Normen
AVG §38;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs4;
AVG §69;
B-VG Art118 Abs3 Z9;
B-VG Art119a Abs5;
GdO OÖ 1990 §102 Abs1;
GdO OÖ 1990 §40 Abs2 Z9;
GdO OÖ 1990 §40 Abs3;
VwRallg;
AVG §38;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs4;
AVG §69;
B-VG Art118 Abs3 Z9;
B-VG Art119a Abs5;
GdO OÖ 1990 §102 Abs1;
GdO OÖ 1990 §40 Abs2 Z9;
GdO OÖ 1990 §40 Abs3;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und der mitbeteiligten Marktgemeinde in der Höhe von EUR 330,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2002 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführern die Baubewilligung zur Errichtung eines Büro- und Betriebsgebäudes auf dem Grundstück Nr. 1275/1, EZ 954, KG Lenzing. Nach dem mit dem Bewilligungsvermerk versehenen Lageplan sollte dieses Gebäude in einem Seitenabstand von 3,00 m zum seitlichen Nachbargrundstück Nr. 1278/1 errichtet werden. In diesem Lageplan ist die Grundgrenze und der Seitenabstand eingetragen; Erläuterungen, wie die Grundgrenze ermittelt worden wäre, sind dem Lageplan nicht entnehmbar.
Mit Bescheid vom 19. August 2004 untersagte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführern die Fortsetzung der Bauausführung. In der Begründung dieses Bescheides wurde darauf verwiesen, dass sich das neu errichtete Gebäude eindeutig näher als 3,00 m zur Grundgrenze zum Grundstück Nr. 1278/1 befinde, was sich insbesondere auf Grund des von DI H. A. am 17. August 2004 erstellten exakten Grenzverlaufes und der Vermessung des Gebäudeabstandes ergebe. Grundlage der am 16. Oktober 2002 erteilten Baubewilligung sei die Bauplatzbewilligung vom 14. Oktober 2002 gewesen, welche auf der Basis des Lageplanes des DI H. A. vom 20. November 2000 erteilt worden sei und damit auch Grundlage für den Einreichplan zum Baubewilligungsansuchen gewesen sei.
Diese Baueinstellung bildete den Gegenstand des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tage, Zl. 2005/05/0152. Der Verwaltungsgerichtshof billigte die Baueinstellung bezüglich der Planabweichung "Nichteinhaltung des Seitenabstandes" und nahm keine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführer an.
Mit Schreiben vom 11. August 2005 beantragten die Beschwerdeführer beim Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde die Wiederaufnahme des Baueinstellungsverfahrens. Darin brachten sie vor, als maßgebliche Grundgrenze sei zur Begründung des baupolizeilichen Auftrages die in den Grenzkataster aufgenommene Grundgrenze herangezogen worden und es seien basierend darauf die Abstände zu dem von ihnen errichteten Gebäude vermessen worden. Die Behörde habe sohin die Vorfrage des Verlaufes der auch für das Baurecht zivilrechtlich verbindlichen Grundgrenze im Sinne des § 38 AVG beurteilt. Mit Schreiben vom 12. Jänner 2005 hätte der Zweitantragsteller beim Vermessungsamt den Antrag auf Berichtigung des Grenzkatasters gemäß § 13 Vermessungsgesetz gestellt. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Vermessungsamtes vom 24. Jänner 2005 abgewiesen worden, auf Grund der dagegen vom Zweitbeschwerdeführer eingebrachten Berufung habe das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (im Folgenden: BEV) mit Bescheid vom 4. August 2005 dergestalt entschieden, dass das Berufungsverfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der im Verfahren GZ. P 682/82 des Vermessungsamtes Vöcklabruck verfügten Umwandlung des Grundstückes der Beschwerdeführer ausgesetzt werde. Damit habe das BEV dahingehend entschieden, dass bislang keine rechtskräftige Umwandlung unter anderem des Grenzverlaufes zwischen dem Baugrundstück Nr. 1275/1 und dem Nachbargrundstück Nr. 1278/1 vorliege. Im Aussetzungsbescheid habe das BEV ausgeführt, dass die Umwandlung mangels Zustellung des seinerzeitigen Umwandlungsbescheides zur GZ. P 682/1982 an alle angrenzenden Eigentümer noch nicht rechtskräftig geworden sei. Mangels Umwandlung in den Grenzkataster gelte sohin die natürliche Grundstücksgrenze und nicht die von den Behörden im Baueinstellungsverfahren herangezogene Grenzkataster-Grenze. Die im Baueinstellungsverfahren ergangenen Bescheide seien gemäß § 38 AVG von der Vorfrage abhängig gewesen, ob es zu einer rechtskräftigen Umwandlung in den Grenzkataster gekommen sei. Das BEV als zuständige Behörde habe diese Vorfrage nunmehr anders als die Gemeindebehörden entschieden, weshalb der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vorliege. Unabhängig davon begründe der Bescheid des BEV vom 4. August 2005 den Wiederaufnahmegrund der Neuerungen gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG und ergebe sich ausgehend vom nunmehrigen Bescheid vom 4. August 2005, dass sich ein anderer Spruch in der Hauptsache ergeben werde. Der Bescheid des BEV vom 4. August 2005 sei den Vertretern der Beschwerdeführer am 5. August 2005 zugestellt worden, sodass der nunmehrige Wiederaufnahmeantrag innerhalb offener Frist gestellt werde.
Der offenbar mit diesem Antrag vorgelegte Bescheid des BEV vom 4. August 2005 enthält folgenden Spruch:
"Das auf Grund Ihrer in Vertretung von (Zweitbeschwerdeführer) innerhalb offener Frist eingebrachten Berufung vom 7.2.2005 gegen den Bescheid des Vermessungsamtes Vöcklabruck vom 24.1.2005, GZ A29/2005 eingeleitete Verfahren wird gemäß § 38 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) bis zur rechtskräftigen Entscheidung der im Verfahren GZ P 682/82 des Vermessungsamtes Vöcklabruck verfügten Umwandlung des Grundstückes 1275/1 ausgesetzt."
In der Begründung führte diese Berufungsbehörde aus, dass mit Bescheid des Vermessungsamtes Vöcklabruck vom 24. Jänner 2005 der Antrag auf Berichtigung des Grenzkatasters im Wesentlichen mit der zutreffenden Begründung abgewiesen worden sei, dass die im Teilungsplan des Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen DI H. A. vom 29. März 1982, GZ. 10496, der Grundlage der mit GZ. P 682/1982 verfügten Umwandlung der Grundstücke 1275/1, 1275/2 und 1275/3 gewesen sei, ausgewiesenen Koordinaten des Grenzverlaufes zwischen den Grundstücken 1275/1 und 1278 mit den Koordinaten der Gesamtvermessung der KG Lenzing aus dem Jahr 1953 bis 1955 übereinstimmten und daher aus technischer Sicht keine Begründung für eine Berichtigung gegeben sei. In der Berufung gegen diesen Bescheid sei ausgeführt worden, dass die Zustellung der Umwandlungsbescheide nicht an alle betroffenen Eigentümer erfolgt sei. Eine Ermittlung beim Vermessungsamt habe ergeben, dass der Bescheid GZ. P 682/1982 am 17. Februar 1983 an den Planverfasser DI H. A. zugestellt worden sei. Es wäre somit argumentierbar, dass mit der Zustellung an den Vertreter jedenfalls die Zustellung der im Bescheid verfügten Umwandlung an die betroffenen Grundstückseigentümer rechtmäßig erfolgt sei. Es sei aber keine Zustellung an die angrenzenden Grundeigentümer erfolgt. Es könne daher nicht argumentiert werden, dass die Umwandlung des Grenzverlaufes zwischen den Grundstücken 1275/1 und 1278/1 rechtskräftig verfügt worden sei. Mangels Zustellung des Umwandlungsbescheides an alle angrenzenden Eigentümer sei die Umwandlung des Grundstückes 1275/1 in den Grenzkataster noch nicht rechtskräftig geworden. Die Frage, ob hinsichtlich des Grundstückes 1275/1 die Umwandlung in den Grenzkataster rechtskräftig verfügt worden sei, sei eine Vorfrage im gegenständlichen Verfahren der Berichtigung des Grenzkatasters. Wenn die Umwandlung in den Grenzkataster nicht in Rechtskraft erwachsen sei, bleibe der Grenzverlauf zwischen den Grundstücken Nr. 1275/1 und 1278/1 im nicht rechtsverbindlichen Grundsteuerkataster eingetragen und der Antrag auf Berichtigung gemäß § 13 VermessungsG wäre zurückzuweisen. Daher sei mit Schreiben vom selben Tag dem Vermessungsamt Vöcklabruck aufgetragen worden, den Bescheid GZ. P 682/82 umgehend allen betroffenen Grundstückseigentümern, darunter auch den Beschwerdeführern, zuzustellen. Bis zur formalen Klärung der Frage der rechtskräftigen Umwandlung sei daher das Berichtigungsverfahren auszusetzen gewesen. Erst nach Rechtskraft der Umwandlung könne über die inhaltliche Begründetheit des Antrages auf Berichtigung abgesprochen werden.
Eine Anfrage der Baubehörde beantwortete das Vermessungsamt Vöcklabruck mit Schreiben vom 27. Oktober 2005 wie folgt:
"Das Grundstück Nr. 1275/1 KG Lenzing wurde mit dem Teilungsplan vom 26.03.1982, GZ 10496 (DI H. A.) gebildet. Die im Plan dargestellte Grenze zum Grundstück Nr. 1278/1 ist ident mit der Vermessung aus dem Jahr 1955, die Koordinaten der Grenzpunkte wurden nur marginal im cm-Bereich geändert. Anlässlich der Bescheinigung des Lageplanes GZ 10496 (DI H. A.) wurde mittels Bescheid die Umwandlung des Grundstückes Nr. 1275/1 in den Grenzkataster verfügt. Seither wird die Grundstücksnummer 1275/1 in der Grundstücksdatenbank (GDB) als Grenzkatastergrundstück geführt.
Mit Schreiben vom 12.01.2005 hat Herr (Zweitbeschwerdeführer) einen Antrag auf Berichtigung des Grenzkatasters eingebracht, das Berichtigungsverfahren ist in der GDB beim Grundstück Nr. 1275/1 angemerkt. Da das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, ist die Grenze derzeit nicht als rechtsverbindlich zu werten.
Der Grenzverlauf zwischen den Grundstücken Nr. 1275/1 und 1278/1 ist seit 1955 bis heute unverändert. Die Grenze ist in der Digitalen Katastralmappe dargestellt und in gleicher Weise auch den Lageplänen GZ 10496 (DI H. A.) und GZ 9916 (DI K.) zu entnehmen."
Dieses Schreiben wurde den Beschwerdeführern vorgehalten; sie antworteten mit Schreiben vom 15. November 2005 dahingehend, dass eine im Jahr 1955 vom Bundesvermessungsdienst durchgeführte Vermessung von den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführer nicht anerkannt und der Grenzverlauf auch nicht "unterschrieben" worden sei. Sie hielten den Wiederaufnahmeantrag weiterhin aufrecht und ersuchten um einen Bescheid nach dem Grenzverlauf vor 1955.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2006 setzte der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde das Wiederaufnahmeverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung hinsichtlich der Klärung der Vorfrage betreffend den Grenzverlauf zwischen den Grundstücken Nr. 1275/1 und 1278/1, je KG Lenzing, aus. In der Begründung führte die Behörde aus, die Feststellung des Grenzverlaufes sei eine wesentliche Vorfrage; das Verfahren müsse daher gemäß § 38 AVG so lange ausgesetzt bleiben, bis das Verfahren vor den Vermessungsbehörden rechtskräftig entschieden sei.
Gegen diesen Aussetzungsbescheid richtete sich die Vorstellung der Beschwerdeführer. Die zuständige Behörde, nämlich das BEV, habe mit Bescheid vom 4. August 2005 ausgesprochen, dass die Umwandlung in den Grenzkataster bislang nicht rechtskräftig erfolgt sei. Damit sei eine Vorfrage anders entschieden worden, als sie durch die Baubehörden im Baueinstellungsverfahren beurteilt worden sei, weshalb der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vorliege. Wenn der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde die Aussetzung darauf stütze, dass derzeit das Verfahren vor den Vermessungsbehörden bezüglich der Umwandlung des Grundstückes 1275/1 anhängig sei, könne damit die Aussetzung des Wiederaufnahmeverfahrens nicht begründet werden. Im Zeitpunkt der Erlassung des Baueinstellungsbescheides vom 19. August 2004 sei nämlich entgegen der Beurteilung durch die Baubehörde keine rechtskräftige Umwandlung in den Grenzkataster vorgelegen, damit sei der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG bzw. des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG erfüllt. Der Gemeinderat hätte sohin dem Vorstellungsantrag (gemeint wohl: dem Wiederaufnahmeantrag) in jedem Fall stattgeben müssen. Eine Unterbrechung käme nur im meritorisch wieder aufgenommenen Baueinstellungsverfahren in Betracht.
Weiters machen die Beschwerdeführer in ihrer Vorstellung geltend, dass der Gemeinderat zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nicht zuständig gewesen sei, weil diejenige Behörde über die Wiederaufnahme zu entscheiden hätte, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen habe. Da hier ein Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung ergangen sei (das ist jener Bescheid, der Gegenstand des eingangs zitierten Erkenntnisses vom heutigen Tage ist), wäre die Oberösterreichische Landesregierung zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zuständig. Es wurde daher der Antrag gestellt, den Bescheid des Gemeinderates ersatzlos aufzuheben; gemäß § 69 Abs. 4 AVG möge die Oberösterreichische Landesregierung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens entscheiden.
Noch vor Erlassung des hier angefochtenen Bescheides erging im "Umwandlungsverfahren" der auch in der Beschwerde angesprochene Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 22. Mai 2006. Danach wurde, nachdem der Bescheid aus 1982 an den Zweitbeschwerdeführer am 11. August 2005 zugestellt worden war, eine dagegen erhobene Berufung vom BEV mit Bescheid vom 5. Dezember 2005 abgewiesen; die dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos. Die Revisionsbehörde verwies in ihrer Begründung auf § 17 Z. 3 Vermessungsgesetz, wonach nur von den Eigentümern der angrenzenden Grundstücke eine Zustimmungserklärung gefordert werde, während die Zustimmung des Grundstückseigentümers selbst aus der Tatsache hervorgehe, dass er den Planverfasser beauftragt habe, diesen Grenzverlauf darzustellen und diesen Teilungsplan beim Vermessungsamt einzureichen. Ob in der Folge DI H. A. den Auftrag gehabt hätte, die Umwandlung der Grundstücke zu beantragen, sei irrelevant, weil diese Umwandlung von Amts wegen erfolge. Die Abweichungen der Grenzpunktkoordinaten des Planes DI H. A. von den Koordinaten der Neuvermessung hätten maximal 2 cm betragen, auch die Differenz der Sperrmaße zwischen den Grenzpunkten hätte maximal 3 cm betragen. Der im Plan von DI H. A. dargestellte Grenzverlauf hätte eindeutig auf dem Katasterstand aufgebaut. Auch mit dem Hintergrundwissen über das Baueinstellungsverfahren hätten die Vermessungsbehörden erster und zweiter Instanz objektiv und rechtlich nachvollziehbar alle Tatsachen festgestellt und beurteilt. Da alle Voraussetzungen für die Umwandlung gegeben seien und der Sachverhalt einwandfrei ermittelt worden sei, bestünde keine Veranlassung, neuerlich eine Grenzverhandlung oder Vermessung durchzuführen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde im Spruchpunkt I. der Vorstellung der Beschwerdeführer Folge, hob den Bescheid des Gemeinderates auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde zurück. Der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG liege nicht vor, weil der von den Beschwerdeführern herangezogene Bescheid des BEV lediglich eine Aussetzung beinhaltet habe; eine meritorische Erledigung in einer Verwaltungsangelegenheit sei nicht erfolgt. Dieser verfahrensrechtliche Bescheid stelle keine rechtskräftige Entscheidung einer Vorfrage dar.
Der Bescheid könne aber auch keine "neue Tatsache" oder kein "neues Beweismittel" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG darstellen. Relevant wären ja nur Tatsachen bzw. Beweismittel, die schon vor Erlassung des das wieder aufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheides bestanden hätten, aber erst nach diesem Zeitpunkt bekannt geworden wären. Eine Entscheidung, die nach dem das Erstverfahren abschließenden Bescheid ergangen sei, sei nicht neu hervorgekommen und könne diesen Wiederaufnahmegrund nicht bilden. Im Übrigen wäre es darauf angekommen, ob die Tatsachen oder Beweismittel voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Dies sei jedoch auszuschließen, da die Frage der Einhaltung der Mindestabstände zu den Nachbargrundgrenzen im Baueinstellungsverfahren nicht den einzigen Grund für die Untersagung der Fortsetzung der Bauausführung dargestellt hätte. Vielmehr sei auch eine bewilligungspflichtige Planabweichung in Bezug auf die Gebäudehöhe festgestellt worden. Da für eine Baueinstellung im Sinne des § 41 Abs. 3 Z. 4 OÖ BauO das Vorliegen einer einzigen bewilligungspflichtigen Planabweichung hinreiche, sei nicht erkennbar, inwiefern die Behörde in Anbetracht des Faktums einer von der bewilligten Ausführung abweichenden Gebäudehöhe zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid hätte kommen können.
Somit liege auch der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG nicht vor, weshalb die Entscheidung der Baubehörde über die Wiederaufnahme zwangsläufig in der Abweisung des Antrages hätte bestehen müssen. Wenn kein Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 AVG bestehe, dann bilde die Frage des Grenzverlaufes zwischen den Grundstücken Nr. 1275/1 und 1278/1 keinen Einfluss auf die Sachentscheidung über den Wiederaufnahmeantrag, da bereits nach der gegebenen Sachlage eine Abweisung hätte erfolgen müssen. Die Frage des Grenzverlaufes stelle daher im gemeindebehördlichen Verfahren betreffend den Antrag vom 11. August 2005 keine "Vorfrage" im Sinne des § 38 AVG dar, die die Behörde zur Aussetzung des Verfahrens berechtigt hätte. Die rechtsirrige Anwendung des § 38 AVG verletzte die Antragsteller in ihren subjektiven Rechten, da diese einen Rechtsanspruch darauf hätten, dass eine Aussetzung nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erfolge. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, so bestehe ein Rechtsanspruch darauf, dass die Behörde innerhalb der in § 73 Abs. 1 AVG bestimmten Frist eine Sachentscheidung treffe, möge diese auch nur in einer Abweisung des Antrages bestehen.
Mit Spruchpunkt II. wurde der an die Vorstellungsbehörde unmittelbar gerichtete Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil die belangte Behörde diesbezüglich unzuständig sei. Das Verwaltungsverfahren habe im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde stattgefunden und sei mit einer Entscheidung des obersten Gemeindeorganes beendet worden; das daran anschließende Vorstellungsverfahren sei kein Instanzenzug im Sinne des AVG.
In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde beantragen die Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Gemeinde, eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrags durch die Vorstellungsbehörde:
Die Beschwerdeführer haben in ihrer Vorstellung beantragt, die Vorstellungsbehörde möge über den "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 11. August 2005" entscheiden, also über den an den Bürgermeister gerichteten Antrag, das Verfahren über die Baueinstellung wieder aufzunehmen. Sie haben somit die Wiederaufnahme jenes Bauverfahrens beantragt, welches vor den Gemeindebehörden abgeführt worden war.
Nach § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem. In § 40 Oö. Gemeindeordnung 1990 (GemO) sind die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde geregelt. Die Aufzählung in Abs. 2 dieser Bestimmung, die auf Art. 118 Abs. 3 B-VG verweist, nennt in der Z. 9 die örtliche Baupolizei. Abs. 3 dieser Bestimmung lautet:
"(3) Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen und - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 102 - unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen. Dem Land kommt gegenüber der Gemeinde bei Besorgung ihres eigenen Wirkungsbereiches, soweit es sich nicht um Angelegenheiten aus dem Bereich der Bundesvollziehung handelt, ein Aufsichtsrecht zu."
Dass gemäß § 102 Abs. 1 GemO derjenige, der durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges dagegen Vorstellung erheben kann, ändert nichts daran, dass die Gemeinde die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches in eigener Verantwortung frei von Weisungen und unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen hat. Schon in seinem Erkenntnis vom 14. Juni 1971, VwSlg. 8.036/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass im Falle eines zur "örtlichen Baupolizei" im Sinne des Art. 118 Abs. 3 Z. 9 B-VG zuzuordnenden, wieder aufzunehmenden Verfahrens, ein solches Verfahren im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen ist, weshalb die in § 69 Abs. 4 AVG 1950 eingeräumte Entscheidungskompetenz über den Wiederaufnahmeantrag jener Behörde zukommt, welche nach den geltenden Zuständigkeitsvorschriften den Bescheid in letzter Instanz zu erlassen gehabt hätte. Das war in jenem Fall gemäß § 76 des Klagenfurter Stadtrechtes der Stadtsenat der Landeshauptstadt Klagenfurt. Nicht vergleichbar ist der von den Beschwerdeführern herangezogene Fall des hg. Erkenntnisses vom 20. November 2002, Zl. 2000/17/0013, weil es dort um die Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens ging; die Gemeinde stellte den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
Die belangte Behörde war daher zur Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag vom 11. August 2005 unzuständig; die mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides erfolgte Zurückweisung erging zu Recht.
2. Zur Aufhebung des Bescheides des Gemeinderates:
Der vor der Vorstellungsbehörde bekämpfte Bescheid der obersten Gemeindeinstanz enthält keine Sachentscheidung über den Wiederaufnahmeantrag, sondern eine Aussetzung im Sinne des § 38 AVG.
§ 38 AVG berechtigt die Behörde, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Als verfahrensrechtlicher Bescheid ist die Aussetzung selbstständig mit jenem Rechtsmittel bekämpfbar, das gegen den in der Sache zu ergehenden Bescheid zur Verfügung steht (Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz 51 zu § 38 AVG). "Bescheid eines Gemeindeorganes" im Sinne des Art. 119a Abs. 5 B-VG bzw. § 102 Abs. 1 GemO ist auch ein verfahrensrechtlicher Bescheid (Hauer, Gemeindeaufsicht, in:
Klug/Oberndorfer/Wolny, Das österreichische Gemeinderecht,
17. Teil, Rz 104), weshalb auch gegen eine gemäß § 38 AVG ergangene Aussetzung die Vorstellung zulässig ist.
Prüfungsgegenstand vor der Vorstellungsbehörde ist die Frage, ob Rechte des Vorstellungswerbers durch den angefochtenen Bescheid verletzt wurden; bei einem hier bekämpften, nach § 38 AVG ergangenen Bescheid war daher auch Prüfungsgegenstand die Frage, ob eine Vorfragensituation besteht (siehe die Nachweise bei Hengschläger/Leeb, aaO, Rz 52). Daher war die Vorstellungsbehörde gehalten, anhand der Bestimmungen über die Wiederaufnahme zu prüfen, inwieweit das angesprochene Verfahren vor der Vermessungsbehörde Grundlage für die zu ergehende Entscheidung über die begehrte Wiederaufnahme sein konnte.
§ 69 Abs. 1 AVG lautet:
"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde,
falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung
herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die
im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde."
In Anbetracht der hier auch darauf gegründeten Baueinstellung, dass der Abstand zur Grundgrenze nicht eingehalten worden sei, kann die Feststellung des Grenzverlaufes sehr wohl eine Vorfrage sein (vgl. zuletzt das in einem Baubewilligungsverfahren ergangene hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2002/05/0769), weil wegen des angenommenen Grenzverlaufes eine Planabweichung festgestellt worden war. Diese Vorfrage bildete den Gegenstand eines bei den Vermessungsbehörden anhängig gemachten Verfahrens. Eine dort ergangene Entscheidung wäre grundsätzlich geeignet gewesen, wenn sie "anders" ergangen wäre, einen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG zu bilden.
Eine solche "Entscheidung" vermeinen die Beschwerdeführer im Bescheid des BEV vom 4. August 2005 zu erkennen, weil dort in der Begründung festgehalten worden sei, dass mangels Zustellung des Umwandlungsbescheides aus 1982 die Umwandlung in den Grenzkataster noch nicht rechtskräftig geworden sei.
Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, dass damit eine "andere" Entscheidung bezüglich des Grenzverlaufes keinesfalls ergangen ist. Abgesehen davon, dass der Spruch dieses Bescheides lediglich in einer Aussetzung nach § 38 AVG besteht, bedeutet die in der Begründung festgestellte Nichtzustellung des Umwandlungsbescheides keineswegs, dass eine andere Entscheidung, also letztlich ein anderer Grenzverlauf, durch die dafür zuständige Behörde festgestellt worden ist. Auf § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG können sich die Beschwerdeführer daher (derzeit) keinesfalls berufen, sodass der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden kann, wenn sie diesbezüglich das Fehlen einer Vorfragensituation im Sinne des § 38 AVG annahm.
Der Wiederaufnahmetatbestand der Z. 2 des § 69 Abs. 1 AVG wurde ohne weitere Begründung im Wiederaufnahmeantrag gleichfalls unter Verweis auf den Bescheid des BEV vom 4. August 2005 geltend gemacht. Damit wird offenbar postuliert, dass dann, wenn die nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG geforderte "andere Entscheidung" noch nicht ergangen und der Wiederaufnahmeantrag verfrüht ist, allein das anhängige Verfahren den Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bilden kann.
"Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, mit "Beweismittel" sind Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 133 zu § 69 AVG). Eine gerichtliche Entscheidung ist weder eine Tatsache noch - für sich -
ein Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG (siehe die Nachweise bei Walter/Thienel, aaO, E 145 f, zu § 69 AVG). Ein Aussetzungsbescheid in einem Verfahren, dessen Ergebnis den Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG bilden könnte, kann keinesfalls eine neue "Tatsache" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG sein, weil es dann nicht verständlich wäre, warum der Gesetzgeber in § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG ausdrücklich auf Entscheidungen und nicht bloß auf eingeleitete Verfahren verwiesen hat. Andere "Tatsachen" als der Bescheid des BEV vom 4. Mai 2005 wurden von den Beschwerdeführern aber nicht behauptet, sodass die belangte Behörde das Vorliegen dieses Wiederaufnahmetatbestandes (und damit einer Vorfragensituation) zu Recht abgelehnt hat.
Dass die belangte Behörde in ihrer Begründung zusätzlich auf den weiteren Grund für die Baueinstellung verwiesen hat (Überschreitung der Gebäudehöhe), ist ohne Belang, weil sich der verfahrenseinleitende Wiederaufnahmeantrag ausschließlich auf die Frage der Grundstücksgrenze bezogen hat.
Hier war tragender Grund der Aufhebung, dass die belangte Behörde, weil sie beide geltend gemachten Wiederaufnahmegründe nicht als gegeben ansah, die Annahme einer Vorfragensituation nicht billigte. Die überbundene Rechtsauffassung, dass - nach der von der Vorstellungsbehörde beurteilten Sach- und Rechtslage - der Wiederaufnahmeantrag abzuweisen ist, wird vom Verwaltungsgerichtshof aus den angeführten Gründen geteilt. Nicht darüber abgesprochen wurde - das sei hier klargestellt -, welche Folgen eine tatsächlich ergangene "andere Entscheidung" bei einem neuerlichen Wiederaufnahmeantrag zeitigen würde.
Damit erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Jänner 2008
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