BVwG L529 2213717-1

BVwGL529 2213717-14.11.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2213717.1.00

 

Spruch:

L529 2213714-1/15E

L529 2213713-1/11E

L529 2213717-1/11E

L529 2213715-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Vater und gesetzlichen Vertreter XXXX , alle StA. Türkei und alle vertreten durch RA Mag. Dr. Bernhard ROSENKRANZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2018, ZI. XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.07.2019, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als BF1 bis BF4 bezeichnet), sind Staatsangehörige der Türkei und stellten nach rechtswidriger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.11.2016 Anträge auf internationalen Schutz. BF3 und BF4 sind die leiblichen Kinder von BF1 (Vater) und BF2 (Mutter).

Zu den Fluchtgründen befragt, gab der BF1 in der damaligen Erstbefragung an, Kurde und Mitglied der HDP zu sein. Alle Parteimitglieder der HDP seiner Ortspartei seien festgenommen worden. Er habe für die HDP gekocht und bei deren Veranstaltungen mitgemacht. Die türkische Polizei habe ihm gedroht ihn zu töten, wenn er keine Informationen der HDP liefern könne.

Die BF2 gab zu ihren Fluchtgründen in der Erstbefragung an, dass es für alevitische Kurden in der Türkei keine Sicherheit zum Leben gebe. Ihre Kinder hätten in der Schule Probleme gehabt. Sie hätten zum Islamunterricht gehen müssen, obwohl sie Aleviten seien. Der Vater ihres Mannes habe die HDP unterstützt und sei auch eingesperrt worden. Ihm sei die Flucht gelungen und er sei nach Deutschland geflohen. Seither hätten die Militärbehörden immer wieder ihren Mann aufgesucht, um den Aufenthaltsort von dessen Vater zu erfahren. Er habe den Behörden gesagt, dass dieser in Deutschland sei, diese hätten ihm jedoch nicht geglaubt. Sie und ihr Mann hätten in der Türkei ein gut gehendes Restaurant betrieben, dieses jedoch verkauft, weil sie sich nicht mehr sicher gefühlt hätten. Sie gab zudem an, dass man sie im Falle ihres Verbleibs in der Türkei eingesperrt hätte.

Der BF3 gab als Fluchtgrund in der Erstbefragung an, dass er in der Schule ausgelacht worden sei, weil er Kurde sei. Sie seien dort eine Minderheit. Er habe mit seiner Familie dort weg wollen.

I.2. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz: BFA) gab der BF1 zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates zusammengefasst an, dass er aufgrund seiner kurdischen Volkgruppenzugehörigkeit bzw. seiner alevitischen Religionszugehörigkeit vom Erdogan-Regime unter Druck gesetzt worden sei. Ihm sei von türkischen Behörden vorgeworfen worden, dass er die XXXX unterstütze. Er sei auch von der türkischen Polizei bedroht worden, zuletzt nach dem Militärputsch. Seine Ehegattin und Kinder hätten dieselben Fluchtgründe.

Die BF2 gab in der Einvernahme beim BFA an, dass sie dieselben Fluchtgründe wie der BF1 habe. Auch der BF3 gab an, dieselben Fluchtgründe wie der BF1 zu haben. Zudem habe er Angst vor dem Militärdienst, da er als Kurde in Terrorgebiete gesandt werde.

I.3. Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA jeweils vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

I.4. Gegen diese Bescheide wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurden die Bescheide im gesamten Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten.

I.5. Die Verwaltungsakte langten am 28.01.2019 bei der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung ein.

I.6. Für den 31.07.2019 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung. Mit der Ladung wurden den Beschwerdeführern länderkundliche Informationen zur Türkei übermittelt und die Möglichkeit zur Stellungnahme dazu eingeräumt.

I.7. Am 31.07.2019 führte das BVwG die mündliche Verhandlung durch. Daran nahmen die Beschwerdeführer, deren Vertreter, sowie ein Vertreter der belangten Behörde teil. In der ausführlichen Einvernahme der Beschwerdeführer hatten diese Gelegenheit, zu ihrem Fluchtvorbringen, ihrer Integration und ihrer Rückkehrsituation Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführer brachten zudem mehrere Unterlagen als Beweismittel in Vorlage.

I.8. Am 14.08.2019 langte eine Stellungnahme des Vertreters der Beschwerdeführer - im Wesentlichen Ausführungen zu exilpolitischen Tätigkeiten - ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt der übermittelten Verwaltungsakte der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerden, der Gerichtsakte, Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Stellungnahme der Beschwerdeführer Beweis erhoben.

II.1. Feststellungen (Sachverhalt):

II.1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind türkische Staatsangehörige und alevitische Kurden. Sie stammen aus der Provinz XXXX , ursprünglich lebten sie im Dorf XXXX , zuletzt aber bis zur Ausreise in der Provinzhauptstadt XXXX . Die Beschwerdeführer sprechen Türkisch und Kurdisch auf muttersprachlichem Niveau.

Der BF1 ist seit 1999 mit der BF2 verheiratet und hat mit dieser den BF3 und den BF4 als gemeinsame Kinder. Der BF1 besuchte in der Türkei für zumindest fünf Jahre die Schule. Er besuchte zuletzt die Hauptschule, brach diese jedoch zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt ab. Der BF1 hat den Wehrdienst bereits absolviert. Er war in der Türkei in der Viehzucht erwerbstätig. Zudem hat er eine Lehre als Koch abgeschlossen und bis zur Ausreise im Jahr 2016 gemeinsam mit der BF2 ein Restaurant in XXXX betrieben. Der BF1 verfügt in der Türkei nach wie vor über ein Haus im Dorf, in dem er aufwuchs und über mehrere Grundstücke dort, sowie über eine Eigentumswohnung in der Stadt XXXX in der die Beschwerdeführer vor der Ausreise lebten. Die finanzielle Lage der Beschwerdeführer in der Türkei war gut.

Die BF2 besuchte in der Türkei bis zur fünften Klasse die Schule. Sie war in ihrem Restaurant erwerbstätig.

Der BF3 besuchte in der Türkei bis zur Ausreise die Schule. Der von ihm besuchte Schultyp war nicht näher feststellbar.

Der BF4 besucht aktuell die NMS in XXXX in der ersten Klasse.

Die Beschwerdeführer leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

In der Türkei leben noch zwei Tanten des BF1. Zudem leben dort noch der Vater, zwei Tanten und drei Stiefbrüder der BF2. Zwei Brüder der BF2 leben in Österreich. Seitens der Beschwerdeführer besteht zu keinem ihrer hiesigen Verwandten ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Die Eltern, der Bruder und zwei Schwestern des BF1 leben in Deutschland. In Deutschland leben außerdem zwei Brüder und zwei Schwestern der BF2. Eine Schwester des BF1 lebt in der Schweiz und eine Schwester der BF2 in den Niederlanden.

Die Beschwerdeführer verließen die Türkei illegal schlepperunterstützt von Istanbul aus auf dem Landweg und reisten in der Folge illegal in das österreichische Bundesgebiet, wo sie am 11.11.2016 in XXXX jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Die BF2 - BF4 sprechen wenig Deutsch. Der BF1 verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Der BF1 absolvierte Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und A1. Er besuchte auch danach einen Deutschkurs. Zudem hat er an einem Wertekurs des " XXXX " und einem Workshop für Energie und Klimaschutz im Wohnbereich teilgenommen. Er war außerdem im Oktober und Dezember 2017 sowie im März, Mai, Juni und Oktober 2018 ehrenamtlich in der Grundversorgungseinrichtung XXXX der XXXX tätig. Dabei hat er Reinigungstätigkeiten, Dolmetschdienste sowie Ausmal- und Ausbesserungsarbeiten übernommen. Der BF1 und die BF2 waren zudem ehrenamtlich bei Veranstaltungen der Gemeinde XXXX und des Vereins XXXX tätig, bei denen sie das Catering übernahmen. Die BF1 und BF2 waren zudem fallweise als Haushaltshilfen - für Reinigungsarbeiten wurden sie auch mit Dienstleistungscheck entlohnt - erwerbstätig. Die BF2 hat mehrere Deutschkurse besucht. Sie hat auch drei Basisbildungskurse: "Fokus Lesen und Schreiben", "Deutsch auf dem Niveau A1" und "Deutsch als Zweitsprache 1 Niveau A1" der Bildungseinrichtung " XXXX " absolviert. Sie arbeitete seit Oktober 2018 bis zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt beim Mittagstisch im Kindergarten der Gemeinde XXXX im Ausmaß von 12 Wochenstunden. Die Beschwerdeführer bestreiten ihren Lebensunterhalt seit der Asylantragstellung großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung. Sie leben in einer Unterkunft für Asylwerber in XXXX . Der BF1 ist Mitglied des kurdischen Vereins " XXXX und besucht alevitische Vereine.

Der BF3 besucht in Österreich derzeit eine HTL in XXXX . Er hat an einem Erste-Hilfe-Kurs im Ausmaß von sechs Stunden teilgenommen. Zudem hat er an einem Deutschkurs auf dem Niveau A1 teilgenommen und eine Probeprüfung absolviert. Eine Deutschprüfung hat er bislang nicht absolviert. Der BF3 hat kurdische und österreichische Freunde. Mit diesen spielt er in seiner Freizeit Fußball. Er besucht zudem ein Fitnessstudio. Er ist kein Mitglied eines Vereins und hat bislang keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Der BF4 besucht die NMS in XXXX in der ersten Klasse.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten. Gegen den BF1 wurde wegen des Verdachts auf Diebstahl ermittelt. Das Ermittlungsverfahren wurde diversionell eingestellt.

II.1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in ihrem Heimatland eine begründete Frucht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

Es konnte zudem, unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände, nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Es wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern im Rückkehrfall keine lebens- bzw. existenzbedrohende Notlage droht. Den Beschwerdeführern ist eine Rückkehr in die Türkei zum Entscheidungszeitpunkt zumutbar.

II.1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018). Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehrere Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018). Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018).

Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten "Gülen-Bewegung", die nur in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Personlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Auserungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).

Terroristische Gruppierungen: PKK - Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)

Ab Mitte der 1970er Jahre bildete sich eine breitere Front oppositioneller Kurden, die ein gemeinsames Ziel erreichen wollten: mehr Freiheit und am Ende einen unabhängigen Staat. Als Hauptakteur kristallisierte sich die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) heraus, die 1978 von Abdullah Öcalan gegründet worden war. Neben dem Kampf gegen den türkischen Nationalismus war sie auch stark marxistisch-leninistisch beeinflusst und machte das kapitalistische und imperialistische System verantwortlich für die Situation der Kurden. Nach dem Militärputsch von 1980 rief Öcalan 1984 den bewaffneten Kampf aus. Über kurdische Provinzen wurde der Ausnahmezustand verhängt, die Armee brannte ganze Dörfer nieder, deren Bewohner unter dem Verdacht standen, mit der PKK zu sympathisieren. Das wiederum verschaffte der PKK Zulauf (PW 21.1.2015). Heute teilen mindestens 80% der Kurden im Südosten der Türkei grundlegende Forderungen der PKK: Sie wollen Unterricht ihrer Kinder in der Muttersprache, lokale und regionale Autonomie vom türkischen Zentralstaat und eine Entschuldigung des Staates für die seit Anfang der Republik betriebene Politik der Leugnung kurdischer Sprache und Kultur, die gewaltsame Assimilationspolitik und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen (SWP 10.9.2015).

Der Kampf der marxistisch orientierten Kurdischen Arbeiterpartei bzw. Aufstandsbewegung PKK war ursprünglich u.a. gegen die regionale Rückständigkeit im Südosten der Türkei gerichtet (inkl. des fortbestehenden kurdischen Feudalsystems) und verwandelte sich erst in den späten 1980er Jahren in einen Kampf um kulturelle Rechte, regionale Unabhängigkeit bzw. de facto Sezession. Gegenwärtig ist offiziell eine weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei das Ziel. Der PKK-Gewalt standen Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Militärregierung (ab 1980) gegenüber. Seit 1984 forderte der Konflikt über 40.000 militärische und zivile Opfer. Die PKK ist in der Türkei verboten und wird auch von USA und EU als terroristische Organisation eingestuft. Sie agiert v.a. im Südosten der Türkei, in den Grenzregionen zu Iran und Syrien, sowie im Nord-Irak, wo ihr Rückzugsgebiet liegt (Kandilgebirge) (ÖB 10.2017). 1993 gab es das erste Waffenstillstandsangebot der PKK. Deren Führung verwarf in einer Erklärung das Ziel eines unabhängigen Kurdistans und strebte stattdessen kulturelle Autonomie und lokale Selbstverwaltung innerhalb der Türkei an. Doch die türkische Regierung war zu keinen Kompromissen bereit und verstärkte ihre Militäroffensive. Im Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan festgenommen, was die Führung und Organisation der PKK empfindlich schwächte. Aus dem Gefängnis heraus warb er für eine friedliche Lösung des Konfliktes (PW 21.1.2015).

2012 initiierte die Regierung den sog. "Lösungsprozess" (keine offiziellen Verhandlungen), das hieß Direktgespräche des türkischen Nachrichtendienstes MIT mit PKK-Chef Öcalan, wobei HDP-Politiker als Vermittler fungierten. Der Erfolg der HDP bei den Juni-Wahlen 2015 führte zu Kontroversen zwischen der PKK und der HDP betreffend der Frage, wem dieser Erfolg geschuldet sei (ÖB 10.2017). Der von der PKK gegenüber dem türkischen Staat angebotene Gewaltverzicht wurde im Sommer 2015 zurückgenommen. Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war ein der Terrormiliz Islamischer Staat zugerechneter Selbstmordanschlag am 20.7.2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22.7.2015 zwei türkische Polizisten, die sie einer Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25.7.2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos. Die türkische Regierung tat dies ihrerseits nach deutlich intensivierten Kampfhandlungen der PKK am 28.7.2015. Mitte August 2015 rief die PKK in zahlreichen Provinzen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung die "Selbstverwaltung" aus, da sie nicht mehr bereit sei, die Autorität des türkischen Staates in diesen Gebieten anzuerkennen (BMI-D 6.2016).

Türkische Sicherheitskräfte erklärten, allein zwischen Ende Juli und September 2015 mehr als 1.000 PKK-Kämpfer getötet zu haben. Aktionen der PKK sollen im selben Zeitraum mindestens 113 Sicherheitskräfte das Leben gekostet haben (bpb 10.4.2018). Die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK in den süd-ostanatolischen Gebieten mit überwiegend kurdischer Bevölkerungsmehrheit hielten zwar an, erreichten jedoch nicht die Intensität des Jahres 2016. Eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich (BMIBH 7.2018). Die Regierung lehnt jegliche Verhandlungen mit der PKK bis zu deren völligen Entwaffnung ab (BBC 4.11.2016). Staatspräsident Erdogan verkündete, dass der Kampf gegen die PKK bis zum Jüngsten Tag fortgesetzt würde (HDN 9.6.2016).

Wehrdienst

Die türkische Armee (TSK) ist zu 50% eine Berufsarmee, ergänzt um 200.000 Wehrpflichtige. Jedes Jahr werden etwa 300.000 türkische Männer über 18 Jahren für zwölf Monate einberufen. Nach offiziellen Angaben haben 1,9 Millionen junge Männer wegen ihres Studiums den Wehrdienst aufgeschoben. Weitere drei Millionen haben aus verschiedenen anderen Gründen einen Aufschub beantragt. Rund 650.000 entziehen sich gesetzwidrig der Wehrpflicht (AM 4.7.2018).

Jeder männliche türkische Staatsangehörige unterliegt ab dem 20. Lebensjahr der Wehrpflicht. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 41. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden (AA 3.8.2018).

Das Parlament hat am 26.7.2018 ein Gesetz ratifiziert, das es den Bürgern ermöglicht, die Dauer ihres Militärdienstes durch die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verkürzen. Das Gesetz ermöglicht es den Bürgern, ihren Militärdienst in nur 21 Tagen statt in fünfeinhalb oder zwölf Monaten zu absolvieren, wenn sie Hochschulabsolventen sind und Geld via Bankkonten an die Regierung zahlen. Nach dem Gesetz sind Bürger, die am oder vor dem 1. Januar 1994 geboren wurden, verpflichtet 21 Tage Militärdienst zu leisten, wenn sie 15.000 TL (ca. 2.000 Euro) zahlen (DS 26.7.2018). Fast 450.000 Personen [Stand 2.9.2018] haben sich in der Türkei für den kaufbaren, verkürzten Militärdienst beworben. Die Antragstellung begann am 3.8. und endet am 3.11.2018 (Anadolu 2.9.2018). Mit der ebenfalls am 26. Juli 2018 erfolgten Gesetzesänderung gilt für den "Freikauf" von auf Dauer im Ausland lebenden türkischen Wehrpflichtigen nun folgendes: Die Gesamtsumme, die für den "Freikauf" festgelegt ist, beträgt 2.000 € (Connection e.V. 27.07.2018, vgl. DS 26.7.2018). Er ist bis zur Vollendung des 38. Lebensalters zu zahlen, kann aber auch noch später gezahlt werden. Es besteht die Verpflichtung, eine vom türkischen Verteidigungsministerium angebotene Fernausbildung abzuleisten. Wie dies genau aussehen soll, ist bislang unklar (Connection e.V. 27.07.2018).

Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle konnten unter der Bezeichnung "psychosexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Im Gesundheitsgesetz der türkischen Streitkräfte vom 12.11.2015 wird Homosexualität wie folgt beschrieben: "Sexuelle Verhaltensweisen und Einstellungen, die im militärischen Umfeld die Harmonie und Funktionalität beeinträchtigen könnten." Homosexualität führte daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch bis zum gescheiterten Putschversuch vom 15.7.2016 durch ärztliches Gutachten in Militärkrankenhäusern festgestellt werden musste. In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt (AA 3.8.2018). Medienberichten zufolge erlitten einige Wehrpflichtige schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten (USDOS 20.4.2018).

Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee

Laut der kurdischen Nachrichtenplattform "Ekurd Daily" werden kurdische Rekruten in den Konfliktzonen der Südost-Türkei eingesetzt, wo sie Gefahr laufen auf kurdische Deserteure zu stoßen, die sich der PKK angeschlossen haben. Überdies stehen kurdische Rekruten unter einem hohen Risiko, Opfer von Menschenrechtsverletzungen - dazu gehören Erniedrigungen, Schläge und Folter - zu werden, mitunter sogar getötet zu werden. 90% der Selbstmorde in den Streitkräften fielen auf ethnische Kurden. Todesfälle wurden vom Militär als vermeintliche Selbstmorde oder Unfälle dargestellt werden, wobei angemessene Untersuchungen der Vorfälle ausblieben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer wurden generell als mit der PKK sympathisierend betrachtet, weil sie willentlich den Wehrdienst verabsäumen (ED 1.3.2016).

In den 1990er Jahren wurden während der Kämpfe zwischen der Armee und der PKK kurdische Rekruten selten in die Kriegsgebiete des Südostens entsandt. Diese Politik hat sich durch die AKP schrittweise geändert, als diese aufgrund ihrer Kurdenpolitik auch für Kurden wählbar wurde, und es zudem zu Verhandlungen mit der PKK kam. Angesichts des erneuten Konflikts glauben allerdings viele in den kurdischen Gebieten, dass die Regierung absichtlich kurdisch-stämmige Soldaten in den Kampf gegen die PKK entsendet, um den Ruf der PKK als kurdische Widerstandsbewegung zu diskreditieren (Rudaw 4.2.2016).

Die türkischen Streitkräfte berufen ihre Wehrpflichtigen generell in andere Landesteile ein, damit diese die Türkei kennenlernen. Es kann also durchaus sein, dass ein kurdischstämmiger junger Mann aus Ankara nach Diyarbakir einberufen wird und vice versa. Bei den Anschlägen der PKK werden auch immer wieder kurdisch-stämmige Wehrpflichtige und Berufssoldaten getötet. Viele junge Männer im Südosten der Türkei verschwinden aber vor ihrer Einberufung in die Wälder zur PKK. Ein weiterer Grund für die Einberufung in andere Landesteile soll auch sein, dass die Bevölkerung im Osten oder Südosten des Landes grundsätzlich weniger gebildet ist und traditionell eine andere Lebenseinstellung hat. Die Erfahrungen im Westen sollen mit nach Hause genommen werden und - so hofft man jedenfalls - das künftige Leben zumindest ein wenig beeinflussen (VB 10.11.2016).

Aus Sicht der Österreichischen Botschaft besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder betreffend die kurdische- als auch die alevitische Minderheit. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2017).

Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion

Die Türkei ist das einzige Mitglied des Europarates, das das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht anerkennt (EC 17.4.2018). Wehrdienstverweigerung ist strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist bis dato noch nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach erfolgt normalerweise die "Befreiung". Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom EGMR beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen (aus religiösen Gründen) mit. Der Wehrdienstleistende wurde aufgrund seiner Flucht und seiner Dienstverweigerung vom Militärgericht angeklagt, wurde aber nicht wegen der Militärdienstverweigerung, sondern wegen seiner Flucht zu zehn Monaten Haft verurteilt.

Das Militärgericht hat in seinem Urteil, das erste Mal auf die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs Bezug genommen, das die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt. Im Fall Savda gegen die Türkei hatte der EGMR festgehalten, dass ein System, das keinen Ersatzdienst und kein entsprechendes Verfahren vorsieht, keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigerern treffe und hatte eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) bejaht (ÖB 10.2017).

Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (AA 3.8.2018).

Denjenigen, die nicht zum Wehrdienst erscheinen oder verspätet erscheinen, drohen je nach Dauer des Fernbleibens unterschiedliche Gefängnisstrafen. Die Bestrafung folgt zusammen mit Geldstrafen, deren Umfang sich gestaffelt an den Jahren des Fernbleibens orientiert (VB 15.2.2017).

Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion.

Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen soll und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (für Krieg) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).

Opposition

Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Die links-kurdische Partei HDP steht im Zuge von Anklagen gegen 57 ihrer 59 Abgeordneten nach Aufhebung ihrer Immunitäten im Juni 2016 (auch Abgeordnete anderer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung betroffen) politisch unter Druck. Zahlreiche HDP-Abgeordnete der vorangegangenen Legislaturperiode befinden sich in Untersuchungshaft, darunter der ehemalige Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtas. Das Parlament hat neun Abgeordneten der HDP nach rechtskräftiger Verurteilung ihr Mandat entzogen. Den HDP-Abgeordneten wird zu großen Teilen Terrorismus-Unterstützung (PKK) vorgeworfen. Damit drohen ihnen im Falle von Verurteilungen lange Haftstrafen sowie ein fünfjähriges Politikverbot und damit der Verlust ihrer Mandate (AA 3.8.2018; vgl. EC 17.4.2018). Neun HDP-Parlamentarier befanden sich Ende 2017 im Gefängnis. 278 Verfahren wurden gegen 41 HDP-Abgeordnete eingeleitet (SCF 1.2018). Selahattin Demirtas wurde Anfang September 2018 wegen seiner Äußerungen während der kurdischen Neujahrsfeiern im März 2013 zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Gericht befand ihn der Terrorpropaganda schuldig. Im Hauptverfahren drohen ihm bis zu 142 Jahre Haft. Zusammen mit ihm wurde der frühere HDP-Abgeordnete Sirri Sürreya Önder zu drei Jahren und sechs Monaten verurteilt (DW 7.9.2018).

Nebst der Verhaftung von hochrangigen Politikern, wurden auch mindestens 5.000 Mitglieder der HDP - darunter 80 Bürgermeister - inhaftiert (TM 1.5.2018). Zwischen November 2014 und November 2017 wurden 93 Bürgermeister und Vizebürgermeister ihrer Ämter enthoben und verhaftet, von denen 22 nach einem Verfahren wieder freigelassen wurden und 71 noch im Gefängnis sind. Elf lokale Verwalter wurden wegen terroristischer Anschuldigungen zu insgesamt 89 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt (EC 17.4.2018). Das harte Vorgehen der letzten Jahre hat die HDP gelähmt, zumal sich die restriktiven Maßnahmen auf lokale HDP-Niederlassungen, kommunale Behörden, die von ihrer Schwester-Partei, der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), bestellt werden, und Medien sowie NGOs, die mit ihnen sympathisieren, ausgeweitet haben (ICG 13.6.2018). Die Regierung versucht, den Einfluss der HDP bzw. ihrer regionalen Schwesterpartei DBP zu verringern. Die DBP stellt 97 Bürgermeister im Südosten der Türkei und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird zahlreichen DBP-Mitgliedern die Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete sind insgesamt 51 gewählte Kommunalverwaltungen, überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhänder ersetzt worden (AA 3.8.2018). Während des Wahlkampfes 2018 haben die türkischen Behörden einige der Wahlhelfer der HDP verhaftet oder einer Sicherheitskontrolle unterzogen. Darüber hinaus hat die Partei physische Angriffe von Unbekannten während einiger ihrer Kampagnen erlitten (ICG 13.6.2018).

Der permanente Druck auf die HDP beschränkt sich nicht auf Strafverfolgung und Inhaftierung. Die Partei, ihre Funktionäre und Mitglieder sind einer systematischen Kampagne der Verleumdung und des Hasses ausgesetzt. Sie werden als Terroristen, Verräter und Spielfiguren ausländischer Regierungen dargestellt (SCF 1.2018).

Das Europäische Parlament verurteilt im Februar 2018 den Beschluss des türkischen Parlaments aufs Schärfste, die Immunität zahlreicher Abgeordneter auf verfassungswidrige Weise aufzuheben (HDN 9.2.2018). Der Parlamentsabgeordnete und Vize-Parteichef der sekularen, kemalistischen CHP, Enis Berberoglu, erhielt im Juni 2017 vor einem Gericht in Istanbul wegen angeblicher Spionage eine Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Er soll der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zugearbeitet haben (SO 14.6.2017). Das Berufungsgericht ordnete zwar im Oktober 2017 einen neuen Prozess an, lehnte jedoch die Freilassung Berberoglus ab (DS 10.10.2017). Am 20.9.2018 bestätigte das Kassationsgericht in seinem Urteil die im Februar 2018 auf fünf Jahre und zehn Monate reduzierte Haftstrafe, verfügte jedoch gleichzeitig seine Freilassung bis zum Ende der parlamentarischen Legislaturperiode, denn Berberoglu konnte bei den Parlamentswahlen im Juni 2018 sein Abgeordnetenmandat wiedererlangen (HDN 20.9.2018). Im Juni 2018 ist Eren Erdem, ein früherer CHP-Abgeordneter, auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in Istanbul wegen "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" festgenommen worden. Erdem drohen bis zu 22 Jahre Haft (ZO 29.6.2018, vgl. BBC 29.6.2018). Im Juli hat Staatspräsident Erdogan eine Strafanzeige gegen den Vorsitzenden der CHP, Kemal Kiliçdaroglu, und 72 weitere CHP-Parlamentarier wegen Beleidigung durch die Verbreitung eines Cartoons auf Twitter eingereicht (HDN 18.7.2018).

Während des polarisierenden Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 bezeichnete der amtierende Staatspräsident Erdogan immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei, alles Oppositionspartein (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Aleviten

Die Türkei hat weltweit den größten Anteil an Aleviten. Man geht von 15 bis 25 Millionen Aleviten aus. Vor allem die Provinzen Tunceli, Elazig, Bingöl, Sivas, Erzincan, Malatya, Kaysereri, Adana und Tokat sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die alevitische Religion weist viele unterschiedliche Einflüsse aus anderen Religionen - auch aus vorislamischer Zeit - auf. Außerdem ist das Alevitentum in seinen Vorstellungen recht heterogen. Ob Aleviten zum Islam gehören oder nicht, ist sowohl innerhalb der Aleviten als auch außerhalb der Glaubensgemeinschaft ein Streitthema (ÖIF Monographien 2013; vgl. MRG 6.2018). Politisch stehen die kurdischen Aleviten vor dem Dilemma, ob sie ihrer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft gegenüber loyal sein sollten. Einige kümmern sich mehr um die religiöse Solidarität mit den türkischen Aleviten als um die ethnische Solidarität mit den Kurden, zumal viele sunnitische Kurden sie missbilligen. Dies könnte zu neuen ethno-religiösen Konflikten führen (MRGI 6.2018). Die offizielle Türkei erkennt das Alevitentum als kulturelles Phänomen, nicht aber als religiöses Bekenntnis, an (ÖB 10.2017). Ein wichtiger Meilenstein für die alevitische Gemeinschaft war im Dezember 2015 die Ankündigung einer Reihe von erweiterten Rechten für Aleviten, einschließlich der rechtlichen Anerkennung von Cemevis, ihren Gotteshäusern - einem seit langem bestehenden Bereich der Diskriminierung (MRGI 6.2018).

Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin Probleme. Immer wieder werden alevitische Häuser mit abfälligen oder türkisch-nationalistischen Parolen beschmiert. Im November 2017 brachten die alevitischen Gemeindeleiter ihre Besorgnis zum Ausdruck, als 13 Häuser in der östlichen Provinz Malatya mit roten Kreuzen beschmiert wurden. Und im selben Monat griff ein Mob ein Cem-Haus in Istanbul an und versuchte es in Brand zu setzen (MRGI 6.2018).

Die Aleviten bleiben im Land politisch marginalisiert, mit einer begrenzten Vertretung in offiziellen Machtpositionen. Nach dem Putschversuch im Jahr 2016 und den anschließenden Aktionen der Regierung gegen ihre vermeintlichen Gegner wurden zahlreiche Journalisten inhaftiert und die Medien geschlossen, darunter die meisten, die über die alevitische Kultur berichteten (MRGI 6.2018). Außerdem wurden nach dem Putschversuch tausende Aleviten festgenommen oder verloren ihre Arbeit. Sie wurden von Staatspräsident Erdogan und der regierenden AK-Partei pauschal verdächtigt, mit dem Militär und mit den Putschisten sympathisiert zu haben. Die massive Verfolgung der Aleviten ist bis heute vor allem in der Provinz Dersim (türkisch: Tunceli), im alevitischen Kernland spürbar (Telepolis 10.8.2016; vgl. GI 18.1.2018). Auch alevitische Journalisten sind betroffen. TV10, der Fernsehsender "die Stimme der Aleviten", wurde im September 2016 geschlossen, angeblich wegen Bedrohung der nationalen Sicherheit und Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation (GI 18.1.2018). Im Jänner 2018 wurden die Leiter des stillgelegten alevitischen Fernsehsenders TV10 wegen "Terrorismus" verhaftet (Ahval 19.1.2018). Ende Dezember 2016 wurde nach einer Entscheidung des türkischen Obersten Radio- und Fernsehrates (RTÜK) die Ausstrahlung des alevitischen Senders "Yol TV" wegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten und der Huldigung terroristischer Organisationen eingestellt (TM 29.12.2016).

Ende März 2018 ließen türkische Gerichte 16 Mitglieder des alevitischen "Pir Sultan Abdal" Kulturverbandes (PSAKD) verhaften. Die Mitglieder wurden beschuldigt, eine terroristische Organisation zu unterstützen (SCF 24.3.2018). Die türkische Regierung betrachtet den Alevismus weiterhin als heterodoxe muslimische Sekte. Obwohl die alevitischen Gruppen in der Lage waren, neue Cemevis zu bauen, lehnte die Regierung weiterhin ab, ihren Bau finanziell zu unterstützen. Repräsentanten der Aleviten berichteten, dass die Zahl der 2.500 bis 3.000 Cemevis im Land nicht ausreicht, um die Nachfrage zu befriedigen Die Regierung erklärte hingegen, dass die von der Diyanet finanzierten Moscheen den Aleviten und allen Muslimen unabhängig von ihrer Religionsschule zur Verfügung stünden (USDOS 29.5.2018).

Ethnische Minderheiten

Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei nicht-muslimischen, nämlich der Armenisch-Orthodoxen Christen, der Juden und der Griechisch-Orthodoxen Christen. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Assyrer, Dschafari [zumeist schiitische Azeris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 20.4.2018).

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 6 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner) (AA 3.8.2018). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (wengier als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und 3.000 im Südosten (MRGI 6.2018). Das Gesetz erlaubt den Bürgern private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihre Kampagnen zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. In der Praxis war dieses Recht jedoch nicht geschützt (USDOS 20.4.2018).

Was die kulturellen Rechte betrifft, so ist die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch im öffentlichen Dienst nicht gestattet (EC 17.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Zum Beispiel hat der von der Regierung ernannte Treuhänder [nach Ablöse des gewählten Bürgermeisters] des Edremit-Distrikts in der Provinz Van die Verwendung des Armenischen und Kurdischen abgeschafft. Die Behörden haben auch die Entfernung arabischer Aufschriften in bestimmten Gebieten angeordnet. Im April 2017 ordnete die Stadtverwaltung in Adana die Entfernung arabischsprachiger Schilder von Geschäftslokalen an, um "die türkische Sprache zu schützen". Obwohl Kurdisch offiziell in der privaten Bildung und im öffentlichen Diskurs erlaubt ist, hat die Regierung die Erlaubnis zum kurdischen Sprachunterricht nicht auf die öffentliche Bildung ausgeweitet (USDOS 20.4.2018).

Die gesetzlichen Einschränkungen für den muttersprachlichen Unterricht in der Primar- und Sekundarstufe blieben bestehen. Optionale Kurse in Kurdisch wurden in öffentlichen staatlichen Schulen und Universitäten in Kurdisch, Arabisch, Syrisch und Zazaki weiterhin angeboten. Einige Universitätsdozenten der kurdischen Sprache und Literatur wurden im Januar 2017 durch eine Notverordnung entlassen, was den Mangel an qualifizierten Dozenten auf Kurdisch noch verstärkte. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden zahlreiche Theater, Bibliotheken, Kultur- und Kunstzentren aufgrund dieses Dekrets geschlossen (EC 17.4.2018). Andere nationale oder ethnische Minderheiten, darunter Assyrer, Caferis, Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen, durften ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (ARC 21.11.2017).

Weiterhin werden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen (AA 3.8.2018).

Das gesamte Bildungssystem basiert auf dem Türkentum. Auf nicht-türkische Gruppen wird entweder kein Bezug genommen oder sie werden auf eine negative Weise dargestellt (MRGI 27.10.2015). Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff "Minderheit" (im Türkischen "azinlik") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als "Spalter" und "Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet.

Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe "Kurdistan", "kurdische Gebiete" und "Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018). Zwar werden Gespräche zwischen der Regierung und Vertretern von Minderheiten fortgesetzt. Trotzdem bleiben Hassreden und Drohungen gegen Minderheiten ein ernstes Problem. Eine zivilgesellschaftliche Umfrage zu Hassreden in den Medien ergab, dass Artikel/Nachrichten, die sich gegen nationale, ethnische und religiöse Gruppen richten, im Berichtszeitraum zugenommen haben. Antisemitische Rhetorik in den Medien und von Beamten besteht weiterhin (EC 17.4.2018).

Die türkische Regierung hat mehrere Male gegenüber dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung wiederholt, dass sie keine quantitativen oder qualitativen Daten in Bezug auf den ethnischen Hintergrund ihrer Bürger sammelt, speichert oder verwendet. Allerdings sammeln die Behörden in der Tat Daten zur ethnischen Herkunft der Bürger, zwar nicht für Rechtsverfahren oder zu Studienzwecken, aber zwecks Profilerstellung und Überwachung, insbesondere von Kurden und Roma (EC/DGJC 2016). Die nationale Strategie (2016-2021) und der Aktionsplan (2016-2018) für Roma-Bürger werden umgesetzt, aber der zuständige Ausschuss zur Überwachung und Bewertung der Strategie trat nur einmal zusammen. Es bedarf insbesondere der Zuteilung budgetärer Mittel zur Unterstützung des Aktionsplanes. Laut einer umfassenden Umfrage steigt das Bildungsniveau unter jungen Roma. Davon abgesehen, ist das allgemeine Bildungsniveau unter den Roma niedrig. Extreme Armut und ein Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs sind in den Haushalten der Roma nach wie vor weit verbreitet. Die Gesamtbeschäftigungsquote ist mit 31% niedrig. Die Roma leben im Allgemeinen in sehr schlechten Wohnverhältnissen, oft ohne Grundversorgung und mit Segregation konfrontiert. Das Stadterneuerungsprojekt führte häufig dazu, dass Roma-Siedlungen abgerissen und Familien vertrieben wurden. Der Zugang zu öffentlichen Diensten ist für Roma, die keinen ständigen Wohnsitz haben, eine große Herausforderung (EC 17.4.2018).

Kurden

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten (Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep) (ÖB 10.2017). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte (USDOS 20.4.2018). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 3.8.2018). Einige Universitäten bieten Kurdisch-Kurse an, und zwei Universitäten haben Abteilungen für die Kurdische Sprache (USDOS 20.4.2018). Die kurdischen Gemeinden waren überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt. Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien berichteten von zunehmenden Problemen bei der Ausübung der Versammlungsund Vereinigungsfreiheit (USDOS 20.4.2018). Hunderte von kurdischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 20.4.2018; vgl. EC 17.4.2018). Durch eine sehr weite Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus wurden die Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der Kurdenfrage auseinandersetzen, zunehmend eingeschränkt (EC 17.4.2018). Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender. Am 16.08.16 wurde z. B. die Tageszeitung "Özgür Gündem" per Gerichtsbeschluss geschlossen. Der Zeitung wird vorgeworfen, "Sprachrohr der PKK" zu sein (AA 3.8.2018; vgl. EFJ 30.10.2016). Im Jahr 2017 wurden kurdische Journalisten wegen Verbindungen zur bewaffneten kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wegen ihrer Berichterstattung verfolgt und inhaftiert. Dutzende von Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich an einer Solidaritätskampagne mit der inzwischen geschlossenen pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem beteiligten, wurden wegen terroristischer Propaganda verfolgt (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Jahr 2015 setzte sich fort und betraf im Jahr 2017 die städtischen Gebiete in geringerem Maße. Stattdessen waren ländliche Gebiete zusehends betroffen. Es gab keine Entwicklungen in Richtung der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses, der für eine friedliche und nachhaltige Lösung notwendig ist. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Im Osten und Südosten gab es zahlreiche neue Festnahmen und Verhaftungen von gewählten Vertretern und Gemeindevertretern auf der Basis von Vorwürfen, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. An deren Stelle wurden Regierungstreuhänder ernannt (EC 17.4.2018; vgl. AM 12.3.2018, USDOS 20.4.2018).

Mehr als 90 Bürgermeister wurden durch von der Regierung ernannte Treuhänder ersetzt. 70 von ihnen befinden sich in Haft. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Funktionäre und Mitglieder der pro-kurdischen HDP verhaftet (AM 12.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die pro-kurdische HDP schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP schikaniert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen, Erdogan den HDPKandidaten Demirtas bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018).

Bereits im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 bezeichnete auch der damalige Regierungschef Yildirim die HDP als Terrorunterstützerin (HDN 7.2.2017). Am 8.9.2016 suspendierte das Bildungsministerium mittels Dekret 11.285 kurdische Lehrer unter dem Vorwurf Unterstützer der PKK zu sein. Alle waren Mitglieder der linksorientierten Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige, Egitim Sen (AM 12.9.2016). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 3.8.2018).

Medizinische Versorgung

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, aufgrund der staatlichen sanitären Zustände in den Spitälern und der Hygienestandards, die nicht dem westlichen Standard entsprechen. Dies gilt v.a. in staatlichen Spitälern in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2017). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2016 1.510 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 217.771 Betten, davon ca. 58% in staatlicher Hand (AA 3.8.2018). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist, und dies von der Welt Bank als eine der größten Erfolgsgeschichten bezeichnet wird. Allerdings warnt die Welt Bank vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen (aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient) (ÖB 10.2017).

Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 3.8.2018).

Auch durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil- Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Saglik Ocagi) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 3.8.2018).

Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es nach wie vor üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden (AA 3.8.2018). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2017).

Um vom türkischen Gesundheits -und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Sobald man bei der SGK versichert ist, erhält man folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts -und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig (zwischen 65,88 TRY und 395,28 TRY) (IOM 2017). Die SGK refundiert auch die Kosten in privaten Hospitälern, sofern mit diesen ein Vertrag besteht. Die Kosten in privaten Krankenhäusern unterliegen, je nach Qualitätsstandards, gewissen, von der SGK vorgegebenen Grenzen. Die Kosten dürfen maximal 90% über denen von der SGK verrechneten liegen. Notfalldienste, Intensivmedizin, Verbrennungen, Krebstherapie, Neugeborenenversorgung, alle Transplantationen, Operationen bei angeborenen Anomalien, Hämodialyse und kardiovaskuläre Chirurgie sind von diesen zusätzlichen Zahlungen im privaten Sektor ausgenommen. Für die stationäre Versorgung kann das Privatkrankenhaus dem Patienten einen Zuschlag für Unterbringungsleistungen in Rechnung stellen (IBZ 10.7.2015).

Die meisten Rückkehrer, die über keine Krankenversicherung verfügen und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und bereits mindestens ein Jahr in der Türkei leben, müssen monatlich in den Fond einzahlen. Dazu müssen sie im System registriert sein und mindestens 180 Tage Beitragszahlungen leisten. Rückkehrer werden bei der SGKRegistrierung nicht gesondert behandelt. Kinder gelten automatisch als versichert, sobald die Eltern bei der SGK registriert sind (IOM 2017).

Der Mindestbetrag für die Grundversorgung - sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht - beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 15 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2017).

Die Einrichtungen sind auf Personen mit besonderen Bedürfnissen abgestimmt (Familien, Kinder, Senioren und erkrankte Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen) sowie auf ökonomisch benachteiligte Menschen. Der Patient kann sich direkt an eine Apotheke (ECZANE) wenden, ohne vorher einen Anmeldevorgang durchlaufen zu müssen. Apotheken sind überall verfügbar. Für einige Medikamente benötigt man ein grünes bzw. ein rotes Rezept. Andere Medikamente können ohne Rezept gekauft werden (IOM 2017).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2016 zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern(AA 3.8.2018). Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), Antalya, Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2) (AA 3.8.2018).

Behandlung nach Rückkehr

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen (AA 3.8.2018). Personen die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida) (ÖB 10.2017). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als von der als terroristisch eingestuften PKK geschaffene Organisationen, welche mit der PKK hinsichtlich der Führungskader, der Organisationsstrukturen sowie der Strategie und Taktik verbunden sind (MFA o.D.).

Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung sind, als Terroristen gesehen. Auf die sog. Mitglieder der "FETÖ" (Fetullah-Gülenistische Terrororganisation), die im Ausland leben, werden von der Türkei Einreiseverbote verhängt. Hierbei handelt es sich meistens um nicht-türkische Staatsbürger mit türkischem Ursprung (ÖB 10.2017). Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. "Gülen-Netzwerkes" gebeten. Es ist wahrscheinlich, dass türkische Stellen Regierungsgegner und Gülen-Anhänger im Ausland ausspähen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 3.8.2018).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, indem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 3.8.2018).

Rückkehrprobleme im Falle einer Asylantragstellung im Ausland sind keine bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraph 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2017).

Türkischen Staatsangehörigen im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden ihre Pässe für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt , mit dem sie in die Türkei zurückkehren, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, aber auch Kurden und Journalisten (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

- Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çigdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@linkturkey.

com

- Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://brueckeistanbul

com/

- TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, EMail.

almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2017).

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang und das Datum der Asylantragstellungen steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage sowie den Beschwerdeschriftsätzen und der Stellungnahme der Beschwerdeführer fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer gründen sich auf die von ihnen im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten, türkischen Identitätsdokumente. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer beruhen auf ihren eigenen nicht zu bezweifelnden (da kohärenten) Angaben im bisherigen Verfahren, auf ihren Sprach- und Ortskenntnissen und den vorgelegten Dokumenten. Die Feststellungen zu ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, ihren familiären und persönlichen Lebensumständen im Herkunftsstaat - mit Ausnahme ihres Herkunftsortes, sowie der Schulbildung des BF1 und des BF3 - sowie jenen in Österreich, konnten anhand der Angaben der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren und der Verwaltungsakten getroffen werden. Selbiges gilt für die noch bestehenden Vermögenswerte in der Türkei.

Zu ihrem Wohnort vor der Ausreise machten die Beschwerdeführer keine gleichlautenden Angaben. So gab der BF1 in der Erstbefragung an, vor der Ausreise in XXXX gelebt zu haben (AS 7 im Verfahrensakt des BF1). Auch der BF3 gab noch in der Erstbefragung an, aus XXXX zu stammen (AS 5 im Verfahrensakt des BF3). In der Einvernahme durch das BFA gab der BF1 - anders als in der Erstbefragung - an, vor der Ausreise in XXXX gelebt zu haben. Sie hätten dort nach wie vor eine Wohnung (AS 78 im Verfahrensakt des BF1). Dass insoweit ein Missverständnis in der Verwendung der Begriffe "Provinz XXXX " und "Stadt XXXX " gegeben sein könnte, ist auszuschließen, verwendete der BF1 doch in der Einvernahme beim BFA am 29.11.2018 diese beiden Begriffe unmittelbar hintereinander (vgl. AS 78 zu BF1, Seitenmitte und letzte Zeile), d.h. die Begriffe sind ihm bekannt und er verwendete sie auch entsprechend.

Die BF2 gab hinsichtlich ihres Wohnortes vor der Ausreise an, dass sie seit sechs Jahren vor der Ausreise in XXXX gelebt hätten ("Danach siedelten wir in die Stadt namens XXXX " - AS 54 im Verfahrensakt der BF2). Damit übereinstimmend gab auch der BF3 vor der belangten Behörde an, zuletzt in der Stadt XXXX gelebt zu haben und dort die Schule besucht zu haben ("Ich habe bis zur 4. Volksschulklasse am Bauernhof gelebt. Dann sind wir in die Stadt XXXX gezogen" - AS 39 im Verfahrensakt des BF3). Diese Angaben änderten die Beschwerdeführer in der Folge in der mündlichen Verhandlung dahingehend ab, dass sie zuletzt nicht in XXXX , sondern in XXXX gelebt und dort ihr Restaurant betrieben hätten. Dies war jedoch nicht glaubhaft; es ist nicht nachvollziehbar, dass die BF2 - befragt nach der genauen Adresse ihres Restaurants in XXXX - keine genaue Adressangabe machen hat können (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls) und daher eine Absprache zwischen den BF betreffend die Angaben der nunmehrigen Herkunft aus XXXX , anzunehmen. In dieses Bild passt auch die Feststellung des Einvernahmeleiters der Einvernahme vom 29.11.2018, bei dem sich die BF2 bei der Frage nach den Adressangaben eines vorbereiteten Zettels bediente (AS 54 zu BF2).

Auch der BF1 gab in der mündlichen Verhandlung erstmals an, nicht aus XXXX zu kommen, sondern aus XXXX . Ebenso wie die BF2 konnte er jedoch keine genauen Angaben zu seinem Wohnsitz machen (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls), was die getroffenen Feststellungen insoweit bestätigt. Über Befragen gab die BF2 zusätzlich an, dass ihr Sohn (BF3) die Schule in XXXX besucht habe, was jedoch im Widerspruch dazu stand, dass dieser in der mündlichen Verhandlung aufgefordert wurde, auf einem Ausdruck einer Karte (Google-Maps-Ausdruck, auf dem die Städte XXXX und XXXX ersichtlich sind) jenen Ort zu markieren, in dem er die Schule besucht habe und dieser daraufhin die Stadt XXXX kennzeichnete und angab, auch dort gelebt zu haben (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls). Völlig konträr sind die darauffolgenden Angaben des BF3, in denen er entgegen dieser Angaben plötzlich davon sprach, in XXXX gelebt zu haben und dort die Schule besucht zu haben. In der Folge brachte er die Orte jedoch neuerlich durcheinander und sprach wieder von XXXX - dort sei die Bevölkerung zu ca. 70 Prozent türkisch - ehe er dies sogleich wieder zurücknahm und angab, er habe eigentlich XXXX gemeint (Verhandlungsschrift Seite 25). Diese Widersprüchlichkeiten setzten sich in der gesamten Befragung des BF3 fort und schließlich beharrte dieser über konkrete Nachfrage darauf, niemals in XXXX , sondern in XXXX gelebt zu haben, die dagegenstehenden Angaben seien auf seine Nervosität zurückzuführen (Seiten 25 und 26 des Verhandlungsprotokolls). Nach Hinweis auf diese Widersprüche in der mündlichen Verhandlung beharrten die BF1 - BF3 darauf, aus XXXX zu stammen. Die bisherigen Widersprüche und unterschiedlichen Angaben konnten sie aber nicht überzeugend aufklären, zumal sie bloß ausführten, XXXX sei Kreis der Hauptstadt XXXX und sie würden immer beide Städte auf einmal angeben. Letztlich war angesichts dieser Umstände aus Sicht des erkennenden Gerichtes zum Schluss zu gelangen, dass deren Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach sie zuletzt in XXXX gelebt hätten, unglaubhaft sind und sie ihr Vorbringen in dieser Hinsicht bloß deshalb abänderten, um ihr Fluchtvorbringen plausibler darstellen zu können, zumal es sich bei XXXX um eine Großstadt handelt, bei der eine persönliche Verfolgung aufgrund einer allfälligen oppositionellen Gesinnung (und auch nachwirkende Probleme aus dem Dorf) unwahrscheinlicher erscheinen, als bei einer Abstammung aus der deutlichen kleineren Stadt XXXX (die noch dazu eine wesentlich größere räumliche Nähe zum Dorf aufweist). Dieses konstruierte Vorbringen ließ auch an der persönlichen Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer zweifeln. Letztlich war davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer vor der Ausreise in der Stadt XXXX lebten, dort ihr Restaurant betrieben und dort nach wie vor über eine Eigentumswohnung verfügen.

Auch zu seiner Schulbildung in der Türkei konnte der BF1 keine gleichlautenden Angaben machen. So gab er in der Erstbefragung an, von 1980 bis 1987 die Grundschule besucht zu haben (AS 3 im Verfahrensakt des BF1). Vor der belangten Behörde gab er bloß an, die Grundschule besucht und die Mittelschule abgebrochen zu haben (AS 77 im Verfahrensakt des BF1). Davon abweichend gab er in der mündlichen Verhandlung an, die Schule bloß fünf Jahre besucht zu haben. Eine überzeugende Erklärung für diese Abweichung konnte er jedoch nicht liefern, sondern vermeinte er dazu bloß, dass er dies in der Erstbefragung wohl nicht so genau angeführt habe (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Dass er nicht einmal in derart grundlegenden Fragen gleichlautende Angaben machen konnte, unterstreicht sein bereits nach den obigen Ausführungen zum Wohnort inkonsitentes Aussageverhalten. Gänzlich widerstreitende Angaben zu seinem Schulbesuch machte der BF3. Dieser führte noch in der Erstbefragung aus, von 2008 bis 2012 die Grund- und von 2012 bis 2014 die Hauptschule in XXXX besucht zu haben (AS 3 im Verfahrensakt des BF3). Vor dem BFA gab er hingegen an, bis zur vierten Klasse die Volksschule im ehemaligen Heimatdorf besucht zu haben und in der Folge die Mittelschule in XXXX besucht zu haben. Danach sei er für zwei Jahre in eine Berufsschule für Wirtschaft gegangen (AS 39 im Verfahrensakt des BF3). Waren schon diese Angaben nicht miteinander in Einklang zu bringen, so führte er davon erneut gänzlich abweichend in der mündlichen Verhandlung aus, dass er die ersten vier Jahre nur sporadisch in die Schule gegangen sei und in der Folge die Hauptschule in XXXX besucht habe, wo er jedoch keine ordentliche Ausbildung genießen habe können. Er führte sodann aus, bis zur zweiten Klasse Gymnasium in die Schule gegangen zu sein. Insgesamt sei er elf Jahre in die Schule gegangen, sieben davon in XXXX (Seiten 25 und 26 des Verhandlungsprotokolls). Nach Hinweis auf die Widersprüche zu den Angaben in der Erstbefragung gab er bloß an, dass er die in der Erstbefragung gemachten Angaben nie vorgebracht habe. Der Glaubhaftigkeit dieser Ausführungen steht jedoch entgegen, dass er (und auch der gesetzliche Vertreter) mit seiner Unterschrift am Erstbefragungsprotokoll die Richtigkeit der damaligen Angaben bestätigte (AS 11 im Verfahrensakt des BF3). Es war daher von einer bloßen Schutzbehauptung auszugehen. Konfrontiert mit dem Vorbringen vor der belangten Behörde, wo er unter anderem angab, eine Berufsschule besucht zu haben, gab er in der mündlichen Verhandlung an, tatsächlich die Berufsschule für Wirtschaft besucht zu haben, womit er sich neuerdings widersprach, zumal er kurz zuvor angab, ein Gymnasium besucht zu haben. Angesichts dieser diametralen Widersprüche zeigte sich für das erkennende Gericht, dass die persönliche Glaubwürdigkeit des BF3 erheblich beeinträchtigt ist und dies auch hinsichtlich der folgenden Angaben zu dessen Fluchtgrund ins Kalkül zu ziehen ist. Aufgrund dieser Widersprüche konnte die Schulzeit des BF1 und des BF3 nur im obigen Ausmaß festgestellt werden.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF1, BF3 und BF4 ergeben sich aus deren Angaben im Verfahren. Die Feststellung, wonach die BF2 an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, konnte mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und deren eigenen Angaben im Verfahren getroffen werden. Die BF2 brachte Befunde der XXXX vom Februar 2017 und vom November 2017 in Vorlage, denen gemäß die BF2 an einer Panikstörung (F41.0) und an posttraumatischer Belastungsstörung (F43.1) leidet. Die BF2 befindet sich seit 05.12.2017 im XXXX in psychotherapeutischer Behandlung und legte Bestätigungen über Inanspruchnahme von Behandlungsterminen am 05.12.2017 und am 16.04.2018 vor. Weitere Behandlungstermine sind den vorliegenden Verwaltungsakten nicht zu entnehmen. In der mündlichen Verhandlung gab sie an, an Depressionen zu leiden und derzeit Schlaftabletten und Antidepressiva einzunehmen. Ihren Angaben folgend litt sie schon vor der Ausreise in der Türkei unter Depressionen (Seite 5 des Verhandlungsprotokolls). Es ist daher davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr erneut auch in der Türkei eine adäquate Behandlung in Anspruch nehmen wird können. In einer Gesamtschau ist folglich davon auszugehen, dass die BF2 an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leidet und eine medizinische Grundversorgung in der Türkei als gewährleistet anzusehen ist.

Die Feststellung unzureichender Deutschkenntnisse der Beschwerdeführer konnte anhand des in der mündlichen Verhandlung gewonnen Eindrucks, bei der die Beschwerdeführer auch einfache Fragen nicht auf Deutsch beantworten konnten, getroffen werden. Einzig der BF1 konnte grundlegende Sprachkenntnisse vorweisen. Im Übrigen fußten die Feststellungen über die besuchten Deutschkurse und absolvierten Deutschprüfungen auf den von den Beschwerdeführern vorgelegten Unterlagen.

Die Reisebewegungen konnten im obigen Ausmaß aufgrund der übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer festgestellt werden.

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung beziehen, ergeben sich aus GVS-Auszügen vom 28.01.2019.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergaben sich aus den eingeholten Strafregisterauszügen vom 28.01.2019, die Beschwerdeführer betreffend. Die Feststellungen, wonach gegen den BF1 wegen des Verdachts auf Diebstahl ermittelt wurde und das Verfahrens letztlich diversionell eingestellt worden ist, konnten anhand des Akteninhalts (Abschlussbericht des XXXX , Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX ), sowie den Angaben des BF1 in der mündlichen Verhandlung getroffen werden.

II.2.3. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen - sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges - handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.

Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten - von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen - diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten - immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse - der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen - allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden - aufzuzeigen.

Die getroffenen Feststellungen zur Türkei beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei mit letzter Gesamtaktualisierung vom 18.10.2018, welches sich seinerseits auf verschiedene anerkannte und teilweise vor Ort agierende staatliche und nichtstaatliche Quellen stützt, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Türkei ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Soweit in den Beschwerden Zeitungsartikel und Berichte zitiert bzw. angeführt wurden, so ist dazu auszuführen, dass diesen kein über die vom BVwG herangezogenen länderkundlichen Informationen hinausgehender- für die gegenständliche Beurteilung relevanter - Sachverhalt entnehmen lässt. Soweit dort Berichte aus den Jahren 2009, 2011 und 2017 zitiert wurden, so erweisen sich diese Berichte gegenüber den vom BVwG herangezogenen - gleichzeitig mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten - Länderberichten als veraltet. Den vom BVwG herangezogenen Erkenntnisquellen traten die Beschwerdeführer weder in der mündlichen Verhandlung noch in der Stellungnahme vom 12.08.2019 substantiiert entgegen.

In der mündlichen Verhandlung bezog sich der Behördenvertreter auf neueste Länderberichte zum Thema Wehrdienst (vom 27.06.2019) und führte insoweit die Hauptpunkte aus. Diesen Ausführungen trat weder der BF3, noch der rechtsfreundliche Vertreter in der mündlichen Verhandlung substantiiert entgegen. Auch in der Stellungnahme vom 12.08.2019 (einlangend am 14.08.2019) finden sich dazu keine Ausführungen (obwohl nur für diesen Zweck eingeräumt), sondern lediglich solche zum Thema exilpolitische Tätigkeiten.

Auf Grundlage dieser Länderberichte kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage im Herkunftsort der Beschwerdeführer (hier konkret: in XXXX ) gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist.

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zu den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348).

II.2.4. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch-empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern.

II.2.4.1. Das BFA führte in der Beweiswürdigung des Bescheides des BF1 aus, dass der BF1 einerseits in Bezug auf sein Vorbringen, wonach er aufgrund seiner Religionszugehörigkeit in asylrelevanter Weise verfolgt worden sei, dass es sich hierbei um keine Verfolgung seitens türkischer Staatsorgane, sondern um persönliche Differenzen zwischen Privatpersonen gehandelt habe. Weiters wies das BFA zutreffend darauf hin, dass der BF1 wegen seines Vaters vorübergehend im Fokus der türkischen Behörden stand, dass sich diese Vorfälle aber bereits in den 1990er Jahren zutrugen und dafür nicht zur Glaubhaftmachung asylrelevanter Verfolgung taugen. Auch eine Verfolgung des BF1 aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit bzw. insbesondere einer angeblichen oppositionellen Gesinnung erachtete die belangte Behörde für nicht glaubhaft. In diesem Zusammenhang wurde auch zutreffend darauf hingewiesen, dass sein Vorbringen in der Erstbefragung völlig anders lautete als jenes vor der belangten Behörde. Nun ist zwar grundsätzlich eine Gegenüberstellung der Erstbefragung mit der Einvernahme im Hinblick auf ein gesteigertes Vorbringen nicht zielführend, zumal die Erstbefragung lediglich einer ersten Orientierung dienen soll und sich gem. § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Im gegenständlichen Fall stellt das Vorbringen in der Einvernahme jedoch ein Kernvorbringen bezüglich der Flucht der BF aus dem Türkei dar. Warum der BF nicht einmal ansatzweise diesen Vorfall - Vorwurf der Unterstützung der XXXX - erwähnte, sondern sich das Vorbringen (in der EB) nur rund um die HDP drehte, ist in hohem Maße unverständlich. Weder in der Einvernahme beim BFA noch in der mündlichen Verhandlung wiederholte der BF1 das Vorbringen, die türkische Polizei habe ihm angedroht, ihn zu töten, wenn er keine Informationen zur HDP liefern könne.

Im Bescheid der BF2 führte das BFA aus, dass diese ihre Fluchtgründe auf jene ihres Ehemannes stütze und selbst keine Verfolgung in der Türkei behauptete. Im Bescheid des BF3 verwies das BFA ebenfalls auf die Ausführungen im Bescheid des BF1. Daneben erachtete die belangte Behörde seine Befürchtungen hinsichtlich des türkischen Wehrdienstes zutreffend für nicht asylrelevant (s. dazu unter rechtliche Beurteilung). Der BF4 brachte keine eigenen Fluchtgründe vor und verwies die belangte Behörde daher wiederum auf den Bescheid des BF1.

II.2.4.2. Die am 31.07.2019 durchgeführte öffentliche mündliche Verhandlung bestätigte im Ergebnis die vom BFA vorgenommene Wertung und ließ das BVwG aufgrund nachangeführter Darstellung - die Beweiswürdigung des BFA mitberücksichtigend - zu den angeführten Feststellungen gelangen.

Der BF1 brachte vor dem BFA im Rahmen der freien Schilderung seines Fluchtgrundes im Wesentlichen vor, dass die Lage für Kurden und Aleviten in der Türkei, seit Erdogan an der Macht sei, sehr schwierig sei. Seine Heimatregion sei schon immer eine Notstandsregion gewesen und seit dem Putschversuch am 15.07.2016 sei die Lage noch schlimmer. Erdogan habe durch diesen Putschversuch noch mehr Macht bekommen, was den BF1 gestört habe. Er habe das Gefühl gehabt, dass es erneut zu Ausschreitungen gegen Kurden oder Aleviten kommen werde und habe er letztlich wegen Erdogan das Land verlassen. Damit stützte der BF1 sein Fluchtvorbringen lediglich auf die allgemeine Lage in der Türkei und konnte jedenfalls keine ihn individuell betreffende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen. Dies umso mehr, als den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen keine entsprechenden Umstände zu entnehmen sind, sondern daraus vielmehr hervorgeht, dass der nach dem Putschversuch ausgerufene Notstand bereits am 18.07.2018 aufgehoben wurde und die Herkunftsregion des BF1 - XXXX - zu keinem Zeitpunkt eine, wie von ihm behauptet, Notstandsregion war. Als weiteren Vorfall gab er an, dass Freunde von ihm von Österreich in die Türkei gereist und dort eingesperrt worden seien, wobei dies in Ermangelung jeglicher Konkretisierungen, wie etwa deren Namen, den Gründen für deren angebliche Festnahme, dem Zeitpunkt oder ähnlichen Details völlig unglaubhaft ist. Diese vage Schilderungsweise erstreckte sich auch auf sein weiteres Vorbringen, wonach er immer Druck vom Geheimdienst gehabt habe, von diesem beobachtet worden sei und von der Polizei mehrmals grundlos einvernommen worden sei. Nicht nur, dass es nicht nachvollziehbar war, weshalb gerade der BF1 unter Beobachtung des türkischen Geheimdienstes stehen hätte sollen, so war dies keineswegs damit in Einklang zu bringen, dass er ausführte, die Beschwerdeführer hätten in der Türkei ein schönes Leben gehabt und die Ausreise sei keine leichte Entscheidung gewesen. Aufgrund dieses widersprüchlichen und unplausiblen Vorbringens ist bereits erheblich am Wahrheitsgehalt der Ausführungen des BF1 zu zweifeln.

Das Aussageverhalten des BF1 in der mündlichen Verhandlung verstärkt diesen Eindruck. So blieb er die Antwort darauf, ob es während seines Militärdienstes Probleme gegeben habe - auch auf Fragewiederholung - schuldig und antwortete bloß ausweichend (siehe Verhandlungsprotokoll Seite 16).

Auch über Befragen in der Einvernahme durch das BFA brachte er keine konkreten Verfolgungshandlungen seitens der türkischen Behörden vor, sondern vermeinte er bloß, dass er verfolgt werde, weil er Kurde sei und ihm die Unterstützung der XXXX vorgeworfen werde. In Ermangelung plausibler und vor allem konkreter auf ihn bezogener Angaben wurde der BF1 abermals über konkrete - ihn betreffende - Verfolgungshandlungen und der Gründe für solche befragt. Er brachte vor, dass seine Familie besonders von der Verfolgung der türkischen Behörden betroffen sei, weil oberhalb seines Restaurant ein Büro der HDP gewesen sei und ihm daher vorgeworfen wurde, die HDP finanziell zu unterstützten, wobei dieses Vorbringen abermals keine konkreten Vorfälle - die ihn betroffen hätten - enthielt. Befragt nach konkreten Bedrohungen seitens der türkischen Behörden stellte der BF1 diese schließlich wie folgt dar:

"LA: Wurden Sie konkret vonseiten der türkischen Behörden bedroht?

VP: Ja, Mehrmals. Das letzte Mal war das nach dem Militärputsch. Die türkische Polizei hat mich damals gefragt, warum ich die türkische Fahne nicht aufgezogen habe. Ich habe Ihnen dann meine Meinung gesagt. Warum soll ich es Aufhängen es ist ein Feiertag. Da haben Sie mich bedroht. Sie sagten, dass es für mich nicht gut sein wird. Das haben Sie mir Körpernah, Auge in Auge mehrmals gesagt."

Mit diesem Vorbringen gelang es dem BF1 jedenfalls nicht eine tatsächliche asylrelevante Verfolgung seitens der türkischen Polizei glaubhaft zu machen, zumal schon der drohende Charakter fehlt und auch diese Angaben sehr vage sind.

Angesichts dieser vagen und überwiegend allgemein gehaltenen Angaben konnte der BF1 vor dem BFA jedenfalls keinerlei konkrete gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgungshandlungen glaubhaft machen. Schon das Aussageverhalten des BF1 vor der belangten Behörde - nämlich, dass er keinerlei konkrete Angaben machte und selbst über mehrfaches Befragen außer Stande war, eine überzeugende und kohärente Fluchtgeschichte darzulegen - ließ stark am Tatsachengehalt seiner Angaben zweifeln.

Die BF2 gab vor dem BFA an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sondern dieselben wie ihr Ehemann. Sie gab lediglich einen Vorfall an, bei dem sie Probleme mit den Behörden gehabt habe:

"LA: Hatten Sie in Ihrer Heimat jemals Probleme mit den Behörden?

VP: Ja. Nachgefragt: Ich hatte im Restaurant Probleme.

LA: Erzählen sie mir von den Problemen im Restaurant?

VP: Mein Ehemann war im Außendienst und ich war immer im Geschäft. Es war Ramadan. Die Sunniten haben gefastet und die Aleviten nicht. Dann sind 2 türk. Polizisten gekommen und fragten mich warum ich das Restaurant geöffnet habe. Es ist Fastenzeit. Sie waren frech und respektlos und sehr unangenehm. Sie haben mich beschimpft. Dann habe ich meine Meinung gesagt, [...]. Der Polizist hat mich anschließend angegriffen und ich habe mich gewehrt. Er hat mich als Hure beschimpft. In der Türkei sind Frauen eher wertlos. Das hat mich gestört. Dann habe ich zu Ihnen gesagt, dass ich sie anzeigen werde, dabei antwortete der Polizist, dass ich machen kann was ich will, es kann uns nichts passieren. Deswegen habe ich keine Anzeige erstattet."

Einerseits war auch daraus nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt sich das geschilderte Ereignis zugetragen haben soll, andererseits ist auch im Falle des Zutreffens dieser Ausführungen nicht von asylrelevanter Verfolgung auszugehen, zumal die BF2 keine weiteren Schritte unternommen hat und nicht ersichtlich wäre, dass ihr der türkische Staat aus asylrelevanten Gründen Abhilfe verweigert hätte. Weitere konkrete Vorfälle nannte sie nicht, sondern vermeinte bloß ebenso vage wie der BF1, dass einige ihrer Freunde eingesperrt worden seien, weil sie mit der HDP sympathisieren. Auch ihr Ehemann werde eingesperrt, weil er die HDP unterstütze. Aufgrund der bloß allgemein gehaltenen vagen Angaben kommt diesem Vorbringen keinerlei Glaubhaftigkeit zu.

Auch der BF3 gab zunächst an, dieselben Fluchtgründe wie der BF1 zu haben, zudem habe er Angst vor dem Militärdienst, zumal er befürchte als Kurde in Terrorgebiete gesandt zu werden. Er konnte jedoch nicht plausibel aufklären, weshalb gerade er in den Osten der Türkei in Kriegsgebiete entsandt werden solle. Konfrontiert mit der Möglichkeit, sich aus dem Wehrdienst freizukaufen, gab er bloß an, dass seine Familie allgemein ein Problem in der Türkei habe.

II.2.4.3. Den Schilderungen der fluchtbegründenden Ereignisse der Beschwerdeführer fehlte daher schon bei der Einvernahme durch das BFA ein wesentlicher Aspekt. Sämtliche Angaben bezogen sich im Wesentlichen bloß auf die allgemeine Situation für kurdische Aleviten in der Türkei und keiner der Beschwerdeführer brachte konkrete ihn betreffende asylrelevante Verfolgungshandlungen seitens türkischer Staatsorgane vor. So fehlt es den Schilderungen sämtlicher Beschwerdeführer an einem wesentlichen Element für die Glaubhaftmachung ihrer Fluchtgeschichte, nämlich einer ausreichenden Konkretisierung des Vorbringens. Die Angaben aller Beschwerdeführer waren von vagen Ausführungen gekennzeichnet und selbst über detailliertes Befragen konnten die Beschwerdeführer keine kohärente Fluchtgeschichte präsentieren.

II.2.4.4. Durch die Angaben in der mündlichen Verhandlung ergeben sich aber zudem (z. T. weitere) gravierende Widersprüche und eklatante Steigerungen zu den Angaben in der Einvernahme beim BFA in essentiellen Bereichen ihres Vorbringens.

Vorweg ist auf die inkonsistenten Angaben der BF zur letzten Wohnadresse zu verweisen (vgl. oben).

Fakt ist dennoch, dass dem Vater des BF1 von den türkischen Behörden in den 1990-iger Jahren Unterstützung der XXXX vorgeworfen wurde und er diesbezüglich in der Türkei auch inhaftiert war. Dieser flüchtete nach Deutschland und wurde ihm dort internationaler Schutz gewährt. Im Verfahren in Deutschland wurden vom Vater des BF1 massive Folterungen während der Anhaltungen durch Organe des türkischen Staates vorgebracht (AS 131 zu BF1). Die Angaben des BF1, dass Organe des türkischen Staates in den 1990-iger Jahren nach dem Vater des BF1 suchten, es diesbezüglich Hausdurchsuchungen gab und der BF1 auch zur Dienststelle mitgenommen wurde, sind daher durchaus nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Behauptung, dass der BF1 an Straßensperren angehalten und dort von staatlichen Organen schikaniert wurde - beispielsweise, dass mitgeführte Speisen ausgeleert wurden. Nachvollziehbar ist das allenfalls für die Zeit, als die BF im Dorf (in den Bergen) - gemäß deren Angaben bis ca. 2009 - lebten, nicht jedoch ab diesem Zeitpunkt, zu dem die BF in die Stadt XXXX zogen. XXXX ist eine Stadt in der gleichnamigen Provinz mit etwa einer halben Million Einwohner und dadurch bedingt wesentlich größeren Anonymität. Laut Aussage der BF in der mündlichen Verhandlung liegt diese Stadt etwa 170 km vom Dorf, in welchem die BF zuvor gelebt hatten entfernt. Die Stadt XXXX , auf welche die BF in der mündlichen Verhandlung (als letzten Wohnsitz) "umstiegen" liegt dem Dorf wesentlich näher. Es liegt daher der Schluss nahe, dass die BF durch diese größere Nähe (der Stadt XXXX ) zum Dorf ihr Vorbringen glaubhafter wähnten, quasi Nachstellungen von Behördenorganen im neuen Wohnsitz (in XXXX statt in XXXX ) wahrscheinlicher erscheinen lassen wollten.

Auf die weitgehend übereinstimmenden Angaben des BF1 und der BF2 zu Hausdurchsuchungen und polizeilichen und militärischen Befragungen während deren Zeit im Dorf, in dem diese aufwuchsen, sowie die Umstände betreffend den Vater des BF1 war aber nicht weiter einzugehen, zumal sich diese Vorfälle jedenfalls vor deren Umzug nach XXXX ca. im Jahr 2009 ereigneten und damit schon mangels zeitlichem Konnex zu einer Heranziehung von Asylgewährung nicht geeignet erscheinen.

Auffallend ist, dass der Grad an Bestimmtheit der Aussagen der BF auf der fortschreitenden historischen Zeitachse abnimmt. So sind beispielsweise die Angaben des BF1 in der mündlichen Verhandlung zu den Geschehnissen der 1990-iger Jahre einigermaßen detailliert (siehe Verhandlungsschrift Seite 12), werden aber zunehmend mehr vage (beispielsweise die Antwort auf die Frage des BF1 nach dem Brand des HDP-Büros - Seite 19 Verhandlungsschrift), um bei der Befragung nach dem konkreten Reiseweg nach Österreich, beginnend in der Provinz (auch nach Fragewiederholung), in völlig ausweichende Antworten abzugleiten und damit die gestellte Frage nicht zu beantworten (Verhandlungsschrift Seite 15).

Der BF1 schilderte in der mündlichen Verhandlung, befragt zu seinen Fluchtgründen, zunächst - wie schon beim BFA - bloß allgemeine Zustände in der Türkei. Zudem gab er jedoch an, seine Religion nicht frei ausüben zu können, als Alevite wenig Chancen zu haben ein Leben dort zu führen, dass ihre Türen rot markiert worden seien und dass "sie" auf sie losgegangen seien, weil sie nicht gefastet und gebetet hätten (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls). Auch vor dem BFA gab er ähnliche Vorfälle an, allerdings ließ das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ebenso wie jenes vor dem BFA einen konkreten Zeithorizont der geschilderten Vorfälle, sowie allgemein jegliche Konkretisierung vermissen, weshalb das Vorbringen nicht geeignet ist, die Gefahr asylrelevanter Verfolgung glaubhaft zu machen. Die geschilderten Vorkommnisse ließen - nicht zuletzt mangels ausreichender Konkretisierung - kein derartiges Ausmaß erkennen, dass damit die für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erforderliche Intensität erreicht würde.

Als weiteren Fluchtgrund gab der BF1 in der mündlichen Verhandlung an, dass es Angriffe auf seinen Arbeitsplatz - also sein Restaurant in XXXX (wobei er dieses in der mündlichen Verhandlung in XXXX wissen wollte - siehe dazu schon oben) - seitens des Volkes gegeben habe und, dass die Polizei nichts dagegen unternehme. Oberhalb seines Restaurants befinde sich ein HDP-Büro, weshalb das obere Stockwerk niedergebrannt worden sei (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls). Dass sich oberhalb des Restaurants des BF1 tatsächlich ein Büro der HDP befand, sowie die angebliche Brandstiftung, dieses Büro betreffend, war jedoch aus folgenden Gründen unglaubhaft:

Auffallend war zunächst schon, dass der BF1 zwar bereits in der Einvernahme vor dem BFA angab, dass sich oberhalb seines Restaurants ein Büro der HDP befunden habe, einen Brand in deren Parteibüro erwähnte er jedoch mit keinem Wort (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). Bei einem derart gravierenden Ereignis wäre jedoch zu erwarten, dass der BF1 ein solches jedenfalls sogleich vorbringt, zumal er beim BFA schon Probleme aufgrund seiner Sympathie für die HDP behauptete. Bei dem behaupteten Brand handelte es sich daher um gesteigertes und damit unglaubhaftes Vorbringen. Befragt zum Zeitpunkt des angeblichen Brandes vermeinte der BF1 zunächst bloß, wie viele Brandstiftungen er jetzt nennen solle und, dass man "im Google nachschlagen" könne.

Der Brand im Büro der HDP oberhalb seines Restaurants sei jedenfalls im Jahr 2012 gewesen (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Auf Vorhalt, dass sich seine Angaben nicht decken, gab der BF1 an, das Büro wäre 2011 in sein Gebäude übersiedelt und 2015 hätten "sie" die Fensterscheiben des Büros zerstört. Auch diese divergierenden Angaben indizieren, dass die Brandstiftung nicht glaubhaft ist.

Zudem stellte die BF2 die entsprechenden Vorfälle in der mündlichen Verhandlung anders und auch in sich widersprüchlich dar, zumal sie einerseits davon sprach, das Restaurant habe ihr Mann ursprünglich von 1999 bis 2002 mit einem Partner, dann alleine geführt. Dies widerspricht sich aber mit den Angaben der BF, dass sie erst ca. 2009 in die Stadt zogen.

Mit der Restaurantbetreibung ab 1999 sind die folgenden Angaben, dass sich zwei Jahre nach Inbetriebnahme ihres Restaurants, sohin im Jahr 2001 - die HDP dort im zweiten Stock einquartiert hätte und das Gebäude im dritten oder vierten Jahr nach Inbetriebnahme des Restaurants - sohin im Jahr 2002 oder 2003 - niedergebrannt worden sei (Seiten 7 ff des Verhandlungsprotokolls) nicht zu vereinbaren; sie wären dann vereinbar, wenn man von Restauranteröffnung ca. im Jahr 2009 ausginge. Wenig später schränkte sie ihr Vorbringen jedoch insoweit ein, als lediglich das Büro der HDP, nicht jedoch das gesamte Gebäude niedergebrannt worden sei. Sie konnte jedoch keine konkrete Jahreszahl des Brandes angeben, weshalb auch sie mit ihrem Vorbringen in dieser Hinsicht nicht überzeugen konnte. Insgesamt waren die behaupteten Brände im Gebäude, in dem die Beschwerdeführer ihr Restaurant betrieben hätten, nicht glaubhaft.

Zudem machten der BF1 und die BF2 keine gleichlautenden Angaben, wo genau sich das Büro der HDP im Gebäude befunden habe und wann sich die HDP dort niedergelassen habe. Während die BF2 angab, dass es sich beim Gebäude um ein vierstöckiges Gebäude gehandelt habe und ihr Restaurant ebenerdig gewesen sei, die HDP im zweiten Stock angesiedelt gewesen wäre und sich im oberen Stockwerk eine Schneiderei befunden habe (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls), vermeinte der BF1, dass das Gebäude vier Stockwerke und eine Terrasse und damit fünf Stöcke gehabt habe, sich die HDP zwei Stockwerke über seinem Restaurant befunden habe und unterhalb der HDP eine Schneiderei gewesen sei, sowie das die HDP zwei Etagen gehabt habe (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Zumal die BF2 und der BF1 noch nicht einmal den Aufbau und die Situierung der HDP-Büros bzw. einer Schneiderei jenes Hauses, indem sie jahrelang ihr Restaurant betrieben, gleichlautend darlegen konnten und sie unterschiedliche Zeitpunkte nannten, zu denen sich die HDP dort niedergelassen habe, war deren Vorbringen nicht glaubhaft und gelangte das erkennende Gericht zum Schluss, dass sich im Gebäude, in dem die Beschwerdeführer ihr Restaurant betrieben, in Wahrheit keine Niederlassung der HDP befunden hat, sondern sie dies vorbrachten, um deren individuelle Verfolgung wahrscheinlicher erscheinen zu lassen.

In dieses Bild fügt sich auch das divergierende Vorbringen des BF1 zu seinem angeblichen Engagement bei der HDP. Während er noch in der Erstbefragung angab, Mitglied der HDP zu sein (AS 11 im Verfahrensakt des BF1), gab er in der Einvernahme vor dem BFA deutlich zu erkennen, dass er lediglich Unterstützer bzw. Sympathisant der HDP sei und verneinte ausdrücklich seine Mitgliedschaft (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). In der mündlichen Verhandlung stellte er dies jedoch wieder anders dar und vermeinte, er sei Mitglied der HDP, da er aber keine Mitgliedskarte besitze, habe er sich jedoch als Sympathisant bezeichnen müssen, ihm sei nämlich keine Karte ausgehändigt worden. Auch dieses völlig neue und anderslautende Vorbringen konnte er nicht schlüssig darlegen, zumal er in der Folge in weiterer Steigerung seiner bisherigen Angaben ausführte, er sei sogar bei Wahlen beauftragt worden und sei ihm dafür auch eine Karte ausgestellt worden, die allerdings aufgrund des - bereits als unglaubhaft beurteilten - Brandes zerstört worden sei. Schließlich meinte er in abermaliger Abkehr von den eben getätigten Angaben, wonach er keine Mitgliedskarte besitze, plötzlich doch die Möglichkeit gehabt zu haben, die Karten als Beweismittel mitzunehmen, er habe jedoch nicht gewusst, dass diese hier benötigt würden. Die widersprüchlichen und gesteigerten Angaben rund um seine Parteimitgliedschaft indizieren insoweit die Unglaubhaftigkeit dieser Aussagen.

Abgesehen von diesen Gründen brachte der BF1 in der mündlichen Verhandlung zudem mehrere konkrete Vorfälle vor, die er im bisherigen Verfahren, insbesondere vor dem BFA, mit keinem Wort erwähnte:

Zunächst gab er an, dass er bei einer Essensauslieferung für eine Hochzeit oder Beerdigung gemeinsam mit einem Mitarbeiter angehalten worden sei. Das Essen sei beschlagnahmt worden und ihnen sei vorgeworfen worden, dass sie die XXXX unterstützen würden. Sie seien dann von einer uniformierten Sondereinheit zu deren Dienststelle gebracht und dort vier bis fünf Stunden angehalten worden. Eine nähere zeitliche Einordnung dieses Ereignisses unterließ der BF1. Er gab über Befragen bloß an, dass sich dies im Jahr 2015 zugetragen habe und er glaube, es sei Frühling gewesen. Zumal es sich dabei um ein einschneidendes Ereignis handelt, ist für das erkennende Gericht unverständlich, wenn der BF1 noch nicht einmal eine Eingrenzung des Datums vornehmen hat können und sich nicht einmal bei der Jahreszeit sicher war, was jedenfalls am Tatsachengehalt zweifeln lässt. Zudem ist nicht erkennbar, weshalb der BF1 die entsprechenden Angaben nicht bereits vor der belangten Behörde tätigen hätte können, zumal es sich hierbei doch um ein prägendes Erlebnis handelt, von dem anzunehmen ist, dass es der BF1 zutreffendenfalls sogleich vorgebracht hätte.

In Bezug auf den Betrieb seines Restaurants vermeinte er zudem, dass es auch dort Probleme gegeben habe. So habe er für die Partei - gemeint wohl die HDP - Essen verteilt, woraufhin er von der Polizei zur Rede gestellt worden sei und gefragt worden sei, weshalb er für die Partei Essen ausgebe. Dies sei bei Newroz Festen gewesen. Diese seien von der Polizei gestürmt worden und seien sie dort aufgrund dessen mit Gummiknüppeln geschlagen worden. Als Datum dieser Vorkommnisse gab er den 20.03.2015 an. Dies steht jedoch im Widerspruch zu seinen Angaben beim BFA, zumal er dort angab, dass es Probleme während des Newroz Feiertages am 01.04.2013 gegeben habe (AS 83 im Verfahrensakt des BF1). Auf diesen Widerspruch hingewiesen, vermeinte der BF1 in der mündlichen Verhandlung bloß, dies habe er nie gesagt. Auch diese nicht gleichförmigen Angaben ließen das entsprechende Vorbringen unglaubhaft erscheinen, zudem stellte es im Hinblick auf die angebliche Stürmung durch die Polizei und den Einsatz von Gummiknüppeln eine eklatante Steigerung des bisherigen Vorbringens dar. Der Behauptung, er habe das nie gesagt, steht der Wortlaut der entsprechend Niederschrift entgegen; der Beweis dessen Unrichtigkeit gelang dem BF1 nicht.

Im Restaurant habe es einen weiteren Vorfall gegeben. Die Polizei habe dort nach ihm gefragt und der BF1 sei nicht anwesend gewesen. Seine Mitarbeiter hätten ihn informiert und er sei von der Polizei zur Dienststelle mitgenommen worden. Er sei dort zur HDP befragt, beleidigt und bedroht worden. Ein Polizist habe ihn mit einem Faustschlag von sich weggestoßen und er sei mit den Worten "Ich darf nie wieder an diesen kurdischen Veranstaltungen der HDP Partei teilnehmen, sonst wäre dies nicht gut für mich. Ich sollte damit aufhören." bedroht worden (Seite 21 des Verhandlungsprotokolls).

Der letzte Vorfall habe sich im "Dorf" im Jahr 2016 zugetragen. Dort sei von den Dorfschützern sein Kessel umgetreten worden und er von diesen an ihre Fahrzeuge gedrückt und durchsucht worden. Danach sei der BF1 stundenlang auf der Dienststelle festgehalten worden. Außerdem sei einmal die MHP auf sein Lokal losgegangen und habe die Scheiben zerbrochen und im Lokal randaliert (Seiten 21 f des Verhandlungsprotokolls).

All diese Behauptungen hatten gemein, dass der BF1 keinen dieser Vorfälle vor der belangten Behörde vorbrachte. Sein sohin neues Vorbringen war daher als erheblich gesteigertes und damit unglaubhaftes Vorbringen anzusehen. Als Erklärung für das seinerzeitige Unterlassen des Vortrages all dieser Gründe vor dem BFA gab der BF1 bloß an, die Zeit sei zu eingeschränkt gewesen, was jedoch nicht mit der Dauer der damaligen Einvernahme von mehr als drei Stunden in Einklang zu bringen ist. Auch die Alternativbegründung des BF1, wonach dieser den Eindruck hatte, sich kurz halten zu sollen, überzeugte nicht, zumal ihm sogar die Möglichkeit eingeräumt wurde, seine Angaben zu ergänzen: "LA: Ich beende jetzt die Befragung. Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände? Möchten Sie noch weitere Angaben machen?", woraufhin der BF1 in der Einvernahme vor dem BFA bloß abermals im Wesentlichen replizierte, Erdogan werde das kurdische Volk auslöschen. Im Übrigen habe er alles vorbringen können und habe keine Einwände (AS 87 im Verfahrensakt des BF1). All die genannten Vorfälle waren vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft und ist davon auszugehen, dass diese nicht - wie vom BF1 behauptet - stattgefunden haben.

Dazu ist anzumerken, dass sich ein weiterer Widerspruch ergibt, wenn der BF1 diesen Vorfall mit "im Jahr 2016" und "im Dorf" konkretisiert. Dem stehen seine Angaben zu Beginn der Befragung in der mündlichen Verhandlung entgegen. Eingangs hatte er angegeben, er wisse nicht, in welchem Zustand das Haus bzw. der Stall im Dorf sei, er sei das letzte Mal im Jahr 2008 dort gewesen (Verhandlungsschrift Seite 12).

Soweit der BF auf - wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit (vgl. AS 13) und seines religiösen Bekenntnisses - auf Ereignisse die in den 1990-iger Jahren und auf die folgenden Zeiten im Dorf (bis ca. 2009) verwies, gelangte das BVwG in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zur Einschätzung, dass die vom BF insoweit angeführten Ereignisse - unabhängig von der Frage der Richtigkeit der Darlegung bezüglich der Volksgruppenzugehörigkeit, der politischen Gesinnung und des Religionsbekenntnisses - im Hinblick auf die übrigen im Verfahren getätigten Aussagen Kohärenz und Plausibilität betreffend - eine Furcht vor Verfolgung nicht wohlbegründet erscheinen lassen:

Dies resultiert zum einen daraus, als es sich dabei um Umstände handelt, die schon längere Zeit vor der tatsächlichen Ausreise (Ausreise im November 2016) zurückliegen und daher nicht mehr beachtlich sind. Auch die weiteren - nach dem Umzug in die Stadt - von den BF genannten Vorfälle sind großteils länger zurückliegend, oder konnten von den BF nicht zeitlich eingeordnet werden. Lediglich das Datum des letzten Putschversuches (15.07.2016) wäre hier relevant, doch ist das Vorbringen insoweit hier derart allgemein, mit Vorbringenselementen aus der Zeit "im Dorf", zeitlich zuvor anders eingeordneten Ereignissen (Brand des HDP-Büros) vermengt und ohne jeden persönlichen Bezug vorgebracht, dass insoweit eine persönliche Bedrohungslage daraus nicht erkennbar ist (Verhandlungsschrift Seite 17 letzter Absatz, Seite 18 erster Absatz). Das weitere Ereignis, das er zeitlich im Jahr 2016 einordnete (Dorfschützer hätten den Kessel umgetreten - Seite 21 letzter Absatz) war ebenso wenig glaubhaft, wenn er im Jahr 2008 leztmalig im Dorf gewesen sein will.

Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen ebenso nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen erst im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt.

Das erkennende Gericht übersieht auch nicht, dass den Angaben zum Fluchtweg für sich genommen kein tragfähiges Argument für die Unrichtigkeit bzw. Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen zu gewinnen ist (vgl. VwGH vom 25.05.2004, 2003/01/0299). Gleichwohl war hier das Aussageverhalten des BF1 insoweit - Verweigerung einer Antwort auf die Frage nach dem Beginn des Fluchtweges - zu Lasten des BF1 zu werten, und bestätigt das die getroffene Einschätzung hinsichtlich der letzten Wohnadresse der BF: XXXX und nicht XXXX . Insoweit ist das Aussageverhalten das BF1 - Verweigerung einer Antwort auf die Frage, wo (konkret) die Fluchtbewegung begonnen habe - sogar schlüssig.

In der mündlichen Verhandlung brachte er nunmehr drei Lichtbilder in Vorlage, die den BF1 offenbar bei der Teilnahme an einer Demonstration in XXXX zeigen sollen. Er führte hierzu über Befragen seines Vertreters in der mündlichen Verhandlung aus, an den Newroz Feiertagen an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Insgesamt habe er in Österreich an einer Demonstration in XXXX , an einer in XXXX und an acht bis zehn Demonstrationen im Jahr 2019 in XXXX teilgenommen. Aufgrund seines exilpolitischen Engagements werde er im Rückkehrfall in der Türkei festgenommen (Seite 24 des Verhandlungsprotokolls). Auch in der Stellungnahme des Vertreters des BF1 vom 12.08.2019 wurde im Hinblick auf sein behauptetes Engagement bei XXXX Demonstrationen hingewiesen und festgehalten, dass ihm daher in der Türkei die Festnahme und eine langjährige Haftstrafe drohen würden.

Dass sich der BF1 tatsächlich im behaupteten Ausmaß exilpolitisch in Österreich betätigte und damit ins Auge der türkischen Behörden fiel, war jedoch aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Zunächst wurde der BF1 in der mündlichen Verhandlung nach dem Symbol der HDP befragt, welches dieser auch schildern konnte. Danach wurde er vom Behördenvertreter darauf hingewiesen, dass auf den von ihm vorgelegten Lichtbildern nicht Symbole der HDP, sondern der solche XXXX abgebildet seien, woraufhin der BF1 bloß meinte, dass dies schon stimmen würde. Dass der BF1 in Österreich plötzlich an einer Demonstration für die XXXX teilnimmt erstaunt aber insoweit, als der BF1 noch vor dem BFA angegeben hatte, dass er die XXXX für bewaffnete Terroristen halte (AS 82 im Verfahrensakt des BF1). Dass sich der BF1 ernsthaft für die XXXX engagiert, war schon deshalb anzuzweifeln. Sollte der BF1 tatsächlich Anhänger der XXXX sein, so ist darauf hinzuweisen, dass diese auch von der europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird. Sein Engagement für eine Terrororganisation ließe daher zutreffendenfalls auf eine von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich schließen. Allerdings zeigen schon die Lichtbilder selbst, dass am Tatsachengehalt seines "exilpolitschen Engagements" für die XXXX bzw. für XXXX gezweifelt werden muss, weil diesen zwar zu entnehmen ist, dass sie in XXXX - an prominenter Stelle - aufgenommen wurden, es rund um die Demonstranten jedoch menschenleer ist. Die Bilder zeigen insgesamt 6 Personen, die alle offenbar zu dieser Gruppe gehören. Am Boden sind Plakate aufgelegt, die teilnehmenden Personen halten zum Teil Fahnen. Alle tragen Winterbekleidung, der BF1 eine weit in die Stirn gezogene Wollhaube (auf 2 Fotos) und ist schon deshalb schwer erkennbar. Passanten, die diese Kundgebung wahrnehmen hätten können, sind nicht zu sehen, was auf einen nicht öffentlichkeitswirksamen Zeitpunkt schließen lässt (etwa Sonntag frühmorgens). Diese Umstände lassen darauf schließen, dass die Szene gestellt ist, um eben diese Aufnahmen zu produzieren. Wenn aber niemand die Szene wahrgenommen hat, dann ist das auch für türkische Behörden nicht möglich.

Außerdem sprach der BF1 von angemeldeten Demonstrationen. Aufgrund des Umstandes, dass die XXXX auch hierorts als Terrororganisation gilt, wäre eine solche Demonstration seitens der Veranstaltungsbehörde wohl nicht zugelassen worden bzw. wäre sie jedenfalls von der Polizei aufgelöst worden.

Aufgrund dieser Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten ist daher davon auszugehen, dass es sich bei den auf den Lichtbildern abgebildeten Ereignissen bloß um inszenierte "Demonstrationen" handelte, die dazu dienen sollten, das konstruierte Vorbringen, wonach sich der BF1 hierorts für die XXXX engagiert, glaubhaft zu machen. Insgesamt betrachtet, kam diesen Fotos jedenfalls keinerlei Beweiskraft zu und ist auszuschließen, dass sich der BF1 tatsächlich in einer Weise exilpolitisch betätigt hat, dass die türkischen Behörden auch in Österreich davon Kenntnis erlangen würden. Vielmehr zeugt dieses Vorgehen des BF1 einmal weiter davon, dass dieser nach weiteren Mitteln greift - und sei es die vorgetäuschte Unterstützung einer Terrororganisation - um seinem Vorbringen Asylrelevanz zu verleihen. Dies war ebenso bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit zu berücksichtigen.

In der Einvernahme beim BFA hatte die BF2 als einzigen sie persönlich betreffenden Vorfall angegeben, in ihrem Restaurant von Polizisten wegen des Nicht-Fastens beschimpft worden zu sein (AS 55 und 56 im Verfahrensakt der BF2). In der mündlichen Verhandlung dagegen gab sie erstmals an, dass die Polizei zu ihr ins Restaurant gekommen sei und ihnen vorgeworfen hätte, dass sie illegale Waren besitzen würden und hätten daraufhin das Restaurant durchsucht, wobei es zu gegenseitigen Beschimpfungen gekommen sei und ein Polizist die BF2 weggestoßen habe (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Konfrontiert mit dem Umstand, dass sie diesen Vorfall erstmals in der mündlichen Verhandlung angab, meinte sie bloß, in der Einvernahme nicht ausreichend Zeit gehabt zu haben. Die Beschwerdeführerin bestätigte über Befragen nichtsdestotrotz erneut in der mündlichen Verhandlung die Richtigkeit ihrer Angaben in der Einvernahme vor dem BFA. Umso erstaunlicher waren die folgenden Angaben zu dem ehemals angegebenen Vorfall im Ramadan, zumal sie meinte, dies sei eine andere Sache, mit der Polizei habe es jedoch nur diesen einen von ihr geschilderten Vorfall gegeben. Hier zeigte sich bereits der fehlende Wahrheitsgehalt zumindest einer ihrer Angaben zumal es sich ihren Angaben gemäß bereits um zwei konkrete Vorfälle gehandelt haben müsste. Schließlich konterkarierte sie jegliche Nachvollziehbarkeit und Glaubhaftigkeit ihres einstigen Vorbringens hinsichtlich der Vorfälle im Ramadan, als sie abweichend von damals plötzlich davon sprach, dass "wir" gefragt worden seien, warum sie ihr Restaurant während der Fastenzeit nicht schließen würden, was nahelegte das auch der BF1 beim entsprechenden Vorfall anwesend gewesen wäre, wohingegen sie vor dem BFA noch angab, damals alleine gewesen zu sein. Überdies seien sie als Juden beschimpft worden, was jeglicher Plausibilität entbehrte zumal BF1 und BF2 zuvor stets angaben, entweder als Aleviten oder als Kurden beschimpft worden zu sein und nicht nachvollziehbar ist, warum man sie als Juden hätte beschimpfen sollen. Insgesamt war angesichts dieser eklatanten Widersprüche und Ungereimtheiten davon auszugehen, dass die von der BF2 geschilderten Vorfälle in Wahrheit nicht stattgefunden haben. Der BF1 erwähnte beide Vorfälle nicht, was die Unglaubhaftigkeit weiter untermauerte.

Schließlich steigerte die BF2 ihr Vorbringen erheblich, indem sie in der mündlichen Verhandlung ohne jegliche Konkretisierung angab, dass sie nach dem Putschversuch am 15.07.2016 für einen Monat lang ihrer Häuser nicht beziehen hätten können (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Ein entsprechendes Vorbringen hat bislang keiner der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde erstattet, wobei jedenfalls davon auszugehen wäre, dass im Falle des Zutreffens dieses Umstandes, ein derart gravierender Sachverhalt jedenfalls vorgetragen worden wäre, weshalb auch dieses Vorbringen jeglicher Glaubhaftigkeit entbehrte und die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit der BF2 untermauerte.

Hinsichtlich des Vorbringens des BF3 ist festzuhalten, dass dieser in der Erstbefragung noch gänzlich andere Fluchtgründe vorbrachte, als im späteren Verfahrensverlauf. Dort machte er nämlich Diskriminierungen aufgrund seiner kurdischen Ethnie, nämlich, dass er als Kurde in der Schule ausgelacht worden sei, für die Ausreise verantwortlich (AS 9 im Verfahrensakt des BF3). Beginnend mit der Einvernahme vor dem BFA sowie vor dem BVwG stützte er sein Fluchtvorbringen hingegen auch darauf, dass er den Wehrdienst in der Türkei nicht ableisten wolle, weil er Angst vor dem Militärdienst habe (AS 41 im Verfahrensakt des BF3, Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Dem diesbezüglichen Vorbringen mangelt es aber an Asylrelevanz (s. dazu unter rechtliche Beurteilung).

Auffallend war zudem, dass sich der BF3 - neben den Fluchtgründen seines Vaters - vor dem BFA ausschließlich auf seine Angst vor dem Militärdienst in der Türkei bezog, in der mündlichen Verhandlung, befragt nach seinen Gründen, warum er die Türkei verlassen haben, jedoch ausführte:

"An erster Stelle steht die Diskriminierung in der Schule, weil wir Kurden sind. Ich wurde beschimpft. Man wurde schlechter benotet. Von den Lehrern wurde ich erniedrigt. Deshalb bin ich jetzt hier."

Erst nach Hinweis darauf, dass dies ein völlig neues Vorbringen sei, kam er neuerlich auf seine Angst, den Wehrdienst ableisten zu müssen, zu sprechen, konnte jedoch nicht aufklären, warum er das neue Vorbringen erst zu einem derart späten Zeitpunkt im Verfahren erstattete.

Abgesehen davon konnte er diese allgemein gehaltenen Diskriminierungen nur insoweit konkretisieren, als er dazu weiter ausführte, dass er von türkischen Schulkollegen beschimpft worden sei, als er Kurdisch gesprochen habe und, dass er während des Fastenmonats zum Außenseiter geworden und beschimpft worden sei (Seite 28 des Verhandlungsprotokolls). Diesen vornehmlich von Privaten ausgehenden Diskriminierungen mangelt es selbst im Falle des Zutreffens an der nötigen Intensität für die Asylgewährung (s. dazu abermals unter rechtliche Beurteilung). Im Übrigen war das Vorbringen des BF3 - mit Ausnahme dessen, dass er den Militärdienst nicht leisten wolle - nicht glaubhaft. Wie bereits ausgeführt, war aufgrund der unstimmigen Angaben und des Aussageverhaltens des BF3 hinsichtlich seines Herkunftsortes und des Ortes, an dem er die Schule besucht habe, bereits erheblich an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Diese Zweifel erhärteten sich im Zuge der Verhandlung weiter dadurch, dass er zwar erneut bestätigte, dieselben Fluchtgründe wie sein Vater zu haben, diese in der Folge jedoch in keinster Weise benennen konnte, sondern lediglich immer wieder von den "politischen Problemen" seines Vaters sprach (Seite 27 des Verhandlungsprotokolls). Aber auch das gesamte Aussageverhalten des BF3 unterminierte seine persönliche Glaubwürdigkeit und damit auch die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens. Dies zeigte sich neuerlich eindrücklich, als er näher zu seiner angeblichen Angst vor der Ableistung des türkischen Wehrdienstes befragt wurde. So gab er etwa nach Vorhalt des Vertreters der belangten Behörde auf die Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freikaufen zu können an, dass die Beschwerdeführer hierzu keine finanziellen Mittel hätten und schon so nur schwer über die Runden kommen würden, was in auffallendem Widerspruch zu den Angaben seiner Eltern stand, denen zufolge ihre finanzielle Lage in der Türkei gut gewesen ist, was sich auch mit den obigen Feststellungen zu deren nach wie vor bestehenden Vermögenswerten in der Türkei deckt. Sohin war das Vorbringen des BF3 in dieser Hinsicht unwahr. Als der Vertreter der belangten Behörde in der Folge unter Vorhalt der auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen zum Wehrdienst in der Türkei eine systematische Diskriminierung türkischstämmiger Rekruten anzweifelte und den BF3 nach seiner Meinung dazu befragte, verweigerte dieser die Beantwortung und replizierte stattdessen bloß: "Möchten sie mir damit sagen, dass Kurden nicht diskriminiert werden?". Selbst nach Ermahnung durch das Gericht, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten und nicht mittels Gegenfragen offenzulassen, reagierte er auf die Wiederholung der an ihn gerichteten Befragung neuerlich mit einer Gegenfrage.

In der mündlichen Verhandlung führte der BF3 auch aus, dass seine Familie hierhergekommen sei, weil er den Wehrdienst nicht ableisten wolle (Seite 30 des Verhandlungsprotokolls). Schon in der Einvernahme beim BFA hatte er vorgebracht, Angst vor dem Militärdienst zu haben. Dieses Vorbringen wird daher als glaubhaft erachtet.

Im Übrigen nahm er aber bloß allgemein auf den Putschversucht vom 15.07.2016 Bezug, ohne die damaligen Ereignisse überzeugend mit seiner Person in Verbindung zu setzen.

Angesichts der vagen, unschlüssigen und widersprüchlichen Ausführungen, sowie der erheblich beschädigten persönlichen Glaubwürdigkeit des BF3 aus oben dargestellten Gründen mangelte es seinem Vorbringen an Glaubhaftigkeit.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vermittelten die Beschwerdeführer mit ihrem Sachvortrag nicht den maßgeblichen Eindruck, dass sie bei ihrer Rückkehr mit einer erheblichen Gefährdung zu rechnen hätten. Die Beschwerdeführer konnten eine individuelle Bedrohung nicht glaubhaft machen.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens - wie auch das BFA - zum Ergebnis, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer - und zwar über wirtschaftliche Gründe und den Militärdienst des BF3 betreffend hinausgehend - nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und damit als nicht glaubhaft zu bewerten ist. Den Beschwerdeführern ist es nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Durch die widersprüchlichen Angaben zum Wohnsitz, fehlt den Angaben der BF - jedenfalls ab dem Zeitpunkt der behaupteten Übersiedlung (ca. 2009) - die Basis (der konkrete Bezug zu einem Ort), weil die entsprechenden Verfolgungsbehauptungen immer untrennbar mit einem bestimmten Aufenthalts(Wohn)ort korrelieren müssen; das Vorbringen der BF ist insoweit jedenfalls nicht glaubhaft. Dass die BF zuletzt nicht in XXXX , sondern in XXXX lebten, erhellt auch daraus, dass sie zuletzt in der mündlichen Verhandlung eine Diskriminierung als alevitische Kurden - in XXXX - behaupteten, handelt es sich aber bei dieser Gruppierung doch um die dortige Mehrheitsbevölkerung.

II.2.5. Im konkreten Fall konnte der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch die Angaben der Beschwerdeführer im behördlichen Verfahren und im gerichtlichen Verfahren erhoben werden. Im Rahmen einer umfassenden Glaubwürdigkeitsprüfung musste der Sachvortrag der Beschwerdeführer - wie angeführt - als nicht wahrheitsgetreu bewertet werden. Daraus folgt, dass weitere Ermittlungsschritte nicht notwendig waren.

Im Lichte einer unterlassenen Vorlage unbedenklicher Bescheinigungsmittel sind abseits der nationalen Rechtsprechung dazu auch die europarechtlichen Vorgaben von Bedeutung. So normiert die - nicht direkt anwendbare - Statusrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als Ausfluss der Staatenpraxis in deren Artikel 4 Absatz 1 und 5 Folgendes: "Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühest möglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war;

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

Wendet man im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung diese sekundärrechtliche Norm auf das gegenständliche Verfahren an, so führt auch dies nicht zum Verzicht auf die Beischaffung von Bescheinigungsmitteln seitens der Beschwerdeführer, zumal nicht festgestellt werden kann, dass sich die Antragsteller offenkundig bemühten ihre Anträge in Bezug auf die bestehenden Verfolgungshandlungen zu substantiieren, vielmehr war offensichtlich Gegenteiliges der Fall. Weiters konnte die generelle Glaubwürdigkeit der Antragsteller im Verfahren im oa. Ausmaß nicht festgestellt werden. Keinesfalls konnte festgestellt werden, dass die Aussagen der Antragsteller zur aktuellen Verfolgungssituation kohärent und plausibel sind und zu den für ihren Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen.

Im gegenständlichen Fall ist daher festzustellen, dass den Beschwerdeführern auch aus europarechtlicher Sicht die Glaubhaftmachung des behauptetermaßen ausreisekausalen Sachverhaltes nicht gelang, weil nicht festgestellt werden konnte, dass die Aussagen der Beschwerdeführer kohärent und plausibel sind und zu den für ihren Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen und sie aufgrund der mangelnden Glaubwürdigkeit des Vorbringens auch den geforderten Nachweis nicht erbrachten (das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation der entsprechenden asylrechtlichen Bestimmungen entspricht auch dem Gesetzgeber, vgl. Wortlaut der RV zum AsylG 2005: "...Mit dem vorgeschlagenen Entwurf werden folgende Richtlinien umgesetzt ... : Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. Nr. L 304 vom 30.09.2004 S. 12, CELEX Nr. 32004L0083 ; ...")

II.2.6. Der Sachvortrag der Beschwerdeführer bezüglich ihrer privaten und familiären Interessen in Österreich wird als den Tatsachen entsprechend angesehen, da diese Ausführungen einerseits mit den amtlich zur Verfügung stehenden Informationen, wie Einsicht in das Zentrale Melderegister (ZMR), das Strafregister der Republik Österreich (SA), das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), sowie das Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) im Einklang stehen und auch keine Zweifel an den Angaben der Beschwerdeführer und den vorgelegten Unterlagen aufkamen.

Das BFA hat zudem eine ausführliche Befragung bzw. Ermittlungen bezüglich der privaten und familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer in Österreich durchgeführt, im Rahmen einer schlüssigen Beweiswürdigung Feststellungen dazu getroffen und eine Gegenüberstellung der vom BF in seinem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung vorgenommen. Das BFA kam nachvollziehbar zum Ergebnis, dass es zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes gekommen ist.

Die durchgeführte mündliche Verhandlung bestätigte dieses Ergebnis. In der mündlichen Verhandlung wurden die Sprachkompetenzen der Beschwerdeführer durch das Stellen von Fragen in deutscher Sprache überprüft, dabei ergab sich, dass die Beschwerdeführer - wie angeführt - über unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen.

II.2.7. Zur konkreten Lage der Beschwerdeführer

Wenngleich die wirtschaftliche Lage in der Türkei keineswegs optimal ist, so ist aber insoweit festzustellen, dass der BF1 und die BF2 beide arbeitsfähig sind und schon vor der Ausreise durch die Ausübung selbstständiger gastronomischer Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften konnten und auch über jahrelange Erfahrung in dieser Tätigkeit verfügen. BF1 und BF2 zählen als verheiratete arbeitsfähige Erwachsene nicht zu den vulnerablen Menschen in der Türkei. Der inzwischen volljährige BF3 verfügt über Schulbildung, ausreichende Sprachkenntnisse und ist in der Türkei aufgewachsen, zählt sohin ebenfalls nicht zu einem vulnerablen Personenkreis. Auch er wird daher grundsätzlich in der Lage sein ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften bzw. kann von seinen Eltern weiter unterstützt werden. Der minderjährige BF4 kann weiterhin auf die Unterstützung und Versorgung durch seine Eltern zählen. Bei entsprechender Leistungsbereitschaft ist vor dem Länderhintergrund nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer insoweit in eine aussichtslose Notlage geraten könnten. Zudem ist anzumerken, dass es den Beschwerdeführern offensichtlich möglich war, bis zuletzt ihren Lebensunterhalt in der Türkei ausreichend zu sichern und dort auch in guten finanziellen Verhältnissen lebten und bis dato über eine Wohnung, ein Haus und mehrere Grundstücke verfügen. Sie verfügen auch noch über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, zu denen telefonischer Kontakt besteht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die im Herkunftsland aufhältigen Verwandten den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr Hilfe und Unterstützung versagen würden. Daneben besteht auch noch die begrenzte Möglichkeit staatliche Sozialhilfesysteme in Anspruch zu nehmen.

Gemäß § 52a BFA-VG kann auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für ihren Neubeginn im Heimatland gewährt werden. Rückkehrer werden auf Basis dieser gesetzlichen Grundlage vom ersten Informationsgespräch bis zur tatsächlichen Rückreise in einer Einrichtung beraten, begleitet und umfassend unterstützt. Es ist den Beschwerdeführern freigestellt, sich dieser Rückkehrhilfe zu bedienen. Es wäre somit auch damit gewährleistet, etwaige "Startschwierigkeiten" abfedern zu können.

Wenn auch in der Türkei eine wirtschaftlich schwierigere Situation als in Österreich besteht, so ist in einer Gesamtbetrachtung, unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführer, festzuhalten, dass von einer lebensbedrohenden Notlage im Herkunftsstatt, welche bei einer Rückkehr die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK indizieren würde, für die Beschwerdeführer nicht gesprochen werden kann.

II.2.8. Glaubhaft ist das Vorbringen der BF, dass diese die Türkei verlassen haben, um eine Einziehung des BF3 zum türkischen Militär zu verhindern. Glaubhaft sind auch die wirtschaftlichen Motive der BF, dass diese die Türkei verlassen haben, um, wie einige ihrer Verwandten (in Deutschland, der Schweiz und Österreich), sich ebenso in einem dieser Länder niederzulassen. In dieses Bild passt auch die Ablehnung eines am 28.07.2019 beantragten Schengenvisums für die BF2 und den BF4 durch das Schweizer Generalkonsulat in Istanbul (vgl. AS 13 zu BF1) sowie die Asylantragstellung (nach Einreise am Landweg) in XXXX - wo Verwandte der BF wohnhaft sind.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Die angefochtenen Bescheide des BFA betreffend die BF1-4 wurden offenbar von der Betreuerin des Flüchtlingsheimes, Fr. XXXX , übernommen. Dass insoweit eine Vollmacht zur Empfangnahme von Rsa-Briefen bestünde, ist den vorliegenden Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

Nach § 7 ZustellG gilt, wenn im Verfahren der Zustellung Mängel unterlaufen, die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Die Bescheide sind datiert mit 18.12.2018, die Übernahme der Schriftstücke wurde am 03.01.2019 bestätigt. Mit Datum 14.01.2019 brachte der rechtsfreundliche Vertreter der BF Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide ein, dh. den BF müssen zwischenzeitlich die Dokumente tatsächlich zugekommen sein und es trat Heilung des Zustellmangels ein.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

II.3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

II.3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht, oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatssicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen ist.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, "aus Gründen" (Englisch: "for reasons of"; Französisch: "du fait de") der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

II.3.1.2. Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen der Beschwerdeführer zu den behaupteten Ausreisegründen insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr "Status eines Asylberechtigten"] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den Beschwerdeführern behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

Auch die allgemeine Lage ist im Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für die Beschwerdeführer eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde. Insbesondere ist zum Entscheidungszeitpunkt ein Bedrohungsszenario mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für Angehörige der alevitischen Glaubensrichtung bzw. der kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei nicht gegeben. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den Beschwerdeführern eine Gruppenverfolgung droht. Dass in der Türkei eine generelle und systematische Verfolgung von alevitischen Kurden stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage in der Türkei nicht abgeleitet werden. Zudem nannten die Beschwerdeführer im Hinblick auf Probleme wegen ihres alevitischen Glaubens lediglich Vorfälle denen es an der für die Asylgewährung nötigen Eingriffsintensität mangelt. Es leben außerdem nach wie vor Verwandte der Beschwerdeführer im Herkunftsgebiet der Beschwerdeführer. Konkrete asylrelevante Vorfälle wurden nicht glaubhaft vorgebracht.

Soweit der BF3 vorbringt, er habe Angst als kurdischer Rekrut im Kriegsgebiet im Osten der Türkei abgestellt zu werden, so war dem zu entgegnen, dass den länderkundlichen Feststellungen folgend, keine Hinweise auf eine systematische Diskriminierung von kurdischen Rekruten beim türkischen Militär vorliegen, noch lässt sich diesen entnehmen, dass kurdische Rekruten vornehmlich bzw. systematisch im Südosten der Türkei zu Kampfeinsätzen herangezogen werden.

Nach der Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 07.11.1995, 94/20/0793) könnte die Furcht wegen Einberufung zum Militärdienst nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen wiegen würde (vgl. insbesondere VwGH 29.6.1994, 93/01/0377 [verst. Senat]). Dass dem BF3 aus in der GFK angeführten Gründen eine härtere Bestrafung als anderen Staatsangehörigen droht, war angesichts der getroffenen Länderfeststellungen und mangels glaubhaftem Vorbringen nicht feststellbar. Zudem wurde der BF3 bislang gar nicht einberufen, zumal er zum Ausreisezeitpunkt erst 16 Jahre alt war.

Im Übrigen ist im Hinblick auf die getroffenen Länderfeststellungen darauf hinzuweisen, dass es dem BF3 - wie jedem wehrpflichtigen türkischen Staatsangehörigen - möglich ist, bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen einen Aufschub bzw. eine Befreiung der Wehrpflicht zu beantragen bzw. deren Ausmaß gegen Zahlung eines Geldbetrages deutlich zu reduzieren.

Es gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens der Beschwerdeführer keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würden, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern keine Verfolgung aus in den in der GFK genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, 95/20/0329 mwN).

Soweit die BF ein Vorbringen erstatten, das zeitlich in den 1990-iger Jahren anzusiedeln ist oder sich vor dem Wegzug aus dem Dorf (vor 2009) ereignete, so fehlt solchem Vorbringen jedenfalls die notwendige Aktualität, kann daher nicht zu einer Asylgewährung herangezogen werden.

Als der BF1 gegen Ende seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung auf die Teilnahme an Demonstrationen (vgl. Seite 23 des Protokolls zur mündlichen Verhandlung) gegen den türkischen Staat in Österreich in den letzten Monaten verwies, kam das BVwG zum Schluss, dass der BF1 auch diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte:

Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrmals festgehalten, dass eine exilpolitische Betätigung im Ausland einen asylrelevanten Nachfluchtgrund bilden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0398, mwN; sowie zu den Nachfluchtgründen auch Art. 5 der Richtlinie 2011/95 / Statusrichtlinie).

Wenn der BF nun oben angeführte subjektive Nachfluchtgründe - und zwar als Ausdruck und Fortsetzung einer bereits in der Türkei bestehenden Überzeugung - vorgibt, ist anzumerken, dass eine regimekritische Betätigung des BF (insbesondere durch die Teilnahme an Demonstrationen in Österreich) als Konventionsgrund nur dann beachtlich ist, wenn eine Verfolgungshandlung vorliegt oder zu befürchten ist.

Diesbezüglich kommt es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von "Rückkehrern" entscheidend darauf an, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Bei Beurteilung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte auseinander zu halten. Zunächst geht es darum, ob der Asylwerber so in Erscheinung getreten ist, dass er als auffällig "regimekritisch" identifizierbar war. Die Bejahung führt zur zweiten Frage, ob die Behörden des Herkunftsstaates in irgendeiner Form - etwa durch Informanten oder Medienberichte - von dem regimekritischen Auftreten Notiz genommen haben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Asylwerber - quasi objektiv betrachtet - aus der Sicht dieser Behörden eine ernst zu nehmende Gefahr für das Regime darstellen könne. Eine derartige subjektive Einschätzung kann nämlich nicht ohne weiteres extern vorweggenommen werden, insbesondere dann, wenn der Asylwerber schon in seinem Heimatland politisch tätig gewesen ist (VwGH 22.05.2001, 2000/01/0076).

Dem VwGH zufolge liegt in der Teilnahme eines Asylwerbers an einer gegen das Regime des Herkunftsstaates gerichteten Demonstration von nur 30 bis 40 Personen, bei der der Asylwerber eine Tafel trug und "das Protokoll führte", ein auffällig regimekritisches Auftreten, vorausgesetzt die Kundgebung wurde wahrgenommen (VwGH 22.05.2001, 2000/01/0076).

Eine Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung bei einer Rückkehr in die Türkei kommt im gegenwärtigen Zeitpunkt ([im Jahr 2008]) allein bei politisch exponierten Personen in Betracht. Nur derjenige, der politische Ideen und Strategien entwickelt oder zu deren Umsetzung mit Worten oder Taten von Deutschland aus hinwirkt und damit Einfluss insbesondere auf seine hier lebenden Landsleute zu nehmen versucht, ist aus der Sicht des türkischen Staates ein ernstzunehmender politischer Gegner, den es zu beobachten und gegebenenfalls zu bekämpfen gilt. Als Beispiel für exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, die Aufmerksamkeit staatlicher türkischer Stellen zu erregen und den Asylbewerber zu gefährden (exilpolitische Tätigkeiten niedrigen Profils) sind zu nennen die schlichte Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen und die damit verbundene Teilnahme an Vereinsveranstaltungen, die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und Spenden, die einfache Teilnahme an Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, die Verteilung von Flugblättern und der Verkauf von Zeitschriften, die Betreuung von Informationsständen und das Verfassen von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in türkischsprachigen Zeitungen (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 15.07.2008 - 36X31.08 - asyl.net: M14329).

Aus der vom BF vorgelegten Fotos geht nicht hervor, wann diese Kundgebung stattgefunden hat. Aufgrund der in der Beweiswürdigung angeführten Umstände ist auszuschließen, dass der BF1 ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Dazu kommt noch, dass der BF nicht als exponierte politische Person einzustufen ist (vgl. dazu die Ausführungen weiter unten).

Der BF ist somit als "schlichtes" Vereinsmitglied zum einen nicht als exponierte Person anzusehen und zum anderen ist folglich davon auszugehen, dass der BF nicht als auffällig "regimekritisch" identifizierbar ist und dass dieser im Rahmen der Mitgliedschaft nicht über eine niedrig-profilierte Funktion hinaus von den zuständigen Behörden in der Türkei wahrgenommen werden wird. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der BF deshalb als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteter Aktivitäten gilt oder der BF als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden würde.

Das erkennende Gericht verkennt ob der oben angeführten Judikatur zur exilpolitischen Tätigkeit und zur Exponiertheit von Personen nicht, dass das Urteil aus Deutschland aus dem Jahr 2008 stammt, aber ist in diesem Zusammenhang auf die aktuellen Länderinformationen zu den Kurden zu verweisen, als durch eine sehr weite Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus u. a. die Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der Kurdenfrage auseinandersetzen, zunehmend eingeschränkt wurden. Es geht gerade um Verfolgung bzw. Inhaftierung politisch exponierter Personen, wie eben Journalisten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, kurdischer Lokalpolitiker, gewählter Vertreter oder Gemeindevertreter. Strafverfahren wurden beispielsweise eingeleitet gegen zahlreiche Bürgermeister und die beiden Co-Vorsitzenden der HDP wegen ihrer Forderungen nach Autonomie und Selbstverwaltung in den Kurdengebieten. Dass der BF dem als exponiert geltenden Personenkreis angehört, geht erstens aus dem Sachverhalt nicht hervor und wurde vom BF auch nicht behauptet.

Hinzuweisen sei zudem darauf, dass den türkischen Stellen im Übrigen bekannt ist, dass die Aktivitäten vielfach in erster Linie der Förderung des Asylverfahrens dienen. Das Interesse des türkischen Staates gilt daher nicht der Masse der Teilnehmer und Mitläufer, sondern dem Personenkreis, der als Auslöser solcher Aktivitäten und als Organisator von derartigen Veranstaltungen, als Anstifter oder Aufwiegler, angesehen wird (vgl. wiederum VG Berlin, Urteil vom 15.07.2008 - 36X31.08 - asyl.net: M14329).

Schlussfolgernd ist nun nicht davon auszugehen, dass diese exilpolitischen Tätigkeiten allein für die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung (die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht - VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069) durch die türkischen Behörden im Falle einer Rückkehr des BF in die Türkei ausreichen und sind die Aktivitäten des BF nicht denen von Staatsangehörigen, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätigt sind, wie in den Länderfeststellungen erwähnt, gleichzuhalten. Aktuelle erhebliche exilpolitische Aktivitäten hat der BF nicht konkret und nachvollziehbar dargetan, geschweige denn belegt und sind auch nicht ersichtlich.

Hinzuweisen ist zudem, dass Maßnahmen des Staates, die nur der Ausforschung von gesuchten Personen dienen (Befragungen, Hausdurchsuchungen, kurzfristige Haft), ohne dass die Maßnahmen in Wahrheit auf die Verfolgung des Betroffenen aus asylrechtlich relevanten Gründen abzielen, kein Asylgrund sind (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0077).

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Personen die für die XXXX oder eine Vorfeldorganisation der XXXX tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als von der als terroristisch eingestuften XXXX geschaffene Organisationen, welche mit der XXXX hinsichtlich der Führungskader, der Organisationsstrukturen sowie der Strategie und Taktik verbunden sind. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen.

In diesem Zusammenhang ist aber anzuführen, dass der BF weder in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig war noch, dass er Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden kann und daher nicht Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen laufen wird. Darüber hinaus ist auf die aktuellen Länderberichte zu verweisen, als in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden ist, indem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt [sogar] auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist.

Unter Heranziehung des Sachverhalts und der offensichtlich missbräuchlichen Asylantragstellung - sowohl im Zusammenhang mit den Gründen für das Verlassen der Türkei als auch mit den vom BF behaupteten exilpolitischen Tätigkeiten - und daher nicht nachvollziehbaren Begründung des Antrages auf internationalen Schutz, ist daher davon auszugehen, dass das Vorbringen des BF nicht den Tatsachen entspricht und lediglich zur Begründung des Asylantrages und unter Umgehung der fremdenrechtlichen sowie niederlassungsrechtlichen Bestimmungen zur Erreichung - wenn nicht sogar zur absichtlichen Erschleichung - eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz frei konstruiert wurde und dass die vom BF vorgetragenen Aktivitäten die Gefährdungsschwelle nicht erreichen. Der BF erscheint derzeit - wenn überhaupt - als Teilnehmer und Mitläufer und nicht als Auslöser von exilpolitisch exponierten Aktivitäten oder als Organisator von derartigen Veranstaltungen oder als Anstifter oder Aufwiegler.

Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor.

Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigen bestanden hat.

In den vorliegenden Verfahren war keinem Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, weshalb eine Zuerkennung dieses Status im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht kommt.

Daher sind die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

II.3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in ihre Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für sie eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in der Türkei mit sich bringen würde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, mit weiteren Nachweisen). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236 mwN).

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016, mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung² (2012), 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases") wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23. August 2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. RNr. 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. RNr. 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (RNr. 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (RNr. 98).

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH vom 17. Februar 2009, C- 465/07, Elgafaji, und vom 30. Jänner 2014, C-285/12, Diakite).

Nach der dargestellten Rechtsprechung sowohl des EGMR als auch des EuGH ist von einem realen Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte einerseits oder von einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts andererseits auszugehen, wenn stichhaltige Gründe für eine derartige Gefährdung sprechen.

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

Nach der ständigen Judikatur des EGMR, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 5. September 2013, I. gg. Schweden, Nr. 61204/09). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden ist (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137). Unter Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Fremden (insbesondere zu seinen finanziellen Möglichkeiten und zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld) ist allenfalls weiter zu prüfen, ob ihm der Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich angesichts deren konkreter Kosten und der Erreichbarkeit ärztlicher Hilfsorganisationen möglich wäre (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137 unter Hinweis auf VwGH 17.12.2003, 2000/20/0208).

II.3.2.2. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Im gegenständlichen Fall ist es den Beschwerdeführern nicht gelungen die vorgebrachte individuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen und sie gehören auch keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil an, weshalb sich daraus auch kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.

Dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden sie somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in die Türkei die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059). Einerseits haben sie selbst nicht vorgebracht, dass ihnen dort jegliche Existenzgrundlage fehlen würde, sondern vielmehr angegeben, dass sie in der Türkei nach wie vor über eine Eigentumswohnung, ein Haus und mehrere Grundstücke verfügen, andererseits besteht nach dem festgestellten Sachverhalt auch kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", welche eine Rückkehr der Beschwerdeführer unzulässig machen könnten.

Die Beschwerdeführer stammen aus XXXX . Betreffend die Sicherheitslage ist mit Blick auf die individuelle Situation der Beschwerdeführer zunächst auf die Länderfeststellungen im gegenständlichen Erkenntnis zu verweisen. Diesen sind keinerlei sicherheitsrelevante Vorfälle die Herkunftsregion der Beschwerdeführer betreffend zu entnehmen. Zur Sicherheitslage im Südosten der Türkei ist auszuführen, dass dort die innenpolitischen Spannungen besonders groß sind, und es immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen kommt. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde jedoch am 18.7.2018 aufgehoben. Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und XXXX wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen. Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van. Die Provinz XXXX ist hingegen nicht vom hohen Sicherheitsrisiko betroffen. Im Rest des Landes, sohin auch in XXXX , gilt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2). Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert". Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren. Daraus ergibt sich, dass die allgemeine Sicherheitslage in XXXX jedenfalls nicht dergestalt ist, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Beschwerdeführer in besonderem Maße von den dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wären, wurden nicht glaubhaft vorgebracht (vgl. dazu VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

Es erscheint daher eine Rückkehr der Beschwerdeführer nach XXXX nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund ihrer individuellen Situation insgesamt auch zumutbar. Für die hier zu erstellende Gefahrenprognose ist zunächst zu berücksichtigen, dass es den Beschwerdeführern bis zu ihrer Ausreise möglich war, offenbar ohne größere Probleme in XXXX zu leben. Ihrem Vorbringen sind keine gravierenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit aus Sicherheitsgründen zu entnehmen. Mehrere Angehörige der Beschwerdeführer leben nach wie vor dort.

Beim BF1 handelt es sich zudem um einen arbeitsfähigen Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Auch bei der BF2 handelt es sich um eine arbeitsfähige Frau mit Berufserfahrung. Dem BF1 und der BF2 kann insbesondere die neuerliche selbstständige Erwerbstätigkeit in der Gastronomie zugemutet werden. Auch der inzwischen volljährige BF3 ist arbeitsfähig und verfügt über ausreichend Schulbildung, weshalb auch ihm die Teilnahme am Erwerbsleben in der Türkei zugemutet werden kann. Er kann zudem weiterhin, ebenso wie der BF4, auf die Unterstützung seiner Eltern zurückgreifen. Aus welchen Gründen die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nicht in der Lage sein sollten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ist daher nicht ersichtlich. Zudem verfügen sie über den kulturellen Hintergrund und türkische und kurdische Sprachkenntnisse. Es leben auch mehrere Verwandte der Beschwerdeführer in der Türkei, von welchen die Beschwerdeführer vorübergehend unterstützt werden können. Der BF1 verfügt zudem über eine Eigentumswohnung in XXXX und über ein Haus und Grundbesitz in seinem ehemaligen Heimatdorf. Es kann daher nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Rückkehrfall in die Türkei dort die notwendigste Lebensgrundlage entzogen und dadurch die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein werden, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden.

Keiner der Beschwerdeführer ist aktuell lebensbedrohlich erkrankt. Zwar leidet die BF2 an psychischen Erkrankungen, diese bestanden aber auch z.T. schon vor der Ausreise; gemäß den getroffenen Länderfeststellungen ist von einer ausreichenden Versorgung in der Türkei auszugehen. Weiters ist auch aufgrund dieser Erkrankung nicht von einer drastischen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes im Rückkehrfall auszugehen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Rückverbringung der Beschwerdeführer in die Türkei.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor. In den vorliegenden Verfahren war keinem Familienmitglied der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weshalb eine Zuerkennung dieses Status im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht kommt.

Daher sind die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

II.3.3. Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides):

II.3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die gegenständlichen, nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet gestellten Anträge auf internationalen Schutz sind abzuweisen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet (mehr) vor und fallen die Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstücks des FPG. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer ist auch nicht geduldet und es liegen keine Umstände vor, dass den Beschwerdeführern allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich auch nichts dargetan. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Türkei und somit keine begünstigten Drittstaatsangehörigen. Es kommt ihnen auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Daher war gegenständlich gemäß § 52 Abs. 2 FPG grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung vorgesehen.

II.3.3.2. Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung jedoch nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens käme.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Unter der Schwelle des § 50 FPG kommt den Verhältnissen im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens Bedeutung zu, sodass etwa "Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen" in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen sind (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 unter Hinweis auf VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Bei der Interessenabwägung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101) auch ein Vorbringen zu berücksichtigen, es werde eine durch die Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Fremden, insbesondere die deutliche Verschlimmerung psychischer Probleme, eintreten (vgl. VwGH 11.10.2005, 2002/21/0132; 28.03.2006, 2004/21/0191; zur gebotenen Bedachtnahme auf die durch eine Trennung von Familienangehörigen bewirkten gesundheitlichen Folgen VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093). Bei dieser Interessenabwägung ist unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG (Bindungen zum Heimatstaat) auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr dorthin Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 31.01.2013, 2012/23/0006).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte - im Inland befindliche - Familie betroffen, greift sie allenfalls lediglich in das Privatleben der Familienangehörigen und nicht auch in ihr Familienleben ein. Mit dieser Entscheidung wird gegen alle Beschwerdeführer (als Kernfamilie) eine Rückkehrentscheidung erlassen. In Österreich leben zwei Brüder der BF2. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093). Derartige Anhaltspunkte sind nicht vorgebracht worden und auch sonst nicht hervorgekommen. Die Rückkehrentscheidung stellt demnach keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls noch in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

II.3.3.3. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 unter Hinweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031).

Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0058 unter Hinweis auf VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0191, mwN).

Im vorliegenden Fall liegt eine derart "außergewöhnliche Konstellation" nicht vor:

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich seit ihrer illegalen Einreise im November 2016, somit seit ca. drei Jahren, beruht auf einem Antrag auf internationalen Schutz, der sich als nicht berechtigt erwiesen hat und ist auch noch zu kurz, um ihrem Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet ein relevantes Gewicht zu verleihen. Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird somit schon dadurch gemindert, dass sich die Beschwerdeführer nicht darauf verlassen konnten, ihr Leben auch nach Beendigung des Asylverfahrens in Österreich fortführen zu können, sich also im Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten.

Der BF1 hat mehrere Deutschkurse besucht und Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 absolviert. Er hat sich dementsprechend grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Eine besonders beachtliche sprachliche Integration lag angesichts seiner beinahe dreijährigen Aufenthaltsdauer jedoch nicht vor. Zwar ist zugunsten des BF1 zu gewichten, dass dieser hierorts mehrfach ehrenamtlich tätig wurde und sich dadurch durchaus positiv zu integrieren versuchte, allerdings galt es demgegenüber in Betracht zu ziehen, dass gegen ihn wegen des Verdachts auf Diebstahl gemäß § 127 StGB von der Kriminalpolizei ermittelt wurde. Dem entsprechenden Abschlussbericht des XXXX war zu entnehmen, dass sich der BF1 geständig verantwortete, im September 2018 aus dem Ausgabeschlitz eines Bankomaten EUR 200 entnommen zu haben, die zuvor vom Opfer dort zurückgelassen wurden und sich dadurch bereichert zu haben. Zu seinen Gunsten war in diesem Zusammenhang zwar zu bedenken, dass er sich geständig verantwortet hat und Schadenswiedergutmachung leistete. Jedoch relativierte er diese geständige Verantwortung, zumal er in der mündlichen Verhandlung zum entsprechenden Vorfall befragt zunächst angab, es habe keine Strafanzeige gegeben, es habe lediglich einmal Probleme mit dem Bankomaten gegeben, dies sei aber nicht sein Fehler gewesen. Er beharrte darauf, dass sein Handeln kein Diebstahl gewesen sei und führte weiter aus, sich entschuldigt zu haben, obwohl er sich keiner Schuld bewusst gewesen sei, was davon zeugt, dass sich der BF1 des Unrechtsgehalts seines Handelns nach wie vor nicht bewusst ist. Dies spricht jedenfalls gegen eine gelungene Integration des BF1. Außerdem bestreitet der BF1 seinen Lebensunterhalt seit der Asylantragstellung großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung und ist bislang sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit nur in geringfügigem Ausmaß nachgegangen. Die vorgelegte Einstellungszusage der Firma " XXXX " vermochte an dieser Beurteilung nichts zu ändern, zumal daraus weder eine konkrete Stellenbezeichnung noch die Wochenarbeitszeit, die Höhe eines allfälligen Einkommens oder sonstige konkretisierenden Angaben hervorgehen. Der als solchen bezeichneten Einstellungszusage kommt daher keine hier maßgebliche Bedeutung zu. Er verfügt zudem über normale soziale Kontakte im Bundesgebiet. Der BF1 engagiert sich auch in einem Verein, wobei zu bedenken galt, dass es sich dabei um einen kurdischen Verein handelt, was gegen die Annahme spricht, dass die dortige Mitgliedschaft einer besonderen Integration in die österreichische Gesellschaft dienlich ist. Allfällige Umstände, dass ein Fremder einen großen Freundes- und Bekanntenkreis hat und er der deutschen Sprache mächtig ist, könnten überdies seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht maßgeblich verstärken (vgl. VwGH 26.11.2009, 2007/18/0311; 29.6.2010, 2010/18/0226).

Die BF2 hat mehrere Deutschkurse und Basisbildungskurse besucht und letztere auch absolviert. Die Absolvierung einer deutschen Sprachprüfung hat sie nicht nachgewiesen. Sie verfügt über kaum Deutschkenntnisse, was angesichts der regen Teilnahme an Spracherwerbsmaßnahmen überrascht und jedenfalls angesichts des beinahe dreijährigen Aufenthalts gegen eine gelungene Integration spricht. Auch sie ist mehrfach ehrenamtlich tätig, ging jedoch ebenfalls bislang sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nur in geringfügigem Ausmaß nach und bestreitet ihren Lebensunterhalt großteils im Rahmen der staatlichen Grundversorgung. Zur vorgelegten Einstellungszusage siehe schon die obigen Ausführungen hinsichtlich des BF1. Andere Integrationsmerkmale waren nicht ersichtlich. Angesichts dessen kann auch hinsichtlich der BF2 nicht von einer außergewöhnlichen Integration in sprachlicher, gesellschaftlicher oder beruflicher Hinsicht gesprochen werden.

Der BF3 besucht aktuell eine HTL in XXXX . Mangels Vorlage entsprechender Nachweise konnte sein Lernerfolg dort nicht festgestellt werden. Er hat während seines beinahe dreijährigen Aufenthalts erst einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht und bislang keine Deutschprüfung absolviert. Seine deutschen Sprachkenntnisse sind daher marginal. Er hat hierorts an einem sechsstündigen Erste-Hilfe-Kurs teilgenommen. In seiner Freizeit spielt er mit österreichischen und kurdischen Freunden Fußball oder besucht ein Fitnessstudio. Er ist kein Mitglied in einem Verein, ist nicht erwerbstätig und hat bislang keine gemeinnützige Arbeit verrichtet. Eine besondere Integration des BF3 ist vor diesem Hintergrund nicht festzustellen.

Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 6.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen Beschwerdeführern der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua.).

Der zwölfjährige BF4 besucht in Österreich die NMS. Er ist in der Türkei geboren und bis zur Ausreise im November 2016 - sohin im Alter von neun Jahren - im Familienverbund mit den Eltern und seinem Bruder aufgewachsen, weshalb davon auszugehen ist, dass er mit den kulturellen Gegebenheiten seines Heimatlandes und seiner Muttersprache vertraut ist. Er überschreitet nur sehr knapp die Grenze des sogenannten anpassungsfähigen Alters, das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen wird (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.), so dass ihm die Anpassung an jene Lebensverhältnisse, in denen er vor seiner Ausreise mehr als neun Jahre lang gelebt hat, bei einer Rückkehr im Verbund mit seinen Eltern und auch angesichts der in der Türkei noch lebenden weiteren Verwandten zumutbar ist.

Es besteht angesichts dieser Ausführungen bei keinem der Beschwerdeführer eine derartige Verdichtung ihrer persönlichen Interessen, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden kann und ihnen schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste. Zudem sei auf die hg. Judikatur hingewiesen, wonach selbst die - hier bei weitem nicht vorhandenen - Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH, 06.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.01.1999, 98/18/0420).

Insbesondere vor dem Hintergrund der erst relativ kurzen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer im Bundesgebiet und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet im Rahmen der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes unterstützt werden, sowie, dass der BF1 bereits ins Auge der Strafjustiz fiel, kann von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung der Beschwerdeführer in die österreichische Gesellschaft nicht ausgegangen werden. Hingegen haben sämtliche Beschwerdeführer den Großteil ihres bisherigen Lebens in der Türkei verbracht, sind dort aufgewachsen, und haben (mit Ausnahme des BF4) dort ihre Ausbildung absolviert. Alle Beschwerdeführer haben dort ihre Sozialisation erfahren. Sie sprechen türkisch und kurdisch. Auch ist davon auszugehen, dass sie dorthin anhaltende Bindungen haben, zumal dort noch mehrere Verwandte leben. Daher ist im Vergleich von einer deutlich stärkeren Bindung der Beschwerdeführer zur Türkei auszugehen.

Die Beschwerdeführer vermochten zum Entscheidungszeitpunkt daher keine entscheidungserheblichen integrativen Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet darzutun, welche zu einem Überwiegen der privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat führen könnten.

Aufgrund der genannten Umstände überwiegen in einer Gesamtabwägung derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet. Insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens wiegt in diesem Fall schwerer als die privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet. Durch die angeordnete Rückkehrentscheidung liegt eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Zusammenfassend sprechen folgende Aspekte für eine bestehende Integration und ein schützenswertes Familien- bzw. Privatleben der Beschwerdeführer: Aufenthaltsdauer, gemeinnützige Tätigkeit; Besuch von Deutschkursen; Absolvierung von Deutschprüfungen durch den BF1.

Unter Abwägung der Interessen und in wertender Gesamtschau überwiegen allerdings folgende öffentlichen Interessen, die gegen einen Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich sprechen:

illegale Einreise; unsicherer Aufenthalt; auf Asylrecht gegründeter Aufenthalt, der sich auf nicht glaubhaftes Vorbringen stützte; mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache; gesetzwidriges Handeln des BF1.

Es ist daher davon auszugehen, dass die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie an einem geordneten Zuwanderungswesen im vorliegenden Fall schwerer wiegen als die familiären und privaten Interessen der Beschwerdeführer. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK daher nicht geboten, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

II.3.3.4. Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Gemäß § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer ist im gegenständlichen Fall gegeben, da nach den die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

II.3.3.5. Die zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung stützte das BFA rechtskonform auf § 55 Abs. 2. erster Satz FPG. Von den Beschwerdeführern wurden keine besonderen Umstände vorgebracht, die eine längere Frist erforderlich machen würden.

Daher sind die Beschwerden gegen Spruchpunkte III. bis VI. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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