern in der Beschwerde seitens der BF moniert wird, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, wird festgestellt, dass nach Ansicht des ho. Gerichts die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst hat. Den BF ist es nicht gelungen, der Beweiswürdigung der belangten Behörde dermaßen konkret und substantiiert entgegen zu treten, dass Zweifel an der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufgekommen wären. Von den BF wurde es unterlassen, durch klare, konkrete und substantiierte Ausführungen darzulegen, warum sie vom Vorliegen einer mangelhaften Ermittlungstätigkeit durch die belangte Behörde ausgehten. Da somit weder aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis im Beschwerdeverfahren noch aus den Ausführungen der BF ein substantiierter Hinweis auf einen derartigen Mangel vorliegt, kann ein solcher nicht festgestellt werden. Hinsichltlich der Monierung, dasss bei den gegenständlichen Bescheiden die Merkmale einer Unterschrift des Organwalters nicht erfüllt sind, bleibt festzuhalten, dass es sich dabei um keine Paraphe handelt, weil die Anzahl der Schriftzeichen der Unterschrift der Anzahl der Buchstaben des Namens nicht ensprechen muss. Auch wenn, zugegebener Maßen, die Unterschrift des Organwalters beim Bescheid der BF1 etwas wahllos sein mag, kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um keine Unterschrift handelt. Bei der Unterschrift des Bescheides der BF2 handelt es sich ohnedies definitv um keine Paraphe.

Im gegenständlichen Fall wurden die BF einerseits ausführlich über die Bedeutung vollständiger Angaben mehrmals und nachdrücklich belehrt und andererseits in den Einvernahmen auch befragt, ob sie alles vortragen konnten, was für das Verfahren erheblich erscheint. Dies wurde von ihnen mehrfach bejaht. Angesichts der Angaben der BF bestand aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls kein Anlass zur Nachfrage, ob die BF noch andere Nachteile in Pakisten als die von ihm geschilderten befürchten würden. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann somit nicht erkannt werden. Dass die BF etwa aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage gewesen sein sollen, bestimmte Tatsachen vorzubringen, wurde im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert behauptet und wurde den Einvernahmen auch ein Dolmetscher für die Sprache Urdu beigezogen.

II.2.10. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch zu prüfen, ob der BF zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe.

Das Bundesverwaltungsgericht kann keine Rückkehrgefährdung erkennen, da die BF kein exponiertes persönliches Profil aufweisen, welches auf eine gegenüber der Durchschnittsbevölkerung höheres Risiko hindeutet.

II.2.11. Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung der BF sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der BF vor der belangten Behörde und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung. Die gegen die BF behaupteten Verfolgungshandlungen konnten nicht glaubhaft gemacht werden und ist demzufolge auch nicht glaubhaft, dass ihnen aus religiösen Gründen Verfolgung droht.

Darüber hinaus konnten die BF keine mit ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Punjabi in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise glaubhaft machen.

Die von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid bzw. Erkenntnis angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Es wurden dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt.

II.2.12. Hinsichtlich der aktuellen länderkundlichen Feststellungen ist wie folgt festzuhalten: angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Auch ist auszuführen, dass die dem BF zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann. (dazu auch HengstschlägerLeeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu § 52 AVG).

Überdies handelt es sich bei den zugrunde gelegten Quellen um Berichte staatlicher oder staatsnaher Institutionen, denen aufgrund ihrer Verpflichtung zu Objektivität und Unparteilichkeit keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Dass sich die Situation im Herkunftsstaat der BF insofern geändert hat, als diese dem zitierten Länderdokumentationsmaterial nunmehr nicht mehr entsprechen würde, ist nicht notorisch.

Die in das Verfahren integrierten Länderinformationen wurden schließlich von der Staatendokumentation des BFA zusammengestellt, deren Qualität ob der gesetzlichen Verpflichtung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der gesammelten Tatsachen nach objektiven Kriterien (vgl. § 5 Abs. 2 BFA-G) nicht in Zweifel gezogen wird.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zudem nicht die schwierige Sicherheitslage in Pakistan und dass das zentrale Problem für die innere Sicherheit Pakistans die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt. Auf Grundlage dieser Länderberichte und aufgrund des aktuellen Länderinformationsblattes (LIB) der Staatendokumentation des BFA kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer extremen Gefährdungslage in Pakistan und insbesondere in der Herkunftsregion der BF gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist. Vielmehr wird in der zitierten Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes des BFA darauf hingewiesen, dass landesweit die Zahl der terroristischen Angriffe von 2009 bis 2020 kontinuierlich zurückgegangen ist. Für das Jahr 2020 konnte nochmals ein deutlicher Rückgang der Terroranschläge im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. Die kontinuierlichen Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte und polizeilichen Anti-Terrorabteilungen, darunter die groß angelegten Militäroperationen Zarb-e-Azb, Khyber I-IV und Raddul Fasaad, sowie einige Anti-Extremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) haben dazu beigetragen (PIPS 15.6.2021). Zwar kam es im Jahr 2021 zu einer Trendumkehr in den Anschlagszahlen und war 2021 von einem 42-prozentigen Anstieg der Anschläge im Vergleich zum Jahr 2020 auf 207 Terrorakte gezeichnet. Seit vielen Jahren ist jedoch sichtbar, dass die terroristische Gewalt hauptsächlich auf Belutschistan und KP konzentriert bleibt. Auch der Anstieg der terroristischen Gewalt 2021 geht auf einen Anstieg in diesen beiden Provinzen zurück. 93 Prozent der gesamten Anschläge dieses Jahres in Pakistan trafen zusammengenommen diese beiden Provinzen und nicht die Heimatregion der BF.

In einer Gesamtbetrachtung muss festgehalten werden, dass die Bemühungen des Militärs und der Strafverfolgungsbehörden dazu geführt haben, dass die gegenwärtige Lage im Punjab als stabil anzusehen ist. Dass es zu terroristischen Anschlägen kommt, wird nicht verkannt. Das erkennende Gericht hält aber in diesem Zusammenhang fest, dass die allgemeine Sicherheitslage im Punjab nicht dergestalt ist, dass die Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass der BF tatsächlich Opfer willkürlicher Gewalt wird.

II.2.13. In Ansehung der BF sind folgende Erwägungen zu im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:

Die BF sind in Pakistan geboren und besuchten dort die Schule. Die BF1 war 26 Jahre lang als Lehrerein beruflich tätig, die BF2 studierte vor der Ausreise zwei Jahre lang an der Universität. Im Heimatdorf der BF in Pakistan leben noch der Gatte der BF1, eine Schwester mit deren Sohn, zwei Tanten mütterlicherseits mit deren Familien, drei Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits, insgesamt wohnen noch ca. 15 Verwandte in Pakistan. Die BF1 ist im Besitz eines Hauses, indem aktuell der Gatte wohnt, dieser ist Paketzusteller und vertreibt Plastikgeschirr. Die BF1 hat mit ihrem Gatten telefonischen Kontakt. Die BF sind gesund und gehören nicht zur COVID-19 Risikogruppe. Die BF sind mit der Sprache sowie den Gebräuchen in ihrem Herkunftsstaat vertraut. Sie werden in der Lage sein, in Pakistan für ihre grundlegendsten Bedürfnisse selbst aufzukommen.

II.2.14. Das Fluchtvorbringen wird, wie schon oben ausgeführt, als nicht glaubhaft erachtet, woraus sich ergibt, dass die BF im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr laufen werden, aus einer individuellen Bedrohung ernsthaft Schaden zu nehmen. Die Feststellungen, dass die BF in der Lage sein werden, in Pakistan für ihre grundlegendsten Bedürfnisse selbst aufzukommen, ergibt sich unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände sowie der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Länderinformationen und den familiären und sozialen Anknüpfungspunkten in dieser Stadt. Es liegen keine exzeptionellen Umstände vor, die annehmen lassen würden, dass die BF dort keine Lebensgrundlage vorfinden und von ihnen die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Aufgrund der schulischen und beruflichen Kenntnisse ist die Lebensgrundlage und die Existenz der BF im Falle ihrer Rückkehr bei Inanspruchnahme der angebotenen Rückkehrhilfe in Verbindung mit dem sozialen und familiären Netz durch die Verwandtschaft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausreichend gesichert.

Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Coronavirus, der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 und der Situation in Pakistan kann aufgrund des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der BF (aus den Altersangaben und den Angaben der BF zu ihrem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass die BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass Pakistan, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.

Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage in Paksitan nicht entnommen werden. Seitens der BF wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in ihren Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage in Paksitan als erwiesen anzusehen ist.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Zu A)

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten

II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) …

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1.

dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2.

der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

  

...“

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.2.2.Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (in etwa VwGH vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731; vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre überhaupt fraglich, ob unter solchen Umständen noch von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (vgl. VwGH vom 20.05.2015, Zl. Ra 2015/20/0030 und vom 10.08.2017, Zl. Ra 2017/20/0153).

Die StatusRL 2011/95/EU sieht einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (VwGH vom 16.11.2016, Zl. Ra 2016/18/0233).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 und vom 01.09.2005, 2005/20/0357).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund ist nicht gegeben. Die BF vermochten keine asylrelevante Verfolgung darzutun. Wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt, ist es den BF nicht gelungen, ihre Fluchtgründe glaubwürdig darzulegen und so eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft, wobei als zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ erachtet wird. Diese ist dann gegeben, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erschließt sich jedoch, dass die behauptete Furcht der BF, aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, in Bezug auf den Herkunftsstaat Paksitan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht begründet ist.

II.3.2.3. Wie im gegenständlichen Fall aber bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der BF zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380). Aber selbst bei Wahrheitsunterstellung bleibt zur Lage der Ahmadiyya festzuhalten, dass sich aus den im gegenständlichen Verfahren getroffenen Feststellungen zwar ergibt, dass es zu Übergriffen kommen kann, es ergibt sich hieraus jedoch auch, dass die überwiegende Zahl der Ahmadiyyas in Pakistan unbehelligt lebt.

Im vorliegenden Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen zum Ergebnis, dass die BF keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt waren oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wären, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von "Rückkehrern", die sich im Ausland exilpolitisch betätigt haben, in Bezug auf den geltend gemachten Nachfluchtgrund darauf an, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Betätigung in das Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen, einerseits, ob der Asylwerber auffällig "regimekritisch" in Erscheinung getreten ist, andererseits, ob er aus der Sicht der Behörden des Herkunftsstaates als Gefahr für das Regime eingeschätzt werden konnte (VwGH, 22.05.2001, 2000/01/0076; 14.01.2003, 2001/01/0398; 08.04.2003, 2002/01/0078). In das Blickfeld der Sicherheitskräfte können zwar exponierte Personen geraten, nicht jedoch Personen, die Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung verrichten (exilpolitische Aktivitäten niedrigen Profils).

Zu den exilpolitischen Aktivitäten niedrigen Profils, zählen unter anderem die mit einer schlichten Vereinsmitgliedschaft verbundene regelmäßige Zahlung von Mitgliedsbeiträgen sowie von Spenden, schlichte Teilnahme an Demonstrationen, Ordnertätigkeit bei Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, Verteilung von Flugblättern und Verkauf von Zeitschriften, Helfertätigkeit bei Informations- und Bücherständen, Platzierung von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in türkischsprachigen Zeitschriften. (Oberverwaltungsgericht NRW 19.04.2005, 8 A 273/04.A; OVG Münster 27.06.2002, 15 A 373/01.A).

Für Aktivitäten im Internet gilt derselbe Maßstab wie für sonstige exilpolitische Tätigkeiten. Alle Aktivitäten sind im Zusammenhang zu würdigen. Mit Internetauftritten wie einem Weblog und regimekritischen Artikeln und Bildern in Facebook hebt sich jemand nicht aus der Masse der Asylwerber hervor, die im Internet präsent sind. Schon die Masse der Internetportale, Blogs und sonstiger Seiten von Oppositionellen spricht gegen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr. Daran ändert nichts, wenn etwa die Teilnahme an einer Demonstration hinzukommt, über die im deutschen Fernsehen berichtet wurde (VG Würzburg, U.v. 18.04.2012 – W 6 K 11.30147 5381344).

Bei den BF handelt es sich demnach um keine in ihrem Herkunftsstaat exponierte Personen. Auch aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Verein „Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich“ werden sie nicht darart in das Blickfeld der pakistanischen Behörden gelangt und deswegen im Falle ihrer Rückkehr asylrelevanter Gefährdung ausgesetzt sein. Dies ist im Lichte der obzitierten Judikatur und auch der einschlägigen Länderfeststellungen jedenfalls zu verneinen. Im Übrigen gibt es nach den getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür, dass pakistanische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

Auch zum Vorbringen der BF, als Ahmadi in Pakistan verfolgt zu werden, bleibt festzuhalten, dass laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe allein keinen Grund für die Asylanerkennung darstellt, sofern nicht konkrete gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden. Solche von den BF vorgebrachten Handlungen waren jedenfalls nicht glaubhaft.

Darüber hinaus kann auch den vorliegenden Länderinformationen eine Gruppenverfolgung nur aufgrund der Zugehörigkeit der Ahmadis nicht entnommen werden. Auch wenn Ahamdis den aktuellen Ausführungen der Staatendokumentation des BFA teilweise Diskriminierungen ausgesetzt sein mögen, so kann daraus nicht auf eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK geschlossen werden.

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798

Selbst bei Wahrheitsunterstellung ihres Vorbringens bleibt es dem BF frei, sich in größeren Städten in Pakistan niederzulassen. In den Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Land. Selbst Menschen, die von der Polizei wegen Mordes gesucht werden, können in einer Stadt unbehelligt leben, die weit genug von Ihrem Heimatort entfernt liegt. (Quelle: auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 29.07.2019 (Stand Mai 2019).

Die BF könnten sich somit an einem anderen Ort in Pakistan niederlassen und wären - auch angesichts der Bevölkerungsdichte Pakistans - mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass die BF an anderen Orten, vor allem in den genannten Großstädten, ebenfalls den von ihnen behaupteten – jedoch seitens des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes für unglaubwürdig befundenen - Schwierigkeiten ausgesetzt wären. Hinweise für eine Unzumutbarkeit im individuellen Fall, sich in einer anderen Stadt niederzulassen, haben sich im Verfahren, dies auch in Hinblick auf ihre individuelle Situation (arbeitsfähige, gesunde Frauen mit sozialem Netz durch ihre Familienangehörigen in Pakistan und mit ausgezeichneter Schulbildung) nicht ergeben.

 

II.3.3. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:

„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1.

der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.

  

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.…“

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der bP zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlich bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates der BF (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es bestehen jedoch keine glaubhaften Hinweise, dass die BF einen Sachverhalt verwirklichten, welcher in Pakistan mit der Todesstrafe bedroht ist) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat der BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass den BF im Falle einer Rückkehr nach Pakistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch die BF selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person der BF begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

Zur individuellen Versorgungssituation der BF wird weiter festgestellt, dass es sich um mobile, gesunde und arbeitsfähige Personen handelt. Einerseits stammen die BF aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehören sie keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es den BF auch vor dem Verlassen des Herkunftsstaates möglich, dort das Leben zu meistern.

 

Bei den BF kann somit die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Es sind jedenfalls keine Gründe ersichtlich, warum sie als erwachsene Person in Pakistan keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können sollten. Sie sind in Pakistan geboren und aufgewachsen, haben dort die überwiegende Zeit ihres Lebens verbracht und eine ausgezeichnete Schulbildung genossen. Die BF wurden in Pakistan sozialisiert und leben noch der Gatte der BF1, eine Schwester mit deren Sohn, zwei Tanten mütterlicherseits mit deren Familien, drei Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits, insgesamt noch ca. 15 Verwandte, in Pakistan. Die BF1 ist im Besitz eines Hauses, indem aktuell der Gatte wohnt, dieser ist Paketzusteller und vertreibt Plastikgeschirr. Die BF haben zum Gatten der BF1 beihnahe täglich Kontakt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass ihm im Fall ihrer Rückkehr auch im Rahmen ihres Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwird. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Schulbildung der BF und der die BF1 betreffende 26-jährige Tätigkeit als Lehrerin, wäre die Lebensgrundlage und die Existenz der BF im Falle ihrer Rückkehr bei Inanspruchnahme der angebotenen Rückkehrhilfe auch ohne soziales Netz und finanzielle Unterstützung durch die Verwandschaft mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausreichend gesichert.

 

Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß § 52a BFA-VG auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für die Fortsetzung des bisherigen Lebens in Pakistan gewährt werden kann. Im Rahmen der Rückkehrhilfe wird dabei der Neubeginn zu Hause unterstützt, Kontakt zu Hilfsorganisationen im Heimatland vermittelt, finanzielle Unterstützung geleistet und beim Zugang zu Wohn-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeitengeholfen(http://www.caritas.at/hilfeeinrichtungen/fluechtlinge/beratung-und vertretung/rueckkehrhilfe/).

 

II.3.3.3. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeit überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage geraten.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Weder droht den BF im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

Die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordert auch nicht die Zuerkennung von subsidiärem Schutz oder die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung. Eine Epidemie im Herkunftsstaat eines Fremden ist zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art 3 EMRK beachtlich. Da es sich aber eben nicht nur um eine Epidemie im Herkunftsstaat, sondern um eine Pandemie handelt, ist das allgemeine Lebensrisiko am Erreger SARS-CoV-2 zu erkranken, weltweit, das bedeutet sowohl im Herkunftsstaat, als auch im Bundesgebiet, erhöht. Auch wenn daher nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der BF im Herkunftsstaat mit dem Erreger SARS-CoV-2 infiziert – was aber auch für den Fall des Verbleibes in Österreich gelten würde – ist das Risiko eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung äußerst gering. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art 3 EMRK droht der BF in ihrem Herkunftsstaat aufgrund der COVID-19-Pandemie daher nicht (vgl. idS BVwG 25.03.2020, W273 2188533-1/24E).

Was die Folgen des Hochwassers in Pakistan nach den Monsunregenfällen 2022 betrifft, so ist festzustellen, dass als notorisch anzusehen ist, dass dieses hauptsächlich die Provinz Sindh getroffen hat. Die Provinz Punjab etwa ist lediglich geringfügig betroffen, so etwa südlich der Stadt Lahore (siehe bspw. die vom United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) erstellten Karten zu den vom Hochwasser betroffenen Gebieten). Folglich ist aus diesem Grund von keiner Art. 3 EMRK Relevanz im konkreten Fall des BF auszugehen.

 

II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

II.3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

§ 10 AsylG 2005, Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme:

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“

§ 57 AsylG 2005, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

 

§ 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln:

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

1. sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

2. bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

3. gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

6. soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.“

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

 

§ 52 FPG, Rückkehrentscheidung:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017 aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel “Daueraufenthalt – EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

 

§ 55 FPG, Frist für die freiwillige Ausreise

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

II.3.4.2. Der gegenständlichen, nach nicht rechtmäßigeren Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz war abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel des drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt die BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Es liegen keine Umstände vor, dass den BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre. Es erwies sich der bisherige Aufenthalt der BF im Bundesgebiet lediglich aufgrund der Asylantragstellung als legitimiert und liegt sohin keine Duldung iSd. § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG vor. Die BF waren auch weder Opfer noch Zeugen im Zusammenhang mit Menschenhandel, grenzüberschreitender Prostitution oder dergleichen.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

II.3.4.4. Die BF leben von der Grundversorgung und haben Deutschkurse besucht, Zertifikate wurden keine vorgelegt. Die BF sind Mitgliederinnen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich und engagieren sich ehrenamtlich innerhalb der Gemeinschaft, wie den beiden gänzlich gleichlautenden Schreiben der Organisation zu entnehmen ist. Einstellungszusagen wurde nicht vorgelegt. Die BF2 war von Juni 2022 bis September 2022 in Bruck/Mur am dortigen Tennisplatz ehrenamtlich tätig. Von 31.01.2022 bis 27.01.2023 besuchte die BF2 20 Stunden pro Woche ein Steirisches Jugendcollege. Die BF sind für niemanden im Bundesgebiet sorgepflichtig und haben keine österreichischen Freunde. Die BF verfügen in Österreich über keine Verwandten und leben mit keinen ihnen nahestehenden Person zusammen. Sie haben keine Sorgepflichten und sind strafrechtlich unbescholten.

Eine Haftungserklärung wurde nicht vorgelegt. Der BF pflegt normale soziale Kontakte.

Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8EMRKist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423).

Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.

Die Rückkehrentscheidung stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, sondern allenfalls einen solchen in das Privatleben.

II.3.4.5. Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.

Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der geltenden Judikatur Folgendes:

- Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die BF sind seit 30.09.2021 in Österreich aufhältig. Sie reisten auf dem Luftweg von Abu Dhabi kommend in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.

- das tatsächliche Bestehen eines Privatlebens:

Die BF haben keine Verwandten und leben mit keiner ihnen nahestehenden Person zusammen. Sie sind für niemanden sorgepflichtig. Ansonsten verfügen sie über keine familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Die BF begründeten ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt lediglich durch die Stellung des unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert war. Auch war der Aufenthalt der BF zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.

Letztlich ist auch festzuhalten, dass die BF nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abzubrechen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).

- Grad der Integration

Die BF sind –in Bezug auf ihr Lebensalter- erst einen kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig, haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte und waren im Asylverfahren nicht in der Lage, ihren Antrag ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu begründen.

Die BF leben von der Grundversorgung und haben Deutschkurse besucht, Zertifikate wurden keine vorgelegt. Die BF sind Mitgliederinnen der Ahmadiyya Muslim Jamaat Österreich und engagieren sich ehrenamtlich innerhalb der Gemeinschaft, wie den beiden gänzlich gleichlautenden Schreiben der Organisation zu entnehmen ist. Einstellungszusagen wurde nicht vorgelegt. Die BF2 war von Juni 2022 bis September 2022 in Bruck/Mur am dortigen Tennisplatz ehrenamtlich tätig. Von 31.01.2022 bis 27.01.2023 besuchte die BF2 20 Stunden pro Woche ein Steirisches Jugendcollege. Die BF sind für niemanden im Bundesgebiet sorgepflichtig und haben keine österreichischen Freunde. Die BF verfügen in Österreich über keine Verwandten und leben mit keinen ihnen nahestehenden Person zusammen. Sie haben keine Sorgepflichten.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die –hier bei weitem nicht vorhandenen- Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

- Bindungen zum Herkunftsstaat

Die BF verbrachten den überwiegenden Teil ihres Lebens in Pakistan, wurden dort sozialisiert, bekennen sich zum Glaubender Ahmadis und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Im Heimatdorf der BF in Pakistan lebt noch der Gatte der BF1 in ihrem eigenen Haus. Weiters halten sich in Pakistan noch eine Schwester mit deren Sohn, zwei Tanten mütterlicherseits mit deren Familien, drei Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits, insgesamt noch ca. 15 Verwandte, auf. Der Gatte der BF1 ist Paketzusteller und vertreibt Plastikgeschirr. Die BF1 unterhält beihnahe täglich felefonischen Kontakt mit ihrem Gatten. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Pakistan Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der BF existieren, da nichts darauf hindeutet, dass sie vor der Ausreise im Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es deutet daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

- strafrechtliche Unbescholtenheit

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Diese Feststellung stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

- Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Derartiges kann der Aktenlage nicht entnommen werden.

- die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Den BF musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.

- mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Ein derartiges Verschulden kann der Aktenlage nicht entnommen werden.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine (damals) Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer [damals] Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der [damals] Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und/oder Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 leg. cit. genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich –abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für eine beschwerdeführende Partei grundsätzlich nicht mehr möglich, ihren Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem BF gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung ihres Aufenthaltes vom Inland aus offensteht, sodass sie mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer Rückkehrentscheidung bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens sind die BF somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der (damals) Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der Rechtsprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisung- bzw. Rückkehrentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Praxis hinsichtlich Rückkehrentscheidungen der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art „Handreichung des Staates“ - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man – wie die Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt – dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

In seinem Erkenntnis Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.

Der GH führte weiter –wiederum auf seine Vorjudikatur verweisend- aus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als „fait accompli“ mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer getroffen, weil es der Erstbeschwerdeführerin grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall Erstbeschwerdeführerin trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.

Weiter wird hier auf das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

Im gegenständlichen Fall erachtete es der EGMR nicht erforderlich, sich mit der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

II.3.4.6. Letztlich ist festzustellen, dass eine Gegenüberstellung der von den BF in ihrem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würden.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende, außergewöhnliche und berücksichtigungswürdige Integration der BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die BF halten sich im Vergleich zum Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf. Eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist jedenfalls nicht erkennbar. Die BF haben den Großteil des Lebens in Pakistan verbracht und wurde dort sozialisiert. Zudem befinden sich in ihrem Heimatdorf noch ca. 15 Verwandte, darunter der Gatte der BF1. Es ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen Beziehungen zum Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zu Pakistan eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegt und er nach wie vor Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat hat.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordneten Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in den Beschwerden nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

II.3.5. Abschiebung

II.3.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

 

Im gegenständlichen Fall sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Pakistan unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.

 

Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.

Eine im § 50 Abs. 3 FPG genannte Empfehlung des EGMR liegt ebenfalls nicht vor.

 

II.3.5.2. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG.

 

Dass besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits festgehalten, dass es sich bei den in § 55 Abs. 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, ohnehin nur um solche handeln kann, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind (VwGH vom 31.07.2020; Ra 2020/19/0252; vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/21/0114; vgl näher zu der nach § 55 FPG zu setzenden Frist VwGH 16.5.2013, 2012/21/0072, mwN).

 

Im Hinblick darauf, dass das Gesetz bei der Verlängerung der in einer Rückkehrentscheidung festgelegten Ausreisefrist ebenfalls auf die "Regelung der persönlichen Verhältnisse" abstellt und die (Verlängerung der) Ausreisefrist auch der Sache nach i.W. dieselbe Zielrichtung hat wie der Durchsetzungsaufschub, ist die erwähnte Rechtsprechung auch bei der Auslegung des§ 55 Abs. 2 und 3 FPG einzubeziehen. Demnach muss es sich bei den in diesen Bestimmungen genannten "besonderen Umständen" um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind.

 

Dass bei der Beurteilung, ob derartige Gründe vorliegen, ein weites Verständnis geboten ist, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien, die als Beispielsfall den Abschluss eines bereits begonnenen Semesters eines schulpflichtigen Kindes, der nicht im unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit der "Vorbereitung und Organisation der Ausreise" steht, "oder gleichwertige Gründe" nennen. Dabei wurde offenbar auf den mit dieser Bestimmung umgesetzten Art. 7 Abs. 2 RückführungsRL Bedacht genommen und in diesem Sinn auch noch "die Dauer des bisherigen Aufenthaltes" als möglicher besonderer Umstand iSd § 55 Abs. 2 und 3 FPG erwähnt. Außerdem werden in der beispielsweisen Aufzählung der genannten Richtlinienbestimmung neben dem "Vorhandensein schulpflichtiger Kinder" überdies "das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen" angeführt.

 

Vor diesem Hintergrund ist § 55 Abs. 2 und 3 FPG auszulegen und zu beurteilen, ob im jeweiligen Einzelfall besondere Gründe im genannten Sinn, welche die Einräumung einer mehr als 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise notwendig machen, gegeben sind. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Weiters ist zu beachten, dass es sich bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln muss; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall muss absehbar sein.

 

II.3.5.3. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Rückkehrentscheidung vorliegen, keine Umstände gegen die Zulässigkeit der Abschiebung sprechen und eine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht, ist die Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

II.6. Zum Antrag auf Einholung eines landeskundlichen Sachverständigengutachtens bzw. auf zeugenschaftliche Vernehmung von XXXX und XXXX

3.6.1. Im vorliegenden Fall hat die rechtliche Vertretung die Einholung eines landeskundlichen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass Angehörige der Minderheit der Ahmadis im Falle der Praktizierung der Religion im gesamten Staatsgebiet mit staatlicher Verfolgung zu rechnen haben, beantragt. Weiters wurde die zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX und XXXX , zum Beweis dafür, dass die BF tatsächlich aktive Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat sind und eine besondere Verbundenheit zu ihrer Religion aufweisen, beantragt.

3.6.2. Aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung folgt jedoch, dass Beweisanträge nicht mehr berücksichtigt werden müssen, wenn sich das Verwaltungsgericht aufgrund der bisher vorliegenden Beweise/Ergebnisse des bisher durchgeführten Ermittlungsverfahrens ein klares Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann (vgl. mit Verweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 23).

Hinsichtlich der behaupteten staatlichen Verfolgung der Ahamdis ist festzuhalten, dass anhand den beigezogenen Länderberichten und Länferinformationen nicht verkannt wird, dass die gesellschaftliche Diskriminierung und Propaganda gegen die Religionsgemeinschaft der Ahmadis weit verbreitet ist und auch Angehörige der Ahmadi Gemeinschaft aus religiösen Gründen vereinzelt strafrechtlich belangt werden. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Ahmadis in Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der landesweiten Gefahr ausgesetzt sei, Opfer solcher Gewalt zu werden. Auch konnte auf die zeugenschaftliche Einvernahme der XXXX und XXXX verzichtet werden, weil das Bundesverwaltungsgericht ohnehin im Einklang mit dem Vorbringen der BF davon ausgeht, dass beide BF Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Jamaat und auch im vorgebrachten Rahmen tätig sind. Diesbezüglich waren die Angaben glaubwürdig und nachvollziehbar und wurde das Vorbringen als Wahr angenommen.

Auch aufgrund der übrigen Ergebnisse des Beweisverfahrens ergab sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild, insbesondere betreffend die Glaubwürdigkeit der BF hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (vgl. VwGH 13.09.2002, Zl. 99/12/0139; 20.03.2014, Zl. 2012/08/0194).

Den Anträgen war daher nicht zu entsprechen.

 

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, der hier vertretenen Zurechnungstheorie und den Anforderungen an einen Staat und dessen Behörden, um von dessen Willen und Fähigkeit, den auf seinem Territorium aufhältigen Menschen Schutz vor Übergriffen zu gewähren ausgehen zu können, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht. Entsprechende einschlägige Judikatur wurde bereits zitiert.

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