VwGH 95/18/0009

VwGH95/18/00098.2.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des A in S, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. November 1994, Zl. 659.261/5-III/16/94, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20;
EMRK Art8 Abs2;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1993 §18 Abs2 Z1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §20;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem aufgrund eines Devolutionsantrages des Beschwerdeführers ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 14. November 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im März 1983 als Tourist nach Österreich eingereist und habe am 8. Juni 1983 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Die Ehe, aus der drei Kinder entstammten, sei am 11. Oktober 1990 geschieden worden.

Der Beschwerdeführer sei wie folgt rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden:

Am 28. Februar 1985 vom Bezirksgericht Hallein wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;

am 7. November 1989 vom Landesgericht Salzburg wegen § 114 Abs. 1 und Abs. 2 ASVG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen;

am 24. Juli 1992 vom Landesgericht Salzburg wegen §§ 83 Abs. 1 und 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten;

am 4. Dezember 1992 vom Bezirksgericht Salzburg wegen § 198 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Wochen.

Er sei in den Jahren 1984 und 1985 insgesamt neunmal und einmal im Jahre 1991 wegen Verwaltungsübertretungen (vorwiegend der StVO) rechtskräftig bestraft worden. Im Frühjahr 1993 habe der Beschwerdeführer ein "Lokal" sowie ein Lebensmittelgeschäft geführt, ohne im Besitz der jeweils dafür erforderlichen Gewerbeberechtigung zu sein. Bis zum Jahr 1993 sei er an einer bestimmten Adresse in Salzburg gemeldet, jedoch nicht wohnhaft gewesen. In derselben Zeit sei er an seinem tatsächlichen Wohnort nicht gemeldet gewesen. Mit Stand vom 19. Juli 1993 sei er mit Unterhaltszahlungen für seine drei Kinder in der Höhe von insgesamt S 140.952,-- im Rückstand gewesen. Er habe im Verfahren behauptet, während des Winters 1993/1994 den (laufenden) Unterhalt bezahlt zu haben, ohne jedoch hiefür einen Nachweis zu erbringen.

Die gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers erfüllten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG. Aufgrund der mehrfachen Verstöße des Beschwerdeführers gegen die Rechtsordnung sei auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten, weshalb das Aufenthaltsverbot im Grunde des § 19 FrG zulässig sei.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG sei der langjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers und der dadurch bedingte "relativ geringe Bezug" zu seinem Heimatstaat zu berücksichtigen. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer seit 11. Oktober 1990 geschieden sei und seine drei Kinder im Haushalt der Mutter lebten. Seit

12. September 1994 lebe der Beschwerdeführer auch nicht mehr bei seiner (früheren) Lebensgefährtin. Zuletzt sei der Beschwerdeführer vom 23. Dezember 1993 bis 15. April 1994 als Koch beschäftigt gewesen. Seither sei er arbeitslos. Seine familiären oder sonstigen Bindungen seien "nicht sehr hoch zu veranschlagen".

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer läßt die Tatsache seiner gerichtlichen Verurteilungen unbestritten und wendet sich nicht gegen die - unbedenkliche - Rechtsauffassung, daß jedenfalls durch die beiden Verurteilungen wegen § 83 StGB der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob auch die Verurteilungen wegen § 114 ASVG und § 198 StGB auf der "gleichen schädlichen Neigung" beruhen und ebenfalls den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. erfüllen.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, hat die belangte Behörde neben dem den Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Fehlverhalten zu Recht die - wenn auch teilweise lange zurückliegenden - Verwaltungsübertretungen sowie die unberechtigte Gewerbeausübung und die Meldung an einer unrichtigen Adresse berücksichtigt. (Da der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung vom 20. Juli 1993 selbst zugegeben hat, ein Geschäft ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung geführt zu haben, ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die diesen Umstand "aufgrund der Aktenlage" festgestellt hat, nicht unschlüssig. Im Hinblick darauf ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Beschwerdeführer auch ein "Lokal" ohne Gewerbeberechtigung geführt hat.) Es ist somit nicht richtig, daß der Beschwerdeführer "in den letzten Jahren ruhig, unauffällig und völlig integriert im Inland gelebt (hat)". Aufgrund der zahlreichen Verstöße des Beschwerdeführers gegen verschiedene Rechtsvorschriften ist die belangte Behörde zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.

3. Zur Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 19 FrG hat die belangte Behörde - nach Darstellung der oben angeführten Rechtsverletzungen des Beschwerdeführers in den vorhergehenden Absätzen des angefochtenen Bescheides - ausgeführt, daß das Aufenthaltsverbot "daher" zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei. Durch diesen Zusammenhang ist - entgegen den Ausführungen zum Beschwerdegrund der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - klargestellt, daß die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot aufgrund der durch die Rechtsverletzungen des Beschwerdeführers bewirkten Beeinträchtigung öffentlicher Interessen für dringend geboten erachtete. Soweit der Beschwerdeführer als weiteren Verfahrensmangel rügt, die belangte Behörde habe nicht ausgeführt, zur Erreichung welchen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles das Aufenthaltsverbot erforderlich sei, hat er die Wesentlichkeit in dem Sinn, daß er durch den behaupteten Begründungsmangel an der Verfolgung seiner Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof gehindert wäre, nicht dargetan (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 600 angeführte hg.

Rechtsprechung).

Aufgrund der zahlreichen Rechtsverletzungen des Beschwerdeführers, die nur zum Teil bereits längere Zeit zurückliegen, kann die von der belangten Behörde im Ergebnis vertretene Ansicht, das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele (hier: zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

4. Bei der nach § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung hat die belangte Behörde zugunsten des Beschwerdeführers dessen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und den inländischen Aufenthalt seiner Kinder sowie die Tatsache, daß er nur einen geringen Bezug zu seiner Heimat habe, berücksichtigt. Es kann somit keine Rede davon sein, daß "nicht mit Sicherheit erkennbar" sei, von welchem Sachverhalt die belangte Behörde bezüglich der Integration des Beschwerdeführers ausgegangen sei. Es sei hinzugefügt, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nicht angelastet hat, zu seinen Kindern keinen Kontakt zu halten. Durch das Aufenthaltsverbot wird die Kontaktnahme zwischen Vater und Kindern zweifellos erschwert, doch wäre es möglich, diesen Kontakt durch Besuche seiner geschiedenen Gattin und der Kinder im Ausland zumindest in einem eingeschränkten Umfang aufrecht zu erhalten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0189). Die belangte Behörde hat zu Recht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer den Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern nicht (zur Gänze) nachgekommen ist und hohe Unterhaltsrückstände bestehen. Dem gegenüber ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob er im Winter 1993/94 seinen laufenden Verpflichtungen nachgekommen ist und die Rückstände während dieser Zeit nicht weiter angestiegen sind. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge geht somit ins Leere. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, durch das Aufenthaltsverbot werde ihm die Möglichkeit genommen, Unterhaltszahlungen zu leisten, sodaß der Unterhalt "vom Staat" getragen werden müsse, wodurch es zu einer Beeinträchtigung öffentlicher Interessen käme, ist ihm entgegenzuhalten, daß er Unterhaltszahlungen auch vom Ausland erbringen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/1142) und, soweit er sich damit auf Umstände, die nicht den privaten und familiären Bereich betreffen, bezieht, daß solche zugunsten des Beschwerdeführers im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG nicht zu berücksichtigen sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. März 1995, Zl. 95/18/0286). Aufgrund der dargestellten, vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen kann die von der belangten Behörde im Ergebnis vertretene Ansicht, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

5. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, bei ihm läge der Ausschlußgrund des § 20 Abs. 2 FrG vor, weil er bereits vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ansuchen hätte können ist ihm zu entgegnen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StBG entscheidende Zeitpunkt jener der Rechtskraft der vorletzten der von der belangten Behörde herangezogenen Bestrafungen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. Februar 1995, Zl. 94/18/1093). Es war daher zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Rechtskraft der am 24. Juli 1992 erfolgten Verurteilung die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG erfüllt hat. Dies ist zu verneinen, weil er in diesem Zeitpunkt noch nicht zehn Jahre in Österreich aufhältig war.

6. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde jedoch zu Recht vor, die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes nicht begründet zu haben. Die Begründung des angefochtenen Bescheides läßt tatsächlich nicht erkennen, warum unter Bedachtnahme auf die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (§ 21 Abs. 2 FrG) der Wegfall des Grundes für diese Maßnahme - unter der Voraussetzung künftigen Wohlverhaltens des Beschwerdeführers (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 1994, Zl. 94/18/0189) - erst nach Ablauf von zehn Jahren angenommen werden könne, beschränken sich doch die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid auf die Wiedergabe des Gesetzestextes.

Aufgrund der damit aufgezeigten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 1995, Zl. 94/18/0637).

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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