BVwG W252 2168191-1

BVwGW252 2168191-123.11.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W252.2168191.1.00

 

Spruch:

W252 2168191-1/13E

 

W252 2168179-1/13E

 

W252 2157090-1/16E

 

W252 2168185-1/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elisabeth SHALA, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 28.07.2017, Zl. 1097167802-151869008, 2.) vom 28.07.2017, Zl. 1097167606-151869016, 3.) vom 20.04.2017, Zl. 1064253902-150391878 und 4.) vom 28.07.2017, Zl. 1097168004-151868982, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist nicht zulässig.

 

BEGRÜNDUNG:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, stellten am 18.04.2015 (Drittbeschwerdeführer) bzw. am 24.11.2015 (Erst-, Zweit-, Viertbeschwerdeführer) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbeschwerde-führerin ist die Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers. Der Dritt- und der Viertbeschwerde-führer sind deren Kinder.

 

2. Die niederschriftliche Erstbefragung des Drittbeschwerdeführers fand am 19.04.2015, die der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers am 26.11.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie Afghanistan aufgrund der Taliban verlassen habe, weil diese auch Kinder für den Krieg rekrutiert hätten. Den Iran habe sie verlassen, weil ihre Kinder nicht in die Schule hätten gehen dürfen und sie nachdem die Gültigkeit ihrer iranischen Identitätskarte abgelaufen sei, nicht mehr habe arbeiten dürfen.

 

Der Zweitbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an Afghanistan aufgrund des Krieges und der Taliban, die Personen rekrutiert hätten, verlassen zu haben. Den Iran habe er verlassen, weil seine Kinder nicht in die Schule hätten gehen dürfen und sie weder eine Versicherung noch Rechte im Iran gehabt hätten. Für den Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

 

Der Drittbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass seine Eltern Afghanistan vor seiner Geburt aufgrund des Krieges und der fehlenden Sicherheit verlassen hätten. Den Iran habe er verlassen, weil er als Afghane benachteiligt gewesen sei und keine Möglichkeiten einer Ausbildung gehabt habe.

 

3. Der Drittbeschwerdeführer wurde am 07.11.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass seine Familie Afghanistan verlassen habe als er noch sehr jung gewesen sei, weil sein Vater damals Soldat gewesen sei und Feinde gehabt habe. Den Iran habe er aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation und der schwierigen Lebensverhältnisse für dort aufhältige Afghanen sowie wegen seines Traums in einem Verein Fußball zu spielen, verlassen.

 

Am 15.03.2017 wurden die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer beim Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Sie gaben nach ihren Fluchtgründen befragt an, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers Grundstücke an seine Cousins für 10 Jahre verpachtet habe. Nach dessen Tod habe der Zweitbeschwerdeführer die Grundstücke von den Cousins seines Vaters zurückverlangt, was diese jedoch verweigert hätten. Der Zweitbeschwerde-führer sei von den Cousins seines Vaters zusammengeschlagen worden um nicht nochmals die Herausgabe der Grundstücke zu verlangen. Der Zweitbeschwerdeführer habe daraufhin eine Anzeige beim Distriktsvorsteher erstattet. Da die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerde-führers jedoch Mitglieder der Taliban seien, habe der Distriktsvorsteher die Behandlung der Anzeige aus Angst abgelehnt. Wegen der erstatteten Anzeige hätten die Cousins seines Vaters in der Nacht Schüsse auf das Haus der Beschwerdeführer abgefeuert. Aus Angst habe die damals schwangere Erstbeschwerdeführerin Schmerzen bekommen und schließlich ihr Kind verloren. In einem Brief sei den Beschwerdeführern gedroht worden Afghanistan zu verlassen sonst würde ihr Haus mit Raketen beschossen werden. Die Beschwerdeführer sind daraufhin in den Iran gezogen. Weil die Erstbeschwerdeführerin befürchtet habe, dass der Zweitbeschwerdeführer dennoch die Grundstücke zurückholen werde, seien sie in Richtung Europa ausgereist. Hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers wurden wiederum keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

 

4. Der Drittbeschwerdeführer nahm mit Schriftsatz vom 14.11.2016 Stellung zur Situation in seinem Herkunftsland und seiner Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan.

 

5. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen bzw. 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe geltend bzw. glaubhaft gemacht hätten. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführer würden in Österreich - abgesehen voneinander - zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehr-entscheidung entgegenstehe, verfügen.

 

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 1 AsylG genügt habe, weshalb das Verfahren mangelhaft sei. So habe das Bundesamt keinerlei Ermittlungen zum Lebensstil insbesondere der Erst- und des Drittbeschwerdeführers in Österreich angestellt. Das Bundesamt habe seine Einschätzungen ausschließlich auf eigene Anschauungen zu Vorgängen in Afghanistan und auf Länderberichte, die sich nicht mit Grundstückstreitigkeiten befassen, gestützt sowie darauf, dass die Aussagen der Beschwerdeführer - ohne dies nachvollziehbar zu erläutern - als nicht glaubwürdig einstuft. Der Erstbeschwerdeführerin wäre aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der (westlich orientierten) Frauen der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Der Drittbeschwerdeführer falle unter mehrere Risikoprofile in Afghanistan aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und seiner (zumindest unterstellten) pro-westlichen Einstellung, da er nahezu sein gesamtes Leben im Iran oder in Europa gewesen sei. Jedenfalls sei den Beschwerdeführern aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan zumindest der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

 

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.10.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.

 

8. Mit Stellungnahme vom 19.10.2018 wurde vorgebracht, dass der Viertbeschwerdeführer aufgrund der individuellen und familiären Situation sowie der besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern, der hohen Zahl an minderjährigen Opfer in Afghanistan, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der schwierigen wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Viert-beschwerdeführer im Falle einer Ansiedelung in Kabul oder Mazar-e Sharif einem realen Risiko ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende (Not‑)Lage zu geraten.

 

9. Mit Parteiengehör vom 24.10.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht eine auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2018 (Seite 21 bis 25 und 98 bis 109); eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2018; eine ACCORD-Anfragebeantwortung zu den Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 den Parteien zur Stellungnahme.

 

Die Parteien brachten keine Stellungnahme ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

 

Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX . Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin

sind traditionell miteinander verheiratet (W252 2168179-1 = BF 2 AS

98, 102; W252 2168191-1 = BF 1 AS 116, 119). Dieser Ehe entstammen

der Drittbeschwerdeführer, der den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt sowie der minderjährige Viertbeschwerdeführer, der den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt.

 

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben (Verhandlungs-protokoll vom 08.10.2018 = VP, S. 8, 20, 26). Sie sprechen die Sprache Dari als Muttersprache (VP, S. 4, 27).

 

Die Erstbeschwerdeführerin ist in der Provinz Herat im Distrikt XXXX geboren und dort zunächst mit ihrer Familie aufgewachsen. Im Alter von ca. 10 Jahren ist die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Eltern in das Dorf XXXX in der Provinz Herat gezogen. Die Familie der Erstbeschwerdeführerin hat ihren Lebensunterhalt aus ihren landwirtschaftlich genutzten Grundstücken bestritten (BF 1 AS 118 f; VP, S. 8).

 

Der Zweitbeschwerdeführer ist in der Stadt XXXX , im Distrikt Zenda Jan, in der Provinz Herat geboren und dort gemeinsam mit seiner Familie aufgewachsen. Die Familie des Zweitbeschwerdeführers hat ihren Lebensunterhalt aus ihren landwirtschaftlich genutzten Grundstücken bestritten (BF 2 AS 98 f). Nach der traditionellen Heirat der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers ist die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Mann in die Stadt XXXX (Heimatstadt der Beschwerdeführer) gezogen (BF 1 AS 118). Der Zweitbeschwerdeführer hat in Afghanistan auf Baustellen gearbeitet (BF 2 AS 99 f; BF 1 AS 118). Der Drittbeschwerdeführer wurde in der Provinz Herat geboren (W2157090-1 = BF 3 AS 127 f; BF 1 AS 119). Die Beschwerdeführer sind ca. 2007 in den Iran gezogen, wo der Viertbeschwerdeführer geboren wurde (BF 1 AS 15 ff, 119; BF 2 AS 17). Im Iran hat die Erstbeschwerdeführerin als Aushilfe im Haushalt (Putzfrau) (BF 1 AS 17), der Zweitbeschwerdeführer als Schweißer, der Drittbeschwerdeführer in einem Restaurant sowie auf Baustellen als Hilfsarbeiter gearbeitet (BF 2 AS 99 f; BF 1 AS 119; BF 3 AS 129).

 

Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 18.04.2015 (Drittbeschwerdeführer) bzw. am 24.11.2015 (Erst-, Zweit-, Viertbeschwerdeführer) einen Antrag auf internationalen Schutz (BF 1 AS 11 ff; BF 2 AS 11 ff; BF 3 AS 5 ff).

 

Die Beschwerdeführer verfügen nach wie vor noch über ihr Haus in ihrer Heimatstadt, im Distrikt XXXX , in der Provinz Herat sowie über verpachtete Grundstücke (BF 1 AS 120; BF 2 AS 101).

 

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt noch über ihre Eltern sowie einen Bruder in der Provinz Herat. Ihre Familie bestreitet ihren Unterhalt nach wie vor aus den Grundstücken, die landwirtschaftlich genutzt werden (VP, S. 8 f; BF 1 AS 116 f). Die Beschwerdeführer stehen regelmäßig im Kontakt mit der Familie der Erstbeschwerdeführerin (VP, S. 9; BF 1 AS 119 f). Sie verfügt weiters über vier Brüder im Iran (VP, S. 10; BF 1 AS 117).

 

Der Zweitbeschwerdeführer verfügt über zwei Brüder und eine Schwester im Iran sowie über zwei Brüder in Deutschland (BF 2 AS 15, 98, 100).

 

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer sind arbeitsfähig.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

 

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

 

1.2.1. Die Beschwerdeführer sind nach ihrem jahrelangen Aufenthalt im Iran nicht nach Afghanistan zurückgekehrt. Es hat keine Grundstücksstreitigkeiten zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und den Cousins seines Vaters oder anderen Personen gegeben. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers ist nicht von dessen Cousins umgebracht worden. Die Beschwerdeführer wurden von den Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers weder geschlagen oder mit dem Tod bedroht noch waren sie konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Auf das Haus der Beschwerdeführer wurde auch nicht geschossen.

 

Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

 

Den Beschwerdeführern droht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung durch Familienangehörige oder durch andere Personen.

 

1.2.2. Die Erstbeschwerdeführerin ist in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

 

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht (faktisch) kaum Deutsch und kann weder lesen noch schreiben. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt und ihre Kinder. Sie hat in Österreich Kontakte zu Nachbarn und Lehrern des Viertbeschwerdeführers knüpfen können. Sie trägt in Österreich ein Kopftuch.

 

1.2.3. Der Drittbeschwerdeführer gilt aufgrund seines Kleidungs- oder Lebensstils in Afghanistan nicht als westlich orientiert.

 

Die Beschwerdeführer sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes im Iran und Europa keiner psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt.

 

1.2.4. Dem Viertbeschwerdeführer wäre es weder unmöglich oder unzumutbar, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren noch würde ihm aufgrund seines Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan physische und/oder psychische Gewalt drohen. Er ist deswegen keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

 

In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn dem Viertbeschwerdeführer eine grundlegende Bildung zukommt.

 

1.2.5. Die Beschwerdeführer verließen den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.

 

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

 

Den Beschwerdeführern würde bei einer Rückkehr in ihre Heimatstadt ( XXXX ), im Distrikt Zenda Jan, in der Provinz Herat kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Die Versorgungslage ist aufgrund der Dürre in der Provinz derzeit zwar angespannt. Die Beschwerdeführer können in ihrer Heimatstadt jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Die Beschwerdeführer verfügen in der Provinz Herat über ein soziales und familiäres Netzwerk. Die Beschwerdeführer können im eigenen Eigentumshaus in ihrer Heimatstadt, in dem sie auch bisher gelebt haben, wohnen (BF 1 AS 120; BF 2 AS 101). Die Beschwerdeführer können ihren Unterhalt zunächst aus dem Pachtzins ihrer verpachteten Grundstücke bestreiten. Die Beschwerdeführer können zumindest anfänglich auch mit finanzieller Unterstützung durch die Familie der Erstbeschwerdeführerin rechnen. Insbesondere der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer sowie die Erstbeschwerdeführerin können für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das des Viertbeschwerdeführers sorgen.

 

Dem Viertbeschwerdeführer ist es möglich nach einer Rückkehr in die Heimatstadt seiner Eltern in der Provinz Herat eine Schule zu besuchen und sich an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen, nämlich neue Kontakte knüpfen, die begonnene Schulbildung fortsetzen, studieren, einen Beruf lernen, einer eigenständigen Arbeit nachgehen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache vertiefen.

 

Es ist den Beschwerdeführern somit möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr in ihre Heimatstadt in der Provinz Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

 

Der Drittbeschwerdeführer ist seit seiner Antragsstellung am 18.04.2015, die Erst-, der Zweit- und der Viertbeschwerdeführer seit ihrer Antragstellung am 24.11.2015, aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig.

 

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben zwar Alphabetisierungs- und Deutschkurse besucht (BF 1 AS 101, 103, 109, 110; Teilnahmebestätigung A1-Sprachkurs vom 31.07.2018; Empfehlungsschreiben der Deutschkursleiterin vom 31.07.2018). Die Erstbeschwerdeführerin verfügt jedoch praktisch kaum, der Zweitbeschwerdeführer nur über geringe Deutsch-kenntnisse (VP, S. 11, 21). Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben an einem Workshop zum Thema "Asylverfahren in Österreich" im Rahmen des Projekts "Protect" und am Basismodul des Projekts "Protect Plus" teilgenommen (jeweils Teilnahmebestätigung vom 14.07.2018 und 21.09.2018). Der Drittbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und verfügt über mittelmäßige Deutschkenntnisse (BF 3 AS 173; Bestätigung Deutschkurs vom 03.11.2016; VP, S. 28).

 

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer gehen in Österreich keiner beruflichen Tätigkeit nach. Sie leben von der Grundversorgung (VP, S. 16, 22, 28).

 

Die Erstbeschwerdeführerin erbringt seit Februar 2016 gemeinnützige Tätigkeiten in Form von Reinigungsleistungen für die Schule und den Kindergarten in der Gemeinde XXXX (Arbeitsbestätigung der Gemeinde XXXX vom 02.03.2017, 19.06.2018 und 21.09.2018; Bestätigung von Frau XXXX aus Juni 2018). Der Zweitbeschwerdeführer hat im September 2016 gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde XXXX (Bestätigung Gemeindeamt XXXX vom 13.03.2017) sowie seit Mai 2016 gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde XXXX (Arbeitsbestätigung Gemeinde XXXX vom 21.09.2018) geleistet und im Jahr 2016 sieben Stunden und im Jahr 2017 zwölf Stunden gemeinnützige Arbeit für die Gemeinde XXXX (Bestätigung Gemeinde XXXX vom 14.03.2017) sowie im Juli 2016 29 Stunden, im August 2016 15 Stunden und im September 2016 10,5 Stunden und auch im Jahr 2018 gemeinnützige Arbeit für die Gemeinde XXXX (Bestätigung Gemeinde XXXX vom 13.03.2017; Arbeitszeugnis vom Bürgermeister der Gemeinde XXXX vom 04.10.2018) erbracht. Der Drittbeschwerdeführer arbeitet seit August 2016 regelmäßig gemeinnützig bei der Holding XXXX (Bestätigung vom 03.11.2016; BF 3 AS 175) und ist Mitglied in einem Fußballteam (Mitgliedschaftsbestätigung vom 03.11.2016; BF 3 AS 177).

 

Die Beschwerdeführer werden von ihren Betreuern und Nachbarn in Österreich sehr geschätzt (Unterstützungsschreiben der Betreuerin von 13.03.2017 und 04.10.2018, der Mitbewohner und des Hausmeisters vom 27.09.2018, einer Nachbarin vom 26.09.2018 sowie Herrn XXXX aus September 2018) und haben freundschaftliche Kontakte zu ihnen knüpfen können, jedoch bestehen keine engen sozialen Kontakte zu diesen (VP, S. 14, 22, 29).

 

Der Viertbeschwerdeführer besuchte im Jahr 2016/2017 einen Kindergarten und seit dem Schuljahr 2017/2018 eine Volksschule (BF 1 AS 107; VP, S. 12).

 

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.09.2018 - LIB 11.09.2018, S. 27).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 11.09.2018, S. 27).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 11.09.2018, S. 30).

 

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 11.09.2018, S. 38).

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 11.09.2018, S. 31).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 11.09.2018, S. 31).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB 11.09.2018, S. 31).

 

Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 11.09.2018, S. 32 ff, 36).

 

Taliban:

 

Die Taliban konzentrierten sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" nicht. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 ist auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 11.09.2018, S. 40 f).

 

Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 11.09.2018, S. 107).

 

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (LIB 11.09.2018, S. 107, 229 f).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 11.09.2018, S. 107).

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 11.09.2018, S. 108).

 

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 11.09.2018, S. 108).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 11.09.2018, S. 109).

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 11.09.2018, S. 109).

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 11.09.2018, S. 110).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 11.09.2018, S. 110).

 

Medizinische Versorgung

 

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (LIB 11.09.2018, S. 328).

 

Frauen

 

Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017, S. 10).

 

Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Anfragebeantwortung 18.09.2017, S. 10, S. 2).

 

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (LIB 11.09.2018, S. 292). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an (LIB 11.09.2018, S. 293).

 

Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Anfragebeantwortung 18.09.2017, S. 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Anfragebeantwortung 18.09.2017, S. 29 ff).

 

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB 11.09.2018, S. 294).

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB 11.09.2018, S. 298 f; Analyse der Staatendokumentation betreffend Frauen in Afghanistan vom 02.07.2014).

 

Kinder

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (LIB 11.09.2018, S. 306).

 

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (LIB 11.09.2018, S. 306).

 

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Jedoch wird durch UNICEF in Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet um auch diesen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen. In von den Taliban kontrollierten Gegenden sind gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (LIB 11.09.2018, S. 306).

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Kinderarbeit bleibt jedoch ein tiefgreifendes Problem. Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien (LIB 11.09.2018, S. 309).

 

Wirtschaft:

 

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 11.09.2018, S. 321).

 

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 11.09.2018, S. 321 f).

 

Dürre und Versorgungslage in der Provinz Herat

 

In der Provinz stehen Zahlungen in Höhe von 208 Mio. Afghanis an die Wasserversorgungsanstalt aus, weshalb die Wasserversorgungsanstalt Infrastrukturprojekte verschieben musste. Veraltete Kanalsysteme und einen Mangel an Spezialwerkzeugen zum Auffinden und Reparieren von undichten stellen weitere Probleme der Wasserversorgungsanstalt dar. Die Wasserversorgung und Kanalisation umfasst nur sieben Bezirke in der Provinz Herat, darunter Ghorian, Zanda Jan, Shindand, Obe and Pashton Zarghon (Anfragebeantwortung Staatendokumentation vom 13.09.2018, S. 2 f).

 

Afghanistan wird dieses Jahr rund 2-2,5 Mio. Tonnen an Getreide importieren müssen um seinen Bedarf zu decken. Das sind rund 10% mehr als im vergangenen Jahr. Da die Getreideernte im Iran und Pakistan voraussichtlich gut sein wird, sollte dieses Defizit durch konventionelle marktwirtschaftliche Kanäle ausgeglichen werden können. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vorjahr in den meisten großen Märkten unverändert (Anfragebeantwortung Staatendokumentation vom 13.09.2018, S. 3).

 

Die Provinz Herat ist für ca. 60.000 Menschen, die aufgrund der Dürre aus ihren Häusern vertrieben worden sind, zum nächst gelegenen Zufluchtsort geworden. Auch der Konflikt habe viele dazu veranlasst aus ihren Häusern in den verhältnismäßig sicheren Teil der Provinz zu fliehen. Sie würden in prekären Verhältnissen leben und weder eine langfristige Perspektive noch die Mittel dafür haben, Stabilität wiederzuerlangen. Trotz der rasch bereit gestellten Hilfe würden Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Versorgung fehlen. Viele Menschen würden an Dehydrierung leiden, wofür Kinder und ältere Binnenvertriebene besonders anfällig seien (ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 5).

 

Die Auswirkungen der Lebensmittel-Krise sind in ganz Afghanistan präsent, da die Kaufkraft sinke, die normale Lebensgrundlage durch Konflikte gestört werde und der Ertrag der regenwassergespeisten Grundnahrungsmittel schlecht sei und zu einem im Vergleich zu den letzten Jahren erhöhten Bedarf an Unterstützung im Ernährungsbereich führe. Insbesondere in nördlichen, nordöstlichen und nordwestlichen Gebieten dürften arme Haushalte, die von der wassergespeisten Weizenproduktion abhängig seien, bis zur Frühjahrsernte im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 11).

 

Die "Food Consumption Scores" (= ein Wert, der sich aus der Ernährungsvielfalt, der Häufigkeit der Lebensmittel und der relativen Ernährungsbedeutung verschiedener Lebensmittelgruppen zusammensetzt) der ländlichen Bevölkerung ist unter anderem in Herat kritisch. Unter den vertriebenen Familien in den Provinzen der westlichen Region ist die Situation noch schwerwiegender: 82 Prozent der Familien hätten schlechte Food Consumption Scores und 72 Prozent müssten auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgreifen, wie die Reduktion der Nahrungsmittelzufuhr oder der Anzahl der Mahlzeiten (ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 7).

 

Insbesondere im Distrikt Zindajan, in der Provinz Herat stellt sich die Situation jedoch nicht als stark lebensmittelunsicher dar, zumal der Distrikt in der untersten Kategorie der Distrikte, die sich nach der Anzahl der Personen, die auf Distriktebene stark lebensmittelunsicher sind, gliedern, eingestuft wurde (Abbildung Anfragebeantwortung Staatendokumentation vom 13.09.2018, S. 11). Der Distrikt Zindajan wurde auch nur der IPC-Kategorie 2 (stressed) zugeordnet (Abbildung ACCORD Anfragebeantwortung vom 12.10.2018, S. 12), sodass sich in diesem Distrikt die Situation nicht dergestalt darstellt, dass jeder in Hungersnot gerate.

 

Rückkehrer:

 

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 11.09.2018, S. 334).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 11.09.2018, S. 335 f).

 

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 11.09.2018, S. 336f).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 11.09.2018, S. 337 f).

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 11.09.2018, S. 338 f).

 

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 11.09.2018, S. 339).

 

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 11.09.2018, S. 339 f).

 

Rückkehrer stoßen auf soziale Ablehnung durch AfghanInnen, die während der Konfliktjahre in Afghanistan geblieben seien. Es gibt zwei wichtige Gründe, warum Flüchtlinge der zweiten Generation bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit dieser sozialen Exklusion konfrontiert seien: Zum einen werden einige Flüchtlinge als "Eindringlinge" in die afghanische Gesellschaft angesehen, zum zweiten handelt es sich um das erste Mal, dass sie als AfghanInnen mit tiefgreifenden ethnischen und Stammes-Unterschieden unter ihren Landsleuten konfrontiert würden (ACCORD Anfragebeantwortung 12.06.2015, S. 4).

 

Es gibt eine generelle negative Einstellung gegenüber einigen RückkehrerInnen, denen von einigen in Afghanistan verbliebenen Personen vorgeworfen wird, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben. Einer der Gründe für diese Vorwürfe ist Angst im Zusammenhang mit der Konkurrenz um Ressourcen. RückkehrerInnen der zweiten Generation, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie sich in einer besseren sozioökonomischen Lage befinden würden als Personen, die in Afghanistan geblieben sind, würden von ihren Landsleuten, die ihr "Territorium" in den Bereichen Bildung, Arbeit, Eigentum und sozialer Status bedroht sehen würden, manchmal als unerwünschte Eindringlinge angesehen. Darüber hinaus scheint es eine stereotype Wahrnehmung von zurückgekehrten Mädchen und Frauen zu geben, wonach diese "freier" seien. Dies hänge mit der generellen Wahrnehmung der AfghanInnen von pakistanischen und iranischen Frauen zusammen (ACCORD Anfragebeantwortung 12.06.2015, S. 5).

 

Wegen ihres Akzents würden RückkehrerInnen leicht als RückkehrerInnen ausgemacht, was zu sozialer Ausgrenzung führen kann. RückkehrerInnen sind auch mit Diskriminierung und Erniedrigung (seitens einiger staatlicher Einrichtungen, darunter auch Bildungseinrichtungen), konfrontiert (ACCORD Anfragebeantwortung 12.06.2015, S. 9).

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer, auf Grund dieses Merkmals, in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, durch Einvernahme der Erst- bis Drittbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.09.2018; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 in englischer Sprache; Analyse der Staatendokumentation betreffend Frauen in Afghanistan vom 02.07.2014; Bericht der Staatendokumentation über Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017; ACCORD Anfragebeantwortung zur Situation von afghanischen Staatsangehörigen, die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren 12.06.2015; Unterstützungsschreiben ihrer Betreuerin von 13.03.2017 und 04.10.2018, ihrer Mitbewohner und des Hausmeisters vom 27.09.2018, einer Nachbarin vom 26.09.2018 sowie Herrn XXXX aus September 2018; zu BF 1: Teilnahmebestätigung A1-Sprachkurs vom 31.07.2018; Empfehlungsschreiben der Deutschkursleiterin vom 31.07.2018; Teilnahmebestätigung am Projekt "Protect" und "Protect Plus" vom 14.07.2018 und 21.09.2018; Arbeitsbestätigung der Gemeinde XXXX vom 02.03.2017, 19.06.2018 und 21.09.2018; Bestätigung von Frau XXXX aus Juni 2018; zu BF 2:

Teilnahmebestätigung am Projekt "Protect" und "Protect Plus" vom 14.07.2018 und 21.09.2018; Bestätigung Gemeindeamt XXXX vom 13.03.2017; Arbeitsbestätigung Gemeinde XXXX vom 21.09.2018;

Bestätigung Gemeinde XXXX vom 14.03.2017; Bestätigung Gemeinde XXXX vom 13.03.2017; Arbeitszeugnis vom Bürgermeister der Gemeinde XXXX vom 04.10.2018; zu BF 3: Bestätigung Deutschkurs vom 03.11.2016;

Bestätigung der Holding XXXX vom 03.11.2016;

Mitgliedschaftsbestätigung vom 03.11.2016) sowie durch Einsichtnahme in die mit Parteiengehör vom 24.10.2018 ins Verfahren eingebrachten Berichte (auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2018 [Seite 21 bis 25 und 98 bis 109];

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre vom 13.09.2018;

ACCORD-Anfragebeantwortung zu den Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018) sowie in die Stellungnahme vom 19.10.2018.

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

 

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache und ihrem Lebenslauf (ihr Aufwachsen sowie ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Afghanistan und im Iran, die [fehlende] Schulausbildung und die jeweilige Berufserfahrung der Beschwerdeführer) sowie ihre gegenseitigen Familienverhältnisse gründen auf den diesbezüglich schlüssigen und im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der Beschwerdeführer, weshalb das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung hat, an diesen zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zur Einreise sowie das Datum der Antragstellung ergeben sich aus den Akteninhalten.

 

2.1.3. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin im Iran und in Afghanistan sowie zu deren Eigentumsverhältnissen und dem aufrechten Kontakt zu ihrer Familie in Afghanistan stützen sich insbesondere auf ihre diesbezüglich stringenten Angaben beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (VP, S. 8 ff; BF 1 AS 116 f, 119).

 

Die Feststellungen betreffend die Familienangehörigen des Zweitbeschwerdeführers im Iran ergeben sich aus den diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben des Zweitbeschwerdeführers in der Erstbefragung und beim Bundesamt (BF 2 AS 15, 98, 100).

 

2.1.4. Dass die Beschwerdeführer noch über ein Haus in ihrer Heimatstadt in der Provinz Herat verfügen, ergibt sich aus den Aussagen der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers beim Bundesamt, wonach sie im Falle einer Rückkehr wieder in ihrem Haus wohnen könnten, wenn sie keine Probleme [Anm. BVwG: bezogen auf die Fluchtgründe] hätten (BF 1 AS 120; BF 2 AS 101). Dass Gericht schließt daraus, dass die Beschwerdeführer noch über das Haus verfügen. Da die Angaben der Beschwerdeführer zum Fluchtvorbringen (somit auch zu den Streitigkeiten bezüglich ihrer Grundstücke) einerseits nicht glaubhaft sind und keine Verfolgung der Beschwerdeführer festgestellt wurde (siehe Punkt II.2.2.1.) ist es für das Gericht auch nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführer Probleme in Afghanistan gehabt haben oder nach wie vor haben. Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführer noch über ihr Haus in der Provinz Herat sowie die verpachteten Grundstücke verfügen und sie im Falle einer Rückkehr (wieder) darin wohnen können sowie ihren Lebensunterhalt aus dem Pachtzins bestreiten können (Punkt II.1.3.).

 

2.1.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gründen auf den diesbezüglich schlüssigen Aussagen beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung (BF 1 AS 115; BF 2 AS 97; VP, S. 7) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Sofern der Drittbeschwerdeführer einen Befund vom 21.06.2016 mit der Diagnose XXXX [Anm. BVwG: von der XXXX ] im Verfahren vorgelegt hat (BF 3 AS 171), kommt diesem in Anbetracht des bereits älteren Datums und weil der Beschwerdeführer derartige Schmerzen in der Beschwerdeverhandlung nicht erwähnt hat und keine Befunde neueren Datums vorgelegt hat, nur insofern Bedeutung zu, dass aktuell deshalb eine Behandlung und Medikamenteneinnahme offenkundig nicht mehr notwendig ist. Es konnte daher bei keinem der Beschwerdeführer eine lebensbedrohliche Erkrankung oder schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt werden. Sofern der Drittbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angegeben hat aufgrund seiner Operation am Knie keiner Beschäftigung oder Aktivitäten nachgehen zu können (VP, S. 28 f), ist ihm seine Aussage beim Bundesamt, wo er ebenfalls angegeben hat am Knie operiert worden zu sein, es ihm diesbezüglich aber wieder gut gehe (BF 3 AS 129), entgegenzuhalten. Zudem hat der Drittbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung angegeben, mit österreichischen Jungs im Park Fußball zu spielen (VP, S. 29). Da die Erst- bis Drittbeschwerdeführer gemeinnützige Tätigkeiten erbringen und - wie soeben ausgeführt - auch sonst keine Umstände einer Arbeitsunfähigkeit der Erst- bis Drittbeschwerdeführer im Verfahren hervorgekommen sind, war ihre Arbeitsfähigkeit festzustellen.

 

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

Die zur Entscheidung berufene Richterin des Bundesverwaltungsgerichts geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund ihres persönlichen Eindrucks der Erst- bis Drittbeschwerdeführer davon aus, dass ihnen hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführer wurden zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht worden. Es ergaben sich viele Widersprüche und Unplausibilitäten zwischen den Aussagen der Erst- und des Zweitbeschwerdeführer, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart widersprüchlichen und nicht stringenten Weise wie in der Beschwerdeverhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

 

2.2.1. Soweit die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer vorbrachten, ihnen drohe Lebensgefahr bzw. physische und/oder psychische Gewalt durch die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers, weil es zu Grundstücksstreitigkeiten zwischen ihnen gekommen sei, kommt ihrem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

 

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer gaben beim Bundesamt und in der Beschwerde-verhandlung im groben Zusammengefasst an, dass der Zweitbeschwerdeführer nach dem Tod seines Vaters bzw. nach Ablauf der Pachtzeit die Grundstücke seiner Familie von den Cousins seines Vaters (den Pächtern) zurückverlangt habe. Diese hätten behauptet, dass die Grundstücke nicht dem Zweitbeschwerdeführer bzw. seinem Vater gehören würden und hätten den Zweitbeschwerdeführer zusammengeschlagen um ihn vor weiteren Rückforderungen abzuhalten. Die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers hätten auch Schüsse auf das Haus der Beschwerdeführer abgefeuert und ihnen gedroht sie müssen das Land verlassen, sonst würde ihr Haus mit Raketen beschossen werden. Die Beschwerdeführer hätten daraufhin Afghanistan verlassen (BF 1 AS 121 f; BF 2 AS 103 f; VP, S. 17 f, 23 f).

 

Es fällt jedoch auf, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer die in weiterer Folge angeführten Grundstücksstreitigkeiten und die damit zusammenhängende Verfolgung durch die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers in der Erstbefragung gar nicht erwähnten, sondern lediglich anführten, Afghanistan aufgrund des Krieges und der Taliban verlassen zu haben (BF 1 AS 21; BF 2 AS 21).

 

Gemäß § 19 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

 

Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf Fluchtgründe der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer die - erst in weiterer Folge - angeführten Grundstücksstreitigkeiten und die damit zusammenhängende Verfolgung durch die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers, somit einen wesentlichen Teil ihrer Fluchtgründe zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnten, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar und zumindest als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.

 

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben beim Bundesamt angegeben, dass sie von der Polizei nicht zu ihrem Fluchtgrund befragt worden seien und die in der Niederschrift der Erstbefragung protokollierten Angaben zum Fluchtvorbringen nicht getätigt hätten (BF 1 AS 115; BF 2 AS 97). Nachgefragt revidierte der Zweitbeschwerdeführer seine Behauptung beim Bundesamt dahingehend, dass er der Polizei von den Problemen im Iran schon erzählt habe, die Probleme in Afghanistan habe er jedoch nicht erwähnt. Nachgefragt, ob er also doch zu seinen Fluchtgründen befragt worden sei, führte der Zweitbeschwerdeführer aus, dass die Polizei ihn gefragt habe und er über seine Probleme im Iran gesprochen habe. Da jedoch sein Sohn vermisst worden sei, sei er nicht in der Lage gewesen über die anderen Probleme zu sprechen. Nach Rückübersetzung des Absatzes bezüglich der Fluchtgründe aus der Niederschrift der Erstbefragung bestätigte der Zweitbeschwerdeführer schließlich, dass er dies so gesagt habe (BF 2 AS 97). Damit steht dieses Vorbringen im Widerspruch zur Erstbeschwerdeführerin, welche - selbst nach Belehrung, dass sie dadurch die Polizei der Fälschung eines Beweismittels und möglicherweise des Amtsmissbrauchs beschuldige und sich selbst strafbar mache, wenn diese Angaben nicht stimmen - nicht von der Behauptung abließ, nicht nach ihren Fluchtgründen befragt und dazu keine Angaben gemacht zu haben (BF 1 AS 115). Es ist daher offenkundig, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer versucht haben das Bundesamt zu täuschen um im Anschluss ihren neuen, gesteigerten Fluchtgrund unbelastet durch ihre Angaben bei der Erstbefragung vorbringen zu können. Es zeigt sich auch, dass insbesondere die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren nicht davor zurückgeschreckt ist falsche Angaben zu tätigen und sogar die österreichischen Behörden einer Straftat (Fälschung von Beweismitteln) bezichtigt hat. Insbesondere der Erstbeschwerdeführerin war daher die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

 

Zudem fällt auf, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer in der Erstbefragung angegeben haben, dass sie [Anm. BVwG: ausgehend vom Zeitpunkt der Erstbefragung am 26.11.2015] die letzten 8 Jahre durchgehend im Iran aufhältig gewesen seien ("Iran/Stadt: XXXX [...] - Das war die letzten 8 Jahre die Wohnadresse [...] Bis ca. 2007:

Afghanistan/Herat/Olesuali Zandajan/ XXXX [...] Im Iran habe ich die letzten 8 Jahre gelebt" [BF 1 AS 15 ff; BF 2 AS 17]; "Hilfsarbeiter ab 2007 bis zur Flucht im Iran" [BF 2 AS 17]). Dass die Beschwerdeführer nach einem jahrelangen Aufenthalt im Iran für ein paar Monate nach Afghanistan zurückgegangen seien, ist diesen Angaben nicht zu entnehmen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Das Gericht geht daher davon aus, dass sich das Fluchtvorbringen schon mangels der Anwesenheit der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht zugetragen haben kann.

 

Darüber hinaus haben sich Widersprüche und Ungereimtheiten in den Angaben zum Fluchtvorbringen der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers ergeben, weshalb das Gericht auch aus diesen Gründen davon ausgeht, dass es sich lediglich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt:

 

So hat der Zweitbeschwerdeführer beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung angegeben, dass er nach Ablauf der Pachtzeit von den Cousins seines Vaters die verpachteten Grundstücke zurückverlangt habe. Diese hätten ihn aufgefordert am nächsten Tag zu ihnen auf die Felder zu kommen um die Angelegenheit zu besprechen. Am nächsten Tag als der Zweitbeschwerdeführer bei ihnen auf den Feldern gewesen sei, hätten die Cousins seines Vaters behauptet, dass die Grundstücke nicht (mehr) ihm gehören würden. Der Zweitbeschwerdeführer sei dann von den Cousins seines Vaters geschlagen und verprügelt worden (BF 2 AS 104; VP, S. 23). Während der Zweitbeschwerdeführer beim Bundesamt lediglich anführte drei Tage später eine Anzeige beim Distriktvorsteher erstattet zu haben (BF 2 AS 104), gab er in der mündlichen Verhandlung an, 2-3 Tage nachdem er verprügelt worden sei, in einer Jirga den Bewohnern mitgeteilt zu haben, dass die Verwandten seines Vaters die Rückgabe der verpachteten Grundstücke verweigern würden. Da die Jirga nichts für ihn machen habe können, habe er eine Anzeige bei der Distriktverwaltung eingebracht. Diese habe ihn an die Provinzregierung verwiesen, die auch nichts für den Zweitbeschwerdeführer tun habe können (VP, S. 23 f). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Zweitbeschwerdeführer nicht bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt Ausführungen zur angeblich stattgefundenen Jirga tätigte, zumal sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Zweitbeschwerdeführer nicht in der Lage gewesen wäre, bereits im behördlichen Verfahren ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Es scheint vielmehr so als versuche der Zweitbeschwerdeführer nunmehr den Vorhalt in der Bescheidbegründung, wonach es unplausibel sei, dass es zu keiner Tagung der Jirga (einem in der afghanischen Gesellschaft eingerichteten Organ zur Streitschlichtung) gekommen sei (BF 2 AS 245), zu entkräften.

 

Im Widerspruch zum Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers gab die Erstbeschwerde-führerin beim Bundesamt zunächst an, dass der Zweitbeschwerdeführer nach Ablauf der Pachtzeit seine verpachteten Grundstücke von den Cousins seines Vaters zurückverlangt habe. Da diese die Herausgabe verweigert hätten, habe der Zweitbeschwerdeführer Anzeige beim Distriktvorsteher erstattet. Der Zweitbeschwerdeführer sei dann nochmals zu den Cousins seines Vaters gegangen, wobei diese ihm gesagt hätten, dass er am nächsten Tag zu ihnen auf die Felder kommen solle um über die Grundstücke zu sprechen. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer auf den Feldern von den Cousins seines Vaters geschlagen worden (BF 1 AS 122). Im Zuge der Einvernahme beim Bundesamt berichtigte die Erstbeschwerde-führerin ihre Angaben zum Fluchtvorbringen dahingehend, dass der Zweitbeschwerdeführer von den Cousins seines Vaters heftig geschlagen worden sei und er erst zwei Tage später die Cousins seines Vaters beim Distriktvorsteher angezeigt habe (BF 1 AS 124). In der Beschwerdeverhandlung gab die Zweitbeschwerdeführerin hingegen wiederum im Gegensatz zum Zweitbeschwerdeführer an, dass der Zweitbeschwerdeführer seine Grundstücke zurückverlangt habe. Da die Cousins seines Vaters die Herausgabe der Grundstücke verweigert hätten, habe er eine Anzeige bei der Distriktverwaltung und den Dorfältesten erstattet. Als die Cousins seines Vaters von der Anzeige erfahren hätten, sei der Zweitbeschwerdeführer aufgefordert worden am nächsten Tag zu ihnen zu kommen um die Rückgabe der Grundstücke abzuwickeln. Als der Zweitbeschwerdeführer am nächsten Tag bei ihnen gewesen sei, sei er von ihnen zusammengeschlagen worden (VP, S. 18).

 

Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin stehen daher gravierend im Widerspruch zum Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers. Zudem scheint sich die Zweitbeschwerdeführerin selbst nicht einig zu sein, ob der Zweitbeschwerdeführer von den Cousins seines Vaters zusammengeschlagen worden sei, weil dieser bereits eine Anzeige erstattet habe oder weil er nur damit gedroht habe. Dass die Erstbeschwerdeführerin dies jedoch nicht gleichbleibend angeben konnte, ist nicht nachvollziehbar, zumal es sich um einprägsame Ereignisse handelt, die schließlich zur Flucht geführt haben und daher nach der allgemeinen Lebenserfahrung in Erinnerung bleiben.

 

Weiters fällt auf, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer die Zuordnung der Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers zur Gruppe der Taliban (und des ISIS) auf lediglich vage Mutmaßungen und Spekulationen stützt. So gab der Zweitbeschwerdeführer diesbezüglich beim Bundesamt an:

 

"F: Sie sagten bei der Datenaufnahme Ihre Angehörigen, dass diese Leute Kontakt zu den Taliban hatten. Jetzt haben Sie davon nichts erwähnt, bitte erklären Sie das!

 

A: Sie habe Kontakt zu den Taliban gehabt. Sie haben immer versucht, schmutziges Geld zu bekommen. Sie haben immer Leute entführt und weiterverkauft.

 

F: Woher wissen Sie das?

 

A: Alle Dorfbewohner wussten das. Alle sagten, dass sie sehr mächtig sind und die Regierung nichts gegen sie unternehmen kann.

 

F: Sie haben das also nur von den Dorfbewohnern gehört?

 

A: Ja, aber das war die Wahrheit, sie hatten ja auch Waffen.

 

F: Woher wissen Sie das? Haben Sie diese Waffen einmal gesehen?

 

A: Ja. Als ich auf dem Feld war, habe ich diese Waffen gesehen und wurde mit den Kolben geschlagen.

 

F: Was tun diese Leute mit Ihren Feldern?

 

A: Sie bauen Opium an.

 

F: Haben Sie das selbst gesehen?

 

A: Nein. Als ich sie damals getroffen habe, wollten sie etwas anbauen, sie haben gerade das Feld vorbereitet.

 

F: Woher wissen Sie, dass sie Opium anbauen wollten?

 

A: Man merkt es, von der Vorbereitung der Erde auf dem Feld. Wenn man Weizen anbaut, dann wird die Erde anders vorbereitet als für Opium.

 

F: Woher wissen Sie, wie man Opium anbaut?

 

A: Ich weiß, wie man das Feld für Weizen vorbereitet. Deswegen kenne ich den Unterschied.

 

F: Das heißt also, Sie wissen höchstens, dass sie keinen Weizen anbauen. Aber woher wissen Sie, dass es Opium wird?

 

A: Ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, dass es Opium ist." (BF 2 AS 106).

 

Auch die Erstbeschwerdeführerin gab lediglich an, alle im Dorf hätten gewusst, dass die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers Kontakt zu den Taliban und dem ISIS haben würden. Dies sei auch deshalb "klar", weil sie 20 Jerib Grundstücke wegnehmen hätten können und dort Opium anbauen würden. Sie selbst habe die Felder jedoch nie gesehen. Ihr Mann und die Dorfbewohner hätten ihr aber davon erzählt (BF 1 AS 126). Dass es sich bei den Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers um Mitglieder der Taliban handle, ist daher eine bloße Vermutung der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers.

 

Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer gaben im Verfahren auch an, dass die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers einen Drohbrief bei ihrem Haus hinterlassen hätten. Während beide beim Bundesamt und die Erstbeschwerdeführerin auch in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass die Beschwerdeführer in dem Brief aufgefordert worden seien Afghanistan zu verlassen, sonst würde ihr Haus mit Raketen beschossen werden (BF 1 AS 122, 125; BF 2 AS 103; VP, S. 19), führte der Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung als Inhalt des Briefes aus, dass ihm gedroht worden sei für den Fall er würde nochmals eine Anzeige bei der Distriktverwaltung erstatten, würde das Haus der Beschwerdeführer mit einer Rakete abgeschossen werden (VP, S. 24). Dass er aufgefordert worden sei, Afghanistan zu verlassen, gab er hingegen nicht an. Dies scheint insbesondere deshalb unplausibel, weil die Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich angegeben hat, dass sie wegen des Drohbriefes nicht nach Mazar-e Sharif oder Kabul gegangen seien, sondern Afghanistan verlassen hätten (VP, S. 19).

 

Zudem fällt auf, dass die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer beim Bundesamt angegeben haben, dass die Erstbeschwerdeführerin im Iran ein Telefonat des Zweitbeschwerdeführers mitgehört habe, in dem er darüber gesprochen habe wegen seiner Grundstücke in Afghanistan etwas zu unternehmen (BF 1 AS 122; BF 2 AS 105). In der Beschwerdeverhandlung hat die Erstbeschwerdeführerin hingegen angegeben, dass ihr Mann im Iran gesagt habe "wir" [Anm. BVwG: wohl gemeint die Erstbeschwerdeführerin und die Kinder] sollen im Iran in Sicherheit bleiben und er werde nach Afghanistan zurückkehren und die Grundstücke zurückholen. Die Erstbeschwerdeführerin habe darauf gesagt, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren solle (VP, S. 19). Nach dieser Schilderung scheint es, als habe der Zweitbeschwerdeführer seiner Frau direkt von seinen Plänen erzählt und habe sie von diesen Plänen nicht erst über ein mitgehörtes Telefonat erfahren.

 

Während die Erstbeschwerdeführerin beim Bundesamt angegeben hat, dass eines Nachts ca. um zwei Uhr Schüsse auf ihr Haus gefallen seien (BF 1 AS 124), gab der Zweitbeschwerde-führer hingegen an, dass ihr Haus um 11 Uhr abends beschossen worden sei (BF 2 AS 105).

 

Lebensfremd scheint, dass die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers in dem Drohbrief den Mord am Vater des Zweitbeschwerdeführers gestehen sollten (BF 1 AS 122), zumal sie bis dahin nicht verdächtigt worden seien. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum die Cousins des Zweitbeschwerdeführers schon Jahre vor den Grundstücksstreitigkeiten den Vater des Zweitbeschwerdeführers umbringen sollten (VP, S. 17, 23 ff).

 

Das Gericht geht aufgrund der derart widersprüchlichen und unplausiblen Aussagen der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers davon aus, dass es sich bei ihrem Fluchtvorbringen lediglich um ein auswendig gelerntes Konstrukt handelt. Es ist ihnen daher weder gelungen glaubhaft zu machen, dass es Grundstücksstreitigkeiten zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und den Cousins seines Vaters oder anderen Personen gegeben hat noch, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers von dessen Cousins umgebracht worden ist, auf das Haus der Beschwerdeführer geschossen worden ist oder die Beschwerdeführer von den Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers geschlagen, mit dem Tod bedroht worden sind oder konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sind.

 

Aus den oben genannten Gründen geht das Gericht davon aus, dass die Beschwerdeführer Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen haben.

 

In einer Gesamtschau des Vorbringens war daher festzustellen, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers oder anderen Personen droht.

 

2.2.2. Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, ergeben sich aus ihren Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie dem persönlichen Eindruck, der von der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung gewonnen werden konnte.

 

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

 

So handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine erwachsene einfache Frau, die sich in Österreich primär um den Haushalt und ihren Sohn kümmert (VP, S. 15). Sie erbringt in Österreich zwar gemeinnützige Tätigkeiten als Reinigungskraft, sie hat jedoch bereits im Iran, in einem - im Vergleich zu Afghanistan - ebenfalls sehr streng muslimisch geprägten Land, als Aushilfe im Haushalt (Putzfrau) gearbeitet und somit Berufserfahrung sammeln können (BF 1 AS 17), sodass diesbezüglich kein Unterschied zu ihrem bisher in streng muslimisch geprägten Ländern geführten Lebensstil erkennbar ist.

 

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin über keine relevanten Deutschkenntnisse verfügt, konnte von der erkennenden Richterin getroffen werden, weil die Erstbeschwerde-führerin in der Verhandlung die auf Deutsch gestellte Aufforderung sich auf Deutsch vorzustellen nur nach Wiederholung der Aufforderung verstanden und in gebrochenem Deutsch beantwortet hat. Die nicht übersetzte Frage, was sie tun würde, wenn es in ihrer Wohnung brennen würde, hat die Erstbeschwerdeführerin auch nach mehrmaliger Wiederholung nicht verstanden (VP, S. 11). Die kaum vorhandenen Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin stehen insofern der Glaubhaftmachung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen, als daraus ersichtlich wird, dass sie während der mittlerweile mehr als zweieinhalbjährigen Dauer ihres Aufenthaltes in Österreich nicht ausreichend darum gekümmert hat, sich zumindest gefestigte Grundkenntnisse der deutschen Sprache anzueignen, die es ihr ermöglichen würden, sich in Gefahrensituationen zu artikulieren oder eine zusammenhängende Kommunikation auf einfachem Niveau zu führen. So ist die Erstbeschwerdeführerin nicht in der Lage, in Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Erstbeschwerde-führerin, sobald sie ihr familiäres Umfeld in Österreich verlässt, sie regelmäßig Unterstützung durch andere benötigt, um diverse Aufgaben zu erledigen. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Erstbeschwerdeführerin Elternabenden in der Schule ihres Sohnes auf die Hilfe ihrer Nachbarin angewiesen ist, die ihr nach den Gesprächen langsam auf Deutsch den Inhalt der Besprechung erklärt (VP, S. 12 f)

 

In der mündlichen Verhandlung wurde zudem der Eindruck gewonnen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nur innerhalb eines äußerst kleinen Radius bewegt, obwohl es ihr möglich wäre, alleine das Haus zu verlassen und sich frei zu bewegen. So hat die Erstbeschwerdeführerin angegeben, dass sie mit ihren Nachbarinnen spazieren oder in ein Kaffeehaus Kaffee trinken gehe bzw. manchmal eine Art Picknick mache und Tee trinke (VP, S. 14). Gelegentliche Spaziergänge in der näheren Umgebung stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar. Auch die von der Erstbeschwerdeführerin angeführten überschaubaren Kontakte zu österreichischen Nachbarinnen beschränken sich auf gelegentliche Sparziergänge bzw. Besuche der Erstbeschwerdeführerin zuhause zum Kochen und gemeinsamen Besuchen von (integrationsfördernden) Festen in der Gemeinde (VP, S. 14), sodass nicht von nachhaltigen sozialen Kontakte gesprochen werden kann. Es zeigt sich daher auch hier, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nur den kleinstmöglichen Bewegungsradius eines Alltagslebens wahrnimmt.

 

Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung an, dass ihr Traumberuf Schneiderin sei (VP, S. 12). Der Beruf der Schneiderin ist in muslimischen geprägten Ländern ein Beruf der häufig von Frauen ausgeübt werde. Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass Frauen in urbanen Zentren in einer Vielzahl von beruflichen Feldern (öffentlicher Dienst, Privatwirtschaft, in der Bildung, den Medien, im Gesundheitsbereich, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw.) aktiv sind (vgl. Punkt II.1.5.). Nach dem notorischen Amtswissen gehen Frauen in ländlichen Gegenden oft der Tätigkeit als Schneiderin von zuhause aus nach. Der Erstbeschwerdeführerin wird es daher möglich sein einer entsprechenden beruflichen Tätigkeit in ihrer Heimatstadt nachzugehen.

 

Hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes ist festzuhalten, dass Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung schwarze halbhohe Stiefel, eine schwarze enge Hose, ein bedrucktes graues T-Shirt und eine weite graue lange Jacke mit Kapuze trug. Zudem hatte sie ein blaues Kopftuch auf und trug weder Make-up noch Nagellack (VP, S. 16). Das Erscheinungsbild in einer derartigen Weise widerspricht nicht dem Auftreten von Frauen in urbanen Zentren Afghanistans. Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung. Die Erstbeschwerdeführerin brachte von alleine auch nicht vor, dass sie sich im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Kleidungsvorschriften unterwerfen müsste, die von ihrem Kleidungsstil in Österreich erheblich abweichen würden. Erst auf Frage des Gerichts, warum sie ein Kopftuch trage, führte sie aus, dass es aus Gewohnheit sei, es aber nichts bedeute. Sie fühle sich in Österreich trotz des Kopftuches freier als in Afghanistan, wo sie verschleiert sein habe müssen (VP, S. 15). Die allgemeine Situation in Afghanistan ist jedoch dergestalt, dass auch weniger strenge Formen der Kopfbedeckung üblich sind, sodass auch unter diesem Aspekt nicht indiziert ist, dass sich die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Kleidungsvorschriften unterwerfen müsste, die von ihrem Kleidungsstil in Österreich erheblich abweichen würden. So trägt sie selbst in Österreich noch ein Kopftuch (VP, S. 16).

 

Zusammenfassend kann somit im Falle der Erstbeschwerdeführerin davon ausgegangen werden, dass sie eine "westliche Orientierung", der eine selbstbestimmte und selbstverantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht noch in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert hat. Die Erstbeschwerdeführerin ist zum Entscheidungszeitpunkt eine in hohem Maße unselbständige Frau, ohne wesentliche Deutsch-kenntnisse, deren Lebensführung sich in Österreich von jenem in Afghanistan bzw. im Iran nicht unterscheidet. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, lässt sich eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise", die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, nicht ableiten.

 

2.2.3. Soweit in der Stellungnahme vom 14.11.2016 sowie in der Beschwerde dargetan wird, der Drittbeschwerdeführer wäre als westlich orientierter junger Mann aufgrund seines Lebens- und Kleidungsstils in Verfolgungshandlungen ausgesetzt, ist hierzu zu bemerken:

 

Aufgrund der Kürze des Aufenthalts des Drittbeschwerdeführers ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass er eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Drittbeschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er aufgrund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

 

Dass es dem Drittbeschwerdeführer als jungen Mann in Afghanistan nicht möglich wäre, ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen, wurde damit vom Beschwerdeführer jedoch nicht substantiiert dargetan. Beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung hat er diesbezüglich gar keine Angaben gemacht. Zudem ist es Männern in Afghanistan grundsätzlich möglich ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen.

 

Generell umfasst die männliche Kleidung in den urbanen Zentren Afghanistans ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über moderne Haarschnitte bis hin zur afghanischen Tracht. Es ist daher auch bezüglich des Kleidungsstils und/oder des Haarschnittes des Beschwerdeführers kein Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar.

 

Der Drittbeschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren und ist zunächst dort und später im Iran aufgewachsen, so dass er bis zu seiner Ausreise aus dem Iran stets in einem muslimisch geprägten Land gelebt hat. Dass der Drittbeschwerdeführer etwa vom Glauben abgefallen oder konvertiert wäre, wurde nicht behauptet. Vielmehr gab der Drittbeschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung an, schiitischer Moslem zu sein (VP, S. 26). Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Drittbeschwerdeführers daher nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet haben sollen, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken.

 

Folglich vermochte der Drittbeschwerdeführer schon mangels Vorliegens einer "westlichen Lebenseinstellung" nicht darzutun, dass ihm aufgrund einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt drohe.

 

Soweit die Beschwerdeführer in der Beschwerde vorgebracht haben, dass ihnen aufgrund ihres langjährigen Aufenthaltes im Iran bzw. in Europa eine Verfolgung in Afghanistan drohe, vermögen sie aufgrund des lediglich abstrakt gehaltenen Vorbringens eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung nicht aufzuzeigen.

 

Hinsichtlich der behaupteten Gruppenverfolgung der Rückkehrer aus dem Iran wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.

 

2.2.4. Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen den Viertbeschwerdeführer gerichtet hätte, haben die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht.

 

Beim Viertbeschwerdeführer handelt es sich um einen achtjährigen Jungen. Er ist im Iran geboren und würde gemeinsam im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es dem Viertbeschwerdeführer unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren, zumal er sich zweifelsfrei in einem anpassungsfähigen Alter befindet (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.).

 

Zur allgemeinen Situation von Kindern in Afghanistan ist auszuführen, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass diese unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen. Die erwähnte Benachteiligung beruht primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und wird durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Der Viertbeschwerdeführer lebt im Familienverband mit seinen Eltern. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Viertbeschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gewalt oder Kinderarbeit ausgesetzt wäre. So geht aus den Länderberichten hervor, dass viele Familien auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen sind und deshalb zur Kinderarbeit gezwungen werden. Da jedoch festgestellt wurde, dass die Erst- bis Drittbeschwerdeführer selbst für ihren Unterhalt sowie für den des Viertbeschwerdeführers aufkommen und ihre Existenz sichern können, ist nicht ersichtlich, dass der Viertbeschwerdeführer in Afghanistan Kinderarbeit ausgesetzt wäre. Laut den Länderinformationen geht Gewalt gegen Kinder überwiegend von Familienangehörigen aus, es gab jedoch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass der Viertbeschwerdeführer durch seine Eltern Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren habe. Im Gegenteil ist zu erwarten, dass die Eltern den Viertbeschwerdeführer auch vor spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen schützen würden.

 

Der Wunsch betreffend die Bildung des Viertbeschwerdeführers stellt sich nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates ausdrücklich unterstützt wird und in Afghanistan auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind (vgl. Punkt II.1.5.).

 

2.2.5. Soweit die Erst- bis Drittbeschwerdeführer die schlechten Lebensumstände als Afghanen im Iran als Grund für ihre Flucht aus dem Iran angegeben haben, so waren ihre diesbezüglichen Aussagen - in Zusammenschau mit den Länderberichten zur Lage von Afghanen im Iran - schlüssig und plausibel und sohin glaubhaft.

 

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatstadt ( XXXX ), im Distrikt Zenda Jan, in der Provinz Herat ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den o.a. Länderberichten und aus den Angaben der Beschwerdeführer.

 

Aus den Länderberichten geht unter anderem hervor, dass die Provinz Herat, insbesondere der Distrikt Zenda Jan, und die Verbindung dorthin relativ sicher ist, zumal Aufständische nur in einigen Außendistrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv sind. Zudem hat die afghanische Regierung die Kontrolle über Herat, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Die Beschwerdeführer können daher von dem internationalen Flughafen in Herat sicher in ihre Heimatstadt gelangen.

 

Im Westen Afghanistans herrscht derzeit eine Dürre. Die Provinz Herat ist für ca. 60.000 Menschen, die aufgrund der Dürre aus ihren Häusern vertrieben worden sind, zum nächst gelegenen Zufluchtsort geworden. Aus den Länderberichten geht zwar hervor, dass die Wasserversorgungsanstalt in der Provinz mit großen Problemen zu kämpfen hat, dass die Wasserversorgung - insbesondere im Distrikt Zenda Jan - eingestellt wurde, ist diesen jedoch nicht zu entnehmen. Auch haben sich keine großen Veränderungen an den Preisen für Weizen zum Vorjahr feststellen lassen und kann das Defizit an Getreide durch den Import aus Iran und Pakistan ausgeglichen werden. Insbesondere im Distrikt Zindajan, in der Provinz Herat stellt sich die Situation jedoch nicht als stark lebensmittelunsicher dar.

 

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung aufgrund der aktuellen Dürre daher nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in der Provinz Herat dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Afghanische Frauen sind in urbanen Zentren in einer Vielzahl beruflicher Felder und auch in ländlichen Gebieten in der eigenen Landwirtschaft oder als Schneiderinnen oder Teppichknüpferinnen aktiv. Zwar sind sie nach wie vor Diskriminierungen im Beruf ausgesetzt und kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit, es ist ihnen jedoch grundsätzlich möglich am Arbeitsmarkt teilzunehmen.

 

Bei den Zweit- und Drittbeschwerdeführern handelt es sich um volljährige und arbeitsfähige Männer, die Berufserfahrung vorweisen können. Der Drittbeschwerdeführer verfügt auch über eine fünfjährige Schulbildung. Die Erstbeschwerdeführerin ist zwar Analphabetin, sie hat im Iran - einem im Vergleich zu Afghanistan ebenfalls sehr streng muslimisch geprägten Land - im Haushalt als Putzfrau ausgeholfen und somit etwas Berufserfahrung sammeln können.

 

Wie unter Punkt II.2.1.4. ausgeführt, verfügen die Beschwerdeführer noch über ein Haus in ihrer Heimatstadt, in dem sie im Falle einer Rückkehr wohnen können. Zudem verfügen sie noch über verpachtete Grundstücke, so dass sie anfänglich aus dem Pachtzins ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Darüber hinaus verfügt auch die Familie der Erstbeschwerdeführerin über landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in der Provinz Herat. Aus den Länderberichten geht hervor, dass die Großfamilie die zentrale soziale Institution in Afghanistan bildet und zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder beiträgt sowie eine wirtschaftliche Einheit bildet, in der die Männer der Familie verpflichtet sind, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen (vgl. Punkt II.1.5.). Die Beschwerdeführer können im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan daher zumindest mit anfänglicher finanzieller Unterstützung durch die in der Provinz Herat lebenden Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin rechnen. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin außer Stande setzen sollten, die Beschwerdeführer finanziell zu unterstützen.

 

Dass der Viertbeschwerdeführer in der Stadt Herat eine Schule besuchen kann, ergibt sich daraus, dass in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot auch faktisch vorhanden ist. So wird durch UNICEF in Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet um auch diesen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Viertbeschwerdeführer, der in einem anpassungsfähigen Alter ist, sich nicht an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anpassen können sollte. Es ist insbesondere kein Grund ersichtlich, aus dem der Viertbeschwerdeführer nicht in der Lage wäre in der Heimatstadt seiner Eltern neue Kontakte zu knüpfen, die begonnene Schulbildung fortzusetzen, einen Beruf zu lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache zu vertiefen. Es sind im Verfahren diesbezüglich keine Hinderungsgründe hervorgekommen.

 

Das Gericht geht aufgrund dieser Umstände davon aus, dass sich insbesondere die Erst- bis Drittbeschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr in ihre Heimatstadt in der Provinz Herat sich dort eine Existenz für sich sowie für den Viertbeschwerdeführer ohne unbillige Härte aufbauen können.

 

2.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

 

Die Feststellungen zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer und -titel, ihren Deutschkenntnissen und ihrer Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere die Auszüge aus dem Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauszug), auf die Angaben der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VP, S. 10 ff, 21 ff, 28 f) sowie auf die von ihnen im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

 

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen konnten auch von der erkennenden Richterin getroffen werden, da die Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten Fragen nicht verstanden und in gebrochenem Deutsch beantwortet hat (VP, S. 11). Der Zweitbeschwerdeführer hat die nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und in sehr einfachem Deutsch beantwortet (VP, S. 21). Der Drittbeschwerdeführer hat die nicht übersetzten Fragen teilweise verstanden und teilweise auf Deutsch beantwortet (VP, S. 28).

 

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Erstbis Drittbeschwerdeführer ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug jeweils vom 04.10.2018). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Viertbeschwerdeführers ergibt sich aus seiner Strafunmündigkeit aufgrund seines Alters.

 

2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1 Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

 

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

3.2. Es wurde jedoch keine Verfolgung durch die Cousins des Vaters des Zweitbeschwerdeführers oder durch andere Personen festgestellt. Die Beschwerdeführer wurden nie in Afghanistan bedroht. Es ist daher keine Verfolgung der Beschwerdeführer und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.

 

Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion der Beschwerdeführer erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.

 

Sohin kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern aus den von ihnen ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

 

3.3. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.

 

Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).

 

Die Erstbeschwerdeführerin hat jedoch seit ihrer Einreise nach Österreich im November 2015 keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Sie hat somit keine "westliche" Lebensführung angenommen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würde.

 

Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte bei der Erstbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden. Infolgedessen verletzt die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr nach Afghanistan (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

 

3.4. Eine kinderspezifische Verfolgung des Viertbeschwerdeführers wurde nicht festgestellt.

 

Da in Afghanistan prinzipiell Schulpflicht besteht und ein Schulangebot auch faktisch vorhanden ist, stellt ein Schulbesuch kein Bruch mit den Gegebenheiten in Afghanistan dar. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn dem Viertbeschwerdeführer eine grundlegende Bildung zukommt.

 

3.5. Dem Drittbeschwerdeführer ist es nicht gelungen eine "westliche" Orientierung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Weise glaubhaft zu machen. Im Übrigen ist ihm entgegen zu halten, dass aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar ist, dass eine "verwestlichte" Verhaltensweise, Geisteshaltung oder Bekleidung bei Männern alleine bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde, da Männer in Afghanistan grundsätzlich ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) führen können; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

Weiters konnte keine individuelle und konkret gegen die Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung iSd GFK allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Rückkehrer aus dem Iran bzw. Europa festgestellt werden. Auch eine von individuellen Aspekten unabhängige "Gruppenverfolgung" ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen nicht erkennbar:

 

Aus den vorhandenen Länderberichten geht auf das Wesentliche zusammengefasst zwar hervor, dass in Afghanistan generell eine negative Einstellung gegenüber "Rückkehrern" vorherrscht und diesen vorgeworfen wird, ihr Land im Stich gelassen zu haben, dem Krieg entflohen zu sein und im Ausland ein wohlhabendes Leben geführt zu haben, dass Rückkehrer aus dem Iran wegen ihres Akzents leicht erkannt und sozial ausgegrenzt werden sowie, dass Rückkehrer Diskriminierungen seitens der Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nach den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Länderberichten jedoch nicht jenes Ausmaß, das notwendig wäre, um eine spezifische Verfolgung jener afghanischen Staatsangehörigen, die einen wesentlichen Teil bzw. den Großteil ihres Lebens im Iran (und in Europa) verbracht haben, für gegeben zu erachten.

 

3.6. Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen der Beschwerdeführer auf die schwierigen Lebensumstände illegal im Iran aufhältiger Afghanen bezieht, so ist ihnen entgegen zu halten, dass dieses Vorbringen zwar, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, glaubhaft ist und der Beurteilung zu Grunde gelegt wird, dass aber § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Aufgrund der afghanischen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer kann somit ihr Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

 

3.7. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG nicht vor.

 

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

3.2 Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

 

3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

 

Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).

 

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

 

Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR 09.04.2013, Nr. 70073/10 und 44539/11 H. und B./Vereinigtes Königreich, sowie zuletzt die Urteile vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). Die allgemeine Situation in Afghanistan steht daher als solche einer Rückführung der Beschwerdeführer im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht entgegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (vgl. VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11).

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).

 

3.2.2. Ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Dazu müssen die persönlichen Umstände des Betroffenen, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH vom 30.01.2018 Ra 2018/18/0001).

 

3.2.3. Für den vorliegenden Fall ist daher Folgendes festzuhalten:

 

3.2.3.1. Die Beschwerdeführer stammen aus der Stadt XXXX , im Distrikt Zenda Jan, in der Provinz Herat. Dass ihnen im Fall ihrer Rückkehr in ihre Heimatstadt die reale Gefahr einer gegen Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verstoßenden Behandlung droht, ist aus den oben angeführten Länderberichten zu Afghanistan (vgl. Punkt II.1.5.) in Zusammenschau mit den von den Beschwerdeführern glaubhaft dargelegten persönlichen Lebensumständen (vgl. Punkt II.1.1.) aus folgenden Gründen nicht erkennbar:

 

Im Westen Afghanistans herrscht derzeit eine Dürre. Die Provinz Herat ist für ca. 60.000 Menschen, die aufgrund der Dürre aus ihren Häusern vertrieben worden sind, zum nächst gelegenen Zufluchtsort geworden. Aus den Länderberichten geht zwar hervor, dass die Wasserversorgungsanstalt in der Provinz mit großen Problemen zu kämpfen hat, dass die Wasserversorgung - insbesondere im Distrikt Zenda Jan - eingestellt wurde, ist diesen jedoch nicht zu entnehmen. Auch haben sich keine großen Veränderungen an den Preisen für Weizen zum Vorjahr feststellen lassen und kann das Defizit an Getreide durch den Import aus Iran und Pakistan ausgeglichen werden. Insbesondere im Distrikt Zindajan, in der Provinz Herat stellt sich die Situation jedoch nicht als stark lebensmittelunsicher dar.

 

Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung aufgrund der aktuellen Dürre daher nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in der Provinz Herat - insbesondere im Distrikt Zenda Jan - dennoch zumindest grundlegend gesichert.

 

Die Situation aufgrund der Dürre in der Provinz Herat ist daher nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde.

 

Die Provinz Herat, insbesondere der Distrikt Zenda Jan, und die Verbindung dorthin sind relativ sicher, zumal Aufständische nur in einigen Außendistrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv sind. Zudem hat die afghanische Regierung die Kontrolle über Herat, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Die Beschwerdeführer können daher von dem internationalen Flughafen in Herat sicher in ihre Heimatstadt gelangen.

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Wie festgestellt wurde, leidet keiner der Beschwerdeführer an lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer sind im erwerbsfähigen Alter. Die Erstbeschwerdeführerin ist zwar Analphabetin, sie hat im Iran - einem im Vergleich zu Afghanistan ebenfalls sehr streng muslimisch geprägten Land - als Aushilfe im Haushalt (Putzfrau) gearbeitet und somit etwas Berufserfahrung sammeln können. Der Zweitbeschwerdeführer verfügt ebenso über keine Schulausbildung, auch er kann jedoch eine jahrelange Berufserfahrung als Arbeiter auf Baustellen und als Schweißer vorweisen. Der Drittbeschwerdeführer verfügt über eine fünfjährige Schulbildung und Berufserfahrung als Kellner sowie als Hilfsarbeiter auf Baustellen. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer sind in Afghanistan aufgewachsen, wodurch sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut sind. Zudem sprechen die Beschwerdeführer Dari, die Landessprache Afghanistans, als Muttersprache.

 

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt nach wie vor über Familienangehörige in Afghanistan, mit denen sie auch regelmäßig in Kontakt steht. Die Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin verfügen noch über landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in Afghanistan, weshalb die Beschwerdeführer mit finanzieller Unterstützung durch die Familie der Erstbeschwerdeführerin rechnen können. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen der Beschwerdeführer außer Stande setzen sollte, sie finanziell zu unterstützen.

 

Des Weiteren verfügen die Beschwerdeführer verfügen nach wie vor über ein Eigentumshaus in ihrer Heimatstadt sowie über ihre verpachteten Grundstücke. Die Beschwerdeführer können daher auf den regelmäßigen Pachtzins der Grundstücke zurückgreifen. In einer Gesamtschau sind die Beschwerdeführer in Afghanistan ausreichend abgesichert und können in ihrem eigenen Wohnhaus in ihrer Heimatstadt leben.

 

Darüber hinaus können die Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von österreichischer Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in ihrer Heimatstadt das Auslangen finden, weshalb auch nicht zu befürchten ist, dass sie bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt sowie den des Viertbeschwerdeführers zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten.

 

Insbesondere dem Zweit- und dem Drittbeschwerdeführer sowie der Erstbeschwerdeführerin ist es aufgrund der dargelegten Umstände möglich, sich sowie dem Viertbeschwerdeführer dort - etwa durch den Pachtzins ihrer Grundstücke sowie durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wobei den Erst- bis Drittbeschwerdeführern ihre Berufserfahrung zu Gute kommt - eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern. Die Beschwerdeführer gehören im gemeinsamen Familienverband auch keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellen als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wären.

 

Der Viertbeschwerdeführer ist bei einer Rückkehr im Familienverband durch die Erwerbsfähigkeit der Erst- bis Drittbeschwerdeführer und durch die Unterstützung im Familienverband durch die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen der Erstbeschwerdeführerin abgesichert. Aus diesen Gründen ist auch nicht zu befürchten, dass der Viertbeschwerdeführer bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor seine Eltern und sein Bruder in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage gerate. Der Viertbeschwerdeführer ist in einem anpassungsfähigen Alter, sodass es ihm möglich ist, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

 

Minderjährige Kinder gelten zwar vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen in Afghanistan als besonders vulnerable Antragsteller (gefährdet besonders durch Munitionsrückstände, körperliche Übergriffe durch Erwachsene, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sowie auch durch die angespannte Versorgungslage), doch bestehen im konkreten Fall intakte Familienverhältnisse und Verwandte in Afghanistan, die eine Gefährdung des Viertbeschwerdeführers in der Heimatstadt seiner Eltern, in der Provinz Herat als relativ gering scheinen lassen. In der Heimatstadt seiner Eltern ist Nahrung, Wohnraum, Arbeitsplätze sowie medizinische Versorgung und Bildungsmöglichkeiten grundsätzlich vorhanden. Die Stadt liegt im Zentrum der Provinz Herat und ist somit auch für Minderjährige ausreichend sicher. Durch den Familienverband, in dem drei Personen volljährig und davon jedenfalls zwei Personen erwerbsfähig sind, sind auch Synergien (geteilte Wohnkosten, etc.) zu erzielen, sodass auch die minderjährigen Beschwerdeführer ausreichend abgesichert sind.

 

Die Beschwerdeführer haben auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihnen im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.0.2017, Ra 2017/19/0095).

 

3.2.4. Die Angaben der Beschwerdeführer legen eine Exzeptionalität der Umstände oder eine konkrete Betroffenheit nicht dar:

 

Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr nach Afghanistan sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Der Beschwerdeführer hat für seinen Einzelfall keine individuellen, konkret seine Person treffenden exzeptionellen Umstände aufgezeigt bzw. diese glaubhaft gemacht.

 

3.2.5. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer ist in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass sie im Fall ihrer Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würden, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Ansiedlung in der Stadt Herat entgegenstehen würden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den Beschwerdeführern eine Ansiedlung in der Stadt Herat möglich und auch zumutbar ist.

 

3.2.6. Die Beschwerden betreffend Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide waren daher abzuweisen.

 

3.3. Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide - Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

3.3.1. Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen,

(...)

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.3.2. Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

3.3.2.1. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

3.3.2.2. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218).

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

3.3.2.3. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982,

311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.

 

So fallen familiäre Beziehungen unter Erwachsenen jedoch nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VfGH vom 09.06.2006, B 1277/04; vom 26.01.2006, 2002/20/0423 und 2002/20/0235, vom 08.06.2006, 2003/01/0600; vom 29.03.2007, 2005/20/0040-0042)

 

Nachdem mit heutigem Tag gegenüber den Beschwerdeführern gleichlautende Entscheidungen ergehen und demnach keine Trennung der Genannten erfolgt, könnte lediglich in ihr Privatleben, nicht jedoch in ihr Familienleben eingegriffen werden.

 

3.3.2.3.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

 

Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

3.3.2.3.2. Im gegenständlichen Fall sind die Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Antragstellung im April 2015 (Drittbeschwerdeführer) bzw. November 2015 (Erst-, Zweit-, Viertbeschwerdeführer), somit seit 3 1/2 Jahren (Drittbeschwerdeführer) bzw. 3 Jahren (Erst-, Zweit-, Viertbeschwerdeführer), im Bundesgebiet auf. Der bisherige Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich ist ausschließlich auf ihren Antrag auf internationalen Schutz gestützt, wodurch sie nie über ein Aufenthaltsrecht abgesehen des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts aufgrund ihres Antrags auf internationalen Schutz, verfügt haben. Die Dauer des Verfahrens übersteigt mit 3 1/2 bzw. 3 Jahren, auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutz-möglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" scheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09).

 

Es ist nach wie vor von einer engen Bindung der Beschwerdeführer, insbesondere der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers, nach Afghanistan auszugehen, zumal die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer den Großteil ihres Lebens in Afghanistan verbracht haben. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer wurden in Afghanistan sozialisiert und bestritten dort zunächst ihren Lebensunterhalt. Sie sprechen auch eine der Landessprachen Afghanistans als Muttersprache. Hinzu kommt, dass sie nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte (die Eltern und einen Bruder der Erstbeschwerdeführerin) in Afghanistan haben. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sie sich in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaates wieder eingliedern werden können.

 

Im Gegensatz dazu sind die Beschwerdeführer in Österreich nur schwach integriert. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer haben zwar Alphabetisierungs- und Deutschkurse besucht. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt jedoch praktisch kaum, der Zweitbeschwerdeführer nur über geringe Deutschkenntnisse. Sie haben an einem Workshop zum Thema "Asylverfahren in Österreich" im Rahmen des Projekts "Protect" und am Basismodul des Projekts "Protect Plus" teilgenommen. Der Drittbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht und verfügt über mittelmäßige Deutschkenntnisse. Der Drittbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballteam.

 

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer gehen in Österreich keiner beruflichen Tätigkeit nach. Sie leben von der Grundversorgung. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer erbringen gemeinnützige Leistungen. Es ist jedoch im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen, dass die Erst- bis Drittbeschwerdeführer sich während ihres Aufenthaltes in wirtschaftlicher Hinsicht durch legale Erwerbstätigkeit eine tragfähige Existenz aufgebaut hätte oder sie selbsterhaltungs-fähig wären.

 

Der Beschwerdeführer verfügen zwar über (freundschaftliche) Kontakte zu Österreichern, doch handelt es sich hierbei nicht um eine familienähnliche, enge soziale Beziehung, sondern sind die Kontakte vorwiegend zu Personen mit denen die Beschwerdeführer im Zuge von Integrationsmaßnahmen (Betreuer, Nachbarn, Arbeitgeber der gemeinnützigen Tätigkeit, Fußballkollegen) in Berührung gekommen sind. Eine weitergehende Integration in die österreichische Gesellschaft ist nicht hervorgekommen.

 

Dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte ist dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein mussten: Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur aufgrund ihres Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013). Dem kommt bei Minderjährigen, hier dem Viertbeschwerdeführer, jedoch geringeres Gewicht zu (VwGH vom 30.08.2017, Rab2017/18/0070).

 

3.3.2.3.3. Soweit Kinder bzw. Minderjährige von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatland begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem sprachlichen und kulturellen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaates sprechen und insbesondere, ob sie in einem anpassungsfähigen Alter sind. Führt die Überprüfung der Kriterien nach §9 Abs 2 Z 5 BFA-VG zu dem Ergebnis, dass ein Minderjähriger zum Heimatland keine oder nur mehr äußerst geringe Bindungen aufweist, wird dies - vorausgesetzt er ist unbescholten und hat in Österreich einen ausreichenden Grad der Integration erreicht - in der Regel dafür sprechen, ihm den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, und zwar jedenfalls dann, wenn nicht - in zumutbarer Weise - erwartet werden kann, dass er sich im Falle einer Rückkehr an die Verhältnisse im Heimatland, etwa das Erlernen der dortigen Sprache, den Aufbau neuer Kontakte, die Fortsetzung einer begonnenen Ausbildung, usw. wieder anpassen werde (VwGH vom 30.08.2017, Rab2017/18/0070).

 

Die Beschwerdeführer lebten sowohl im Iran als auch in Österreich in einem Familienverband, sodass der Viertbeschwerdeführer sowohl im Iran als auch in Österreich in seinem afghanischen Familienverband aufwachsen und er mit der Sprache und der afghanischen Kultur vertraut ist. Auf Grund des jungen Alters des Viertbeschwerdeführers stellt der Familienverband für ihn den wichtigsten sozialen Bezugspunkt dar, er wächst in seinem afghanischen Familienverband und damit mit starkem Bezug zu sozialen und kulturellen Gegebenheiten Afghanistans auf. Der Viertbeschwerdeführer spricht Dari - eine Landessprache Afghanistans - auf muttersprachlichem Niveau. Der Viertbeschwerdeführer ist zudem in einem anpassungsfähigen Alter. Dadurch und da er familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan (seine Großeltern und einen Onkel mütterlicherseits) hat und ihm der Heimatstadt seiner Eltern auch Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten offenstehen, ist zu erwarten, dass er sich an die Verhältnisse in ihrem Heimatland anpassen kann.

 

Im Gegensatz dazu sind die Bindungen des Viertbeschwerdeführers in Österreich weniger stark ausgeprägt. Der Viertbeschwerdeführer hat in Österreich im Schuljahr 2016/2017 einen Kindergarten besucht. Seit dem Schuljahr 2017/2018 besucht er die Volksschule. Es ist von einer durchschnittlichen Anbindung im Schulverband auszugehen.

 

3.3.2.3.4. Den schwach ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden.

 

3.3.2.3.5. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

3.3.2.4. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist ebenfalls nicht geboten.

 

3.3.2.5. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor: Da der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass den Beschwerdeführern kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Die Beschwerdeführer haben weder behauptet über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.

 

3.3.2.6. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

3.3.3. Zulässigkeit der Abschiebung

 

3.3.3.1. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

3.3.3.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint (siehe Punkt II.3.2.).

 

3.3.3.3. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint (siehe Punkt II.3.1.).

 

3.3.3.4. Die Abschiebung ist nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

3.3.3.5. Die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan ist daher zulässig. Die Beschwerden waren daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides - Ausreisefrist

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 FPG kann die Frist bei Überwiegen besonderer Umstände für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

 

Derartige besondere Umstände sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden, weshalb die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise den gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

 

Die Beschwerden waren daher auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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