BVwG L526 2168081-2

BVwGL526 2168081-22.7.2020

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:L526.2168081.2.00

 

Spruch:

 

L526 2168076-2/6E

L526 2168081-2/6E

L526 2168079-2/6E

L526 2168073-2/6E

L526 2196719-2/6E

BESCHLUSS

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über den Antrag auf Wiederaufnahme 1) des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 2) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 3) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 4) des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, 5) der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, BF3 bis BF5 vertreten durch die Eltern XXXX und XXXX , diese vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Mag. Ali POLAT, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019, Zlen. XXXX beschlossen:

 

A)

Die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren werden als unzulässig zurückgewiesen.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrenshergang

I.1. Die Antragsteller und Antragstellerinnen, ehemals Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen in den im Spruch genannten Verfahren (in diesem Zusammenhang auch kurz als „BF“ oder gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als „BF1“ bis „BF5“ bezeichnet) sind Staatsangehörige der Türkei. BF1 bis BF4 brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 7.2.2017 (BF1) und am 15.3.2017 (BF2 bis BF4) bei der belangten Behörde (in weiterer Folge auch kurz „bB“ genannt) Anträge auf internationalen Schutz ein. Für die in Österreich geborene BF5 wurde am 20.4.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.

 

I.2. Der männliche BF1 und die weibliche BF2 sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen BF3 bis BF5.

 

I.3. Anlässlich seiner Einvernahme durch die Landespolizeidirektion Oberösterreich brachte BF1 im Wesentlichen vor, er habe sein Land verlassen, da er Kurde sei und zur kurdischen Partei in XXXX gehört habe. Er hätte Angst vor der Polizei gehabt und sei deshalb geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von den türkischen Behörden umgebracht zu werden. Zur Frage, ob er ein bestimmtes Reiseziel hatte und warum er dieses bestimmte Land erreichen habe wollen, gab BF1 an, es sei Österreich gewesen; Österreich gefalle ihm einfach.

 

BF2 gab vor der Landespolizeidirektion Oberösterreich an, sie habe ihr Land wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verlassen, derentwegen sie in der Türkei keine Chance auf Arbeit und ein gutes Leben habe. Sie habe auch zu ihrem Gatten gewollt. Zur Frage nach ihrer Rückkehrbefürchtungen gab BF2 an, sie habe keine Perspektiven in der Türkei; sie habe auch Angst vor der dortigen Polizei, da ihre Schwester und ihr Onkel wegen der Polizei verstorben seien.

 

Anlässlich seiner Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF1 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):

 

„[…] LA: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?

VP: Die Kinder haben eigentlich auch Probleme zB in der Schule. Sie werden unterdrückt, dass sie nicht Kurdisch reden sollen. Aber ich würde sagen, sie sind mit uns gekommen.

LA: Sind Ihre Kinder gesund?

VP: Ja.

 

LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?

VP: Mutter und Vater sind verstorben. Geschwister: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX . Wie alt sie sind weiß ich nicht genau.

 

LA: Haben Sie noch Onkeln Tanten, Cousins oder Cousinen?

VP: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits, er ist aber bereits gestorben. Drei Onkeln mütterlicherseits, sind auch alle bereits gestorben. Ich habe keine Tanten.

 

LA: Haben Sie Cousins oder Cousinen?

VP: Ich habe schon Cousins..ich habe viele.

 

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten?

VP: Zur Zeit nicht.

 

LA: Also gegenwärtig besteht kein Kontakt zu Ihren Geschwistern in der Türkei?

VP: Nein.

 

LA: Wann kommunizierten Sie zuletzt mit Ihren Geschwistern in der Türkei?

VP: Bevor ich nach Österreich kam habe ich mit einem Bruder, der in XXXX gesprochen, mit den anderen auch nicht.

 

LA: Gibt’s dafür irgendeinen Grund?

VP: Es gibt keinen Grund dafür, das ist einfach so.

 

LA: Grundsätzlich verstehen Sie sich mit Ihren Geschwistern?

VP: Das schon, ja.

 

LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?

VP: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX leben in unserem Dorf, XXXX in XXXX , XXXX und XXXX in Istanbul

 

LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!

VP: XXXX . Das gehört zu XXXX . Meine Straßennummer weiß ich nicht mehr.

 

LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?

VP: Nur hier.

 

LA: Wie lange lebten Sie dort?

VP: 2004 bin ich von der Heimat weggegangen, also seit 2004 habe ich dort gelebt.

 

LA: Sie haben dort 13 Jahre gelebt und können sich an die Straße nicht mehr erinnern?

VP: Ich bin generell vergesslich. Ich weiß, dass das mit 2000 begann, aber ich kann mich nicht mehr erinnern…2507 vielleicht.

 

LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?

VP: Mit meiner Frau und meinen Kindern.

 

LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

VP: Kurz gesagt habe ich so viel erlebt. Aber soll ich bei meiner Kindheit beginnen?

 

LA: Wie Sie möchten.

VP: Ich konnte die Schule als Kind nicht besuchen, unsere Schulen wurden oftmals angezündet, obwohl ich sehr gerne wollte, konnte ich deshalb die Schule damals nicht abschließen. Als ich beim Militär war starb meine Mutter. Ich bin zur Beerdigung gegangen. Als ich von dort zurückkam wurde ich zusammengeschlagen. Als ich bei der Beerdigung meiner Mutter war, gab es einen Kampf zwischen Soldaten und den Leuten in den Bergen. Man hat 16 Leichen gebracht und sogar am Boden geschleift. Ich konnte aus diesem Grund nicht rechtzeitig zum Militär zurückkehren. Wie gesagt als ich wegen meiner Mutter in der Heimat war bin ich einen Tag zu spät gekommen und ich hätte am Abend Bescheid geben sollen, das konnte ich aber nicht. Nur aus diesem Grund haben sie mich vor allen anderen Soldaten zusammengeschlagen und erniedrigt. Meine Ehre war beleidigt. 2014 übersiedelte ich nach XXXX . Dort erlebte ich auch viele Probleme. Vor allem wirtschaftliche Probleme. Weil ich Kurde war fand ich keine Arbeit. Ich sollte nicht falsch verstanden werden: ich habe schwarz gearbeitet, einen guten Job fand ich nie. Ich habe als Hilfsarbeiter gearbeitet, um das Brot für meine Kinder zu verdienen. zB habe ich auf meinem Rücken große Kühlschränke in den 13. Stock tragen müssen. Wie kann man einen Kühlschrank in den 13. Stock tragen? Aber ich habe das gemacht, weil ich sonst nichts gefunden habe. (VP sagt nichts)

 

LA: Bitte reden Sie weiter.

VP: Als ich ein Kind war, das habe ich vorher vergessen, zB auf einer Seite des Flusses war ich mit meinen Schafen, auf der anderen Flussseite waren die Sicherheitsbehörden. Sie haben immer absichtlich in unsere Richtung geschossen. Ich habe damals immer wieder Angst gehabt, von einer Kugel getroffen zu werden. Sie haben das spaßhalber gemacht, aber ich hatte Angst, für mich war das kein Spaß.

 

LA: Bitte reden Sie weiter.

VP: Ehrlich gesagt, ich habe viel erlebt, viel gesehen, viel gehört. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich euch erzählen soll. Man hat einmal meinen Vater, er war alt und schwach, aufs Polizeirevier nur deshalb mitgenommen, weil er Kurde ist. Nicht nur mein Vater, auch die Nachbarn, ich meine damit, solche Ereignisse haben wir immer wieder erlebt, immer wieder gesehen, sie haben sie nur mitgenommen in der Absicht „ihr helft der PKK“. Ob das stimmt oder nicht war ihnen egal.

 

LA: Relevant für mich ist, wieso Sie sich letztlich entschieden haben, Ihr Land zu verlassen. Also welche Ereignisse letztlich dazu führten, dass Sie nach Österreich ausgereist sind.

VP: Wie gesagt: die Gründe, die ich gesagt habe, noch dazu habe ich immer Druck von der Polizei bekommen. Sie haben mich nicht in Ruhe gelassen. Deshalb musste ich das Land verlassen.

 

LA: Das heißt, Sie verließen Ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen und weil Sie von der Polizei schikaniert wurden, verstehe ich das richtig?

VP: Eher wegen des polizeilichen Drucks.

 

LA: Wie kann ich mir den Druck vorstellen und warum wurde dieser „Druck“ überhaupt ausgeübt?

VP: Sie behauptete, du bist ein Kurde und ich würde auch die politische Partei unterstützen. Nachdem ich die Partei unterstütze und Kurde bin haben sie mich immer ausgeschlossen. Wie ich schon erzählte, dann bin ich hierhergekommen und habe um Asyl angesucht.

 

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Ich kann mich nicht an weiteres erinnern, wie ich sagte, ich vergesse sehr schnell. Vielleicht fällt mir in der nächsten Minute wieder etwas ein.

 

LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?

VP: Wie soll man Beziehung verstehen? Ich habe sie nicht praktisch unterstützt, aber als Kurde hatte ich schon Sympathien. Ich habe sie auch mündlich unterstützt, aber ich bin nicht in die Berge gegangen und habe mitgekämpft.

 

LA: Sie meinten, die Polizisten hätten Ihnen unterstellt, die „politische Partei“ unterstützt zu haben. Welche Partei war damit gemeint?

VP: Die kurdische Partei HDP.

 

LA: Haben Sie die HDP unterstützt?

VP: Ja.

 

LA: Waren Sie offiziell Parteimitglied?

VP: Ich war Mitglied, jetzt bin ich es nicht mehr. 2015 ist – wie ihr wisst – das Parteigebäude komplett verbrannt, alle Unterlagen, auch meine Daten sind verbrannt.

 

LA: Das heißt es gibt keine Daten mehr darüber, dass Sie bei der HDP waren?

VP: Ich habe nichts mehr gefunden, was ich anfordern konnte. Nicht nur die Partei, auch die Nachbargeschäfte sind komplett verbrannt.

 

LA: Bei welcher „Zweigstelle“ der HDP waren Sie aktiv?

VP: In XXXX .

 

LA: Waren Sie nur Mitglied oder hatten Sie in der HDP auch Aufgaben?

VP: Ich war nur Mitglied.

 

LA: Waren Sie – aus welchen Gründen auch immer – bekannt als Aktivist für die Rechte der Kurden?

VP: Ich war nicht Aktivist, ich hätte es sein wollen, aber das lässt man bei uns nicht zu. Kaum will man etwas für die Kurden machen, wird man gestoppt.

 

LA: Waren Sie einer breiteren Öffentlichkeit aufgrund Ihrer politischen Tätigkeiten bzw. aufgrund Ihrer Parteimitgliedschaft bekannt?

VP: Bekannt insofern, dass ich immer am Newroz teilgenommen habe und an Parteiveranstaltungen und Meetings. Überall habe ich teilgenommen.

 

LA: Wie viele Teilnehmer hatten diese Veranstaltungen circa?

VP: Es war immer unterschiedlich, obwohl es XXXX war und kein kurdisches Gebiet haben immer so ungefähr 2.000 Menschen teilgenommen.

 

LA: Können Sie einen Mitgliedsausweis oder dergleichen vorlegen?

VP: Nein.

 

LA: Können Sie mir etwas über Ihre Politisierung erzählen?

VP: Ich habe eine, wie sagt man, herzliche Verbindung zur kurdischen Partei, weil ich selbst auch Kurde bin und wir hatten eine kurdische Partei, die die Kurden vertritt. Deswegen unterstützte ich diese Partei. Und so viel von meiner Politisierung.

 

LA: Sie sagten mir vorhin, die Polizei hätte Druck auf Sie ausgeübt. Könnten Sie mir bitte näher erläutern, wie dieser „Druck“ konkret aussah?

VP: Vor allem haben sie.. meistens haben sie gesagt, „ihr seid alle PKK“. Obwohl ich Kurde bin, gibt es keine Beweise dafür, dass ich PKK-Kämpfer oder Sympathisant bin, aber sie sagten immer „ihr PKK“, damit haben sie mich erniedrigt. Das sagten sie in einem erniedrigenden Tonfall. Ich wurde beobachtet.

 

LA: Inwiefern wurden Sie beobachtet?

VP: Zum Beispiel wenn wir an Newroz oder an anderen Veranstaltungen teilgenommen haben, haben sie beobachtet, wer teilnimmt..wer schreit. Deswegen sage ich, dass wir generell unter Beobachtung waren.

 

LA: Das heißt aber, Sie wurden nur als Mitglied dieser Gruppe bei Veranstaltungen beobachtet und nicht eigens observiert. Verstehe ich das richtig?

VP: Ich wurde schon ein paar Mal beobachtet 1:1 und sie haben mir den Ausweis weggenommen und kurz einvernommen nachdem sie etwas Negatives gefunden haben, haben sie mich wieder freigelassen. Zum Beispiel als ich als Hilfsarbeiter gearbeitet habe, haben wir auch Aufträge für Polizisten bekommen und sie sagten zu unserem Arbeitgeber, dass sie überhaupt keine Kurden beauftragen sollen, sie wollen keine Kurden in ihrem Haus sehen.

 

LA: Wie oft wurden Sie einvernommen?

VP: Zwei Mal.

 

LA: Wann war das jeweils?

VP: Kurz bevor ich nach Österreich kam.

 

LA: Wie lange dauerte die Einvernahme?

VP: Circa 15 Minuten.

 

LA: Worum ging es in der Einvernahme?

VP: „du bist Kurde“. Ich habe sonst nichts angestellt, meine Schuld ist nur, dass ich Kurde bin.

 

LA: Wurden Sie im Rahmen der Einvernahme geschlagen oder bedroht?

VP: Geschlagen nicht, bedroht aber schon.

 

LA: Wie wurden Sie bedroht?

VP: „Warum seid ihr nicht in XXXX geblieben, sondern in unsere Stadt gekommen, wir werden euch vernichten“.

 

LA: Wie wirkte sich dieser „Druck“ auf Ihr Leben aus?

VP: Ehrlich gesagt, wenn ich Polizisten sehe, habe ich aufgrund dieses Drucks Angst vor Polizisten. Obwohl ich jetzt hier in Österreich lebe habe ich Angst vor Polizisten. Einmal – ich kann es nicht beweisen – hat er seine Waffe gezogen, er wollte fast schießen. Ich bin mit meinem Bruder mit dem LKW gefahren, er hat gemeint, wir hätten ihm den Vorrang geben müssen „seid ihr Kurden alle so ungebildet und wisst nicht, wer Vorrang hat“. Er war gleich so sauer und hat seine Pistole gezogen, nur weil ich nicht stehen geblieben bin.

 

LA: Woran hat er Sie als Kurde erkannt?

VP: Er ist ein Stückchen gefahren, dann wiedergekommen, inzwischen haben wir an der Seite geparkt und unter uns Kurdisch gesprochen, er muss es an meinem Dialekt bemerkt haben.

 

LA: Gab es sonst noch Angriffe oder Drohungen seitens Polizeibeamter gegen Sie?

VP: Ich muss überlegen. (VP überlegt) (VP schüttelt den Kopf) Mir fällt nichts ein.

 

LA: Gab es allgemein Drohungen gegen Sie persönlich?

VP: Außer diese Ereignisse nicht.

 

LA: Gab es allgemein Angriffe gegen Sie persönlich?

VP: Nein, persönlich nicht. Weil ich ein Kurde war ja, aber persönlich oder direkt nicht.

 

LA: Also wurden Sie nicht körperlich angegriffen, wenn ich Sie richtig verstehe?

VP: Körperlich angegriffen nicht, nein.

 

LA: Was hat Sie davon abgehalten, in einen kurdischen Landesteil zu ziehen?

VP: Wo gibt es kurdische Gebiete bitte? Es wird überall bombardiert. In Ostanatolien gab es fast keine Kurden mehr, die sind überall verstreut. In Dörfern vor allem, in ostanatolischen Dörfern lebt fast keiner mehr.

 

LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?

VP: Ich habe Angst um mein Leben, ich habe Angst um die Zukunft meines Kindes. Die Psychen meiner beiden Kinder sind sehr schlecht. Sie haben solche Angst vor Polizisten. Ich würde gerne ein Ereignis erzählen: Vor zwei Wochen hat die Caritas uns ein Schreiben gegeben, dass wir die Kinder für die Schule anmelden sollen. Ich war mit den Kindern an dieser Adresse. Ich habe diese Adresse stundenlang nicht gefunden. Da sagte ich zu meinen Kindern, gehen wir zum Polizeirevier. Da ist einer, die sollen uns helfen. Meine Kinder haben dann angefangen zu weinen, weil sie solche Angst vor Polizisten haben. Diese Angst kam aus der Heimat.

 

LA: Fürchten Sie um Ihr Leben aufgrund der bereits geschilderten Ereignisse oder haben Sie noch weitere Gründe, um Ihr Leben zu fürchten?

VP: Aus den Gründen, die ich bereits erzählt habe.

 

LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?

VP: Nein.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?

VP: Ja, viele. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin: ich bin Alevit, ich konnte aber nicht sagen, dass ich Alevit bin. Könnt ihr euch vorstellen, welche psychische Belastung das ausmacht?

 

LA: Bei der Polizei sagten Sie, Sie wären Sunnit.

VP: Es war ein Missverständnis zwischen mir und dem Dolmetscher. Ich habe gesagt „Ich bin kein Sunnit“, er hat mich vielleicht umgekehrt verstanden, oder ich habe ihn umgekehrt verstanden. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin, einer von uns muss einen Fehler gemacht haben. Er hat mich nicht 1:1 gefragt, ob ich Alevit oder Sunnit bin. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin irgendwie so ist das passiert. Aber ich bin Alevit.

 

LA: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihres Alevitentums?

VP: Sie denken über Aleviten, Aleviten sind keine Muslime, sie sind Ungläubige. Sie fasten nicht, sie beten nicht. Sie haben keinen guten Eindruck von Aleviten generell. Wir wurden als Aleviten immer von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich wollte Mitglied einer alevitischen Vereinigung sein, aber nur aus diesem Grund war ich nie ein offizielles Mitglied.

 

LA: Gab es körperliche Übergriffe oder Drohungen auf Sie, weil Sie Alevit sind?

VP: Ich hatte immer Probleme bei den Behörden als Alevit. Und außerdem gab es private Diskussionen über Aleviten. Wie schon gesagt: wir wurden generell als Alevit ausgeschlossen.

 

LA: Wovon wurden Sie ausgeschlossen?

VP: Die Moslems, die sich als Moslems bezeichnen, hatten uns ausgeschlossen. Sie wollten mit uns nicht unbedingt zusammen sein, weil wir Aleviten sind, weil wir nicht beten, weil wir nicht fasten.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?

VP: Nein.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?

VP: Nein.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?

VP: Nein, ich war nur Mitglied der Partei, sonst nirgends. Daher keine Probleme.

 

LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?

VP: So behördlich oder gerichtlich nicht. Aber behördlich wie oben erwähnt mit der Polizei und so.

 

LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?

VP: Drei Tage bevor ich hier in Österreich um Asyl angesucht habe.

 

LA: Also am 04.02.2017.

VP: Am 07.02.

 

LA: Am 07.02. haben Sie den Antrag gestellt. Drei Tage zuvor wäre der 04.

VP: Es muss der 03. oder 04. gewesen sein.

 

LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?

VP: Ich war in einem geschlossenen Laderaum, in einem kleinen LKW. Ich weiß nicht, über welche Länder ich gekommen bin, da der Laderaum geschlossen war.

 

LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?

VP: Nur den kleinen LKW. Wir sind nicht einmal ausgestiegen.

 

LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?

VP: Illegal.

 

LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?

VP: Drei oder vier Tage.

 

LA: Also Sie waren drei oder vier Tage durchgehend in dem kleinen Laderaum?

VP: ja.

 

LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?

VP: 5.000 Türkische Lira.

 

LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?

VP: Ich wollte hierher nach Österreich. Ich habe nicht an ein anderes Land gedacht.

 

LA: Warum gerade Österreich?

VP: Ich hörte, dass Österreich ein schönes Land ist und man hat über Österreich nur positiv gesprochen.

 

LA: Was genau erzählt man sich über Österreich?

VP: Dass es ein kleines Land ist, das schön und ruhig ist. Menschenrechte, Kinderrechte und Frauenrechte herrschen in Österreich.

 

LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?

VP: Nein, ich bin das erste Mal nach Österreich gekommen.

 

LA: Wo ist Ihr Reisepass?

VP: Ich habe keinen.

 

LA: Sind Sie zum ersten Mal im Ausland?

VP: Ja.

 

LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?

VP: Ja. Meine Brüder.

 

LA: Wo leben Ihre Brüder?

VP: Einer lebt in XXXX , einer in XXXX . Die Schwester meiner Frau ist in XXXX . Ich habe auch einen Cousin, der in XXXX wohnt.

 

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in Österreich?

VP: Am Anfang nicht, dann ist mein Bruder irgendwann zu mir gekommen nachdem er hörte, dass ich schon hier bin.

 

LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?

VP: In Deutschland habe ich zwei Schwestern. Sonst nichts.

LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.

VP: Vier Jahre. Nachdem meine Schule abgebrannt war konnte ich nicht mehr.

 

LA: Wie haben Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt bestritten?

VP: Als Hilfsarbeiter, es war eine sehr schwierige Arbeit.

 

LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?

VP: Mittelmaß

 

LA: Waren Sie zuletzt arbeitslos?

VP: Ja, offiziell arbeitslos, aber bei dieser Hilfsarbeit hat man einen Tag Arbeit, dann drei Tage nichts, dann war immer wechselhaft.

 

LA: Wie konnten Sie sich Ihre Flucht leisten?

VP: Ich habe viel gespart, ich habe jeden Groschen gespart.

 

LA: Haben Sie explizit auf Ihre Flucht hin gespart?

VP: Ja. Auch nicht unbedingt, man spart, man denkt, irgedwann gibt es eine Not und spart deswegen.

 

LA: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Ihr Land zu verlassen?

VP: Bevor ich herkam, vier, fünf Tage vorher.

 

LA: Haben Sie sonst noch Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?

VP: Nein. Eine Schwester in XXXX . XXXX und XXXX haben wir gesagt, XXXX haben wir nicht gesagt.

 

LA: Also haben sowohl Sie als auch Ihre Frau jeweils eine Schwester in XXXX ?

VP: Ja, stimmt.

 

LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?

VP: Nein.

 

LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

VP: Ich besuche einen Deutschkurs und lerne auch mit den Kindern Deutsch.

LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Sprechen Sie Deutsch?

VP: (auf Deutsch) Sprechen Sie Deutsch? (VP zuckt mit den Schultern)

 

LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Wie heißen Sie?

VP: (auf Deutsch) Wie heißen (VP sagt einige Worte auf Türkisch) (auf Deutsch) 37 Jahre alt.

 

LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?

VP: Ich habe keinen österreichischen Freundeskreis, es ist mir peinlich, dass ich die deutsche Sprache nicht kann. Wir müssen so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen, wenn ich im Krankenhaus bin kann ich mich selbst nicht äußern, dann bin ich sehr traurig. Ich möchte so gerne die deutsche Sprache lernen.

 

LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?

VP: Nein.

 

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: Ich denke nicht zurückzukehren. Aber wenn ich was sagen soll: die Rechte müssen für jeden gleich sein, dass man in der Schule auch die eigene Sprache reden kann und solche Rechte.

 

LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?

VP: Bis jetzt nein. Die lächeln alle, es erniedrigt mich keiner hier. Deshalb läuft alles gut.

 

LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?

VP: Ich habe mein ganzes Leben sehr schwer gearbeitet als Hilfsarbeiter und mich juckt es, wenn ich zur Caritas gehe und Taschengeld erwarte, ich möchte gerne arbeiten dürfen und arbeiten und für meine Kinder Brot nach Hause bringen.

 

LA: Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?VP: Nachdem ich nicht arbeiten darf muss ich warten, bis die Caritas mir Taschengeld gibt.

 

[…] “

 

Anlässlich ihrer Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF2 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):

 

„ […]

LA: Stimmen die Angaben, die Sie bisher im Verfahren getätigt haben?

VP: Ja. Bei der Polizei hatte ich bei der Polizei ein bisschen Angst. Sie haben mich damals nach meinen Brüdern gefragt, nach deren Alter. Da habe ich bestimmt falsche Antworten gegeben.

 

LA: Nennen Sie bitte Ihre Daten zu Familienstand, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Volksgruppe, Religionszugehörigkeit!

VP: Verheiratet, XXXX , ich bin Kurdin, ich habe keinen Pass,

 

LA: Aber Sie sind türkische Staatsangehörige.

VP: Kurdin.

 

LA: Religionszugehörigkeit?

VP: Islam

 

LA: Sunnit, Schiit, Alevit?

VP: eher Alevit.

LA: Haben Sie Kinder?

VP: Ja. Zwei.

 

LA: Habe Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?

VP: Ich habe sie gebracht.

 

LA: Haben Ihre Kinder auch Probleme in der Türkei?

VP: Mein Sohn hat einige Probleme erlebt. Dazu kommen wir eh noch, warum und wieso.

 

LA: Welche Probleme haben Ihre Kinder?

VP: Mein Sohn heißt XXXX . Wenn Sie untereinander Kurdisch gesprochen haben in der Schule hat er vom Lehrer immer Schimpfe bekommen, dass sie nicht Kurdisch reden sollen, dass Kurdisch reden verboten ist. Und dadurch war mein Sohn XXXX immer traurig.

 

LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?

VP: Meine Mutter ( XXXX ) ist circa 65, Vater ( XXXX ) circa 75, Geschwister: XXXX ( XXXX ) circa 38, XXXX ( XXXX ) circa 37, XXXX ( XXXX ) circa 34, XXXX ( XXXX ) circa 40, XXXX XXXX ) circa 24; beim Alter bin ich mir nicht ganz sicher wie gesagt, das ist nur ungefähr; XXXX ist bereits gestorben. Zwei Onkel väterlicherseits, fünf Onkel mütterlicherseits in der Türkei, zwei Tanten mütterlicherseits in der Türkei, drei Tanten väterlicherseits

 

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in der Türkei?

VP: Mit allen nicht, aber mit meiner Mutter und meinen Geschwistern schon. Mit den restlichen nicht so. Ein Onkel von mir ist ums Leben gekommen im Kampf.

 

LA: Wie häufig und auf welchen Kommunikationswegen haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?

VP: Mit der Mutter und dem Vater meistens telefonisch. Jede zweite Woche meisten.

 

LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?

VP: (Anm.: Frage bereits beantwortet, daher nicht gestellt)

 

LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!

VP: XXXX . Die Nummer müsste 507 sein, ich weiß es nicht genau.

LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?

VP: Bis 2004 hatte ich in XXXX eine Adresse, aber aktuell war nur eine. Davor habe ich in XXXX eine andere Adresse gehabt, eine Mietwohnung.

 

LA: Aber an der gerade genannten Adresse haben Sie zuletzt gewohnt?

VP: Ja, stimmt.

 

LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?

VP: Mit meinem Gatten und meinen Kindern.

 

LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

VP: Als ich ein kleines Kind war, wollte ich so gerne die Schule besuchen, studieren, bin auch in die Schule gegangen. Unsere Schule wurde abgebrannt von Soldaten mit der Absicht, das sei ein Dorf von lauter PKK-Anhängern. Die Soldaten haben unsere Schule abgebrannt, deswegen haben auch die Lehrer Angst gehabt und kein Lehrer wollte mehr zu unserer Schule kommen. Die Familie, diejenigen, die wirtschaftlich in einer guten Lage waren, haben ihre Kinder in einen Bezirk geschickt, wo sie die Schule besucht haben. Mein Vater war ein armer Mann, deswegen konnte er mich nicht an eine Schule in einer anderen Stadt schicken, deswegen konnte ich auch die Schule nicht abschließen. Irgendwann, drei, vier Personen von unserem kleinen Dorf, haben sich der PKK angeschlossen. Und nachdem das bekannt wurde, wurden wir von Behörden vor allem von Soldaten unter Druck gesetzt unser kleines Dorf. Und wir bekommen weder Brot noch andere wichtige Nahrungsmittel. Ich kann mich ganz gut erinnern, als ich jung war haben wir drei Tage nichts zu essen gehabt. Mein Onkel mütterlicherseits wurde getötet von Soldaten mit der Absicht, dass er PKK-Anhänger ist. Dann heiratete ich meinen jetzigen Mann irgendwann in unserem kleinen Dorf. Dann siedelten wir nach XXXX mit ihm. In XXXX hatten wir auch kein einfaches Leben gehabt, wie ich schon sagte, ich konnte nicht in die Schule gehen bzw. diese nicht abschließen. Ich konnte nicht richtig lesen und schreiben. Und ich wurde auch in XXXX auch immer von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Und sie sagten zu mir immer „du bist eine Kurdin“, sie wollten mit mir nicht viel zu tun haben. Mein Mann fand auch damals keine Arbeit, er hat so schwer gearbeitet. Mein Mann hat immer inoffiziell der kurdischen Partei geholfen und deshalb haben sie ihn meiner Meinung nach auch nicht in Ruhe gelassen. Meine große Schwester war schwer krank, wir wollten sie nach XXXX bringen. Mein Vater und mein Bruder haben sie hingebracht, ich war nicht dabei. Sie wurden von Soldaten auf dem Weg aufgehalten. Die Soldaten waren so böse und grantig auf meinen Vater und meine Schwester und meine Familie, die dabei waren. Die müssten so einen Druck ausgeübt haben, dabei bekam meine Schwester einen Herzinfarkt und starb auf der Stelle. Mein Vater hat auch diese Soldaten damals angezeigt. Aber es ist leider nichts geworden. Wie gesagt, es ist nichts geworden, weil die Soldaten…wer kann Soldaten etwas antun? Mein Onkel wurde getötet, das war eine traurige Zeit für uns, daraufhin meine Schwester, sie wurde getötet oder war wegen der Soldaten tot. „Trauer auf Trauer“ sozusagen. Wie soll ich sagen, mein Leben bis heute ist so vergangen: mein Leben war immer bitter. Unterdrückung, Armut. Es war ein sehr bitteres Leben. Alles, was ich erlebt habe, hat bei mir eine Spur hinterlassen. Egal, wie gut es mir hier geht in Österreich, ich kann meine Vergangenheit nicht vergessen. Ich habe vielleicht bis jetzt wenig erzählt, aber ich habe viel Negatives erlebt.

 

LA: Wann sind Ihr Onkel und Ihre Schwester gestorben?

VP: Das Datum kann ich nicht sagen, aber ich war 13 Jahre alt. Jetzt bin ich 30. Ich glaube, es war 2007 als meine Schwester starb.

 

LA: Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu gebracht hat Ihr Land zu verlassen?

VP: Wir haben ganz großen Druck von Soldaten erlebt. Sie haben uns kein essen gegeben. Sie haben uns nur ein Brot für die ganze Familie gegeben. In der Woche ein Kilo Reis. Sie haben meine Mutter geschlagen. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt, das war kein Leben für mich. Bis XXXX war es in meiner Heimat sowieso kein Leben für mich. Ich habe ein Leben wie eine Sklavin gelebt unter dem ständigen Druck von Soldaten. Ich dachte, in XXXX hätten wir Ruhe, in XXXX hat sich auch nicht viel geändert.

 

LA: Wie alt waren Sie als die Soldaten Sie unterdrückt haben?

VP: Seit meinem Schulalter. Ständig und durchgehend. Ich kann mich noch erinnern, ich war klein, sie haben meine Mutter und meinen Vater vor meinen Augen geschlagen.

 

LA: Wie haben die Soldaten Sie in letzter Zeit unterdrückt? Also nicht als Sie ein Kind waren, sondern in letzter Zeit.

VP: Sie haben oftmals meinen Mann mitgenommen zum Gendarmerierevier. Ohne Grund. Ich hatte kein gutes Leben. Mein Mann war auch schwer krank als wir nach XXXX siedelten.

LA: Jetzt haben Sie mir gesagt, dass Ihr Mann öfters mitgenommen wurde. Wurden Sie selbst auch unterdrückt?

VP: Ich wurde nicht zum Revier gebracht, aber ich habe mitgelitten. Sie sind oft auch zu uns gekommen und haben unser Haus durchsucht. Jedes Mal hatte ich Angst vor ihnen, sie waren bewaffnet.

 

LA: Wie oft wurde Ihr Haus durchsucht?

VP: Fast jede Woche. Nicht nur unser Haus, das ganze Dorf.

 

LA: Wann war das?

VP: Ja, bis 2002. 2002 war noch schlimmer. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Sie nannten unser Dorf „Dorf der PKK“. Und alle Jugendlichen haben unser Dorf wegen des Drucks verlassen. Es leben nur mehr alte Leute dort.

 

LA: Wann wurden Sie das letzte Mal von türkischen Soldaten oder Polizisten drangsaliert?

VP: Mein Mann war hier in Österreich, das letzte Mal sind sie in XXXX zu uns gekommen. Man nennt das „Frühuntersuchung“, das ist gegen 3 oder 4 in der Früh. Sie sind plötzlich vor der Tür gestanden, ich sagte, mein Mann ist nicht zu Hause, sie haben meinen Mann gesucht. Sie haben mich auf die Seite geschubst, ich bin runtergefallen, meine Kinder haben das gesehen und Angst bekommen. Seitdem ist ihre Psyche nicht mehr so gut.

 

LA: Haben Sie davon Ihrem Mann erzählt?

VP: Ich kann mich nicht erinnern. Mein Mann war ja hier und seine Psyche war auch nicht so gut. Es kann sein, dass ich ihm davon nicht erzählt habe. Ich habe ihm nur gesagt, dass Polizisten da waren und ihn gesucht haben, ich habe ihm das nicht detailliert erzählt. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um uns macht. Nach diesem Ereignis hat er gesagt, „wenn du es schaffst, dann versuchst du zu mir zu kommen“.

 

LA: Was wollten die Soldaten?

VP: Es waren Polizisten und Soldaten. Sie haben meinem Mann gesucht, sie wollten nichts von mir. Sie haben irgendeinen Beweis gesucht, sie haben das Haus durchsucht. Ich als ein Mensch, normalerweise sollte man vor der Polizei keine Angst haben, aber ich hasse Polizisten und Gendarmen bis es nicht mehr geht, weil ich seit meiner Kindheit nur Negatives gesehen und gehört habe.

 

LA: Warum ist Ihr Mann für die Polizisten bzw. Soldaten interessant gewesen?

VP: Mein Mann erzählt mir natürlich auch nicht alles. Es kann sein, dass die Polizisten etwas über meinen Mann wissen, was ich nicht weiß. Mein Mann sagte immer wieder, ich muss mich retten, ich muss raus aus der Türkei. Mein Mann wollte immer Mitglied bei der Partei sein, er wurde es aber nie, weil wenn man legal Parteimitglied ist, kommt man sowieso sofort drauf. Schauen sie sich die letzten zwei Jahre an. Die letzten zwei Jahren ist die Türkei ganz anders geworden, man sucht nur einen kleinen Beweis, wenn du der Partei hilfst, dann bist du in ihren Augen ein Terrorist. Die Behörden suchten einen kleinen Beweis, um dich verhaften zu können. Bei den letzten Wahlen, beim Referendum, hat man in unserem Dorf alle Jugendlichen gesammelt und ins Gefängnis gesteckt, damit sie nicht zu den Wahlen gehen können. Der Rassismus wird in der Türkei immer größer.

 

LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

VP: Nein. Nur das, was ich schon erzählte. Reichen die nicht?! Verstehen Sie mich nicht falsch, seien Sie nicht böse wegen dem, was ich gesagt habe. Ich meinte damit, ich habe viel Negatives erlebt, aber ich kann vieles nicht in Worte fassen. Und ich möchte, dass meine Kinder das, was ich erlebt habe, nicht erleben. Deshalb suche ich hier Schutz.

 

LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?

VP: Insofern mit der PKK, wir haben die PKK immer unterstützt und die PKK hat uns nichts angetan, im Gegenteil, sie hat uns immer geholfen. Der Staat hat uns immer unter Druck gesetzt, aber die PKK nicht. Deshalb mögen wir die PKK und haben sie unterstützt. Ich wollte als Kind immer in studieren, das konnte ich nicht. Die einzigen Schulen hat der türkische Staat. Als mein Onkel damals getötet wurde, wurde auch ein Nachbar von uns als er aufs WC ging, die WCs waren draußen damals, er wurde auch angeschossen und getötet. Seine Tochter war schwer verletzt. Sie lebt noch immer mit den Schusswunden. Warum ich das erzähle: weil ich das Ganze auch 1:1 erlebt habe, das belastet mich psychisch. (VP trifft Ausführungen zur psychischen Erkrankung ihrer Schwester, wird mangels Verfahrensrelevanz nicht protokolliert)

 

LA: Welche Partei hat Ihr Mann unterstützt?

VP: Die kurdische Partei.

 

LA: Welche Partei genau?

VP: Die HDP.

 

LA: Welche Aufgaben hatten Ihr Mann in der Partei?

VP: Er erzählt mir solche Sachen nicht, was er macht. Nachdem ich von der Kindheit her immer ängstlich bin erzählt er mir nichts.

 

LA: Waren Sie auch Parteimitglied?

VP: Nein. Das war nicht möglich. Wenn man Mitglied wird, wird man eingesperrt. Aber ich habe nur hin und wieder an Meetings und diesem und jenem teilgenommen.

 

LA: Gab es Drohungen gegen Sie persönlich?

VP: Nein.

 

LA: Gab es Angriffe gegen Sie persönlich?

VP: In der Kindheit. (VP trifft Ausführungen zu ihrer Kindheit, Protokollierung erfolgt mangels Verfahrensrelevanz nicht) Nachdem mein Onkel tot war hasste ich Soldaten und Polizisten.

 

LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?

VP: Ich werde das, was ich bisher erlebt habe, wieder erleben. Außerdem werden sie mich einsperren. Und sie werden fragen, warum ich ins Ausland gegangen bin und um Asyl angesucht habe.

 

LA: Bei der Polizei sagten Sie außerdem, Sie hätten keine Perspektiven in der Türkei und hätten keine Chance auf Arbeit. Können Sie mir dazu mehr erzählen?

VP: Das stimmt schon, das habe ich gesagt. Das war auch so. das alles habe ich erlebt. Wenn ich zurückkomme werde ich wieder keine Arbeit mehr finden und werde von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen, das wird gleichbleiben.

 

LA: Es gibt aber zB in Istanbul große kurdische Gemeinschaften. Was hätte dagegengesprochen, dorthin zu ziehen und sich dieser Gemeinschaft anzuschließen?

VP: Ich und mein Mann, wir sind beide Analphabeten, wir haben zwar die Schule besucht, aber wir können nicht richtig lesen. Istanbul wäre für uns eine Nummer zu groß gewesen. Wir wollen weder nach Istanbul noch in die Heimat. Mein Mann hat als Arbeiter so schwer gearbeitet, bevor Sie uns wieder nach Istanbul oder in die Heimat schicken, lieber sollen wir hier sterben.

 

LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?

VP: Nein.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?

VP: Ja, im Grunde genommen ja. Wir wurden immer von der Mehrheitsgesellschaft aufgrund unserer Religion ausgeschlossen.

 

LA: Hatten Sie außer dem bereits besprochenen Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?

VP: Im Grunde genommen das, was ich erzählt habe.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen?

VP: Nachdem ich offiziell nicht Mitglied bei der Partei war, habe ich nicht unbedingt etwas erlebt. Ich habe illegal, versteckt, an Meetings und so etwas teilgenommen.

 

LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?

VP: Nein.

 

LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?

VP: Nein.

 

LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?

VP: Ich glaube, am 17. März. 15. oder 17. März.

 

LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?

VP: In einem Klein-LKW. Er war aber nicht so klein.

 

LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?

VP: Illegal.

 

LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?

VP: Drei Tage.

LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?

VP: EUR 6.000,--.

 

LA: Warum kostete die Reise Ihres Mannes 5.000 TL, aber Ihre 6.000 Euro?

VP: Er ist ein Mann, ich bin eine arme Frau. Kann sein, dass man mich hereingelegt hat. Außerdem hatte ich zwei Kinder dabei, wir waren zu dritt.

 

LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?

VP: Ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen. Ich war auf der Ladefläche.

 

LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?

VP: Österreich, weil mein Mann da war.

 

LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?

VP: Nein.

 

LA: Wo ist Ihr Reisepass?

VP: Ich habe keinen. Meine Ausweise sind von den Schleppern weggenommen und verbrannt, auch die von den Kindern.

 

LA: Welches Interesse sollten Ihre Schlepper daran haben, Ihre Ausweise zu zerstören?

VP: Er sagte zu mir, was machst du mit diesen Ausweisen im Ausland? Wir verbrennen generell Ausweise und Pässe das brauchst du im Ausland nicht.

 

LA: Wissen Sie, warum er das gemacht hat?

VP: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wenn wir was gefragt haben oder was wissen wollten, dann schimpfte er uns und sagte „wenn ihr hinkommen wollt, wo ihr hinwollt, dann müsst ihr Ruhe geben und nicht so viel fragen“.

 

LA: Das wird gemacht, um die Arbeit der Fremdenbehörden zu erschweren.

VP: Wie gesagt, wir durften keine Fragen stellen. Sie sagten zu uns „wenn ihr hinkommen wollt, wo ihr hinwollt, müsst ihr Ruhe geben“.

 

LA: Sind Sie zum ersten Mal im Ausland?

VP: ja.

 

LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?

VP: Eine Schwester, einen Onkel, eine Tante.

 

LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?

VP: Nein.

 

LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.

VP: 2 Jahre, aber nicht einmal voll.

 

LA: Wie haben Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt bestritten?

VP: Mein Mann war Hilfsarbeiter und hat hin und wieder gearbeitet.

 

LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?

VP: Wir waren arm. Mein Vater war sowieso arm.

 

LA: Wie konnten Sie sich Ihre Flucht leisten?

VP: Ein bisschen hat mein Vater geholfen, ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ins Ausland gehe. Für den Rest habe ich meine Sachen verkauft.

 

LA: Haben Sie noch weitere Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?

VP: Ich wusste nicht einmal, dass meine Tante und mein Onkel hier leben. Ich dachte, sie leben in Australien.

 

LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?

VP: Nein, niemand. Nur meine Schwester hilft mir ab und zu. Keine Abhängigkeit.

 

LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?

VP: Ich habe einen Monat einen Deutschkurs besucht. Wegen Schwangerschaft musste ich unterbrechen. Nicht unbedingt sonst.

 

LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Sprechen Sie Deutsch?

VP: (auf Türkisch) Das habe ich verstanden. Ich glaube, er hat mich gefragt, ob ich Deutschkurs gehe, aber aufgrund der Schwangerschaft kann ich nicht. Sowas wie „wie geht’s“ kann ich schon. Ein bisschen was habe ich schon gelernt, aber…

 

LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?

VP: Nein.

 

LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?

VP: Ich würde schon arbeiten, wenn ich Gelegenheit hätte. Wenn wir hoffentlich hierbleiben dürfen, werden wir schon probieren zu arbeiten.

 

LA: (Frage wird wiederholt)

VP: Nein.

 

LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?

VP: So lange die PKK existiert wird das nicht möglich sein. Seit 30 Jahren kämpfen die PKK und der türkische Staat, solange diese zwei kämpfen wird nichts Positives in der Türkei passieren.

 

LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?

VP: Nein. Im Gegenteil, als ich herkam hat man sich sehr gut um mich gekümmert, ich hatte große Angst und habe bei der Polizei deshalb viel geweint, sie waren aber sehr nett zu mir.

 

LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?

VP: Wenn ich bleiben darf möchte ich natürlich ein normales Leben haben wie jeder normale Mensch. Arbeiten für meine Kinder, für die Partei. Und Deutsch lernen natürlich.

 

LA: Für welche Partei?

VP: Die gleiche. Ich werde die Partei nie wechseln.

 

LA: Ihnen ist schon bewusst, dass in Österreich HDP, AKP usw. nicht existieren?

VP: Das weiß ich nicht, aber ich denke, es gibt sicher eine Unterstützung für die Partei auch hier. Ich bin mir sicher, dass es eine Gelegenheit gibt, von hier aus meine Partei zu unterstützen.

 

LA: Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?VP: Caritas gibt uns Geld. Wir kommen damit nicht zurecht. Es ist zu wenig, aber ok. Meistens kosten die Kinder viel. Aber ich bin trotzdem dankbar.

 

[…] “

 

I.2. Die Anträge auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der BF in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht asylrelevant, als die BF im Wesentlichen vorbrachten, von Verbalinjurien betroffen gewesen und von der Mehrheitsbevölkerung ausgeschlossen worden zu sein. Ein ernsthaftes Interesse der türkischen Behörden an den BF sei in Anbetracht der Gesamtumstände offenkundig nicht gegeben. Eine Asylrelevanz sei auch durch den Umstand dass BF1, sofern ihm diesbezüglich überhaupt Glauben zu schenken ist, auf Grund einer Mitgliedschaft zur HDP sowie des bloßen Umstandes zur Volksgruppenzugehörigkeit nicht indiziert, weil es eine notorische Tatsache sei, dass exponierte Vertreter pro-kurdischer Parteien oftmals – meist unter Unterstellung, der PKK anzugehören oder diese zu unterstützen – mit Repressionen seitens des türkischen Staates konfrontiert seien, es sich bei BF1 jedoch um einen Kurden handle, dessen politisches Engagement den eigenen Angaben nach als äußerst bescheiden zu qualifizieren sei. Eine exponierte Stellung innerhalb der türkischen bzw. kurdischen Gesellschaft sei ihm daher keinesfalls zuzuschreiben. Auch in Anbetracht der großen Anzahl von Kurden in der Türkei könne eine pauschale Verfolgung sämtlicher türkischer Kurden durch die Behörden nicht angenommen werden. Zur Lage der Aleviten sei anzuführen, dass eine Diskriminierung wegen deren Konfession zwar amtsbekannt sei, es sich jedoch um Diskriminierungen in religiöser Hinsicht handle, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und der Teilnahme am staatlichen Religions- und Ethikunterricht, von körperlichen Übergriffen auf Personen allein aufgrund ihrer Religion werde jedoch nichts berichtet.

 

Die bB ging auch davon aus, dass sich die BF aufgrund der vor der bB geschilderten Lebensläufe wieder in die Gesellschaft in ihrem Heimatland integrieren können. Aufgrund der Berufserfahrung des BF1 und seinem gesundheitlichen Zustand werde es auch friktionsfrei möglich sein, sich binnen kurzer Zeit erneut eine gesicherte Existenz in der Türkei aufzubauen. Den BF stünde es auch frei, nach ihrer Rückkehr Unterkunft bei ihren Verwandten zu nehmen. Zudem sei auch die Wiedereinreise in die Türkei gefahrlos möglich. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

I.3. Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

 

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bB ihre Feststellungen auf teilweise unzureichende Länderinformationen stütze. In diesem Zusammenhang wurde auf mehrere Berichte aus dem von der bB in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie auf ergänzende Berichte zu Aleviten und Kurden aus „ARC: Turkey Country Report – Update 25.1.2017“, „domradio.de“ oder „Telepolis“ verwiesen. Ferner wurde gerügt, dass die bB ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe.

 

I.4. Mit Eingabe vom 31.10.2017 wurden auf elektronischem Weg Beweismittel vorgelegt, mit denen ein exilpolitisches Engagement der erwachsenen BF und die daraus resultierende Verfolgung seitens der türkischen Regierung bewiesen werden sollte.

 

I.5. Mit Stellungnahme vom 12.2.2018 wurden ein Beitrag einer Internetseite (www.vienna.at/wiener-aleviten-vertreter-darf-nicht-in-die-tuerkei-einreisen ) und einer Presseaussendung übermittelt. Dem auf der Webseite veröffentlichten Artikel ist zu entnehmen, dass ein Vertreter der österreichisch-alevitischen Föderation am 6.2.2018 bei seiner Ankunft in Istanbul angehalten, ihm die Einreise in die Türkei verweigert worden und eine Rückreise nach London in die Wege geleitet worden sei. In dem Artikel wird auch ein österreichischer Parlamentarier zitiert, der von einer Verhaftung der betroffenen Person spricht. Auch in einer ebenfalls übermittelten Presseaussendung eines Parlamentsklubs wird von der Verhaftung des österreichischen Staatsbürgers gesprochen. Im Begleitschreiben der elektronisch eingebrachten Dokumente wurde dargelegt, dass mit den beigefügten Unterlagen die Gefahr einer Inhaftierung und Verfolgung der BF aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung mit ihrem politischen Engagement für die HDP bewiesen werde.

 

I.6. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden die BF am 10.5.2019 vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht informiert und wurde ihnen Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von vierzehn Tagen eine Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingebrachten Länderberichten abzugeben. Ferner wurden sie aufgefordert, binnen selbiger Frist Angaben zur Mitgliedschaft bzw. einer Funktion beim Verein XXXX XXXX zu machen sowie Auskunft darüber zu erteilen, seit wann die behauptete exilpolitische Tätigkeit ausgeübt werde und weshalb die BF aufgrund ihrer Mitgliedschaft und Teilnahme an Demonstrationen von einer Verfolgung durch die türkische Regierung, wie mit Eingabe vom 31.10.2017 vorgebracht, drohe.

 

I.7. In ihrer Stellungnahme vom 14.6.2019 brachten die BF vor, dass BF1 politisch bei der HDP tätig war und mehrmals an Demonstrationen teilgenommen habe. Aufgrund dessen sei er in der Türkei auch von der Polizei unterdrückt worden. Ferner wurde in dieser Stellungnahme ausgeführt, dass BF1 von der türkischen Regierung eine von ihnen abweichende politische Gesinnung unterstellt werde, weshalb er inhaftiert worden sei. Aufgrund dieser Umstände sei er der Meinung, dass eine asylrelevante Verfolgung seiner Person durch staatliche Behörden von erheblicher Intensität gegeben und seine Furcht vor Verfolgung begründet sei. Zusammen mit dieser Stellungnahme wurden weitere Beweismittel übermittelt.

 

I.8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.6.2019 wurden die BF eingeladen, Angaben in Bezug auf ihre Ausreisegründe, ihren Gesundheitszustand, die privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich und ihre Integration zu tätigen und entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen. Ferner wurden die BF unter Hinweis auf die Internetseite der von BF1 genannten Partei, deren Mitglied er gewesen sei, eingeladen, mit dieser in Kontakt zu treten, um Unterstützung bzw. Bescheinigungsmittel für sein Vorbringen anzufordern. In Bezug auf die am 14.6.2019 vorgelegte Bestätigung des XXXX wurde den BF mitgeteilt, dass dieses Schreiben nicht geeignet ist, die behauptete Gefahr einer Verfolgung zu belegen. Den BF wurde eine Frist von zwei Wochen für eine Stellungnahme und die Vorlage weiterer Unterlagen eingeräumt. Die BF wurden auch auf die Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren hingewiesen.

 

I.9. Mit Stellungnahme vom 9.7.2019 wurde vorgebracht, dass die BF gesund seien und derzeit keine Medikamente nehmen müssten. Es bestünden folgende familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich: ein Schwager des BF1 mit seiner Frau und drei Kindern, zwei Brüder und ein Onkel. Die BF würden von ihren Bekannten finanziert und fielen dem Österreichischen Staat nicht zur Last. Sein Schwager würde BF1 in seinem Restaurant anstellen. BF1 und BF2 würden Deutschkurse für das Niveau A1 besuchen und suchten nach einem Kurs für das Niveau A2. BF3 und BF4 würden die Mittelschule besuchen. BF1 kümmere sich darum, eine Bestätigung der HDP zu erlangen, bis dato habe er aber keine Antwort bekommen. Abschließend wurde darum ersucht, das Bundesverwaltungsgericht möge im Sinne der in der Beschwerde gestellten Anträge entscheiden und zu einer positiven Entscheidung gelangen.

 

I.10. Mit Schreiben vom 30.7.2019 wurde ein Antragsformular für die Mitgliedschaft bei der Demokratischen Partei der Völker (HDP) vom 15.7.2014 übermittelt und um Berücksichtigung ersucht.

 

I.11. Am 6.8.2019 erging das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zu den im Spruch genannten Zahlen.

 

I.12. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 wurde die gegen die im Spruch genannten Erkenntnisse erhobene Revision zurückgewiesen.

 

I.13. Am 16.12.2019 wurde der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. In einer zeitgleich eingebrachten Stellungnahme wurde ausgeführt, dass die Kinder im Erstverfahren nicht einvernommen worden seien und im nunmehr anhängigen Folgeverfahren erstmals eine Aussage machen würden. Sie teilen nunmehr ihre eigenen Asylgründe im Herkunftsland Türkei sowie ihre nachträglich in Österreich entstandenen Asylgründe mit: Der Viertantragsteller habe im Folgeantragsverfahren am 15.11.2019 ausgesagt, dass er aufgrund seiner Mündigkeit (gemeint ist wohl Unmündigkeit) im Erstverfahren nicht befragt worden sei. Er sei in der Schule von Mitschülern abgelehnt, ausgelacht und verspottet worden, weil er Kurde ist. Manchmal sei er von ihnen auch geschlagen worden. Oft hätten sie ihn in eine Ecke gedrängt und hätten ihn verspottet oder geschimpft. In der Schule sei er schlecht benotet worden, weil er Alevit ist und im sunnitischen Religionsunterricht gewisse Sachen gemacht nicht habe machen wollen, die im Widerspruch zu seiner Religion gestanden hätten. Als er in der Schule geschlagen worden sei, sei die Polizei von den Eltern gerufen worden. Die Polizisten hätten mit dem Schuldirektor und den Eltern des anderen Mitschülers, der ihn verprügelt hätte, gesprochen. Dieser Mitschüler sei aber weder gewarnt noch bestraft worden, weil er Kurde und Türke ist. Außerdem hätten sie sich in der Schule und auf der Straße nicht in ihrer kurdischen Muttersprache unterhalten dürfen. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchte er, dass die Polizisten seine Mutter oder seien Vater festnehmen und er mit den übrigen Geschwistern übrigbleibe bzw. auf der Straße bleiben müsse. Außerdem hätten sie keine weitere Möglichkeit auf eine weitere Schulbildung, weil er durch seinen Aufenthalt in Österreich vieles in der Schule versäumt habe und bei einer Aufnahmeprüfung in der Türkei scheitern würde. All das habe er im Erstverfahren nicht vorbringen können, da er noch unmündig war.

 

Auch die minderjährige Drittantragstellerin habe im Erstverfahren die Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes sowie ihrer Rückkehrbefürchtungen nicht vorbringen können. Sie habe im Folgeantragsverfahren angegeben, dass ihr Vater Mitglied der Demokratischen Partei der Völker – HDP sei und die deshalb in der Türkei immer Probleme gehabt hätten. Sie habe in der Schule oder auf der Straße nicht kurdisch sprechen dürfen. Sie wisse, dass ihr Bruder einmal einen Streit gehabt hätte. In der Türkei gebe es keine Menschenrechte. Im Falle ihrer Rückkehr würde ihr Vater inhaftiert werden und sie ohne Geld und Unterkunft auf der Straße landen. Sie könne auch ihre Schulbildung nicht fortsetzen, da in der Türkei für das Gymnasium eine Aufnahmeprüfung erforderlich sei, die sie nicht bestehen würde, weil sie die Mittelschule in der Türkei nicht besucht habe. Ihre Deutschkenntnisse würden ihr in der Schule in der Türkei nicht helfen.

 

Die Asylgründe der Antragsteller und Antragstellerinnen seien neu. Ihre neuen Asylgründe seien nicht Gegenstand der Prüfung des Erstverfahrens gewesen und hätten deshalb auch nicht geprüft werden können. Es liege ein neuer Sachverhalt vor.

 

Ferner wurde auf die nach Ergehen des Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 sich „rasant negativ“ ändernden politischen Umstände sowie die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der demokratischen Rechte in der Türkei gegen Menschen, die an Demonstrationen gegen die türkische Regierung teilgenommen haben, verwiesen. Aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen hätten der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin wegen der damit verbundenen Verhaftungsgefahr neue Asylgründe. Diese Gründe seien nicht Gegenstand des Erstverfahrens gewesen.

 

Dem Vorbringen wurden verschiedene Zeitungsartikel beigeschlossen.

 

Der Wiederaufnahmeantrag sei rechtzeitig gestellt worden, zumal der Antrag binnen zwei Wochen ab Kenntnisnahme des Wiederaufnahmegrundes gestellt worden sei. Der Antrag sei auch begründet, zumal der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin im Erstverfahren lediglich einmal einvernommen worden seien. Anlässlich dieser Einvernahme seien sie unvertreten und relativ neu in Österreich gewesen. Zu dieser Zeit hätten sie noch an keiner Demonstration in Österreich teilgenommen. Um Wiederholungen zu vermeiden, würde auf die zuvor getätigten Ausführungen verwiesen und diese zum Wiederaufnahmegrund des gegenständlichen Antrages erhoben. In der Folge wird neuerlich auf die politische Situation in der Türkei verwiesen. Ferner wird dargelegt, dass der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen sowie der damit verbundenen Verfolgungsgefahr nachträglich entstandene Asylgründe hätten. Diese seien nicht Gegenstand des Erstverfahrens gewesen und konnten in den zuvor genannten Erkenntnissen diese Asylgründe nicht geprüft werden. „Während den Ersteinvernahmen“ im Jahr 2017 hätten der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin nicht bzw. nur an einen oder zwei kleinen Demonstrationen teilgenommen und seien sie in diese Richtung nicht befragt worden. Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin seien auch unvertreten und nicht dahingehend manuduziert worden, dass neue Asylgründe in Österreich entstehen können. Die nunmehr vorgebrachten Umstände würden einen neuen Sachverhalt darstellen. Im Erstverfahren habe das Bundesamt sowie das Gericht nicht über die neuen Asylgründe aufgrund der Teilnahme an prodemokratischen Demonstrationen in Österreich entscheiden können. Im Weiteren werden neuerlich Ausführungen über die politische Situation in der Türkei gemacht und wird neuerlich daraufhingewiesen, dass der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht unvertreten gewesen seien. Es habe auch keine mündliche Verhandlung gegeben. Ferner seien die Drittantragstellerin und der Viertantragsteller nicht gefragt worden. In der Folge werden die Aussagen der Drittantragstellerin und des Viertantragstellers im Folgeantragsverfahren neuerlich zusammengefasst. Abschließend wird der Antrag gestellt, die Antragsteller und Antragstellerinnen als Parteien sowie einen namentlich genannten Zeugen einzuvernehmen und ein Sachverständigengutachten aus dem Gebiet der Politik und Kurden in der Türkei „insbesondere für die Zeiten“ einzuholen.

 

Abschließend wurde der Antrag gestellt, die im Antrag genau bezeichneten, bereits abgeschlossenen Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes wieder aufzunehmen.

 

Dem Schriftsatz sind Medienberichte in türkischer Sprache sowie Empfehlungsschreiben der Lehrer und Mitschüler der Drittantragstellerin und des Viertantragstellers und eine handschriftliche Auflistung von türkischen Personen bzw. Familien (ohne Unterschriften und nähere Erklärung zum Zweck dieser Auflistung) beigeschlossen.

 

I.14. Mit Verbesserungsauftrag vom 21.04.2020 wurden die Antragsteller im Hinblick auf Verfahren gemäß § 69 manuduziert und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, bis 11.05.2020 darzulegen, auf welche Wiederaufnahmegründe konkret sie sich stützen und wann von diesen Gründen Kenntnis erlangt worden ist, um die Rechtzeitigkeit der Anträge darzulegen.

 

I.15. Mit Stellungnahme vom 11.05.2020 wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Zweit- und Drittantragsteller im Vorverfahren nicht befragt wurden und keine eigenen Aussagen machen konnten. Darüber hinaus habe der Drittanstragsteller nach rechtskräftiger Erledigung des Erstverfahrens an Demonstrationen für mehr Menschrechte und Demokratie in der Türkei teilgenommen, weswegen er im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr eines Prozesses wegen Terrorismus und einer sehr hohen Strafe ausgesetzt wäre. Auch die Erst- und Fünftantragsteller hätten an diesen Demonstrationen teilgenommen und würden sich daher auch in Lebensgefahr befinden bzw. der Gefahr einer Haftstrafe ausgesetzt sehen. Diese Asylgründe seien nach der rechtskräftigen Erledigung des Erstverfahrens in Österreich entstanden.

 

Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit wurde ausgeführt, dass erst nachdem der neue Rechtsvertreter am 09.12.2020 die wesentlichen Aktenbestandteile übermittelt bekam und mit den Antragstellern die neuen Beweismittel ermitteln konnte, die Wiederaufnahmegründe erstmalig im Zuge dieser Rechtsberatung aufkamen und darüber Kenntnis erlangt wurde.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die Antragsteller sind Staatsangehörige der Türkei, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und der alevitischen Glaubensrichtung. Der Erst- und die Zweitantragstellerin sind verheiratet, die minderjährigen Dritt- bis Fünftantragsteller sind ihre gemeinsamen, minderjährigen Kinder.

Anfang Februar 2017 verließ der Erstantragsteller die Türkei illegal und schlepperunterstützt auf dem Landweg nach Österreich und stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 07.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Zweitantragstellerin reiste zusammen mit den Kindern zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im März 2017 schlepperunterstützt und illegal aus der Türkei aus, um in Österreich mit ihrem Gatten zu leben. Am 15.3.2017 stellte sie für sich und ihre Kinder Anträge auf internationalen Schutz.

Die Anträge auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)

 

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.08.2019 zu den Zahlen XXXX wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

 

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 wurde die gegen die im Spruch genannten Erkenntnisse erhobene Revision zurückgewiesen. Die beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gemachten Beschwerdeverfahren sind rechtskräftig erledigt.

 

Mit Anträgen vom 16.12.2019 begehrten die Antragsteller die Wiederaufnahme ihres Verfahrens und führen dazu aus, wie unter I.13. dargestellt.

 

Es liegen die Formalvoraussetzungen, nämlich die Glaubhaftmachung der Umstände über die Einhaltung der gesetzlichen Frist sowie Darlegung der Kenntnis eines Wiederaufnahmegrundes nicht vor.

 

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die hg. Vorakten der Antragsteller sowie das hg. Erkenntnis vom 06.08.2019; durch Einsichtnahme in die vorgelegte „Stellungnahme und Wiederaufnahmeantrag“.

 

Die Daten der Antragstellungen und die Ausführungen zum Verfahrenshergang ergeben sich aus dem Gerichtsakt zu den Vorverfahren XXXX , den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6.8.2019, den Anträgen auf Wiederaufnahme und dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Zl. XXXX vom 18.10.2019.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

 

Zu A)

 

II.3.1. Rechtsvorschriften

§ 32 VwGVG - Wiederaufnahme des Verfahrens lautet:

"(1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

 

Aus dem Antrag muss hervorgehen, dass die Wiederaufnahme eines näher bezeichneten Verfahrens begehrt wird. Zumindest muss aus dem Inhalt der Eingabe hervorgehen, auf welches abgeschlossene Verfahren sich der Antrag auf Wiederaufnahme bezieht (vgl. zu § 69 AVG VwGH 18.03.1993, 92/09/0212).

 

Voraussetzung für die Stellung eines Wiederaufnahmeantrages ist gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG die Parteistellung im wiederaufzunehmenden Verfahren (vgl. zu § 69 Abs. 1 AVG VwGH 20.09.1994, 94/05/0209; 30.04.2008, 2007/04/0033; ferner Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, VwGVG § 32 Anm. 4).

 

Der Wiederaufnahmeantrag darf gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG erst gestellt werden, wenn eine Revision gegen das Erkenntnis (nicht oder [näher dazu Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, VwGVG § 32 Anm. 5 f.]) nicht mehr zulässig ist (vgl. zu § 69 Abs. 1 AVG VwGH 13.12.1988, 86/07/0032).

 

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 wurde die gegen die im Spruch genannten Erkenntnisse erhobene Revision zurückgewiesen.

 

Der Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, ist im Antrag konkretisiert und schlüssig darzulegen (vgl. zu § 69 AVG VwGH 20.09.1995, 93/13/0161; 26.03.2003, 98/13/0142; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, VwGVG § 32 Anm. 12).

 

Der Antrag ist gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG binnen zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst ab diesem Zeitpunkt schriftlich (§ 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AVG; vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, VwGVG § 32 Anm. 12) beim Verwaltungsgericht einzubringen. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. zu § 69 AVG VwGH 19.05.1993, 91/13/0099; 25.01.1996, 95/19/0003).

 

Die Antragsteller brachten vor, dass der Wiederaufnahmeantrag rechtzeitig gestellt worden sei, zumal der Antrag binnen zwei Wochen ab Kenntnisnahme des Wiederaufnahmegrundes eingebracht worden sei. Eine Einvernahme der Antragsteller durch die belangte Behörde solle am 17.12.2019 erfolgen und entscheide sich dann, ob die Behörde von entschiedener Sache auszugehen hat oder nicht. Die dreijährige Frist ab Erlassung des Erkenntnisses sei jedenfalls gewahrt.

 

Tatsachen und Beweismittel können nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, ihre Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist (sogenannte "nova reperta"), nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (sogenannte "nova causa superveniens") (vgl. zB. VwGH 08.11.1991, 91/18/0101; 07.04.2000, 96/19/2240; 20.06.2001, 95/08/0036; 19.03.2003, 2000/08/0105; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, Bd. 4 [2009] § 69 Rz 28).

 

"Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (VwGH 11.03.2008, 2006/05/0232).

 

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff.).

 

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, 2004/07/0209).

 

Des Weiteren müssen die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid (hier: anders lautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes) herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist (vgl. VfGH 20.02.2014, U 2298/2013); ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses seiner Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt (und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit) die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde entweder den den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrages bildenden Bescheid oder (zumindest) die zum Ergebnis dieses Bescheides führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 22.02.2001, 2000/04/0195; 19.04.2007, 2004/09/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9)

 

Eine Wiederaufnahme setzt nicht Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft; ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wiederaufgenommenen Verfahren zu entscheiden. Sachverhaltsänderungen nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens haben bei der Entscheidung über die Wiederaufnahme außer Betracht zu bleiben (VwGH 13.12.2002, 2001/21/0031; 07.09.2005, 2003/08/0093; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 42 ff.; siehe dazu weiters Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz. 591, die in diesem Zusammenhang von einem "höheren Grad der Wahrscheinlichkeit" sprechen).

 

§ 13 AVG lautet:

 

(1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.

(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

(4) Bei Zweifeln über die Identität des Einschreiters oder die Authentizität eines Anbringens gilt Abs. 3 mit der Maßgabe sinngemäß, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf der Frist als zurückgezogen gilt.

(5) Die Behörde ist nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.

(6) Die Behörde ist nicht verpflichtet, Anbringen, die sich auf keine bestimmte Angelegenheit beziehen, in Behandlung zu nehmen.

(7) Anbringen können in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden.

(8) Der verfahrenseinleitende Antrag kann in jeder Lage des Verfahrens bis zu einer allfälligen Schließung des Ermittlungsverfahrens (§ 39 Abs. 3) geändert werden. Durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.

 

II.3.2. Für den gegenständlichen Fall sind folgende Erwägungen maßgeblich:

 

II.3.2.1. Die Antragsteller begehren die Wiederaufnahme der im Spruch näher bezeichneten Verfahren des Bundesverwaltungsgerichtes und hatten in den im Spruch näher bezeichneten Verfahren Parteistellung.

 

Die Antragsteller verabsäumten es, in ihren Anträgen die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist zur Erhebung der Wiederaufnahmeanträge ergibt, glaubhaft zu machen. Auch nach erfolgter Manuduktion vermochten es die BF nicht, das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen und die Rechtzeitigkeit er eingebrachten Anträge nachzuweisen, zumal sie lediglich darlegten, dass im Zuge einer umfangreichen Prüfung der Sach- und Rechtslage des nunmehr einschreitenden Rechtsvertreters nach dem 9.12.2019 neue Tatsachen und Beweismittel ermittelt worden wären, von denen die BF Kenntnis erlangt hätten. Als neue Tatsachen und Beweismittel wurden die geplanten erstmalige Einvernahmen der minderjährigen BF durch die bB in einem Folgeverfahren sowie der Umstand genannt, dass der „Drittanstragsteller“ und die „Fünftantragstellerin“ nach rechtskräftiger Erledigung des Erstverfahrens an Demonstrationen für mehr Menschrechte und Demokratie in der Türkei teilgenommen hätten, weswegen sie Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr eines Prozesses wegen Terrorismus und einer sehr hohen Strafe ausgesetzt wären.

 

 

Bei den von den Antragstellern angegebenen Gründen handelt es sich nicht um Tatsachen und Beweismittel im Sinne der obzitierten Judikatur. Die Antragsteller beziehen sich auf die Ergebnisse eines Rechtsberatungsgespräches und die von der Erstbehörde in einem Folgeverfahren geplanten Schritte. Das sind keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel, die ohne Verschulden der BF nicht während des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens hätten geltend gemacht werden können.

 

Den Anträgen sowie der aufgetragenen Stellungnahme lässt sich nicht entnehmen, wann genau die behaupteten Demonstrationen stattgefunden hätten, die nach Meinung der Antragsteller einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens darstellen würden.

 

Dass die BF in Österreich erst während der zu den Zahlen XXXX geführten Rechtsmittelverfahren die Teilnahme an Demonstrationen und die daraus resultierenden Schwierigkeiten vorbrachten, wurde in diesen Verfahren auch berücksichtigt. Für das Bundesverwaltungsgericht war keine besondere Gefährdung der damaligen Beschwerdeführer erkennbar. Eine andere rechtliche Einschätzung, etwa durch die geäußerte Rechtsansicht des – nach Zurückweisung der Revision gegen die zuvor genannten Verfahren durch den Verwaltungsgerichtshof – konsultierten Rechtsberaters stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar. Ebensowenig die Rüge von behaupteten Verfahrensmängeln des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren, die im Zuge eines Rechtsberatungsgespräches erkannt worden seien (in Bezug auf die im Erstverfahren unterbliebene Einvernahme der minderjährigen Antragsteller siehe auch unten unter II.3.2.1.)

 

Eine allenfalls unrichtige rechtliche Beurteilung d.h. neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen sind keine Tataschen, die eine Wiederaufnahme des Verfahren rechtfertigen vermögen, gleichgültig ob diese zB. durch vorherige Fehlbeurteilung durch die Partei durch bessere Einsicht gewonnen werden (Hengstschläger/Leeb, AVG; § 69, Rz 30).

 

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (VwGH 27.07.2001, 2001/07/0017; 22.12.2005, 2004/07/0209).

 

Sofern die BF mit ihren Anträgen und Stellungnahmen die Teilnahme an weiteren Demonstrationen nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens vorbringen wollten, was aus den Anträgen jedoch nicht klar hervorgeht, so ist darauf hinzuweisen, dass es sich diesfalls ebenfalls nicht um Tatsachen im Sinne der genannten Judikatur handelt.

Sofern auf die politischen Verhältnisse in der Türkei, die sich der Ansicht der Antragsteller zufolge nach Ergehen des Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 als „rasant negativ“ darstellten, und die Menschenrechtsverletzungen, die insbesondere politisch engagierten Menschen widerfahren würden, verwiesen wird, so ist darauf hinzuweisen, dass es sich auch bei diesem Vorbringen nicht um Umstände handelt, die bei Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens bereits vorhanden waren.

Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen, was die BF offenkundig auch bereits unternommen haben.

 

Für die Beurteilung der Frage, ob einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist, sind allein die innerhalb der Frist des § 69 Abs. 2 AVG vorgebrachten Wiederaufnahmegründe maßgebend (VwGH 23.04.1990, Zl. 90/19/0125; 31.03.2006, Zl. 2006/02/0038; 14.11.2006, Zl. 2005/05/0260).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 31.08.2015, Zl. Ro 2015/11/0012) sind die Wiederaufnahmsgründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet, weshalb auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmsgründe zurückgegriffen werden kann.

 

Die Wiederaufnahmegründe sind in § 69 Abs. 1 AVG taxativ aufgezählt (VwSlg 2078 A/1951; VwGH vom 21.09.1995, Zl. 95/07/0117, vom 10.08.2000, Zl. 99/07/0219). Nur wenn eine der Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 AVG erfüllt ist, darf die seinerzeitige Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren neu aufgerollt werden (VwGH vom 24.11.1993, Zl. 93/02/0272). Das Vorliegen der Wiederaufnahmegründe ist, da sie eine Durchbrechung der Rechtskraft und damit einen Eingriff in die Rechtssicherheit ermöglichen, "streng" zu prüfen. (VwGH vom 26.04.1984, Zl. 81/05/0081)

 

Wie bereits oben ausgeführt, hat ein Antragsteller oder eine Antragstellerin binnen zwei Wochen den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens einzubringen, ab dem er Kenntnis vom Wiederaufnahmegrund erlangt hat und er im Antrag die Umstände, aus welchem sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, glaubhaft zu machen hat.

 

Den Antragstellern ist es nicht gelungen, das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen bzw. deren Rechtzeitigkeit und damit das Vorliegen der Formalvoraussetzungen für die Wiederaufnahme glaubhaft zu machen, weshalb die Anträge als unzulässig zurückzuweisen waren.

 

II.3.2.2. Nur der Vollständigkeit halber ist noch anzumerken, dass der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin im Erstverfahren ausreichend Gelegenheit erhielten, die Rückkehrbefürchtungen auch in Bezug auf die von ihnen vertretenen Kinder darzustellen und das Vorbringen auch nicht geeignet wäre, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeizuführen:

 

Wie bereits angemerkt, wurde die Tatsache, dass die BF in Österreich an Demonstrationen teilgenommen haben in den im Spruch näher bezeichneten Verfahren berücksichtigt. Allenfalls nach Abschluss des Gerichtsverfahrens erfolgte, weitere Teilnahmen an Demonstrationen sind nicht als Tatsachen im Sinne der oben genannten Judikatur zu verstehen.

 

Dem Vorbringen, die minderjährigen Antragsteller seien im Erstverfahren zu ihren Ausreisegründen nicht befragt worden, ist entgegenzuhalten, dass den erwachsenen Antragstellern in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter der Minderjährigen ein Vorbringen in Bezug auf die Ausreisegründe der Minderjährigen sehr wohl möglich war und sie diese Möglichkeit auch nutzten:

 

Anlässlich seiner Einvernahme der belangten Behörde am 5.7.2017 gab der damalige Erstbeschwerdeführer Folgendes zu Protokoll (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):

 

„[…] LA: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?

VP: Die Kinder haben eigentlich auch Probleme zB in der Schule. Sie werden unterdrückt, dass sie nicht Kurdisch reden sollen. Aber ich würde sagen, sie sind mit uns gekommen.

[…]“.

 

Anlässlich ihrer Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab die damalige Zweitbeschwerdeführerin Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):

 

„ […]

LA: Haben Sie Kinder?

VP: Ja. Zwei.

 

LA: Habe Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?

VP: Ich habe sie gebracht.

 

LA: Haben Ihre Kinder auch Probleme in der Türkei?

VP: Mein Sohn hat einige Probleme erlebt. Dazu kommen wir eh noch, warum und wieso.

 

LA: Welche Probleme haben Ihre Kinder?

VP: Mein Sohn heißt XXXX . Wenn Sie untereinander Kurdisch gesprochen haben in der Schule hat er vom Lehrer immer Schimpfe bekommen, dass sie nicht Kurdisch reden sollen, dass Kurdisch reden verboten ist. Und dadurch war mein Sohn XXXX immer traurig.

[…]“

 

Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin wurden explizit nach den Gründen für die Ausreise ihrer Kinder gefragt und ist kein Grund ersichtlich, weshalb sie nicht auch das jetzige Vorbringen als gesetzliche Vertreter für ihre Kinder hätten tätigen können.

 

In Bezug auf die behauptete Unterlassung der Manuduktion im Hinblick auf mögliche Nachfluchtgründe ist ebenfalls nicht ersichtlich, weshalb die BF allfällige Nachfluchtgründe im Erstverfahren nicht hätten vorbringen können.

 

In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die belangte Behörde, wie im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 6.8.2019 ausgeführt, ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte. Sofern im gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag moniert wird, dass die belangte Behörde der gesetzlich normierten Ermittlungs- und Manuduktionspflicht nicht nachgekommen sei, so kann dem bei Betrachtung des Inhaltes des erstinstanzlichen Verfahrensaktes nicht beigetreten werden. Die erwachsenen Antragsteller wurden im Rahmen des ersten Asylverfahrens niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen, wobei sie in den Einvernahmen nicht nur die Gelegenheit hatten, sich zu den Ausreisegründen, sondern auch zu den Rückkehrbefürchtungen bzw. ihrer Integration – auch im Hinblick auf die minderjährigen Antragsteller – zu äußern. Die belangte Behörde beließ es dabei nicht bei offenen Fragen, sondern versuchte auch durch konkrete Fragestellung diese Themenbereiche zu erhellen, was nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch hinreichend geschehen ist. Im Übrigen wurde auch nicht die Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Verfahrens begehrt, sondern das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Die Verpflichtung der Behörde bzw. eines Gerichtes zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen, durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus Akten (etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/199)) dazu Veranlassung geben (VwGH 04.04.2002, 2002/08/022).

 

Die nunmehr vorgebrachten Gründe, wonach die minderjährigen Antragsteller in der Türkei diskriminiert und schikaniert worden seien, wurde sowohl von der belangten Behörde als auch vom Bundesverwaltungsgericht bereits aufgrund der Aussage ihrer Eltern im Verfahren berücksichtigt und in die Würdigung miteinbezogen. Wie in der Begründung der im Spruch zitierten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes hervorgeht, konnte aus Nachteilen wegen der Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie und der alevitischen Religionsgemeinschaft angesichts der fehlenden Eingriffsintensität kein als Verfolgung zu qualifizierendes Szenario gewonnen werden.

 

Grundsätzlich wurde dazu festgehalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (VwGH 07.10.1995, Zl. 95/20/0080; 23.05.1995, Zl. 94/20/0808), sind hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.

 

Die nunmehr vorgebrachten Gründe wären auch nicht geeignet, ein anderslautendes Verfahrensergebnis herbeizuführen:

 

Der Viertantragsteller bringt im Antrag auf Wiederaufnahme im Wesentlichen vor, in der Schule drangsaliert und schikaniert und von einem Mitschüler auch geschlagen worden zu sein, welcher damit ungeschoren davongekommen sei. Beide minderjährigen Antragsteller brachten zudem vor, dass sie ihre kurdische Sprache nicht verwenden hätten dürfen. Abgesehen davon, dass diese Gründe für das Verlassen ihres Heimatlandes von ihren Eltern im Erstverfahren – zumindest im Ansatz – bereits vorgebracht wurden, wie oben dargestellt, vermögen sie auch mit dem nunmehr etwas detaillierteren Bericht über ihre Erfahrungen in der Türkei nicht, ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen, zumal auch ein einmaliger körperlicher Übergriff eines Mitschülers, der nicht geahndet wird, die für die Gewährung eines Asylstatus notwendige Intensität nicht aufweist. Das gilt auch für die Schikanen durch weitere Mitschüler.

 

Im Hinblick auf die Türkei wird zwar nicht verkannt, dass Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen durch die Polizei bzw. staatliche Behörden begangen werden, jedoch ist in diesem Zusammenhang auch auf die vom Bundesverwaltungsgericht und der Behörde im Erstverfahren herangezogenen Länderberichte zu verweisen, in welchen keine von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür erkennbar sind und waren, dass alle Personen kurdischer Ethnie und alevitischer Glaubenszugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Ethnie und Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Den Berichten lässt sich auch nicht entnehmen, dass die türkischen Behörden schlechthin unwillig wären, Kurden und Aleviten vor Übergriffen zu schützen.

Dem Vorbringen der BF lässt sich nicht einmal entnehmen, dass die körperlichen Übergriffe der Schulkollegen des BF3 bereits als strafrechtlich relevante Taten zu qualifizieren waren.

 

Auch wenn ein Schutz gegen Übergriffe nicht lückenlos (so wie in keinem Staat auf der Erde) möglich ist, stellen Körperverletzung und Drohung, wie sich aus dem Amtswissen ergibt, in der Türkei amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und existieren dort offenkundig auch Behörden, welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und effektiv tätig sind, zumal aus dem Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag auch hervorgeht, dass die türkische Polizei auf Anzeige der Eltern eingeschritten ist. Selbst wenn man hypothetischerweise davon ausgehen möchte, dass die Übergriffe der Mitschüler als Straftaten zu qualifizieren waren, so wäre es den Antragstellern auch frei gestanden, sich, wenn die einschreitenden örtlichen Polizeiorgane die Aufnahme der Anzeigenerstattung verweigert hätten und der Direktor der Schule die ihm auferlegten Schutzpflichten missachtet hätte, sich an eine übergeordnete Polizeidienststelle oder die Staatsanwaltschaft bzw. die übergeordnete Schulbehörde zu wenden. Es wurde jedoch nicht einmal behauptet, dass ein derartiger Versuch unternommen wurde.

 

Selbst bei Wahrunterstellung der Angaben des Viertantragstellers und unter Annahme eines „worst case“-Szenarios würde damit eine Schutzgewährung ausscheiden.

 

Auch das Vorbringen, die minderjährigen Antragsteller hätten wegen möglicher Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung bzw. der fehlenden Möglichkeit einer Wiederaufnahme im türkischen regulären Schulsystem keine Möglichkeit auf weitere Schulbildung bzw. Aufnahme in ein Gymnasium, wäre nicht geeignet, ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen.

In gegebenem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

Die Antragsteller verabsäumten es auch, substantiiert darzulegen, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf die individuelle Situation der Kinder auswirken würde, insbesondere inwieweit die schulpflichtigen Antragsteller durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage oder der Gefahr eine Ausbeutung ausgesetzt wären oder deshalb in eine Notlage geraten würden.

Auch die Einbeziehung der Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention und der Grundrechtscharta vermag kein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen:

Die relevanten Artikel der UN-Kinderrechtskonvention begründen keine subjektiven Rechte, wiewohl bei der Interpretation der in der österreichischen Rechtsordnung verankerten Kinderrechte die Bestimmungen der Kinderrechtskonvention zu berücksichtigen sind. Diese Bestimmungen können aber nicht soweit ausgelegt werden, dass allein wegen der Möglichkeit, verminderten Berufschancen im Herkunftsstaat entgegenzusehen, ein Recht daraus ableitbar wäre, in einem anderen Staat verbleiben zu können. In gegebenem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass die Situation im Falle einer Rückkehr von Minderjährigen oder vulnerablen Personen ohnehin nach den im Rahmen eines Asylverfahrens anzuwendenden Bestimmungen der EMRK und der dazu ergangenen Judikatur eingehend zu beleuchten ist. Das asylrechtliche Familienverfahren nimmt auch auf die in Art. 24 Abs 2 der Grundrechtscharta verbrieften Rechte Bezug.

In Bezug auf die Kinderrechte in der Judikatur des EGMR ist schließlich noch anzumerken, dass sich in der EMRK keine Erwähnung von Kindern und ihren Rechten findet, jedoch können sich Kinder grundsätzlich auf alle in der Konvention garantierten Rechte stützen. Zentraler Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung der Rechte und Interessen der Kinder ist das in Art. 8 gewährleistete Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens. Daneben spielt auch das Recht auf Bildung gemäß Art. 2 1. ZPEMRK eine Rolle. Das Kindeswohl ist im Rahmen der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in die von Art. 8 geschützten Rechte zu berücksichtigen, was im vorangehenden Verfahren auch erfolgt ist.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Antragsteller in ihrem Heimatland ein grundsätzlich funktionierendes Bildungssystem vorfinden werden. Dass den BF wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe oder alevitischen Religionszugehörigkeit der Zugang zur Bildung in der Türkei generell verweigert würde oder kurdische und/oder alevitische Schüler und Schülerinnen an türkischen Schulen generell in einer die Kinderrechtskonvention oder die Menschenwürde des Kindes widerstrebenden Weise behandelt würden haben sie lediglich unsubstantiiert vorgebracht.

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH vom 29.04.2010, Zl. 2009/21/0055).

In Bezug auf die die politischen Verhältnisse in der Türkei, die sich der Ansicht der Antragsteller zufolge nach Ergehen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2019 veränderten hätten, wurde bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um Umstände handelt, die in einem wiederaufzunehmenden Verfahren zu beleuchten wären.

Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen, was die BF offenkundig auch bereits unternommen haben.

 

II.3.2.3. Im gegenständlichen Fall lagen schon die Formalvoraussetzungen für eine Wiederaufnahme nicht vor, weshalb der Antrag zurückzuweisen war. Überdies konnten die Antragsteller auch nicht darlegen, dass es sich bei den behaupteten Tatsachen und Beweismitteln um solche handelt, die bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens schon vorhanden gewesen sind, deren Verwertung ihnen aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden ist und wären die in ihren Anträgen artikulierten Rückkehrbefürchtungen auch nicht geeignet, einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeizuführen.

 

II.3.2.4. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen war und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Wie bereits oben ausgeführt, wurde § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG nach den Materialien der Bestimmung des § 69 AVG nachempfunden, weshalb auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG zurückgegriffen werden kann.

 

Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von dieser bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch kann nicht davon ausgegangen werden kann, dass es an einer Rechtsprechung gänzlich fehlen würde.

 

Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, die die Zulassung der Revision bedingen würde.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte