BVwG W254 2132902-1

BVwGW254 2132902-125.3.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W254.2132902.1.00

 

Spruch:

W254 2132904-1/17E

 

W254 2132901-1/11E

 

W254 2132902-1/43E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX und 3) XXXX geboren am

XXXX , alle StA. Somalia vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich und ARGE Rechtsberatung gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1) vom 28.07.2016, Zl. XXXX ,

2) vom 28.07.2016, Zl. XXXX und 3) vom 28.07.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

I. Den Beschwerden von XXXX und XXXX wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

 

Es wird festgestellt, dass XXXX und XXXX daher kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

II. Die Beschwerde des XXXX wird gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs 2 Z 2 FPG, § 52 Abs 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides zu lauten hat "Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Ihrer Enthaftung".

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang:

 

Die Beschwerdeführer (BF) stellten im österreichischen Bundesgebiet am 23.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 21.03.2016 wurden die BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab XXXX (BF2) in der Erstbefragung an, dass ihr erster Ehemann und ihr Vater ermordet worden wären. In der niederschriftlichen Einvernahme gab die BF2 an, dass ihr Vater und ihr Bruder erschossen wurden, ihre Mutter psychisch krank sei und sie selbst auch Angst hatte, getötet zu werden. Eine nähere Befragung zu diesem Vorbringen erfolgte nicht. XXXX (BF1) gab in der Erstbefragung an, in Saudi-Arabien aufgewachsen zu sein und dass er aufgrund seiner Volksgruppe bedroht werde und sein Bruder und sein Onkel in Somalia getötet worden wären. In der niederschriftlichen Einvernahme gab der BF1 an, mit zwei Jahren nach Saudi-Arabien gegangen zu sein, mit 20 Jahren von dort nach Somalia abgeschoben worden zu sein. Nach drei Tagen Aufenthalt in Somalia wären sein Bruder und sein Onkel getötet worden. Er habe nur eine Woche in Mogadischu verbracht.

 

1.1 Mit den angefochtenen Bescheiden wies das Bundesamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF2 ihre Fluchtgründe nicht glaubhaft habe machen können. Das BFA stütze dies vor allem darauf, dass die Aussagen in der Erstbefragung und in der niederschriftlichen Einvernahme divergiert hätten und dass die beiden Töchter der BF2 bei der Tante in Kismayo leben könnten. Auch das Fluchtvorbringen des BF1 wurde als unglaubwürdig gewertet, da dieser den Sachverhalt vage schilderte.

 

Die BF erhoben gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerde durch den VMÖ. Am 23.1.2018 wurde eine Beschwerdeergänzung für die BF2 und BF3 durch die Diakonie eingebracht.

 

Der BF1 wurde insgesamt dreimal rechtskräftig vom LG Leoben wegen § 27 SMG (Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) und § 28a SMG (Suchtgifthandel) verurteilt.

 

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12.01.2018, zuletzt am 03.05.2018 aktualisiert (Beilage I), Focus Somalia, Clans und Minderheiten des Schweizer Staatssekretariats für Migration SEM vom 31.05.2017 (Beilage II), der Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia von August 2017 (Beilage III) und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt und Versorgungslage in Mogadischu vom 11. Mai 2018 (Beilage IV) zum Parteiengehör übermittelt.

 

1.2 Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 29.11.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und im Beisein der Rechtsvertretungen der BF eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Darin wurden die BF getrennt ausführlich zu ihren Fluchtgründen, den persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und der aktuellen Situation in Österreich befragt.

 

Die erkennende Richterin brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung die letzte Kurzinformation des LIB vom 17.9.2018 (Beilage V), einen Bericht über Genitalverstümmelung, Weibliche Genitalverstümmelung FGM Information für Ärzte, Ärztinnen und Hebammen, (Beilage VI) und einen Bericht des Home Office Country Information Somalia: Women fearing gender-based harm and violence (Beilage VII) ein, welche zum Akt genommen wurden. Den BF wurde eine Stellungnahmefrist von 4 Wochen eingeräumt.

 

Bezüglich BF2 wurde eine Bestätigung der Diakonie als Beilage A und medizinische Unterlagen betreffend Lebererkrankungen und dem Verdacht auf rezidivierende Gallenkoliken als Konvolut als Beilage B vorgelegt, die zum Akt genommen wurden.

 

1.3 Am 21.12.2018 langte eine Stellungnahme des BF1 zu den in der Verhandlung thematisierten Länderberichten am Bundesverwaltungsgericht ein.

 

Am 4.1.2019 lange die Meldung über eine Anzeigenerstattung betreffend den BF1 aufgrund von § 28 SMG ein.

 

1.4 Zu den im Zuge der Verhandlungseinladung übermittelten sowie den in der Verhandlung eingebrachten Länderberichten erstatteten BF2 und BF3 am 11.1.2019 eine Stellungnahme, in welcher vor allem auf die Gefahr der Al Shabaab Rekrutierung von Frauen, RückkehrerInnen und der Gefahr der (nochmaligen) Beschneidung eingegangen wurde.

 

1.5 Mit Verfahrensanordnung vom BFA vom 11.2.2019 wurde dem BF1 mitgeteilt, dass er gemäß § 13 (2) Z 1 AsylG 2005 sein Aufenthaltsrecht aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung ab dem 2.6.2017 verloren hat.

 

1.6 Am 13.2. wurden die Anhänge zur Stellungnahme des BF1 vom 21.12.2018 nachgereicht:

 

* Empfehlungsschreiben Mag. XXXX ,

 

* Bescheid vom AMS, in welchem der Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit eines Hilfsarbeiters abgewiesen wurde

 

* Therapiebestätigung betreffend Drogensucht

 

* Konvolut an Arztbefunden aus den Jahren 2017 und 2018 aus denen hervorgeht, dass BF3 an Akne inversa axillär links leidet. Aus der vorgelegten Ambulanzkarte vom 11.6.2018 ergibt sich, dass eine Nekrektomie und Defektdeckung mit lokalen Lappen axillär links nach Abklingen der Entzündung indiziert ist. Aus dem Befund des LKH Graz ergibt sich, dass der BF3 mehrere Fisteln (akne inversa) im Bereich der linken Achsel hat.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

 

 

 

 

 

 

1.1 Zu den Beschwerdeführern und ihren Fluchtgründen:

 

1.1.1 Zur Person der BF2 und zu ihren Fluchtgründen:

 

Die BF2 ist somalische Staatsangehörige. Sie gehört dem Sheikhal Clan an, sie ist in Mogadischu geboren und aufgewachsen. Sie hat zwei Töchter von ihrem ersten Mann, die zuletzt mit der Tante in Kismayo, Somalia lebten und einen Sohn, den BF3. Sie ist Analphabetin; ihre Eltern sind für ihren Lebensunterhalt in Somalia aufgekommen. BF2 hat gesundheitliche Probleme mit Verdacht auf rezidivierenden Gallenkoliken.

 

BF2 wurde von ihrem ersten Ehemann, der Alkoholiker war, systematisch geschlagen, weshalb sie ihn verlassen hat. Daraufhin hat ihr dieser Mann gedroht, sie zu töten, wenn sie einmal alleine ist. Ihr droht nach wie vor Gewalt durch ihren Mann bei einer Rückkehr nach Mogadischu. Ihr Vater und ihr Bruder sind verstorben. Ihre Mutter ist psychisch krank. Ihre Töchter leben bei einer Tante in Kismayo. BF2 hat derzeit keinen Kontakt zu ihren Töchtern und Tante. Ansonsten hat sie keine familiären Kontakte in Somalia. Der Vater von BF3 verbüßt derzeit seine Strafhaft. Er würde BF2 bei einer Rückkehr nach Somalia nicht begleiten. Sie hat in Somalia keinen männlichen Schutz.

 

Die bei der BF2 durchgeführte Genitalverstümmelung wurde für die Geburt des BF3 zum Teil wieder geöffnet. Bei der Rückkehr nach Somalia droht der BF1 keine Gefahr gegen ihren Willen reinfibuliert zu werden.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 oder ihre Familie von der Al Shabaab bedroht wurde.

 

Als alleinstehende Frau mit einem minderjährigen Kind besteht für sie ein hohes Risiko in ein IDP Lager zu kommen und dort Opfer (auch) geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

 

1.1.2 Zu BF3:

 

BF3 ist somalischer Staatsangehöriger und der Sohn von BF1 und BF2. BF3 ist in Griechenland aufgrund von Komplikationen einige Zeit vor dem errechneten Geburtstermin per Kaiserschnitt geboren worden. Für ihn wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Er hatte bevor sein Vater in Haft genommen wurde ein enges Verhältnis zu BF1. BF1, BF2 und BF3 wohnten vor Antritt der Strafhaft des BF1 in einem gemeinsamen Haushalt.

 

1.1.3 Zur Person des BF1, zu seinen Fluchtgründen und zu seinem Privatleben in Österreich:

 

BF1 ist somalischer Staatsangehöriger und gehört dem Jareer Clan - eine Minderheit in Somalia - an. BF1 wurde in Mogadischu geboren, ist jedoch in Jeddah, Saudi-Arabien aufgewachsen. Er hat nur im Kleinkindalter in Somalia gelebt. BF1 hat in Mogadischu entfernte Verwandte. Der BF1 kehrte im Jahr 2005 für eine Woche nach Somalia zurück und wohnte in dieser Woche bei seinen entfernten Verwandten.

 

Der von ihm dargestellte Fluchtgrund konnte nicht festgestellt werden. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Somalia keine Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt durch Angehörige eines höheren Clans oder anderen Akteuren.

 

Der BF1 hat BF2 traditionell in Griechenland geheiratet. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, BF3. Vom Tag seiner Antragstellung am 23.10.2014 bis zum 2.6.2017 hatte BF1 eine vorübergehende Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG, war daher weniger als drei Jahre rechtmäßig in Österreich aufhältig.

 

BF1 hat zwar keinen Deutschkurs besucht, spricht aber gut Deutsch und ist in der Lage, die in der Verhandlung gestellten Fragen zu seiner Integration, auf Deutsch zu beantworten.

 

Er arbeitet im Gefängnis als Tischler. Er hat gelegentlich gemeinnützige Tätigkeiten in Judenburg im Asylheim erbracht. Er hat vor seiner Haft Bemühungen gezeigt, eine Erwerbstätigkeit auszuführen.

 

BF2 und BF3 sind die familiären Anknüpfungspunkte des BF1 in Österreich. BF1 hatte bevor er seine Strafhaft antrat, ein sehr enges Verhältnis zu BF3 und war maßgeblich an seiner Erziehung beteiligt. Der Bruder von BF1 lebt in den Niederlanden.

 

BF1 wurde vom LG Leoben dreimal strafgerichtlich aufgrund von Suchtmitteldelikten verurteilt. Er wurde zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt und befindet sich seit dem 13.10.2017 Haft. Der Entlassungszeitpunkt ist mit dem 31.8.2020 festgesetzt (OZ 23). Er nimmt an einer einmal wöchentlich stattfindenden Gruppentherapie aufgrund seiner Marihuana Sucht teil.

 

1.1.3.1 Zu einer möglichen Rückkehr des BF1 in den Herkunftsstaat:

 

BF1 nimmt aufgrund von Hautkrankheiten (akne inversa) Medikamente und muss deshalb regelmäßig zum Arzt, um seinen Verband zu wechseln.

 

BF1 spricht Arabisch, Somalisch, Englisch und ein bisschen Deutsch, Griechisch und Türkisch. Er hat von seinem Vater den Tischlerberuf gelernt.

 

Er kann im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu auf Unterstützung durch seine entfernten Verwandten zurückgreifen und im Notfall auch mit finanzieller Unterstützung durch seinen Bruder rechnen. Der BF1 ist mit den Gegebenheiten in Mogadischu nicht vertraut.

 

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Mogadischu kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der Beschwerdeführer kann dort auch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann vorübergehend bei seinen entfernten Verwandten wohnen und von diesen - insbesondere bei der Arbeitssuche und der medizinischen Versorgung - unterstützt werden und dann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

 

Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Mogadischu wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

1.2 Zur Lage in Somalia:

 

1.2.1 Aus dem LIB Somalia vom 12.1.2018, mit letzter KI vom 17.9.2018:

 

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

KI vom 17.9.2018: Positiver Trend bei Versorgungslage (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

 

Nach den überdurchschnittlichen Gu-Regenfällen 2018 wird die Getreideernte die größten Erträge seit 2010 einbringen. Die Lage bei der Nahrungsversorgung hat sich weiter verbessert (UN OCHA 11.9.2018; vgl. UN OCHA 5.9.2018), dies gilt auch für Einkommensmöglichkeiten und Marktbedingungen (FSNAU 1.9.2018). Die Preise für unterschiedliche Grundnahrungsmittel haben sich in Mogadischu gegenüber dem Vorjahr drastisch verbilligt und liegen nunmehr unter dem Fünfjahresmittel. Dies betrifft namentlich Bohnen (cowpea), rotes Sorghum und Mais (FEWS NET 31.8.2018). Insgesamt hat sich die Ernährungssituation verbessert, auch wenn es im ganzen Land noch eine hohe Rate an Unterernährung gibt - speziell unter IDPs (UN OCHA 11.9.2018). Die Dürre ist zwar offiziell vorbei, es braucht aber mehr als eine gute Regenzeit, bevor sich die Menschen davon erholen (UN OCHA 2.9.2018). Vor allem vom Verlust ihres Viehs, von Überschwemmungen (im April/Mai 2018, Juba- und Shabelle-Täler) und vom Zyklon Sagar (Mai 2018, Nordsomalia) betroffene Gemeinden werden noch längere Zeit für eine Rehabilitation brauchen. Zwischen Februar und Juli 2018 konnten humanitäre Organisationen 1,9 Millionen Menschen pro Monat erreichen (UN OCHA 5.9.2018).

 

Die Stufe für akute Unterernährung hat sich verbessert. Die Zahl von an schwerer akuter Unterernährung Betroffenen ist nur bei zwei Gruppen kritisch: Bei den IDPs in Mogadischu und in der Guban Pastoral Livelihood in West-Somaliland (UN OCHA 5.9.2018). Allerdings werden auch noch andere Teile oder Gruppen Somalias als Hotspots genannt, wo Interventionen als dringend erachtet werden.

Dies sind im ländlichen Raum: Northern Inland Pastoral of Northeast (Teile von Sanaag, Sool und Bari); Hawd Pastoral of Northeast (Teile von Togdheer, Sool und Nugaal); Northwest Guban Pastoral (Teile von Awdal); der Bezirk Belet Weyne (Shabelle-Tal und agro-pastorale Teile); Agro-pastorale Teile und das Juba-Tal in Gedo; die Bezirke Mataban, Jalalaqsi und Buulo Burte in Hiiraan; Teile des Juba-Tals in Middle Juba. An Gruppen sind es die IDPs in Bossaso, Garoowe, Galkacyo, Qardho, Mogadischu, Baidoa, Kismayo und Doolow (FSNAU 1.9.2018). Überhaupt bleiben IDPs die am meisten vulnerable Gruppe (UN OCHA 11.9.2018).

 

In Nordsomalia werden aus einigen Gebieten immer noch Wasser- und Weidemangel berichtet, da die Gu-Regenzeit dort auch im Jahr 2018 nicht ertragreich ausgefallen ist. Es handelt sich um Teile der Regionen Bari und Nugaal (Puntland) sowie von Sool und Sanaag (Somaliland). Dort findet die Wasserversorgung teils immer noch mit Tanklastwagen statt, rund 48.000 Haushalte sind betroffen. Humanitäre Organisationen wie ACTED sind dort aktiv und konnten für über 31.000 Haushalte samt Vieh die Wasserversorgung wiederherstellen (ACTED 12.9.2018).

 

Die Prognose für den Zeitraum August-Dezember 2018 in IPC-Stufen stellt sich wie folgt dar:

 

(FSNAU 1.9.2018)

 

Insgesamt sind ca. 4,6 Millionen Menschen weiter auf Unterstützung angewiesen, im Februar 2018 waren es noch 5,4 Millionen gewesen (UN OCHA 11.9.2018). Von den 4,6 Millionen befinden sich ca. 1,4 Millionen auf IPC-Stufe 3 (IPC = Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung), weitere ca. 170.000 auf IPC-Stufe 4 (FSNAU 1.9.2018). Darunter scheinen sich viele Kinder zu finden. Ca. 240.000 Kinder gelten als akut unterernährt, weiter 55.000 als schwer unterernährt (UN OCHA 2.9.2018).

 

Für die Deyr-Regenzeit 2018 (Oktober-Dezember) wird eine überdurchschnittliche Niederschlagsmenge prognostiziert (UN OCHA 5.9.2018; vgl. FAO 6.9.2018). Damit wird auch eine weitere Verbesserung bei den Weideflächen und bei der Wasserverfügbarkeit und i.d.F. Verbesserungen bei der Viehzucht und in der Landwirtschaft einhergehen (FAO 6.9.2018). Zusätzliche Ernten und weiter verbesserte Marktbedingungen werden zu weiteren Verbesserungen führen (FSNAU 1.9.2018)

 

Allerdings werden auch für das äthiopische Hochland höhere Niederschlagsmengen prognostiziert, was das Überschwemmungsrisiko entlang von Juba und Shabelle steigen lässt. Gegenwärtig sind einige Flussufer bzw. Flusseinfassungen beschädigt, was selbst bei normalen Regenmengen eine Gefahr darstellt (FAO 6.9.2018). Immerhin hat Somalia 2018 die schwersten Überschwemmungen seit 60 Jahren erlebt (WB 6.9.2018).

 

Quellen. [...]

 

KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Abschnitt 21/Grundversorgung und Abschnitt 21.1/Dürresituation)

 

Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).

 

Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).

 

Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):

 

(FEWS 3.2018)

 

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).

 

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).

 

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).

 

In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).

 

Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:

 

(FEWS 4.2018b)

 

Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).

 

Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:

 

(FAO 2018)

 

Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).

 

[...]

 

Politische Lage

 

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

 

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

 

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4 .2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

 

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4 .2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

 

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

 

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

 

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

 

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

 

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

 

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

 

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4 .2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4 .2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

 

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

 

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

 

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

 

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

 

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

 

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

 

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

 

[...]

 

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

 

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

 

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

 

Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:

 

Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die

 

Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt‑)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):

 

a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).

 

b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.

 

c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.

 

Operational Areas

 

d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;

Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;

 

e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.

 

f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.

 

g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).

 

Süd-/Zentralsomalia

 

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

 

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

 

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

 

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

 

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

 

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

 

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

 

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

 

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

 

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

 

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

 

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

 

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a).

 

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

 

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten:Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

 

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

 

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

 

Die Grafik zeigt, dass der Trend hinsichtlich der Anzahl an gewalttätigen Vorfällen gegen Zivilisten nach unten zeigt, während sich die Anzahl an Todesopfern pro Vorfall erhöht hat (SEMG 8.11.2017).

 

Die Anzahl an Sprengstoffanschlägen hat zugenommen, ihre Letalität ist hingegen kaum gestiegen (SEMG 8.11.2017).

 

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

 

Quellen:

 

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Bundesstaat Jubaland (JIA; Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

 

Nominell gehören zum Machtbereich der Jubaland Interim Administration (JIA) die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Tatsächlich wird der Großteil von Jubaland aber von der al Shabaab verwaltet. Die JIA verfügt nicht über die entsprechenden Kapazitäten, ganz Jubaland zu kontrollieren. Sie kooperiert mit den AMISOM-Truppen aus Kenia und Äthiopien. AMISOM wiederum kooperiert auf lokaler Ebene mit lokalen Milizen. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017). In Lower Juba haben sich die Clan-Konflikte beruhigt (DIS 3.2017).

 

In der Region Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige JIA nur über schwachen Einfluss. Die in Gedo befindlichen Teile der somalischen Armee - teils aus ehemaligen Kämpfern der ASWJ bzw. von Marehan-Milizen rekrutiert - kooperieren aber zunehmend mit der JIA. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017). Der District Commissioner von Doolow sorgt in der Stadt für ein hohes Maß an Sicherheit. Äthiopische Sicherheits- und Militärvertreter arbeiten eng mit seiner Verwaltung zusammen (SEMG 8.11.2017).

 

Der Stadt Kismayo und damit der JIA wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der JIA ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017), die Sicherheitslage hat sich seit der Eroberung wesentlich verbessert. Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Hinsichtlich der Clan-Dimension gilt die Stadt als kosmopolitisch (BFA 8.2017).

 

Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften. Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde. Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017).

 

Der Kontrollbereich der JIA für Kismayo endet wenige Kilometer außerhalb der Stadt. Neben Kismayo, wo ca. 1.700 Soldaten der AMISOM stationiert sind, befinden sich in der Region Lower Juba auch Afmadow und Bilis Qoqani unter Kontrolle der JIA. In Dhobley befindet sich ein Stützpunkt der kenianischen Armee, die Stadt gilt als sichere Stelle für einen Grenzübertritt. Weitere Garnisonen oder Stützpunkte befinden sich in Dif, Tabta, Bilis, Qooqaani, Hoosingow, Didir Lafcad, Academia und Luglaaw sowie in Badhaade und Abdale Birole. Der Bezirk Jamaame ist vollständig unter Kontrolle der al Shabaab. Dies gilt auch für weite Teile des ländlichen Raumes der anderen Bezirke in der Region (BFA 8.2017).

 

Die gesamte Region Middle Juba wird von al Shabaab kontrolliert, sie gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017). Auch weite Teile der Region Gedo befinden sich im Bereich der al Shabaab. Garnisonen von AMISOM oder anderen anti-al-Shabaab-Kräften finden sich in Bakhtiti, Buusaar, Faan Weyn, Buulo Garas, Baardheere, Dhamaso, Faafax Dhuun, Ceel Waaq, Garbahaarey, Buurdhuubo, Doolow und Luuq (BFA 8.2017). Badhaade wechselte mehrfach die Hand, im August 2017 befand sich in der Stadt ein Stützpunkt der JIA (EASO 12.2017). Die Grenzstädte Dhobley und Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017).

 

In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2016 insgesamt 37 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 21 dieser 37 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2017 waren es 41 derartige Vorfälle (davon 24 mit je einem Toten).

 

Quelle: [...]

 

Benadir / Mogadischu

 

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 22.2.2017). Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA 8.2017). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC 5.9.2017). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i.d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG 8.11.2017).

 

Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC 5.9.2017). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. EASO 2.2016). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017).

 

Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017), bleibt aber volatil (UNSC 5.9.2017). Die MSM hat einige Erfolge verzeichnet, darunter Maßnahmen zur Entwaffnung von Milizen und Zivilisten. Auch die Polizei in Mogadischu funktioniert merklich besser, als vor drei oder vier Jahren. Das Polizeikontingent der AMISOM ist aktiv. Es werden in der ganzen Stadt regelmäßig Patrouillen durchgeführt. Zusätzlich befinden sich Stützpunkte der Armee an neuralgischen Punkten der Stadt. Auch die National Intelligence and Security Agency (NISA) und ihre Spezialeinheiten werden in Mogadischu eingesetzt. Der wichtigste Faktor in Mogadischu ist aber die Präsenz der AMISOM. Sie ist in Mogadischu mit je einem Bataillon aus Uganda und Burundi, mit dem militärischen Stab und mit rund 300 Polizisten präsent. In einem gewissen Ausmaß stellt sie für al Shabaab einen Abschreckungsfaktor dar. Sie macht es für AS schwieriger, in die Stadt zu gelangen (BFA 8.2017). Auch die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG 20.10.2017).

 

Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Diese Präsenz ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte (DIS 3.2017). Diese ist in den Außenbezirken stärker, als in den inneren. Zentral-Mogadischu ist relativ konsolidiert. Gleichzeitig hängt die Präsenz der Gruppe auch von der Tageszeit ab. Die nördlichen Bezirke - v.a. Dayniile und Heliwaa - werden in der Nacht von al Shabaab kontrolliert (BFA 8.2017).

 

Insgesamt scheint sich die al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität verlegt zu haben. Dabei sucht die al Shabaab ihre Ziele v.a. im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017; vgl. LI 1.4.2016). Ob Mogadischu als sicher oder unsicher bezeichnet wird, hängt maßgeblich von der subjektiven Wahrnehmung und von persönlichen Erfahrungen ab (BFA 8.2017). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR 10.9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014).

 

Mindestens einmal pro Monat kommt es zu einem signifikanten Sprengstoffanschlag. Tödliche, von al Shabaab inszenierte Zwischenfälle ereignen sich regelmäßig. Pro Monat töten die Islamisten ca. 20 Personen in Mogadischu. Dabei richten sich die Aktivitäten vorwiegend gegen die Regierung. Zusätzlich sind neben der al Shabaab auch andere Akteure für Mode und Attentate verantwortlich (BFA 8.2017). Bis in den Oktober 2017 hat Mogadischu eine moderate Verbesserung der Sicherheitslage erlebt. Die Zahl an Attentaten und Anschlägen ging zurück, die Sicherheitskräfte konnten einige Angriffe erfolgreich verhindern (ICG 20.10.2017). Andererseits schien sich al Shabaab später aus taktischen Überlegungen heraus auf Mogadischu zu konzentrieren. Dort sollen Anschläge - speziell auf sogenannte "soft targets" (z.B. Hotels und Märkte) - verstärkt werden (UNHRC 6.9.2017). In welche Richtung sich die Sicherheitslage mittelfristig entwickeln wird, ist schwer einschätzbar (BFA 8.2017).

 

An der im September 2015 dargestellten Situation hat sich gemäß der Informationen der Fact Finding Mission 2017 nichts Wesentliches geändert (BFA 3./4.2017):

 

(BFA 10.2015; vgl. EASO 2.2016)

 

In Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2016 insgesamt 120 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 102 dieser 120 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2017 waren es 217 derartige Vorfälle (davon 186 mit je einem Toten).

 

Al Shabaab (AS)

 

Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch die al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017).

 

Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 7.2017). Die al Shabaab stellt aber weiterhin eine potente Bedrohung dar (UNSC 9.5.2017). Die Stärke der al Shabaab wird im Schnitt mit ungefähr 7.000 Mann beziffert (BFA 8.2017; vgl. LI 20.12.2017). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt die al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017). Die Gruppe hat sich bei Rückschlägen in der Vergangenheit als resilient und anpassungsfähig erwiesen. Der innere Kern blieb allzeit geeint, auch wenn es bei al Shabaab zu Streitigkeiten und Fraktionierung gekommen ist. Die taktische Entwicklung der Gruppe; ihre wachsenden Fähigkeiten; und die Ausführung komplexer Angriffe auf städtische und ländliche Ziele hat dies jedenfalls bewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Vergangenheit hat die Gruppe auch eine konventionell-militärische Bedrohung dargestellt, etwa beim Angriff auf einen kenianischen Stützpunkt bei Kulbiyow im Jänner 2017. Beim Überrennen von AMISOM-Stützpunkten ist al Shabaab auch an schwere Waffen gelangt (SEMG 8.11.2017).

 

Die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba), Jamaame (Lower Juba), Sablaale, Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Diinsoor (Bay), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur, Ceel Dheere (Galgaduud) befinden sich unter Kontrolle der al Shabaab. Alle anderen Regional- und Bezirkshauptstädte werden von anti-al-Shabaab-Truppen gehalten. Viele der Städte sind gleichzeitig auch Garnisonsstädte der AMISOM (BFA 8.2017). Eine andere Quelle nennt ebenfalls die o.g. Städte als unter Kontrolle der al Shabaab befindlich, fügt aber die Stadt Xaradheere (Mudug) hinzu und zieht Diinsoor ab (LI 20.12.2017).

 

In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen (LI 20.12.2017). Die Gruppe verfügt nicht nur über Kämpfer und Agenten, sie kann auch auf Sympathisanten zurückgreifen (NLMBZ 11.2017). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BFA 8.2017). Die al Shabaab übt über das Jubatal Kontrolle aus und kann sich auch in vielen anderen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 3.3.2017). Al Shabaab beherrscht weiterhin große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia, v.a. in Bay, Gedo, Lower Shabelle und Middle Juba (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017). Auch rund um Städte in Süd-/Zentralsomalia, die von nationalen oder regionalen Sicherheitskräften und/oder AMISOM gehalten werden (SEMG 8.11.2017), kontrolliert al Shabaab den ländlichen Raum und wichtige Versorgungsstraßen (SEMG 8.11.2017; vgl. UKHO 7.2017). Dadurch gelingt es der Gruppe, große Teile der Bevölkerung von einer Versorgung abzuschneiden (SEMG 8.11.2017).

 

Die al Shabaab übt auch über manche Orte, die eigentlich der Jurisdiktion der Regierung angehören, ein Maß an Kontrolle aus:

Humanitäre Organisationen und Empfänger humanitärer Hilfe werden besteuert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (SEMG 8.11.2017). Es gelingt der al Shabaab selbst nominell sichere Teile Mogadischus zu infiltrieren (BFA 8.2017). Außerdem verfügt die Gruppe in vielen Teilen Somalias über Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017). Generell variiert die Präsenz der al Shabaab konstant (BFA 8.2017).

 

Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.1.2017). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 7.2017).

 

Die Fähigkeit der al Shabaab, in den von ihr beherrschten Gebieten eine effektive Verwaltung zu betreiben, ist ungebrochen. Zusätzlich verfügt die Gruppe über Kapazitäten, um in neu eroberten Gebieten unmittelbar Verwaltungen zu installieren (BFA 8.2017). Die Gebiete der al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrscht Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (UNSOM 18.9.2017). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt die al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung der al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017).

 

Die al Shabaab finanziert sich über unterschiedliche Steuern. Allein aus Abgaben auf den (illegalen) Holzkohlehandel lukriert die Gruppe pro Jahr - nach konservativen Schätzungen - 10 Millionen US-Dollar.

Auch von anderen Wirtschaftstreibenden werden Steuern eingehoben: In Mogadischu reicht die Spannweite von zehn US-Dollar monatlich für einfache Markthändler bis zu 70.000 US-Dollar für große Firmen. Im ländlichen Raum werden auch Viehmärkte besteuert. Außerdem verlangt al Shabaab entlang von Hauptverbindungsstraßen Gebühren und hebt den Zakat ein (SEMG 8.11.2017). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017).

 

Einerseits zwingt al Shabaab mancherorts Kinder zum Besuch der eigenen Madrassen; andererseits konnte z.B. in einem ländlichen Ort in Middle Juba eine neue Schule eröffnet werden, die sogar Englisch im Lehrplan hat. Dafür musste die Gemeinde aber eine Sonderabgabe leisten (SEMG 8.11.2017).

 

Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).

 

Die al Shabaab hat im Juni 2017 für die Bundesstaaten Galmudug, Puntland und Hirshabelle ein Verbot der Verwendung des Somali Shilling ausgerufen. Wirtschaftstreibende weichen daher teilweise auf den US-Dollar und den Äthiopischen Birr aus (UNSC 5.9.2017).

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

In Süd-/Zentralsomalia und in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere. In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Süd-/Zentralsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden (ÖB 9.2016). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems und die Lage im Justizvollzug entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar sowohl in Süd-Zentralsomalia als auch in Puntland einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht (AA 1.1.2017). Das formelle Justizsystem ist in vielen Teilen Somalias nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte eingerichtet, die vom lokal dominanten Clan abhängen (USDOS 3.3.2017). Trotz jüngster Verbesserungen bleibt die Justiz unterfinanziert, unterbesetzt, schlecht ausgebildet, und ineffizient. Gleichzeitig ist sie Bedrohungen, politischer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt. Es kann daraus geschlossen werden, dass der Staat zwar Willens ist, einen effektiven staatlichen Schutz zu bieten. Allerdings ist er in vielen Fällen wohl nicht in der Lage, dies zu tun (UKHO 7.2017).

 

Laut Verfassung sollte es ein Verfassungsgericht, Bundesgerichte und Gerichte der Bundesstaaten geben. Alle diese Institutionen müssen erst geschaffen werden (EASO 2.2016). Insgesamt existiert nur ein rudimentärer Justizapparat (BS 2016), der korrumpiert ist (USDOS 3.3.2017).

 

2017 ist erstmalig ein Ausbildungsplan für Richter, Staatsanwälte und Gerichtsdiener erstellt worden. Ende 2017 sollen insgesamt 350 in der Justiz Bedienstete aus ganz Somalia an einem Ausbildungsprogramm teilnehmen (UNSC 5.9.2017). Die UNO hat Jubaland dabei unterstützt, mobile Gerichte und Rechtsberatungsabteilungen einzurichten. Auch im South-West-State gibt es derartige Bemühungen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017, BFA 8.2017).

 

Vor Militärgerichten, wo manchmal auch Zivilisten angeklagt werden, wird Angeklagten nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden. Internationale Standards werden nicht eingehalten (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017). Laut Angabe des Generalstaatsanwaltes werden vor Militärgerichten nur Anklagen in Zusammenhang mit Terrorismus verhandelt. Verfahren vor dem Militärgericht sind kurz (sieben Tage) (UNHRC 6.9.2017).

 

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: Das traditionelle Recht xeer, das islamische Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie zivile Gesetze (SEM 31.5.2017; vgl. BS 2016, USDOS 3.3.2017, EASO 2.2016).

 

Das traditionelle Recht (xeer) ist besonders in ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltungen und die Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird xeer oft zur Konfliktlösung z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern angewandt (SEM 31.5.2017). Zur Anwendung kommt xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017; vgl. EASO 2.2016).

 

Der Ausdruck "Clan-Schutz" bedeutet in diesem Zusammenhang traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Kompensation zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017).

 

Durch die schwache Ausprägung bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans auch heute wichtige politische, rechtliche und soziale Rollen (SEM 31.5.2017). Es kann davon ausgegangen werden, dass der staatliche Schutz im Falle von Clan-Konflikten nicht zur Anwendung kommt, sondern die "Regelung" dieser Konflikte grundsätzlich den Clans selbst überlassen wird (ÖB 9.2016). Die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Zwar kann der Clan nicht mehr jedes einzelne Mitglied beschützen - gerade vor al Shabaab. Doch bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden. Freilich bedeutet dies auch, dass z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren kann (SEM 31.5.2017).

 

Das traditionelle Rechtssystem, in dem Abschreckung und Kompensationszahlungen eine bedeutende Rolle spielen, kommt oft zu tragen (SEM 31.5.2017). Laut Schätzungen werden 90% aller Rechtsstreitigkeiten in Somalia über traditionelle Konfliktlösungsmechanismen ausgetragen. Diese Mechanismen sind wichtig, da sie nahe an den Menschen arbeiten und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv. Allerdings beruhen die traditionellen Mechanismen auf keinen schriftlich festgelegten Regeln (UNHRC 6.9.2017). Die traditionelle Justiz wird oft herangezogen, da sie zu schnellen Entscheidungen gelangt. Allerdings werden in diesem System oft ganze (Sub‑)Clans für die Tat Einzelner zur Verantwortung gezogen (USDOS 3.3.2017).

 

Insgesamt ist das traditionelle Recht (xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab. Diese Art der Unfall- und Sozialversicherung kommt z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017).

 

Maßgeblicher Akteur ist hier der Jilib, die sogenannte Diya/Mag-zahlende Gruppe (Mag/Diya = "Blutgeld"). Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet - je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts‑)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Verträge namens xeer geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Dies gilt nicht nur im Falle einer Tötung, sondern auch bei anderen (Sach‑)Schadensfällen. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen (Mag/Diya). Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017).

 

Die Ältesten sind für die korrekte Anwendung des xeer verantwortlich (SEM 31.5.2017). Sie vermitteln in Streitfragen, verhandeln Friedensabkommen und einigen sich auf Kompensationszahlungen (BS 2016). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zur Zahlung von Kompensation bei (SEM 31.5.2017).

 

Der Clan-Schutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017).

 

Familien- und Standesangelegenheiten (Heirat, Scheidung, Erbschaft) werden im Rahmen der Scharia abgehandelt. Allerdings sind Schariagerichte oftmals von Clans beeinflusst (BS 2016). Die Gesetzeslosigkeit in Süd- und Zentralsomalia führte auch zur Einführung der Scharia in Strafsachen, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017).

 

In den unter Kontrolle der al Shabaab stehenden Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der al Shabaab nicht anerkannt (AA 1.1.2017). Auch das traditionelle Recht ist dort zugunsten des islamischen Rechts in den Hintergrund getreten (SEM 31.5.2017). Dort gibt es kein formelles Justizsystem, es gilt die strikte Interpretation der Scharia (EASO 2.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, BS 2016). Der Clan-Schutz ist in den Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss der al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in jenen Gebieten umgesetzt, die unter Kontrolle der al Shabaab stehen und wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt. In Gebieten, wo die al Shabaab über keine permanente Präsenz verfügt, liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017).

 

Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv und schnell beschrieben (BFA 8.2017). Insgesamt gibt es nur wenige Informationen darüber, wie diese Schariagerichte aufgebaut sind und wie sie arbeiten (BS 2016). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 3.3.2017; vgl. BS 2016). Gerichte verhängen harte Strafen, wie Steinigung, Enthauptung, Amputation oder Auspeitschung (AI 22.2.2017; vgl. EASO 2.2016, BS 2016). Außerdem setzt al Shabaab strikte Moralgesetze durch, welche Kleidervorschriften oder das Verbot von Rauchen und öffentlichem Khat-Konsum umfassen (BS 2016).

 

Die Justiz von al Shabaab ist auch jenseits der von ihr kontrollierten Gebiete von Bedeutung. Manche Menschen ziehen es vor, ihre Streitigkeiten vor einem Gericht der al Shabaab auszutragen anstatt vor einem formellen Gericht der Regierung. Einerseits wird die formelle Justiz als schwach erachtet, andererseits als korrupt. So wenden sich z.B. auch Bewohner von Mogadischu an Gerichte der al Shabaab; die Gruppe versucht, von ihr ausgesprochene Urteile auch in der Stadt durchzusetzen (BFA 8.2017).

 

Es gilt das Angebot einer Amnestie gegenüber Kämpfern der al Shabaab, die die Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen (AA 1.1.2017). Auch der neue somalische Präsident Farmaajo hat einen Amnestieplan für abtrünnige Kämpfer der al Shabaab erstellt. In einem Programm sollen Ex-Kämpfer dazu befähigt werden, Fähigkeiten für ein Fortkommen zu erwerben und ins zivile Leben zurückzukehren (UNSOM 18.9.2017).

 

Auch wenn diese in der puntländischen Verfassung festgeschrieben ist, gibt es in Puntland keine Gewaltenteilung. Sowohl die Legislative als auch die Justiz werden von der Exekutive substantiell beeinflusst. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde mehrmals unterminiert (BS 2016). Das Justizsystem in Puntland ist eine Mischung aus traditionellem Recht (xeer), islamischem Recht (Scharia) und formellem Recht (EASO 2.2016; vgl. BS 2016). Die meisten Fälle werden durch Clanälteste im xeer abgehandelt. Ins formelle Justizsystem gelangen vor allem jene Fälle, wo keine Clan-Repräsentation gegeben ist (USDOS 3.3.2017).

 

In Puntland gibt es zwar funktionierende Gerichte (EASO 2.2016; vgl. USDOS 3.3.2017), doch können diese nicht gewährleisten, dass vor dem Recht alle gleich sind (USDOS 3.3.2017). Außerdem leidet die Justiz an Unterfinanzierung, Kapazitätsproblemen, ausgebildetem Personal, Erfahrung und Reichweite (BS 2016). Trotzdem werden in Puntland Verfahrensrechte besser respektiert als in Süd-/Zentralsomalia (AA 1.1.2017). Es gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 3.3.2017). Das puntländische Gerichtssystem wird unterstützt - etwa mit einem Programm für sogenannte mobile courts. Zusätzlich besteht ein Programm zum Aufbau subsidiärer Strukturen. Damit konnten Bezirksräte und -Verwaltungen eingerichtet werden (BFA 8.2017). UNDP und UNSOM haben in Puntland Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter ausgebildet - etwa hinsichtlich investigativer Methoden (UNSC 5.9.2017).

 

Zu den weder von Regierung noch von al Shabaab, sondern von weiteren Clan- oder anderen Milizen kontrollierten Gebieten liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Es ist aber nach Einschätzung von Beobachtern davon auszugehen, dass Rechtsetzung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung zumeist in der Hand einer kleinen Gruppe von Notabeln (z.B. Clanältesten) liegen. Von einer Gewaltenteilung ist nicht auszugehen (AA 1.1.2017).

 

In den nicht von den jeweiligen Regierungen kontrollierten Gebieten werden Urteile häufig nach traditionellem Recht von Clan-Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur den relativ eng begrenzten Bereich eines bestimmten Clans. Bei Sachverhalten, die mehrere Clans betreffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen

 

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 61 von 147

 

(Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 1.1.2017).

 

Quellen [...]

 

Ausländische Kräfte

 

Die Regierung hängt von den Kräften der AMISOM und von alliierten lokalen und regionalen Milizen ab. Die Abhängigkeit von lokalen Milizen verläuft dabei nicht friktionsfrei. Die Loyalität der Milizen liegt - trotz offizieller Allianz mit der Regierung - zuallererst bei den Kommandanten und beim Clan. Die Spannungen zwischen lokalen Milizen und der Armee traten bereits zutage, als die Verwaltungsstrukturen im Sinne der Föderalisierung geändert worden sind (BS 2016). AMISOM hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien (EASO 2.2016).

 

Obwohl die UN für AMISOM bereits im Jahr 2012 ein Mandat zur Stationierung von zwölf Hubschraubern erteilt hat, sind bis dato nur drei (kenianische) Helikopter im Rahmen von AMISOM im Einsatz (UNSC 5.9.2017). Rund 1.000 AMISOM-Soldaten erhielten eine Ausbildung durch Kräfte aus Großbritannien, dies hat u.a. zur Einsatzfähigkeit im Sektor 5 beigetragen (UNSC 9.5.2017). In manchen Gebieten kooperiert AMISOM eng mit lokalen Milizen oder anderen Kräften (BFA 8.2017).

 

Ein (teilweiser) Rückzug der AMISOM aus Somalia in den nächsten zwei bis fünf Jahren wird wahrscheinlicher (SEMG 8.11.2017). Ein baldiger Totalabzug bleibt aber sehr unwahrscheinlich (BFA 8.2017). Das Mandat der AMISOM wurde am 30.8.2017 bis Ende Mai 2018 verlängert. Dabei wurde eine leichte Reduzierung der Stärke von 22.126 auf

21.626 beschlossen (UNNS 30.8.2017; vgl. VOA 21.12.2017). Nach anderen Meldungen soll die Truppenstärke der AMISOM 2018 um 1.000 Mann reduziert werden (BBC 22.12.2017; vgl. VOA 27.12.2017). Mindestens zehn Stützpunkte an der Front (Forward Operational Bases) sollen von AMISOM 2018 an die somalische Armee übergeben werden (AMISOM 22.12.2017; vgl. VOA 21.12.2017). Allerdings wird ein solcher Abzug von der dann herrschenden Situation abhängig gemacht (VOA 27.12.2017). Insgesamt bleibt anzuzweifeln, dass die somalischen Kräfte in der Lage sein werden, diese Lücke zu schließen. Zwar erzielte die von den USA ausgebildete Spezialeinheit Gashaan Erfolge, doch dem Großteil der somalischen Armee fehlt es an Zusammenhalt (JF 15.8.2017). Eine Exit-Strategie für AMISOM könnte sein, vor einem Abzug das ganze Land von al Shabaab zu befreien (AMISOM 22.12.2017).

 

Im Land befindet sich auch eine mehrere hundert Mann starke AMISOM-Polizeikomponente unterschiedlicher afrikanischer Teilnehmerstaaten (BFA 8.2017). Mehr als 300 AMISOM-Polizisten bilden die somalischen Polizisten in den Bereichen Polizeiarbeit; Menschenrechte; Verbrechensprävention; Gemeindepolizei und Fahndungsmethoden weiter (USDOS 3.3.2017). Im Bereich der Polizeiausbildung bestehen Trainingsschulen der AMISOM und UNSOM, bilaterale Initiativen (v.a. zur Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu), Unterstützung durch UNDP und UNODC (v.a. im Strafvollzug) sowie IOM (Ausbildung im Counter-Trafficking-Bereich). Zudem wurde dieses Jahr eine "Police Project Coordination Cell" (PPCC) ins Leben gerufen um die internationale Unterstützung zu koordinieren (ÖB 9.2016). Die Polizei-Komponente der AMISOM soll trotz der im August 2017 beschlossenen Truppenreduktion verstärkt werden, die Resolution nennt eine Zahl von 1.040 Polizisten (UNNS 30.8.2017).

 

Neben AMISOM operieren auch noch bilateral eingesetzte Truppen unterschiedlicher Staaten auf somalischem Territorium. Einige davon beschränken sich auf die Ausbildung somalischer Einheiten (z.B. Türkei, Vereinte Arabische Emirate), andere werden auch im Feld eingesetzt. Dies betrifft vorwiegend äthiopische Kräfte in Hiiraan, Galgaduud, Bakool und Gedo, teils auch kenianische Kräfte in Gedo sowie kleinere US-amerikanische Einheiten. Den größten Teil bilateral eingesetzter Truppen stellt Äthiopien (ca. 3.000). Äthiopien hat kein Problem damit, bilateral eingesetzte Truppen zu verschieben oder abzuziehen (BFA 8.2017).

 

Zusätzlich gibt es noch eine UN Guard Unit (UNGU) mit 530 ugandischen Soldaten, deren einzige Aufgabe der Schutz der UN-Einrichtungen in Mogadischu ist (EASO 2.2016)

 

Auch die Liyu Police des äthiopischen Somali Regional State ist in Somalia aktiv. Die Angehörigen der Liyu sind ethnische Somali. Die Liyu betreibt keine festen Stützpunkte in Somalia. Sie operiert entlang der äthiopischen Grenze zu Somalia - auch auf der somalischen Seite der Grenze, von Puntland bis Gedo; beispielsweise in Luuq, Xudur und Ceel Barde. Insgesamt sind die Meldungen über Aktivitäten der Liyu Police in Somalia seit Beginn des Jahres 2017 stark zurückgegangen (BFA 8.2017).

 

Quellen:

 

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Somalische Kräfte

 

Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen. Beim offensiven Vorgehen sowie um Städte gegen al Shabaab halten zu können, sind die Sicherheitskräfte weiterhin auf die Unterstützung und die Präsenz von AMISOM (African Union Mission in Somalia) angewiesen (BFA 8.2017). Derzeit gibt es zahlreiche Aktivitäten bei der Neuordnung der somalischen Sicherheitsarchitektur. Somalia wird dabei von UNSOM unterstützt (UNSC 5.9.2017). Zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten wurden diesbezügliche Vereinbarungen getroffen, darunter die Beziehungen zwischen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Bundesstaaten, über die Verteilung und Zusammenstellung der Kräfte sowie über Ressourcen und Finanzierung (UNSC 9.5.2017). Bislang herrschen in der Armee und anderen Teilen der Sicherheitskräfte aber Streitigkeiten und Clan-Spannungen (ICG 20.10.2017).

 

Teile der Verwaltung und der Sicherheitsbehörden stehen unter dem Verdacht, von al Shabaab unterwandert worden zu sein. Außerdem sind unterschiedliche Teile der Sicherheitskräfte entlang von Clan-Linien zusammengestellt (BFA 8.2017). Die Regierung strebt danach, Fortschritte bei der Verbesserung der Sicherheitskräfte zu erzielen. Gemeinsam mit AMISOM hat sie neue Modelle zum Einsatz der Polizei auf Bundes- und Bundesstaatsebene erarbeitet. Allerdings wird der Einsatz der Sicherheitskräfte in Mogadischu und anderen von der Regierung kontrollierten urbanen Zentren durch mehrere Probleme gehemmt: Strukturelle Schwäche; schwache Führung; Korruption; Straflosigkeit; Mangel an Ressourcen und Mängel bei Ausbildung und Ausrüstung (UKHO 7.2017).

 

Die Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte und insbesondere die National Intelligence and Security Agency (NISA) entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden nicht erhoben. Jedoch kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei davonkommen (AA 1.1.2017). Nur selten kommt es zur Untersuchung von durch Polizei, Armee oder Milizen begangenen Vergehen, es herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 3.3.2017).

 

AMISOM und nationale Sicherheitskräfte geben ihr Bestes, um die Gefahr durch al Shabaab in Mogadischu einzudämmen. Auch wenn die Arbeit der Polizei Defizite aufweist, so trägt sie doch ihren Teil bei (UKUT 3.10.2014). Insgesamt entspricht das Verhalten der Sicherheitskräfte aber nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 1.1.2017). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2016). In Mogadischu und anderen urbanen Gebieten unter Kontrolle der Regierung und ihrer Alliierten können die Behörden schutzwillig sein; jedoch sind sie meist nicht in der Lage, einen effektiven Schutz zu gewährleisten. Dies kann der strukturellen Schwäche der Sicherheitskräfte, dem Mangel an Ressourcen, Ausbildung und Ausrüstung, schwachen Kommandostrukturen, der Korruption und der Straflosigkeit für schwerste Verbrechen angelastet werden (UKHO 7.2017).

 

Die Nationale Armee sowie regionale Sicherheits- und Polizeikräfte werden von der Afrikanischen Union, der EU, den USA, sowie anderen Ländern, wie Türkei, Israel und arabischen Staaten (v.a. von den Vereinten Arabischen Emiraten) in der Besoldung, Bewaffnung und beim Training unterstützt (ÖB 9.2016; vgl. HRW 12.1.2017). Die USA haben ihre Luft- und Bodenoperationen gegen al Shabaab im Jahr 2016 erheblich gesteigert (HRW 12.1.2017). Die Türkei hat bei Mogadischu einen neuen Ausbildungsstützpunkt für die somalische Armee eröffnet (VOA 27.12.2017). Auf dem 40 Hektar großen Areal werden Offiziere und Unteroffiziere für die somalische Armee ausgebildet (FAZ 30.9.2017). Die UN-Agentur UNSOS stellt der somalischen Armee Ausrüstung (außer Waffen) zur Verfügung (UNSC 5.9.2017). Die Agentur unterstützt sowohl AMISOM als auch die somalische Armee im logistischen Bereich (UNSC 9.5.2017). Die EU hat seit 2010 im Rahmen der Trainingsmission EUTM Somalia bereits über 4.000 somalische Soldaten ausgebildet. Mittlerweile ist EUTM verstärkt zu Beratungs- und Mentoring-Aufgaben, sowie Stärkung der Führungskräfte und Spezialeinheiten übergegangen um die Verantwortung der Ausbildungsaktivitäten an die Nationalarmee übergeben zu können. Ab 2017 wird die Mission für weitere zwei Jahre verlängert, um die Aktivitäten auf Regionen außerhalb Mogadischus auszuweiten (ÖB 9.2016).

 

Ausbildung und Training im Menschenrechtsbereich werden zwar zunehmend international unterstützt (AA 1.1.2017). So hat etwa das IKRK 830 Offiziere und Unteroffiziere von AMISOM und somalischer Armee im Menschenrechtsbereich ausgebildet (ICRC 23.5.2017). Auch UNDP und UNSOM sind in diesem Bereich aktiv - etwa im South West State oder in Puntland (UNSC 5.9.2017). Allerdings muss für die Mehrzahl der regulären Kräfte weiterhin davon ausgegangen werden, dass ihnen die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns nur äußerst begrenzt bekannt sind. Für die regierungsnahen Milizen gilt dies erst recht. Vonseiten der Kämpfer der al Shabaab wird der völkerrechtliche Rahmen als solcher nicht anerkannt (AA 1.1.2017).

 

Die Polizei untersteht einer Mischung an lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Nationale Sicherheit; außerdem betreiben regionale Behörden eigene Polizeikräfte, die den jeweiligen regionalen Sicherheitsministerien unterstehen. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 3.3.2017).

 

Die Polizei ist generell nicht effektiv, es mangelt an Ausrüstung und Ausbildung (USDOS 3.3.2017). Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, die Korruption ist hoch. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal - und die lokale Clandynamik berücksichtigend - rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BFA 8.2017).

 

Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der somalischen Armee verantwortlich. Dabei bleibt die ausgeübte Kontrolle dürftig, hat sich aber mit Hilfe internationaler Partner etwas verbessert. Letzteres gilt etwa für die Kräfte im Großraum Mogadischu, Lower Shabelle, in der Region Bay bis Baidoa und nördlich bis Jowhar (USDOS 3.3.2017).

 

Über die Gesamtzahl der somalischen Armee gibt es unterschiedliche Angaben. Der somalische Verteidigungsminister gibt an, dass 26.000 Soldaten im Sold der Armee stehen würden. Allerdings umfasst diese Zahl auch pensionierte und ältere Soldaten, Versehrte und Waisen (VOA 19.12.2017). Laut US Außenministerium betrug die tatsächliche Zahl einsatzfähiger Soldaten Ende 2016 jedoch 11.000-14.000 (USDOS 3.3.2017). Nach anderen Angaben befinden sich zwischen kenianischer Grenze und Dhusamareb 16.000-18.000 Mann der Armee (BFA 8.2017).

 

In manchen Stützpunkten der somalischen Armee verfügen bis zu 30% der Soldaten über keine eigene Waffe. Außerdem verfügt die Armee aufgrund eines entsprechenden UN-Embargos kaum über schwere Waffen (VOA 19.12.2017). Es kommt vor, dass manche Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden (BFA 8.2017; vgl. AA 1.1.2017, EASO 2.2016). Die geringe und oft verzögerte Entlohnung führt zu einer schlechten Moral bei der Armee (ÖB 9.2016) und immer wieder dazu, dass Soldaten und Polizisten zu Clan-Milizen oder sogar zur al Shabaab überlaufen. Manche Soldaten verkaufen ihre Ausrüstung oder werden kriminell (z.B. Errichtung illegaler Straßensperren) (EASO 2.2016).

 

Die Masse der Truppe befindet sich in Middle und Lower Shabelle, South-West-State und Jubaland. Kräfte der Armee und von pro-Regierungs-Milizen operieren manchmal Seite an Seite mit der AMISOM (USDOS 3.3.2017). Die Hawiye/Abgal und die Hawiye/Habr Gedir dominieren gegenwärtig die somalische Armee (SEMG 8.11.2017). Sie stellen ca. 60% der Soldaten; hinzu kommt ein weiterer Anteil der Hawiye/Murusade. Minderheitenangehörige sind dagegen kaum darauf erpicht, in die SNA rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

 

Bei der Integration von regionalen Kräften gibt es kaum Fortschritte (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017). So ist etwa kaum ein politischer Wille vorhanden, die 3.000 puntländischen Soldaten (Darawish) in die somalische Armee zu integrieren - obwohl es seit 2015 Bemühungen dazu gibt (SEMG 8.11.2017). Alle Regionen haben ihre eigenen, auf Clans gründenden Kräfte. Das Zentralkommando in Mogadischu kann lediglich über die Truppen in Mogadischu und teilweise über jene in Lower Shabelle und im HirShabelle State verfügen (BFA 8.2017).

 

Die Rolle des Staatsschutzes liegt in der Hand der NISA (National Intelligence and Security Agency) (AA 1.1.2017). Die Gesamtstärke der NISA wird wurde im August 2016 mit rund 1.500 Mann beziffert (BFA 8.2017). Die NISA ist mit exekutiven Vollmachten ausgestattet (AA 1.1.2017). Die Angehörigen der NISA unterstehen der zentralen Führung in Mogadischu. Der NISA untersteht auch die ca. 200 Mann starke, als hoch effizient bezeichnete Spezialeinheit gashaan (Alpha und Bravo Group) (BFA 8.2017). Die Bundesregierung greift regelmäßig auf die Kräfte der NISA zurück, um polizeiliche Arbeit zu erledigen. Hierbei werden Zivilisten ohne Haftbefehl festgehalten (USDOS 3.3.2017). Die NISA rekrutiert auch Deserteure der al Shabaab. Die NISA gilt als von al Shabaab unterwandert (BFA 8.2017).

 

Mehrere hundert Somali sind von der äthiopischen Armee ausgebildet worden, um das äthiopisch-somalische Grenzgebiet zu schützen. Diese Einheiten operieren unabhängig von AMISOM und somalischer Armee (EASO 2.2016).

 

Vor allem die Polizei ist für die relative Ruhe in Puntland verantwortlich. Es gibt so gut wie keine Berichte über Polizeiübergriffe oder Willkür in Puntland. Zusätzlich zu den offiziell ins staatliche System eingegliederten Kräften stützt sich Puntland maßgeblich auf lokale Milizen (BFA 8.2017). Die nachrichtendienstlich arbeitende Innenbehörde verfügt über exekutive Vollmachten (AA 1.1.2017). UNDP und UNSOM haben in Puntland Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter ausgebildet - etwa hinsichtlich investigativer Methoden (UNSC 5.9.2017). Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist in Puntland etwas stärker ausgeprägt, als in Süd-/Zentralsomalia, doch entzieht sich das Handeln der Sicherheitskräfte auch dort weitgehend Kontrolle der öffentlichen Kontrolle. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden keine erhoben (AA 1.1.2017).

 

Die Sicherheitskräfte in Puntland wurden aber nicht immer regelmäßig bezahlt, es kam zu Protesten - z.B. von puntländischen Soldaten (Darawish) am 26.2.2017 (SEMG 8.11.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Die PDF war 2016/2017 maßgeblich von ausständigen Soldzahlungen betroffen (BFA 8.2017).

 

Quellen:

 

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Minderheiten und Clans

 

Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.1.2017). Allerdings waren Regierung und Parlament für lange Zeit entlang der sogenannten

"4.5 Lösung" organisiert, welche bedeutet, dass die Vertreter der großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam die Hälfte dieser Sitze zustehen (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren. Insgesamt hat sie bisher weder zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bedingten Gleichberechtigung beigetragen, noch hatte sie positive Auswirkungen auf das Miteinander auf Gemeindeebene (ÖB 9.2016). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017).

 

Die Minderheiten sind im somalischen Parlament und der somalischen Regierung vertreten, ihre Stimme hat aber wenig Gewicht. Weder das traditionelle Recht xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. (SEM 31.5.2017). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 3.3.2017). Einzelne Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Gabooye) leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.1.2017).

Minderheitengemeinden sind überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 3.3.2017).

 

Gruppen wie die Rahanweyn, die Bantu oder die Madhiban können nur in geringerem Ausmaß auf Rücküberweisungen durch Angehörige in der Diaspora zählen, da sich in der Diaspora verhältnismäßig wenige Rahanweyn und Bantu finden (SEMG 8.11.2017).

 

Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).

 

Quellen:

 

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Bevölkerungsstruktur

 

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

 

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4 .2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).

 

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).

 

Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:

 

 

 

 

 

 

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4 .2017a).

 

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

 

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung;

Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben;

sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

 

Quellen:

 

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Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

 

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Es gibt keine zuverlässigen Angaben über ihre Anzahl. Schätzungen bewegen sich im Bereich zwischen 6% und einem Drittel der Bevölkerung Somalias. Die wichtigsten ethnischen Minderheiten sind (SEM 31.5.2017):

 

 

 

 

Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Die Benadiri sind gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017). Die Existenz einer dynamischen Wirtschaftsgemeinde der Benadiri ist erwiesen (UKUT 5.11.2015). Ihnen ist es gelungen, Positionen in der Verwaltung zu besetzen. Außerdem sind die meisten in Mogadischu verbliebenen Benadiri-Kaufleute verhältnismäßig wohlhabend und können sich Schutz zukaufen (EASO 8.2014). Benadiri können sich auf der Suche nach einem Lebensunterhalt an diese Gemeinde wenden (UKUT 5.11.2015).

 

Auf die sesshaften Bantu hingegen, die teils einst als Sklaven ins Land gekommen waren, blicken die meisten Somali herab (SEM 31.5.2017). Die Bantu werden aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert (UNHRC 28.10.2015). Es gibt aber auch höherrangige Bantu, z.B. Brigadegeneral Mohamud Haji Ahmed Ali "Shegow" (SEMG 8.11.2017).

 

Der Konflikt zwischen der Bantu-Gruppe der Shiidle und den Hawiye/Abgal hat in der Vergangenheit immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt. Im November 2013 wurden dabei etwa 5.000 Shiidle aus zwanzig Dörfern nordöstlich von Jowhar (Middle Shabelle) vertrieben (SEMG 8.11.2017; vgl. AA 1.1.2017). Im April 2017 kam es nach Kämpfen zwischen Milizen der Hawiye/Abgal/Wacbudan/Eli und der Jareer/Shiidle/Bare erneut zur Vertreibung von mehr als 5.000 Jareer aus drei Dörfern in der Nähe von Balcad. Verantwortlich dafür waren Abgal-Milizen und einige unterstützend wirkende Elemente der somalischen Armee. Es gibt kaum Berichte über physischen Schaden an Zivilisten; allerdings wurden die Dörfer geplündert und zum Teil niedergebrannt. Die meisten Menschen flüchteten in die Nähe des AMISOM-Stützpunktes in Balcad (SEMG 8.11.2017).

 

Im August 2017 wurde eine neue Bezirksverwaltung für Balcad ernannt; nunmehr sind lokale Clans besser repräsentiert. Die neue Verwaltung hat harte Maßnahmen gegen die Konfliktparteien angekündigt, falls weitere Gewalttaten erfolgen sollten; bislang scheint die Drohung zu wirken (SEMG 8.11.2017).

 

Da sich ethnische Minderheiten durch die auf der Basis von Clans arrangierte Machtteilung in der Regierung benachteiligt sehen, versucht al Shabaab dies für die eigenen Zwecke auszunutzen und dort um Unterstützung zu werben (UNSOM 18.9.2017).

 

In Gegenden, aus welchen sich al Shabaab zurückgezogen hat, könnte es zu Repressalien gegen einzelne Minderheitenangehörige kommen, wenn diese al Shabaab unterstützt hatten (SEM 31.5.2017; vgl. EASO 8.2014).

 

Quellen:

 

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Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

 

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Abstammung, Sprache und Kultur nicht von der Mehrheitsbevölkerung. Anders als die "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten (SEM 31.5.2017). Madhiban sind in ganz Somalia zu finden, speziell aber im Norden des Landes (SEMG 8.11.2017). Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017).

 

Dabei sind Madhiban teils schwerer Diskriminierung ausgesetzt. Ein Beispiel der Benachteiligung zeigt sich im Konflikt um Galkacyo, wo die Madhiban durch humanitäre Organisationen benachteiligt wurden. Da den Madhiban in IDP-Lagern dort die Aufnahme verweigert wurde, haben sie mit Hilfe einiger Angehöriger in der Diaspora den Kauf eines geeigneten Grundstücks in Galkacyo organisiert, um dort Madhiban-IDPs unterzubringen. Im August 2017 taten es die Tumal den Madhiban gleich (SEMG 8.11.2017).

 

Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffen oder Misshandlungen hinsichtlich der Gabooye (SEM 31.5.2017).

 

Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Mischehen kommen äußerst selten vor - insbesondere die zuletzt genannte Konstellation. Es bestehen aber offenbar regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017).

 

Kommt eine Mischehe zustande, dann kommt es häufig zur Verstoßung der betroffenen Person durch die eigenen Familienangehörigen (des Mehrheits-Clans). Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017).

 

Insgesamt ist aber die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel weniger gut organisiert sind und eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. die Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum benachteiligt Minderheitenangehörige bei der Arbeitssuche, bei der ohnehin auch oft schon die Clanzugehörigkeit zu Diskriminierung führen kann. Da sie über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren Angehörige berufsständischer Gruppen zudem in geringerem Ausmaß von Auslandüberweisungen als die Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

 

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige der berufsständischen Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Sie stellen zwar nach wie vor die ärmste Bevölkerungsschicht; trotzdem gibt es Minderheitenangehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft. (SEM 31.5.2017).

 

Quellen:

 

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit (Biyomaal siehe Abschnitt 3.1.2)

 

Auch Angehörige "starker" Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gilt, dass eine Einzelperson immer dann in der "Minderheiten"-Rolle ist, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Sie gilt als "Gast" in dem Territorium, was sie in eine schwächere Position bringt als die "Gastgeber". In diesem System von "hosts and guests" sind also Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017). Dabei sind IDPs, die einem Minderheitenclan angehören, doppelt benachteiligt. Da sie oftmals nicht auf verwertbare Clanverbindungen oder auf den Schutz eines Clans zurückgreifen können sind sie Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 3.3.2017). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung im Lichte der jeweiligen Clan- bzw. Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung beispielsweise im Rahmen staatlicher Vergabeverfahren, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 1.1.2017), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder um Gerichtsverfahren handeln (USDOS 3.3.2017). Angehörige eines (Sub‑)Clans können in Gebieten, die von einem anderen (Sub‑)Clan dominiert werden, darüber hinaus auch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 1.1.2017).

 

Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014).

 

Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).

 

Quellen:

 

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Frauen

 

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).

 

Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).

 

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).

 

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).

 

Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).

 

Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).

 

In Puntland wurde im Jahr 2015 ein Gesetz gegen Vergewaltigung in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz wurde die formelle Justiz als relevanter Apparat zur Prozessführung bei Vergewaltigungen eingesetzt. Die Frage darüber, ob ein Verfahren geführt wird, entscheidet der Generalstaatsanwalt, nicht das Opfer. Traditionelle Älteste werden von allen Schritten des Verfahrens ausgeschlossen. Damit ist die Anwendung informeller oder traditioneller Konfliktlösungsmechanismen bei Vergewaltigung oder Sexualverbrechen verboten. Allerdings bedarf es zur effektiven Umsetzung noch Ausbildungsmaßnahmen für die nunmehr verantwortlichen Richter. Trotzdem ist diese neue Gesetzeslage in Somalia einzigartig und zukunftsweisend (UNHRC 6.9.2017). Laut einer vom puntländischen Generalstaatsanwalt veröffentlichten Statistik über Vergewaltigungsfälle in Puntland im Jahr 2016 wurden dort 123 Prozesse gegen Vergewaltiger geführt (A 2.2017).

 

Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).

 

Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).

 

Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).

 

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, dieFrauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).

 

Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Bis zur Neuwahl des Parlaments stellten diese aber nur 14% von 275 Abgeordneten (USDOS 3.3.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Im neuen Unterhaus und im Oberhaus des Parlaments stellen Frauen nunmehr 24% der Abgeordneten. 23% der Mitglieder des Ministerkabinetts sind Frauen (UNSC 9.5.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). 13 von 54 Abgeordneten im Oberhaus sind Frauen (NLMBZ 11.2017). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 3.3.2017).

 

Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

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Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

 

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).

 

Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

 

Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).

 

Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

 

Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

 

In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014).

 

Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

 

Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).

 

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

 

Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

 

Im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigen eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8% der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15 bis 19 Jahren waren es 97,3%, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3% (CEDOCA 9.6.2016).

 

Zwei Studien von UNICEF zeigen, dass in Puntland die Infibulationsrate von 93,2% im Jahr 2005 auf 86,7% im Jahr 2011 zurückgegangen ist. Im Jahr 2011 waren ca. 90% der über 25jährigen, 85,4% der 20-24jährigen und 79,9% der 15-19jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht. Die Sunna (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch (CEDOCA 9.6.2016).

 

Puntländische Behörden erklären, dass sie gegen FGM ankämpfen würden (CEDOCA 9.6.2016). Im Jahr 2013 bzw. 2014 wurde dort von religiösen Führern eine Fatwa ausgesprochen, wonach FGM als nicht mit islamischem Recht konform erklärt wird (UNHRC 6.9.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Daraufhin hat Puntland im März 2014 FGM per Dekret generell verboten. Das puntländische Ministerium für Justiz und religiöse Angelegenheiten betreibt Aktivitäten zur vollständigen Ausrottung von FGM und wird dabei von UNICEF unterstützt (UNHRC 6.9.2017). So wird etwa auch versucht, Beschneiderinnen ein alternatives Einkommen zu verschaffen. Bei einer Studie von UNICEF im Jahr 2011 gaben 37% der Befragten in Puntland an, dass die Praxis von FGM eingestellt werden sollte (CEDOCA 9.6.2016).

 

Insgesamt gibt es über die Verbreitung der Reinfibulation (v.a. im Sinne einer Wiederverschließung) in Somalia nur wenige Informationen. Eine Studie aus Norwegen und somalische Quellen legen aber nahe, dass die Annahme, wonach Reinfibulation in Somalia üblich ist, keine Grundlage hat. Demnach gibt es lediglich Gerüchte, wonach einige Clans eine Reinfibulation durchführen, diese aber auch nur nach der ersten Geburt und nur teilweise (LI 14.9.2011). Eine lokale NGO erklärt hierzu, dass Reinfibulation nur dann von Frauen angewendet wird, wenn sie Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben. Für junge Mädchen, die Opfer einer Vergewaltigung wurden oder vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, kann es zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Ansonsten gibt es keinen Druck auf somalische Frauen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016).

 

Es handelt sich also um eine persönliche Entscheidung, die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Defibulation nach einer Geburt bestehen bleibt. Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2015 gibt es mehrere Gründe dafür, dass sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z.B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (CEDOCA 9.6.2016).

 

Der Wert einer Reinfibulation in der somalischen Gesellschaft ist unklar. Bei einer in Norwegen durchgeführten Studie hat nur eine der befragten somalischen Frauen, die kurz zuvor entbunden hatten, den Wunsch nach einer Reinfibulation geäußert (WHO 2017b). Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia hingegen haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings geht aus diesen Studien nicht hervor, was hier als Reinfibulation (partiell oder gänzlich) verstanden wird (CEDOCA 13.6.2016). Eine Quelle gibt an, dass sich in Puntland 95% der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden würden (CEDOCA 9.6.2016).

 

Quellen:

 

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Kinder (Kindersoldaten und Zwangsrekrutierungen siehe Abschnitt 10.1)

 

Im ersten Trimester 2017 wurden 431 Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen an insgesamt 397 Kindern bei 148 Zwischenfällen dokumentiert (UNSC 9.5.2017). Im zweiten Trimester waren es 245 Zwischenfälle und 485 betroffene Kinder (UNSC 5.9.2017). Im letzten Trimester 2016 waren es noch 477 Zwischenfälle mit 854 betroffenen Kindern gewesen (UNSC 9.1.2017). Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern sind ernste Probleme. Viele der Opfer von sexueller Gewalt sind Kinder (USDOS 3.3.2017).

 

Rund 900.000 Kinder sind akut unterernährt (UNHRC 6.9.2017). Die Zahl der akut unterernährten Kinder könnte bis Ende 2017 auf 1,4 Millionen ansteigen, darunter 275.000 mit schwerer - lebensbedrohlicher - akuter Unterernährung (UNHRC 6.9.2017; vgl. UNSC 5.9.2017).

 

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 110 von 147

 

Kinderarbeit ist weit verbreitet. Laut UNICEF mussten im Zeitraum 2009-2015 49% der Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren arbeiten (USDOS 3.3.2017). Im ländlichen Somalia ist meist von Feldarbeit oder nomadischer Hilfstätigkeit auszugehen. In urbanen Zentren werden Kinder als Dienstboten und für einfache Erledigungen eingesetzt (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Eine offizielle, staatlich geregelte Adoptionspraxis bzw. ein staatliches Adoptionsrecht existiert nicht. Elternlose Kinder werden zumeist relativ formlos bei nahen Verwandten oder Pflegefamilien untergebracht. Offizielle Dokumente sind daher zumeist nicht vorzufinden und selbst wenn, könnten diese nach Sicht der Botschaft einer Urkundenüberprüfung nicht standhalten (ÖB 9.2016).

 

Quellen:

 

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Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab

 

Generell stellen in erster Linie AMISOM und nationale sowie regionale Behördenvertreter Ziele für Angriffe der al Shabaab dar (SEMG 8.11.2017). Neben AMISOM und Sicherheitskräften (BFA 8.2017) wird al Shabaab auch weiterhin Zivilisten gezielt angreifen, darunter: die somalische Regierung, Parlamentarier und Offizielle (UKHO 7.2017); Regierungsbedienstete, mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten; Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, UKHO 7.2017); Wirtschaftstreibende; Älteste (BFA 8.2017; vgl. UKHO 7.2017) und deren Angehörige; diplomatische Missionen; prominente Friedensaktivisten und Gemeindeführer (USDOS 3.3.2017); Journalisten (UKHO 7.2017; vgl. HRW 12.1.2017); mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017, UKHO 7.2017); Deserteure (UKHO 7.2017) sowie Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben; Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017).

 

Es kommt also z.B. in Mogadischu regelmäßig zu Angriffen auf Zivilisten und zivile Strukturen (HRW 12.1.2017). Im Durchschnitt werden der al Shabaab in Mogadischu pro Monat ca. 20 Morde zugerechnet. Allerdings wird oft nur angegeben, dass al Shabaab für ein Attentat die Verantwortung trägt, obwohl dies gar nicht klar ist (BFA 8.2017).

 

In Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden. In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 1.1.2017). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung bezichtigt werden (HRW 12.1.2017).

 

Die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt (BFA 8.2017).

 

Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen:

a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017).

 

Spezifisch als mögliche Ziele aufgrund von Kollaboration genannt wurden z.B. Rückkehrer in Gebiete der al Shabaab (Vorwurf der Spionage); Händler/Wirtschaftstreibende, welche z.B. AMISOM beliefern; Arbeiter oder Handwerker, die z.B. für Ministerien tätig werden; Hotels, die Politikern Unterkunft geben. Besonders gefährdet sind Personen, die von der al Shabaab als Spione wahrgenommen werden. Es kommt fast täglich zu Übergriffen bis hin zur Exekution von der Spionage verdächtigten Personen (BFA 8.2017).

 

Im zweiten Trimester 2017 wurden insgesamt 12 Teilnehmer am Wahlprozess gezielt ermordet. Allerdings hat die al Shabaab nur für vier dieser Morde die Verantwortung übernommen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Bereits im ersten Trimester 2017 waren 14 Teilnehmer getötet worden, die al Shabaab übernahm die Verantwortung für drei Morde (UNSC 9.5.2017). Eine andere Quelle spricht alleine im ersten Quartal 2017 von 90 in Zusammenhang mit der Wahl getöteten Personen, wobei die al Shabaab allerdings nur für acht Morde die Verantwortung übernommen hat. Vor allem in Mogadischu (SEMG 8.11.2017) stellt der Schutz der am Wahlprozess beteiligten Personen eine neue Herausforderung dar (UNHRC 6.9.2017).

 

Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Person al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clan-Dynamiken, ist die Gruppe bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte die al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017). Auch wenn al Shabaab einige Menschen in Somalia als "legitime Ziele" erachtet, so gilt dies für die meisten Zivilisten nicht. Dass normale Zivilisten in von der Regierung und AMISOM kontrollierten Gebieten zum Ziel der al Shabaab werden, ist unwahrscheinlich. Auch "low level"-Ziele (z.B. lokale Mitarbeiter von internationalen oder nationalen NGOs) sind keine Priorität der al Shabaab, sie werden nicht generell angegriffen. Andererseits können high profile Personen, die etwa die Regierung oder die internationale Gemeinschaft repräsentieren, einem hohen Risiko ausgesetzt sein. Auch Personen, die als Unterstützer der somalischen Regierung wahrgenommen werden, können - je nach persönlichen Umständen - einem Risiko ausgesetzt sein. Dies gilt auch für Journalisten oder Mitarbeiter von NGOs, je nachdem, wie sehr sich ihre Aktivitäten gegen al Shabaab wenden (UKHO 7.2017).

 

Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, stellen für al Shabaab kein legitimes Ziel dar (DIS 3.2017). Dies gilt auch für Rückkehrer aus der Diaspora (UKUT 3.10.2014). Es gibt keine Berichte, wonach al Shabaab normale Zivilisten - oder auch Rückkehrer aus dem Westen - systematisch angreifen würde. Natürlich besteht aber für Zivilisten immer das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017). Generell ist ein "normaler Zivilist" (keine Verbindung zur Regierung; zu Sicherheitskräften; zu Behörden; zu NGOs oder internationalen Organisationen) - auch bei einer Rückkehr nach Mogadischu - keinem derartigen Risiko ausgesetzt, dass dieses einen Schutz gemäß Artikel 3 oder Artikel 15c erforderlich machen würde (UKUT 3.10.2014; vgl. EGMR 10.9.2015).

 

Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad sind - vor allem prominente - Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA 8.2017).

 

Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde die al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017). Es gibt so gut wie keine bekannten Fälle, wo sich al Shabaab gegen Angehörige von Deserteuren gerichtet hätte (DIS 3.2017).

 

Bewegungsfreiheit und Relokation

 

Die Übergangsverfassung schützt das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt (USDOS 3.3.2017). Reisefreiheit ist im Prinzip gegeben, wobei sich Einschränkungen durch die jeweiligen Machthaber - al Shabaab, Kriegsherren, lokale Administrationen - sowie durch Kampfhandlungen in bestimmten Gebieten ergeben können. IDPs in den Flüchtlingslagern in und um Mogadischu sind oft strikten Beschränkungen bzgl. ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind der Botschaft keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (ÖB 9.2016).

 

In vielen Gebieten kommt es zu Problemen im Straßenverkehr, werden illegale Wegzölle erhoben und Reisende misshandelt (UNSC 5.9.2017). Al Shabaab kontrolliert wichtige Hauptversorgungsrouten (HRW 12.1.2017) ganz oder teilweise (DIS 3.2017). Gegen einige Städte, die von AMISOM und somalischer Regierung kontrolliert werden, führt die al Shabaab eine Blockade durch. Die Lieferung von Gütern und Unterstützung wird dadurch behindert (HRW 12.1.2017). Betroffen sind insbesondere Diinsoor, Waajid und Xudur (UNSC 5.9.2017).

 

Solange man den von al Shabaab (einmalig) geforderten Wegzoll entrichtet, sind Reisen in Gebiete unter Kontrolle der Gruppe kein Problem. Generell gestaltet sich die "Einreise" in solche Gebiete einfacher, als die "Ausreise" (BFA 3./4.2017). Eine Überlandreise wird als riskant und teuer wahrgenommen (DIS 3.2017). Die meisten Orte in Südsomalia können dennoch erreicht werden (LI 4.4.2016). Die Bevölkerung reist trotz zu erwartender Risiken auf der Straße, wiewohl diese Risiken mit der Notwendigkeit einer Reise abgewogen werden (EASO 2.2016). Normale Bürger werden von al Shabaab nicht daran gehindert, Gebiete unter Kontrolle der Regierung zu erreichen. Es kann aber Ausnahmen geben, z.B. bestimmte Clan-Älteste (LI 20.12.2017). Täglich verlassen mit Passagieren beladene Minibusse Mogadischu in alle Richtungen, auch in Gebiete der al Shabaab. Die Preise variieren von einem US-Dollar von Mogadischu nach Afgooye bis zu z.B. 80 US-Dollar von Mogadischu nach Afmadow (LI 4.4.2016).

 

Naturereignisse und Kampfhandlungen können unterschiedliche Gebiete vorübergehend unzugänglich machen. Busfahrer und Reisende holen vor einer Fahrt Erkundigungen über die Lage entlang der geplanten Route ein, um das Risiko zu minimieren. Ein Risiko ergibt sich primär aus den zu erwartenden Straßensperren. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre der Regierungskräfte oder der al Shabaab zu stoßen, ist immer noch hoch (LI 4.4.2016). Dies gilt für ganz Süd-/Zentralsomalia (DIS 3.2017). An Straßensperren kann es zu Gewalt, Bedrohung und Plünderung kommen (USDOS 3.3.2017). Straßensperren werden durch somalische Sicherheitskräfte, Clan-Milizen, al Shabaab und Banditen betrieben (LI 4.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Diese Straßensperren behindern in Süd-/Zentralsomalia Bewegungen und die Lieferung von Hilfsgütern (USDOS 3.3.2017). Jene, die es sich leisten können, versuchen mit dem Flugzeug so nah wie möglich an die Zieldestination zu gelangen. Von Mogadischu gibt es Flüge nach Baidoa, Belet Weyne und Kismayo (LI 4.4.2016). An den Hauptrouten in Süd/Zentralsomalia wurden im August 2017 82 Gebühren-einhebende Straßensperren identifiziert. Davon wurden 20 von der al Shabaab betrieben, der große Rest war von der somalischen Armee, in geringerem Ausmaß auch von regionalen Sicherheitskräften besetzt (SEMG 8.11.2017).

 

Das Hauptrisiko an Straßensperren der Regierungskräfte und der al Shabaab ist es, als zum Feind gehörig verdächtigt zu werden (DIS 3.2017; vgl. LI 4.4.2016). Gebietsfremde oder Personen ohne Familie im Zielgebiet werden eher unter Verdacht geraten, als ortsansässige Personen (LI 20.12.2017). Kontrollpunkte der al Shabaab können entlang der meisten Routen spontan eingerichtet werden, es gibt auch permanente Kontrollpunkte (LI 4.4.2016; vgl. EASO 2.2016). Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor. Zu befürchten haben an Straßensperren der al Shabaab jene Personen etwas, die mit der Regierung in

 

Verbindung gebracht werden. Diese Personengruppe riskiert, getötet zu werden. Aufgrund der eingeschränkten Ressourcen von al Shabaab sind hier höherrangige ("high profile") Personen eher gefährdet. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab - etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) - als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit, umgehend getötet zu werden, ist dort höher, wo al Shabaab keine volle Kontrolle hat. In den Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge (LI 4.4.2016).

 

Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Die "grüne Grenze" sowie die Seegrenze sind weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (AA 1.1.2017)

 

Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen für einen Teil der somalischen Bevölkerung mit Sicherheit. Üblicherweise genießen Somalis den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind (ÖB 9.2016). Generell sind relativ sichere Zufluchtsgebiete aber schwierig zu bestimmen, da man je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht ist. Grundsätzlich herrscht aber in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr (Bewegungs‑)Freiheit (AA 1.1.2017). Es sind keine Berichte bekannt, wonach aus Somaliland oder Puntland IDPs aus Süd-/Zentralsomalia deportiert worden wären (NLMBZ 11.2017).

 

Für jene Personen, die in Mogadischu oder anderen Städten einem Risiko seitens der al Shabaab ausgesetzt sind, ist das Vorhandensein einer internen Relokationsmöglichkeit in Süd-/Zentralsomalia unwahrscheinlich, da diese Personengruppe meist ein high profile aufweist. Al Shabaab könnte immer noch in der Lage sein, sie aufzuspüren. Jene Personen, die nicht höherrangig sind; oder die nicht mit der Regierung oder einer internationalen Organisation in Verbindung stehen; oder deren Risiko lokal begrenzt ist; sollten in der Lage sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Dies muss von Fall zu Fall abgewogen werden. Jene Personen, die nicht höherrangig (high profile) sind, und in ländlichen Gegenden unter dem Einfluss der al Shabaab leben, können in Städten, wo al Shabaab keinen Einfluss hat, eine interne Relokation wahrnehmen (UKHO 7.2017).

 

Keiner der neueren Berichte zur Sicherheitslage in Somalia nennt Probleme bei der Bewegungsfreiheit in Mogadischu (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017, EASO 12.2017).

 

Die Hauptroute von Mogadischu nach Jowhar ist besser gesichert, als in der Vergangenheit. Auch der Abschnitt Jowhar - Jalalaqsi gilt als besser gesichert. Die Straße von Jalalaqsi nach Buulo Barde wird zwar zur Versorgung der Stadt genutzt, ist aber anfälliger für Übergriffe der al Shabaab. Letzteres gilt in größerem Ausmaß für die Verbindung nördlich von Buulo Barde über Halgan nach Belet Weyne. Die Tatsache, dass Buulo Barde vom Süden aus versorgt wird, belegt die Unsicherheit entlang der nördlichen Route. Allerdings betrifft dies nicht den zivilen Verkehr, der auch durch das Gebiet der al Shabaab passieren kann - wenn entsprechende Mautabgaben entrichtet wurden (BFA 8.2017). Seitens der aus dem Jemen nach Nordsomalia zurückgekehrten Somali, welche danach nach Mogadischu weitergereist sind, gibt es keine Beschwerden hinsichtlich mangelnder Sicherheit entlang der Route (BFA 3./4.2017).

 

Entlang der Route Belet Weyne - Garoowe herrscht von al Shabaab unbeeinträchtigter Verkehr (BFA 8.2017). Ansonsten behindert al Shabaab in Hiiraan den Verkehr zwischen den Städten (DIS 3.2017). Der Konflikt in Galkacyo hat den Transit auf der Hauptverbindungsstraße für längere Zeit erheblich behindert (SEMG 8.11.2017).

 

Die Straßenverbindungen in der Region Lower Juba bleiben anfällig für Übergriffe der al Shabaab. In Gedo kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. Vor allem die Straßenverbindungen südwärts von Garbahaarey sind unsicher und anfällig für Übergriffe der al Shabaab (BFA 8.2017).

 

Die Straßenverbindung von Baidoa nach Mogadischu ist - sowohl in den Städten entlang der Route als auch außerhalb - hinsichtlich von Übergriffen unterschiedlicher Akteure anfällig. Die Achse Shalambood-Qoryooley bildet hinsichtlich einer besseren Absicherung der Hauptstraße von Mogadischu in Richtung Baraawe das Limit für AMISOM. Weiter südlich hat al Shabaab einen besseren Zugriff auf diese Route (BFA 8.2017).

 

Die Verbindungsstraßen zwischen Xudur, Ceel Barde, Yeed und Waajid sind einigermaßen unter Kontrolle. Der Verkehr läuft auf den Verbindungsstraßen von Berdale nach Waajid und von Baidoa nach Waajid. Auf der Straße Baidoa - Buur Hakaba - Wanla Weyne fließt der zivile Verkehr, militärischer Verkehr ist dort aber einem Risiko ausgesetzt, von al Shabaab bekämpft zu werden. Die al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße. Sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und von dort in Richtung Bali Doogle. An allen Ausfallstraßen aus Baidoa betreibt al Shabaab Checkpoints (BFA 8.2017).

 

Quellen [...]

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Die somalische Regierung arbeitet mit der internationalen Gemeinschaft zusammen, um den Zugang von Vertriebenen zur Grundversorgung, zu Arbeit und dauerhaften Lösungen zu verbessern. Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen (USDOS 3.3.2017). Die EU unterstützt zahlreiche Reintegrationsprojekte für rückkehrende IDPs in Somalia mit mehr als 33 Millionen Euro aus dem EU Trust Fund (EEAS 5.4.2017).

 

Die Gesamtzahl an IDPs in Somalia wird im November 2017 mit 1,56 Millionen beziffert. Im Zeitraum 1.-11.2017 wurden 874.000 Menschen innerhalb Somalias aufgrund der Dürre vertrieben; weitere 188.000 aufgrund von Konflikt oder Unsicherheit (UNHCR 30.11.2017b). Alleine zwischen November 2016 und April 2017 haben mehr als 570.000 Menschen aufgrund der Dürre ihre Heimat verlassen und wurden so zu IDPs (UNSC 9.5.2017). Eine andere Quelle beziffert die Zahl der durch die Dürre vertriebenen Menschen im Zeitraum November 2016 bis Juli 2017 mit 859.000 (SEMG 8.11.2017). Davon suchten rund 7.000 Schutz in Äthiopien und Kenia (UNSC 5.9.2017). Die al Shabaab ist mitverantwortlich dafür, dass von der Dürre betroffene Personen aus ihrer Heimat fliehen mussten, da die Gruppe humanitäre Hilfe behindert und Blockaden betreibt. Außerdem wurden im Zuge des Konflikts und der Unsicherheit in Lower Shabelle rund 87.000 Menschen vertrieben (SEMG 8.11.2017). Dabei ist die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete begrenzt (ÖB 9.2016).

 

Vor allem in Mogadischu kam es weiterhin zur Vertreibung bzw. Zwangsräumung von IDPs (AI 22.2.2017). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 waren 80.000 IDPs von Zwangsräumungen betroffen, v. a. in Mogadischu (HRW 12.1.2017), nach anderen Angaben waren im ersten Halbjahr 2016 ca. 91.000 Personen betroffen (USDOS 3.3.2017). Für den Zeitraum Jänner bis Juli 2017 wird eine Zahl von ca. 90.000 Betroffenen genannt. Wiederum waren vor allem IDPs in Mogadischu betroffen, im August 2017 kam es aber auch zur Vertreibung von rund 5.000 IDPs in Baidoa (SEMG 8.11.2017). An den Vertreibungen waren staatliche Sicherheitskräfte beteiligt, die auch Gewalt angewendet haben (USDOS 3.3.2017).

 

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.1.2017). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 3.3.2017).

 

IDPs sind über die Maßen von der Dürre betroffen, da sie steigende Preise für Lebensmittel nicht bezahlten können. Außerdem gibt es für sie weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Üblicherweise überleben sie aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung (ICG 9.5.2017). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind sehr vulnerabel und von Unterstützung abhängig (HRW 12.1.2016). Der UNHCR versucht, sich über die Gegebenheiten und Notwendigkeiten in den rund 1.800 IDP-Lagern in Somalia einen Überblick zu verschaffen (UNHCR 30.11.2017b). Alleine in Mogadischu gibt es 486 IDP-Lager (BFA 3./4.2017). Rund 1,5 Millionen IDPs werden durch UNHCR erreicht. Einigen wurde zu Einkommen und/oder Ausbildung verholfen (UNHCR 30.11.2017b). In Puntland und Somaliland hat die UN für Rückkehrer und IDPs mehr als 5.000 "housing units" errichtet (BFA 3./4.2017).

 

Somalia ist ein äußerst unattraktives Zufluchtsland für Asylsuchende. Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt. Trotzdem sind seit der Eskalation im benachbarten Jemen sind einige Tausend Menschen nach Somalia geflohen (AA 1.1.2017). Trotzdem befanden sich im November 2017 ca.

14.500 Asylwerber und 14.200 Flüchtlinge in Somalia. 62% davon waren Äthiopier, weitere 37% Jemeniten. Mindestens 58% der Asylwerber und Flüchtlinge befinden sich Somaliland, mindestens weitere 23% in Puntland; in Mogadischu befinden sich 10% (UNHCR 30.11.2017b).

 

Auch weiterhin kommen Flüchtlinge nach Somalia. Alleine im November 2017 trafen 86 Jemeniten ein. Der UNHCR gewährte im November 2017 rund 2.500 Asylwerbern und Flüchtlingen medizinische Versorgung; weitere profitieren von Einkommensmöglichkeiten und Ausbildungsprogrammen. 2.418 Haushalte wurden mit Geld unterstützt (UNHCR 30.11.2017b).

 

Quellen:

 

[...]

 

Grundversorgung/Wirtschaft

 

Generell hätte Somalia großes wirtschaftliches Potential, sei es im Agro-Business, in der Viehzucht, der Fischerei oder im Handel, bei erneuerbaren oder anderen Energiequellen. Außerdem verfügt Somalia über sehr unternehmerische Staatsbürger, sowohl im Land als auch in der Diaspora. Dieses Potential wäre vorhanden (UNSOM 13.9.2017). Die Diaspora investiert auch seit mehreren Jahren auf unterschiedliche Art in ganz Somalia (SHU 16.6.2016). Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr mehr als 1,3 Milliarden US-Dollar in die Heimat. Damit ist die somalische Wirtschaft aber gleichzeitig eine der am meisten von Remissen abhängigen Ökonomien der Welt (SHU 16.6.2017).

 

Doch noch gehört Somalia zu den ärmsten Ländern der Erde. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung kann sich nicht ausreichend mit Lebensmitteln und Trinkwasser versorgen (AA 4 .2017b). Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia seit Jahrzehnten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe (AA 1.1.2017; vgl. AA 4 .2017b). Das Land ist also in hohem Grade von Hilfe abhängig (UNSOM 13.9.2017). 43% der somalischen Bevölkerung leben in extremer Armut von weniger als einem US-Dollar pro Tag (UNHRC 6.9.2017).

 

Fehlende Daten machen es schwierig, die makro-ökonomische Situation Somalias ausreichend beschreiben zu können. Schätzungen zufolge ist das BIP im Jahr 2015 um 5% gestiegen, im Jahr 2016 um 6%. Die Prognose für 2017 lautet auf ein Wachstum von 2,5%.

 

Dabei ist dieses Wachstum vor allem im urbanen Raum entstanden und von Konsum, Remissen und Gebergeldern abhängig (WB 18.7.2017).

 

Zugang zu Bildung und Arbeit stellt in vielen Gebieten eine Herausforderung dar (ÖB 9.2016). Das gegebene Wachstum des BIP ist in Somalia ein urbanes Phänomen, getrieben vom Konsum, von Hilfen aus dem Ausland und von Überweisungen aus der Diaspora. Dabei wirkt sich das von al Shabaab im Juni 2017 in drei Bundesstaaten ausgesprochene Verbot der Verwendung des Somali Shilling negativ aus, der Kurs der Währung ist gefallen (UNSC 5.9.2017; vgl. SEMG 8.11.2017). Mit ein Grund für das Verbot der al Shabaab war sicherlich das nicht regulierte und nicht genehmigte Nachdrucken von Banknoten durch die State Bank of Puntland (SEMG 8.11.2017).

 

Es gibt unterschiedliche Zahlen darüber, wie hoch die Jugendarbeitslosigkeit in Somalia ist. Am Human Development Index 2012 wurde die allgemeine Arbeitslosigkeit mit 54% angegeben, für Jugendliche (14-29jährige) mit 67% (ÖB 9.2016; vgl. SHU 16.6.2017). UNDP gab die Zahl im Jahr 2012 mit 67% an. Bei der aktuellen Studie aus dem Jahr 2016 gaben aber nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor) (IOM 2.2016). Außerdem sind nach anderen Angaben viele Männer aufgrund ihres Khat-Konsums mehr oder weniger berufsunfähig - ein Grund, warum oft Frauen als Familienerhalterinnen einspringen müssen (SZ 13.2.2017).

 

All dies bedeutet jedenfalls, dass man die Arbeitslosigkeit in Somalia und in Mogadischu nicht beziffern kann (LI 1.4.2016). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB 9.2016). Außerdem haben sich bisherige Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: Auf IDPs und Arme (urban poor). Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20% der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen (2% der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30%). Die Männer dieser Bevölkerungsgruppen arbeiten oft im Transportwesen, am Hafen und als Bauarbeiter; Frauen arbeiten als Hausangestellte. Eine weitere Einkommensquelle dieser Gruppen ist der Kleinhandel - v.a. mit landwirtschaftlichen Produkten. Zusätzlich erhalten sie Nahrungsmittelhilfe und andere Leistungen über wohltätige Organisationen (LI 1.4.2016).

 

Seitens der Regierung gibt es für Arbeitslose jedenfalls keinerlei Unterstützung (LI 1.4.2016). In einer Studie von IOM gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt zu werden (IOM 2.2016). Insgesamt ist das traditionelle Recht (xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.:

in etwa die unterste Ebene des Clansystems] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017).

 

2015 wurde ein Wirtschaftsaufschwung am Hafen Mogadischus registriert. Dank der reduzierten Bedrohung durch Piraterie und die dadurch verbesserte Sicherheitslage interessieren sich immer mehr Investoren für Mogadischu. Die somalische Wirtschaft ist jedoch im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nach wie vor von der Tierhaltung und Fischerei abhängig und damit externen und Umwelt-Einflüsse besonders ausgesetzt (ÖB 9.2016).

 

Es kann angenommen werden, dass es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias. Der ökonomische Wiederaufbau verlangt sowohl nach erfahrenen, ausgebildeten Arbeitskräften, als auch nach jungen Menschen ohne Bildung und Arbeitserfahrung (LI 1.4.2016). In der Stadt gibt es eine steigende Nachfrage an Hilfsarbeitern. Früher hatten die nicht-Ausgebildeten größere Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Mit der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung steigt aber auch die Nachfrage nach Dienstleistungen, z.B. nach Reinigungskräften oder anderer Hausarbeit. Mit der zunehmenden Sicherheit in Mogadischu sind auch aus anderen Teilen des Landes unausgebildete Arbeitskräfte auf der Suche nach Arbeit in die Hauptstadt gekommen (IOM 2.2016; vgl. LI 1.4.2016). Dementsprechend sind unqualifizierte Arbeitskräfte, bei denen es nur um physische Kraft geht (Bauwirtschaft, Hafenarbeiter etc.) in Mogadischu zahlreich verfügbar. Junge Kandidaten werden bevorzugt (IOM 2.2016).

 

Einen großen Bedarf gibt es an folgenden ausgebildeten Kräften und Fähigkeiten - bzw. womöglich auch an Ausbildungswilligen: Handwerker (Tischler, Maurer, Schweißer etc.); im Gastgewerbe (Köche, Kellner etc.); Schneider; Ingenieure; medizinisches Personal;

fortgeschrittene IT- und Computerkenntnisse; Agrarfachwissen;

Lehrkräfte auf allen Ebenen. Einen Bedarf gibt es auch an folgenden Arbeitskräften und Fähigkeiten: Mechaniker, Elektriker, Installateure, Fahrer von Spezialfahrzeugen; Betriebswirte und Buchhalter; Verkauf und Marketing; Englisch-Sprechern; IT- und Computerkenntnisse (IOM 2.2016). Der Mangel an Fachkräften ist so groß, dass in manchen Bereichen auf Gastarbeiter zurückgegriffen wird (z.B. im Gastgewerbe auf Kenianer und Somaliländer; oder im Baugewerbe auf Handwerker aus Bangladesch) (LI 1.4.2016; vgl. IOM 2.2016).

 

Fast alle in der Studie von IOM befragten Arbeitgeber haben angegeben, dass sie mittelfristig mehr Personal einstellen wollen (IOM 2.2016). Weil freie Arbeitsplätze oft nicht breit beworben werden und die Arbeitgeber den Clan und die Verwandtschaft eher berücksichtigen als erworbene Fähigkeiten, haben Bewerber ohne richtige Verbindungen oder aus Minderheiten sowie Frauen (IOM 2.2016; vgl. DIS 9.2015), Witwen und Migranten ohne Familien schlechtere Chancen (DIS 9.2015). Arbeitssuchende greifen also auf ihre privaten Netzwerke zurück. Größere Firmen platzieren Jobangebote auch an Hauswänden oder in lokalen Medien. Öffentliche Stellen greifen auch auf Onlinemedien zurück (z.B. baidoanews.net oder somalijobs.net). Männliche Hilfsarbeiter stellen ihre Arbeitskraft frühmorgens an bestimmten Plätzen zur Verfügung (Mogadischu: Bakara; Baidoa: Kilo 7; Kismayo: Golol Place) (IOM 2.2016).

 

Der militärische Erfolg gegen al Shabaab in Mogadischu hat dazu geführt, dass viele Somali aus der Diaspora zurückgekehrt sind (BS 2016; vgl. LI 1.4.2016). Die Rückkehrer haben investiert und gleichzeitig eine wachsende Nachfrage geschaffen (LI 1.4.2016). Außerdem traten neue Investoren in den Vordergrund, z.B. die Türkei (BS 2016; vgl. LI 1.4.2016), China und die Golf-Staaten (LI 1.4.2016). Die Wirtschaft von Mogadischu hat begonnen zu wachsen. Dies wird angesichts des Baubooms am offensichtlichsten (BS 2016). Heute ist Mogadischu vom Wiederaufbau, ökonomischer Wiedererholung und Optimismus gekennzeichnet (LI 1.4.2016). Supermärkte, Restaurants und Hotels wurden neu geöffnet. Auch in anderen, der al Shabaab abgerungenen Städten steigt die Zahl wirtschaftlicher Aktivitäten (BS 2016).

 

Viele UN-Agenturen (bspw. UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) sind tatkräftig dabei das Land wiederaufzubauen (ÖB 9.2016). Die UNO betreibt in Somalia gegenwärtig 18 auf Jugendliche zugeschnittene Programme und hat dort 28 Mio. US-Dollar investiert. Sieben dieser Programme unterstützen die (Berufs‑)Ausbildung um die Jugendarbeitslosigkeit zu senken (UNSC 5.9.2017). Der Somalia Stability Fund betreibt Infrastrukturprojekte in Hobyo, Xudur und Berdale - dadurch wurden Arbeitsplätze geschaffen. UNDP und UNIDO unterstützen Jugendliche in Jubaland, um deren Arbeitschancen zu erhöhen - etwa durch Ausbildung, Mikrokredite. In Afmadow wurde mit Unterstützung von USAID ein neuer Markt eröffnet. USAID unterstützt auch den Wiederaufbau auf Gemeindeebene, u.a. in den Bezirken Kismayo, Baardheere und Diinsoor (UNSC 5.9.2017).

 

Das meiste Einkommen lukriert Somalia mit Viehexport, Häuten, Fisch, Holzkohle und Bananen. Ein Schlüsselelement der Wirtschaft ist der Telekommunikationsbereich. Außerdem sind seit dem Rückzug der al Shabaab aus Mogadischu einige Bereiche stark gewachsen: Die öffentliche Verwaltung; internationale Organisationen; Botschaften; der Bausektor; und der Dienstleistungsbereich (Hotels, Restaurants, Transportsektor, Schulen, Spitäler etc.) (LI 1.4.2016). Viele Bereiche liegen in den Händen privater Anbieter (LI 1.4.2016; vgl. BS 2016). Neben Schulen und Spitälern wird beispielsweise auch die Steuer von einer Privatfirma eingehoben. Berechnungen zufolge ist die somalische Wirtschaft ständig gewachsen; für 2014 schätzt der IWF das Wachstum auf 3,7% (LI 1.4.2016). Ein potentieller Wachstumssektor wäre auch die Fischindustrie. Die somalischen Hoheitsgewässer beherbergen einige der reichsten Fischgründe der Welt. Es mangelt aber noch an Ausbildung für Fischer, an Ausrüstung und Regulierungen. OXFAM und die EU unterstützen den diesbezüglichen Ausbau der Kapazitäten (OXFAM 30.9.2015).

 

Aufgrund der Tatsache, dass bereits eine Anzahl von somalischen Flüchtlingen bereit ist, freiwillig zurückzukehren, besteht eine berechtigte Hoffnung das Land als zunehmend sicherer und bewohnbarer zu qualifizieren (ÖB 9.2016).

 

Quellen:

 

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Dürresituation

 

Vier aufeinanderfolgende Regenzeiten sind ausgefallen. Diese Dürre hat nahezu zu einem Gesamtausfall der Ernte geführt und zur Reduzierung der Arbeitsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten beigetragen. Die Dürre hat zu Engpässen bei Wasser und Weideland geführt - und in der Folge zur Verendung von Viehbestand. Insbesondere ärmere Haushalte haben Probleme, die stark angestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel bezahlen zu können; und andererseits können sie durch den Verkauf von Vieh kaum Einkommen erwerben (WB 18.7.2017). Drei Jahre Dürre haben zu einer humanitären Krise geführt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit, von Kindersterblichkeit und Unterernährung betroffen. Rund 60% des Viehbestands wurde vernichtet, wobei die Viehzucht das Haupteinkommen großer Bevölkerungsteile darstellt (UNHRC 6.9.2017). Dabei hat die Dürre Auswirkungen auf alle ökonomischen Aktivitäten in Somalia, darunter Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei. Mittlerweile machen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Dürre auch substantiell im Bundesbudget bemerkbar (UNSC 5.9.2017). Allerdings ist der Schaden an Leben und Lebensbedingungen - vor allem von Frauen, Kindern und Benachteiligten - enorm (UNSOM 13.9.2017). Für die Zukunft wird an Programmen gearbeitet, um Resilienz gegenüber künftigen Dürreperioden zu entwickeln (UNSC 5.9.2017).

 

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht gewährleistet (AA 1.1.2017). Die Versorgungslage ist durch geringe Ernteerträge und Trockenperioden anhaltend schlecht. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage und Einschränkungen durch die Aktivitäten diverser Milizen, ist es für humanitäre Organisationen eine Herausforderung benachteiligte Bevölkerungsteile zu erreichen (ÖB 9.2016).

 

Zu Beginn des Jahres 2017 hatte sich die humanitäre Lage in Somalia mit alarmierender Geschwindigkeit verschlechtert. Der somalische Präsident hat am 28.2.2017 den nationalen Notstand ausgerufen und um verstärkte Hilfe der internationalen Gemeinschaft gebeten (UNSC 9.5.2017). Am 2.2.2017 wurde für Somalia eine Alarm-Erklärung hinsichtlich einer bevorstehenden Hungersnot ("pre-famine alert") ausgegeben. Danach wurden humanitäre Aktivitäten weiter hochgefahren (SEMG 8.11.2017). Zuletzt hat am 5.12.2017 die Regierung von Puntland den Notstand ausgerufen und um Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen gebeten (VOA 5.12.2017).

 

Die somalische Regierung hat aufgrund der Lage in Zusammenarbeit mit humanitären Kräften die Planung von einer Reaktion auf die Dürre ("drought response") bereits auf die Prävention einer Hungersnot ("famine prevention") umgestellt (UNHRC 6.9.2017). Nur die rasche Unterstützung internationaler humanitärer Partner und somalischer Organisationen hat eine Hungersnot verhindert (SEMG 8.11.2017). Hungertote wurden nur sehr sporadisch gemeldet, so etwa im Jänner 2017 aus Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo (SMN 15.1.2017) sowie im März 2017 aus Bay (BBC 4.3.2017).

 

Das Risiko einer Hungersnot besteht jedoch auch weiterhin (FEWS 30.12.2017; vgl. UNSOM 13.9.2017, UNHCR 30.11.2017b). Die Gu-Regenfälle (März-Juni) sind im Durchschnitt wieder schwach ausgefallen, in Somaliland und Puntland erreichten sie nahezu normale Werte. In einigen Gebieten ist das Risiko einer Hungersnot größer geworden, die Nahrungsmittelsicherheit wird sich auch bis Ende 2017 nicht verbessern. In den Regionen Galgaduud, Gedo, Mudug, Middle und Lower Shabelle wird sogar eine Verschlechterung erwartet. In einigen Gebieten hat sich die Situation also entspannt, aufgrund der Länge der diesmaligen Dürre ist aber von einer tatsächlichen Erholung erst nach zwei aufeinanderfolgenden Perioden guter Regenfälle auszugehen (UNSC 5.9.2017). Auch wenn bisher das Schlimmste verhindert worden ist (UNNS 13.9.2017; vgl. UNSC 5.9.2017), besteht auch im zweiten Halbjahr 2017 weiterhin das Risiko einer Hungersnot (UNSC 5.9.2017). Auch die Deyr Regenfälle gegen Ende 2017 sind in den meisten Landesteilen unterdurchschnittlich ausgefallen. Nur einige begrenzte Gebiete in Zentralsomalia sowie entlang der äthiopischen Grenze konnten durchschnittliche oder überdurchschnittliche Niederschläge aufweisen (FEWS 3.1.2018).

 

Im ersten Trimester 2017 waren 6,2 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, davon waren knapp drei Millionen auf akute lebensrettende Hilfe angewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Folge hat sich die Situation verschlechtert, die Zahl der auf Unterstützung angewiesenen Menschen ist auf 6,7 Millionen gestiegen. Davon benötigen 3,2 Millionen akute lebensrettende Hilfe (UNSC 5.9.2017). 70% der Menschen, die unmittelbar auf Hilfe angewiesen sind, befinden sich in Süd-/Zentralsomalia, wo der Zugang durch Sicherheitsprobleme und die al Shabaab behindert wird (UNHRC 6.9.2017); dies betraf sowohl Gebiete außerhalb der als auch unter Kontrolle von al Shabaab. Während aber die Gruppe bei der Hungersnot im Jahr 2011 aufgrund ihrer Blockade erheblich zur hohen Zahl von 260.000 Hungertoten beigetragen hatte, verteilte al Shabaab diesmal - auch zu Propagandazwecken - selbst Hilfsgüter. Dies betraf Gebiete in Bay, Bakool, Galgaduud, Hiiraan, Lower Shabelle und Mudug. Andererseits wurde humanitäre Hilfe von außen auch diesmal behindert oder blockiert; wurde die Einhebung von Steuern verstärkt; wurden humanitäre Bedienstete entführt; und Hilfslieferungen an Straßensperren besteuert. Immerhin wurde diesmal vor der Dürre Flüchtenden in manchen Fällen die Weiterreise gewährt. Auch Behörden haben die Arbeit humanitärer Kräfte auf unterschiedliche Art behindert (SEMG 8.11.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichte prognostizieren, dass im Jahr 2018 6,2 Millionen Menschen - und damit die Hälfte der Bevölkerung - auf Hilfe angewiesen sein werden (UNHCR 30.11.2017b).

 

Rund 900.000 Kinder sind akut unterernährt (UNHRC 6.9.2017). Die Zahl der akut unterernährten Kinder könnte bis Ende 2017 auf 1,4 Millionen ansteigen, darunter 275.000 mit schwerer - lebensbedrohlicher - akuter Unterernährung (UNHRC 6.9.2017; vgl. UNSC 5.9.2017). Bis Juni 2017 wurden fast 400.000 Betroffene behandelt, mehr als 173.000 Kinder erhielten Unterstützung, damit sie weiterhin die Schule besuchen können. Insgesamt wurden drei Millionen Menschen durch Unterstützung erreicht, teils auch durch Geld-Programme (UNSC 5.9.2017). Alleine der UNHCR erreichte im Zeitraum 11.2016-11.2017 mehr als 800.000 Menschen (UNHCR 30.11.2017b). Über 80% der Nahrungsmittelhilfe erfolgt durch Geld und Gutscheine (SEMG 8.11.2017). 225 Ernährungszentren wurden eingerichtet. Im Zeitraum Jänner-August 2017 wurde für 3,5 Millionen Menschen der Zugang zu sauberem Wasser gewährleistet. Auch AMISOM hat Wasserbohrungen durchgeführt. 18,5 Millionen Stück Vieh wurden behandelt und dadurch 2,8 Millionen Menschen geholfen (UNSC 5.9.2017). Bereits im April 2017 konnte für 1,7 Millionen Menschen der Zugang zu Nahrungsmitteln verbessert werden. Alleine im März 2017 wurden 332.000 Kinder ernährungstechnisch behandelt. Dabei behindert al Shabaab nach wie vor den Zugang zu Menschen in Not auf dem Gebiet unter Kontrolle dieser Gruppe (UNSC 9.5.2017). Aufgrund der schnellen und großzügigen Beiträge konnte das Schlimmste verhindert werden. Pro Monat werden über drei Millionen Menschen erreicht (UNSOM 13.9.2017). Mobile Teams des somalischen Roten Halbmonds dringen auch in entlegene Gebiete vor (ICRC 28.7.2017).

 

900.000 Menschen mussten im Jahr 2017 ihre Heimat in Somalia verlassen (UNSOM 13.9.2017); nach anderen Angaben hat die Dürre zur Vertreibung von 714.000 Menschen geführt - zusätzlich zu den bereits davor existierenden rund 1,1 Millionen IDPs (UNHRC 6.9.2017). Davon suchten rund 7.000 Schutz in Äthiopien und Kenia (UNSC 5.9.2017).

 

[...]

 

Die internationale Unterstützung erfolgte diesmal relativ rasch, die Anstrengungen sind besser koordiniert. Auch auf nationaler Ebene wurde reagiert und geholfen. Die Regierung hat Anstrengungen unternommen, selbst Studenten wurden ermutigt, jeweils 10 USD zu spenden. Firmen und Wirtschaftstreibende haben signifikant zu den Hilfskampagnen beigetragen (ICG 9.5.2017). Insgesamt erreichen Hilfsprojekte der UN oder von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen in der Regel aber nicht die gesamte Bevölkerung. Dies gilt im Großen und Ganzen auch für Puntland, allerdings erreichen dort Hilfsorganisationen im Falle einer Dürrekatastrophe aufgrund der besseren Sicherheitslage mehr Menschen (AA 1.1.2017). Überhaupt variiert die Abdeckung mit internationaler humanitärer Unterstützung regional. Die meisten Gebiete in Somaliland und Puntland sind besser abgedeckt, die Möglichkeiten in Süd-/Zentralsomalia mehr eingeschränkt (ICG 9.5.2017). Die Situation in Puntland ist also besser als im Süden, mehr Menschen haben Zugang zu Trinkwasser und medizinischer Versorgung. In Puntland hat der Handel über Seehäfen und die wirtschaftliche Betätigung insgesamt einen spürbaren Aufschwung genommen, der jedoch bislang fast ausschließlich der dort lebenden Stadtbevölkerung zu Gute kommt (AA 4 .2017b).

 

Quellen [...]

 

Rückkehrspezifische Grundversorgung

 

Viele Angehörige der somalischen Diaspora wagen in diesen Tagen die Rückkehr. In der Hauptstadt lässt sich die Aufbruch-Stimmung an unzähligen Baustellen und an neuen Straßen, Cafés und Geschäften ablesen. Ausländische Diplomaten, Berater und Helfer strömen ins Land. Botschaften werden gebaut. Doch die meisten Ausländer verschanzen sich hinter hohen Sprengschutzmauern auf dem geschützten Flughafengelände (DW 27.9.2017). Alleine aus der Region zählte der UNHCR im Zeitraum 2014-2017 in Somalia 109.317 freiwillige Rückkehrer (UNHCR 30.11.2017b).

 

Die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen sind limitiert. So berichteten Personen, die aus Kenia nach Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt waren, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten. UNHCR gewährt finanzielle Unterstützung und bietet temporäre Unterkünfte (USDOS 3.3.2017). Allerdings wird - z.B. seitens des UNHCR - versucht, hier Abhilfe zu schaffen. Ein ohne Bedingungen ausgegebenes, sogenanntes Rückkehrpaket enthält: ein aus Sachgütern bestehendes Paket (etwa: Decken, Seife, Planen, Kanister etc.); eine einmalige Wiedereingliederungshilfe von 200 US-Dollar pro Person; eine auf sechs Monate begrenzte Reintegrationshilfe von 200 US-Dollar pro Haushalt; eine zusätzliche, auf sechs Monate begrenzte Unterstützung mit Essensrationen; eine Bildungsunterstützung, auf neun Monate begrenzt, von 25 US-Dollar pro Kind und Monat (zusätzlich: Schuluniformen, Schulmaterial); und - bei Auswahl - bis zu 1.000 US-Dollar für eine Unterkunft; sowie die Aufnahme in Selbsterhaltungsprojekte (UNHCR 30.11.2017a). In Programmen aufgenommenen Rückkehrern gewährt UNHCR einmalige Wiedereingliederungshilfen und für sechs Monate Reintegrationshilfe. Im November 2017 wurden derartige Gelder an knapp 27.000 Rückkehrer ausbezahlt (rd. 6.000 Haushalte). Andere profitierten von sog. cash-for-work Programmen oder erhielten eine Ausbildung (UNHCR 30.11.2017b). Die EU unterstützt zahlreiche Reintegrationsprojekte für Rückkehrer in Somalia mit mehr als 33 Millionen Euro aus dem EU Trust Fund (EEAS 5.4.2017).

 

Außerdem hat der UNHCR im Zeitraum 1.-11.2017 1.306 Unterkünfte und 409 Latrinen für Rückkehrer gebaut (UNHCR 30.11.2017b). In Puntland und Somaliland hat die UN für Rückkehrer und IDPs mehr als 5.000 "housing units" errichtet (BFA 3./4.2017). In sog. community empowerment activities werden Rückkehrer in die Rehabilitation von wichtiger öffentlicher Infrastruktur eingebunden. Derartige Projekte laufen etwa in Galkacyo, Baidoa, Kismayo, Afmadow, Luuq und Mogadischu. In anderen Projekten werden Rückkehrer in Berufen ausgebildet. So etwa in Hargeysa (Elektriker, Maler, Installateure, Köche, Schneider), Kismayo (Geflügelzucht), Baidoa (Tischler). Zusätzliche Programme richten sich an Kleinhändler, z.B. in Garoowe, Bossaso, Kismayo, Hargeysa, Luuq und Mogadischu (UNHCR 30.11.2017a). In den Straßen Kismayos sind kleine Geschäfte zu sehen, die von zurückgekehrten ehemaligen Flüchtlingen betrieben werden (UNHCR 18.12.2017). Auch die EU-Agentur ECHO unterstützt mit Programmen und dem Social Safety Net Project 5.000 vulnerable Haushalte (ca. 30.000 Personen) (ACTED 6.12.2017).

 

Der Jilib [Anm.: in etwa die unterste Ebene des Clansystems] ist u. a. dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017). Daher gilt als allgemeine Regel, dass Somali auch sehr entfernt Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen, unterstützen werden, da eine Clan-Verbindung besteht. Voraussetzung dafür ist, dass die Kapazitäten dafür zur Verfügung stehen. Allerdings wurde das Konzept der Clan-Solidarität in Süd-/Zentralsomalia überdehnt. Viele Familien und Clan-Netzwerke sehen sich nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse vertriebener Verwandter zu erfüllen (DIS 9.2015).

 

Beide - Familie (auch die erweiterten und entfernt verwandten Teile) und Clan - bleiben einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um Akzeptanz, Sicherheit und Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) geht. Eine Person, die an einen neuen Wohnort zieht, erwartet sich die Akzeptanz des Clans in der lokalen Gemeinschaft. Diese Akzeptanz bedeutet, dass die Menschen über den Neuankömmling und seine Verbindungen Bescheid wissen; damit steht auch der Schutz in Verbindung, den diese Person vom Clan erlangen kann. Dies gilt auch für Rückkehrer, doch können diese ja nach Fähigkeiten und Kapazitäten auch autark leben, ohne einer Clan-Belästigung ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite ist eine schwache Person mit wenigen Ressourcen auf die Unterstützung von Angehörigen, Verwandten oder einem engen Netzwerk angewiesen, um Unterkunft und Einkünfte zu erlangen. Grundsätzlich wird dabei nicht zuerst der Clan um Unterstützung angefragt (DIS 9.2015). Hier wendet man sich zuerst an die Familienebene. Wenn aber eine Person in einem Gebiet weder über Kernfamilie noch über Verwandte verfügt, dann kann der Clan Ressourcen zur Verfügung stellen (DIS 9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014), wobei dies im Falle von Mogadischu eher bei großen Clans Erfolg haben wird (UKUT 3.10.2014). Eine übersiedelnde Person, wird sich in einem IDP-Lager wiederfinden und sich keinen Lebensunterhalt sichern können, wenn sie in einer Stadt weder über Kern- oder erweiterte Familie mit entsprechenden Ressourcen verfügt (DIS 9.2015; vgl. UKUT 5.11.2015) noch auf Remissen zurückgreifen kann (UKUT 5.11.2015). Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (NLMBZ 11.2017).

 

Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann also in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängen. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem wenn sie aus dem Westen zurückkehren (ÖB 9.2016). Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr nach Mogadischu zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise aus Mogadischu; die Dauer der Abwesenheit aus der Stadt; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht. Insgesamt liegt es also an der Person selbst zu erklären, warum sie nicht an den durch den Wirtschaftsboom in Mogadischu bestehenden ökonomischen Möglichkeiten teilhaben kann (UKUT 3.10.2014; vgl. UKUT 5.11.2015).

 

Rückkehrer (v.a. aus dem Westen) haben bei der Arbeitssuche in Mogadischu wahrscheinlich Vorteile, da sie eher gebildet sind und als einfallsreicher erachtet werden. Dies gilt noch mehr, wenn der Arbeitgeber selbst ein aus der Diaspora Zurückgekehrter ist (UKUT 3.10.2014; vgl. UKUT 5.11.2015).

 

Quellen:

 

[...]

 

Rückkehr

 

Bereits in einer Studie aus dem Jahr 2016, bei welcher 130 Somali der Diaspora in London, Minneapolis, Toronto, Bern, Malmö, Amsterdam und Helsinki befragt wurden, gaben viele an, bereits nach Somalia zu reisen (UNHCR 1.2016). Schon nach den Jahren 2011 und 2012 hat die Zahl der aus der Diaspora nach Süd-/Zentralsomalia zurückkehrenden Menschen stark zugenommen. Es gibt keine Statistiken, doch alleine die vollen Flüge nach Mogadischu und die sichtbaren Investments der Diaspora scheinen die Entwicklung zu bestätigen (EASO 12.2017). Auch weiterhin bleibt die steigende Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia eine Tatsache. Viele Angehörige der somalischen Diaspora wagen in diesen Tagen die Rückkehr (DW 27.9.2017; vgl. ÖB 9.2016). Die Gründe dafür sind: intensivierte Bemühungen Kenias, somalische Flüchtlinge nach Somalia zu repatriieren; der Krieg im Jemen, der somalische Flüchtlinge zur Rückkehr bewegte; Anstrengungen anderer Staaten, die aufgrund der voranschreitenden territorialen Befreiung von der al Shabaab Druck auf somalische Flüchtlinge ausüben (ÖB 9.2016); die herrschende Aufbruchstimmung z. B. in Mogadischu (DW 27.9.2017). Auch der Rückkehrtrend somalischer Flüchtlinge aus dem Jemen kann als Zeichen dafür gedeutet werden, dass mehr und mehr Familien eine Zukunft in Somalia als annehmbare Alternative sehen (ÖB 9.2016). Viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (BFA 3./4.2017).

 

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2015 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Kenia (AA 1.1.2017). Dabei haben die drei Parteien die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen und des Non-Refoulement zugesichert (UNHRC 28.10.2015; vgl. LI 1.4.2016). Im Zeitraum 2014-2017 zählte der UNHCR in Somalia 110.913 freiwillige Rückkehrer aus der Region (UNHCR 31.12.2017). 74.606 davon kehrten aus Kenia zurück und weitere 34.077 aus dem Jemen. Alleine im November 2017 kehrten 663 Somalia aus Kenia und 156 aus dem Jemen in ihre Heimat zurück (UNHCR 30.11.0217b), im Dezember 2017 waren es 1.596 (UNHCR 31.12.2017). Mindestens 19.000 rückkehrwillige Somali warten in Kenia auf ihren Transport (UNHCR 20.12.2017).

 

Seit Beginn der Krise im Jemen im März 2015 kamen von dort 34.085 Somali zurück nach Somalia; davon 33.667 spontan und 418 mit Unterstützung. Im Jahr 2017 waren es 4.610, davon 4.192 spontan (UNHCR 30.11.0217b). Im Jemen warten weitere rückkehrwillige Somali auf Hilfe, um nach Hause zurückzukommen. UNHCR kann weiteren 10.000 bei der Rückkehr behilflich sein. Die meisten der Rückkehrer wollen nach Mogadischu (UNNS 19.5.2017; vgl. RMMS 7.2016). Nur rund 15-20% bleiben in Somaliland oder Puntland (BFA 3./4.2017). IOM unterstützte zahlreiche Rückkehrer aus dem Jemen mit Weitertransport - v.a. nach Mogadischu (USDOS 3.3.2017).

 

Insgesamt erfolgte die Rückkehr teils auf dem Landweg (etwa über Dhobley), teils auf dem Luftweg (etwa nach Kismayo) und teils auf dem Seeweg (vor allem aus dem Jemen) (UNHCR 30.11.2017a; vgl. UNHCR 30.11.2017b). Auch nach Mogadischu gab es Flüge mit Rückkehrern (BFA 3./4.2017). Eines der maßgeblichen Zielgebiete der Rückkehrer ist Kismayo und das südliche Jubbaland. Deutschland unterstützt dort ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 1.1.2017).

 

Soweit bekannt blockieren die somalischen Behörden Rückführungen nach Süd-/Zentralsomalia nicht. Es ist auch nicht bekannt, dass die somalischen Behörden Rückkehrer überwacht oder misshandelt haben (NLMBZ 11.2017). Laut einer anderen Quelle liegen hinsichtlich der Behandlung rückgeführter somalischer Staatsangehöriger keine belastbaren Erkenntnisse vor, da insbesondere westliche Staaten Rückführungen nur in sehr begrenztem Ausmaß durchgeführt haben. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge dieser

 

Personengruppe, sondern das gelegentlich unvorhersehbare Verhalten der Sicherheitskräfte, die Sicherheits- und Versorgungslage allgemein sowie mögliche Übergriffe der al Shabaab (AA 1.1.2017). Trotz aller Erfolge von somalischer Armee und AMISOM ist die Sicherheitslage in vielen Teilen Somalias nicht stabil genug, um die Aufnahme von Rückkehrern zu gewährleisten (UNHRC 28.10.2015). Andererseits sind nach Somalia Rückgeführte nicht per se einem höheren Risiko ausgesetzt. Diese Feststellung wird durch fehlende negative Meldungen bezüglich der zahlreichen aus Saudi Arabien deportierten Personen unterstützt (UKUT 3.10.2014). Generell ist ein "normaler Zivilist" (keine Verbindung zur Regierung; zu Sicherheitskräften; zu Behörden; zu NGOs oder internationalen Organisationen) nach einer längeren Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Mogadischu aufgrund der Tatsache, dass er in einem europäischen Land gelebt hat, keinem derartigen Risiko ausgesetzt, dass dieses einen Schutz gemäß Artikel 3 oder Artikel 15c erforderlich machen würde (UKUT 3.10.2014; vgl. EGMR 10.9.2015).

 

Menschenrechtsorganisationen mahnen die prekäre Situation der Rückkehrer in Somalia an (AA 1.1.2017). Obwohl der UNHCR bei der Rückführung aus Kenia eine große Rolle spielt, mahnt die gleiche Organisation angesichts der von ihr bewerteten Sicherheitslage davor, Personen in Gebiete in Süd-/Zentralsomalia zurückzuschicken.

Genannt werden: eine nicht-existente Infrastruktur; mangelnde Einrichtungen für somalische Rückkehrer; die weiterhin schwierige Sicherheitslage; die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen und Kinder; sowie die Spannungen mit der lokalen Bevölkerung im Kontext eines allgemeinen Ressourcenmangel, die eine Massenrückkehr aus den Nachbarländern auslösen kann. Somalia scheint auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in größerem Ausmaß nicht vorbereitet zu sein (ÖB 9.2016). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige und andere Rückkehrer (AA 1.1.2017). Es kann aber insgesamt davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird bzw. andere Flucht-/Migrationsrouten aufgesucht werden. Es kommt auch zur Re-Migration von Rückkehrern nach Kenia (ÖB 9.2016). Abschiebungen nach Somalia sollten laut UN ausschließlich nach Konsultierung der Bundesregierung und nach Abwägung der in Somalia vorhandenen Ressourcen stattfinden (UNHRC 6.9.2017). Das Rückkehrprogramm (Kenia) nach Kismayo musste Mitte 2016 für mehrere Monate ausgesetzt werden, da Jubaland nicht in der Lage war, zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu stellen (DIS 3.2017). In manchen Regionen könnte die großflächige Ansiedlung von Rückkehrern zu Spannungen führen - etwa hinsichtlich von Landbesitz, Rechten und Demographie. Dies gilt insbesondere jetzt, wo viele ländliche Herkunftsgebiete von Rückkehrern noch von al Shabaab kontrolliert werden und die Rückkehrer daher auf urbane Ballungszentren ausweichen (DDG 24.10.2017).

 

Allein die Tatsache, dass eine Person nach Somalia zurückkehrt, macht diese nicht zum Ziel - auch nicht für die al Shabaab (NLMBZ 11.2017). Rückkehrern in Gebiete der al Shabaab könnte vorgeworfen werden, als Spione zu dienen (BFA 8.2017). Rückkehrer aus Kenia werden von al Shabaab normalerweise nicht angegriffen (BFA 3./4.2017). Ob ein Rückkehrer zum Ziel der al Shabaab wird, hängt maßgeblich von seinem eigenen Verhalten ab. Die al Shabaab wird ihr bekannte Rückkehrer genauer beobachten. Ein Neuankömmling läuft auch eher Gefahr, an einem Checkpoint angehalten und verhört zu werden. Alleine die Tatsache, dass eine Person aus dem Westen zurückgekehrt ist, spielt bei einer Rückkehr in das Gebiet der al Shabaab keine Rolle. Viel wichtiger sind die Zugehörigkeit zu Familie und Clan und die Beziehungen dieser beiden Entitäten zur al Shabaab (DIS 3.2017). Andererseits kann es auch vorkommen, dass Rückkehrer von Regierungskräften verdächtigt werden, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Anschlägen von im Westen radikalisierten Somali der Diaspora gekommen ist. Auch Rückkehrer aus dem Jemen werden in Mogadischu teilweise als "high-risk" angesehen (BFA 3./4.2017).

 

Aus Europa führen folgende Länder Abschiebungen durch:

Großbritannien grundsätzlich; die Niederlande, Dänemark und Norwegen unterstützen freiwillige Rückkehrer; die Niederlande und Dänemark nur nach Somaliland, Norwegen auch in andere Landesteile; Finnland kann in Ausnahmefällen verurteilte Straftäter nach Somaliland zurückführen, Schweden nach Somaliland und Puntland (AA 1.1.2017). Auch aus den Vereinigten Staaten werden Somali abgeschoben (UNHRC 6.9.2017). Im Zeitraum 10.2015-10.2016 sollen es ca. 200 Personen gewesen sein, im Zeitraum 10.2016-6.2017 bereits knapp 520 (ST 4.6.2017). Aus Österreich sind bisher nur Operationen zur freiwilligen Rückkehr (nach Somaliland) bekannt (BFA 3./4.2017). Seit 2015 betreut IOM ein Programm für freiwillige Rückkehrer aus den Niederlanden nach Mogadischu, Baidoa und Kismayo. Die meisten Rückkehrer gehen nach Mogadischu, wo die meisten Hilfsorganisationen beheimatet sind, wo der Wiederaufbau für Arbeitsplätze sorgt, wo der Lebensstandard besser und die Clan-Diversität größer ist (NLMBZ 11.2017).

 

Ein westeuropäisches Land erklärt, über ein Sonderabkommen mit der somalischen Bundesregierung zu Verfügen. Rückzuführende Personen werden mit einem Laissez-Passer ausgestattet und nach Mogadischu geflogen. Dies gilt auch für jene Personen, die aus Somaliland stammen - diesen wird ein Weiterflug nach Hargeysa finanziert (BFA 3./4.2017).

 

Seit dem Jahr 2013 kommt es auch zu massiven Deportationen aus Saudi Arabien. Seit damals sind ca. 85.000 Menschen nach Somalia zurückgebracht worden. Viele dieser zwangsweise Rückgeschobenen wurden bei ihrer Rückkehr zu IDPs, da sie nicht in ihre eigentliche Heimat zurückkehren konnten (USDOS 3.3.2017).

 

Einen geordneten Direktflugverkehr nach Mogadischu aus Europa gibt es bislang nur aus Istanbul mit Turkish Airlines. Darüber hinaus fliegen nur regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Die Abfertigung der Flüge von Turkish Airlines findet in der zentralen Abfertigungshalle des Flughafens statt. Der Aufenthalt oder die Passage durch diese Abfertigungshalle wird aus Sicherheitsgründen dem gesamten in Mogadischu tätigen oder dorthin reisenden Personal von UN, EU und infolgedessen auch den meisten Botschaftsvertretern untersagt. Das muss im Hinblick auf eine etwaige Rückführung begleitende Beamte in Betracht gezogen werden (AA 1.1.2017).

 

Quellen [...]

 

Zur Medizinischen Versorgung:

 

Die Gesundheitslage zählt zu den schlechtesten der ganzen Welt. Die Kinder- und Müttersterblichkeitsraten sind alarmierend hoch. Gleichzeitig ist die Förderung von Gesundheitsprogrammen gering (ÖB 9.2016). Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 45 Jahre für Männer und 47 Jahre für Frauen. Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen (AA 1.1.2017). Die Müttersterblichkeit hat sich von 850 pro 100.000 Lebendgeburten im Jahr 2010 auf 732 pro 100.000 im Jahr 2016 verringert (USDOS 3.3.2017), bleibt aber eine der höchsten weltweit (LI 11.6.2015).

 

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft (AA 1.1.2017). Medizinische Grunddienste stehen nicht ausreichend zur Verfügung (AA 4 .2017b). Allerdings variiert der Zugang zu medizinischer Versorgung. Dieser scheint in Somaliland und in Mogadischu am besten zu sein. Da es kein staatliches Gesundheitssystem gibt, ist die Versorgungslage maßgeblich davon abhängig, wie sehr der Zugang für lokale und internationale Hilfsorganisationen in einem Gebiet gewährleistet ist. Folglich ist die Versorgungslage in den größeren Städten besser. Schätzungsweise 80% der Bevölkerung haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung (LI 11.6.2015).

 

Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Zudem behindert die unzureichende Sicherheitslage ihre Arbeit. Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen örtlicher (islamistischer) Machthaber unterbrochen werden (AA 1.1.2017). Gesundheitspersonal ist rar und Spitäler sind aufgrund von Unterfinanzierung von Schließungen gefährdet (ÖB 9.2016). Allerdings sind z.B. in Mogadischu seit 2014 einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken neu eingerichtet worden (LI 1.4.2017). Auch AMISOM betreibt oder unterstützt Spitäler bzw. bietet medizinische Versorgung, etwa in Merka (AMISOM 24.2.2017) oder Baidoa (UNSOS 16.11.2016). In Mogadischu wurde zudem ein Spital durch die Vereinten Arabischen Emirate erbaut (Horseed 4.6.2015), ein weiteres wurde von der Türkei renoviert und ausgebaut. Letzteres bietet auch eine vergleichsweise günstige Versorgung für Dialysepatienten (Hiiraan 17.6.2016).

 

Die Somali Red Crescent Society (SRCS) betreibt in ganz Somalia 25 feste Kliniken (ICRC 23.5.2017). Hinzu kommen elf mobile Kliniken in Süd-/Zentralsomalia. Dabei wird die SRCS vom IKRK unterstützt. Die Teams des SRCS dringen dabei auch in entlegene Gebiete vor - hundert Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt. Sie gewährleisten damit dort eine medizinische Grundversorgung (ICRC 28.7.2017).

 

Durch Wasser verursachte Krankheiten sind weit verbreitet (AWD bzw. Cholera). 85% der Betroffenen von Cholera sind Kinder unter 5 Jahren (ÖB 9.2016). Dabei hat die Dürre die Verbreitung von Cholera verstärkt. Bis Ende Juli 2017 gab es fast 76.000 Fälle mit 1.155 Toten. Danach ist es den Behörden und Partnern gelungen, die Seuche in den meisten Gebieten einzudämmen (UNSC 5.9.2017).

 

In Somalia gibt es fünf Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Allerdings arbeiten insgesamt nur drei Psychiater an diesen Einrichtungen (WHO 2017a).

 

[...]

 

Zur Humanitären Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu:

 

Auszüge aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation

 

In Somalia und auch in Mogadischu sind unzählige humanitäre Organisationen aktiv. Alleine im Bereich "Child Protection" sind es in ganz Somalia zwei Regierungsorganisationen, drei UN-Agenturen, sieben internationale NGOs und 49 nationale NGOs. In Mogadischu sind in diesem Bereich 21 Organisationen aktiv. Die UN listet für Mogadischu außerdem folgende Zahlen aktiver Organisationen auf: Camp Coordination and Camp Management - 3; Bildung - 1; Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung - 19; Gesundheit - 5; Ernährung - 23;

Schutz - 10; Unterkunft - 11; Wasser, Sanitäres, Hygiene - 22;

 

Auf allen diesen Feldern wird also Hilfe und Unterstützung gegeben.

Einige Beispiele wurden unten angeführt. Genannt werden:

 

• Versorgung mit sicherem Trinkwasser

 

• Verteilung von Gutscheinen (v.a. elektronisch über Mobilfunk)

 

• Latrinenbau

 

• Angebot von Grundschulausbildung

 

• Ernährungsprogramme

 

• Unterstützung von Gesundheitseinrichtungen

 

Speziell hervorgehoben werden Programme für Rückkehrer (v.a. aus Kenia und dem Jemen). Hier werden Rückkehr-Packages vergeben und außerdem eine finanzielle Rückkehrhilfe für sechs Monate gewährt. Außerdem gibt es für Rückkehrer organisierte Berufsausbildungskurse, wirtschaftliche Starthilfe (z.B. in Form einer Eselkarre) oder Berufsberatung.

 

Üblicherweise haben Rückkehrer nach Mogadischu einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen.

 

[...]

 

Die UN-Agentur OCHA zählt in der Region Benadir bzw. in Mogadischu dutzende Organisationen auf, die in den verschiedenen humanitären Bereichen unterstützend und Hilfe leistend aktiv sind.

 

UNICEF arbeitet u.a. daran, den Menschen sicheres Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Dabei wurden etwa in den Bereichen Kaxda und K13-14 (Benadir/Mogadischu) mittels Lastwägen, durch Gutscheinverteilung oder durch Chlorierung von Brunnen Hilfe geleistet.

 

Außerdem lässt UNICEF Latrinen bauen, bietet über Partner Grundschulbildung an, führt Ernährungsprogramme in stark betroffenen Gebieten (u.a. in IDP-Lagern in Mogadischu) durch, unterstützt und führt dort auch Gesundheitseinrichtungen.

 

Im Zeitraum 12/2014-3/2018 sind 81.000 Somali aus der Region Ostafrika nach Somalia repatriiert worden. Die Rückkehrentscheidung erfolgte bei diesen Personen freiwillig und UNHCR unterstützt diese Rückkehrer mit Rückkehr- und Reintegrationshilfe. Zusätzlich sind rund 35.000 Personen spontan aus dem Jemen nach Somalia zurückgekehrt.

 

Die meisten Rückkehrer kommen aus Kenia und dem Jemen, einige auch aus Libyen.

 

Jeder Rückkehrer-Haushalt erhält ein oder - abhängig von der Haushaltsgröße - mehrere Packages mit Core Relief Items oder aber dem Äquivalent in Cash.

 

Rückkehrende Kinder im Schulalter werden über ein Jahr lang mit Schulmaterialien und bei den Schulgebühren unterstützt. Außerdem wird eine Unterstützung mit Bargeld gewährleistet. Diese Integrationshilfe beträgt pro Haushalt 200 US-Dollar pro Monat, sechs Monate lang.

 

Außerdem gibt es für Rückkehrer organisierte Berufsausbildungskurse, wirtschaftliche Starthilfe (z.B. in Form einer Eselkarre) oder Berufsberatung.

 

Üblicherweise haben Rückkehrer nach Mogadischu einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen.

 

Für assistierte Rückkehr bietet UNHCR (und Partner) unterschiedliche Leistungen. Siehe dazu LIB Somalia, Abschnitt 21.2 und z.B.

 

UNHCR (31.1.2018): Somalia - Repatriation Update 1-31 January 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/62412.pdf , Zugriff 8.5.2018

 

Ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Mogadischu sichergestellt oder kommt es dort zu Engpässen?

 

Zusammenfassung:

 

Bereits bevor sich die Lage aufgrund der aktuellen Regenfälle entspannt hat (siehe LIB Somalia), wurde eine Verbesserung bei der Versorgung in Süd-/Zentralsomalia prognostiziert. Insgesamt wurde die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen projiziert (Integrated Food Security Phase Classification): 56% Stufe 1 IPC (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine = Hungersnot).

 

IDP-Lager in Mogadischu werden mit Stufe 3 IPC prognostiziert. Für die Stadt selbst gilt Stufe 1. Bei der ansässigen Stadtbevölkerung in Mogadischu leiden 11,2% der Menschen an akuter Unterernährung und 1,3% an akuter schwerer Unterernährung. Dahingegen sind bei den IDPs in Mogadischu 16,1% bzw. 4,1% der Menschen betroffen. 2% der ansässigen Stadtbevölkerung leiden an moderatem bis starkem Hunger, bei den IDPs sind es hingegen 41%. Der Indikator "Household Hunger Score" wird auf einer Skala von 0 (kein Hunger) bis 6 (katastrophal) bewertet. Dabei erreicht die Stadtbevölkerung folgende Werte: 93% - 0; 5% - 1; 2% - 2-3; die IDP-Bevölkerung hingegen zeigt wesentlich schlechtere Werte: 42% - 0; 17% - 1; 34% - 2-3; 7% - 4-5; Viele der von Hunger oder Unterernährung Betroffenen scheinen Kinder zu sein.

 

Es scheint also für gewisse Bevölkerungsteile - und hier in größerem Maße bei IDPs - zu Versorgungsschwierigkeiten zu kommen. Unklar ist, ob die oben angegebenen Zahlen zu Hunger auf einen Versorgungsengpass zurückzuführen sind; oder ob Hilfsorganisationen die Betroffenen nicht erreichen; oder ob verfügbare Hilfe von Betroffenen nicht abgerufen wird. Insgesamt sind die Versorgungsprobleme nicht so gravierend, dass Teile der Bevölkerung in IPC 5 (Hungersnot) abrutschen würden.

 

Das Risiko einer Hungersnot ist durch den Regen reduziert worden. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben begonnen, sich auf Normalwerte einzupendeln. Allerdings bleibt der Bedarf an humanitärer Hilfe weiterhin hoch. Alleine die staatliche USAID hat für 2018 Nahrungsmittelhilfe im Ausmaß von 130 Millionen US-Dollar zugesichert.

 

Einzelquellen:

 

Die Prognose der Agentur FSNAU der FAO (Food and Agriculture Organisation der UN) für den Zeitraum Feber bis Juni 2018 findet sich auf untenstehender Karte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Karte erstellt worden ist, als noch von einer unterdurchschnittlichen Gu-Regenzeit (Apr-Jun) ausgegangen wurde. Doch auch hier ist die Entspannung in Südsomalia ablesbar. Insgesamt wurde die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen projiziert: 56% Stufe 1 IPC (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine).

 

IDP-Lager in Mogadischu werden mit Stufe 3 IPC prognostiziert. Für die Stadt selbst gilt Stufe 1.

 

FSNAU FAO (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map , Zugriff 2.5.2018

 

Dieselbe Quelle berichtet, dass bei der Stadtbevölkerung in Mogadischu 11,2% der Menschen an akuter Unterernährung und 1,3% an akuter schwerer Unterernährung leiden. Dahingegen sind bei den IDPs in Mogadischu 16,1% bzw. 4,1% der Menschen betroffen.

 

Dies spiegelt sich auch in anderen Daten wider: 0% der Stadtbevölkerung werden in der Kategorie "Poor/Borderline Food Consumption" notiert; 2% leiden an moderatem bis starkem Hunger; 9% müssen mittelstarke bis starke Bewältigungsstrategien anwenden. Dahingegen lauten die Anteile an diesen Kategorien bei IDPs in Mogadischu 17%, 41% und 52%.

 

In absoluten Zahlen gerechnet sind in Mogdischu ca. 43.000 Kinder von akuter Unterernährung und 7.400 Kinder von akuter schwerer Unterernährung betroffen. Insgesamt sind die Zahlen beider Kategorien seit der Deyr-Regenzeit 2016/17 stark rückläufig.

 

Der Indikator "Food Consumption Score" wird für die Stadtbevölkerung von Mogadischu zu 99% mit "acceptable" angegeben, für die IDPs in der Stadt mit 84% "acceptable", 13% "borderline" und 4% "poor".

 

Der Indikator "Household Hunger Score" wird auf einer Skala von 0 (kein Hunger) bis 6 (katastrophal) bewertet. Dabei erreicht die Stadtbevölkerung folgende Werte: 93% - 0; 5% - 1; 2% - 2-3; die IDP-Bevölkerung hingegen zeigt wesentlich schlechtere Werte: 42% - 0; 17% - 1; 34% - 2-3; 7% - 4-5;

 

Die großangelegte und konsequente humanitäre Hilfe und saisonale (klimatische) Verbesserungen haben das Risiko einer Hungersnot in Somalia bis Mitte 2018 reduziert. Allerdings bleibt der Bedarf für Unterstützung weiterhin hoch und entscheidend.

 

Die staatliche US-Hilfsagentur USAID berichtet, dass für das Jahr 2018 dem World Food Program 130 Millionen US-Dollar für Nahrungsmittelhilfe zur Verfügung gestellt werden.

 

US Agency for International Development (4.5.2018): Somalia Food Assistance Fact Sheet (May 4, 2018), https://reliefweb.int/report/somalia/somalia-food-assistance-fact-sheet-may-4-2018 , Zugriff 8.5.2018

 

Auch UNICEF ist bei der Bereitstellung von Hilfe aktiv. Im Jänner 2018 berichtet die Organisation, dass sie in diesem Monat 65.598 IDPs in den Gebieten Mogadischu, Buuhoodle und Nugaal mit Wasser und Gutscheinen versorgt hat. Im selben Monat hat die Organisation dafür gesorgt, dass über 42.000 Kinder Zugang zu Bildung haben. Allerdings gibt die Organisation auch bekannt, dass viele Kinder nicht die Schule besuchen und im Jahr 2018 viele Kinder von akuter Unterernährung betroffen sein werden.

 

Bereits vor der laufenden - niederschlagsreichen - Gu-Regenzeit haben manche Nahrungsmittelpreise begonnen, sich auf Normalwerte einzupendeln. In Mogadischu gilt dies insbesondere für Mais. Reis hingegen hat auch während der Dürre keine großen Preisschwankungen erlebt.

 

Gibt es Informationen zum Arbeitsmarkt (für junge gesunde Männer im arbeitsfähigen Alter) in Mogadischu?

 

Rund 14% der Gesamtbevölkerung Somalias sind junge Männer (15-29 Jahre). Auch in Mogadischu besteht ein erheblicher Anteil der Stadtbevölkerung aus gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter. Es liegen keine Informationen darüber vor, wonach es allen diesen Männern an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden.

 

Allerdings leben viele Menschen in Mogadischu unterhalb der Armutsgrenze (1,25 US-Dollar pro Tag - extreme Armut; unter 2 US-Dollar pro Tag - Armut). Generell ist die Stadt mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert wie auch andere, schnell wachsende urbane Zentren: Der Zuzug von Menschen überfordert den Wohnungsmarkt, die sozialen Dienste und die Wirtschaft.

 

Insgesamt geben aber nur 0,5% der ansässigen Bevölkerung in Mogadischu, 19% der IDPs und 25% der Rückkehrer (wobei die Zahl hinsichtlich der Rückkehrer nicht repräsentativ ist und nur für arme Rückkehrer gilt) in Mogadischu an, unter unerträglichen Umständen zu leben. Dies lässt erkennen, dass die große Mehrheit ein Auskommen findet.

 

Arbeitslosigkeit

 

Zur Arbeitslosigkeit finden sich unterschiedlichste Angaben. Es gibt keine klaren Daten und die hier präsentierten Zahlen kommen durch unterschiedliche Kategorisierungen und Zählweisen zustande. Offensichtlich ist es bei manchen internationalen Agenturen üblich, alle nicht-arbeitenden Personen in die Kategorie "arbeitslos" einzustufen. Diese Zahlen subsummieren dann u.a. auch Hausfrauen, Schüler und Studenten, Rentner und Invalide. Relevanter sein könnte hier die Zahl der Arbeitssuchenden, welche für Mogadischu mit 6% (IOM: Jugendliche), für Mogadischu mit 28% (UNFPA: alle), für Somalia mit 16% (UNHCR: Männer) beziffert werden;

 

a) UNFPA - für ganz Somalia: 58% der männlichen Jugendlichen (15-35 Jahre) sind ökonomisch aktiv; dabei geht die UN-Agentur davon aus, dass nur knapp die Hälfte (50,2%) der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnehmen kann. Der Rest ist "ökonomisch inaktiv"; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schüler/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. In diesem Sinne fällt diese Personengruppe - nach europäischen Maßstäben - aus dem Kreis der Arbeitslosen, welche ausschließlich in der Gruppe der "ökonomisch Aktiven" zu suchen sind.

 

Im urbanen Raum sind 55,2% der Männer ökonomisch aktiv; in IDP-Lagern 55,2%.

 

Von den "ökonomisch Aktiven" arbeiten rund 76%, während 24% Arbeit suchen. Die Anteile bei den ökonomisch Aktiven im Sinne von arbeitend / arbeitssuchend betragen (in %):

 

• Im städtischen Raum: 66:34

 

• In IDP-Lagern: 66:34

 

• Altersgruppe 20-24 68:32

 

• Altersgruppe 25-29: 74:26

 

• Region Benadir (Mogad.) 72:28

 

b) UNICEF: Die Arbeitslosenquote im städtischen Bereich beträgt landesweit 60%-80%.

 

c) UNHCR: 13% jener, die nicht gearbeitet haben, waren auf Arbeitssuche [das sind i.d.F. 8,5% der Altersgruppe 15-75]. Die Arbeitslosenquote wird mit rund 20% angegeben. Bei Wirtschaftsmigranten sind es 14%, bei der Aufnahmegemeinde 18%, bei den IDPs 20%; bei Männern 16% und bei Frauen 20%. Die Arbeitslosenquote scheint relativ gering, allerdings handelt es sich oft um prekäre Arbeitsverhältnisse.

 

d) Weltbank: Die Arbeitslosenzahlen werden offenbar auch dadurch erhöht, dass 30% der inaktiven Frauen in Mogadischu angeben, dass ihr Ehemann es verbieten würde, dass sie arbeiten gehen.

 

e) Landinfo: Landinfo erklärt, dass die tatsächliche Arbeitslosenquote über der in der IOM-Studie erforschten zu liegen scheint. Es ist auch eine Frage der Definition - etwa, ob Unterbeschäftigung berücksichtigt wird. Außerdem kann es sein, dass einige der Personen, die angegeben hatten, einer Arbeit nachzugehen, dies im informellen oder familiären Kontext tun. Dies würde dann - streng gesehen - im statistischen Sinne keiner Arbeit gleichkommen.

 

f) ReDSS / NRC / DRC: Es gibt keine Möglichkeiten, die Arbeitslosenquote von Rückkehrern zu eruieren. Es gibt auch keine Möglichkeit, die Lage von IDPs mit jener der armen Stadtbevölkerung abzugleichen. Es ist unklar, ob IDPs unter einer höheren Arbeitslosigkeit leiden als der arme Teil der Stadtbevölkerung.

 

g) IOM: Von den Jugendlichen, die sich als arbeitslos deklariert hatten, suchten 72% aktiv nach einer Arbeit. In Mogadischu hatten sich 6% der Jugendlichen als arbeitslos deklariert (Kismayo 13%, Baidoa 24%). Unterschiede bei den Arbeitslosenzahlen können folgende Gründe haben: 1. dass die Situation in diesen drei Städten anders ist als in anderen Teilen Somalias; 2. dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat; 3. dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; 4. dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor).

 

h) UNDP (siehe Angabe von IOM): Zahl an arbeitslosen Jugendlichen im Jahr 2012 - 67%

 

Programme

 

Internationale Akteure (z.B. die Weltbank oder USAID) bemühen sich, über Programme Arbeitsplätze in Somalia zu schaffen. Auch die Stadtverwaltung von Mogadischu führte und führt ähnliche Programme, um ungebildete IDPs oder zurückgekehrte Jugendliche in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Im Rahmen von Programmen (etwa durch UN HABITAT) werden auch Ausbildungsmaßnahmen durchgeführt, um Jugendliche besser auf den Arbeitsmarkt abzustimmen. Auch die EU finanziert Programme, die sich an IDPs und Rückkehrer in und nach Mogadischu richten. Hierbei gibt es sogenannte cash-for-work-Komponenten, mit welchen Resilienz und Selbsterhaltungsfähigkeit der Teilnehmer gestärkt werden sollen. Derartige Programme gibt es von unterschiedlichsten Akteuren - etwa vom Roten Kreuz, von der polnischen Entwicklungshilfeagentur oder vom Norwegian Refugee Council. Immer wieder berichten diese Organisationen von Erfolgsgeschichten, und wie es mittels derartiger Programme gelungen ist, die Selbsterhaltungsfähigkeit ganzer Familien herzustellen. Ähnliches wird auch über die Vergabe von Mikrokrediten erreicht.

 

Arbeitsmöglichkeiten:

 

Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ist für die Stadt eine Herausforderung. Es gibt in der Stadt viele IDPs und in Somalia viele Jugendliche. Trotzdem scheint Mogadischu auch weiterhin über ökonomische Pull-Faktoren zu verfügen. Dort gibt es offenbar bessere Job-Aussichten, als in den meisten anderen Teilen Somalias - auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung. Die große Mehrheit der von IOM Befragten geht davon aus, dass sich in Somalia ein befriedigender Job finden lässt (80,5%) bzw. dass sich eine Arbeit mit akzeptablem Einkommen finden lässt (76%).

 

Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Somalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8%). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet im Dienstleistungsbereich und Handel (14,1%). 6,9% arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8% als Handwerker, 4,7% als Techniker, 4,1% als Hilfsarbeiter und 2,3% als Manager. In der Region Benadir ist der primäre Sektor klarerweise von geringer Bedeutung (1,3% der arbeitenden Personen). Dort überwiegen Dienstleistung/Handel (31,8%), höhere (bildungsabhängige) Berufe (28,7%), Handwerk (15,6%), Hilfs- (11,2%) und Fabrikarbeiter (10,7%).

 

Für IDPs aus ländlichen Gebieten, die sich in Städten wiederfinden, gibt es oft keine Arbeit, die ihren Kenntnissen entspricht. Männer finden eher eine Anstellung als Karrenfahrer, Gräber, Träger, Bauarbeiter oder Fahrer;

 

Die Möglichkeiten für Rückkehrer oder IDPs können in Mogadischu insofern eingeschränkt sein, als diese Gruppen in der Stadt mitunter als "galti" (=Gäste) eingestuft werden. Dadurch werden ihre Ansprüche auf Arbeitsplätze und andere Ressourcen möglicherweise reduziert. Allerdings gibt es hierzu keinerlei Daten. Gleichzeitig können Rückkehrer mit ansässigen Beruftstätigen am Arbeitsmarkt in Konkurrenzkampf gelangen, da sie oft über eine bessere oder zumindest gleichwertige (formale) Bildung verfügen. Im Gegenteil dazu verfügen IDPs oft über einen schlechteren Ausbildungsgrad.

 

Die Mehrheit arbeitet als Tagelöhner (45%) oder unabhängige Arbeiter (26%). IDPs sind zu 47% Tagelöhner, Wirtschaftsmigranten zu 36% und Stadtbewohner zu 30%. Die größten Sektoren sind: "small services" (Verkauf von Telefonguthaben, Reinigungsdienste, Wäscherei); Bauarbeit; Gastwirtschaft (Kochen, Hotels etc.) und Kleinhandel. 82% der arbeitenden Frauen und 72% der arbeitenden Männer verdienen 14 US-Dollar oder weniger pro Woche.

 

Um sich als Tagelöhner zu verdingen, wartet man zwischen 6:00 Uhr und 8:00 Uhr am Bakara-Markt in Mogadischu. Dort werden unausgebildete Arbeiter für den Bau oder andere körperliche Arbeiten gesucht. Die Bezahlung liegt bei 1-5 US-Dollar pro Tag.

 

Die befragten Jugendlichen sind in niedrigen Berufen ("Low-level occupations") aktiv, vor allem im Dienstleistungssektor (17,9%; z.B. als Köche, Kellner, Friseure); oder als Handwerker (12,8%; z.B. als Installateure oder Tischler); oder in einfachen Berufen (12,1%; z.B. als Straßenverkäufer oder Schuhputzer); oder als Fahrer oder Maschinenführer (5,3%). Die meisten dieser Jugendlichen sind ungebildet oder haben nur Grundschulbildung. Nur eine kleine Gruppe - die am besten Gebildeten - arbeiten als Professionisten (13%) oder in höheren Positionen (5,5%).

 

Bei männlichen Jugendlichen sind die Betätigungsfelder heterogener, als bei weiblichen. Auch sind mehr Männer in höheren Berufen aktiv - 16,6% Professionisten, 10,1% Techniker, 7,2% Verwaltung und Manager; und weniger in der Dienstleistung (Männer: 13%, Frauen: 24,9%).

Einen Unterschied gibt es auch je nach Stadt: In Mogadischu sind viel mehr Jugendliche als Professionisten oder in der Verwaltung (bzw. als Manager) aktiv (30,1%) als in Kismayo (~18%) oder Baidoa (5,3%).

 

Sonstige Informationen

 

Viele derjenigen berufstätigen Jugendlichen, die in niedrigen Diensten oder im Handwerk aktiv sind, geben an, mit ihrem Einkommen nicht auszukommen. Dafür beziehen aber vergleichsweise viele Personen, die mit ihrem eigenen Einkommen nicht auslangen, Unterstützung von Verwandten in Somalia oder im Ausland, von Freunden, der Gemeinde oder vom Clan. Auch jene Jugendlichen, die angeben arbeitslos zu sein, erhalten von dieser Seite Unterstützung. 60% erhalten Hilfe von Familie in Somalia, 27% von Familienmitgliedern in der Diaspora.

 

Bei kleineren Firmen werden Jobs oft nicht ausgeschrieben. Große Firmen schreiben Posten mit Wandanschlägen aus oder bewerben diese in lokalen Medien. Allerdings beruhen Auswahlverfahren im Arbeitsleben oft auf Clan-Basis, und gleichzeitig werden viele Arbeitsplätze durch Rückkehrer aus der Diaspora aufgefüllt.

 

Es gäbe auch Beschäftigungsmöglichkeiten, welche von vielen Somali kaum in Anspruch genommen werden, da diese Arbeiten als minderwertig erachtet werden - etwa Friseure, Kellner oder Reinigungskräfte.

 

Die somalische Wirtschaft zeigte in den Jahren 2013-2016 positive Entwicklungen. Firmen wurden gegründet oder wieder eröffnet. Allerdings blieb die Schaffung an Arbeitsplätzen unter den Bedürfnissen. Trotzdem gibt es in Mogadischu aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zahlreiche Möglichkeiten. Der Immobilienmarkt wächst, es gibt viele Bauarbeiten. Hotels und Restaurants werden eröffnet, es gibt neue Taxiunternehmen und Banken. Außerdem kommt es zu Investitionen durch Rückkehrer aus der Diaspora - etwa in Hotels, Supermärkte, Privatuniversitäten oder Spitäler.

 

Die Mehrheit der von IOM befragten Unternehmen gab an, künftig neues Personal aufnehmen zu wollen. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen sind die Unternehmen optimistisch. Am dynamischsten ist Mogadischu. Die Hauptstadt zieht am meisten Investitionen an und profitiert gleichzeitig von der Präsenz internationaler Organisationen und der Diaspora. Der aktivste Sektor ist das Baugewerbe, gefolgt vom Handel. Auch der Finanzsektor und der Gesundheitsbereich haben expandiert.

 

Gesucht werden von der Wirtschaft unterschiedlichste Fähigkeiten und Berufskenntnisse (siehe dazu IOM unter "Einzelquellen").

 

IDP-Haushalte leben vor allem von Gelegenheitsarbeit, von humanitärer Hilfe, Kleinhandel und Spenden (Zakat). Manche Rückkehrer werden sich in IDP-Lagern wiederfinden. Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Mangel an Familie und/oder Unterkunft; oder aber um an eine Grundversorgung zu gelangen.

 

Einzelquellen:

 

Teile der im Folgenden verwendeten Studie von IOM aus dem Jahr 2016 finden sich auch im LIB Somalia - daher wird hier darauf verwiesen.

 

Von den Jugendlichen, die sich in einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 als arbeitslos deklariert hatten, suchten 72% aktiv nach einer Arbeit. In Mogadischu hatten sich 6% der Jugendlichen als arbeitslos deklariert.

 

Die somalische Wirtschaft zeigte in den Jahren 2013-2016 positive Entwicklungen. Firmen wurden gegründet oder wieder eröffnet. Allerdings blieb die Schaffung an Arbeitsplätzen unter den Bedürfnissen.

 

Gemäß den Ergebnissen dieser IOM-Studie beträgt das Durchschnittseinkommen arbeitender Jugendlicher ca. 190 US-Dollar pro Monat. 35% leben unter der Armutsgrenze (2 US-Dollar pro Tag), 25% in extremer Armut (unter 1,25 US-Dollar pro Tag). In Mogadischu betrug das Durchschnittseinkommen 360 US-Dollar. Allerdings gibt es große Unterschiede. Männliche Jugendliche verdienen besser als weibliche; ältere (26-30 Jahre) besser als jüngere.

 

In Mogadischu verdienen fast 10% der Jugendlichen mehr als 400 US-Dollar pro Woche, in Kismayo und Baidoa hingegen fast niemand.

 

UNDP gab die Zahl an arbeitslosen Jugendlichen im Jahr 2012 mit 67% an. Bei der aktuellen Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben aber nur 14,3% der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6%, Kismayo 13%, Baidoa 24%) an, gegenwärtig arbeitslos zu sein. Dies kann auf folgende Gründe zurückzuführen sein: a) dass die Situation in diesen drei Städten anders ist, als in anderen Teilen Somalias; b) dass die wirtschaftliche Entwicklung seit 2012 die Situation verbessert hat;

c) dass es nun mehr Unterbeschäftigte gibt; d) dass die Definition von "arbeitslos" unklar ist (z.B. informeller Sektor).

 

33,7% der Gesamtzahl der befragten Jugendlichen gaben an, einen Job zu haben - viele berichteten allerdings von Unterbeschäftigung. Die Jobs sind oft Teilzeit, mehr als die Hälfte der Jugendlichen, die einer Arbeit nachgehen, haben zwei Jobs.

 

Die befragten Jugendlichen sind in niedrigen Berufen ("Low-level occupations") aktiv, vor allem im Dienstleistungssektor (17,9%; z.B. als Köche, Kellner, Friseure); oder als Handwerker (12,8%; z.B. als Installateure oder Tischler); oder in einfachen Berufen (12,1%; z.B. als Straßenverkäufer oder Schuhputzer); oder als Fahrer oder Maschinenführer (5,3%). Die meisten dieser Jugendlichen sind ungebildet oder haben nur Grundschulbildung. Nur eine kleine Gruppe - die am besten Gebildeten - arbeiten als Professionisten (13%) oder in höheren Positionen (5,5%).

 

Bei männlichen Jugendlichen sind die Betätigungsfelder heterogener als bei weiblichen. Auch sind mehr Männer in höheren Berufen aktiv - 16,6% Professionisten, 10,1% Techniker, 7,2% Verwaltung und Manager; und weniger in der Dienstleistung (Männer: 13%, Frauen: 24,9%).

 

Einen Unterschied gibt es auch je nach Stadt: In Mogadischu sind viel mehr Jugendliche als Professionisten oder in der Verwaltung (bzw. als Manager) aktiv (30,1%) als in Kismayo (~18%) oder Baidoa (5,3%).

 

Viele derjenigen berufstätigen Jugendlichen, die in niedrigen Diensten oder im Handwerk aktiv sind, geben an, mit ihrem Einkommen nicht auszukommen. Dies gilt bei Professionisten und in höheren Positionen arbeitenden Personen kaum.

 

Dafür beziehen aber vergleichsweise viele Personen, die mit ihrem eigenen Einkommen nicht auslangen, Unterstützung von Verwandten in Somalia oder im Ausland, von Freunden, der Gemeinde oder vom Clan.

 

Auch jene Jugendlichen, die angeben arbeitslos zu sein, erhalten von dieser Seite Unterstützung. 60% erhalten Hilfe von Familie in Somalia, 27% von Familienmitgliedern in der Diaspora.

 

Die große Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass sich in Somalia ein befriedigender Job finden lässt (80,5%) bzw. dass sich eine Arbeit mit akzeptablem Einkommen finden lässt (76%).

 

Die Mehrheit der befragten Unternehmen gab an, künftig neues Personal aufnehmen zu wollen. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen sind die Unternehmen optimistisch.

 

Am dynamischsten ist Mogadischu. Die Hauptstadt zieht am meisten Investitionen an und profitiert gleichzeitig von der Präsenz internationaler Organisationen und der Diaspora. Der aktivste Sektor ist das Baugewerbe, gefolgt vom Handel. Auch der Finanzsektor und der Gesundheitsbereich sind expandiert.

 

Im privaten Wirtschaftssektor beträgt das Durchschnittseinkommen in Mogadischu für einen ungebildeten Jugendlichen 270 US-Dollar, für gebildete Jugendliche 400 US-Dollar. Die Gehälter im öffentlichen Sektor liegen zwischen 90 und 700 US-Dollar (durchschnittlich 200 US-Dollar für Ungebildete; 100 US-Dollar für Akademiker).

 

Arbeitgeber im Privatsektor suchen Arbeitskräfte mit einfachen Fähigkeiten, etwa Buchhaltung, Englisch, Basis-IT; sie glauben daran, dass junge Angestellte eher ihren Ansprüchen gerecht werden, da diese besser motiviert, interessiert und anzulernen sind.

 

Arbeitgeber achten immer mehr auf einen gewissen Grad an Bildung. Dadurch geraten schlechter Gebildete ins Hintertreffen.

 

Für ungebildete junge Arbeitskräfte stehen unterschiedliche Möglichkeiten offen:

 

a) Manuelle (körperliche) Arbeit (etwa am Bau, im Hafen etc.): Bei dieser Arbeit geht es nur um körperliche Kraft. Die Firmen bevorzugen junge Arbeitskräfte. Arbeitgeber haben keine Probleme, hier Arbeitskräfte zu finden.

 

b) Handwerk: Tischler, Möbel-Restaurateure, Möbelmacher, Maurer, Schweißer etc; Firmen aus allen Bereichen geben an, dass kaum Arbeitskräfte mit entsprechenden Fähigkeiten zu finden sind. Oft müssen Ungelernte angelernt werden, was zeitaufwändig und teuer ist.

 

c) Gastwirtschaft: Köche, Kellner etc; Hier gibt es einen großen Bedarf, wobei die Firmen kaum geeignetes Personal finden. Es wird Personal in Nachbarstaaten (u.a. Kenia) angeworben.

 

d) Mechaniker: Auch hier gibt es Schwierigkeiten, ausgebildetes junges Personal zu finden.

 

e) Elektriker/Installateure: Basiswissen - etwa bei der Reparatur von Telefonen - ist gefragt, es gibt aber einen Mangel an ausgebildetem Personal.

 

f) Fahrer: Für normale Fahrzeuge verfügbar; es fehlen aber Kräfte für Spezialmaschinen (etwa Kran oder Arbeits-LKW). Derartige Arbeitnehmer erhalten in Kismayo z.B. 20-30 US-Dollar pro Tag.

 

g) Schneider: Hier gibt es einen Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften, obwohl der Sektor großes Potential hat - gerade auch für Frauen.

 

An ausgebildeten Arbeitskräften werden Personen gesucht, die etwas von Management, Buchhaltung, Marketing, Englisch und grundlegender IT verstehen. Hier eine Auflistung des von Firmen genannten Bedarfs:

 

a) Business Management: Der Bedarf ist nur zum Teil abgedeckt.

 

b) Verkauf und Marketing: (Groß‑)Handel und Zwischenhandel behötigen Marketing. Zwar sind nun derartige Fähigkeiten bei Bewerbern leichter zu finden, es gibt aber immer noch Bedarf.

 

c) Buchhaltung: Jede Firma ist auf diese Fähigkeit angewiesen.

 

d) Englischkenntnisse: Sie sind für viele Jobs Voraussetzung.

 

e) IT/Computer: Auch derartige Kenntnisse sind für die meisten Positionen Voraussetzung.

 

Je weiter man die Ausbildungsleiter nach oben sieht, desto mehr werden Kräfte gesucht. Dies gilt für spezialisierte oder technische Berufe:

 

a) Ingenieurswesen: Aufgrund des dynamischen Bausektors sehr gefragt. Viele fähige Ingenieure haben das Land verlassen. Die Firmen müssen oft im Ausland nach Ingenieuren suchen.

 

b) Gesundheitswesen: Ärzte werden im Ausland angeworben, auch bei Apotheken gibt es Mangel. Fachkräfte werden nicht nur im privaten Sektor gesucht, sondern auch im öffentlichen Sektor und bei Humanitären Organisationen.

 

c) IT-Spezialisten: Fachkräfte werden gesucht, auch hier musste auf Gastarbeiter zurückgegriffen werden.

 

d) Landwirtschaft: Agri-Ingenieure mit höheren Kenntnissen werden gesucht.

 

Auch im öffentlichen Dienst gibt es Nachfrage nach gebildeten Kräften - in den Bereichen Agrikultur, Tiermedizin, Medizin, Universitäten und Recht. Auch die Sicherheitsbehörden werden ausgebaut.

 

a) Öffentliche Verwaltung: Jedes Ministerium wird weiter aufgebaut.

Daher werden Fähigkeiten wie: Öffentliche Verwaltung (public management), Buchhaltung, IT etc. gesucht.

 

b) Bildung: Auf allen Ebenen des Bildungssystems fehlt Lehrpersonal.

 

c) Buchhaltung

 

d) IT

 

e) Spezialisierte Fähigkeiten: Etwa Recht oder Medizin; um die öffentlichen Dienste aufbauen zu können.

 

Zuletzt gibt es auch bei Internationalen NGOs und Organisationen eine Nachfrage an gebildeten Arbeitskräften.

 

Die meisten IDPs in Somalia leben in ungeplanten und informellen Siedlungen in städtischen Gebieten. Alleine in Mogadischu finden sich ca. 600.000 IDPs, von denen 55% in zwei Bezirken der Stadt wohnen. IDPs sind in Somalia also ein urbanes Phänomen.

 

RE-INTEG hat sich zum Ziel gesetzt, für IDPs in und Rückkehrer nach Mogadischu dauerhafte Lösungen zu schaffen. Dabei geht es um die Schaffung von Verwaltungsstrukturen, Wohnbau, Land- und Besitzrechte und soziale, ökonomische und politische Inklusion.

 

Dafür hat die EU 12 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Programm soll 35 Monate lang laufen (4/2017-3/2020) und sich auf Mogadischu konzentrieren. Es profitieren IDPs in und somalische Rückkehrer nach Mogadischu.

 

Das Programm wird von UN HABITAT geführt, kooperiert wird mit UNHCR, UNDP, CESVI, SWDC und SIDO.

 

Eine Komponente des Programmes ist cash-for-work, umgesetzt von UNDP. Die 51jährige Khadija Mahaday aus einem IDP-Lager im Bezirk Kaxda (Mogadischu) berichtet: "Ich bin eine behinderte Witwe, die sich um acht Kinder kümmern muss (sechs eigene und zwei Enkelkinder). Mein Mann wurde vor sechs Jahren [2012] in unserem Dorf von al Shabaab getötet. Kurz danach haben wir entschieden, nach Mogadischu zu flüchten. Hier kamen wir ins IDP-Lager Deeq Rabi. Es waren sehr schwierige Zeiten. Manchmal hatten wir nur eine Mahlzeit am Tag, manchmal auch gar keine. Die hygienischen Bedingungen waren sehr schlecht, es gab überall Fliegen und Müll. Auch die Toiletten waren miserabel. Nun aber gibt es mehr Toiletten, die außerdem leichter zugänglich sind. Meine 19jährige Tochter hat sich am cash-for-work beteiligt und das wird uns 150 US-Dollar bringen. Damit wollen wir ein paar Haushaltsgegenstände und Schulmaterial für die Enkelkinder anschaffen. Außerdem hoffe ich, mit 50 US-Dollar einen kleinen Handel aufmachen zu können, etwa durch den Verkauf von Essen auf der Straße. So kann ich zum Familienerhalt beitragen."

 

Die 48jährige Markabo Ali Adan aus dem gleichen IDP-Lager berichtet:

"Manchmal ist das Leben im Lager sehr schwierig: Keine Arbeit, kein Einkommen - aber trotzdem Kinder, die ernährt werden müssen. Ich muss für sieben Kinder sorgen. Wenn sie krank werden, kann ich keine Medikamente kaufen. Daher bin ich sehr erfreut, dass ich an diesem cash-for-work-Projekt teilnehmen kann. Das Projekt hat uns Möglichkeiten eröffnet, die wir zuvor nie gehabt haben. Nun habe ich eine Arbeit - wenn auch nur für kurze Zeit. Mit dem Projekt werden auch unsere Toiletten ausgebaut; und viel wichtiger: Unsere Kinder erhalten eine Schule, wo sie zumindest lesen und schreiben lernen. Wir haben auch viel über Hygiene gelernt und unser Lager ist sauberer geworden. Es gibt auch mehr Toiletten und weniger Haushalte müssen sich eine Anlage teilen. Einen Teil des Geldes, das ich verdiene, werde ich zum Abzahlen alter Schulden verwenden. Mit dem Rest möchte ich ein Fahrrad kaufen, dass ich dann an Jugendliche im Lager vermiete."

 

Der Norwegian Refugee Council berichtet im Jahr 2017 von den positiven Auswirkungen von Mikrokrediten, die das Leben der Kreditnehmer in Mogadischu verändert haben. Die 50jährige Hawa war im Jahr 2005 aus ihrem Dasein als Bäuerin in Baidoa mit ihren sieben Kindern nach Mogadischu geflüchtet. In der Stadt leben ca. 500.000 IDPs, mehr als die Hälfte der Menschen lebt unter der Armutsgrenze von ca. 1,25 US-Dollar pro Tag.

 

Hawa fand eine Gelegenheitsbeschäftigung, und da ihr Gatte vermisst wurde, wurde sie zur hauptsächlichen Ernährerin der Familie. Mit ihrem Einkommen kam sie aber kaum aus. Der NRC bietet in dem IDP-Lager, in welchem Hawa lebt, für Familien humanitäre Unterstützung. Ein Programm bietet Mikrokredite, um Frauen zu helfen, sich mit Kleinhandel selbst zu erhalten. Heute hat Hawa einen kleinen Kiosk, an dem sie Gemüse, Obst und andere Lebensmittel verkauft.

 

IDP-Haushalte leben vor allem von Gelegenheitsarbeit, von humanitärer Hilfe, Kleinhandel und Spenden (Zakat).

 

Viele dieser Haushalte werden nunmehr von Frauen geführt. Dies ist auf eine hohe Quote an Scheidungen, Polygamie und männliche Todesfälle zurückzuführen. Allerdings gibt es auch Familien, wo Frau und Kinder in einem Gebiet "geparkt" werden, während der Mann an einem anderen Ort einer Arbeit nachgeht.

 

Ob eine hoher Bevölkerungsanteil an Jugendlichen eine "demographische Dividende" abwirft, oder ob so ein Anteil für ein Land zu einer Bürde wird, dies hängt vom lokalen Kontext ab. In Somalia ist die Situation jedenfalls weit davon entfernt, eine gute zu sein. Die Arbeitslosenquote im städtischen Bereich beträgt landesweit 60%-80%. Der Arbeitsmarkt ist also schon mit frustrierten Arbeitssuchenden gesättigt, und die nachstoßende Jugend vergrößert diese Gruppe nur noch.

 

Die somalische Regierung, UNDP und UN HABITAT haben ein gemeinsames Programm neu aufgelegt. Mit diesem sollen von Jugendlichen vorgebrachte Innovationen und Ideen gefördert werden. Das Programm richtet sich an junge somalische IDPs, Rückkehrer und Aufnahmegemeinden.

 

Jungen Menschen wird die Möglichkeit gegeben, ihre Business-Ideen zu präsentieren und in der Folge Gelder für ein Start-Up zu erhalten. Unterstützung erhalten sie auch mit Selbständigen-Training, Entwicklungsförderung und Zugang zu Ressourcen.

 

Die NGO Danish Demining Group schreibt in einer Studie im August 2017, dass Mogadischu eine exzeptionell hohe Zahl an IDPs beherbergt. Die Zahl wird mit 369.000 benannt, davon sind etwa die Hälfte Digil/Mirifle oder Bantu. Aufgrund der hohen Kosten für Mieten und Land werden sich viele Rückkehrer [aus Kenia] in einem der mehr als 1.000 IDP-Lager in der Stadt und im Umland wiederfinden.

 

Kommen "Rückkehrer" [aus Kenia] in eine Stadt wie Kismayo oder Mogadischu, in welcher sie noch nie zuvor gewesen sind, dann werden sie dort als galti ("Gäste") eingestuft. Dies reduziert ihre Ansprüche auf Arbeitsplätze und andere Ressourcen.

 

Auf dem Arbeitsmarkt wird es zu einem Konkurrenzkampf zwischen Rückkehrern [aus Kenia], IDPs und der ansässigen Bevölkerung kommen. Die Rückkehrer besitzen unterschiedliche Stufen formaler Bildung - dank der Schulen im Lager Dadaab. Sie können also mit ansässigen Berufstätigen in Konkurrenz geraten. Die Rückkehrer werden für die Wirtschaft eine hochwillkommene neue Quelle an Arbeitskräften darstellen.

 

Ein Bericht des UNHCR über IDPs in Mogadischu aus dem Jahr 2016 erwähnt, dass 34% der Altersgruppe 15-75 innerhalb der letzten sieben Tage zumindest eine Stunde gearbeitet haben. 13% jener, die nicht gearbeitet haben, waren auf Arbeitssuche [das sind i.d.F. 8,5% der Altersgruppe 15-75]. Die Arbeitslosenquote wird mit rund 20% angegeben. Bei Wirtschaftsmigranten sind es 14%, bei der Aufnahmegemeinde 18%, bei den IDPs 20%; bei Männern 16% und bei Frauen 20%.

 

Die Arbeitslosenquote scheint relativ gering, allerdings handelt es sich oft um prekäre Arbeitsverhältnisse. Die Mehrheit arbeitet als Tagelöhner (45%) oder unabhängige Arbeiter (26%). IDPs sind zu 47% Tagelöhner, Wirtschaftsmigranten zu 36% und Stadtbewohner zu 30%.

 

Die größten Sektoren sind: "small services" (Verkauf von Telefonguthaben, Reinigungsdienste, Wäscherei); Bauarbeit; Gastwirtschaft (Kochen, Hotels etc.) und Kleinhandel.

 

82% der arbeitenden Frauen und 72% der arbeitenden Männer verdienen 14 US-Dollar oder weniger pro Woche.

 

Die britische private COI-Firma Asylum Research Consultancy zitiert den Nationalen Entwicklungsplan der somalischen Regierung für die Jahre 2017-2019 (Link nicht mehr abrufbar). Dort ist zu lesen, dass die Region Benadir (Mogadischu) mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert ist, wie dies auf andere schnell wachsende urbane Zentren zutrifft. Der Zuzug von Menschen überfordert den Wohnungsmarkt, die sozialen Dienste und die Wirtschaft. Wirtschaftliche Investitionen in Mogadischu haben zwar für neue Arbeitsplätze gesorgt, doch kann diese Entwicklung nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten.

 

21% der bei einer Studie befragten Jugendlichen in Mogadischu gaben an, dass Arbeitslosigkeit der Hauptgrund für Migranten sei, die Stadt (und Somalia) zu verlassen.

 

Während Auswahlverfahren im Arbeitsleben oft auf Clan-Basis beruhen, und viele Arbeitsplätze durch Rückkehrer aus der Diaspora aufgefüllt wurden, gibt es noch andere Beschäftigungsmöglichkeiten, welche von vielen Somali einfach nicht in Anspruch genommen werden. Der Grund dafür ist, dass diese Arbeiten als minderwertig erachtet werden - etwa Friseure, Kellner oder Reinigungskräfte.

 

Die norwegische Herkunftsländerinformationseinheit Landinfo hat im April 2016 ein spezifisches Dokument erstellt, das sich ausführlich mit den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen bei einer Rückkehr nach Mogadischu befasst. Teile dieses Berichtes finden sich auch im LIB Somalia, worauf hier noch einmal verwiesen wird.

 

Landinfo erklärt, dass die tatsächliche Arbeitslosenquote über der in der IOM-Studie erforschten zu liegen scheint. Es ist auch eine Frage der Definition - etwa, ob Unterbeschäftigung berücksichtigt wird. Außerdem kann es sein, dass einige der Personen, die angegeben hatten, einer Arbeit nachzugehen, dies im informellen oder familiären Kontext tun. Dies würde dann - streng gesehen - im statistischen Sinne keiner Arbeit gleichkommen.

 

Insgesamt ist anzunehmen, dass es in Mogadischu bessere Job-Aussichten gibt, als in den meisten anderen Teilen Somalias - auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung.

 

Die NGO ReDSS hat gemeinsam mit NRC und DRC im März 2017 einen Bericht erarbeitet. Darin finden sich Informationen, wonach 80% der IDPs und 76% der zurückgekehrten Flüchtlinge [in Mogadischu] in temporären Unterkünften leben. Von den Einheimischen leben nur 14% in solchen Unterkünften. Umgekehrt leben nur 5% der IDPs und 10% der Rückkehrer in gemieteten Häusern, während die Stadtbewohner dies zu 39% tun. 8% der IDPs und 11% der Rückkehrer sowie der Stadtbewohner leben bei Verwandten. Nur 3% der IDPs und der Rückkehrer verfügen über Wohneigentum - im Gegensatz zu 39% der Stadtbewohner.

 

Gesamt gesehen leben 42% der Gesamtbevölkerung von Mogadischu in temporären Unterkünften; 31% leben in Miethäusern; 21% bei Verwandten und 7% im Eigentum.

 

61% der ansässigen Stadtbewohner beschreiben ihre Unterkunft als in gutem Zustand; dies tun nur 20% der Rückkehrer und 15% der IDPs. Die Mehrheit der Rückkehrer (45%) und der IDPs (54%) leben in Unterkünften, die als verschlissen bezeichnet werden bzw. die dringender Reparaturen bedürften. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Zahlen vermutlich nicht für alle Rückkehrer in Mogadischu repräsentativ sind, und sich auf arme Rückkehrer beziehen. Außerdem hat die Verwaltung der Region Benadir vor, den IDPs Land zu überlassen, was die Situation künftig verbessern dürfte.

 

Eine große Zahl an zurückgekehrten Flüchtlingen in Mogadischu (51%), an IDPs (56%) und an ansässigen Bewohnern (42%) geben an, dass sie unter erträglichen Umständen leben. Allerdings geben 25% der Rückkehrer und 19% der IDPs an, dass sie unter unerträglichen Umständen leben - hingegen sind es bei den Stadtbewohnern nur 0,5%. Hinsichtlich der Rückkehrer muss aber darauf verwiesen werden, dass die Zahl wohl nicht repräsentativ ist, da hier v.a. arme Rückkehrer befragt wurden.

 

IDPs - und möglicherweise auch zurückkehrende Flüchtlinge - haben weniger Arbeitsmöglichkeiten als die ansässige Bevölkerung. Allerdings gibt es hierzu keine Daten. Es gibt keine Möglichkeiten, die Arbeitslosenquote von Rückkehrern zu eruieren. Es gibt auch keine Möglichkeit, die Lage von IDPs mit jener der armen Stadtbevölkerung abzugleichen. Es ist unklar, ob IDPs unter einer höheren Arbeitslosigkeit leiden, als der arme Teil der Stadtbevölkerung.

 

Generell haben IDPs im Vergleich zur ansässigen Stadtbevölkerung einen schlechteren Zugang zu längerfristiger Arbeit. Dies liegt an der schlechteren Ausbildung der IDPs. Dies trifft auf Rückkehrer nicht zu, da diese eine mit der ansässigen Bevölkerung vergleichbare Ausbildung haben. Hier braucht es weitere Studien.

 

Ein Artikel der deutschen Nachrichtenseite Spiegel Online berichtet von der aus der Diaspora nach Mogadischu zurückgekehrten Manar Moalin. Sie hat in Mogadischu ein Restaurant eröffnet, das bereits einmal von al Shabaab attackiert worden ist. Dabei sind die Terroristen einerseits von benachbarten Wirtschaftstreibenden aufgestachelt worden; andererseits hat Moalin kein Schutzgeld bezahlt.

 

Die Besitzerin des Clubs will jedoch nicht wieder aus Somalia ausreisen, da dies ihren Prinzipien widerspreche. Außerdem gehe es um Geld. Nirgendwo könne man so reich werden wie in Mogadischu, sagt Manar Moalin.

 

Die größte Gefahr in Mogadischu geht von Sprengsätzen in Autos aus. Ganze Häuserblocks sind immer noch Ruinen, Fassaden zeigen Einschusslöcher. Aber neben den Ruinen werden neue Gebäude hochgezogen, der Immobilienmarkt wächst. Hotels und Restaurants werden eröffnet, es gibt neue Taxiunternehmen und Banken. Mehr als 100.000 Somali sind in den letzten Jahren zurückgekehrt.

 

Aus dem Home Office Country Information vom April 2018, welches in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebracht wurde, ergibt sich weiters:

 

Der anhaltende Konflikt in Somalia führt unter anderem zum Überhandnehmen von sexueller Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Kindern. Auch aufgrund der Dürre bedingten Vertreibung und den vielen Flüchtlingen auch aus Kenia, die vor allem nach Baidoa, Luuq und Kismayo zurückkehren, wird eine Umgebung der (sexuellen) Gewalt und Abhängigkeiten von Frauen und Mädchen geschaffen. IDP Frauen oder solche aus Randgruppen leiden am meisten am Fehlen von ausreichenden Schutzmöglichkeiten.

 

Die Schutzlosigkeit in IDP Camps führt dazu, dass Frauen und Mädchen in IDP Camps einem hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer von sexueller Gewalt zu werden.

 

Zusammengefasst ergibt sich für alleinstehenden Frauen ohne männlichen Schutz folgendes Bild:

 

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.1.2017). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 3.3.2017).

 

IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind extrem vulnerabel. Humanitäre Hilfsorganisationen sehen sich Sicherheitsproblemen und Restriktionen ausgesetzt (HRW 27.1.2016). Viele IDPs leben in überfüllten und unsicheren Lagern und haben dort nur eingeschränkten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und grundlegender Hygiene (UNHRC 28.10.2015).

 

Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist laut Berichten der UNO und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern, insbesondere in Mogadischu (ÖB 10.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015; USDOS 13.4.2016). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (UNHRC 28.10.2015; vgl. UKHO 3.2.2015; USDOS 13.4.2016).

 

Ohne Netzwerk oder den Schutz durch Clans, sind Minderheiten und Frauen stark gefährdet (ACCORD 25.01.2016). IDPs, die einem Minderheitenclan angehören sind doppelt benachteiligt. Da sie oftmals nicht auf verwertbare Clanverbindungen oder auf den Schutz eines Clans zurückgreifen können sind sie Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

2. Beweiswürdigung:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen).

 

Die Identität der BF konnte mangels Vorlage unbedenklicher staatlicher Dokumente nicht festgestellt werden; die im Spruch angeführten Namen und Geburtsdaten dienen lediglich zur Identifizierung der BF als Verfahrensparteien.

 

2.1 Zum BF1:

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des BF1, zu seiner Clanangehörigkeit, zu seinem Beruf, seinen Sprachkenntnissen und seinem Aufenthalt in Saudi-Arabien ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen des BF1 im Rahmen der Erstbefragung und den Einvernahmen sowohl vor der belangten Behörde als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht. BF1 konnte einige Fragen zu Saudi-Arabien beantworten (Telefonische Vorwahl, Hauptstadt und Angaben zur Geographie) und machte im Zusammenhang mit diesen Angaben einen glaubwürdigen Eindruck. Die vom BF1 in diesem Zusammenhang getätigten Angaben waren weitestgehend gleichbleibend, weshalb das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung sieht, daran zu zweifeln. Dass es sich beim Jareer Clan um einen Minderheitenclan handelt, ergibt sich aus den weiter oben zitierten Länderberichten.

 

Die Aussagen zu seiner familiären Situation ergeben sich aus den Aussagen des BF1 und der BF2. Die Feststellung, dass der BF1 entfernte Verwandte in Somalia hat, im Jahr 2005 für eine Woche dorthin zurückkehrte und in dieser Woche bei entfernten Verwandten wohnte, gründet sich auf seine eigenen Aussagen während der mündlichen Beschwerdeverhandlung (S 11f, S17 OZ35). Dass sein Bruder in den Niederlanden lebt und ihn im Notfall finanziell unterstützen würde, ergibt sich aus den Aussagen des BF1 vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht. So bestätigte der BF1 vor dem BFA, dass ihm sein Bruder €2.300 geliehen hatte. Es gibt keinen Grund, an den Aussagen des BF1 zu zweifeln. Wenn der BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nunmehr behauptet, dass ihm sein Bruder kein Geld mehr leihen würde, ist dies nicht glaubhaft. Die erkennende Richterin geht davon aus, dass ihm sein Bruder in einer finanziellen Notlage jedenfalls unterstützen würde, zumal er dem BF1 bereits einmal einen größeren Geldbetrag zur Verfügung gestellt hat (S. 11 des angefochtenen Bescheides).

 

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand ergeben sich aus den vorgelegten ärztlichen Befunden und seinen Aussagen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

 

Die strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus der Einsicht ins Strafregister (14.02.2019).

 

Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF1:

 

Vorweg ist festzuhalten, dass der BF1 Somalia im Kleinkindalter verlassen hat und in Saudi-Arabien aufgewachsen ist. Der BF1 konnte weder bei seiner Erstbefragung noch bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde oder der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einen schlüssig nachvollziehbaren persönlichen Fluchtgrund in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia darlegen. Die Erzählung der Ereignisse bei der einwöchigen Rückkehr des BF1 nach Somalia waren derart vage und unplausibel bzw. behalf sich BF1 mit allgemeinen Aussagen bezüglich seines Clans in Somalia, dass davon ausgegangen werden muss, dass der BF1 sein Fluchtvorbringen frei erfunden hat. So gab er beim BFA zu seinen Fluchtgründen Folgendes an:

 

Mein Onkel väterlicherseits und mein Bruder wurden wegen eines Hauses von uns getötet. Man wollte unser Haus wegnehmen. Wir werden in Somalia als Jereer verachtet und beschimpft. Wir können nicht einmal unsere Leichen von der Straße holen. Mein Bruder und mein Onkel wurden getötet. Man hat uns immer diskriminiert. Es gab ab und zu eine Übergangsregierung, niemand hat uns geholfen oder uns verteidigt. Unser Vermögen wird uns weggenommen. Wir werden überfallen, unsere Frauen werden vergewaltigt. Die Somalier sagen immer wir sind Jareer wir sind nichts, sie meinen damit wir sind minderwertig. In Somalia verbrachte ich nur. ca. eine Woche. In dieser Woche wurde mein Bruder und mein Onkel getötet wir haben kein Leben in Somalia. Das ist mein Problem. Ich bin ein Somalia, aber gelte nicht als Somalia, weil ich ein Jareer bin. Wir sind nicht bewaffnet, man macht mit uns alles was man will. Wenn ich in Somalia wäre dürfte ich mit meiner Frau nicht zusammen sein, weil Sie ist ein Isaaq. Sie darf nicht mit mir verheiratet sein....[...]

 

Auch auf Nachfrage war der BF1 nicht in der Lage sein Fluchtvorbringen zu konkretisieren, auf die Frage wer seinen Onkel und Bruder getötet hätten, gab er an, dass es Banditen gewesen wären. Auf weitere Fragen antwortet er ausweichend.

 

Auch bei Fragen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung blieb der BF1 durchwegs vage und antwortete Großteils ausweichend:

 

R: Sie haben vor dem BFA den Vorfall der Ermordung Ihres Bruders und Ihres Onkels in Somalia durch Banditen aufgrund eines Streites um ihr Haus geschildert. Dieser Vorfall ist eine kriminelle Handlung aber nicht asylrelevant. Können Sie andere Gründe geltend machen, weshalb Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben und warum Sie nicht mehr dorthin zurückkehren können? Sie haben jetzt Zeit alles vorzubringen.

 

BF1: Ich kann nicht in Somalia leben. Ich war sehr klein, als meine Eltern nach Saudi Arabien umgezogen sind. Ich glaube, wenn ich nach Somalia zurückkehren müsste, dass die Al-Shabaab mich tötet oder die Leute, die unser Grundstück weggenommen haben. Sie glauben, dass ich die Dokumente von unserem Grundstück noch immer habe. Ich war nie in Somalia. Außer diese 5 Tage, und diese 5 Tage war sehr schrecklich, ich könnte dort nicht leben.

 

R: Wieso glauben Sie, dass die Al-Shabaab Sie töten könnte?

 

BF1: Weil wir nicht bewaffnete Clan sind und wenn wir eine Rekrutierung ablehnen, werden sie uns töten.

 

[...]

 

R: Wurden Sie in Somalia jemals persönlich bedroht? Was genau wurde zu Ihnen gesagt?

 

BF1: Ich war nur 5 Tage in Somalia, als mein Bruder und mein Onkel getötet wurden, hat mein Vater zu mir gesagt, ich soll weggehen, weil ich nicht mehr dortbleiben könnte.

 

R: Hatten Sie in Somalia Probleme auf Grund Ihrer Clan-Zugehörigkeit?

 

BF1: Nicht persönlich, aber während dieser 5 Tage hatte ich große Angst. Ich war nur zu Hause, ich ging nicht raus, wäre ich rausgegangen, es wäre mit Sicherheit etwas passiert.

 

[...]

 

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

 

BF1: Ich bin 80% sicher, dass die Al-Shabaab entweder mich töten oder verlangen, jemand anderen zu töten.

 

R: Könnte Ihnen sonst noch was passieren?

 

BF1: Die Leute, die unser Grundstück weggenommen haben, kann sein, dass sie mich töten. Und dass wird 100% passieren.

 

[...]

 

BFV: Können Sie Auskunft geben, wer diese Perosnen waren, wer die Grundstücke in Anspruch nehmen wollte?

 

BF1: Ich habe nicht gesehen, aber mein Vater hat mir erzählt, dass es ein größerer Clan war.

 

BFV: Es waren keine Räuber oder Diebe?

 

BF1: Nein, sie waren nicht Räuber, sondern ein großer Clan, die bewaffnet sind und stark.

 

BFV: Handelt es sich um den Fluchtgrund aus Somalia für die Eltern des BF, um Angst um dessen Leben und Angst vor dem größeren Clan, der bewaffnet ist?

 

BF1: Ja, wir hatten große Angst, getötet zu werden.

 

R: Wann war der Überfall und die Ermordung Ihres Onkels und Ihren Bruders?

 

BF1: Das war im Jahr 2005. Ich weiß es nicht genau. Aber unser Grunstück haben sie uns davor genommen. Meine Eltern sind geflüchtet nach Saudi Arabien, weil dieses Grundstück weggenommen wurde.

 

BFV: Können Sie schildern, was in den 5 Tagen in Somalia passiert ist? Wie wurde die Familie angegriffen und verfolgt?

 

BF1: Mein Onkel und mein Bruder sind getötet worden. Weil der Clan Angst hatte, dass wir Papiere haben und dass wir zum Gericht gehen können, davor hatten sie Angst. Als mein Bruder und mein Onkel getötet wurde, dass wir nicht dort bleiben können. Wir wredne dann auch getöet.

 

R: Wie haben Sie den Onkel und ihren Bruder gefunden?

 

BF1: Wo wir uns aufgehalten haben und wo mein Onkel und mein Bruder getötet wurden, war nicht weit weg. Die Leute haben uns dann kontaktiert.

 

R: Wo ist das passiert. Auf der offenen Straße?

 

BF1: Ja.

 

R: Warum sind Ihr Onkel und Ihr Bruder nach draußen gegangen und Sie nicht?

 

BF1: Weil ich immer Angst gehabt habe und weil ich immer Bombenanschläge gehört habe. Deswegen bin ich nicht nach draußen geangen.

 

R: Ihr Onkel und Ihr Bruder hatten keine Angst?

 

BF1: Ich kann es nicht erklären, warum sie rausgegangen sind. Sie haben mich nicht gefragt, ob ich sie begleite, wenn sie mich gefragt hätten, hätte ich nicht mitgehen wollten.

 

R: Was wollten Ihr Bruder und Ihr Onkel machen?

 

BF1: Ich weiß es nicht.

 

R: Wer hat Ihnen dann Bescheid gegeben?

 

BF1: Die Leute, die es gesehen haben.

 

R: Wie haben diese Sie gefunden?

 

BF1: Sie sind nicht zu mir gekommen, sondern zu meinem Vater.

 

R: Sie wurden informiert über den Tod Ihres Bruders und Ihres Onkels. Warum hat dieser große Clan nicht Sie auch gefunden und getötet?

 

BF1: Weil ich nicht dabei war, ich war alleine. Mein Bruder und mein Onkel sind rausgegangen.

 

R: Es ist für mich fraglich, wie so ein großer Clan Sie nicht finden konnte, aber Ihnen die Information des Todes überbracht werden konnte.

 

BF1: Als sie uns informiert haben, sind wir geflüchtet.

 

R: Wo war Ihr Vater, als ihm die Information überbracht wurde?

 

BF1: Vor der Tür im Haus.

 

R: Wie hat dann der Vater Ihnen die Information überbracht? Schildern Sie das bitte?

 

BF1: Er ist reingekommen und hat laut geschrien, dass mein Onkel und mein Bruder getötet wurde und wir müssen schnell weggehen.

 

R: Ich muss Ihnen auch sagen, dass nicht sehr glaubwürdig ist, dass Sie nur 5 Tage in Somalia waren und Sie sofort aufgespürt wurden und Ihr Bruder und ihr Onkel getötet wurden?

 

BF1: Der Clan hat mich nicht gefunden, weil ich geflüchtet bin, als ich gehört habe, dass mein Onkel getötet wurde. Wenn ich dort geblieben wäre, dann hätten sie mich getötet.

 

BFV: Die Leute, die Ihren Vater diese Mitteilung gegeben haben, waren das Ihre Clanangehörigen oder Leute, die sie gar nicht kannten?

 

BF1: Das kann ich nicht genau sagen.

 

[...]

 

Auf viele Fragen antwortet der BF1 ausweichend bzw., dass er die Antwort nicht wisse; die Geschichte ist insgesamt vage und oberflächlich erzählt und insgesamt äußerst unglaubwürdig, sodass davon ausgegangen werden muss, dass das Vorbringen eine reine Fiktion ist, um eine relevante Verfolgung im Herkunftsstaat vorzutäuschen.

 

Wenn der BF1 allgemein geltend macht, dass er Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit und seiner Mischehe zu befürchten hätte, wird dem entgegengehalten, dass es ich dabei nicht um ein konkretes Fluchtvorbringen handelt. Zur Beurteilung einer abstrakten Gefährdung bezüglich dieses Fluchtvorbringens wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

Persönliche Fluchtgründe in Bezug auf Somalia wurden somit nicht glaubhaft geltend gemacht. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung hatte BF1 ausreichend Zeit und Möglichkeiten, seine persönlichen Fluchtgründe geltend zu machen.

 

Abschließend ist festzuhalten, dass sich aus der gegenständlichen Beschwerde keine weiteren Gründe, aus denen sich eine persönliche und konkrete Verfolgung des BF bei einer Rückkehr nach Somalia ableiten ließe, erkennbar sind.

 

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher aufgrund der oben angeführten Überlegungen der Beurteilung der belangten Behörde an, wonach es dem BF1 nicht gelungen ist, eine persönliche Verfolgungsgefahr in Bezug auf seinen Heimatstaat Somalia glaubhaft zu machen.

 

2.2 Zur BF2 und BF3:

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Clanzugehörigkeit, ihrem Herkunftsort Mogadischu, zu ihren Familienverhältnissen (2 Töchter, die ihn Kismayo bei der Tante leben und ein Sohn von BF1) gründen sich auf ihre gleichbleibenden Aussagen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht. Ebenso ihre Aussagen, dass BF2 Analphabetin war und ihre Eltern für ihren Lebensunterhalt aufgekommen sind. In der Verhandlung vermittelte sie den Eindruck, dass sie wenig gebildet ist. Die Feststellungen, dass BF1 und BF3 vor Antritt der Strafhaft des BF1 ein enges Verhältnis zueinander hatten und alle BF in einem gemeinsamen Haushalt wohnten ergibt sich aus der Einsicht in das Zentrale Melderegister, den Aussagen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und dem Eindruck, den sich die Richterin in der Beschwerdeverhandlung über die Beziehung vor allem des BF1 und BF3 zueinander machen konnte. Dass sie ihr Mann nicht nach Somalia begleiten würde, ergibt sich aus der von ihm zu verbüßenden Strafhaft und aus den glaubwürdigen Aussagen der BF2 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung:

 

R: Wenn Sie jetzt nach Somalia zurückkehren müssten, würde Ihr zweiter Mann mitkommen?

 

BF2: Nein.

 

R: Warum nicht?

 

BF2: Er gehört einem Minderheitenclan an, die andere diskriminieren. Wenn ein Jareer-Mann eine Issaq heiratet, wird er verbrannt.

 

R: Woher wissen Sie das?

 

BF2: Es gab mehrere Fälle, die schon passiert sind.

 

Es ist glaubwürdig, dass BF1 die BF2 aus Angst vor Diskriminierungen aufgrund der unterschiedlichen Clanzugehörigkeiten nicht nach Somalia begleiten würde.

 

Das Fluchtvorbringen von BF2, nämlich, dass ihr Ehemann sie systematisch geschlagen hat, Alkoholiker war und gedroht hat, sie zu töten, nachdem sie ihn verlassen hat, gründet sich auf den glaubhaft erzählten Schilderungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Auch aus den zitierten Länderberichten ergibt sich, dass Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Somalia ein großes Problem darstellt. Es ist auch nachvollziehbar und plausibel, dass ihr Mann sie aufgrund der Trennung mit dem Tod bedrohte. Zudem wäre sonst auch nicht nachvollziehbar, weshalb die BF2 ihren ersten Mann verlassen hätte, obwohl sie zwei gemeinsame Kinder mit ihm hat. Die Erzählung ist in diesem Punkt stringent und plausibel und scheint die BF2 die Ereignisse der Gewalt durch ihren Ehemann (möglicherweise aus Scham) eher herunter zu spielen, was ebenfalls zu ihrer Glaubwürdigkeit beiträgt. Erst bei näherem Nachfragen gibt sie die gesamte Gewalterfahrung durch ihren Mann gegen sie und ihre Töchter preis. In der Befragung vor dem BFA wurde sie zu den Geschehnissen mit ihrem Mann lediglich rudimentär befragt. Sie gab bereits vor dem BFA an, dass sie von ihrem Mann geschlagen wurde (S. 5 des angefochtenen Bescheids). Das BFA fragte aber hierzu nicht weiter. Es wird nicht verkannt, dass die BF2 in der Erstbefragung angegeben hatte, dass ihr Vater und ihr erster Ehemann ermordet wurden. Es ist aber durchaus denkbar, dass dies in der Erstbefragung falsch protokolliert wurde; als Analphabetin und ungebildete Frau ist es auch nachvollziehbar, dass der BF2 dieser Fehler nicht aufgefallen ist. Außerdem darf der Erstbefragung ohnehin bzgl. des Fluchtvorbringens nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden, da gemäß § 19 AsylG die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat.

 

Ebenfalls glaubwürdig ist, dass die BF2 außer ihren beiden Töchtern und ihrer Tante keine familiären Anknüpfungspunkte mehr in Somalia hat. Geglaubt wird der BF2 auch dahingehend, dass ihr Vater und ihr Bruder gestorben sind und ihre Mutter psychisch krank ist. Es kann nur nicht festgestellt werden aufgrund welcher Ereignisse ihre Mutter psychisch erkrankt ist und unter welchen Umständen ihr Vater und ihr Bruder gestorben sind. Da jedoch festgestellt werden kann, dass BF2 aufgrund der Gewalt ihres Ehemanns aus Mogadischu geflohen ist und in weiterer Folge aus Kismayo aufgrund der Gefahren für alleinstehende Frauen, konnte eine nähere Analyse zu den weiteren Fluchtgründen unterbleiben und die Ermittlung der tatsächlichen Ursachen des Todes ihres Vaters und Bruders unterbleiben.

 

Insgesamt ist es aber schlüssig, dass die BF2 mit ihrer Tante nach Kismayo geflüchtet ist und ihre Töchter in die Obhut dieser Tante gab, um selbst aus Somalia zu flüchten und ihre Töchter später nachzuholen. Ebenfalls glaubwürdig ist, dass sie den Kontakt zu ihrer Tante und ihren Töchtern derzeit verloren hat. Insgesamt macht die BF2 einen glaubwürdigen Eindruck, wenn sie über ihre persönlichen Lebensumstände erzählt. Hätte sie keine Gewalt durch ihren ersten Ehemann erlebt, hätte sie keinen Grund gehabt, sich von ihm zu trennen. Sie hat ihre Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sehr emotionsreich und lebensnah geschildert.

 

Aus den Staatenberichten ergibt sich, dass für alleinstehende Frauen mit minderjährigen Kind ein hohes Risiko besteht in ein IDP Lager zu kommen und dort Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden (siehe zu diesem Punkt aber auch weiter unten in der rechtlichen Beurteilung).

 

Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Somalia zugrunde gelegt werden konnten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1 Zu A)

 

3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

3.1.2 Zu BF2 und BF3:

 

Die BF2 konnte mit ihrem glaubhaften Vorbringen, ihr Mann war Alkoholiker und hat sie regelmäßig verprügelt und ihr nach der Trennung gedroht, sie zu töten, darlegen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde. Die die BF2 treffende Verfolgungsgefahr findet ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, weil der BF2 eine Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe Familie droht. Dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" von Asylrelevanz ist, wurde von der Rspr des VwGH schon wiederholt klargestellt (VwGH 11.11.2009, 2008/23/0366 und VwGH 24.3.2011, 2008/23/0176).

 

Zwar handelt es sich bei dem Ehemann der Beschwerdeführerin um einen nicht-staatlichen Akteur, doch kann angesichts der Berichtslage bzw. der nur äußerst schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen in Somalia nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig und auch schutzwillig wären, um die der Beschwerdeführerin treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden. Trotz jüngster Verbesserungen bleibt die Justiz unterfinanziert, unterbesetzt, schlecht ausgebildet, und ineffizient. Es kommt im Hinblick auf eine Asylgewährung darauf an, ob aufgrund einer bestehenden Verfolgungsgefahr ausreichender bzw. effektiver staatlicher Schutz besteht (VwGH 16.4.2002, 99/20/0483 und VwGH vom 23.3.2011, 2008/23/0176).

 

3.1.2.1 Zur Frage der Möglichkeit einer Innerstaatlichen Fluchtalternative:

 

Da der BF1 in ihrem Herkunftsort Mogadischu Verfolgung durch ihren (früheren) Ehemann droht, ist im weiteren Schritt zu prüfen, ob sie in einem anderen Landesteil Schutz vor dieser Verfolgung hat, es muss geprüft werden, ob dieser Ort zugänglich ist und es ihr zumutbar ist, sich an diesem Ort niederzulassen. Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

 

Für die BF2 ist daher zu prüfen, ob eine Innerstaatliche Fluchtalternative nach Kismayo in Frage kommt:

 

Auch wenn man davon ausgeht, dass die BF2 Schutz vor Verfolgung vor ihrem (früheren) Ehemann in Kismayo finden könnte, weil es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass er sie dort auffinden würde, ist jedoch die Zumutbarkeit einer IFA zu verneinen: Die BF2 hat einen fünfjährigen Sohn und nach ihren glaubhaften Angaben auch keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie in Somalia. Ihre Tante und ihre Töchter waren zwar zuletzt in Kismayo aufhältig, doch ist der Kontakt abgebrochen. Selbst wenn diese Tante noch in Kismayo wohnt und BF2 Kontakt zu ihr herstellen könnte, wäre aber äußerst fraglich, ob diese Tante auch noch die BF2 und den BF3 aufnehmen könnte. Alleinstehende und alleinerziehende Frauen sind besonders vulnerabel. Die BF2 verfügt nur über wenig Ausbildung und keinen Beruf und hat zudem gesundheitliche Probleme mit Verdacht auf rezidivierenden Gallenkoliken, weshalb sie schon mehrmals in Landeskrankenhäusern in Österreich behandelt wurde. Aus der individuellen Situation der Beschwerdeführerin (alleinstehend mit kleinem Kind und wenig gebildet ) in Zusammenschau mit den aktuellen Länderberichten zur besonderen Gefährdung von alleinstehenden Frauen und Angehörigen von Minderheitenclans als IDP im Falle einer Rückkehr, kann daher nicht von einer Möglichkeit einer Innerstaatlichen Fluchtalternative nach Kismayo ausgegangen werden (vgl. auch Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA [2017] 142).

 

3.1.2.2 Es kamen keine Asylendigungs- bzw. -ausschlussgründe hervor.

 

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 23.10.2014 daher vor dem 15.11.2015, gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden und die Zuerkennung von Asyl daher unbefristet zu erfolgen hatte.

 

Von einer Schutzfähigkeit der somalischen Behörden kann das Bundesverwaltungsgericht auf Basis der ihm vorliegenden Berichtslage nicht ausgehen.

 

3.1.2.3 Der BF3 ist der Sohn von BF2 und leitet als Familienangehöriger gemäß § 2 (1) Z 22 AsylG den Asylstatus von seiner Mutter gemäß § 34 AsylG ab. Es liegen keine Ausschlussgründe vor.

 

3.1.3 Zu BF1:

 

3.1.3.1 Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist.

 

Gemäß § 2 Abs. 3 AsylG ist ein Fremder straffällig geworden, wenn er entweder wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist rechtskräftig verurteilt worden ist (Z3). Der BF3 wurde bereits dreimal vom LG Leoben wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt.

 

BF1 kann daher den Asylstatus von BF2 nicht ableiten, da ihm das Ableitungsprivileg eines Familienangehörigen jedenfalls nicht zusteht, weil er straffällig im Sinne des AsylG geworden ist.

 

3.1.3.2 Zu den eigenen Fluchtgründen des BF1 (Spruchpunkt I des Bescheides):

 

In Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia konnte der BF - wie bereits in der Beweiswürdigung näher dargestellt - keine konkrete individuelle, gegen ihn gerichtete Bedrohung, aus welcher möglicherweise eine aktuelle asylrelevante Verfolgung der Person des BF1 in seinem Herkunftsstaat ableitbar wäre, festgestellt werden. Er hat selbst auch nur im Kleinkindalter in Somalia gelebt. Die Bedrohungssituation bei seinem einwöchigen Aufenthalt in Mogadischu war nicht glaubwürdig.

 

Betreffend eine allfällige Gefährdung aufgrund der Zugehörigkeit des BF zum Jareer Clan und daher zu einem Minderheitenclan sowie dem vagen Vorbringen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Männer, welche eine Zwangsrekrutierung durch al Shabaab drohe, ist Folgendes auszuführen: Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann nämlich auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. zB VwGH vom 23.02.2017, Ra 2016/20/0089 u.v.m.).

 

Wie den Länderfeststellungen zwar zu entnehmen ist, kommt es nach wie vor zu Rekrutierungen von Kindersoldaten durch die Al-Shabaab Milizen und haben diese sogar zugenommen. Aufgrund der Volljährigkeit des BF ist aber nicht von einer maßgeblichen Gefahr bei einer allfälligen Rückkehr nach Somalia auszugehen.

 

Aus den Länderfeststellungen - insbesondere der darin enthaltenen Karte über die verschiedenen Akteure in Somalia und ihrem Einfluss - ist ersichtlich, dass die Al Shabaab keineswegs im gesamten somalischen Gebiet ihren Einfluss geltend macht.

 

Da somit die allgemeine Lage in Somalia nicht derart gestaltet ist, dass jeder Mann der Gefahr einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt wäre, und auch sonst nichts hervorgekommen ist, dass der BF im besonderen Maße gefährdet wäre, rekrutiert zu werden, war dem BF auch nicht aus diesem Grund der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

Betreffend die behauptete Gefährdung aufgrund der Zugehörigkeit des BF zum Clan der Jareer, ist auszuführen, dass der Jareer Clan als Minderheitenclan angesehen wird. Anhaltspunkte dafür, dass sämtliche Angehörige von Minderheitenclans von einer systematischen Vertreibung oder massiv diskriminierenden Benachteiligung in Somalia betroffen sind, liegen nicht vor, weshalb das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf diesen Clan in Somalia ebenfalls im Ergebnis zu verneinen ist. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich auch, dass selbst eine Minderheitenzugehörigkeit für sich alleine keinen Hinweis auf eine entsprechende maßgebliche Verfolgungsgefahr mit sich bringt. In einer Gesamtschau kann eine asylrelevante Gefährdung des BF auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Jareer nicht abgeleitet werden.

 

Die Länderfeststellungen zu Rückkehrern aus dem Ausland lassen ebenfalls nicht darauf schließen, dass gleichsam jeder Rückkehrer aus dem Ausland Gefahr liefe, Übergriffe zu erleiden. Gemäß den Länderfeststellungen, sind Zivilisten zwar nicht gleichermaßen betroffen, Ziel eines Anschlags der al Shabaab Milizen zu werden. Generell ist jedoch ein "normaler Zivilist" (keine Verbindung zur Regierung; zu Sicherheitskräften; zu Behörden; zu NGOs oder internationalen Organisationen) - auch bei einer Rückkehr nach Mogadischu - keinem derartigen Risiko ausgesetzt. Bei der strategischen Zielauswahl der al Shabaab gibt es also keine spezifische Kategorie der "Zivilisten" oder der aus der Diaspora Zurückgekehrten. Zudem ist miteinzubeziehen, dass der BF die Landessprache perfekt beherrscht.

 

Insofern der Beschwerdeführer die wirtschaftlich schlechte Lage in Somalia vorbringt, lässt sich auch aus diesem Grund eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (VwGH 19.06.1997, Zl. 95/20/0482; VwGH 28.05.1994, Zl. 94/20/0034). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sämtliche Angehörige des Clans der Jareer ihrer Existenzgrundlage beraubt werden bzw. es ihnen unmöglich wäre, sich eine Lebensgrundlage aufzubauen. Es sind auch keine Anhaltspunkte erkennbar, wonach es dem BF unmöglich wäre, eine Arbeit aufzunehmen.

 

Auch aufgrund des Umstandes, dass BF1 und BF2 aus unterschiedlichen Clans stammen und sie daher eine Mischehe geschlossen haben, aufgrund derer BF1 verfolgt werden könnte, lässt sich eine asylrelevante Verfolgung nicht ableiten, da es sich bei einem solchen Vorbringen lediglich um eine abstrakte, rein potentielle Verfolgungsgefahr handelt. Aus den Länderberichten ergibt sich darüber hinaus, dass Mischehen vor allem in ländlichen Gebieten problematisch sind und selten Vorfälle dokumentiert sind, in welchen Gewalt aufgrund von Mischehen angewendet wurde.

 

Insgesamt ist es dem BF1 daher nicht gelungen eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat Somalia glaubhaft zu machen, weshalb seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides als unbegründet abgewiesen wurde.

 

3.1.3.3 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II des Bescheides):

 

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

 

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Asylwerbers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

 

Wie der aktuellen Rechtsprechung des VwGH zu entnehmen ist, ist unbeschadet davon, dass die Lage in einem bestimmten Land, sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt sein mag, davon das Prüfungskalkül des Art 3 EMRK zu unterscheiden, welches für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (zuletzt etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0420 unter Verweis auf VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0205).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof erkannt hat (VwGH vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036-5), ist bei der Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Artikel 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahr, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat beziehen (vgl. auch VwGH vom 23.09.2014, Ra 2014/01/0060, VwGH vom 24.03.2015, Ra 2014/19/0021 mit weiteren Hinweisen).

 

Aus dem jüngst ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, kann geschlossen werden, dass § 8 Abs. 1 AsylG unionsrechtskonform einschränkend so auszulegen ist, dass diese Bestimmung - ungeachtet ihres unterschiedslos auf Verletzungen von (insb.) Art. 2 und 3 EMRK abstellenden Wortlautes - nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorsieht, in denen dies nach Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie geboten ist. Demnach ist für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden muss oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgeht. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführenden Verletzung von Art. 3 EMRK.

 

Der Beschwerdeführer ist in der Stadt Mogadischu geboren und vor seiner Flucht für ca. eine Woche dorthin zurückgekehrt bzw. hat noch entfernte Verwandte und damit einen Nahebezug zu Mogadischu auch wenn er in Saudi-Arabien aufgewachsen ist. Die Sicherheitslage in Mogadischu ist zwar volatil, hat sich aber verbessert. Mogadischu bleibt weiterhin unter der Kontrolle von AMISOM (vgl. zur Sicherheitslage in Mogadischu weiter oben bei den Feststellungen). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der BF1 einem ernsthaften Schaden durch einen bewaffneten Konflikt oder durch das Verhalten eines Dritten (eines sogenannten Akteurs) bei einer Rückkehr nach Mogadischu ausgesetzt wäre.

 

Dem BF1 war daher angesichts der jüngsten Rspr des VwGH der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerde betreffend Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher abzuweisen.

 

3.1.3.4 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III, erster und zweiter Satz)

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor und wurden vom BF1 auch nicht behauptet.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Im Fall des BF1 ist im Hinblick auf eine Abwägung der verschiedenen Interessen folgende Einzelfallprüfung vorzunehmen:

 

Sowohl die Frau des BF1 als auch sein circa fünf Jahre alter Sohn befinden sich in Österreich und erhalten durch die vorliegende Entscheidung Asyl und sind daher berechtigt, in Österreich zu leben. Es wurde festgestellt, dass der BF1 ein sehr enges Verhältnis zu seinem Sohn hat und mit BF2 und BF3 vor der Strafhaft im gemeinsamen Haushalt lebte; die aufenthaltsbeendende Maßnahme greift daher zweifelsohne in das Recht des BF1 auf Familienleben ein.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF1 in Österreich darüber hinaus über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Im gegenständlichen Fall ist der BF1 unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung im Oktober 2014, somit insgesamt 4 1/2 Jahren, im Bundesgebiet auf. Mit Verfahrensanordnung vom 11.2.2019 wurde dem BF1 mitgeteilt, dass er gemäß § 13 (2) Z 1 AsylG 2005 sein Aufenthaltsrecht aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung ab dem 2.6.2017 verloren hat. Sein auf einem Aufenthaltsrecht gründender Aufenthalt in Österreich beträgt daher sogar weniger als drei Jahre. Auch der bis zum 2.6.2017 gegründete bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ist ausschließlich auf seinen Antrag auf internationalen Schutz gestützt, wodurch er nie über ein Aufenthaltsrecht abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund seines Antrags auf internationalen Schutz, verfügt hat.

 

Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung daher als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09).

 

Zur Integration und den Bindungen des BF1 zu seinem Heimatstaat ist weiters Folgendes in die Überlegungen miteinzubeziehen: der Beschwerdeführer hat zwar keinen Deutschkurs besucht, verfügt aber über gute Deutschkenntnisse, er arbeitet im Gefängnis als Tischler und hat vor seiner Haft Bemühungen gezeigt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er hat gelegentlich gemeinnützige Tätigkeiten erbracht.

 

Es kann nicht mehr von einer engen Bindung des BF1 zu Somalia ausgegangen werden, zumal er in Saudi-Arabien aufgewachsen ist. Allerdings beherrscht er die Somalische Sprache sehr gut.

 

Zu den privaten Interessen des BF1 zählen auch sein Interesse seine festgestellten medizinischen Leiden zu behandeln. Dabei ist aber jedenfalls miteinzubeziehen, dass es sich bei akne inversa nicht um eine lebensbedrohliche Krankheit handelt und es auch in Mogadischu, vor allem mit Unterstützung seiner entfernten Verwandten möglich ist, die notwendigen Verbände auszuwechseln. In Mogadischu sind seit 2014 einige Gesundheitseinrichtungen, Spitäler und Kliniken neu eingerichtet worden (siehe Feststellungen aus den Länderberichten oben).

 

Den familiären und privaten Interessen des BF1 an einem Verbleib im Bundesgebiet ist fallgegenständlich jedoch sein straffälliges Verhalten entgegen zu halten. Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die für die Integration eines Fremden wesentliche soziale Komponente durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (vgl. etwa VwGH 30.01.2007, 2004/21/0045 mwH). Im vorliegenden Fall muss sich der Beschwerdeführer insbesondere entgegenhalten lassen, dass er dreimal wegen der Begehung von Delikten nach dem Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Begehung von Straftaten stellt einen eigenen Grund für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dar (VwGH 24.7.2002, 2002/18/0112). Gemäß der Rspr des EGMR sind bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, die strafrechtlich verurteilte Fremde betreffen, auch die Natur und Schwere der Straftat un ein eventuelles Wohlverhalten seit der letzten Verurteilung zu berücksichtigen (vgl. EGMR U 1.12.2016, Salem gg. Dänemark 77036/11). Dazu ist für den vorliegenden Fall zu sagen, dass der BF1 bereits dreimal aufgrund von Suchtmitteldelikten strafgerichtlich verurteilt wurde. Ein mögliches Wohlverhalten kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden, da der BF1 sich nunmehr in Strafhaft befindet und außerdem am 4.1.2019 eine Anzeige aufgrund von § 28 SMG erstattet wurde, deren weiterer Verlauf zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht berurteilt werden kann. Die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminialität, insbesondere des Suchtgifthandels, und die mehrmaligen Verurteilungen, sind im vorliegenden Fall aber jedenfalls zu berücksichtigen und schlagen zum Nachteil des BF1 aus, auch wenn dem BF1 zuzugestehen ist, dass er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingeräumt hat, dass ihm die Straftat leidtut und dass er sie wegen seiner Sucht begangen hat.

 

Gemäß der Rechtsprechung des VfGH sind aber auch die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des BF1 auf das Kindeswohl zu berücksichtigen (vgl. VfGH 24.09.2018, E 1416/2018-14). Daher sind nachfolgend im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Auswirkungen der Außerlandesbringung von BF1 in Bezug auf BF2 und BF3 zu erörtern:

 

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR 21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]).

 

Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl. VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN).

 

Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 28.2.2012, B 1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl. 55.597/09; 12.10.2016, E 1349/2016).

 

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 9.6.2016, E 2617/2015; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016;

14.3.2018, E 3964/2017; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018;

11.6.2018, E 435/2018). Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrecht erhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 25.2.2013, U 2241/12;

19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018).

 

Ohne Zweifel wird die Rückkehrentscheidung des BF1 Konsequenzen für das Familienleben aller drei BF insbesondere auch für das Kindeswohl des minderjährigen Sohnes BF3 haben. Es wurde festgestellt, dass BF1, BF2 und BF3 vor Antritt der Strafhaft in einem gemeinsamen Haushalt lebten. Außerdem wurde eine enge Beziehung von Vater und Sohn festgestellt, sodass eine Aufenthaltsbeendigung von BF1 für das Kind sicherlich schwierig ist. Allerdings muss man in die Interessensabwägung auch miteinbeziehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund des mehrmaligen strafbaren Verhaltens, das in Folge zur Strafhaft des BF1 führte, ein aktives Familienleben ohnedies nicht möglich ist. Zum anderen ist auch mitzubedenken, dass der Kontakt mit einem Vater, der mehrmals aufgrund von Suchtmitteldelikten strafgerichtlich verurteilt wurde, dem Kindeswohl auch nicht unbedingt zuträglich ist, da ein Vater letztlich auch immer ein Vorbild ist. Es ist dem BF1 zwar zuzugestehen, dass er sich nunmehr in Therapie befindet, doch hat er durch seine Straffälligkeit jedenfalls in Kauf genommen, von seinem Sohn getrennt zu werden: die ersten zwei Verurteilungen wurden vorerst bedingt nachgesehen, erst bei der dritten Verurteilung erfolgte eine unbedingte Haftstrafe. Somit ist die Eltern-Kind Beziehung zwischen BF1 und BF3 bereits durch die Strafhaft empfindlich beeinträchtigt und erfolgt diese Beeinträchtigung nicht erst durch die Außerlandesbringung des BF1, wobei jedoch eingeräumt wird, dass mit der Rückkehrentscheidung jedenfalls die Wiederaufnahme der Eltern-Kind Beziehung nach Verbüßung der Strafhaft verhindert wird.

 

Entscheidend ist aber in jedem Fall auch bei Miteinbeziehung der Auswirkungen auf das Familienleben von BF2 und BF3, dass aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilungen das öffentliche Interesse an der Außerlandesbringung des BF1 besonders schwer wiegt und eine Interessensabwägung daher nicht zugunsten eines aufrechten Familienlebens ausschlagen kann zumal das Kindeswohl bereits durch die Haftstrafe des Vaters bereits beeinträchtigt wurde und eine Außerlandesbringung demgegenüber das Kindeswohl nicht mehr sehr viel mehr beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.03.1995, Zl. 95/18/0061, verwiesen, in welcher der VwGH ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass das wiederholte Fehlverhalten des Fremden (im damals vom VwGH beurteilten Verfahren waren dies die Delikte des Einbruchsdiebstahles und der Hehlerei) eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirkt und derart schwerwiegend ist, dass auch die stark ausgeprägten privaten und familiären Interessen des Fremden, der mit seiner Familie, Frau und Kindern, seit fünfzehn Jahren in Österreich lebte, zurücktreten müssen (vgl. auch VwGH 08.02.1996, 95/18/0009). Auch im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, und die mehrmaligen Verurteilungen, ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch bei gegenläufigen familiären und privaten Interessen insbesondere den Interessen seines minderjährigen Sohnes dringend geboten.

 

Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des BF1 im Bundesgebiet seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.1.3.5 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (dritter Spruchteil des Spruchpunktes III des angefochtenen Bescheides):

 

Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz (FPG) festgestellt, dass die Abschiebung des BF1 gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234). Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hatte in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist, was es verunmöglicht, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. dazu etwa VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 und auch die Beschlüsse vom 19.02.2015, Ra 2015/21/0005 und vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0059 - 0062). Diese Judikatur kann aber wohl nur in Zusammenhang mit der bisherigen (am Wortlaut des Gesetzes orientierten) Auslegung des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 aufrechterhalten werden, wonach der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (wodurch derselbe Prüfumfang wie bei der Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung nach § 50 FPG festgelegt war). Wie oben dargelegt wurde, wurde aber vom EuGH klargestellt, dass der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger aufgrund des Art. 3 EMRK nicht abgeschoben werden kann, eben nicht automatisch bedeutet, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Aus Sicht der erkennenden Richterin ist daher eine unterschiedliche Beurteilung der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG und der Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz entgegen der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes möglich bzw. notwendig geworden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass Umstände, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden, aber für eine Zuerkennung von subsidiären Schutz nicht in Betracht kommen (zu dieser Unterscheidung siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106), im Ausspruch nach § 52 Abs. 9 FPG zu berücksichtigen sind.

 

Gegenständlich war daher zu klären, ob ein Fall des § 50 Abs. 1 FPG gegeben ist - ob also im Falle der Rückführung des BF1 nach Somalia Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würden bzw. eine reale Gefahr einer solchen Verletzung besteht oder die Rückführung für den Beschwerdeführer als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Wie bereits ausgeführt wurde, ist der Beschwerdeführer weder durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts noch durch einen Akteur bedroht. Es stellt sich aber die Frage, ob durch die Abschiebung des BF1 nach Somalia Art. 3 EMRK verletzt würde.

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl. für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

BF1 hat zwar nur im Kleinkindalter in Somalia gelebt und gehört einem Minderheitenclan an, aber er spricht Somalisch (auch in der Verhandlung wurde mit einer Somalisch Dolmetscherin gearbeitet und es gab keinerlei Verständigungsprobleme), hat eine Somalierin geheiratet, ist daher weiterhin somalisch sozialisiert und spricht außerdem noch gut Arabisch und Englisch und ein bisschen Deutsch, Griechisch und Türkisch. Er hat den Tischlerberuf gelernt und arbeitet zurzeit in der Haftanstalt als Tischler. Den Feststellungen ist zu entnehmen, dass es in Somalia einen großen Bedarf an ausgebildeten Kräften und Fähigkeiten wie zB an Handwerkern (Tischler, Maurer, Schweißer etc.) gibt. Es ist daher davon auszugehen, dass es für den BF1 im Gegensatz zu anderen unausgebildeten Somaliern, die keine Fremdsprachen sprechen, nicht allzu schwierig sein muss, eine Arbeit etwa als Tischler in Mogadischu zu finden, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Er hat darüber hinaus verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Mogadischu, die auch wenn sie nur entfernte Verwandte sind, den BF1 bereits bei seinem einwöchigen Aufenthalt in Somalia bei sich aufgenommen haben und ihn daher bei einer Rückkehr nach Mogadischu zumindest anfangs bei sich aufnehmen könnten. Er hat auch einen Bruder in den Niederlanden, von dem er im Notfall auch finanzielle Unterstützung erwarten kann.

 

Es ist daher davon auszugehen, dass er in der Lage wäre, für die Sicherung seiner grundlegendsten Bedürfnisse (Nahrung, Unterkunft) zu sorgen und es besteht keine Gefahr, dass er in eine ausweglose Lage geraten würde. Insgesamt geht das erkennende Gericht auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Beschwerden nicht davon aus, dass seine Versorgungssituation derart beeinträchtigt wäre, dass im Fall der Abschiebung des BF1 nach Mogadischu/Somalia eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte und eine Verelendung zu erwarten wären.

 

Es erscheint daher aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht angezeigt, für den Fall einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers von einem realen Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen. Eine Rückführung würde keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen.

 

Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia ist daher zulässig. Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des dritten Spruchteiles des Spruchpunktes III. (Zulässigkeit der Abschiebung) des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

3.1.3.6 Zur Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist mit 14 Tagen festzulegen.

 

Gemäß § 59 Abs. 4 FPG ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

 

Der BF1 befindet sich derzeit in Strafhaft. Damit ist der Beginn der Frist für die freiwillige Ausreise mit dem Zeitpunkt der Enthaftung des BF1 anzusetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Fristenlauf gehemmt. Andernfalls käme ein Drittstaatsangehöriger in Strafhaft, wenn die behördliche Entscheidung mehr als 14 Tage vor seiner Enthaftung erlassen wird, nie in den Genuss der freiwilligen Ausreise, was mit Art. 7 der Rückführungsrichtlinie offenkundig im Widerspruch stünde (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Daher war Spruchpunkt IV entsprechend anzupassen.

 

3.2 Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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