Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
AsylG 1997 §7;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriftenaufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Faryab, reiste am 13. Februar 2012 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu brachte er begründend vor, dass er Afghanistan aus Angst vor seinem Bruder und der afghanischen Polizei verlassen habe. Sein Bruder habe seine Cousine väterlicherseits heiraten wollen, dafür habe deren Vater eine "horrende" Geldsumme (700.000 Afghanis) sowie die Abtretung von Erbteilen vom Vater des Revisionswerbers verlangt. Dieser habe sich geweigert, der Forderung nachzukommen, worauf es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem Bruder und dem Vater des Revisionswerbers gekommen sei. Der Revisionswerber habe Partei für seinen Vater ergriffen und im Zuge des Streites seinem Bruder einen Zahn ausgeschlagen. In weiterer Folge habe sich der Bruder den Taliban angeschlossen und geschworen sich am Revisionswerber zu rächen. Daraufhin habe der Revisionswerber aus Angst vor seinem Bruder seinen Heimatort Faryab verlassen und sei nach Mazar-e-Sharif zu seinem Onkel mütterlicherseits gezogen. Nach ungefähr einem Jahr sei der Revisionswerber wieder in seine Heimatprovinz zurückgekehrt und bald danach von der Polizei festgenommen worden, weil sie die Adresse des Bruders habe erfahren wollen. Erst als die Polizei gedroht habe, ihn ins Gefängnis in Kabul zu verlegen, habe der Revisionswerber eine erfundene Adresse bekannt gegeben und sich mit einer weiteren Kooperation bei der Suche nach seinem Bruder einverstanden erklärt. Daraufhin habe ihn die Polizei nach zweitägiger Anhaltung entlassen. Im Anschluss daran sei der Revisionswerber erneut nach Mazar-e-Sharif zurückgekehrt, wo er von seinem Onkel darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass sein Bruder sich telefonisch nach ihm erkundigt und ihn mit dem Umbringen bedroht habe. Aus diesem Anlass und auf Anraten des Onkels habe sich der Revisionswerber endgültig entschlossen, sein Heimatland zu verlassen.
Mit Bescheid vom 12. November 2012 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) (Spruchpunkt I.), sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde der Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III).
Das Bundesasylamt erachtete das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft. Begründend führte es dazu im Wesentlichen aus, dass sich der Revisionswerber in seinen Aussagen bei den Vernehmungen und der Erstbefragung widersprochen habe. Es setzte sich in seiner Beweiswürdigung damit auseinander, dass der Revisionswerber bei der Erstbefragung lediglich von einer Verfolgung durch die Taliban und die Regierung gesprochen habe und später das Vorbringen auf die Verfolgung durch seinen Bruder erweitert habe. Der Hinweis des Revisionswerbers bei der Erstbefragung, wonach der Bruder des Revisionswerbers den Anschluss des Revisionswerbers zu den Taliban gewollt hätte, fände sich in den Angaben vor der Behörde nicht wieder. Es sei nicht plausibel, ein Jahr lang unbehelligt beim Onkel leben zu können, wenn der Bruder Rache geschworen hätte. Ebenso wenig nachvollziehbar sei, dass der Revisionswerber vor seiner Ausreise noch einmal seinen Heimatort besuche und sich auf diese Art dem Risiko, dort von seinem Bruder angetroffen zu werden, aussetze. Darüber hinaus sei der Revisionswerber nicht in der Lage gewesen, den chronologischen Ablauf der Geschehnisse betreffend die Dauer des Aufenthaltes in Faryab vor der Ausreise gleichbleibend wiederzugeben. Einmal habe er angegeben, wenige Tage nach seiner Ankunft für zwei Tage von der Polizei angehalten worden zu sein und sich weitere zwei Tage später nach Mazar-e-Sharif begeben zu haben. Ein anderes Mal habe er gesagt, für etwa sieben bis acht Tage nach Faryab zurückgekehrt zu sein. Der Zeitpunkt des Streites mit seinem Bruder wird dort ohne abweichende Angaben des Revisionswerbers dargestellt. Dem Vorbringen komme - so die weiteren Ausführungen der Behörde in der rechtlichen Beurteilung - selbst bei Wahrunterstellung keine Asylrelevanz zu. Es handle sich vielmehr um eine private Auseinandersetzung, die kriminell motiviert sei.
Im Übrigen wurde dem Revisionswerber auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weil der Revisionswerber ein arbeitsfähiger, junger Mann sei, der auch bei einer Rückkehr nach Kabul mit der Unterstützung seiner Angehörigen rechnen könne. Trotz der insgesamt prekären Sicherheitslage in Afghanistan sei aufgrund des Umstandes, dass die Sicherheitslage der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedlich sei, eine Rückkehr nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Revisionswerbers auch zumutbar. Es sei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sei, die dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten würde.
Dagegen erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 20. November 2012 Beschwerde, in der er auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Er machte unter anderem geltend, dass die Feststellungen des Bundesasylamtes, er werde bloß von privater Seite verfolgt, haltlos seien, weil er sehr wohl auch von den afghanischen Sicherheitsbehörden Verfolgung zu befürchten habe, zumal diese den Aufenthaltsort seines Bruders wissen wollten. Des Weiteren wurde in der Beschwerde versucht, die vom Bundesasylamt herangezogenen Widersprüche zu entkräften, indem vorgebracht wurde, dass niemand in seinem Herkunftsort von seinem Aufenthalt in Mazar-e-Sharif gewusst habe, weshalb er dort nicht behelligt worden sei. Dem von der Behörde unterstellten Risiko, vom Bruder bei der Rückkehr nach Faryab angetroffen zu werden, hielt der Revisionswerber entgegen, dass auch davon niemand gewusst habe und ihn die Polizei dort nur zufällig gesehen habe. Zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zitierte der Revisionswerber aktuelle Berichte zur Sicherheitslage in Faryab und Kabul sowie zur allgemeinen prekären Situation in Afghanistan.
Das beim Asylgerichtshof anhängige Verfahren wurde ab 1. Jänner 2014 gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I). Gleichzeitig verwies es das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück (Spruchpunkt II). Ferner erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei die persönliche Glaubwürdigkeit deswegen abzusprechen, weil das konkrete Fluchtvorbringen zahlreiche, vom Bundesasylamt im Kernbereich auch aufgezeigte Widersprüche enthalte. Darüber hinaus lastete das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber unterschiedliche Angaben über den Zeitpunkt des Streites mit seinem Bruder, wann er nach Mazar-e-Sharif gezogen sei, und von welchem Ort aus er die Flucht angetreten habe, an. Zusätzlich stützte das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers auch noch auf die mangelnde Plausibilität des von ihm dargestellten Umstandes, dass die Polizei zur Ausforschung des Bruders den seit einem Jahr abwesenden Revisionswerber inhaftiere und die dauernd in der Heimatgemeinde Faryab aufhältige restliche Familie unbehelligt lasse.
Selbst bei Wahrunterstellung sei keine gegen die Person des Revisionswerbers gerichtete Verfolgungsgefahr aus asylrelevanten Gründen ersichtlich. Die Streitigkeiten mit dem Bruder seien lediglich aus kriminellen Motiven erfolgt. Ebenso scheide die Annahme einer sozialen Gruppe aus. Der Revisionswerber sei von seinem Bruder nicht stellvertretend für die soziale Gruppe der Familie verfolgt worden. Bezugnehmend auf die Verfolgung durch die afghanischen Sicherheitsbehörden wurde ausgeführt, dass die Festnahme nicht aus GFK-Gründen erfolgt sei, sondern weil die Polizei den Revisionswerber im Umfeld der Taliban sehe. Selbst bei einer aktuellen Verfolgung sei es dem Revisionswerber möglich, sich in anderen Landesteilen Afghanistans gefahrlos niederzulassen.
Zum subsidiären Schutz führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass im Falle einer Rückkehr des Revisionswerbers nicht angenommen werden könne, dass er einer existentiellen Gefährdung oder einer sonstigen Bedrohung ausgesetzt sei, sodass eine Abschiebung seine Rechte gemäß Art. 2 und Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht verletzen würde. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr sei nicht ersichtlich, auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte. Dem Revisionswerber sei unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation (gesunder, junger Mann mit einfacher Schulausbildung und mit sozialem Netz durch seine Familienangehörigen in Afghanistan, sowie Berufserfahrung als Bäcker), eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Mazar-e-Sharif, wo er bereits bei seinem Onkel gelebt habe, zumutbar. Des Weiteren gebe es auch keine entsprechenden Hinweise darauf, dass eine existenzielle Bedrohung des Revisionswerbers im Hinblick auf seine Versorgung und Sicherheit in Afghanistan gegeben sei. Bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens könne der Revisionswerber allfälligen Übergriffen oder Bedrohungen seitens seines Bruders oder auch seitens der örtlichen Polizei von Faryab durch Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Landesteil Afghanistans entgehen. Das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht geeignet, ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es weder mit seiner Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung abweiche noch es an einer Rechtsprechung fehle. Des Weiteren sei die vorliegende Rechtsprechung auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision des Revisionswerbers. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht nahm - ebenso wie die zuständige Bundesministerin - von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand und beantragte, die außerordentliche Revision abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision u. a. geltend, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil trotz Behauptung eines entgegenstehenden relevanten Sachverhaltes in der Beschwerde das Bundesverwaltungsgericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe und Länderberichte aus der Zeit nach der Erhebung der Beschwerde der Entscheidung zu Grunde gelegt worden seien. Für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative fehlten Feststellungen über seinen letzten Aufenthaltsort Mazar-e-Sharif und über die im Falle eines Ortswechsels zu erwartende konkrete Lage des Revisionswerbers.
Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.
Das Bundesverwaltungsgericht stützte die abweisende Entscheidung betreffend die Zuerkennung des Status als Asylberechtigten im Wesentlichen auf die Unglaubwürdigkeit der Ausführungen des Revisionswerbers, insbesonders erachtete es seine Angaben über die Verfolgung durch seinen Bruder und durch die Polizei als nicht den Tatsachen entsprechend. Dem Revisionswerber stehe - so die weitere Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes - eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, weil er in anderen Landesteilen Afghanistans gefahrlos leben könne. Die Angriffe seines Bruders seien aus rein kriminellen Motiven erfolgt und die Ermittlungen der Polizei seien Ausfluss ihrer legitimen Aufgabe, Straftaten aufzuklären.
Nach der hg. Rechtsprechung sind Maßnahmen des Staates, die nur der Ausforschung von gesuchten Personen dienen (Befragungen, Hausdurchsuchungen, kurzfristige Haft), ohne dass die Maßnahmen in Wahrheit auf die Verfolgung des Betroffenen aus asylrechtlich relevanten Gründen abzielen, kein Asylgrund (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, 99/20/0597). Allerdings sagte der Revisionswerber - wie sich aus den vorgelegten Akten ergibt - bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt aus, die Polizei habe ihn verdächtigt, mit seinem Bruder zusammen bei den Taliban zu sein, wie sie dies überhaupt der ganzen Familie vorgeworfen habe. Damit kann die Verfolgung des Revisionswerbers durch afghanische Behörden wegen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung nicht a priori ausgeschlossen werden und es kommt auf die Frage an, ob die Negativfeststellung im angefochtenen Erkenntnis über die Bedrohung des Revisionswerbers durch den Staat oder die Regierung tragfähig ist, und ob das Bundesverwaltungsgericht die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen hatte.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung Abstand, dass es den Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt ansah und von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwartete.
Der § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, (samt Überschrift) lautet:
"Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."
§ 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl I Nr. 144/2013, (samt Überschrift) lautet:
"Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
§ 21. ...
(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG."
In seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, legte der Verwaltungsgerichtshof mit ausführlicher Begründung - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - dar, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
In seinen beweiswürdigenden Überlegungen schloss sich das Bundesverwaltungsgericht zwar zunächst dem Bundesasylamt an und fügte dann aber - zur Untermauerung der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers - vier neue Argumente hinzu. Im Wesentlichen betreffen die zusätzlich vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Widersprüche den chronologischen Ablauf des Fluchtvorbringens, die in der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht zu erkennen sind. Darüber hinaus erweiterte das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung um eine Abweichung der Ortsangabe des Revisionswerbers über den Ausgangspunkt der Flucht sowie um ein zusätzliches Plausibilitätskriterium. Damit ging das Bundesverwaltungsgericht wesentlich über die erstinstanzliche Beweiswürdigung hinaus und ergänzte die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes um weitere Aspekte. Auf diese Weise nahm das Bundesverwaltungsgericht eine zusätzliche Beweiswürdigung und nicht bloß eine unwesentliche Ergänzung derselben vor. Diese hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2015, Ra 2014/19/0050 bis 0055). Ein Absehen von der mündlichen Verhandlung aus dem Grund des § 21 Abs. 7 BFA-VG war daher nicht gerechtfertigt.
Das Bundesverwaltungsgericht begründete schließlich die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz auch damit, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe, indem er sich in anderen Landesteilen Afghanistans niederlassen und gefahrlos leben könne; insbesonders sei er in Mazar-e-Sharif niemals von der Polizei behelligt worden.
Das greift vor dem Hintergrund der behaupteten Verfolgung durch die Polizei zu kurz, wurde doch vom Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass der Revisionswerber nunmehr nach der Inhaftierung durch die Polizei von dieser in Mazar-e-Sharif nicht mehr verfolgt werde.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Damit fällt aber auch die Grundlage für die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie für die von ihm ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung nach § 75 Abs. 20 AsylG 2005 weg.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und Z 6 VwGG abgesehen werden. Eine solche wird nach dem Gesagten vom Bundesverwaltungsgericht durchzuführen sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. April 2015
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