BVwG W147 1414754-3

BVwGW147 1414754-325.10.2017

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W147.1414754.3.00

 

Spruch:

W147 1414754-3/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Arge Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. November 2015, Zl. 831150909-14967912, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 3. Oktober 2017 zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. erstes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte auf dem Luftwege am 19. September 2008 ohne das erforderliche Visum nach Österreich und stellte unter Vorlage seines Auslandsreisepasses und seines Führerscheins sogleich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Am 23. September 2008 wurde er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstmals einvernommen, wobei er angab, dass er von XXXX nach XXXX geflogen sei und von dort nach Wien. Tschetschenien habe er aus Sicherheitsgründen verlassen müssen. Er sei vor neun Jahren von zwei Männern angegriffen worden, wobei einer der beiden ums Leben gekommen sei. Dies sei passiert, als er ein Feld bewacht habe, er sei mit einem Gewehr bewaffnet gewesen. Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen sei der Verstorbene infolge von Drogenkonsum gestorben, was dessen Angehörige jedoch nicht geglaubt und ihm dessen Tod angelastet haben, sodass er seither auf der Flucht vor diesen sei, da sie Blutrache geschworen haben und ihn töten haben wollen.

 

Im Zuge der Einvernahme im Zulassungsverfahren durch die Erstaufnahmestelle am Flughafen Wien Schwechat am 29. September 2008 brachte der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Rechtsberaters auf Russisch zusammengefasst vor, gesund zu sein. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er sei im Mai 1999 mit seinem Freund zur Arbeit in den Bezirk XXXX in Tschetschenien in die XXXX gefahren, wo sie im Geschäft die besagten Leute getroffen haben und welche von ihnen kategorisch verlangt haben, dass sie deren Rechnung für Wodka bezahlen sollen, weshalb es einen Konflikt gegeben habe, sie seien aber auseinander gegangen. Nachmittags sei sein Freund nach Hause nach XXXX gefahren und er sei allein in der Sowchose geblieben. Abends seien diese Leute in der Wohnung erschienen, sie seien betrunken und zusätzlich von einer Dosis Rauschgift beeinflusst gewesen. Als sie sich geweigert hätten wegzugehen, habe er eine Waffe, welche er zu Hause gehabt habe, geladen, um sie zu beeindrucken. Die beiden hätten jedoch ebenso Waffen gehabt, einer ein Messer und der andere eine Pistole, welche sie in den Hosentaschen gehalten haben. In seiner Waffe habe sich noch eine Platzpatrone befunden. Jedoch seien, als alles beendet gewesen sei, drei Geschoße darinnen geblieben. Es habe bei ihm ein einläufiges Jagdgewehr gegeben. Die beiden seien auf ihn zugegangen und er sei vom Gang zurückgetreten und von dort in einen Saal, von wo aus man nur mehr in den Schlafraum gelangen habe können, wo es sehr eng gewesen sei. Er habe sie gewarnt, dass er schießen würde, wenn sie wiederkämen. Einer sei zurückgekehrt und sie hätten ihn wieder angegriffen. Darauf sei ein Schuss gefallen. Mit demjenigen, welcher die Waffe gehalten habe, habe er zu raufen begonnen. Es sei ihm gelungen, sich loszureißen und auf die Straße hinauszulaufen. Die Nachbarn seien zusammengelaufen, einer hätte ihn in ein Auto gesetzt und ihn nach Hause nach XXXX gebracht. Die Miliz sei zum Vorfallsort gerufen worden, diese Person sei nach einer halben Stunde verstorben und zwar auf Grund einer Überdosis von Rauschgift, wie die spätere Untersuchung ergeben habe. Aber es seien trotzdem zwei Hülsen am Boden gelegen - nicht am Boden- sondern Kratzer am Bein, d.h. die Beine des Opfers seien von den Geschosshülsen zerkratzt gewesen, ein Bein sei getroffen gewesen. In der Hülse der Patrone sei hinten das Pulver und vorne die kleinen Kugeln. Durch zwei dieser Geschosse sei der Drogensüchtige an einem Bein getroffen worden. Auf Nachfrage wurde erklärt, dass es sich dabei offenbar um zwei Körner aus einer Schrotladung gehandelt haben müsse.

 

Er sei zur Miliz gerufen worden, wo er eine Aussage gemacht habe. Er sei nicht einmal festgenommen worden und es sei als Selbstverteidigung anerkannt worden, auch weil die beiden Schrotkugeln keine tödlichen Verletzungen hervorrufen haben können. Die Leute des Opfers hätten dies jedoch als nicht relevant erachtet und gesagt, dass er eine Waffe auf das Opfer gerichtet habe. Der zweite der beiden Männer, welcher XXXX Jahre im Gefängnis gewesen sei, habe es als Ehrensache betrachtet, ihn zu töten. Die Verwandten des Verstorbenen seien nun in die Exekutive, in das Militär, eingetreten, die Bezeichnung wisse er nicht genau. Es habe sich ergeben, dass ein entfernter Verwandter seiner Mutter auch dort beschäftigt sei und haben sie durch diesen erfahren, dass der zweite Mann ihn aufsuchen würde. Normalerweise würde man dann verschwinden. Wo immer er sein würde, würden die Daten aus Tschetschenien aufscheinen und sie würden ihn überall finden. In den letzten Jahren habe er andauernd seinen Aufenthaltsort gewechselt und sein Vater habe ihm geraten, wegzufahren.

 

Über weitere Befragung gab er an, er sei im Dorf XXXX geboren, und als Wohnanschrift gab er den Rayon XXXX im Dorf XXXX an, aufgewachsen sei er im Gebiet XXXX . Mit eineinhalb Jahren sei er dorthin nach XXXX gekommen, sei dort zur Schule gegangen und habe gelernt, im Jahr 1990 seien seine Eltern nach XXXX zurückgesiedelt, er selbst sei ein halbes Jahr später, im Alter von etwa XXXX Jahren dorthin übersiedelt und er habe dort insgesamt zirka fünf Jahre in einem Betrieb daneben als Wachmann bis zum Beginn des ersten Krieges gearbeitet. Nach Beginn des ersten Tschetschenienkrieges sei er Binnenflüchtling gewesen und sei wieder ein halbes Jahr in XXXX gewesen und dann wieder zurückgekehrt und habe bis zu dem Vorfall mit den Drogensüchtigen immer in XXXX gelebt. Auf Nachfrage erklärte er, ein Stück Land in der Größe von 100 ha gepachtet gehabt zu haben, fünf bis sechs Kilometer von der einer Sowchose entfernt. Als die Miliz es ihm erlaubt habe, sei er sofort nach XXXX gefahren, wo er ein halbes Jahr bis zum Beginn des zweiten Krieges gelebt habe, dann sei er für drei, vier Monate nach Tschetschenien zurückgekehrt. Als die russischen Truppen gekommen und die Blockade seines Dorfes aufgehoben hätten, sei er wieder nach XXXX zurückgekehrt. Er habe sich in der Folge in XXXX und XXXX aufgehalten. Wegen der Registrierung sei er nicht ständig in XXXX geblieben, diese hätte einen ständigen Aufenthalt nicht erlaubt bzw. wären die Daten seiner Registrierung in XXXX nach Tschetschenien geschickt worden. In XXXX habe er zwei Brüder, welche ihn mit allem nötigen versorgt hätten. Diese hießen XXXX und leben im Dorf XXXX in ihrem Landwirtschaftsbetrieb mit 900 Hektar, sie seien seit XXXX die Eigentümer.

 

Zum Vorhalt, dass er nach dem Eintrag im Reisepass am XXXX geheiratet und am XXXX wieder geschieden worden sei, gab er an, er habe mit seiner Ehefrau XXXX auch bei seinen Brüdern in XXXX gelebt, diese sei dort auch registriert gewesen. Derzeit sei er mit XXXX verheiratet, seit XXXX sei er mit dieser Frau verheiratet, nur moslemisch. Er habe mit seiner Frau XXXX eine Tochter und einen Sohn und mit XXXX eine Tochter. Zuletzt habe er sich ca. drei Monate bis 13.09. dieses Jahres in XXXX aufgehalten. Seine geschiedene Frau habe in Polen einen Tschetschenen geheiratet. Seine nunmehrige Ehefrau lebe mit den beiden Kindern registriert in Tschetschenien, er habe sie zu den Brüdern nach XXXX geschickt. Auf die Frage, was sich an seiner Situation nun zugespitzt habe, brachte er vor, die beiden Männer, wovon einer ums Leben gekommen sei, seien Brüder gewesen, und sein jüngerer Bruder diene beim Militär und auch andere Verwandte. Es sei ihm über einen Verwandten seiner Mutter bekannt geworden, dass sie ihn aufsuchen wollten. Dieser habe dies seinem Vater mitgeteilt, um ihn zu warnen. Der Name des Kriminellen sei XXXX , sein Spitzname sei " XXXX )".

 

Zwei seiner Brüder würden in XXXX leben, sein Bruder XXXX lebe in Wien, drei Schwestern seien in Tschetschenien verheiratet, zwei würden in Österreich leben. Nach den Problemen seines Bruders befragt, verwies er an diesen. Auf den konkreten Vorhalt, dass dieser angegeben habe, er habe einen Bruder namens XXXX und zwei Schwestern, antwortete er, man müsse diesen fragen. Sein Bruder habe Anwälte bestellt und sei dauernd zum Leiter der Administration gefahren usw.. Er selbst habe nicht am zweiten Tschetschenienkrieg teilgenommen, auch nicht seine Brüder. Es sei ein Neffe, XXXX , mitgenommen worden, an die näheren Umstände erinnere er sich nicht. Im Fall der Rückkehr würde er getötet werden. Sein Bruder XXXX sei XXXX bei einer Operation in XXXX verstorben, die Mutter sei vor einem Jahr im XXXX verstorben.

 

Nach der Zulassung zum Asylverfahren wurde er vom Bundesasylamt, XXXX , am 11.11.2008 einvernommen, wobei er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vorbrachte, es drohe ihm in seiner Heimat von diesem XXXX Gefahr. Auf den Vorhalt, dass dieser im Rahmen der Blutrache auch seine beiden in der Heimat verbliebenen Brüder angreifen könne, räumte er ein, dass dies so sein könne, aber hauptsächlich wolle dieser ihn haben. Er habe erfolglos versucht, sich in XXXX registrieren zu lassen. Er habe sich auch nicht registrieren lassen wollen, weil dann alle Daten nach Tschetschenien weitergegeben würden. Sein Bruder XXXX habe sich seines Wissens in XXXX nie abgemeldet. Im Fall der Rückkehr befürchte er getötet zu werden, im schlechteren Fall Folter. In Österreich leben sein Bruder XXXX mit seiner Familie und zwei Schwestern und deren Kinder. Seinen Lebensunterhalt bestreite er aus der Grundversorgung. Zu den ihm zur Kenntnis gebrachten Länderberichten wollte er zunächst keine Stellungnahme abgeben. Nach dem Vorhalt darüber, dass von der Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens bzw. der Möglichkeit, sich weiter zu verstecken, ausgegangen werde, brachte er vor, es sei ihm nicht möglich gewesen, sich registrieren zu lassen, weil der Bruder von XXXX und dessen Neffe in der Exekutive arbeiten würden. Er werde nicht zurückkehren. Wegen einer Tuberkulose sei er 1986 oder 1987 16 Monate im Gebiet XXXX im Krankenhaus und 2 Monate in einem Sanatorium gewesen.

 

Am selben Tag wurde auch der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX auf Russisch zum Verfahren des Beschwerdeführers als Zeuge einvernommen. Er gab an, sie seien fünf Brüder gewesen, der älteste sei bereits verstorben, sein jüngerer Bruder sei der Antragsteller. Dieser sei bis 1999 bei den Eltern wohnhaft gewesen, welche XXXX in Pension gegangen seien und nach XXXX gefahren seien. Danach bis 2003 habe der Antragsteller im Dorf XXXX gelebt, wo ein Unglück mit einem Drogensüchtigen geschehen sei. Sie seien bei ihm eingedrungen und haben ihn mit einem Messer bedroht. Der Antragsteller habe ihn mit einem Gewehr erschrecken wollen, die Leute vom Wassermelonenfeld würden leere Patronen verwenden um die Raben abzuschrecken und solche Patronen würden übrig bleiben. Der Bruder habe diese Person verletzt. Die Ärzte haben gesagt, dass es keine schwere Verletzung gewesen sei und dieser an einer Überdosis von Drogen gestorben sei. Auf die Frage, aus welchem Grund der Antragsteller dann nach XXXX übersiedelt sei, gab er an, wenn ein Mensch sterbe, dann werde die Blutrache erklärt. Der Bruder habe von 1999 bis zur Ausreise des Zeugen XXXX ständig in XXXX gelebt. Auf die Frage, wieso er selbst anlässlich seiner Antragstellung keine Angaben über den nunmehrigen Antragsteller gemacht habe, gab er an, die übrigen Brüder nicht angegeben zu haben, damit diese keine Schwierigkeiten haben. Dies sei kein Verbrechen. Der Antragsteller habe sich zuletzt alle 3 Monate in XXXX registrieren lassen müssen. Er habe jedes Mal Probleme dabei mit der Miliz gehabt. Jeder, der aus Tschetschenien komme, habe damit Probleme. Mit seiner kurzfristig ausgestellten Registrierung habe er legal in XXXX arbeiten können, er habe mit ihnen dort gelebt und gearbeitet. Dort sei dies seine private Landwirtschaft gewesen, in anderen Bezirken oder anderen Betrieben habe der Antragsteller ohne Registrierung nicht arbeiten können. Er habe seinen Anteil an seine beiden älteren Brüder verkauft, weil er habe weggehen müssen.

 

Am 29.01.2010 wurde der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Frau erneut beim Bundesasylamt, XXXX , einvernommen. Auf die Frage nach ihren Rückkehrbefürchtungen, führten sie aus, sie würden getötet werden. Bei seinem Sohn sei Hepatitis A festgestellt worden, Untersuchungen seien geplant. Der Antragsteller selbst leide an Kopfschmerzen, ansonsten sei er gesund. Alle Familienmitglieder hätten Kopfschmerzen. Er sei Mitglied der Vereinigung " XXXX " von der XXXX , wo man mit Österreichern bekannt gemacht werde, der Sohn habe einen Freund, aber es gebe im nunmehrigen Wohnort keinen Deutschkurs, er versuche selbst Deutsch zu lernen, dies sei aber schwierig. Er wolle dass sein Sohn Offizier in der österreichischen Armee werde, die Tochter wolle Ärztin werden. Er selbst wolle gerne Arbeit finden. Er ersuchte von der Übersetzung der Länderberichte betreffend die Rückkehrfragen abzusehen, weil die Familie ohnehin nicht zurückkehren werde. Er wolle nicht zurückkehren, weil man ihn töten würde, aber auch den Tötenden würde man töten, weil bei ihnen die Blutrache gelten würde, alles würde mit seinem Tod nicht beendet sein. Normalerweise ende das mit dem Ende der ganzen Sippe, weshalb sie das vermeiden und nicht zurückkehren wollten.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.07.2010, Zl. 08 08.837-BAT, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 24.09.2009 bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, unter Spruchteil II. gem. § 8 Abs. 1 leg.cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen und unter Spruchteil III. gem. § 10 Abs. 1 leg.cit. der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

In der Begründung des Bescheides wurden zunächst die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und anschließend Feststellungen zu Tschetschenien getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass seine Identität feststehe und er seine Kindheit in XXXX verbracht habe, dann ab 1990 in XXXX und ab 1999 wieder ständig in XXXX bei seinen Brüdern gelebt habe, welche dort einen landwirtschaftlichen Betrieb besäßen. Sein Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig, weil er den Ort des Vorfalles, bei welchem ein Drogensüchtiger gestorben sei, anlässlich der Einvernahme gegenüber seinen Angaben bei der Ersteinvernahme verlegt habe, nämlich vom Feld in Wohnräumlichkeiten. Auch sei der geschilderte Vorfall unwahrscheinlich, weil nicht vorstellbar sei, dass zwei durch Alkohol und Drogen schwer beeinträchtigte Männer ihre Waffen so zurückhaltend einsetzen würden. Abgesehen davon stelle sich die Frage, wie er die Waffen in den Hosentaschen als Messer und Pistole habe erkennen können. Auch seien die Schilderungen über die verwendete Munition in seinem Gewehr schwer verständlich gewesen, was verwunderlich sei, weil er den Eindruck vermittelt habe, sich mit Jagdwaffen auszukennen. Zunächst habe er erklärt, Platzpatronen haben sich im Gewehr befunden, anschließend, dass trotzdem zwei Hülsen am Boden gelegen seien und er dies gleich abgeändert habe, indem er gemeint habe, nicht am Boden, sondern Kratzer am Bein. Auf Nachfrage habe er erklärt, dass die Beine des Opfers mit Geschoßhülsen zerkratzt worden seien. In weiterer Folge habe er als Erklärung angegeben, der Drogensüchtige sei von zwei Körnern aus einer Schrotladung ins Bein getroffen worden. Letztlich könne jedoch dahingestellt bleiben, ob es 1999 tatsächlich zu dem besagten Vorfall gekommen sei, weil dem Beschwerdeführer jedenfalls gegenwärtig keine Verfolgung in der Heimat drohe, da er sich nach seinen Angaben nach diesem Vorfall nach XXXX zu seinen Brüdern begeben habe und sich zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges wieder nach Tschetschenien zu seinen Eltern nach XXXX begeben habe und nach drei, vier Monaten nach Aufhebung der Blockade sich wieder nach XXXX begeben habe, er jedoch keine Angaben über eine befürchtete Verfolgung durch den Bruder des Verstorbenen gemacht habe. Bei der Einvernahme am 29.09.2008 habe er bezüglich seines Aufenthaltsortes von 1999 bis zur Ausreise angegeben, sich abwechselnd in XXXX und XXXX aufgehalten zu haben und dies damit begründet, dass die erforderliche Registrierung einen ständigen Aufenthalt im Gebiet von XXXX nicht erlaubt habe. Diese Angaben stünden jedoch im Widerspruch zu den Angaben seines Bruders XXXX bei dessen Befragung am 11.11.2008, wonach er ständig bei seinen Brüdern in XXXX gelebt habe. Dabei habe dieser auch angegeben, dass der Beschwerdeführer aus Angst vor Blutrache von Tschetschenen nach XXXX übersiedelt sei. Nach den Angaben seines Bruders habe der Beschwerdeführer dort ständig Probleme wegen der letztlich alle drei Monate zu erneuernden Registrierung gehabt.

 

Rechtlich wurde zu Spruchteil I. insbesondere ausgeführt, dass sein Vorbringen als nicht glaubwürdig erachtet worden sei und er selbst dann über eine zumutbare Rückzugsmöglichkeit auf dem Landgut seiner Brüder im Gebiet von XXXX verfüge, da er immerhin schon seit 1999 dort unbehelligt gelebt habe. Da auch keinem Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, lägen die Voraussetzungen im Familienverfahren nicht vor.

 

Zu Spruchteil II. wurde insbesondere dargelegt, dass der Beschwerdeführer keine Gefährdungslage habe glaubhaft machen können und dass sich aus seinen Angaben und den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens keine exzeptionellen Umstände ergeben hätten, welche die Außerlandesschaffung in Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden. Da auch keinem anderen Familienmitglied der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, komme dies auch im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht.

 

Zu Spruchteil III. wurde - nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur - festgehalten, dass er mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Kindern in Österreich lebe. Soweit seine Familie ebenfalls von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen sei, liege kein Eingriff in das Familienleben im Sinne des Art.8 EMRK vor. In Bezug auf seine sonstigen Verwandten in Österreich liege in Anbetracht der Umstände (kein gemeinsamer Haushalt oder gleichzuhaltendes Naheverhältnis oder finanzielle Abhängigkeit) kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vor. Zu seinem Privatleben wurde ausgeführt, dass er sich seit September 2008 nach illegaler Einreise in Österreich aufhalte und könne daraus noch keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden, zumal sich der bisherige Aufenthalt aus einem Asylantrag ergebe und ihm habe klar sein müssen, dass dieser im Fall der Ablehnung des Antrages nur ein vorübergehender sein werde. Er bestreite seinen Lebensunterhalt aus der Grundversorgung und gehe keiner Beschäftigung nach, spreche nur ganz wenig Deutsch, besondere soziale Kontakte seien nicht hervorgekommen. Nach einer Gesamtabwägung ergebe sich, dass die Ausweisung gerechtfertigt sei.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof, worin er sich gegen die Beweiswürdigung wandte. Es sei seine Aufgabe gewesen, die gepachteten Felder mit einer Flinte zu bewachen, welche mit Papier gestopften Patronen geladen gewesen sei. Er habe nicht ausdrücken wollen, dass der Vorfall im Freien auf den Feldern stattgefunden habe. Es sei reine Spekulation, dass von Alkohol und Drogen beeinträchtigte Personen mit gezogenen Waffen auf den Beschwerdeführer losgegangen seien. Die Waffen in den Hosentaschen seien an den Griffen erkennbar gewesen. Hinsichtlich der Patrone sei es für den Beschwerdeführer schwierig gewesen, zu erklären, welche es gewesen sei, da er zum Verscheuchen der Vögel keine normalen Schrotpatronen verwendet habe, sondern die Schrotladung aus der Patrone entfernt worden sei und nur die Metallhülse mit Papier verwendet worden sei, daher auch die Beschreibung als Platzpatrone. Zu den Ausführungen der Behörde, dass eine Verfolgung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, werde angemerkt, dass er damit gerechnet habe, getötet zu werden, allerdings sei für ihn die Pflicht gegenüber seinen Eltern wichtiger gewesen. Bezüglich der Registrierung habe der Bruder des Beschwerdeführers ebenfalls angegeben, dass dieser bei der Registrierung immer wieder Probleme gehabt habe bzw. deute dessen Antwort darauf hin, dass er zuletzt keine mehr besessen habe. Bezüglich der Angaben seines Bruders über den Aufenthalt des Beschwerdeführers ab 1999 in XXXX wurde vorgebracht, dass dieser auf entsprechenden Vorhalt auch angeben hätte können, dass sich der Beschwerdeführer monateweise immer wieder in XXXX aufgehalten habe und es wurde die erneute Befragung seines Bruders XXXX als Zeuge beantragt. Zwar richte sich die Blutrache nach der tschetschenischen Tradition normalerweise nicht gegen Frauen und Kinder, jedoch befürchte seine Lebensgefährtin trotzdem, dass sich die Familie des 1999 Verstorbenen an den Kindern des Beschwerdeführers rächen würde. Der Umstand, dass er in den letzten 9 Jahren nicht Opfer der Blutrache geworden sei, lasse keineswegs die Schlussfolgerung zu, dass es nicht glaubhaft sei, dass er aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgungshandlungen sein Herkunftsland verlassen habe müssen. Wie der Beschwerdeführer nachvollziehbar geschildert habe, würden zwischenzeitig der jüngere Bruder und der Neffe des 1999 Verstorbenen bei der tschetschenischen Exekutive arbeiten und haben deswegen bessere Möglichkeiten, sich an dem Beschwerdeführer zu rächen als noch vor einigen Jahren. Auch habe der Beschwerdeführer darauf verwiesen, dass sich die Kadyrov-Leute überall leicht registrieren lassen können und auch Zugriff auf die Daten von Personen in der ganzen russischen Föderation haben. Vor dem Hintergrund der Länderinformationen erscheine dies keineswegs unplausibel. Da zwischenzeitlich mehrere Mitglieder der Familie, welche dem Beschwerdeführer Blutrache erklärt habe, bei den staatlichen tschetschenischen Strukturen arbeiten und er eine konkrete Warnung erhalten habe, könne nicht zulässigerweise davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, da seine Gegner in staatlichen Strukturen arbeiten. Als Mitglieder der Exekutive sei es den Kadyrovzy einfach möglich, dem Beschwerdeführer fälschlicherweise ein strafrechtliches Delikt zu unterstellen. Bei einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Länderberichte zur Russischen Föderation habe die Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz daher nicht abweisen dürfen bzw. ihm zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei wegen Verletzung von Art. 3 EMRK rechtswidrig.

 

Der Asylgerichtshof beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 11.05.2012 an und räumte gleichzeitig das Parteiengehör zu Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur IFA von Tschetschenen in Russland (Stand: Februar 2012) mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu diesen Länderfeststellungen bis längstens in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein. Während das Bundesasylamt sich für die Nichtteilnahme an der Verhandlung entschuldigte und auch keine Stellungnahme zu den vorgehaltenen Länderfeststellungen erstattete, erschienen der Beschwerdeführer, seine Lebensgefährtin und sein Bruder XXXX (als Zeuge) zur Verhandlung.

 

Eingangs der Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine Meldebestätigung, eine Deutschkursbestätigung, Schulbesuchsbestätigungen für die Kinder und zwei Empfehlungsschreiben für die Familie vor, weiters Artikel betreffend die Blutrache in Tschetschenien. Schließlich wurde von den Beschwerdeführern im Rahmen der Verhandlung die Beigebung eines Rechtsberaters beantragt.

 

Über Befragung des Vorsitzenden Richters gab der Zeuge an, ab der Geburt bis XXXX in XXXX in Tschetschenien gelebt zu haben, dann sei er nach XXXX in das Dorf XXXX gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise im Dezember 2003 gelebt habe. Manchmal sei er auch für Wochen oder maximal zwei Monate in Tschetschenien gewesen. In XXXX sei er unbefristet gemeldet gewesen. Er habe dort eine eigene Landwirtschaft besessen und Ackerbau und Viehzucht betrieben. Der Beschwerdeführer habe bis 1999 bei den Eltern in Tschetschenien gelebt und zwar in XXXX . Nach einem Vorfall im Mai 1999 sei er zu ihm nach XXXX gezogen und habe bis zur Ausreise im Jahr 2008 dort gelebt, er selbst sei damals aber schon in Österreich gewesen. Nach dem Beginn des zweiten Krieges sei sein Bruder zu den Eltern zurückgekehrt und Anfang 2000 sei er wieder zurück nach XXXX gekommen, er glaube, dieser sei zwei bis drei Monate in Tschetschenien gewesen. Manchmal sei der Beschwerdeführer auch bei Freunden und Verwandten in XXXX gewesen. Dies sei unterschiedlich lang gewesen, er glaube, dass er nur ein bis zwei Wochen dort gewesen sei, vielleicht auch länger. Es sei sehr schwierig gewesen, sich in XXXX anmelden zu lassen, aber er selbst habe den Beschwerdeführer einmal für drei Monate angemeldet. Er sei nur einmal für drei Monate angemeldet gewesen, er habe das verlängern sollen, aber es habe immer wieder Schwierigkeiten gegeben und man habe Geld zahlen müssen. Außer diesen Problemen hätte sein Bruder keine Probleme in XXXX gehabt. Sie hätten immer in Angst gelebt, wenn ein Auto gekommen sei. Es würden nach wie vor zwei Brüder in XXXX leben. Diese haben, soweit er wisse, bislang noch keine Probleme und würden nach wie vor die erwähnte Landwirtschaft betreiben. Seinen Bruder in Österreich besuche er manchmal, wenn die Kinder Ferien haben, würden sie zu ihnen kommen. Tatsächlich seien sie über Skype immer in Verbindung und telefonieren auch. Ein bis zweimal monatlich besuchen sie einander. Manchmal, wenn sie zu ihrer Schwester nach XXXX fahren, besuchen sie auch diese. Er benötige die Hilfe seines Bruders nicht, aber dieser brauche seine psychische Unterstützung, dieser sei der jüngste Bruder. Befragt, ob er noch ein Vorbringen zum Asylverfahren des Beschwerdeführers erstatten wolle, brachte er vor, er wolle noch 5 Minuten über diesen Vorfall etwas sagen. Er sei nicht dabei gewesen, er sei in XXXX gewesen. Sein Bruder habe ihm davon erzählt und danach sei er bei Verwandten in Tschetschenien gewesen. Er wolle sagen, dass sein Bruder, wenn dieser Vorfall nicht gewesen wäre, als jüngster Sohn bei den Eltern in Tschetschenien bleiben würde, wie es Sitte sei. Sie haben sich immer große Sorgen um ihn gemacht und deswegen sei dieser ausgereist. Er habe ein eigenes Haus und eine Landwirtschaft besessen und keine wirtschaftlichen Gründe für eine Ausreise. Heute werde über das zukünftige Leben seines Bruders entschieden, er bat, dass man seinen Bruder für sich selbst sprechen lasse und dies auch detailliert protokolliere. Falls es Verständigungsprobleme gebe, könne man jederzeit ihn oder seinen Bruder fragen.

 

Anschließend wurde der Beschwerdeführer einvernommen, dieser hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und führte aus, dass einiges falsch übersetzt worden sei und er beschuldige nicht den Dolmetscher, weil dieser schlecht Russisch gesprochen habe. Dieser habe auch für seinen Bruder gedolmetscht und habe vieles nicht verstanden und er habe einmal etwas zeichnen müssen. Befragt, ob er etwas Konkretes, das nicht richtig übersetzt worden sei, nennen könne, brachte er vor, er werde darauf im Zuge der Befragung eingehen. Er sei Tschetschene und Moslem und in XXXX in Tschetschenien geboren. Im Alter von einem Jahr seien sie nach XXXX und zwar in das Dorf XXXX gezogen und dort sei er bis zum Jahr 1990 gewesen. Dann seien sie zurück nach Tschetschenien nach XXXX gezogen, wo er bis zum Frühling 1999 gelebt habe und während des ersten Krieges habe er drei bis vier Monate wieder in XXXX verbracht, bis sich die Situation etwas beruhigt habe. Dann sei er im Frühling 1999 wieder nach XXXX . Nach Beginn des zweiten Krieges sei er wieder nach Tschetschenien zurückgekehrt und sei Anfang 2000 wieder nach XXXX gefahren und dort bis zur Ausreise geblieben. In XXXX hätte er keine Propiska gehabt. Sein Bruder habe ihm gesagt, dass er ihn einmal angemeldet habe, er habe davon nichts gewusst, er selbst sei nicht beim Meldeamt gewesen. Befragt, ob er gar nicht versucht habe, eine Anmeldung in XXXX zu bekommen, antwortete er, nein, er habe es versucht. Sein Bruder XXXX habe das alles gemacht. Er sei auch in XXXX gewesen, dies sei nur 7 Kilometer entfernt gewesen, sei seien an der Grenze gewesen. Er habe sich überall aufgehalten innerhalb der 9 Jahre, er sei bei seinen Verwandten, Bekannten und Freunden gewesen. Immer bei seinen Brüdern zu leben sei unmöglich gewesen. Wenn man sich an einem Ort aufhalte, könne man leicht gefunden oder gefangen werden. Er habe 8 Jahre die Mittelschule besucht, aber keine weitere Ausbildung erhalten. Seinen Lebensunterhalt habe er durch Arbeit bestritten, in letzter Zeit haben ihn seine Brüder unterstützt. Er habe auch in der Landwirtschaft gearbeitet. Als er bei seinen Freunden und Bekannten gewesen sei, habe er auch dort gearbeitet. Er habe diverse Arbeiten gemacht. Offiziell habe er nirgends arbeiten können.

 

Politisch habe er sich nicht betätigt. Nahe Verwandte seien aktive Kämpfer gewesen, seine Cousins zweiten Grades seien getötet worden. Sein Bruder habe nicht gekämpft. Den tschetschenischen Widerstand habe er nur psychisch unterstützt. Aufgefordert, den Vorfall aus 1999 zu schildern, brachte er vor, dieser hätte sich im Mai 1999 im Bezirk XXXX in einer Sowchose ereignet. Er sei in einem Geschäft gewesen. Es seien zwei betrunkene Brüder, welche auch unter Drogeneinfluss gestanden seien, gekommen und haben ihn aufgefordert, den Wodka zu bezahlen. Sie seien dort in Streit geraten, haben aber einander nicht geschlagen. Am Abend, als er zu Hause gewesen sei, wegen seiner Arbeit habe er dort in der Sowchose eine Wohnung gemietet, seien sie eingedrungen. Er habe ein Jagdgewehr zu Hause gehabt. Er habe diese Waffe verwendet, um Vögel zu erschrecken. Diese sei nicht mit Schrotkugeln, sondern mit Papier und Sprengstoff gefüllt gewesen. Es seien aber in der Waffe noch Schrotkugeln enthalten gewesen. Er habe sie beide gewarnt. Er sei in einem engen Vorzimmer gewesen, er sei zurückgetreten. Sie seien auf ihn losgegangen. Er habe dann geschossen. Später in der Verhandlung habe er erfahren, dass er einen der beiden am Fuß getroffen habe. Der ältere der beiden Brüder habe eine Pistole, der andere ein Messer gehabt, sie habe die Hand in der Tasche gehabt. Er wisse sicher, dass der jüngere Bruder, der das Messer bei sich habe, die Hand auch dort gehabt habe, wo das Messer gewesen sei. Auf den Vorhalt, dass er vor dem Bundesasylamt nicht davon gesprochen habe, dass es sich um zwei Brüder gehandelt habe, sondern nur davon, dass der ältere der beiden ein Schwerkrimineller gewesen sei, welcher schon XXXX Jahre im Gefängnis gesessen sei, brachte er vor, dies sei so übersetzt worden, er habe immer vom älteren Bruder gesprochen, welcher die Blutrache ausgesprochen habe. Auf die Frage, welche Verletzungen diese Personen davongetragen haben, gab er an, er habe gehört, dass er seinen Fuß verletzt habe. Er habe das nicht gesehen, er habe das nur gehört. Dieser Mann sei an diesem Tag in der Nacht gestorben. Er sei nicht dort gewesen, er wisse nicht, ob sie ihn in ein Spital gebracht haben oder nur in die medizinische Station in der Sowchose. Es seien auch Polizeibeamte dort gewesen. Nach dem medizinischen Gutachten sei dieser wegen einer Überdosis Drogen gestorben. Eine Woche lang habe es Ermittlungen gegeben und danach nicht mehr. Es sei entschieden worden, dass er an seinem Tod unschuldig sei. Die Verletzung sei nicht lebensbedrohlich gewesen. Das medizinische Gutachten habe bewiesen, dass dieser an einer Überdosis von Drogen gestorben sei und zu ihm ins Haus eingedrungen sei. Das Strafverfahren gegen ihn sei eingestellt worden, schriftliche Unterlagen habe er keine.

 

Zum Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung angegeben habe, dass der Vorfall passiert sei, als er ein Feld bewacht habe, heute habe er davon gesprochen, dass das bei ihm ihn der Wohnung passiert sei, führte er aus, er habe damals erzählt, was er dort in der Sowchose gemacht habe, dass er im Feld gearbeitet habe, aber dieser Vorfall sei nicht direkt am Feld passiert. Der älteste Bruder, welcher auch bei dem Vorfall mit gewesen sei, habe das nicht auf sich beruhen lassen. Sie haben mehrmals die älteren Männer zu ihm geschickt, um ihn zu überreden. Dies haben sie bis jetzt nicht erreicht. Es sei zur formellen Ausrufung der Blutrache gekommen, aber sie haben die Blutrache nicht angenommen. Auf den Vorhalt, wieso er über die Ausrufung der Blutrache und die Versöhnungsversuche beim Bundesasylamt nichts erzählt habe, gab er an, er sei darüber nicht befragt worden. Über Vorhalt der beisitzenden Richterin, dass das heiße, dass er diese wichtige Sache von sich alleine aus nicht vorgebracht habe, sondern gewartet habe, dass man ihn zu diesem Thema konkret befrage, brachte er vor, er habe damals vieles erzählt. Er habe gesagt, dass es unmöglich gewesen sei, dort weiter zu leben und sei er deswegen geflüchtet. Befragt, ob es dann in der Folge zu konkreten Bedrohungen seiner Person oder seiner Familie gekommen sei, gab er an, dass natürlich eine Bedrohung für sie bestehe. Auch sein Sohn wachse heran. Wenn er sich irgendwo in Russland aufhalte, werde er zu seinen Eltern irgendwann zurückkehren und deswegen haben ihn sein Vater und seine Brüder weggeschickt. Zum Vorhalt der besitzenden Richterin, dass ihn seine Eltern nun auch vermissen würden, gab er an, wenn er das entscheiden könne und wenn es für ihn möglich wäre, würde er schon heute zu seinen Eltern zurückkehren. Sie würden ihn leicht finden, wenn er sich irgendwo in Russland anmelden würde. Auf die Frage, ob er in XXXX irgendwelche konkreten Probleme mit der Familie des Getöteten gehabt habe, gab er an, sie seien nicht dort gewesen, sie seien nicht gekommen. Soweit er wisse, aber er könne das nicht behaupten. Aber es sei kein Problem für sie, sie könnten auch 700 Kilometer fahren. Probleme mit staatlichen Organen in der Russischen Föderation verneinte er. Als unmittelbaren Anlass für seine Ausreise gab er die Blutrache an.

 

Er habe im Jahr 2008 im Dorf, wo seine Schwester lebe, alle Unterlagen abgegeben, seine Schwester habe ihm dann ein Visum nach XXXX organisiert. Er sei nach XXXX geflogen und habe dort zwei Tage verbracht und dann Flugtickets gekauft. Bei der Zwischenlandung in Wien sei er ausgestiegen, der Flug sei bis XXXX gebucht gewesen. Zur Frage, warum er nicht mit seiner Frau und den Kinder gereist sei, gab er an, er habe nicht die finanzielle Möglichkeit gehabt, sie mitzunehmen und er habe nicht gewusst, was ihn in XXXX erwarte. Es sei ein fremdes Land für ihn gewesen, er habe nicht gewusst, dass es dort Tschetschenen gebe, aber er habe dort Tschetschenen getroffen. Er könne sich erinnern, dass Frau XXXX seine erste Frau sei, wann sie geheiratet haben wisse er nicht. An das Datum könne er sich nicht erinnern. In der Zwischenzeit sei er von ihr geschieden gewesen. Dies sei nach der Eheschließung mit der zweiten Frau gewesen. Er sei sich nicht sicher, er sei im Jahr XXXX oder XXXX , dazwischen mit der zweiten Frau verheiratet. Er habe keinen direkten Kontakt, sondern sie schicke Fotos seiner Tochter übers Internet. Seine Tochter lebe jetzt in Polen, seine erste Frau habe er dann wieder geheiratet. Im Herkunftsstaat leben noch seine Brüder in XXXX , seine Mutter sei gestorben, sein Vater lebe in XXXX in Tschetschenien, seine drei Schwestern ebenfalls. Er selbst nehme keinen Kontakt mit ihnen auf, wenn seine Frau Kontakt mit ihnen aufnehme, rede er auch mit ihnen. Mit den Brüdern habe er nur selten Kontakt, er rede eher mit seinem Vater und ganz selten mit seinen Schwestern. Auf die Frage, ob er von seinen Verwandten irgendetwas gehört habe, was ihn persönlich betreffe, gab er an, er sei bis heute ein großes Problem für seine Verwandten. Auf die Frage, ob sein Vater oder seine Brüder irgendwie bedroht worden seien, gab er an, sie haben bis jetzt keinen getötet, aber er wisse nicht, was passieren könnte, wenn sie ihn nicht fänden. In Österreich befinde sich sein älterer Bruder XXXX und zwei Schwestern. Die ältere Schwester XXXX lebe in Wien, die jüngere sei in XXXX daheim. Mit seinen Geschwistern in Österreich telefoniere er, wenn sie die Möglichkeit haben, kommen sie zu ihnen. XXXX besuche sie und ihre Schwestern. Befragt, ob er dauernd die Hilfe seines Bruders benötige, gab er an, das sei sein Bruder und er unterstütze ihn immer und er mache alles Mögliche für sie. Tschetschenen unterstützen einander, auch wenn sie keine Geschwister seien. In Österreich habe er einen Asylantrag gestellt und warte auf eine Entscheidung. Kurz nach seiner Ausreise habe es ein Projekt von der XXXX mit der Bezeichnung " XXXX " gegeben, es sei jedem Asylwerber eine Person, welche gut Deutsch spreche zur Verfügung gestellt. In seinem Fall sei dies eine Russin gewesen und daraus sei nichts geworden. Er habe auch einen Deutschkurs besucht und er habe noch um einen weiteren Deutschkurs angesucht, sie haben gesagt, dass es derzeit keine Möglichkeit gebe. Er spreche schon ein bisschen Deutsch. Aufgefordert, seinen Tagesablauf auf Deutsch zu schildern, gab er an, "Gewöhnlich ich viel schlafen, später spazieren und fertig". Bei irgendwelchen Vereinen sei er nicht tätig. Er habe einen österreichischen Nachbarn und einen Deutschen, welcher in Österreich lebe, von diesem stammen die Empfehlungsschreiben. Die Eltern vom XXXX haben das Schreiben auch unterschrieben. Er habe keine psychischen Probleme, sein einziges Problem seien Kopfschmerzen. Er sei untersucht worden, es sei nichts gefunden worden. Auf die Frage, was geschehe, wenn er in die Russische Föderation zurückkehren müsste, brachte er vor, er habe keine Angst, dass er getötet würde, aber dass er gefoltert werde von der Familie des Getöteten. Abschließend brachte er vor, dass er nicht ausgereist wäre, wenn er zu Hause keine Probleme gehabt hätte. Seine Familie hätte ihn auch nicht ausreisen lassen, weil er der jüngste Sohn sei und seine Eltern hätte versorgen sollen.

 

Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers brachte vor, ihr bisheriges Vorbringen aufrecht erhalten zu wollen und alles erzählt zu haben, was sie zu erzählen gehabt habe. Sie sei Tschetschenien und Moslemin und in XXXX in Tschetschenien geboren und habe dort gelebt. Aber in den Schulferien sei sie zu ihrem Mann nach XXXX gefahren. Als sie in XXXX bei ihrem Schwager gewesen sei, sei ihr Mann auch manchmal zu ihm gekommen, er habe nicht immer dort bleiben können. Sie habe ihren Mann im Jahr XXXX geheiratet und sie haben bis heute nicht standesamtlich geheiratet. Sie seien nach dem muslimischen Recht verheiratet gewesen, sie könne sich nicht erinnern, wann sie geschieden worden seien. Auf die Frage, seit wann sie wieder verheiratet seien, gab sie an, sie wisse es nicht, sie könne sich nicht erinnern. Sie habe 11 Jahre die Mittelschule besucht und keine weitere Ausbildung erhalten, sie sei Hausfrau. Sie selbst habe nicht gearbeitet, weil sie die meiste Zeit bei ihren Schwiegereltern gewesen sei. Ihre Schwiegermutter sei bettlägerig gewesen, die Verwandten haben sie unterstützt. Die Frage, ob nahe Verwandte Kämpfer gewesen seien, verneinte sie und gab an, sie habe keine Geschwister, nur Eltern. Sie habe Cousins, aber die haben nicht gekämpft. Sie sei das einzige Kind. Sie habe tschetschenische Kämpfer nicht unterstützt, sie habe ihre kranke Schwiegermutter und ihre kranke Mutter, welche einen Kopftumor gehabt habe, gepflegt. Sie selbst habe nie Problem mit staatlichen Behördenorganen oder Militärangehörigen gehabt, sie sei immer zu Hause gewesen. Sie habe auch keine Probleme mit Privatpersonen gehabt. Über die Probleme ihres Mannes habe sie nur gehört, da sie immer mit ihren Schwiegereltern gelebt und diese gepflegt habe. Sie sei nur manchmal zu ihrem Mann gefahren. Auf die Frage, ob sie selbst oder die Kinder in irgendeiner Weise bedroht worden seien, gab sie an, sie haben Angst gehabt, die Kinder hinauszulassen. Sie habe die Kinder in die Schule begleitet und sie abgeholt. Sie habe Angst, dass die anderen Kinder, welche mit ihnen spielen, mit ihnen etwas über Blutrache sprechen würden, und sie haben sie bedroht, dass sie sie umbringen würden. Ihre Eltern haben gesagt, wenn ihr etwas passieren würde, dann wären sie dafür verantwortlich. Auf die Frage, ob es irgendwelche konkreten Bedrohungen gegen sie und ihre Kinder gegeben habe, bejahte sie dies und gab an, sie haben sie bedroht, dass sie sich rächen würde. Auf den Vorhalt, dass dies höchst ungewöhnlich sei, weil sich die Blutrache gewöhnlich nicht gegen Kinder und Frauen richte, gab sie an, es sei bei ihnen nicht so. In Tschetschenien sei es nicht so wie in Österreich. Es würden mehrere von der Familie getötet. Sie meine, der Täter sei geflüchtet. Wenn ihr Sohn älter sei, wird der Sohn des Ermordeten ihren Sohn töten. Als unmittelbaren Anlass für die Ausreise gab sie an, sie habe Angst um das Leben ihrer Kinder gehabt und sie habe die Kinder nicht spielen lassen können und habe sie immer in die Schule begleiten müssen. Sie haben sie nicht in Ruhe gelassen und haben sie immer wieder bedroht. Ihr Mann sei früher ausgereist, sie sei nachgekommen. Auf die Frage, wieso sie nicht gemeinsam ausgereist seien, gab sie an, es habe finanzielle Probleme gegeben. Ihre Eltern seien alt und sie würden nur eine Rente beziehen. Ihr Mann habe sich 2.000.- Dollar ausgeborgt und so sei er ausgereist. Sie haben deswegen nicht gemeinsam ausreisen können. Zur Frage, warum sie eigentlich nicht mit ihrem Mann nach XXXX gezogen sei, brachte sie vor, sie habe keine Wohnmöglichkeit dort gehabt und sie habe auch ihre Schwiegereltern die ganze Zeit betreuen müssen. Sie habe noch Verwandte in Tschetschenien, die Brüder ihres Mannes leben in Russland. Ihre Eltern leben in Tschetschenien. Sie habe Kontakt mit ihren Eltern, sie telefoniere mit ihnen, sie seien schon ziemlich alt. Ihre Mutter sei krank, sie sei operiert worden, ein Gehirntumor sei entfernt worden. Sie sei ihren Kindern zuliebe nach Österreich gekommen, weil ihr Mann auch in Österreich gewesen sei und sie würde gerne mit ihrer Familie in Österreich bleiben und sie wünsche für ihre Kinder eine gute Zukunft. Sie habe keinen Deutschkurs besucht, weil es diese Möglichkeit nicht gegeben habe. Sie lerne mit ihren Kindern nach der Schule Deutsch. Sie lasse ihre Kinder nicht alleine zu Hause. Ihre Kinder besuchen die Schule. Sie besuchen die Schule gerne und würden sich freuen, dass sie in Österreich seien. Sie seien glücklich in Österreich. Der beste Freund ihres Sohnes sei ein Österreicher. Er lebe im gleichen Haus. Zur Frage, ob sie bei irgendwelchen Vereinen seien, gab sie an, dass sie, wenn sie die finanzielle Möglichkeit hätten, etwas für die Kinder organisieren würden. Aber sie leben privat und das Geld reiche dafür nicht. Ihre Tochter habe ständig Kopfschmerzen, ihr Sohn sei in XXXX operiert worden, sonst haben sie keine gesundheitlichen oder psychischen Probleme. Aus Angst um das Leben ihres Mannes und ihrer Kinder wolle sie nicht zurück, sie wolle in Österreich bleiben.

 

Sodann wurden den Verfahrensparteien gemäß § 45 Abs. 3 AVG ergänzend Dokumente (eine Analyse der Staatendokumentation Adat-Blutrache in Tschetschenien, eine ACCORD Anfragebeantwortung sowie ein Bericht des Danish Immigration Service zur Blutrache in Tschetschenien zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

 

Mit Schreiben vom 21.05.2012 ersuchte der Beschwerdeführer um Verlängerung der Frist zur Abgabe einer Stellungnahme, weil es ihm noch nicht möglich gewesen sei, Kontakt mit einer Rechtsberatung aufzunehmen.

 

Am 22.06.2012 langte ein handschriftliches Schreiben des Beschwerdeführers ein, in dem er im Wesentlichen vorbrachte, er habe nichts zu ergänzen. Er sei ein Gegner der Blutrache, es gebe allgemeinstaatliche Gesetze.

 

Über entsprechenden Antrag wurde mit Verfahrensanordnung von 06.08.2012 ein Rechtsberater bestellt. Von diesem ist trotz Zuwarten keine Äußerung eingelangt.

 

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.08.2012, GZ. D3 414754-1/2010/11E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

Beweiswürdigend wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zwar relativ umfangreich sei, jedoch nicht gleichbleibend, widersprüchlich und auch nicht plausibel nachvollziehbar, sodass der Asylgerichtshof auch vor dem Hintergrund der Länderberichte davon ausgehe, dass dieses Vorbringen nicht glaubwürdig sei:

 

So habe der Beschwerdeführer am 29.09.2008 anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesasylamt vorgebracht "...als sie sich geweigert hätten wegzugehen, hätte er eine Waffe, welche er zu Hause gehabt habe, geladen, um sie zu beeindrucken. Die beiden hätten jedoch ebenso Waffen gehabt, einer ein Messer und der andere eine Pistole, welche sie in den Hosentaschen gehalten hätten. In seiner Waffe hätte sich noch eine Platzpatrone befunden. Jedoch seien als alles beendet gewesen sei, drei Geschosse darinnen geblieben. Es habe bei ihm ein einläufiges Jagdgewehr gegeben. Die beiden seien auf ihn zugegangen und er sei vom Gang zurückgetreten.....Er habe sie gewarnt, dass er schießen würde, wenn sie wiederkämen. Einer sei zurückgekehrt und sie hätten ihn angegriffen. Darauf sei ein Schuss gefallen. Mit demjenigen, welcher die Waffe gehalten habe, hätte er zu raufen begonnen....Aber es seien trotzdem zwei Hülsen am Boden gelegen - nicht am Boden - sondern Kratzer am Bein, dh die Beine des Opfers seien von den Geschosshülsen zerkratzt gewesen, ein Bein sei getroffen gewesen. In der Hülse der Patrone sei hinten das Pulver und vorne die kleinen Kugeln. Durch zwei dieser Geschosse sei der Drogensüchtige an einem Bein getroffen worden. Auf Nachfrage wurde erklärt, dass es sich dabei offenbar um zwei Körner aus einer Schrotladung gehandelt habe müsse. ...Er sei nicht einmal festgenommen worden und es sei als Selbstverteidigung anerkannt worden, auch weil die beiden Schrotkugeln keine tödlichen Verletzungen hervorrufen hätten können..."

 

Diese Schilderung sei ungenau, auch widersprüchlich und nicht plausibel nachvollziehbar. So sei zunächst von drei Geschossen später von Geschosshülsen und danach von zwei Schrotkugeln die Rede, zunächst sei die Rede von beiden Beinen gewesen, später habe er angegeben, dass derjenige nur an einem Bein getroffen worden sei. Widersprüchlich seien auch seine Angaben darüber, dass die Waffe mit einer Platzpatrone geladen gewesen sei, einer der Angreifer jedoch durch Schrotkörner verletzt worden sei. Abwechselnd sei von zwei bewaffneten Männern und dann davon die Rede, dass er mit demjenigen, der die Waffe gehalten habe, zu raufen begonnen habe, weshalb auch seitens des Asylgerichtshofes nicht von der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens ausgegangen werde. Sein Vorbringen, dass es Probleme mit dem Dolmetscher gegeben habe, sei nicht nachvollziehbar, da er trotz entsprechender Belehrung nach wortwörtlicher Rückübersetzung der Niederschrift keine Berichtigungen oder Richtigstellungen vorgenommen habe.

 

Zudem habe er diesen Vorfall vor dem Asylgerichtshof derart geschildert, dass "...er ein Jagdgewehr zu Hause gehabt habe. Er habe diese Waffe verwendet, um Vögel zu erschrecken. Diese sei nicht mit Schrotkugeln, sondern mit Papier und Sprengstoff gefüllt gewesen. Es seien aber in der Waffe noch Schrotkugeln enthalten gewesen. Er habe sie gewarnt. Sie seien auf ihn losgegangen. Er habe dann geschossen. Später in der Verhandlung habe er erfahren, dass er einen der beiden am Fuß getroffen habe. Der ältere der beiden Brüder habe eine Pistole, der andere ein Messer gehabt, sie hätten die Hand in der Tasche gehabt. Er wisse sicher, dass der jüngere Bruder, der das Messer bei sich hatte, die Hand auch dort gehabt habe, wo das Messer gewesen sei...er habe nur gehört, dass er seinen Fuß verletzt habe. Er hätte das nicht gesehen, er habe das nur gehört."

 

Auch diese äußerst kurze Darstellung des Vorfalles sei nicht widerspruchsfrei, da er zunächst vorgebracht habe, die Waffe sei nicht mit Schrotkugeln geladen gewesen, sondern mit Papier und Sprengstoff, um im nächsten Satz vorzubringen, es seien aber in der Waffe noch Schrotkugeln enthalten gewesen. Abweichend von seinen Angaben vor dem Bundesasylamt habe er auch vorgebracht dass es sich bei den beiden Angreifern um Brüder gehandelt habe und auch sonst sei seine Schilderung des Vorfalles nicht gleich wie vor dem Bundesasylamt gewesen, da er vor dem Asylgerichtshof vorgebracht habe, er habe nur gehört, dass er einen Angreifer am Bein verletzt habe.

 

In seinem erstmaligen Vorbringen vor dem Asylgerichtshof, dass es zu einer formellen Ausrufung der Blutrache gekommen sei, er aber die Blutrache nicht angenommen habe, sei einerseits eine Steigerung seines Vorbringens enthalten und stehe andererseits der Nachsatz, dass sie diese nicht angenommen haben, im völligen Widerspruch zu seinem bisherigen Fluchtvorbringen.

 

Abgesehen davon sei vor dem Hintergrund der oa. Länderfeststellungen nicht plausibel nachvollziehbar, dass die beiden Brüder des Beschwerdeführers in XXXX im Gebiet von XXXX bei tatsächlichem Vorliegen einer Blutrache ohne Probleme leben können, der Beschwerdeführer jedoch nicht.

 

Insgesamt sei daher auch nach Auffassung des erkennenden Senates des Asylgerichtshofes nicht von der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers auszugehen.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und zu den persönlichen Daten des Beschwerdeführers basieren auf dem vorgelegten Reisepass und seinen diesbezüglich nachvollziehbaren Angaben bzw. Sprachkenntnissen im Zusammenhalt mit den Angaben seiner Lebensgefährtin und denen seines XXXX . Eine allfällige aktuelle Behandlung sei nicht vorgebracht oder durch ärztliche Atteste belegt worden, die vorgebrachten Kopfschmerzen werden der Entscheidung zu Grunde gelegt. Die Feststellung darüber, dass seine beiden Brüder nach wie vor in XXXX im Gebiet von XXXX leben, basiere auf den Angaben seines Bruder XXXX . Seine Unbescholtenheit ergebe sich aus der Einsichtnahme in den Strafregisterauszug, seine Lebensumstände in Österreich aus seinen diesbezüglichen Angaben beim Asylgerichtshof.

 

Rechtlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der vorstehenden Beweiswürdigung als unglaubwürdig erachtet worden sei, sodass die Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht gegeben seien. Es erscheine als nicht glaubwürdig, dass tatsächlich eine Blutrache gegen den Beschwerdeführer (bzw. seine Familie) vorliege, da - abgesehen von Widersprüchen und Unplausibilitäten in seinem Vorbringen- seine beiden Brüder offenbar ohne Probleme offiziell gemeldet im Gebiet von XXXX im Dorf XXXX leben und dort eine große Landwirtschaft betreiben. Unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer ebenfalls dort aufgewachsen sei und vor seiner Ausreise auch wieder mehrere Jahre (auch angemeldet) dort aufhältig gewesen sei, dort gearbeitet hat bzw. auch von seinen Brüdern unterstützt worden sei, erachte es der Asylgerichtshof als möglich und zumutbar, dass der Beschwerdeführer sich dort wieder niederlasse.

 

Auch aus dem Umstand, dass seinem Bruder XXXX zuerkannt worden sei, lasse sich für den Beschwerdeführer keine aktuelle asylrelevante Verfolgung ableiten, weil der Beschwerdeführer selbst nicht politisch tätig gewesen sei, weder gekämpft noch Kämpfer unterstützt habe, außerdem auch keine derartige Verfolgung oder Gefahr einer Verfolgung geltend gemacht habe und sich überdies ebenso wie seine beiden anderen Brüder wieder nach XXXX ins Dorf XXXX begeben könne.

 

Es liege nach Ansicht des erkennenden Senates bei ihm aufgrund seiner persönlichen Umstände zudem eine zumutbare inländische Fluchtalternative vor. XXXX stelle für den Beschwerdeführer ein konkretes risikofreies Gebiet dar und sei durch die Abwesenheit des Verfolgers sowie Stabilität und Sicherheit von Dauer gekennzeichnet. Allein in dem Umstand, dass bei der Anmeldung in XXXX allenfalls Geld zu bezahlen sei, könne noch keine asylrelevante Verfolgung erblickt werden. Das in Rede stehende Gebiet sei jedenfalls auch auf legalem Wege erreichbar und sei ein Leben dort auch ohne unzumutbare Härten möglich, zumal der Beschwerdeführer dort auch bereits im Rahmen der "Schattenwirtschaft" gearbeitet habe und eine derartige Tätigkeit auch nach der Judikatur des Deutschen Bundesverwaltungsgerichtshofes, wie es in den obigen Länderfeststellungen verzeichnet sei, durchaus zumutbar sei. Wie weiters aus den obigen Länderfeststellungen ersichtlich sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer oder Familienmitglieder anderer einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen. In XXXX im Dorf XXXX leben offiziell zwei Brüder des Beschwerdeführers und betreiben dort eine große Landwirtschaft, sodass von einem gesicherten wirtschaftlichen Hintergrund ausgegangen werden könne.

 

Die Beschwerde zu Spruchteil I. sei daher auch wegen des Vorliegens einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative abzuweisen.

 

Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall die vorgebrachte Bedrohung iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 schon deshalb nicht vorliege, weil der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Im Hinblick auf die gegebenen Umstände könne ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkannt werden. Nach den Feststellungen herrsche in Tschetschenien derzeit keine Bürgerkriegssituation mehr und drohe auch nicht jedem, der in diesen Staat abgeschoben werde (automatisch) eine Gefahr für Leib und Leben in einem Maße, die eine Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK von vorn herein als unzulässig erscheinen würde (vgl. auch AsylGH v. 03.06.2009, Zl. D3 307975-1/2008/20E, AsylGH v. 26.05.2009, Zl. D3 266048-2/2008/11E, AsylGH v. 03.06.2009, Zl. D11 265-0/2008/4E, AsylGH v. 21.10.2008, Zl. C5 251069-0/2008/25E u.a.). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die im Lichte des § 8 zu beurteilende Bedrohungssituation nach § 57 Fremdengesetz (nunmehr § 50 FPG) durch ein konkretes, personenbezogenes, glaubwürdiges und mit allfälligen Bescheinigungsmitteln untermauertes Vorbringen darzutun. Auf die konkrete Frage des vorsitzenden Richters in der Beschwerdeverhandlung, was mit ihm geschehen würde, wenn er in die Russische Föderation zurückkehren würde, behauptete er, dass für ihn Lebensgefahr bestehe und dass er befürchte dort entweder getötet oder gefoltert zu werden. Dies sei jedoch nicht plausibel nachvollziehbar, da das Vorliegen einer Blutrache als nicht glaubwürdig erachtetet worden sei, und widerspreche auch den obigen Ausführungen über das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative.

 

Bei dem Beschwerdeführer handle es sich um einen jungen und im Wesentlichen gesunden arbeitsfähigen Mann, der auch im Herkunftsland schon in Bereichen gearbeitet habe. Vor seiner Ausreise sei er in XXXX in der Landwirtschaft tätig gewesen und habe auch sonst diverse Arbeiten verrichtet. Er verfüge in XXXX über zwei Brüder, welche eine große Landwirtschaft betreiben, sodass er jedenfalls bei seiner Ankunft dort mit einer entsprechenden Unterstützung rechnen könne. Es sei daher anzunehmen, dass er auch bei einer Rückkehr nach XXXX , dort allenfalls auch durch Gelegenheitsarbeiten das zum Überleben notwendige Existenzminimum erwirtschaften könne und seien daher keine Umstände hervorgekommen, die dafür sprechen würden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine derart ausweglose Lage geraten würde, die in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK fallen würde.

 

Zu den vorgebrachten Kopfschmerzen sei zunächst darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nicht angegeben habe, in Behandlung zu stehen. Im Übrigen sei grundsätzlich eine Behandlung von Kopfschmerzen nach den vorstehenden Länderfeststellungen auch im Herkunftsland möglich.

 

Die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle keinen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK dar.

 

Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.08.2012 erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

 

2. Zweites Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

 

Am 07.08.2013 wurden der Beschwerdeführer und seine Familie gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich rücküberstellt.

 

Der Beschwerdeführer stellte am 09.08.2013 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ("Folgeantrag") und wurde dazu am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Er gab an, Österreich nach Abschluss des ersten Asylverfahrens verlassen zu haben, da er einen negativen Bescheid erhalten habe und ihm und seiner Familie mitgeteilt worden sei, binnen zwei Wochen Österreich zu verlassen. Sie seien am 10.01.2013 mit dem Zug nach Deutschland gefahren, wo sie einen Asylantrag gestellt haben. Am 07.08.2013 seien sie von den deutschen Behörden nach Österreich abgeschoben worden.

 

Er stelle neuerlich einen Asylantrag, weil er nicht in seine Heimat zurückkehren könne. Seine ersten Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht. Sein Rechtsanwalt in Deutschland habe einige Fehler im österreichischen Asylverfahren gefunden und ihm mitgeteilt, dass in Österreich sein Verfahren neu geprüft werden müsse. Dies habe er ihm am 20.03.2013 oder 20.04.2013 mitgeteilt. Er habe von diesem Rechtsanwalt auch eine "Beschwerde" für die deutschen Behörden erhalten und er habe ihm mitgeteilt, dass die österreichischen Behörden diese Beschwerde ebenfalls prüfen sollen.

 

Im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte der Beschwerdeführer gefoltert und getötet zu werden.

 

Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 19.08.2013 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation im Allgemeinen und Tschetschenien im Besonderen übermittelt und Gelegenheit gegeben, bis zum 04.09.2013 dazu schriftlich Stellung zu beziehen.

 

Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 bzw. § 15a AsylG 2005 iVm § 63 Abs. 2 AVG vom 22.08.2013 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da entschiedene Sache im Sinnes des § 68 AVG vorliege.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 22.08.2013 vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen und gab an, dass er sich psychisch und physisch in der Lage sehe, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen.

 

Derzeit befinde sich der Beschwerdeführer in einem "Abschiebelager" in Österreich. Er sei derzeit nicht in der Grundversorgung. Er sei nicht berufstätig und auch nie gewesen. Er habe Deutschkurse besucht und spreche ein wenig Deutsch. Ein Österreich leben ein Bruder sowie zwei Schwestern des Beschwerdeführers. Neffen und Nichten leben auch hier. Ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu diesen bestehe nicht. Die Ehefrau und zwei Kinder des Beschwerdeführers leben auch in Österreich.

 

Im Herkunftsstaat leben der Vater, drei Schwestern sowie zwei Brüder des Beschwerdeführers.

 

Der Beschwerdeführer stelle neuerlich einen Asylantrag, weil man ihn von Deutschland nach Österreich zurückgebracht habe und er in seine Heimat ausgeliefert und getötet werde, wenn er nicht wiederum Asyl beantrage. Er versuche sein Leben und das Leben seiner Familie zu retten. Es gäbe keine Änderung seines bereits im Erstverfahren angegebenen Fluchtgrundes. Es habe sich aber noch verschlimmert. Im ersten Interview im ersten Verfahren habe er nicht dargelegt, dass er im ersten Krieg teilgenommen habe. Er habe es nicht gesagt, weil es damals einen Skandal mit einem Mitarbeiter des FSB gegeben habe, der im Zentralarchiv der Asylbehörde in Österreich gearbeitet habe. So sei es dem Beschwerdeführer gesagt worden. Deshalb habe er es verschwiegen. Hätte der Beschwerdeführer es gesagt und derjenige sitze dort, schicke alles nach Russland, dann hätte er zuhause Probleme bekommen. Jetzt wissen die Kadirov Leute, dass er im ersten Krieg teilgenommen habe. Im zweiten Krieg habe er dagegen aktiv nicht teilgenommen, sei aber zugeschrieben der Kommandokompanie der Stadt XXXX gewesen. Im ersten Krieg sei er Mitglied der Landwehr (Opoltschenie) der Republik Itschkeria gewesen. Er werde bis zu seinem Lebensende ein Itschkerianer bleiben. Die Kadirov Leute wissen seit ca. einem Jahr, dass er im ersten Krieg teilgenommen habe. Einer seiner ehemaligen Kameraden, XXXX , sei zur anderen Seite gewechselt, auf die Seite von Kadirov. Kadirov habe geschworen jeden umzubringen, selbst wenn er nur mit dem Herzen bei den anderen gewesen sei.

 

Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte der Beschwerdeführer den Tod. Aber noch mehr fürchte er Folter. Es gäbe die Kadirov Leute, er hätte keine Chancen. Und die Bluträcher, jene die Blutrache machen. Der Beschwerdeführer habe deshalb davon erfahren, dass die Kadirov Leute wissen, dass er beim ersten Krieg teilgenommen habe, weil sie im November vorigen Jahres zum Vater und zum Nachbarn gekommen seien und nach dem Beschwerdeführer gefragt haben. Wie oft wisse er nicht. Beweismittel dafür gäbe es keine. In diesem Fall schicken sie keine Ladung, die kommen selbst. Nicht nur ein oder zwei Personen, sondern eine ganze Gruppe, eine ganze Einheit. Der neue Präsident Kadirov will alle Itschkerianer verfolgen oder sie auf seine Seite bringen. Um in der Geschichte Tschetscheniens als Präsident zu stehen und nicht als nationaler Verräter.

 

In Österreich habe der Beschwerdeführer Verwandte und Freunde. Er habe sich schon an dieses Land gewöhnt. Abgesehen von Kadirov gäbe es noch die Bluträcher, die er nicht weniger fürchte. Kadirov kann vielleicht nicht mehr Präsident sein, aber die Bluträcher bleiben. Er habe die Bluträcher bereits im Erstverfahren angegeben. Dazu habe sich nichts geändert. Das einzige was er hinzufügen möchte, die Bluträcher seien Verwandte von ihm, die leben hundert Meter entfernt von ihm. Im Erstverfahren habe er nicht erzählt, dass es Verwandte seien. Er habe bewusst keine Familiennamen genannt. Es seien zwei Cousins zweiten Grades, XXXX .

 

Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass seitens des Bundesasylamtes beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu seinem Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergeben habe. Dazu wurde ihm die Möglichkeit geboten Stellung zu nehmen.

 

Der Beschwerdeführer legte weiters ein Konvolut an ärztlichen Bestätigungen, Schreiben bzw. Unterlagen vom deutschen Asylverfahren sowie Bestätigungen vor.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 04.09.2013 vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Rahmen des Parteiengehörs niederschriftlich einvernommen und befragt, ob er Dokumente oder Beweismittel habe, die er bisher noch nicht vorgelegt habe. Der Beschwerdeführer legte Fotos vor auf einem sein Onkel, XXXX zu sehen sei, er sei Kommandant in ihrem Dorf, jetzt sei er in Frankreich als Flüchtling anerkannt. Auf dem zweiten Foto sei auch sein Onkel und sein Sohn XXXX welcher auch in Frankreich als Flüchtling anerkannt sei. Weiters habe er einen Artikel aus dem Internet, XXXX , und einen weiteren Artikel aus dem Internet, ichkeria.info, beide Artikel betreffen seinen Neffen XXXX , der sich derzeit in der Russischen Föderation in Haft befinde, weil er verdächtigt werde, gemeinsam mit weiteren Personen einen Sprengstoffanschlag verübt zu haben. Der Sprengstoffanschlag sei XXXX geschehen. Dieser Neffe sei zu einem Geständnis erpresst worden, damit er den Anschlag zugebe. Aus diesen Berichten gehe hervor, dass er dies unter Folter getan habe und bei Gericht die Anschuldigungen abstreiten werde. Der Beschwerdeführer selbst werde in den Berichten nicht erwähnt. Dies sei ein Beweis dafür, dass sie als Familie XXXX bei den Behörden in Tschetschenien als mutmaßliche Terroristen gelten und deswegen werden alle Mitglieder der Familie XXXX verfolgt. Nur einer der Familie XXXX mit dem Vornamen XXXX habe sich den Behörden ergeben und sei jetzt auf der Seite des Kadirov. Dieser habe bei den Behörden gegen den Beschwerdeführer und seine Familie belastende Aussagen gemacht. Das sei in diesem Jahr gewsen, aber das genaue Datum könne er nicht angeben. Er sei ja nicht dabei gewesen, er wisse ja nicht welche Aussagen er wann gemacht habe. Er sei schon seit fünf Jahren in Österreich. Mit dem Schriftstück von Asyl in Not wolle er beweisen, welches Schicksal ihn und seine Familie bei einer Rückkehr nach Tschetschenien erwarte. Er werde in dem Schriftstück von Asyl in Not nicht persönlich erwähnt. Auch habe er noch ein Schriftstück über die aktuelle Lage in Tschetschenien, er persönlich werde darin nicht erwähnt. Er habe hier in Österreich einen Landsmann XXXX , er sei in derselben Unterkunft wohnhaft wie der Beschwerdeführer, der bestätigen könne, dass er an den Kämpfen 1995 in Tschetschenien teilgenommen habe.

 

Der Beschwerdeführer wurde in dieser Einvernahme erneut darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen. Er habe nun die Gelegenheit, dazu noch einmal Stellung zu beziehen. Der Beschwerdeführer führte aus, er habe in seinem ersten Verfahren nicht davon erzählt, dass er an den Kampfhandlungen in Tschetschenien im Jahr 1995 teilgenommen habe. Er habe damals kein Wort darüber erwähnt, weil ein Tschetschene namens XXXX , beim Vornamen sei er sich nicht sicher, XXXX oder XXXX , Oberst, im Archiv in Wien beschäftigt gewesen sei. Er wisse nicht genau wo sich die österreichischen Archive zu den Asylverfahren in Österreich befinden, aber dort sei er beschäftigt gewesen. Deswegen habe er sich nicht getraut, von der Teilnahme an den Kampfhandlungen zu erzählen. Somit habe er jetzt neue Gründe. Und die Asylbehörden wollen ihm aufgrund der alten Gründe einen negativen Bescheid geben. XXXX sei damals ein Oberst beim FSB gewesen, als er seinen ersten Asylantrag gestellt habe im Jahr 2008. Er habe gemeinsam mit seinem Onkel XXXX und seinem Cousin XXXX , an den Verhandlungen zum Austausch von Kriegsgefangenen 1995 bzw. 1996 teilgenommen. Damals sei XXXX das Oberhaupt des Generalstabes in Tschetschenien gewesen. Später sei er zum Präsidenten von Tschetschenien geworden. Der Beschwerdeführer sei auf der Seite des XXXX gewesen und habe bei den Verhandlungen für die Sicherheit gesorgt. Er könne keine diesbezüglichen Beweise vorlegen oder holen. Wenn die Leute gefoltert werden um Geständnisse abzulegen, oder sogar Taten zuzugeben, die sie nicht verübt haben, dann halten sie es nicht aus und geben auch Straftaten zu, die sie nicht verübt haben. Wenn er in seine Heimat zurückgehe, werde ich sicher gefoltert und er fürchte um mein Leben. Sollte ich abgeschoben werde, werden die Kadirov Leute ihn so lange foltern, bis er alles gestanden habe und dann werde er sicher bald beseitigt werden. Wenn das schnell vor sich gehe, sei das nicht so schlimm, aber man habe ja nicht die Auswahl. Er habe Angst, dass sie ihn langsam vernichten.

 

Befragt wie der Beschwerdeführer darauf komme, dass ein tschetschenischer Oberst des FSB beim österreichischen Archivamt für Asyl tätig gewesen sei, sagte der Beschwerdeführer, darüber sei in allen österreichischen Medien gestanden und die Grünen haben auch deswegen einen Wirbel gemacht. Landsleute von ihm haben ihn in Österreich erkannt. Das sei 2008 gewesen, kurz nachdem der Beschwerdeführer nach Österreich gekommen sei. Er sei zu Beginn circa zwei Wochen in XXXX gewesen und sei danach nach XXXX überstellt worden, er könne sich nicht erinnern, wer ihm das erzählt habe, aber von Landsleuten kurz nach seiner Ankunft in XXXX . Er habe diese Informationen dem Bundesasylamt natürlich nicht mitgeteilt. Er sei neu im Land gewesen und habe sich bei diesem System nicht ausgekannt.

 

Befragt, ob er zu den Länderberichten eine Stellungnahme abgeben möchte sagte der Beschwerdeführer, die Leute flüchten massenweise aus Tschetschenien. Deutschland sei schon überfüllt mit Flüchtlingen aus Tschetschenien. Hauptsächlich die jungen Leute flüchten. Auch die Mitarbeiter von Kadirov flüchten. Informationen über die aktuelle Lage in Tschetschenien habe er bereits in schriftlicher Form gegeben. Deutschland habe vor Ermittlungen durchzuführen, warum so massenhaft Menschen aus Tschetschenien flüchten.

 

Die Frage, ob er momentan in ärztlicher Behandlung sei, verneinte der Beschwerdeführer. Er habe auch keine Versicherung. Er sei nicht in Behandlung. Für den 06.09.2013 habe er einen Termin bei einem Psychiater. Er wisse aber nicht, ob er dort einen Platz bekomme, Leuten aus seiner Unterkunft sei gesagt worden dass sie nicht mehr hinkommen brauchen, ihm persönlich sei das nicht gesagt worden, aber angeblich werden dort Leute aus seiner Unterkunft nicht mehr behandelt. Er gehe aber hin. Der Beschwerdeführer legte medizinische Befunde von seinem Aufenthalt in Deutschland vor, unter anderem ein Fachärztliches Attest eines Nervenarztes vom 31.07.2013, wonach der der Beschwerdeführer an "Angst und Depression gemischt (F41.2) und Andauernder Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) leide.

 

Dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, sofort nach Erhalt alle Befunde, Arztbriefe etc. dem Bundesaslyamt, EAST Ost, vorzulegen.

 

Am 17.10.2013 und 05.11.2013 wurde der Beschwerdeführer von einer Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin, einer Untersuchung unterzogen, aufgrund derer beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung, F43.22, depressive Reaktion mit ängstlicher Komponente bzw. paranoider Ideen auf dem Boden einer seit der Kindheit bestehenden neurotischen Persönlichkeitsentwicklung mit histrionischen Zügen bzw. paranoiden Tendenzen diagnostiziert worden sei. Eine therapeutische oder medizinische Maßnahme sei derzeit nicht zwingend erforderlich. Eine Verschlechterung sei nicht auszuschließen, eine akute Selbstgefährdung liege im Begutachtungszeitpunkt nicht vor.

 

Die gutachterliche Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer am 15.11.2013 vom Bundesasylamt persönlich ausgefolgt und eine Stellungnahmefrist von vier Tagen eingeräumt.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.11.2013, Fz. 13 11.509-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalem Schutz vom 09.08.2013 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

 

Die belangte Behörde stellte die Identität und Nationalität des Beschwerdeführers fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat.

 

Beweiswürdigend wurde hinsichtlich der Person des Beschwerdeführers festgehalten, dass seine Identität bereits im Erstverfahren festgestellt werden habe können. Diesbezüglich haben sich im gegenständlichen Verfahren keine Hinweise auf davon abweichende Sachverhalte ergeben. Unter diesen Gesichtspunkten sei nach wie vor von der feststehenden Identität auszugehen.

 

Sein in den Feststellungen angeführter psychischer Zustand ergebe sich aufgrund seiner Untersuchung am 17.10.2013 und 05.11.2013 durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, zu deren Qualifikation folgendes anzumerken sei: Neben einem erworbenen Psy-III-Diplom könne die untersuchende Ärztin auf ihrem Fachgebiet auch auf ihre Qualifikation als allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige verweisen. Zudem verfüge sie über mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Exploration von allenfalls vorhandenen psychischen Störungen bei Asylwerbern. Unter diesen Gesichtspunkten sei gewährleistet, dass die Untersuchung am 17.10.2013 und 05.11.2013 durch eine ausreichend qualifizierte Fachkraft erfolgt sei. "Als fachlich qualifizierter Sachverständiger Arzt zur Beurteilung der psychischen Störung nach diesem Bundesgesetz wird sowohl ein Facharzt der Psychiatrie, ein Facharzt für Psychiatrie-Neurologie oder ein Facharzt für Neurologie-Psychiatrie, ein praktischer Arzt mit dem "PSY III-Diplom" angesehen werden können. Zum Begriff des "PSY III-Diploms" siehe auch die Diplomordnung der Österreichischen Ärztekammer vom 12. 12. 2003 in der Fassung vom 3. 12. 2004 (Rechtsgrundlage § 118 Abs. 2 Z 3 ÄrzteG) und die Diplomordnung-ÖÄK-Psy-Diplome vom 24. 11. 2004." (Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage" (kurz: EBRV) hinsichtlich § 30 AsylG 2005).

 

 

 

An dieser Stelle wurde diverse Judikatur zu Art 3 EMRK zitiert und kurz zusammengefasst ausgeführt, dass betreffend seinen psychischen und physischen Zustand darauf hinzuweisen sei, dass sich aus dem gesamten vorliegenden Sachverhalt insgesamt kein Anhaltspunkt dafür ergebe, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen lebensgefährlich Erkrankten handle und daher eine Abschiebung in sein Heimatland von vornherein als unzulässig angesehen werden müsse. Weiters sei für ihn bei Bedarf in seinem Heimatland Behandlungsmöglichkeiten gegeben, ebenso sei die unerlässliche medizinische Versorgung gewährleistet. Dass ihm der Zugang zu allenfalls erforderlichen Behandlungen in Russische Föderation verwehrt wäre, habe sich im Verfahren nicht ergeben. Ebenfalls zu berücksichtigen sei, dass laut Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 06.03.2008, Zl. B2400/07-9, der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung seiner durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen könnte, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts. In seinem Fall liegen weder die vom Verfassungsgerichtshof beispielhaft angeführten und einem Transport entgegenstehenden Hindernisse, noch schwerwiegende und diesen gleichzusetzende Beeinträchtigungen vor, welche im Zusammenhang mit einem Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen. Es könne daher im gegenständlichen Fall zusammenfassend nicht gesagt werden, dass durch eine Rückverbringung in die Russische Föderation die – über eine bloße Möglichkeit hinausgehende Gefahr– einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Hinsichtlich des nunmehrigen neuen Vorbringens wurde beweiswürdigend ausgeführt, die Feststellung, dass er im gegenständlichen Verfahren keinen nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens neu entstandenen und asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht habe, ergebe sich aus seinen Angaben bei der Erstbefragung am 09.08.2013 und bei der Einvernahme am 22.08.2013 und 04.09.2013 zum gegenständlichen Verfahren. Im gegenständlichen Asylverfahren habe er keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt vorgebracht. Vielmehr stütze er sich auf die bereits im ersten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren behauptete und noch aufrecht erhaltene Verfolgungssituation, insbesondere habe er weiterhin angegeben, aufgrund Blutrache in seinem Heimatland umgebracht werden zu sollen. Sein jetziges Vorbringen, wonach die Blutrache von seinen eigenen Cousins in seinem Heimatland ausgehen solle, stehe jedenfalls in einem untrennbaren Zusammenhang mit seinen anlässlich des Erstverfahrens als völlig unglaubwürdig erachteten Angaben. Hieraus folge notwendigerweise, dass für ihn auch mit Folgebehauptungen, die auf die als nicht glaubhaft erachteten Fluchtgründe aufbauen bzw. diese bekräftigen sollen, nichts zu gewinnen sei. Werde nämlich die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und beziehe sich der Beschwerdeführer auf sie, so liege nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es werde der Sachverhalt bekräftigt, bzw. seine "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet, über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei (iSd Erkenntnisses des VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480). Mit dem zweiten Asylantrag werde daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 7.6.2000, 99/01/0321).

 

Im gegenständlichen Verfahren habe er nun den zusätzlichen Fluchtgrund vorgebracht, dass er im ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen habe, er im Falle einer Rückkehr den Tod durch Kadirov Leute befürchte, sowie er im ersten Verfahren nicht angegeben habe beim ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen zu haben, weil es damals einen Skandal mit einem Mitarbeiter des FSB gegeben habe, der im Zentralarchiv der Asylbehörde in Österreich gearbeitet habe, er es nicht gesagt habe, da derjenige alles nach Russland geschickt habe. Zu seinem nun ergänzend vorgebrachten Rückkehrhindernis sei zu bemerken, dass es jeder Lebenserfahrung widerspreche, dass ein durchschnittlich sorgfältiger Asylwerber Angaben wider besseren Wissens verschweige, da man von einer Person, welche tatsächlich im Herkunftsstaat Verfolgung erfahren hätte bzw. solche befürchten würde, erwarten müsse, dass sie ein derartig wichtiges Faktum nicht dermaßen leichtfertig in jenem Staat verschweige, von dem sie sich Schutz erwartet und obendrein noch bewusst falsche Angaben machen würde, indem sie wissentlich fälschlich eine diesbezügliche Frage seitens des befragenden Organs wahrheitswidrig beantworte. Weiters seien auch seine Aussagen, diese Angaben aus Angst nicht erwähnt zu haben, nicht glaubhaft. Er sei in seinem Erstverfahren mehrmals ausführlichst einvernommen worden und hätte allenfalls auch bei Bedenken seinerseits die Möglichkeit gehabt, seine Bedenken zu nennen. Gerade von einem juristischen Laien müsse vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine solche Person über das Asylrecht in allen Einzelheiten nicht im vorhinein informiert sei, davon ausgegangen werden, dass ein solcher Mensch im Bestreben, seine Position im Asylverfahren nicht zu gefährden, auf eine Frage seitens der Asylbehörde nach dem Bestehen eines nicht unwesentlichen Sachverhaltselements spontan und freiwillig wahrheitsgemäß beantworte, anstatt diesen besseren Wissens zu verschweigen, weil es auch einem juristischen Laien aus seiner Wissenssphäre notorisch erkennbar sei, dass wahrheitswidrige Angaben die Glaubwürdigkeit im Asylverfahren und somit seine Position im Asylverfahren beeinträchtigen. Es sei daher gerade von einer solchen Person zu erwarten, dass sie von sich heraus auch aus der Laiensphäre betrachtet am Verfahren mitwirke und wahrheitsgemäß über tatsächlich Geschehenes bereitwillig Auskünfte erteilt. (vgl. auch UBAS 300.443-2/3E-XVIII/58/08)

 

Darüber hinaus sei erwähnt, soweit er bei der Einvernahme am 22.08.2013 erstmalig angegeben habe, dass er im ersten Tschetschenen Krieg teilgenommen habe und er im Falle einer Rückkehr den Tod durch Kadirov Leute befürchten würde, sei anzuführen, dass er auch bei seiner ersten Möglichkeit im gegenständlichen Verfahren bei seiner Erstbefragung am 09.08.2013 dies anzugeben kein Wort darüber verloren habe. Sein diesbezügliches Vorbringen sei für das Bundesasylamt nicht glaubhaft, nachdem er diese Angaben lediglich auf Behauptungen stütze, welche sich zudem als gesteigert darstellen. Bei der Erstbefragung am 09.08.2013 habe er derartige Behauptungen nicht getätigt. Auch der VwGH gehe davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden könne. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 7.6.2000, 2000/01/0250).

 

Nach einer Gesamtbetrachtung, samt (unglaubwürdigen) Erstverfahrens (II. Instanz rechtskräftig) sowie den Angaben im gegenständlichen Verfahren, komme die erkennende Behörde somit zum Erkenntnis, dass der Beschwerdeführer keinen glaubhaften und neu entstandenen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach Abschluss seines Erstverfahrens entstanden wäre.

 

Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 02.12.2013 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften durch Abgehen vom Akteninhalt und Ignorieren des Parteienvorbringens sowie durch unrichtige Beweiswürdigung aufgrund unrichtiger Tatsachenfeststellung. Der Beschwerdeführer wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und machte geltend, es entspreche nun den Tatsachen, dass er hinsichtlich seines Asylfalles neue Tatsachen mitgeteilt habe, auch solche – etwa was den Oberst des FSB anlange – für die er keine Beweise habe. Aus der Art des Vorbringens ergebe sich jedoch, dass dieses entscheidungserheblich sei, ein Nichtbeachten des Vorbringen komme daher einer rechtswidrigen Verkürzung des Erhebungsverfahrens gleich und trage dafür die Erstbehörde die Verantwortung. Es werde daher beantragt, dass der Asylgerichtshof das Vorbringen durch einen Vertrauensanwalt an Ort und Stelle überprüfen lasse.

 

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.02.2014, GZ. W223 1414754-2/6E, wurde der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.05.2014, W223 1414754-2/7E, wurde die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 iVm Abs 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

 

Dieses Erkenntnis erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

 

3. Drittes, verfahrensgegenständliches Verfahren:

 

Am 13. September 2014 brachte der Beschwerdeführer seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz ein und begründete seine Motivation damit, dass er am Vortrag einen RSA-Brief der belangten Behörde erhalten habe, mit welchem er zur Ausreise verpflichtet worden sei. Als Grund für seine neuerliche Antragstellung führte er aus, er könne nicht in seine Heimat zurückkehren, da er von den russischen Behörden in Tschetschenien verfolgt und gesucht werde. Im Falle einer Rückkehr würde er gefoltert, getötet oder verschleppt werden. Als neuen Fluchtgrund brachte er vor, vor etwa drei Monaten seien Männer von Kadyrov zu seinem Vater nach Hause gekommen und hätten diesem mitgeteilt, dass sie ein neues Angebot für ihn hätten. Als ehemaliger Kämpfer im Tschetschenienkrieg würden sie den Beschwerdeführer in die Ukraine schicken um auf der russischen Seite zu kämpfen. Falls er dieses Angebot annehme, würden sämtliche alten Sanktionen gegen ihn, sprich seine alten Fluchtgründe, annulliert werden. Zusätzlich würden sie ihm mit 200.000,- Rubel monatlich und 200 USD täglich entlohnen. Die Leute von Kadyrov seien ein zweites Mal zu seinem Vater gekommen. Über seine Probleme und Verfolgungsgründe seitens der russischen Behörden habe er bereits in seinen früheren Befragungen berichtet. Erfahren habe er dies in einem Telefonat mit seinem Vater vor ca. drei Monaten. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er einen neuen Asylantrag stellen könnte. Er habe die Antwort auf seine Berufung abgewartet.

 

Zu Beginn einer niederschriftlichen Einvernahme am 5. Mai 2015 legte der Beschwerdeführer für sich und seine Familie vier Bestätigungen über besuchte Deutschkurse, zwei Empfehlungsschreiben, ein Schreiben über seine Mitgliedschaft bei den XXXX und zwei Schulbesuchsbestätigungen seiner Kinder vor.

 

In seiner Heimat habe er als Bauer gearbeitet, er habe eine Viehzucht mit Kühen und Schafen betrieben und sei auch in der Landwirtschaft tätig gewesen. Von dieser beruflichen Tätigkeit habe er mit seiner Familie gut leben können.

 

Seine Frau und die gemeinsamen Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe sondern seien wegen seiner Gründe hier. Er stelle nunmehr seinen dritten Antrag in Österreich, da seine bisherigen Anträge negativ entschieden worden seien. Die neuen Gründen habe er bereits genannt und würden die bisherigen Gründe der Wahrheit entsprechen. Als neuen Grund führe er nunmehr aus, dass Leute von Kadyrov im Sommer 2014 zu seinem Vater gekommen seien; diese würden wissen, wo sich er Beschwerdeführer befinde. Woher sie dies wissen, könne sich der Beschwerdeführer selber nicht erklären. Sie hätten seinem Vater gesagt, dieser solle dem Beschwerdeführer ausrichten, dass er in seiner Heimat amnestiert werden würde, dafür solle er in die Ukraine fahren um zu kämpfen. Sie würden dafür monatlich 200.000 Rubel und 200 US Dollar täglich bezahlen, und auch alles was der Beschwerdeführer im Zuge dieser Tätigkeit (Raubzug) in die Hände bekäme. Nach deren letzten Besuch bei seinem Vater im November XXXX habe dieser einen Schlaganfall erlitten.

 

Man könne nicht behaupten, dass er ein "Superkämpfer" sei, er zähle zu jenen, die im ersten Tschetschenienkrieg die Russen besiegt hätten. Das Angebot erfülle eigentlich zwei Zwecke: zum einen würden ehemalige Kämpfer für ein unabhängiges Tschetschenien beseitigt werden, zum anderen würde man so die Ostukraine erobern. Erfahren habe er dies Angebot in einem Telefonat mit seinem Vater. Der Beschwerdeführer habe seinem Vater geantwortet, dass er mit diesem Angebt nicht einverstanden sei. Befragt, woher die Leute von Kadyrov wissen sollten, wo sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhalte, antwortete dieser er wisse dies nicht. Vielleicht würden die Telefone in der Russischen Föderation abgehört werden, vielleicht das Telefon seines Vaters. Es könne aber auch sein, dass Kadyrov Leute hier in Österreich habe. Über Vorhalt, dass er in einem solchen Fall doch auch in Österreich um sein Leben fürchten müsse, antwortete der Beschwerdeführer, sie hätten wahrscheinlich noch keinen Befehl erhalten. Sollten sie einen Befehl erhalten, würden sie ihn auch umbringen. Eine Niederlassung innerhalb der Russischen Föderation habe keinen Sinn, innerhalb der gesamten Föderation habe Kadyrov grünes Licht. Der Beschwerdeführer habe sogar das Gefühl, dass Kadyrov auf der ganzen Welt grünes Licht habe. Befragt nach den angedrohten Konsequenzen durch die Kadyrov Leute für den Fall der Nichtannahme des Angebotes führte der Beschwerdeführer aus, sein Vater habe ihn nicht im Detail erzählt, was diese genau gesagt hätten.

 

Dem Beschwerdeführer wurde schließlich vorgehalten, dass seine zuvor vorgebrachten Fluchtgründen seitens des Bundesverwaltungsgerichts für unglaubwürdig erachtet wurden, woraufhin er antwortet, dies könne durchaus passieren, es sei aber die Wahrheit.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. November 2015, Zl. 13-831150909-14967912/BMI-BFA_STM_RD, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 13. September 2014 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde kurz zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung(sgefahr) glaubhaft gemacht habe. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates hätten sich als unglaubwürdig erwiesen. Weiters lägen keine Anhaltspunkte vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe oder mit dieser für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes einhergehe. Im Hinblick auf die Ausweisungsentscheidung führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer illegal eingereist sei und nahe Angehörige im Herkunftsstaat habe, weshalb seine Ausweisung zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben. Die erstinstanzliche Erledigung wurde unter näherer Begründung wegen Rechtswidrigkeit infolge mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften vollinhaltlich angefochten.

 

Am 3. Oktober 2017 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, seine Ehegattin und insbesondere deren Kinder, eines davon nunmehr volljährig, eines knapp vor Vollendung der Volljährigkeit im Beisein der Mutter sowie eine geeignete Dolmetscherin teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte mit Schreiben mitgeteilt, keinen Vertreter zu entsenden. Im Rahmen der Verhandlung wurden der Beschwerdeführer und dessen Ehegattin und wie erwähnt die gemeinsamen Kinder zu Ausreisegründen und Lebensumständen im Herkunftsstaat, sowie zum Gesundheitszustand und Leben in Österreich befragt.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannten Personalien und ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er ist Lebensgefährte der Beschwerdeführerin zu W147 1414755-3 und Vater dreier gemeinsamer Kinder, den BeschwerdeführerInnen zu W147 1414756-3, W147 1414757-3 und W147 2118213-1.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

 

Der Beschwerdeführer leidet eigenen Angaben zufolge zum Entscheidungszeitpunkt an Migräne, somit an keinen chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Dem Beschwerdeführer ist eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich.

 

Der unbescholtene Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes Grundkenntnisse der Deutschen Sprache angeeignet und lebt von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat – mit Ausnahme seiner Lebensgefährtin und seiner Kinder, deren Beschwerden mit heutigem Tag ebenfalls als unbegründet abgewiesen wurden ? keine Angehörigen im Bundesgebiet, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt oder zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Im Falle des Beschwerdeführers konnten keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt und kann auch vor dem Hintergrund seiner Aufenthaltsdauer von keiner besonderen Verfestigung im Bundesgebiet gesprochen werden.

 

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

 

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

 

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

 

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen – bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne – sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl – 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) – ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

 

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

 

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

 

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS – v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats – festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia – hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

 

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

 

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nordkaukasus allgemein

 

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen – besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

 

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

 

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

 

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

 

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

 

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang sind. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings weiterhin um Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AA 24.1.2017).

 

Am 7. Juli 2016 wurden die unter dem Begriff Yarovaya-Paket zusammengefassten Änderungen der Gesetze zur Bekämpfung des Extremismus in Kraft gesetzt. Die geänderten Rechtsvorschriften waren zu weiten Teilen unvereinbar mit Russlands internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. So wurden alle missionarischen Aktivitäten außerhalb eigens dazu bestimmter religiöser Institutionen verboten und Provider dazu verpflichtet, den gesamten Nachrichtenverkehr sechs Monate lang und alle Metadaten drei Jahre lang zu speichern. Zudem wurde die Höchststrafe für extremistische Delikte von vier auf acht Jahre und für Anstiftung zur Beteiligung an Massenunruhen von fünf auf zehn Jahre Haft angehoben. Am 16. November 2016 kündigte Präsident Putin an, dass Russland nicht länger beabsichtige, Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden. Russland hatte das Statut im Jahr 2000 unterschrieben, jedoch nie ratifiziert (AI 22.2.2017).

 

Im November 2013 ist in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 3.3.2017).

 

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Es gibt Bestrebungen zu einer weiteren Entkriminalisierung leichterer Straftaten, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft – bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung – bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, ein Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013, vgl. US DOS 3.3.2017). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 24.1.2017).

 

Auch 2016 übte die tschetschenische Führung unmittelbaren Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai berief Ramzan Kadyrov eine Versammlung aller Richter ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Eine Reaktion seitens der Behörden der Russischen Föderation gab es darauf nicht (AI 22.2.2017).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

 

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. EASO 3.2017).

 

Aus ganz Russland werden Folter und Todesfälle von Häftlingen – insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft – gemeldet. NGOs wie "Amnesty International" oder das russische "Komitee gegen Folter" berichten, dass es bei Verhaftungen, in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Es gibt v.a. im Nordkaukasus Fälle von Folter sowie Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte (AA 24.1.2017).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 3.3.2017).

 

Auch 2016 waren systematische Folter und andere Misshandlungen in den ersten Tagen der Haft und in Gefängniskolonien weit verbreitet (AI 22.2.2017).

 

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Regulationen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption. Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen – außer der Notfallversorgung – hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Laut einem Bericht vom September 2015 in der Zeitung Izvestiya nahm die Korruption um 6,5% zu. 2015 wurden 32.000 Fälle von Korruption registriert, davon endeten 13.000 mit Verurteilungen. Im Jahr 2016 führte die Regierung Gesetze ein, die Strafzahlungen für "kleine gewerbliche Bestechlichkeit" und für "Vermittlung von kleiner gewerblicher Bestechlichkeit" beinhalten. Die Gesetze gelten für Bestechungen, die 10.000 Rubel nicht übersteigen (USDOS 3.3.2017).

 

Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern – Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatliche Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter gehen jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeitenden. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeitenden, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl Staatsangestellter relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach tief oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind – unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft –, wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramsan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ist wegen mutmaßlicher Korruption von Präsident Putin entlassen worden. Zuvor war er festgenommen worden. Der 60-Jährige soll im Zusammenhang mit einem großen Übernahmegeschäft zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergeld angenommen haben. Das Vorgehen gegen einen amtierenden Minister gilt als beispiellos. Uljukajew ist der hochrangigste Politiker, der seit 1991 in Russland verhaftet wurde (Zeit Online 15.11.2016).

 

Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).

 

Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. SEM 15.7.2016). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Im Corruption Perception Index 2016 von Transparency International befindet sich Russland auf Platz 131 von 176 Staaten (TI 27.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ombudsmann

 

Nachfolgerin der Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) von Ella Pamfilowa ist Tatjana N. Moskalkowa. Sie war hochrangige Polizeibeamtin und seit 2007 Duma Abgeordnete. Da sie keine Erfahrung als Menschenrechtsaktivistin hat, wurde sie von mehreren Seiten kritisiert (NY Times 22.4.2016, vgl. USDOS 3.3.2017).

 

Russland hat in 83 von 85 Regionen regionale Ombudspersonen. Ihre Effektivität variiert erheblich und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit. Laut Jahresbericht 2015 erhielt das Büro 64.189 Beschwerden von Bürgern, staatlichen Organisationen und NGOs. Das ist ein Anstieg um 18% im Vergleich zum Vorjahr (USDOS 3.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

Rassendiskriminierung (1969)

 

 

Zusatzprotokoll (1991)

 

 

 

Zusatzprotokoll (2004)

 

 

Behandlung oder Strafe (1987)

 

 

 

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

 

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

 

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

 

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

 

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

 

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2017c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für Januar – Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 24.1.2017).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

20.1. Meldewesen

 

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????????). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues – GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

 

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder XXXX , von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

 

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

 

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Gefälschte Dokumente

 

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Grundversorgung/Wirtschaft

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

 

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

 

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

 

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus – allen voran Tschetschenien – haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Sozialbeihilfen

 

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

 

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

 

 

 

 

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

 

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Renten

 

 

 

 

 

 

Familienhilfe:

 

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Behinderung

 

 

 

 

Wohnungswesen

 

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

 

 

 

Arbeitslosenhilfe

 

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

 

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

 

 

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

 

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

 

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es – wie für alle Bürger der Russischen Föderation – auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital ‘Samashki’, "Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

Krankenversicherung

 

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

• Notfallbehandlung

 

• Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

• Stationäre Behandlung

 

• Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

 

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

 

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

 

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

 

• Notfallbehandlung

 

• Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

 

• Stationäre Behandlung

 

• Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

 

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Medikamente

 

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS [Krankenpflichtversicherung] profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

 

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (sechs Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellung der Identität und Herkunft des Beschwerdeführers konnte aufgrund der erfolgten Vorlage seines Führerscheines getroffen werden.

 

Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den jeweils darunter angeführten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild, sodass insgesamt kein Grund besteht, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

 

Die negative Feststellung zu potentieller Verfolgungsgefahr und drohender menschenrechtswidriger Behandlung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

 

Aufgabe des Asylwerbers ist es, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25. 3. 1999, 98/20/0559).

 

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (VwGH 9. 5. 1996, 95/20/0380).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.?6.?1999, 98/20/0453; 25.?11.?1999, 98/20/0357); dies unbeschadet der behördlichen Anleitungs- und Manuduktionspflicht, sondern als von der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers mit umfasst. Das Bundesasylamt bzw. der Asylgerichtshof (nunmehr das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht) sind demnach nicht verpflichtet, Asylwerber derart anzuleiten, dass ein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss (VwGH 8. 7. 1993, 92/01/0715) oder Unterweisungen dahingehend zu erteilen, wie ein Vorbringen auszuführen ist, damit einem Antrag allenfalls stattgegeben werden kann (VwGH 2. 2. 1994, 93/01/1219, 23. 3. 1994, 93/01/1186).

 

Bereits die belangte Behörde kam im gegenständlichen Fall im Rahmen der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht plausibel und glaubhaft darzustellen vermochte.

 

Dieser Auffassung schließt sich nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung auch das Bundesverwaltungsgericht an, zumal der Beschwerdeführer auch in dieser Verhandlung nicht im Stande war, sein fluchtrelevantes Vorbringen nachvollziehbar zu schildern.

 

Vorab ist im gegebenen Zusammenhang festzuhalten, dass das seitens des Beschwerdeführers ursprünglich erstattete Vorbringen bereits im Zuge seines ersten, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens als nicht glaubhaft beurteilt wurde. Auch seine im zweiten Verfahrensgang dahingehende Modifizierung über die Identität und Wohnort der behaupteten Bluträcher wurde durch das Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubhaft gewertet.

 

Nunmehr brachte der Beschwerdeführer – wie bereits in seinem zweiten Verfahren – vor, dass er im ersten Verfahren nicht erzählt habe, dass er am ersten Tschetschenienkrieg als Kämpfer teilgenommen habe. Im zweiten Verfahren führt er hiezu aus, er habe es nicht gesagt, weil es damals einen Skandal mit einem Mitarbeiter des FSB gegeben habe, der im Zentralarchiv der Asylbehörde in Österreich gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, dass die Kadirov Leute seit ca. einem Jahr wissen, dass er im ersten Krieg teilgenommen habe. Einer seiner ehemaligen Kameraden sei zur anderen Seite gewechselt, auf die Seite von Kadirov. Kadirov habe geschworen jeden umzubringen, selbst wenn er nur mit dem Herzen bei den anderen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe deshalb davon erfahren, dass die Kadirov Leute wissen, dass er beim ersten Krieg teilgenommen habe, weil sie im November vorigen Jahres zum Vater und zum Nachbarn gekommen seien und nach dem Beschwerdeführer gefragt haben. Wie oft wisse er nicht. Beweismittel dafür gäbe es keine.

 

Sowohl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch das Bundesverwaltungsgericht kamen in ihrer Beweiswürdigung übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es dem Beschwerdeführer im Ergebnis nicht gelungen ist, durch dieses Vorbringen zulässige neue und individuelle Gründe darzutun, welche allenfalls in seiner Person gelegene neue individuelle Bedrohungen begründen könnten.

 

Als neuen Fluchtgrund brachte er im nunmehr gegenständlichen Verfahren vor, vor etwa drei Monaten seien Männer von Kadyrov zu seinem Vater nach Hause gekommen und hätten diesem mitgeteilt, dass sie ein neues Angebot für ihn hätten. Als ehemaliger Kämpfer im Tschetschenienkrieg würden sie den Beschwerdeführer in die Ukraine schicken um auf der russischen Seite zu kämpfen. Falls er dieses Angebot annehme, würden sämtliche alten Sanktionen gegen ihn annulliert werden. Zusätzlich würden sie ihm mit 200.000,- Rubel monatlich und 200 USD täglich entlohnen. Die Leute von Kadyrov seien ein zweites Mal zu seinem Vater gekommen. Über seine Probleme und Verfolgungsgründe seitens der russischen Behörden habe er bereits in seinen früheren Befragungen berichtet. Erfahren habe er dies in einem Telefonat mit seinem Vater vor ca. drei Monaten. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er einen neuen Asylantrag stellen könnte.

 

Wie bereits im zweiten Verfahren dargelegt, ist dem Beschwerdeführer auch nunmehr vorzuhalten, dass es jeder Lebenserfahrung widerspricht, dass ein durchschnittlich sorgfältiger Asylwerber Angaben wider besseren Wissens verschweigt, da man von einer Person, welche tatsächlich im Herkunftsstaat Verfolgung erfahren hätte bzw. solche befürchten würde, erwarten muss, dass sie ein derartig wichtiges Faktum nicht dermaßen leichtfertig in jenem Staat verschweigt, von dem sie sich Schutz erwartet und obendrein noch bewusst falsche Angaben macht, indem sie wissentlich fälschlich eine diesbezügliche Frage seitens des befragenden Organs wahrheitswidrig beantwortet. Der erkennende Richter konfrontierte den Beschwerdeführer auch dezidiert mit seinen Angaben im ersten Verfahren, wonach er auf die Frage, ob er im ersten oder zweiten Tschetschenienkrieg an Kampfhandlungen teilgenommen habe, dies eben ausdrücklich verneinte. Auch wurde der Beschwerdeführer in Bezug auf seine Argumentation, wonach er dieses Vorbringen im ersten Verfahren aus Angst nicht erwähnt habe, mit dem Umstand konfrontiert, dass der damals zuständige Senat des Asylgerichtshofes nicht nur gerichtlich bekannt sehr geduldig sondern er auch dem Protokoll der damaligen Beschwerdeverhandlung nach umfassend und ausführlich durch beide Richter des Senates befragt wurde.

 

Wie im zweiten Verfahren bereits erwähnt, stehen seine damaligen Angaben auch in Widerspruch zur nunmehr behaupteten Teilnahme am Widerstand, führte er dort nämlich aus, dass er während des ersten Tschetschenienkrieges Binnenflüchtling gewesen sei. Auch sein Bruder bestätigte dies bei dessen Einvernahme, habe der Beschwerdeführer demnach bis 1999 bei seinen Eltern in Chiri Yurt, von 1999 bis zu seiner Ausreise 2008 mit kleineren Unterbrechungen in XXXX bei eben diesem Bruder gelebt.

 

Der Beschwerdeführer wurde in seinem Erstverfahren mehrmals ausführlichst einvernommen und hätte allenfalls auch bei Bedenken seinerseits die Möglichkeit gehabt, seine Bedenken zu nennen. Gerade von einem juristischen Laien muss vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine solche Person über das Asylrecht in allen Einzelheiten nicht im vorhinein informiert ist, davon ausgegangen werden, dass ein solcher Mensch im Bestreben, seine Position im Asylverfahren nicht zu gefährden, auf eine Frage seitens der Asylbehörde nach dem Bestehen eines nicht unwesentlichen Sachverhaltselements spontan und freiwillig wahrheitsgemäß antwortet, anstatt diesen besseren Wissens zu verschweigen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht in Übereistimmung mit dem Bundesamt davon aus, dass der Beschwerdeführer sein Vorbingen im Laufe seiner drei Verfahren kontinuierlich gesteigert hat, um einen asylrelevanten Sachverhalt zu konstruieren. Im nunmehr dritten Verfahren eben um die Teilnahme von "Freiwilligen" im Ukraine-Konflikt. Der VwGH geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 7.6.2000, 2000/01/0250).

 

Selbst wenn der Beschwerdeführer am ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen hätte, ist darauf hinzuweisen, dass eine Verfolgung der Teilnehmer am ersten Tschetschenienkrieg nicht nur infolge der zeitlichen Komponente, sondern vor allem infolge der zwischenzeitlich ausgesprochenen Amnestie unwahrscheinlich und unglaubwürdig ist, daher Kriegsteilnehmer aus dem ersten Tschetschenienkrieg zum jetzigen Zeitpunkt keine asylrelevante Verfolgung mehr befürchten müssen.

 

Auch dem seitens des Beschwerdeführers erstattete Teilkonstrukt, gezwungenermaßen als Separatist im Ukraine-Konflikt kämpfen zu müssen, ist – unbeschadet der auch durch den persönlichen Eindruck gewonnenen Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens – der Umstand entgegen zu halten, dass diese Kampfhandlungen eingestellt wurden.

 

Vielmehr vermittelten der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen in der Beschwerdeverhandlung den durchaus verständlichen Eindruck, in Österreich verbleiben zu wollen, da sie insbesondere für die Kinder bessere Lebenserwartungen hegen.

 

Dem Beschwerdeführer ist es im Ergebnis jedenfalls nicht gelungen, neue und individuelle Gründe darzutun, welche allenfalls in seiner Person gelegene neue individuelle Bedrohungen begründen könnten.

 

Eine direkte unmittelbare individuelle asylrelevante Bedrohung hat der Beschwerdeführer somit glaubwürdig nicht vorgebracht und liegt eine solche zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor.

 

Der gesunde Beschwerdeführer konnte im Übrigen auch in keiner Weise darlegen, dass er im Falle einer allfälligen Rückkehr mit seiner Familie in eine ausweglose Situation geraten könnte. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert zahlreiche Angehörige des Beschwerdeführers auf und ist von einer möglichen Arbeitsaufnahme des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat auszugehen, weswegen seine Versorgung in der Heimat gesichert sein wird.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

 

Die Feststellungen zum derzeitigen Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen diesbezüglich glaubhaften Angaben, aus den vorgelegten Bestätigungen und Schreiben, den übereinstimmenden Angaben der Ehegattin und der Kinder des Beschwerdeführers, aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister sowie aus dem im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u.a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z. 3).

 

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes ? BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz ? VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 3 BFA-Einrichtungsgesetz – BFA-G, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z. 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z. 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z. 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr.100 (Z. 4).

 

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z. 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z. 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z. 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. §?66 Abs.?4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

3.2. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte/Ehegattin oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines/einer Asylwerbers/Asylwerberin oder eines/einer Fremden ist, dem/der der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten oder des/der Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Stellt gemäß § 34 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von einem/einer Fremden, dem/der der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem/einer Fremden, dem/der der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem/einer Asylwerber/Asylwerberin einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines/einer Fremden, dem/der der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines/einer Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem/der Fremden, dem/der der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den/die Fremden/Fremde, dem/der der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7) (§ 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).

 

Gemäß § 34 Abs. 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines/einer Fremden, dem/der der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem/der Fremden, dem/der der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist; gegen den/die Fremden/Fremde, dem/der der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und dem Familienangehörigen nicht der Status eines/einer Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

 

Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines/einer Asylwerbers/Asylwerberin gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des/der Asylberechtigten oder des/der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des/der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder/Jede Asylwerber/Asylwerberin erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem/einer Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen (§ 34 Abs. 4 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).

 

Gemäß § 34 Abs. 5 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, gelten die Bestimmungen des Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 34 Abs. 6 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, sind die Bestimmungen dieses Abschnitts nicht anzuwenden auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind; auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.

 

3.3. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ? AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2014, ist einem/einer Fremden, der/die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des/der Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm/ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Zentraler Aspekt der dem § 3 Asylgesetz 2005 zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ? GFK (in der Fassung des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21. 12. 2000, 2000/01/0131; 19. 4. 2001, 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19. 10. 2000, 98/20/0233).

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Da der Beschwerdeführer aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Erwägungen eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende maßgebliche Gefahr asylrelevanter Verfolgung in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft machen konnte und auch von Amts wegen keine Anhaltspunkte für eine solche ableitbar waren, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl spruchgemäß abzuweisen.

 

3.4. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen", so ist einem/einer Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des/der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des/der Fremden in seinen/ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn/sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde".

 

Nach § 8 Abs. 2 Asylgesetz 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden. Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

 

Unter "realer Gefahr" ist nach den Materialien zum Asylgesetz 2005 "eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen" (vgl. auch VwGH 19. 2. 2004, 99/20/0573 mit weiteren Hinweisen auf die Judikatur des EGMR). Dabei obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle der Abschiebung behauptet, soweit als möglich Informationen vorzulegen, die (...) eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (EGMR 5. 7. 2005, Said v. The Netherlands, Appl. 2345/02).

 

§ 8 Abs. 1 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Herkunftsstaat des/der Antragstellers/Antragstellerin. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 ist Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der/die Fremde besitzt oder ? im Falle der Staatenlosigkeit ? der Staat seines/ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

 

Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8. 6. 2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14. 10. 1998, 98/01/0122; 25. 1. 2001, 2001/20/0011).

 

Der Antragsteller hat das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.?6.?1997, 95/18/1293, 17.?7.?1997, 97/18/0336). Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 21.?8.?2001, 2000/01/0443; 26. 2. 2002, 99/20/0509; 22. 8. 2006, 2005/01/0718). Die aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 2. 8. 2000, 98/21/0461). Dies ist auch im Rahmen des § 8 Asylgesetz 1997 (nunmehr: § 8 Abs. 1 AsylG 2005) zu beachten (VwGH 25.?1.?2001, 2001/20/0011). Die Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30. 9. 1993, 93/18/0214).

 

Im gegenständlichen Fall kann keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation erkannt werden.

 

Es ergeben sich nach dem gepflogenen Ermittlungsverfahren keine Hinweise, dass dieser bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat den hier relevanten Gefahren ausgesetzt wäre noch liegen "außergewöhnliche Umstände" ('exceptional circumstances') im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK vor, die eine Abschiebung aus anderen ? etwa gesundheitlichen ? Gründen als unzulässig erscheinen lassen würden (vgl. EGMR 2. 5. 1997, D. v. The United Kingdom, Appl. 30.240/96; EGMR 27. 5. 2008, N. v. The United Kingdom, Appl. 26.565/05 bzw. VwGH 23. 9. 2009, 2007/01/0515).

 

Der gesunde Beschwerdeführer ist der Teilnahme am Erwerbsleben fähig und ist es ihm somit ? ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein ? möglich und zumutbar, in seinem Herkunftsstaat selbständig für das Überlebensnotwendige zu sorgen. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einfamilienhaus, das er selbst bewohnen oder mit dem er Einkünfte aus Vermietung erzielen kann und konnte er seinen Lebensunterhalt vor seiner Ausreise stets problemlos durch eigene Arbeit bestreiten. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass auch noch zahlreiche Verwandte des Beschwerdeführers in seiner Heimat leben, sodass diesem auch allfällige Hilfe durch ein soziales Netzwerk zur Verfügung stehen würde.

 

Schließlich konnte auch nicht festgestellt werden, dass in der Russischen Föderation derzeit eine "extreme Gefahrenlage" (vgl. etwa VwGH 16. 4. 2002, 2000/20/0131) im Sinne einer dermaßen schlechten wirtschaftlichen oder allgemeinen (politischen) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe.

 

Die reale Gefahr, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe drohen könnte, kann somit nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung sprechen würden, sind ebenfalls nicht erkennbar, weswegen die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ebenfalls abzuweisen war.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass auch im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG zu keinem anderen Ergebnis gelangt werden konnte, da die Anträge auf internationalen Schutz der Ehegattin und der Kinder des Beschwerdeführers mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag ebenfalls sowohl hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes jeweils abgewiesen wurden.

 

3.5. Zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§§ 57 und 55 AsylG sowie § 52 FPG) wird Folgendes erwogen:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit September 2008 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Ferner erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten im gegenständlichen Verfahren nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

 

Die Beschwerdeführer hat, abgesehen von seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern, welche aufgrund des Ergebnisses der individuellen Antragsprüfung im selben Umfang wie der Beschwerdeführer von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht sind, keine Angehörigen im Bundesgebiet, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Art. 8 EMRK besteht. Eine Rückkehrentscheidung stellt demnach ? zeitgleich mit seiner Gattin und seinen Kindern vollzogen ? keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar und es bedarf daher auch keiner Abwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

 

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

 

Im Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, hat der Verwaltungsgerichtshof ? unter Hinweis auf das Erkenntnis des VfGH vom 17. März 2005, VfSlg. 17.516, und die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Fremdensachen ? darauf hingewiesen, dass auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal etwa das Gericht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17. 2. 2007. 2006/01/0216). Eine lange Dauer des Asylverfahrens macht für sich allein keinesfalls von vornherein eine Ausweisung unzulässig (VwGH 2010/22/0094).

 

Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern, kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 17. 12.2007, 2006/01/0216; siehe die weitere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum hohen Stellenwert der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften: VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/0479; VwGH 16. 1. 2007, 2006/18/0453; jeweils VwGH 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 20. 9. 2006, 2005/01/0699).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31. 10. 2002, 2002/18/0190).

 

Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, 282ff).

 

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

 

Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das die Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen hat, zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit September 2008 im Bundesgebiet, doch beruhte sein Aufenthalt auf mittlerweile drei Anträgen auf internationalen Schutz, die sich jeweils als nicht berechtigt erwiesen haben.

 

Bereits in den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts und des Asylgerichtshofes wurde berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in Österreich integrative Schritte gesetzt hat und die Kinder – entsprechend der Schulpflicht – die Schule besuchen. Auch haben sich diese Erkenntnisse umfassend mit der Anpassungsfähigkeit auseinandergesetzt und eine Wiedereingliederung und (Re)Sozialisierung für möglich befunden.

 

Der Beschwerdeführer verfügt auch über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo er sein Leben bis zur Ausreise verbracht hat, die Landessprache – auch im Familienverband in Österreich - spricht und die Schulbildung genossen hat. Er hat Familienangehörige und weitere Verwandte im Herkunftsstaat. Eine Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft ist – auch mit Unterstützung der dortigen Verwandten – jedenfalls zumutbar. Der Beschwerdeführer war auch beruflich im Herkunftsstaat tätig, während er und seine Familie in Österreich nach wie vor von der Grundversorgung leben, nach wie vor nicht selbsterhaltungsfähig sind und der Beschwerdeführer in Österreich noch keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Auch die im nunmehrigen Verfahren vorgelegten Unterlagen und Empfehlungsschreiben vermögen an der Beurteilung nichts zu ändern.

 

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass sich der unbescholtene Beschwerdeführer bemüht gezeigt hat, die deutsche Sprache zu erlernen. Ein besonderes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Integration hat der Beschwerdeführer gesamtbetrachtend jedoch nicht dargetan. Die Beziehungen des Beschwerdeführers zu Österreich sind zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor relativ schwach ausgeprägt.

 

Die Interessen der Republik Österreich an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohls des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung wiegen im gegenständlichen Fall insgesamt höher als die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Allein ein durch beharrliche Missachtung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften erwirkter Aufenthalt kann nämlich keinen Rechtsanspruch aus Art. 8 EMRK bewirken. Eine andere Auffassung würde sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber sich rechtstreu Verhaltenden führen (VfGH 12. 6. 2010, U 613/10-10, vgl. idS VwGH 11. 12. 2003, 2003/07/0007).

 

Gerade im Falle des Beschwerdeführers und seiner Familie ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die bisherige Aufenthaltsdauer in Österreich nur durch die Stellung dreier Anträge auf internationalen Schutz möglich war.

 

Dem Beschwerdeführer und seiner Familie musste bekannt sein, dass die damit verbundene sogenannte vorübergehende Aufenthaltsberechtigung lediglich ein Aufenthaltsrecht nur für die Dauer des Asylverfahrens darstellt. Es war demnach vorhersehbar, dass es im Falle einer negativen Entscheidung zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt.

 

Das Gewicht eines zwischenzeitig entstandenen Privatlebens wird gerade im Falle des Beschwerdeführers und seiner Familie somit schon dadurch gemindert, dass sich der Beschwerdeführer nicht darauf verlassen konnte, sein Leben auch nach Beendigung des nunmehr dritten Asylverfahrens in Österreich fortzuführen, sich also zum Zeitpunkt, in dem das Privatleben entstanden ist, des unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

 

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

Obigen Erwägungen zufolge sind daher auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz zugrunde liegenden Feststellungen (vgl. II/1.) zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die ordentliche Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG erweist sich insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall ausschließlich tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen – schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung – aufwirft. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung. Auch ist die im gegenständlichen Fall maßgebende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teils zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte