BVwG W162 1431660-1

BVwGW162 1431660-18.1.2015

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2015:W162.1431660.1.00

 

Spruch:

W162 1431660-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. LECHNER Ulrike, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.12.2012, Zl. 11 12.554-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2014, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerde wird gemäß § 8 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 68/2013 hinsichtlich Spruchpunkt II. als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 68/2013 wird das Verfahren insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste am 20.10.2011 gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter (Beschwerdeführerin zu W162 1431661-1) illegal in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie angab, den im Spruch angeführten Namen zu führen und aus der Russischen Föderation zu stammen.

Bei der niederschriftlichen Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen am selben Tag (AS 13ff) führte die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen Folgendes an: Sie besitze in Tschetschenien ein Lebensmittelgeschäft. Ein tschetschenischer Mann habe bei ihr mehrmals Lebensmittel gekauft. Ihr Sohn habe zu diesem Mann die Lebensmittel mit dem Auto gebracht. Vom Haus dieses Mannes habe ihr Sohn zwei Tschetschenen, die angeblich Waffen bei sich getragen hätten, mit dem Auto nach Grosny gebracht. Die Polizei sei in der Folge zu ihr nach Hause gekommen und habe ihren Sohn gesucht. Damals sei sie im Krankenhaus gewesen. Sie sei dann zu ihrer Freundin XXXX gegangen, diese habe ihr geraten, das Land zu verlassen. Die Freundin habe die Ausreise der Beschwerdeführerin in der Folge organisiert. Wo sich ihr Sohn befinde, wisse sie nicht. Sie wisse nicht, was ihr im Falle einer Rückkehr passiere, möglicherwiese werde sie eingesperrt und nach ihrem Sohn gefragt.

Bei einer ergänzenden Einvernahme nach Zulassung des Verfahrens vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, am 23.01.2012 (AS 57ff), gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu tätigen. Sie habe lediglich einen unguten Geschmack von den eingenommenen Medikamenten im Mund, weil sie an Hepatitis C leide. Sie verneinte die Frage, ob sie irgendwelche Dokumente oder Beweismittel vorlegen könne, und verwies darauf, dass sie bereits in der Erstbefragung eine Kopie ihres russischen Inlandspasses abgegeben habe. Auch habe sie das Originaldokument der Geburtsurkunde ihrer Tochter vorgelegt. Diese Geburtsurkunde habe sie jedoch nicht mehr zurückbekommen. Das Originaldokument ihres Inlandspasses und die Heiratsurkunde seien im Heimatland zurückgeblieben. Ihr Mann sei bereits vor fast zwei Jahren, am 29.04.2010, verstorben. Sie sei in Grosny geboren und aufgewachsen, dort habe sie ihr gesamtes Leben verbracht. Sie gehöre der tschetschenischen Volksgruppe an. Ihr verstorbener Ehemann heiße XXXX. Sie habe zwei Kinder, ihr Sohn heiße XXXX und sei am XXXX geboren. Sie wisse nicht, wo er sich derzeit aufhalte, sie sei eigentlich seinetwegen ausgereist.

Sie sei kein Mitglied einer politischen Partei oder irgendeiner sonstigen Gruppierung im Heimatland. Im Heimatland habe sie sehr gut leben können, sie habe ein Lebensmittelgeschäft geführt, das sie nach dem Krieg eröffnet habe. Dieses Geschäft habe sie rund 15 oder 16 Jahre lang betrieben. Anfangs sei das Geschäft ziemlich klein gewesen, jedoch die letzten zehn Jahre habe sie ein größeres Geschäft in Grosny gehabt. Eigentlich habe sie eines ihrer Zimmer in das Geschäft umgewandelt. Finanziell sei sie sehr gut versorgt gewesen. Sie habe in ihrer Heimat mit ihrem Mann und ihren Kindern gelebt, ihre drei Brüder und eine Schwester würden weiterhin in ihrer Heimat leben. Einer ihrer Brüder lebe in Wolgograd in Russland, die anderen Geschwister und ihre Mutter in Grosny.

Ab 12.10.2011 habe die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Tochter bei einer Freundin namens XXXX XXXX in Grosny gelebt. Am 16.10.2011 habe sie mit ihrer Tochter diese Adresse verlassen und sei mit dem Auto nach Weißrussland gefahren. Die Freundin habe die Ausreise organisiert. Eigentlich hätte sie der Mann, ein Bekannter der Freundin, nach Frankreich bringen sollen, jedoch seien sie dann in Österreich abgesetzt worden. Als sie am 20.10.2011 mit ihrer Tochter nach Österreich gelangt sei, hätte sie nicht einmal gewusst, wo sie sei. Für ihre Reise habe sie ab Weißrussland 3.500,- Euro bezahlt, möglicherweise habe der Mann bis nach Weißrussland auch etwas bezahlt und dies sei von ihrer Freundin bezahlt worden, welche ihr 5.000,- Euro geborgt habe.

Die Ausreise der Beschwerdeführerin sei wegen ihres Sohnes erfolgt. Ihr Sohn habe ein Auto und da es keine anderen Arbeiten gegeben habe, habe er ihr im Geschäft geholfen, indem er ihr Waren mit dem Auto gebracht hätte, zudem habe er auch als Taxifahrer gearbeitet. Ihr Sohn habe mehrere Male mit dem Auto einen Mann gefahren, der bei ihr im Geschäft große Mengen an Lebensmittel gekauft habe. Er habe diesen immer in ein ihr unbekanntes Dorf gebracht. Beim letzten Transport wären zwei Männer aus dem Haus gekommen, die mit ihrem Sohn nach Grosny hätten mitfahren wollen, als ihr Sohn die Waren ausgeladen habe. Ihrem Sohn sei dies nicht recht gewesen, er habe ein recht seltsames Gefühl gehabt, da sie Bärte getragen hätten und offensichtlich bewaffnet gewesen seien. Ihr Sohn habe der Beschwerdeführerin jedoch nichts Genaueres erzählt, er habe nur angedeutet, dass es Schwierigkeiten geben könnte. Dies habe er ihr an jenem Abend erzählt, als er die Männer mit dem Wagen mitgenommen habe. Danach seien einige Tage vergangen.

Am 12.10.2011 habe sie einen Termin bei der Klinik bei einem Arzt gehabt. Diese Polyklinik befinde sich in der Nähe ihres Wohnortes. Sie sei gemeinsam mit ihrer Tochter dorthin gegangen. In der Polyklinik seien einige Personen aus der Nachbarschaft zu ihr gekommen und hätten ihr gesagt, dass sie sich nicht mehr nach Hause begeben solle, weil die Polizei dort sei und nach ihrem Sohn suchen würde. Ihr Sohn habe vermutlich davon erfahren, er habe seinen Wagen stehen gelassen und sei seither verschwunden.

Sie hätte nicht gewusst, was sie tun sollte. Sie habe nur eine kleine Tasche bei sich, mit den Unterlagen für das Krankenhaus. Zu ihren Verwandten hätte sie nicht gehen können, weil man sie dort leicht finden hätte können. Deshalb sei sie zu ihrer Freundin gefahren.

Die Beschwerdeführerin wolle noch angeben, dass sie nicht wisse, was mit ihrem Sohn weiter passiert sei, sie warte jederzeit auf ein Lebenszeichen von ihm.

Die Beschwerdeführerin gab an, dass sie aus ihrem Herkunftsland ausreisen musste, andernfalls hätten sie sie mitgenommen und ihren Sohn gezwungen, sich zu stellen. Im Herkunftsland habe sie nur die Probleme ihres Sohnes gehabt.

Die Beschwerdeführerin verneinte, persönlich jemals irgendwelche Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Einrichtungen in ihrem Heimatland gehabt zu haben.

Sie wisse nicht, wie die Namen der Personen lauten, die ihr Sohn mit dem Auto mitgenommen hätte - es müsse sich jedoch wohl um Widerstandskämpfer gehandelt haben.

Die Verkäuferin namens XXXX aus dem Lebensmittelgeschäft habe ein Mädchen zu ihr ins Spital geschickt, um ihr zu sagen, dass die Polizei bei ihr zu Hause sei. Das Mädchen habe ihr demnach im Spital gesagt, dass die Polizei nach ihrem Sohn suche und das Haus umstellt habe - sonst habe das Mädchen nichts zu ihr gesagt.

Die Beschwerdeführerin habe sich ganz seltsam gefühlt, da sie auch krank gewesen sei und dann das von der Polizei gehört hätte. Sie hätte sich dann bei ihrer Freundin einige Tage erholen müssen.

Befragt, weshalb sie sich nicht nach Hause begeben hätte, erwiderte die Beschwerdeführerin, sie sei sich sicher gewesen, dass sie dann mitgenommen werden würde, und dann Druck auf sie ausgeübt worden wäre. Daher habe sie alles zurückgelassen und sei ausgereist.

Sie hätte mit ihrem Sohn das letzte Mal Kontakt gehabt, als er am Morgen des 12. Oktobers 2011 zur Arbeit gefahren sei.

Befragt gab die Beschwerdeführerin an, ihr Sohn habe einen PKW besessen, vermutlich einen Audi, weil er immer davon gesprochen habe.

Die Beschwerdeführerin wisse nicht, was die Polizei von ihrem Sohn in Erfahrung hätte bringen wollen. Sie gehe davon aus, dass es mit dem Transport der Personen zu gehabt hätte. Ihr Sohn sei brav und habe ihr immer geholfen, er habe sie seit dem Tod ihres Mannes immer unterstützt. Erst nach dem Tod ihres Ehemannes habe sie von ihrer Erkrankung erfahren, sie leide auch an einer Zirrhose. Nun habe man auch festgestellt, dass sie eine Geschwulst am Zwölffingerdarm habe, daher müsse sie auch Medikamente einnehmen.

Sie habe im Heimatland mit der Behandlung ab Mai 2011 begonnen, dort sei die Diagnose eines Gebärmutterkrebses erstellt worden. Sie sei dort mit Spritzen behandelt worden. Dass sie an einer Zirrhose leidet, habe man dort nicht erkannt.

Zwischen dem Transport der Personen und dem Erscheinen der Polizei würden vielleicht drei oder vier Tage liegen, es sei keine lange Zeit dazwischen vergangen.

Die Beschwerdeführerin wisse nicht, mit wem die Polizei gesprochen habe, als diese nach dem Sohn gefragt hätte. Vermutlich habe die Polizei mit der Verkäuferin gesprochen.

Ihr Sohn sei unterwegs gewesen, nachdem er am Morgen das Haus verlassen habe, als die Beamten bei der Beschwerdeführerin zu Hause in Erscheinung getreten wären. Sie wisse nur, dass er nicht dort im Haus festgenommen worden sei.

Die Beschwerdeführerin sei deshalb nicht bei der Freundin geblieben und habe die Situation abgewartet, weil es in ihrer Heimat keine gesetzliche Sicherheit gebe. Auch ihre Freundin habe ihr zur Ausreise geraten.

Zum Zeitpunkt ihrer Ausreise habe sie davor Angst gehabt, dass die Tochter und die Beschwerdeführerin festgenommen werden könnten.

Befragt, weshalb die Polizei die Beschwerdeführerin und ihre Tochter festnehmen sollte, wenn doch die Beschwerdeführerin persönlich nichts mit dem Transport der Leute zu tun hatte, gab die Beschwerdeführerin an, dass man sie andernfalls befragt hätte und sobald ihr Sohn davon erfahren hätte, wäre er sicherlich hingekommen. Seitdem sei er spurlos verschwunden.

Befragt, weshalb man ihren Sohn verschwinden lassen sollte, gab die Beschwerdeführerin an, es gebe bei ihnen immer wieder derartige Vorfälle. Wenn man jemanden in Verdacht habe, mit den Widerstandskämpfern etwas zu tun zu haben, passiere so etwas immer wieder. Es habe sehr viele derartige Fälle gegeben.

Sie wisse nicht, dass sonst noch irgendwelche Maßnahmen gegen ihre Familie ergriffen worden wären, es sei das erste Mal der Fall gewesen, dass die Polizei zu ihnen gekommen sei.

Im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland würde sie sicherlich festgenommen werden, weil sie ja zu ihrer Wohnung zurückkehren müsste. Es komme immer wieder vor, dass Personen spurlos verschwinden.

Derzeit wohne sie in Mödling mit ihrer Tochter.

Hinsichtlich ihres gesundheitlichen Zustandes gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr gesagt worden sei, dass die Hepatitis ausgeheilt werden müsse. Wegen der Zirrhose sei ihr gesagt worden, dass sie etwaig eine Lebertransplantation benötige. Sie habe jetzt auch eine Überweisung ins XXXX bekommen und am 17.02.2012 sei ein Termin vereinbart. Sie müsse nun sechs Wochen lang Medikamente einnehmen, die wegen der Probleme des Zwölffingerdarms und des Magens hilfreich seien.

In Bregenz würden sich zwei Neffen von ihr namens XXXX aufhalten, die bereits seit acht oder neun Jahren in Österreich seien und hier arbeiten. Mit diesen telefoniere sie, manchmal würde sie von diesen auch besucht werden. Die Beschwerdeführerin habe zu ihren beiden in Österreich aufhältigen Neffen bereits Kontakt gehalten, als sie noch im Heimatland aufhältig gewesen sei. Diese hätten die ganze Zeit über zu Hause bei der Beschwerdeführerin, bei deren Mutter und deren Großmutter angerufen.

Eine sonstige Bindung zu Österreich wurde von der Beschwerdeführerin verneint.

Auf Vorhalt, dass aufgrund der allgemeinen Situation in ihrer Heimat nicht von einer generellen Verfolgung tschetschenischer Bürger ausgegangen werden kann, bejahte dies die Beschwerdeführerin und führte weiters aus, dass es Widerstandskämpfer gebe, die in den Wald gehen, und dann immer wieder in die Städte kommen und Gebäude in die Luft sprengen. In den Zentren sei es sehr ruhig momentan, es gebe auch keine Gesetze. Würde es Gesetze geben, wäre die Beschwerdeführerin nicht in eine solche Notlage geraten.

Sie werde in Österreich gut behandelt und ihre Tochter könne hier die Schule besuchen.

Nach Rückübersetzung wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt, Einwendungen vorzubringen. Daraufhin gab sie an, dass ihre Zirrhose bereits im Heimatland diagnostiziert worden sei, man habe sie operieren wollen und habe im Zuge der Blutuntersuchung festgestellt, dass die Blutwerte sehr schlecht waren. Eine Behandlung wegen der Zirrhose habe sie jedoch nicht erhalten.

Im Zuge der Einvernahme wurden der Beschwerdeführerin Länderfeststellungen mit einer Frist zur Abgabe einer Stellungnahme binnen einer Woche übergeben. Es langte keine schriftliche Stellungnahme dazu ein.

Für die Beschwerdeführerin wurde ein Konvolut medizinischer Unterlagen in Vorlage gebracht. Aus diesen ergab sich zusammengefasst im Wesentlichen, dass sie an einer Leberzirrhose, Gastritis sowie an Hepatitis C leidet.

Am 10.04.2012 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt schriftlich aufgefordert, aktuelle medizinische Befundberichte in Vorlage zu bringen.

Am 23.04.2012 langten Kopien von medizinischen Befundberichten beim Bundesasylamt ein. Zusammengefasst wurden darin insbesondere die bisher diagnostizierten Erkrankungen bestätigt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.12.2012, Zl. 11 12.554-BAT, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 und bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8

Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen, und dieselbe gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in die Russische Föderation ausgewiesen.

In der Begründung wurde nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle zunächst ausgeführt, dass die Identität der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden könne, die Staatsangehörigkeit und die Volksgruppenzugehörigkeit wurden demgegenüber festgestellt. Weiters wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin seit April 2010 verwitwet sei und neben der minderjährigen Tochter, welche mit ihr nach Österreich gelangt sei, einen Sohn habe, der XXXX geboren sei. Festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin an Hepatitis C erkrankt sei. Aufgrund dieser Erkrankung sei sie bereits im Heimatland medizinisch betreut worden. Eine medizinische Versorgung im Heimatland wurde daher als gewährleistet angesehen. Ihre Ausführungen, dass sie wegen ihres Sohnes im Heimatland gesucht werde, seien nicht glaubhaft, zudem habe die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen können, dass die Polizei nunmehr nach ihrer Person suchen würde. Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin hätte die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht festgestellt werden können. Weiters wurde vom Bundesasylamt darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführerin eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland einer Bedrohung bzw. Gefährdung ausgesetzt wäre. Es sei ihr möglich, im Heimatland wieder in dem Haus in Grosny zu wohnen - wie bereits vor ihrer Ausreise. Ihre Mutter und Geschwister würden nach wie vor im Heimatland leben, ein weiterer Bruder lebe außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation, in Wolgograd. Die Beschwerdeführerin könne von diesem Bruder ebenso wie von ihren anderen im Heimatland befindlichen Angehörigen unterstützt werden. In Österreich würden sich neben ihrer mit ihr eingereisten minderjährigen Tochter zwei Neffen befinden, zu denen sie gelegentlichen bzw. telefonischen Kontakt habe. Zu diesen Neffen hätten keine besondere Beziehungsintensität und kein gemeinsamer Haushalt festgestellt werden können. Die Beschwerdeführerin, die in Österreich keiner Beschäftigung nachgehe, besuche in Österreich keine Kurse, keine Schulen, keine Vereine und keine sonstigen Bildungseinrichtungen. Sie habe in Österreich keine sozialen Kontakte, die sie an Österreich binden.

Rechtlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren eine Verfolgung ihrer Person oder wohlbegründete Furcht vor solcher in keiner Weise glaubhaft hätte machen können. Zu Spruchpunkt II wurde ausgeführt, dass aufgrund der getroffenen Feststellungen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Umstände auch nichts darauf hindeute, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückverbringung in ihren Herkunftsstaat als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohen würde, zumal dort solche Konflikte nicht bestehen.

Im Fall der Beschwerdeführerin sei keinem ihrer Familienangehörigen der Status des/der Asylberechtigten oder des/der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, sodass auch eine Schutzgewährung aus Gründen des Familienverfahrens nicht in Betracht gekommen sei.

Hinsichtlich Spruchpunkt III wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin mit ihrer minderjährigen Tochter zusammenlebe. Es liege somit ein iS von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor, wobei die Mitglieder der Kernfamilie jedoch im selben Umfang wie sie von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, weshalb diesbezüglich die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin darstelle. Aufgrund der Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände kam des Bundesasylamt zu dem Schluss, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin auch unter Berücksichtigung ihres Privatlebens gerechtfertigt sei, da die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens schwerer wiege als ihr nicht gefestigtes Privatleben.

Der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes wurde laut Vermerk am Zustellschein am 14.12.2012 zugestellt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen fristgerechten Beschwerde (AS 277ff) führte die Beschwerdeführerin nach Zusammenfassung ihrer Angaben insbesondere aus, dass die Beschwerdeführerin an einer Leberzirrhose und an Hepatitis C leide. Die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid sei in keiner Weise nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin habe in den Einvernahmen ihre Fluchtgründe nachvollziehbar und sehr detailliert geschildert, es wurde auf ihr Vorbringen verwiesen. Das Bundesasylamt habe in der Beweiswürdigung behauptet, es sei nicht glaubhaft, dass die heimatstaatlichen Behörden die Beschwerdeführerin persönlich gesucht hätten. Das Bundesasylamt sei als Spezialbehörde in Asylverfahren dazu verpflichtet gewesen, Ermittlungen dahingehend zu veranlassen, ob das Vorbringen vor dem Hintergrund der Länderberichte realistisch erscheine. Das Bundesasylamt habe den angefochtenen Bescheid mit Ermittlungsfehlern belastet, da eine nähere Auseinandersetzung mit dem konkreten Vorbringen und der daraus erwachsenden Verfolgungssituation in Tschetschenien nicht erfolgt sei. So führe sie lediglich aus, dass es nicht erkennbar gewesen sei, dass die heimatstaatlichen Behörden ein Interesse an der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter gehabt hätten. Aus welchem Grund es für die belangte Behörde "nicht erkennbar" sei, sei nicht angeführt worden. Die Behörde habe es auch unterlassen, individualisierte Länderberichte einzuholen und einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Lediglich in Bezug auf die Krankheiten der Beschwerdeführerin habe die Behörde eine Anfrage an die Staatendokumentation gerichtet. Hinsichtlich der Fluchtgründe habe die belangte Behörde nur allgemein gehaltene Feststellungen angeführt, die sich nicht auf den individuellen Fluchtgrund beziehen würden. Aus zahlreichen Berichten lasse sich entnehmen, dass Personen, die in Tschetschenien mit Widerstandskämpfern in Verbindung gebracht werden, massiver Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Diese Berichte würden auch belegen, dass Verwandte, die mit Widerstandskämpfern in Verbindung gebracht werden, ebenso gefährdet seien. Soweit das Bundesasylamt Mutmaßungen darüber anstelle, welche Vorgehensweise die tschetschenische Polizei gewählt habe, wenn sie den Sohn der Beschwerdeführerin "tatsächlich dingfest" hätte machen wollen, halte dies einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand. Da das Bundesasylamt nicht dargetan habe, dass ihren Überlegungen ein Spezialwissen über die Vorgangsweise der Behörden in der Russischen Föderation zugrunde liege, handle es sich um bloße Spekulationen, die nicht geeignet seien, die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin tragfähig zu begründen. Der Verfassungsgerichtshof habe als Erfordernisse der Bescheidbegründung formuliert, dass die Behörde sich mit den Gründen, die für und gegen die von ihr getroffenen Entscheidung zu sprechen scheinen, auseinander zu setzen habe, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag zu geben habe. Aus §§ 58 Abs. 2 und 60 AVG folge die Verpflichtung, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Der Verwaltungsgerichtshof verlange in seiner Rechtsprechung eine ganzheitlich Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens - wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten verlange. Eine derartige Würdigung des Vorbringens sei im angefochtenen Bescheid unterblieben. Es sei bekannt, dass Angehörige von Personen, die irgendwie im Verdacht stehen, mit Widerstandskämpfern Kontakt zu haben, von Sicherheitskräften oft unter Druck gesetzt und bedroht werden. Verwiesen wurde diesbezüglich auf auszugsweise wiedergegebene Berichte, u.a. des Danish Immigration Service vom Juni 2011, der Schweizer Flüchtlingshilfe vom September 2011 und der Human Rights Watch vom Mai 2010. Die Beschwerdeführerin habe umfassend, widerspruchsfrei und glaubwürdig die Ereignisse, die zur Flucht geführt hätten, dargelegt. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Heimat gut gelebt, sie habe keine wirtschaftlichen Probleme, demnach hätte sie nicht ohne schwerwiegenden Grund alles zurückgelassen. Insgesamt hätten die erstinstanzlichen Erwägungen keine Grundlage darzustellen vermocht, den Schluss auf die Unglaubwürdigkeit bzw. die mangelnde Asylrelevanz des Vorbringens der Beschwerdeführerin tragfähig zu begründen. Unter Verweis auf eine VwGH-Entscheidung vom 14.01.2003, 2001/01/0508-7, wurde ausgeführt, dass einer Verfolgung schon dann Asylrelevanz zukommen könne, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zughörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, etwa jener der Familie, liege. Bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahren und einer Gesamtschau der Angaben die Beschwerdeführerin betreffend die in ihrer Heimat drohenden Verfolgung hätte die Behörde zu erkennen vermocht, dass sie Flüchtling im Sinne des Art. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sei. Wesentliche Bedeutung für die Feststellung einer konkreten individuellen Gefahr komme nach Ansicht der Europäischen Kommission für Menschenrechte der Tatsache zu, dass im Zielstaat fundamentale Menschenrechte in schwerwiegender Weise verletzt werden. Dies sei in Tschetschenien, sowie auch außerhalb Tschetscheniens, in anderen Teilen der Russischen Föderation, der Fall. Dass ungesetzliche Festnahmen beinahe täglich stattfinden, sei ausgezeichnet belegt. Aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin könne davon ausgegangen werden, dass ihr Sohn von den staatlichen Strukturen in Zusammenhang mit Rebellen gebracht und dass er deshalb gesucht werde. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, in eventu des Status der subsidiär Schutzberechtigten und es wurde weiters beantragt in eventu festzustellen, dass die Ausweisung der Beschwerdeführerin dauerhaft unzulässig sei.

Zusammen mit der Beschwerde wurden aktuelle Befunde hinsichtlich der Beschwerdeführerin übermittelt, wonach sie insbesondere an Hepatitis C, Leberzirrhose und "Vertebrostenose lumbal" (eine Verminderung des Gesamtdurchmessers des Wirbelkanals) leidet. Zudem wurde eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom Juni 2012 über das Vorgehen der Rebellen und über die Situation von Personen, die mit Widerstandskämpfern in Verbindung gebracht werden, in Vorlage gebracht.

Am 18.11.2013 langten hinsichtlich der Beschwerdeführerin folgende Unterlagen beim Asylgerichtshof ein:

Befund eines Spitals vom 21.10.2013, mit der Beurteilung "höhergradige Lymphtransportstörung im Bereich der linken unteren Extremität"

Ambulanzkarte eines Krankenhauses vom 23.10.2013, in der insbesondere festgehalten wurde, dass bei der Beschwerdeführerin "eine bekannte Leberzirrhose sowie Hepatitis C" vorliegt und die Behandlung in der Leberambulanz erfolgt, weiters wurden insbesondere "Lymphödem bds." diagnostiziert

Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie vom 09.10.2013, mit der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" und "Cirrhosis hepatis"

Befund eines Diagnosezentrums vom 16.04.2013 nach MRT der Lendenwirbelsäule, wobei im Vergleich zum August 2012 keine signifikante Befundänderung festgestellt wurde

Bestätigung einer Volkshochschule vom November 2013 über die Teilnahme an einem Deutschkurs "A1 - Deutsch als Zweitsprache 1" von Juni bis August 2012

Bestätigung vom 01.08.2013 einer Volkshochschule über die Teilnahme an einem Deutschkurs (A1) von Juli bis August 2013

Obwohl die Beschwerdeführerin ordnungsgemäß zur Verhandlung am 31.03.2014 geladen worden war, erschien diese nicht zur Verhandlung und es wurde hinsichtlich der ausgewiesenen Vertretung am selben Tag eine Bestätigung über eine plötzliche Erkrankung der Beschwerdeführerin in Vorlage gebracht.

In der Folge wurde für den 28.04.2014 eine neuerliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Die Betreuerin der Beschwerdeführerin vom Flüchtlingsheim teilte jedoch am 25.04.2014 dem Bundesverwaltungsgericht telefonisch mit, dass die Beschwerdeführerin krank sei und aus diesem Grunde nicht zur Verhandlung erscheinen könne.

Mit Eingabe vom 13.05.2014 wurden dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Beschwerdeführerin folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:

Dekurs vom 26.03.2012, mit dem eine "HCV Zirrhose bestätigt" wurde,

Histologischer Befund vom 26.03.2012

Befund vom 21.08.2012

Ambulanter Patientenbrief vom 06.11.2012

Bestätigung über die Teilnahme am Kurs "Deutsch im Park 2013" (A1) von Juli bis August 2013

Bestätigung vom 06.11.2013 über die Teilnahme an einem Deutschkurs (Deutsch als Zweitsprache) von Juni bis August 2012

Befund vom 26.11.2012

Befundbericht vom 09.10.2013 mit der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung und Cirrhosis hepatis"

Bestätigung über die Anmeldung der Beschwerdeführerin zur Vorbereitung auf die Prüfung (A1/A2) im Juni 2014

Bestätigung der Caritas vom 19.03.2014, wonach die Beschwerdeführerin und ihre Tochter aufgrund der Erkrankung der Beschwerdeführerin an Leberzirrhose und Hepatitis C im Rahmen der Sonderbetreuung in einem Haus der Flüchtlingshilfe betreut werden. Weiters wurde bestätigt, dass die Beschwerdeführerin einen Deutschkurs bei der Flüchtlingshilfe bis Juni 2014 besuchte, und sie im Caritas Nachbarschaftshilfeprojekt mitarbeitet.

Arztbrief vom 04.04.2014 mit den Diagnosen "Rezidiv-Erysipel rechte untere Extremität A46, Leberzirrhose CHILD A K74.6, Hepatitis C B18.2, Penicillinallergie D88.7"

Bestätigung vom 25.04.2014, wonach die Beschwerdeführerin aufgrund einer akuten Erkrankung bis auf weiteres aufgrund eines grippalen Infektes keine Termine wahrnehmen könne

Bestätigung von Privatpersonen vom März und April 2014, wonach die Beschwerdeführerin sehr hilfsbereit sei, und ihre Tochter die "Neue Mittelschule" mit gutem Erfolg besuche.

Am 22.09.2014 wurden dem Bundesverwaltungsgericht folgende Unterlagen übermittelt:

Patienteninformationen, wonach für die Beschwerdeführerin am 20.05.2014 und in der Folge am 29.07.2014 ein Termin bei einer Leberzirrhose-Ambulanz vereinbart worden war

Befundbericht vom 04.06.2014, wonach sich die Beschwerdeführerin ab 25.09.2014 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung mit der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" befindet

Bestätigung vom 13.06.2014, wonach die Beschwerdeführerin die Organisation des interkulturellen Grätzeleltern-Festes im Rahmen des Projektes "Gesund Wohnen im Grätzel" tatkräftig unterstützt hat

Bestätigung über den Ambulanzbesuch in einer Leberzirrhose-Ambulanz am 17.06.2014

Auflösung des Vollmachtverhältnisses mit der ausgewiesenen Vertreterin, datiert mit 20.06.2014

eJournal des Krankenhauses vom 28.07.2014 über eine Hepatitis-Therapie von Ende Juli bis Ende September 2014, wonach die Beschwerdeführerin die Medikamente "Sovaldi und Olysio" einnehme und engmaschige Blutabnahmen erfolgen.

Am 18.11.2014 führte die zuständige Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und in Anwesenheit eines ausgewiesenen Rechtsvertreters eine öffentlich mündliche Beschwerdeverhandlung durch.

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) wurde im Anschluss durch die entscheidende Richterin (R) zu ihren gesundheitlichen Problemen, zu ihrem Fluchtgrund sowie zu ihren Rückkehrbefürchtungen befragt.

Diese Einvernahme gestaltete sich zusammengefasst wie folgt:

"(...)

R: Es waren bereits zwei Verhandlungen anberaumt, wo Sie nicht erschienen sind. Es gab ärztliche Entschuldigungen. Wie geht es Ihnen heute?

BF: Heute fühle ich mich gut. Ich möchte mich auch entschuldigen. Ich konnte wegen meines Gesundheitszustandes nicht kommen. Ich war im Krankenhaus. Dann hatte ich eine sehr starke Grippe.

R: Sind Sie heute physisch und psychisch in der Lage der Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

(...)

R: Wenn es keine Einwände Ihrerseits gibt, würde ich auf die Verlesung des Akteninhaltes verzichten, ist das für Sie in Ordnung?

BF und RV: Ja, dies gilt auch für die Aktenteile der Tochter.

R erklärt somit die Aktenteile, die vorliegen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Beginn der Befragung

R: Stimmen Ihre Persönlichen Daten mit denen am Ausweis überein?

BF: Ja, das trifft auch bei meiner Tochter zu.

R: Sie wurden in der ersten Instanz beim BAA bereits zwei Mal einvernommen. Wie haben Sie die Einvernahme-Situation dort empfunden?

BF: Das erste Mal, nach meiner Einreise nach Österreich, war ich sehr eingeschüchtert. Der Mann hat sich sehr grob mir gegenüber verhalten. Er hat mit einer Flasche gefuchtelt.

R: Das haben Sie bis jetzt noch nicht vorgebracht.

BF: Ja, Sie haben mich heute ermahnt, dass ich die Wahrheit sagen soll und Sie haben mich nach der Einvernahme-Situation gefragt.

R: Was hat der Mann konkret gemacht?

BF: Er hat mit einer Flasche ausgeholt. Das war eine Putzmittelflasche.

R: War das der Mann, der Sie einvernommen hat?

BF: Ja, beim ersten Mal. Ich war sehr krank, als wir gekommen sind.

R: War das XXXX?

BF: Ich weiß es nicht aber wahrscheinlich. Ich war jedenfalls sehr eingeschüchtert.

R: Das war der Leiter der Einvernahme?

BF: Ja. Ich wollte dann eigentlich nur noch weggehen. Aber dann hat meine Tochter zu weinen begonnen und er hat sich entschuldigt.

R: Haben Sie bei beiden Einvernahmen trotzdem die Wahrheit gesagt?

BF: Ja. Das zweite Mal war alles in Ordnung. Das war eine Frau.

R: Haben Sie die Dolmetscher im bisherigen Einvernahmen verstanden?

BF: Ja.

R: Die heute anwesende Dolmetscherin verstehen Sie auch gut?

BF: Ja.

R: Sie haben bisher, von den Informationen, die wir hier haben, die Identität im Asylverfahren nur behauptet. Die konnte bisher nicht genau festgestellt werden. Sie haben gesagt, sie haben eine Kopie des Inlandsreisepasses abgegeben. (Vorhalt: AS41) Ich finde im Akt aber keine Kopie. Haben Sie den Ausweis?

BF: Ich weiß nicht, warum Sie die Kopie nicht haben. Ich habe sie ganz sicher abgegeben. Dort war auch ein Lichtbild von mir.

R: Dasselbe trifft für die Geburtsurkunde der Tochter zu. Sie haben behauptet, dass Sie bei der Ersteinvernahme die Kopie der Geburtsurkunde vorgelegt hätten. Diese ist jedoch nicht im Akt.

BF: Ich weiß es nicht. Ich habe sie abgegeben.

R: Haben Sie sonst noch Dokumente vom Heimatsland?

BF: Im Heimatsland hatte ich alle Dokumente. Ich hatte jedoch keinen Auslandsreisepass.

R: Erzählen Sie mir bitte über Ihre Einreise nach Österreich.

BF: Ich war mit zwei Autos unterwegs und bin von Grosny weggefahren. Meine Freundin hat eine diesbezügliche Vereinbarung getroffen. Ich bin mit einem Auto nach Weißrussland gefahren. Dann bin ich umgestiegen und bin mit einem anderen Auto weiter gefahren. Die Reise dauerte zirka drei oder vier Tage. Genau kann ich mich nichtmehr erinnern.

R: Wer war aller in diesem Auto?

BF: Nur ich und meine Tochter.

R: Kannten Sie den Mann, der mit Ihnen gefahren ist?

BF: Nein, meine Freundin, XXXX XXXX hat ihm dafür Geld gezahlt. Ich wollte zuerst ihren Namen nicht sagen aber dann habe ich ihren Namen doch gesagt.

R: Die Informationen werden nicht weitergegeben.

R: Ich entnehme Ihren Akt, dass Sie verwitwet sind. Können Sie mir mehr von Ihrem Mann sagen, Namen, Geburtsdatum und wann und woran er gestorben ist?

BF: Er wurde am 27.04.1955 geboren. Gestorben ist er an seinem Geburtstag. Ich glaube am 28. oder am 29. ist er verstorben. Am 30. April haben wir ihn bestattet. Ich weiß, dass die

Bestattung von 28. bis zum 30. gedauert hat. Das war im Jahr 2010. Da war meine Tochter 10 Jahre alt. Das war vor vier Jahren.

R: War Ihr Mann Widerstandskämpfer?

BF: Nein.

R: Haben Sie heute neue Beweismittel vorzulegen?

RV legt einen Befundbericht vom 04.06.2014, Dr.med.XXXX vor. Dieser wird als Beilage A zum Akt genommen. Weiters legt RV einen Therapieplan vom XXXX als Beilage B, eine Bestätigung der Caritas vom 13.06.2014 als Beilage C und mehrere Empfehlungsschreiben für die Tochter als Beilage D vor.

R: Hat sich an den Gründen Ihres Asylantrages zum bisherigen Vorbringen etwas geändert oder bleiben Sie bei Ihren Vorbringen?

BF: Es hat sich nichts geändert.

R: Zu Ihrer persönlichen Situation: Sind Sie alleinstehend oder leben Sie in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Ich lebe nur mit meiner Tochter.

R: Können Sie mir Ihre gesundheitlichen Probleme sagen, die Sie aktuell haben und auch welche Medikamente Sie nehmen und wo Sie in Behandlung sind?

BF: Ich nehme jetzt Lasex ein, das ist Harntreibend und noch ein Mittel dazu. Jedenfalls zwei Tabletten jeden Morgen. Ich leide unter Hepatitis C. Ich habe eine dreimonatige Behandlung hinter mir. Sie hat sehr viel Geld gekostet. Im September war diese Behandlung zu Ende. Hepatitis C gilt jetzt als geheilt. Allerdings muss ich jetzt noch unter Kontrolle bleiben. Am 15. Jänner habe ich schon einen Termin. Man wird die Leberzirrhose behandeln. Das sind die vorbereitenden Maßnahmen für eine Operation. Das können Sie alles den vorgelegten Unterlagen entnehmen. Ich habe auch Probleme mit meinen Beinen. Ich habe auch eine diesbezügliche Therapie. Ich habe auch eine Überweisung ins Krankenhaus bekommen sollen. Ich habe das aber wegen der heutigen Verhandlung verschoben. Ich wollte nicht noch einmal fehlen.

R: Was haben Sie mit Ihrem Bein?

BF: Ich muss spezielle Strümpfe tragen, weil ich sehr angeschwollene Beine habe.

R: Wie geht es Ihnen psychisch?

BF: Ich bin sehr nervös. Ich leide unter Stress.

R: Hatten Sie das schon in Grosny?

BF: Das hat vor meiner Abreise begonnen. Nach dem Tod meines Mannes. Hier ist es etwas besser geworden.

R: Waren Sie in Tschetschenien auch bezüglich derselben Dinge in Behandlung?

BF: Man hat mir gesagt, dass ich wegen der Leberzirrhose keine Injektion bekommen sollte. Hier konnte ich das auch nicht bekommen. Deswegen habe ich die neuen Behandlungsmethoden bekommen. So eine Behandlung hätte ich im Heimatland nicht bekommen können.

R: Mussten Sie im Heimatland für die Behandlungen bezahlen?

BF: Sicher. Jede Behandlung wird dort bezahlt.

R: Warum meinen Sie, Sie hätten so eine Behandlung in Ihrem Heimatland nicht bekommen können?

BF: Diese Behandlungsmethode mit der Leberzirrhose ist neu. Sie wird erst jetzt im XXXX durchgeführt.

R: Warum haben Sie diese Behandlung mit Injektionen nicht in Anspruch nehmen können?

BF: Die Leberzirrhose ist so fortgeschritten. Das hätte meine Leber nicht ausgehalten. Ich habe drei Jahre auf diese Behandlung hier in Österreich gewartet. Ich bin sehr dankbar dafür. Ein Arzneimittel heißt Salwanie. Es gibt auch noch ein anderes Arzneimittel.

R: Geht es Ihnen gut angesichts der Menge an Arzneimitteln, die Sie nehmen?

BF: Ja.

BF antwortet gezielt auf die gestellten Fragen und kann der Verhandlung ausgezeichnet folgen.

R: Sind Sie in Psychotherapie und wie oft?

BF: Jetzt habe ich eine Pause eingelegt. Ich nehme auch nur eine Viertel Tablette, wenn ich nicht einschlafen kann. Psychotherapie mache ich bei Dr. XXXX. Wenn es mir schlecht geht, mache ich Termine. Das sind zirka alle zwei Wochen. Manchmal auch einmal im Monat. Die Therapie tut mir gut. In Tschetschenien hat es so etwas nicht gegeben. Die Therapie findet auf Deutsch statt. Es gibt dort eine Dolmetscherin.

R: Wie geht es Ihrer Tochter?

BF: Sie ist allgemein gesund. Als ich sie zur Welt gebracht habe, habe ich bereits Hepatitis C gehabt. Sie hat sich aber nicht angesteckt.

R: Sind Sie in Ihrer Heimat strafgerichtlich unbescholten?

BF: Ja.

R: Wo haben Sie vor Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation gewohnt bzw. gelebt?

BF: In Grosny.

R: Können Sie uns die Adresse sagen?

BF: Siedlung XXXX.

R: Knapp vor Ihrer Ausreise haben Sie bei Ihrer Freundin XXXX gelebt. Ist das richtig?

BF: Ja, drei oder vier Tage.

R: Haben Sie in der Zwischenzeit von Ihrem Sohn gehört?

BF: Ja.

R: Was haben Sie für Neuigkeiten?

BF: Es gibt keine guten und keine schlechten Neuigkeiten. Er hält sich versteckt. Ich weiß nicht, wo er sich versteckt hält. Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir nicht gesagt, wo er ist. Er hat mich angerufen. Er hat die Telefonnummer gewechselt.

R: Wie hat er gewusst, wo er Sie anrufen soll?

BF: Ich habe am Anfang XXXX kontaktiert. Dann wollte XXXX keinen Kontakt mehr mit mir haben. Sie hat mir gesagt, dass ich sie nicht nennen soll und dass ich die Angaben über sie nicht übermitteln soll. XXXX hat meinem Sohn die Telefonnummer gegeben. So konnte er mich kontaktieren. Ich habe jetzt schon lange nichtmehr mit ihm gesprochen. Er hat sich bei mir nur selten gemeldet. Ich schätze zirka vier Mal. Wann das genau war, weiß ich leider nicht.

R: Was hat er gesagt?

BF: Er hat mir gesagt, dass er versuchen wird hier her zu kommen, wenn er die Möglichkeit dazu bekommt.

R: Warum versteckt er sich?

BF: Weil er die Leute transportiert hat.

R: Wird er verfolgt?

BF: Ja, er wird verfolgt. Die Polizei verfolgt ihn.

R: Was hat er am Telefon gesagt?

BF: Er hat mich beruhigt. Er hat mir nichts Genaues gesagt, was er macht. Er hat mir nur gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll und dass alles wieder gut ist.

R: Denken Sie, dass Ihr Sohn Widerstandskämpfer ist?

BF: Nein.

R: Wir haben zu Ihrem Sohn bei Accord Anfragen gestellt. Wir haben etwas gefunden. (R zeigt BF ein Foto der Accord-Anfrage vom 12.03.2014. BF verneint, dass es sich hierbei um ihren Sohn handle.).

RV an R: Was haben Sie bei der Anfrage angefragt?

BF: Ob Informationen über den Sohn vorliegen.

R: Sie sagen, dass Sie am 12.10. bei der Freundin XXXX gewohnt hatten und am 16.10. Tschetschenien verlassen hätten. Wann war der Vorfall mit Ihrem Sohn, als er diese zwei Männer transportiert hat?

BF: Das war zirka eine Woche oder vier Tage vorher. Genau weiß ich es leider nicht. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.

R: Laut Akt wäre das drei oder vier Tage vorher gewesen (Verweis auf AS 71)

BF: Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Tage es vorher war.

R: Bitte versuchen Sie, mir den Vorfall zu beschreiben, warum Sie Tschetschenien verlassen haben.

BF: Er hat zwei Leute transportiert, nicht einen. Er musste diese Leute transportieren. Ein anderer Mann ist zu mir gekommen und hat Einkäufe getätigt. Das war an den Tag, an dem mein Sohn die Leute transportiert hat. Er hat die Lebensmittel zu ihm gebracht.

R: War das üblich, dass Ihr Sohn Leute Transportiert und ihnen Lebensmittel bringt?

BF: Er hat als Taxi-Fahrer gearbeitet.

R: Sie sagen trotzdem, dass Ihnen der eine Kunde verdächtig vorgekommen wäre. Warum?

BF: Weil er so viel gekauft hat. Er hat sehr viele Lebensmittel eingekauft. Das waren Großhandelsmengen. Für mich war das super. Ich war schon sehr froh. Er hat einige Male bei mir eingekauft.

R: Kannten Sie den Mann?

BF: Nein aber ich habe ihn als Kunden wahrgenommen, der einige Male bei mir eingekauft hat. Namentlich kannte ich den Mann nicht.

R: Wann war der Vorfall?

BF: An den Tag, an dem mein Sohn die Leute transportiert hat. Zuerst hat er diesen Mann dorthin gebracht und hat die Ware ausgeladen. Von dort sind zwei Leute raus gekommen. Sie waren bewaffnet. Und sie haben von meinem Sohn gefordert, dass er sie in die Stadt bringt.

R: In welches Dorf hat Ihr Sohn den Mann gebracht?

BF: Ich kann mich jetzt nicht mehr erinnern, wie dieses Dorf hieß.

R: Wieviel Zeit ist da vergangen? War das in der Früh oder am Abend?

BF: Das war unter Tags. Genau weiß ich es nicht mehr. Ich weiß nicht um wieviel Uhr das war. Ich habe die ganze Zeit gehandelt.

R: Wie viele Stunden war Ihr Sohn weg?

BF: Er ist nicht gleich zurückgekommen. Er hat dann weiter gearbeitet. Er ist erst später gekommen und hat mir erzählt, wie es war.

R: Haben Sie selbst die zwei Männer gesehen?

BF: Nein, er hat sie von dort in die Stadt gebracht.

R: Was hat er genau erzählt?

BF: Er hat mir gesagt, dass wir Probleme bekommen können, weil er gezwungen wurde, Leute in die Stadt zu bringen.

R: Wenn er Taxi-Fahrer war, war das nicht ungewöhnlich, dass er Leute transportiert hat. Warum sollte er Probleme bekommen?

BF: Diese Leute waren ganz anders. Sie hatten wahrscheinlich Uniformen an und waren bewaffnet. Mein Sohn hat erzählt, dass er verdächtige Leute transportiert hat, die bewaffnet waren und Tarnanzüge anhatten. Vielleicht haben die dort etwas gemacht und mussten dann wieder zurück.

R: Sie äußern in den Akten, dass Sie vermuten, dass es sich bei den zwei Männern um Widerstandskämpfer gehandelt hätte. Woraus schließen Sie das?

BF: Weil Sie Tarnanzüge an hatten. Solche Leute nennen wir Kämpfer und sie haben sich ja versteckt gehalten.

R: Hat Ihr Sohn in dem jetzigen, letzten Telefonat von diesen Männern wieder erzählt?

BF: Nein. Er hat schon lange nicht über sie gesprochen.

R: Wann hat er zuletzt mit Ihnen über diese Männer gesprochen?

BF: Das war schon lange her. In der letzten Zeit spricht er über sie nicht. Er kennt sie gar nicht. Das letzte Mal hat er mit mir darüber gesprochen, damals als er nach Hause gekommen ist. Nach einiger Zeit wurde er dann gesucht.

R: Sie sagen, dass am 12.10.2011 Sie dann das Haus verlassen haben, um ins Spital zu fahren und dann die Polizei nach Hause gekommen wäre. Können Sie das genauer schildern?

BF: Ich bin zu Fuß ins Krankenhaus gegangen. Das war ganz in der Nähe. Meine Tochter war krank und hatte Fiber. Ich hatte auch Hilfe gebraucht. Ich war eigentlich wegen meiner Tochter dort aber ich habe mich auch nicht gut gefühlt.

R: Was hatten Sie beide?

BF: Meine Tochter hatte Grippe, sie war fast eine Woche krank. Sie war stark verkühlt. Als wir hierhergekommen sind, hatte Sie noch immer 39 Grad Fieber.

R: Wohnt Ihr Sohn jetzt in Ihrem Haus? Das haben Sie nicht verkauft und steht jetzt leer.

BF: Nein, er versteckt sich. Er kann dort nicht leben. Was mit dem Haus ist, weiß ich nicht. Zuerst hat XXXX nachgeschaut. Aber jetzt weiß ich nichts mehr. Wenn eine Wohnung lange leer steht, wird diese von der Polizei besiedelt. Ich denke, dass dort auch jetzt andere Leute leben. Wissen tu ich es aber nicht. Ich weiß, dass die Polizei leerstehende Unterkünfte nicht unbewohnt lässt.

R: Sie haben in Ihrem Heimatort auch Geschwister. Sind Sie mit ihnen nicht in Kontakt?

BF: Sie wollen das nicht.

R: Haben Sie das versucht?

BF: Ja. Sie haben Angst.

R: Zum Vorfall am 12.10.. Sie waren mit Ihrer Tochter im Spital. Was ist dann passiert?

BF: Die Polizei ist gekommen. Man hat nach meinem Sohn gesucht. Unser Haus wurde eingekreist und die Polizei ist in unsere Wohnung gekommen. Man hat nach meinem Sohn gefragt.

R: Ist die Polizei in die Wohnung gegangen oder draußen geblieben?

BF: Ich war nicht dort. Ich weiß es nicht. Die Verkäuferin war dort. Meine Wohnung und das Geschäft sind in einem Gebäude. Ich habe eine drei Zimmer Wohnung gehabt und aus zwei Zimmern habe ich ein Geschäft gemacht. Bei uns ist das so üblich.

R: Dort war die Verkäuferin XXXX. Ist das korrekt?

BF: Ja, die Polizei hat mit ihr gesprochen. Sie fragten nach meinem Sohn. Sie suchten auch nach dem Auto meines Sohnes.

R: Wie viele Männer waren das?

BF: Ich weiß es nicht. Viele Leute.

R: Hat XXXX ungefähr gesagt, wie viele es waren?

BF: Es waren viele mit einigen Autos. Sie haben das Haus eingekreist.

R: Was heißt: "Sie haben das Haus eingekreist."?

BF: Ich habe das nicht gesehen, ich weiß nur, wie man das gewöhnlich macht.

R: Wie lange waren die Männer dort?

BF: Ich weiß es nicht, weil ich ja dort nicht war. Ich bin am gleichen Tag von dort mit einem Taxi zu meiner Freundin gefahren. Die Leute haben dort aber nicht übernachtet.

R: Glauben Sie, dass das Haus weiter beobachtet wurde?

BF: Ja sicher. Ich vermute das. Das Haus wird überprüft. Die Leute kommen und suchen nach der Person.

R: Waren Sie am Vormittag oder am Nachmittag im Spital? Wie haben Sie dann davon erfahren?

BF: Das war am Vormittag. Die Verkäuferin konnte mich nicht anrufen, weil die Leute ja da waren. Sie hat ein Mädchen geschickt. Das war aber nicht ihre Tochter sondern ein anderes Mädchen.

R: Sie haben in einer Einvernahme auch gesagt, dass Sie von mehreren Leuten aus der Verwandtschaft informiert wurden (Vorhalt AS 67). Jetzt haben Sie gesagt, dass ein Mädchen gekommen ist?

BF: Nein, es ist nur das Mädchen gekommen. Ich habe nicht gesagt, dass mehrere Personen aus der Nachbarschaft gekommen waren. (Verweis AS 67)

R: Sie haben die Einvernahmen rückübersetzt bekommen und da steht, dass es mehrere Personen waren.

R: Das habe ich nicht gesagt. Ich kann mich erinnern, dass das Mädchen gekommen ist und wie sie mir das gesagt hat. Es ist natürlich so, dass die anderen auch darüber sprechen, wenn jemand gesucht wird.

R: Woher wissen Sie, dass das die Polizei war, die nach Ihrem Sohn gesucht hat?

BF: Normalerweise sucht die Polizei nach irgendwelchen Personen. Das Mädchen ist gekommen und hat mir gesagt, dass die Polizei nach meinem Sohn sucht.

R: Gab es zuvor einen ähnlichen Vorfall oder war das das erste Mal?

BF: Das war das erste Mal. Sie hat mir dann gesagt, was da vorgefallen ist.

R: Was denken Sie, wollten diese Männer von Ihrem Sohn?

BF: Wahrscheinlich hat die Polizei geglaubt, dass mein Sohn und diese Männer zusammen gehören.

R: Mit wem hat die Polizei konkret gesprochen?

BF: Mit XXXX.

R: Auch noch mit anderen Menschen in der Nachbarschaft?

BF: Das kann sein. Das weiß ich aber nicht, weil ich nicht mehr zurückgekommen bin.

R: Sie sind dann direkt vom Spital zu Ihrer Freundin gefahren?

BF: Ja.

R: Sie sagen, dass Sie ausgereist sind, weil nach Ihrem Sohn gefragt wurde?

BF: Ja.

R: Was ist die konkrete Gefahr, die Ihnen und Ihrer Tochter droht?

BF: Wenn ich zurückkommen sollte, dann werde ich ergriffen, weil man möglicherweise annimmt, dass ich auch zu diesen Leuten gehöre. Ich habe ja Lebensmittel verkauft. Deshalb könnte ich auch in Verdacht geraten. Man könnte mich mitnehmen und mir alles Mögliche antuen.

R: Wurden Sie jemals mitgenommen oder festgehalten?

BF: Nein, aber ich kenne Leute, die festgehalten wurden und manche von ihnen sind auch verschwunden. Manche sind auch zurückgekommen.

R: Wurde die XXXX je festgehalten oder mitgenommen?

BF: Nein.

R: Hat Ihr Sohn am Telefon erzählt, dass die Polizei oder die Männer ihn je festgehalten hätten?

BF: Nein, man hätte ihn nicht freigelassen, wenn man ihn festgehalten hätte. Er ist erfolgreich untergetaucht.

R: Haben Ihre Verwandten Kontakt zu Ihrem Sohn?

BF: Er kann nicht zu ihnen kommen, weil sonst die Polizei meiner Verwandten ebenfalls aufsuchen wird. Das wird schlecht sein, wenn man das in Erfahrung bringt.

R: Wurden Sie je bedroht oder nach Ihrem Sohn befragt?

BF: Nein, ich war ja nicht mehr dort.

R: Offenbar sucht die Polizei noch nach Ihrem Sohn. Dann wäre davon auszugehen, in dem Ihr Sohn mit Ihnen gelebt hat, unter Beobachtung ist?

BF: Ja, das kommt vor. So lange, wie man nach ihm sucht, wird man Nachschau in der Wohnung halten. Konkreten Hinweis darauf habe ich keinen.

R: Was würde Ihnen und Ihrer Tochter konkret passieren, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren würden?

BF: Ich bin davon überzeugt, dass wir beide mitgenommen werden. Ich möchte Ihnen was sagen, will aber nicht, dass meine Tochter dabei ist.

Die Tochter verlässt den VH-Saal.

BF: Ich habe Angst, dass man meine Tochter benutzen wird und dass man sie entehren und vergewaltigen wird. Auch dass man von uns fordern wird zu sagen, wo sich ihr Bruder bzw. mein Sohn befindet.

R: Wieso sollte oder könnte man Sie oder Ihre Tochter unter Druck setzen, wenn Sie es eh nicht wissen?

BF: Man wird uns nicht fragen, ob wir das wissen oder nicht wissen. Sie wissen gar nicht, welche Methoden diese Leute verwenden.

R: Können Sie mir noch einmal zusammenfassen, was der Grund ist, warum Sie sich in der Heimat verfolgt fühlen und die Heimat verlassen haben?

BF: Mein Sohn hat die Leute transportiert, die sich irgendetwas zu Schulden kommen lassen haben. Man wird uns wegen des Sohnes suchen. Abgesehen davon kann ich auch in Verdacht geraten, dass ich ebenfalls involviert war.

R: Hat Ihr Sohn öfters mit diesen Männern zu tun gehabt?

BF: So wie ich es weiß, hat er genau diese Leute nur einmal transportiert. Die Lebensmittel hat er schon früher transportiert.

R: Waren das Lebensmittel für Widerstandskämpfer, die er transportiert hat?

BF: Das weiß ich nicht genau.

R unterbricht die Verhandlung für eine Pause um 10:48 Uhr.

Die Verhandlung wird um 11:09 Uhr fortgesetzt.

R: Wie geht es Ihnen?

BF: Gut.

R: Wollen Sie Ihre Fluchtgründe und Ihr bisheriges Vorbringen abändern oder so beibehalten?

BF: Nein, ich bleibe bei meinen Angaben.

R: Wie haben Sie in Tschetschenien Ihr Leben finanziert?

BF: Ich hatte ein Geschäft. Ich habe deswegen in Wohlstand leben können. Ich war selbsterhaltungsfähig.

R: Waren Sie Eigentümerin oder Pächterin des Geschäfts?

BF: Ich war Eigentümerin. Die Wohnung hat auch mir gehört.

R: Was ist mit dem Geschäft jetzt?

BF: Die Waren wurden verkauft und das Geschäft geschlossen. XXXX hat für mich das Geschäft geschlossen. Sie hat aber nicht dort gearbeitet. Sie hat mir nur geholfen. Sie hat mir finanziell ausgeholfen. Auch für die Flucht. Das Geschäft steht jetzt leer. Außer es sind dort jetzt andere Leute. Aber das weiß ich nicht.

R: Glauben Sie, dass Sie dort wieder arbeiten könnten?

BF: Nein.

R: Warum nicht?

BF: Es sind viele Jahre vergangen. Die Obrigkeit lässt keine leerstehende Wohnung so lange leer stehen.

R: Könnten Sie sonst etwas in Ihrer Heimat arbeiten?

BF: Wenn meine Rückkehr möglich wäre, wäre auch eine Arbeit möglich.

R: Was haben Sie für eine Ausbildung gemacht?

BF: Ich habe als Buchhalterin gearbeitet.

R: Sie haben vier Geschwister. Drei Brüder und eine Schwester. Wo leben die?

BF: Ja das stimmt. Im gleichen Bezirk leben zwei Brüder von mir. Meine Schwester lebt etwas weiter weg. Sie leben alle in Russland bzw. Tschetschenien. Ein Bruder von mir lebt in Polbograt.

R: Haben Sie Kontakt zu ihm?

BF: Ja.

R: Könnten Sie, wenn Sie zurückkehren müssten, bei Ihrem Bruder wohnen?

BF: Nein, er hat den gleichen Familiennamen wie ich. Wenn man nach uns in Russland sucht, kann man leicht gefunden werden.

R: Wird Ihr Bruder auch verfolgt oder hat Probleme wegen seines Namens?

BF: Nein.

R: Wie heißt der Bruder?

BF: XXXX ist der ältere Bruder, der in der Nähe von mir wohnt in Tschetschenien.

R: Wenn Sie zurückkommen, würden sich Ihre Brüder um Sie kümmern?

BF: Ich kann nicht zurück. Man wird mich sofort ergreifen. Man wird mich dort nicht leben lassen.

R: Könnten Sie bei den Geschwistern unterkommen?

BF: Nein, weil man mich dann ergreifen würde und sie deswegen Probleme bekommen würden.

R: Die Probleme sind wegen Ihres Sohnes. Warum wird nicht auf den Onkel zugegriffen?

BF: Nach ihm hat man überall gesucht. Deswegen will man mit mir nichts zu tun haben.

R: Werden Ihre drei Brüder auch gesucht oder nach Ihrem Sohn gefragt?

BF: Zuerst hat man nach ihm gefragt. Ob jetzt noch wer kommt, weiß ich nicht.

R: Ich höre das jetzt zum ersten Mal.

BF: Niemand hat mich danach gefragt.

R: Ihre Brüder wurden auch nach Ihrem Sohn gefragt?

BF: Ja.

R: Ist etwas passiert?

BF: Alle Verwandten werden in solchen Fällen aufgesucht.

R: So etwas passiert bei uns auch, dass man nach jemanden fragt. Wovor haben Sie Angst?

BF: Wenn man mich oder meinen Sohn sieht, dann wird es Unannehmlichkeiten geben.

R: Der einzige Angehörige in der Russischen Föderation ist der Bruder in Wolgograd?

BF: Ja.

R: Wo lebt Ihre Mutter?

BF: Sie lebt in der Nähe von uns mit meinem Bruder in Tschetschenien.

R: Hätten Sie bei Ihrer Freundin, XXXX weiter wohnen können?

BF: Ich glaube nicht, dass das lange möglich wäre.

R: Es gibt in Tschetschenien viele alleinstehende Frauen aufgrund dieser Situation, die mit Kindern für sich sorgen müssen. Was konkret unterscheidet Sie von denen?

BF: Ich kann dort wegen meines Sohnes nicht leben.

R: Haben Sie Familienangehörige in Österreich?

BF: Ja. Zwei Neffen.

R: Haben Sie Kontakt zu denen?

BF: Ja, sie leben in Bregenz.

R: Wie oft haben Sie Kontakt zu ihnen?

BF: Wir telefonieren miteinander.

R: Wovon leben Sie in Österreich? Gehen Sie einer Beschäftigung nach?

BF: Ich lebe sehr gut.

R: Ich habe gesehen, dass Sie von der Caritas eine Bestätigung haben, dass Sie die dort unterstützt haben. Was machen Sie dort?

BF: Ja, wenn es Feiertage gibt, dann bin ich an der Organisation beteiligt. Wir zeigen unsere Kultur. Wir kochen auch, damit man weiß, welche Küche wir haben. Ich helfe so gut, wie ich kann.

R: Wenn Sie jetzt in Österreich bleiben würden, wie stellen Sie sich das vor? Würden Sie versuchen zu arbeiten?

BF: Sicher werde ich arbeiten, auf jeden Fall.

R: Was würden Sie machen?

BF: Ich schaue welche Möglichkeiten ich habe.

R: Haben Sie sonst soziale Kontakte in Österreich? Sind Sie in einem Verein?

BF: Ich habe keine Mitgliedschaft. Ich bin bei der Caritas und helfe dort.

R: Sind Sie in Österreich strafrechtlich unbescholten?

BF: Ja. Ich habe auch sehr viele Freunde hier.

(Verweis auf Strafregisterauszug vom 17.11.2014)

R: Haben Sie seit Ihrer Einreise Österreich verlassen?

BF: Nein.

R: Ich habe gesehen, dass Sie einen Deutschkurs besuchen und möchte sehen ob wir miteinander sprechen können. Wie verbringen Sie Ihren Tag?

BF: Ich verstehe nur aber ich kann nicht sprechen. Ich hoffe, dass ich nach dem nächsten Kurs beginne Deutsch zu sprechen.

R: Woher kommen Sie?

BF auf Deutsch: Aus Tschetschenien.

BF: Ich kann nur ein Bisschen sprechen und bin jetzt aufgeregt.

R: Gibt es weitere Urkunden, die Sie vorlegen möchten, über weitere Ausbildungen oder Kurse?

BF: Nein, das ist alles.

R: Möchten Sie sonst andere Dokumente vorlegen?

BF: Nein, ich besuche im Moment keine Kurse, weil meine Brille kaputt gegangen ist und ich warte auf eine Neue. Ich bekomme aber eine Neue. Die Krankenkassa hat die Papiere schon geschickt.

R: Mit der Ladung wurden Feststellungen zur Situation in Ihrem Herkunftsstaat mitgeschickt. Haben Sie die gesehen und möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

BF: Die Berichte entsprechen der Wahrheit aber die Wahrheit übersteigt die Berichte. Es passiert mehr, als in den Berichten geschrieben wird.

R: Ich habe keine weiten Fragen. Möchten Sie noch etwas vorbringen?

RV: Zur Situation der Tochter: Wie man sieht, ist die Tochter bestens integriert, obwohl sie erst seit drei Jahren hier sind. Das sollte auch in der Entscheidung berücksichtigt werden. Die Tochter war bei der Herkunft in Österreich erst 10 Jahre alt. Nun ist sie 15 Jahre alt. Die Tochter könnte im Falle einer Rückkehr in Tschetschenien nun auch Probleme bekommen. Frauen im heiratsfähigen Alter sind durchaus auch zur Zwangsverheiratung bedroht. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch die Tochter nun bedroht werden könnte.

Das Kindeswohlbeachten der Tochter: Dazu wurde im erstinstanzlichen Verfahren nichts gesagt. Gerade Kinder im Alter von 11 bis 15 Jahre sind in einer gewissen Entwicklung. Zu den Länderfeststellungen: Es geht klar hervor, dass es in Tschetschenien weiterhin zwar offiziell ein russisches Rechtssystem gib, tatsächlich die Tschetschenische Republik in der Realität dieses Rechtssystem nicht anwendet. Es geht aus den Länderberichten auch hervor, dass willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung sind, selbst wenn man nur verdächtigt wird, Kontakte zu Rebellen zu haben. Insofern ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin mit den Länderfeststellungen in Einklang zu bringen. Zur Gesundheitsversorgung: Es geht aus den Länderfeststellungen hervor, dass es eine Grundversorgung flächendeckend gibt, die Beschwerdeführerin aber offenbar an einer derart schweren Krankheit leidet, die in Tschetschenien nicht adäquat behandelt wurde und gehe ich davon aus, dass eine solche Behandlung ihr nicht zur Verfügung stehen würde. Wie vorgebracht wurde, ist die derzeit angewandte Behandlungsmethode selbst in Österreich nicht alltäglich. Aufgrund des Vorbringens werden die Anträge aufrechterhalten. Zu den scheinbaren Widersprüchen, zwischen der Aussagen, dass vor dem BAA die Beschwerdeführerin gesagt hätte, mehrere Leute aus der Nachbarschaft sind gekommen und heute gesagt hat, dass ein Nachbarskind gekommen ist, möchte ich festhalten, dass das BAA heute nicht anwesend war und dazu nicht befragt werden konnte. Zum Vorhalt, warum die Beschwerdeführerin in der ersten Instanz nichts über die Nachfrage bei ihren Geschwistern gesagt hat, möchte ich auch darauf verweisen, dass das BAA damals trotz ihrer Ermittlungspflicht diese Frage nicht gestellt hat und allgemein die Klienten aufgefordert werden, die Fragen zu beantworten.

Die Anträge bleiben aufrecht.

R: Möchten Sie sonst was Ergänzendes oder Beweisanträge vorbringen?

RV: Nein.

R: Hatten Sie in dieser Verhandlung Gelegenheit alles vorzubringen?

BF: Ja, es war alles in Ordnung.

R: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

BF: Ja.

R an Tochter: Wie geht es dir?

BF: Gut.

R: Wo gehst du in die Schule?

BF: Ich gehe in die Hauptschule in die vierte Klasse.

R: Gefällt es dir dort gut?

BF: Ja.

R: Hast du dort Freunde?

BF: Ja.

R: Was machst du so in deiner Freizeit?

BF: In meiner Freizeit mache ich Hausübung und Lerne. Ich mache Sport. Ich gehe laufen.

R: Hast du in der Schule Freundinnen?

BF: Ja, mir gefällt es sehr gut.

R: Was möchtest du einmal beruflich machen?

BF: Ich möchte gerne Ärztin werden.

Anmerkung: Tochter antwortet in einwandfreiem Deutsch.

R: Die Entscheidung wird schriftlich ergehen.

Abschluss des Beweisverfahrens

BF: Ich habe eine Bitte: Egal welche Entscheidung Sie treffen. Ich möchte nicht, dass meiner Tochter das in Tschetschenien passiert, was anderen dort passiert. Ich möchte, dass sie eine Ausbildung bekommt. Ich möchte, dass sie den Mann heiraten kann, den sie heiraten will und dann heiratet, wenn sie heiraten will.

R: Wurde das rückübersetzt, was Sie vorher angaben oder wollen Sie weitere Korrekturen anbringen?

BF: Ja."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes betreffend die Beschwerdeführerin und ihre minderjährige Tochter sowie in die im Zuge des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens vorgelegten Beweismittel und die Einvernahme der Beschwerdeführerin, insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2014, sowie Einsicht in die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebrachten Länderdokumente und Ermittlungsergebnisse.

Das Bundesverwaltungsgericht geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

Zur Person und den Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe.

Sie reiste am 20.10.2011 gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter (Beschwerdeführerin zu W162 1431661-1) illegal in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführerin wohnt mit ihrer minderjährigen Tochter in Österreich im gemeinsamen Haushalt.

Es liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 hinsichtlich ihrer minderjährigen Tochter vor. Hinsichtlich ihrer Tochter ergeht mit heutigem Tag eine gleichlautende Entscheidung.

Es kann weder festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt war, noch eine solche aktuell droht. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Dass Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin entsprechend den getroffenen Feststellungen an psychischen und physischen Erkrankungen leidet. Im Detail wurde bereits im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an Hepatitis C erkrankt und aufgrund dieser Erkrankung bereits im Heimatland medizinisch betreut worden ist. Zusammen mit der Beschwerde wurden aktuelle Befunde hinsichtlich der Beschwerdeführerin übermittelt, wonach sie insbesondere an Hepatitis C, Leberzirrhose und "Vertebrostenose lumbal" (eine Verminderung des Gesamtdurchmessers des Wirbelkanals) leidet. Aktuell vorgelegt wurde eine Ambulanzkarte eines Krankenhauses vom 23.10.2013, in der insbesondere festgehalten wurde, dass bei der Beschwerdeführerin "eine bekannte Leberzirrhose sowie Hepatitis C" vorliegen und die Behandlung in der Leberambulanz erfolgt, weiters wurden insbesondere "Lymphödem bds." festgestellt. Ab Ende Juli 2014 bis Ende September 2014 hat sich die Beschwerdeführerin überdies einer Hepatitis-Therapie in Österreich unterzogen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gab die Beschwerdeführerin ausdrücklich an, ihre Hepatitis-C-Erkrankung gelte nunmehr als geheilt, aufgrund ihrer Leberzirrhose verwies sie auf einen Termin im Jänner (2015) und sie schilderte eine Therapie wegen "Problemen mit ihren angeschwollenen Beinen". Aus dem Befundbericht vom 04.06.2014 ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin ab 25.09.2014 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung aufgrund der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" befindet. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gab sie an, sie besuche eine Psychotherapie, habe jedoch derzeit eine Pause eingelegt und nehme lediglich eine "Viertel Tablette", wenn sie nicht einschlafen könne. Eine Fortsetzung der Behandlungen ihrer Erkrankungen im Herkunftsstaat ist aufgrund der Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat möglich. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin an keiner außergewöhnlichen oder gar lebensbedrohlichen Krankheit leidet, die gegen eine Rücküberstellung in die Russische Föderation spricht.

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin, welche seit April 2010 verwitwet ist und über eine Ausbildung zur Buchhalterin verfügt, im Herkunftsstaat vor ihrer Ausreise durch Erträge aus dem eigenen Lebensmittelgeschäft den Lebensunterhalt erwirtschaftet hat, zusammen mit ihrer minderjährige Tochter im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht ihnen weder eine unmenschliche Behandlung, Todesstrafe oder unverhältnismäßige Strafe, noch eine sonstige individuelle Gefahr. Es wird der Beschwerdeführerin zweifellos möglich sein, im Heimatland in ihrem Haus in Grosny zu wohnen wie sie dies vor ihrer Ausreise getan hat, oder gegebenenfalls auch bei ihren zahlreichen Verwandten im Herkunftsstaat. Ihre Mutter und Geschwister leben nach wie vor im Heimatland, zwei Brüder im selben Bezirk wie die Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise, eine Schwester etwas weiter weg und ein weiterer Bruder lebt außerhalb Tschetscheniens in der Russischen Föderation, im Wolgograd. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin von diesen Angehörigen ebenso wie von ihren restlichen im Heimatland befindlichen Angehörigen im Falle einer Rückkehr unterstützt werden kann. Überdies verfügt die Beschwerdeführerin noch über eine sehr gute Freundin im Herkunftsstaat, bei der sie und ihre minderjährige Tochter bereits vor ihrer Ausreise Unterkunft erhalten hatte und unterstützt worden war.

Es besteht für die Beschwerdeführerin in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Die ebenfalls als Asylwerberin in Österreich aufhältige minderjährige Tochter der Beschwerdeführerin wird mit Erkenntnis vom heutigen Tag ebenfalls aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Zwei Neffen der Beschwerdeführerin leben noch in Österreich. Ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine besondere Beziehungsintensität zu diesen Neffen, mit denen sie nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, war jedoch nicht festzustellen.

Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist von keiner zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten Person abhängig. Der unbescholtenen Beschwerdeführerin kam zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Österreich ein nicht auf das Asylverfahren gestütztes Aufenthaltsrecht zu, auch konnte kein besonderes Maß an Integration festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter werden aufgrund der Erkrankung der Beschwerdeführerin an Leberzirrhose und Hepatitis C im Rahmen der Sonderbetreuung in einem Haus der Flüchtlingshilfe betreut. Die Beschwerdeführerin hat an Deutschkursen teilgenommen und arbeitet im Caritas Nachbarschaftshilfeprojekt mit. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung konnte festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin kaum vorhandene Deutschkenntnisse hat, während ihre Tochter mittlerweile über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt. Die Tochter der Beschwerdeführerin besucht derzeit die vierte Klasse der Hauptschule mit gutem Erfolg und hat bereits zahlreiche Freunde in Österreich. Es kann von keiner Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden. Eine besondere Bindung zu Österreich hat sich im Verfahren ebenso wenig ergeben wie intensivere soziale Kontakte. Im Herkunftsstaat leben noch zahlreiche Verwandte und Bekannte der Beschwerdeführerin samt deren Familien.

Zur relevanten Situation in der Russischen Föderation, respektive Tschetschenien

Hinsichtlich der aktuellen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere die Situation von Rückkehrern sowie die Situation von Frauen betreffend, wird auf die Feststellungen in sämtlichen vorgelegten und der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebrachten Berichten verwiesen, wobei auszugsweise folgende wesentliche Punkte angeführt werden:

Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur IFA von Tschetschenen in Russland

(Stand Juni 2014)

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß‑)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut "(Kadyrow'scher Privatstaat" Uwe Halbach). Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zum russischen Präsidenten im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen.

Bis Februar 2011 wurde Russland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bereits in 162 Fällen für schwerste Menschenrechtsverletzungen während des zweiten Tschetschenien-Kriegs verurteilt. Im Februar 2011 wurde Ramzan Kadyrow von Präsident Medwedew zu einer zweiten fünfjährigen Amtszeit als Republiksoberhaupt ernannt. Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten. Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahhabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien , Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow , Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 20, The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 8, Issue 42, 02.03.2011, Ria Novosti (5.12.2012):

United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html , Zugriff 24.10.2013, Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html , Zugriff 24.10.2013)

1. Allgemeine Situation

In Tschetschenien hat Oberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle ging nach einem relativen Höchststand 2009 wieder zurück. Dennoch kam es 2010 und 2011 zu einigen ernsthaften Vorfällen. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15, Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

Anders als im übrigen Nordkaukasus gingen die Angriffe bewaffneter Gruppen in Tschetschenien zurück.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 ,24.5.2012)

2011 gab es in Tschetschenien mindestens 201 Opfer des bewaffneten Konflikts, darunter 95 Tote und 106 Verwundete. 2010 waren es noch 250 Opfer gewesen (127 Tote, 123 Verletzte). Damit liegt Tschetschenien betreffend Opferzahlen hinter Dagestan an zweiter Stelle der nordkaukasischen Republiken. Gemäß Polizeiberichten wurden 2011 in Tschetschenien 62 Mitglieder des bewaffneten Untergrunds getötet (2010: 80), weitere 159 vermeintliche Kämpfer wurden festgenommen (2010: 166). 21 Sicherheitskräfte kamen bei Schießereien und Explosionen 2011 ums leben (2010: 44), 97 wurden verletzt (2010: 93). Des Weiteren wurden 2011 bei Terrorakten, Bombardierungen und Schießereien 12 Zivilisten getötet (2010: 3) und 9 verwundet (2010: 30).

2011 kam es in Tschetschenien zu mindestens 26 Explosionen und Terrorakten, 2010 waren es noch 37 gewesen. Unter den Explosionen und Terrorakten waren sieben Selbstmordanschläge.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012)

Laut NRO "Kawkaski-Usel" waren 2011 in Tschetschenien 174 Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beklagen, darunter 82 Tote.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

2012 wurden zwischen Jänner und Mitte Oktober nach Angaben des Innenministeriums der Republik Tschetschenien 35 Kämpfer des bewaffneten Untergrunds in Tschetschenien getötet und weitere 80 verhaftet. Im selben Zeitraum seien 9 gemeinsame große Sonderoperationen gegen die Kämpfer durchgeführt worden.

(Caucasian Knot: The Ministry of Interior Affairs: 35 gunmen killed in Chechnya since the beginning of the year, 17.10.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/22579/ , Zugriff 3.12.2012)

Die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte geht weiter, jedoch fiel das Gewaltlevel im Nordkaukasus allgemein 2012 um 10% verglichen mit dem Vorjahr. Die Gewalt in Tschetschenien ging 2012 stark zurück. (U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Andere kaukasische Teilrepubliken haben Tschetschenien bei der Zahl der registrierten Gewaltvorfälle überholt. 2012 gab es im Nordkaukasus insgesamt 700 kampfbedingte Todesopfer, davon mehr als die Hälfte in Dagestan, der größten kaukasischen Teilrepublik Russlands. Dort wurden knapp 300 Verbrechen verzeichnet, die mit Terrorismus im Zusammenhang standen, im restlichen Nordkaukasus 180.

(Tagesspiegel. Uwe Halbach (26.4.2013): Tschetschenien im Fokus, http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/nach-den-anschlaegen-von-boston-tschetschenien-im-fokus/8130872.html ; Zugriff 24.10.2013)

Für die ersten neun Monate des Jahres 2013 berichtet Caucasian Knot 87 getötete Soldaten, 68 getöteten Zivilisten und 220 getöteten Rebellen im Nordkaukasus [Anm. nicht Tschetschenien allein]. Von staatlicher Seite wurde verlautbart, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 Straftaten, die mit Extremismus in Zusammenhang stehen im Nordkaukasus um 40% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stiegen, jedoch terroristische Angriffe im selben Zeitraum um 10% sanken.

(Jamestown Foundation (4.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 217. North Caucasus Prosecutor's Office Reports Rise in Extremism-Related Crimes)

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt, stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Allgemein ist nach wie vor ein hohes Maß an Gewalt feststellbar, vor allem außerjudizielle Tötungen und Kollektivstrafen. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet, werden und die Sicherheitslage in Tschetschenien dadurch weitgehend stabilisiert werden konnte, andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

In Tschetschenien kam es im Sommer 2010 zu einer Spaltung innerhalb des bewaffneten Widerstands, als sich ein Teil der bewaffneten Kämpfer vom bis dahin einflussreichsten Anführer Doku Umarow und seiner Doktrin der Schaffung eines islamischen "Emirat Kaukasus" lossagte. Dieser Zwist führte, zusammen mit dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen "Terroristen" und deren Angehörige, zu einer Abnahme der direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Widerstandskämpfern und Sicherheitskräften, ohne dass die Gewalt insgesamt weniger wurde. Die rund 20.000 "Kadyrowzy" sind nach wie vor aktiv. Die Jamestown Foundation schätzt, dass beinahe 90 Prozent der tschetschenischen islamistischen Gruppierungen nun dem Kommando von Emir Hussein unterstehen, während ein Großteil der dagestanischen, inguschetischen und kabardino-balkarischen "Jamaats" nach wie vor Umarow treu sind. Dieser wurde schon mehrmals totgesagt, was sich bis heute als falsch erwiesen hat.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation:

Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 6, 8 und 9; Russia, Freedom in the World 2012)

In Tschetschenien existiert noch immer eine islamistische Untergrundbewegung. Deren Mitglieder werden als "Wäldler" bezeichnet, da sie in den ausgedehnten und dichten Wäldern des Landes ihre Verstecke haben. Ihre Anzahl ist unbekannt. Sie sind jedoch zu effektiven Anschlägen, die meist als Selbstmordattentate erfolgen, fähig. Ziel der Islamisten ist die Errichtung eines "Kaukasischen Emirats" im Nordkaukasus. Ihr Anführer ist Doku Umarov, der selbsternannte "Oberste Emir" des Nordkaukasus. Die Städte gelten gegenwärtig als sicher vor Anschlägen durch die islamistischen Rebellen. Am gefährlichsten sind die Waldgebiete, insbesondere die Gebiete in den hohen Bergen an der Grenze zu Georgien sowie die Grenzgebiete zu Dagestan.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete.

Einschätzungen zur zahlenmäßigen Stärke der Rebellen divergieren stark. In Tschetschenien ist es seit Jahresbeginn 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Im Ergebnis kann gesagt werden, dass Teile der Russischen Föderation, vor allem im Nordkaukasus, von hohem Gewaltniveau betroffen sind. Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, bedeutende Rebellenaktivität in seinem Herrschaftsbereich einzuschränken, ging einher mit zahlreichen Berichten über außergerichtliche Tötungen und Kollektivbestrafung. Zudem breitete sich die Rebellenbewegung in den umliegenden russischen Republiken, wie Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien aus. Hunderte Beamte, Aufständische und Zivilisten sterben jedes Jahr durch Bombenanschläge, Schießereien und Morde. Wenn auch die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte weiter geht, ging die Gewalt in Tschetschenien jedoch 2011 im Vergleich zu 2010 zurück.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.1. Sicherheitslage

Vertreter russischer und internationaler NROs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

Bis Mai 2011 hatte der EGMR in rund 180 Fällen Verletzungen der Artikel 2 und 3 der EMRK bei Einsätzen der Sicherheitskräfte in Tschetschenien festgestellt. 60% der Beschwerden betrafen das Verschwinden von Personen. [...] Die andauernden Muster der Straffreiheit für solch ernsthafte Verletzungen zählen zu den hartnäckigsten Menschenrechtsproblemen im Nordkaukasus. Es gab sicherlich mehrere positive Schritte wie die Einrichtung von Untersuchungskomitees, die Unterstützung der Teilnahme von Opfern bei der strafrechtlichen Verfolgung und die Verkündung mehrerer Direktiven hierzu. Viele Untersuchungen ergeben jedoch keinerlei Ergebnisse; in Fällen, in denen Behörden selbst in Verbrechen involviert waren bestehen Zweifel, inwieweit diese mit den Untersuchungsbehörden die notwendige Kooperation ermöglichen können.

(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) will sicherstellen, dass die Polizei und Truppen des Innenministeriums, welche Sicherheitsoperationen durchführen, die Gesetze kennen. Daher führte das Komitee zwischen Juni 2010 und Jänner 2011 Informationsveranstaltungen für Sicherheitskräfte durch. Zudem führt das IKRK regelmäßigen Dialog mit föderalen und lokalen Exekutivbehörden über Festnahmen, Inhaftierungen und Gewaltanwendung.

(ReliefWeb: Russian Federation/Northern Caucasus: ICRC maintains aid effort, 1.3.2011,

http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/JARR-8EJHNK?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7 )

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

Nach wie vor finden im Nord-Kaukasus zahlreiche außergesetzliche Tötungen durch Behördenorgane und Angehörige bewaffneter Gruppierungen statt.

Obwohl es 2012 weniger Vorfälle gegeben hat als die Jahre zuvor, bleiben Landminen nach wie vor ein Problem (U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia).

Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 11.12.2013)

2.2. Die Rebellen

Die tschetschenische Rebellenbewegung entwickelte sich bereits vor Ausbruch des zweiten Krieges immer mehr von einer separatistischen hin zu einem islamistischen Netzwerk und radikalisierte sich im Verlauf der Kriegsjahre erheblich. Damit einher ging die Ausbreitung der Gewalt auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, wo die Sicherheitslage mittlerweile als prekärer als in Tschetschenien gilt, sowie in geringerem Ausmaß auch auf Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und Nordossetien. Durch die Ausrufung des "Kaukasus Emirats" durch Doku Umarow (Emir Abu Usman) Ende Oktober 2007 wurde offensichtlich, dass sich der tschetschenische Widerstand nunmehr als Teil einer pankaukasischen islamischen Bewegung betrachtet, deren Ziel nicht die Unabhängigkeit der Republik, sondern vielmehr die "Befreiung" der derzeit "von den Russen besetzten" "islamischen Lande" von "Ungläubigen" ist. Grundsätzlich kann die tschetschenische Rebellenbewegung daher heute nicht mehr losgelöst von den im gesamten Nordkaukasus agierenden Rebellengruppen betrachtet werden. Die einzelnen Gruppen des die Republiksgrenzen überschreitenden Netzwerks stehen zwar miteinander in Verbindung, handeln jedoch weitgehend autonom und dürften einzelne Angriffe auch nicht miteinander koordinieren.

Die tatsächliche Anzahl der Kämpfer ist unklar, Schätzungen reichen von 50 bis 60 (Aussagen Kadyrows) über rund 500 (FSB) bis zu 1.500 Mann (einzelne unabhängige Beobachter in Tschetschenien). Doku Umarow gab im März 2010 an, die Anzahl der Mudschaheddin im gesamten Nordkaukasus läge zwischen 10.000 und 30.000 Mann, bei entsprechenden Ressourcen könnte er fünf- bis zehnmal so viele anführen. Während die Angaben Kadyrows zu niedrig angesetzt sind (allein 2009 sollen offiziellen Angaben zufolge 190 Kämpfer in Tschetschenien ums Leben gekommen sein, in den ersten sieben Monaten 2010 51), sind jene Umarows sicherlich stark übertrieben.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-15)

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat den Tod des tschetschenischen Rebellenführers Doku Umarow bestätigt. Der "russische Bin Laden" sei bei einem Einsatz "neutralisiert" worden, sagte FSB-Chef Alexander Bortnikow am Dienstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Zudem seien mehr als 200 Extremisten festgenommen worden. Dabei wurden große Mengen Waffen und Sprengsätze sichergestellt. Bortnikow sagte zudem, der FSB habe gemeinsam mit Polizei und Ermittlern die Hintermänner der tödlichen Terroranschläge in Wolgograd vom Dezember 2013 geschnappt. Die Attentate, denen 30 Menschen zum Opfer fielen, seien aufgeklärt, sagte Bortnikow. Mitte März hatte eine Internetseite der Islamisten im Konfliktgebiet Nordkaukasus den "Märtyrertod" Umarows mitgeteilt. Er galt als Chef des selbst-proklamierten sogenannten Emirats des Kaukasus. Die gleichnamige Extremistengruppe kämpft für eine islamistische Herrschaft im gesamten Kaukasusgebiet. Der Rebellenführer bekannte sich zu zahlreichen Gewalttaten im ganzen Land, darunter die Anschläge auf den Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 mit insgesamt 77 Toten. In den vergangenen Jahren hatte es mehrmals Meldungen über den Tod Umarows gegeben, die nie bestätigt wurden. Der Terroristenführer selbst hatte gedroht, die ersten russischen Olympischen Winterspiele zu verhindern. Bei den Spielen in Sotschi war es im Februar allerdings ruhig geblieben. (Die Presse, Geheimdienst bestätigt Tod von Islamistenführer Umarov, 8.4.2014, http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1587995/ , Zugriff am 2.5.2014)

Ali Abu-Muhammad, geborener Aliaskhab Kebekov, bestätigte in einer Internetaussendung vom 18. März 2014 den Tod von Doku Umarow. Kebekov stellte fest, dass er zum neuen Führer des Kaukasus-Emirats gewährt wurde. Er war seit 2010 Sharia-Richter im Kaukasus-Emirat. Er kündigte die Fortführung des Jihad an und rief die Muslime des Nordkaukasus auf, sich dem Kampf anzuschließen. Er kündigte aber keine neuen Terroranschläge an. Der neue Rebellenführer stammt aus Dagestan und ist ethnischer Avare. Er spricht arabisch und kaum russisch. Er studierte in Syrien und war im Alkoholschmuggel in den 1990er Jahren involviert, bevor er konvertierte. Kebekov ist der erste nicht tschetschenische Führer der Kaukasischen Rebellen. Das bestätigt den Trend der letzten Jahre, dass sich das Schwergewicht der Kämpfe im Kaukasus von Tschetschenien nach Dagestan verlagert. Dies ist einerseits der auf die Stabilisierung der Situation in Tschetschenien gerichteten Politik und anderseits der Massenmigration tschetschenischer Rebellen nach Syrien geschuldet. Ebenso ist das der Effekt der schnellen Entwicklung radikalen Islams in Dagestan. Es ist zu erwarten, dass Dagestan das Zentrum des Jihad im Nordkaukasus bleiben wird, während die militärische Untergrundbewegung in den übrigen Republiken eine kleinere Rolle spielen wird. Während die Unterstützung für Kebekov in Dagestan unbestritten ist, ist dies in den übrigen Republiken nicht klar. Das zeigt sich auch in der langen führerlosen Zeit nach dem Tod Doku Umarows, was ggf. Meinungsverschiedenheiten in der Frage des künftigen Führers geschuldet war. Es wurde lange vermutet, dass Aslambek Vadalov, der letzte einflussreiche Veteran des Tschetschenienkrieges, ein ethnischer Tschetschene, Nachfolger Umarows wird. Kebekovs Machtergreifung könnte daher zu einer Fragmentierung des Kaukausus-Emirats und einer stärkeren Homogenisierung der Untergrundbewegung in Dagestan führen. (Osrodek Studiow Wschodnich im. Marka Karpia, Militants oft he North Caucasus have a new leader, 26.3.2014)

Einige Experten glauben, dass sich das Projekt Kaukasus-Emirat nach dem Tod von Doku Umarow signifikant ändern oder einschlafen wird. Der neue Führer des Kaukasus-Emirats, Alaiskhab Kebekov, wird aller Voraussicht nach eine mildere Form des Jihad verfolgen: Berichten zufolge ist er gegen Selbstmordanschläge. Die Wahl des neuen Emirs reflektiert die Verlagerung des Aufstandes von Tschetschenien nach Dagestan und von Nationalismus zur überstaatlichen islamistischen Ideologie. (Jamestown Foundation, Russian Authorities Step up Efforts to Disrupt North Caucasus Insurgency's Financing; Euarsia Daily Monitor, Vol. 11 Iss. 55, 24.3.2014)

Die tschetschenischen Rebellen leisteten ihren Treueeid auf den neuen Führer des Kaukasus-Emirats, Emir Abu Muhammad, obwohl der Emir von Tschetschenien, Emir Khamzat, der Umarows erster Stellvertreter war, nicht unter denen war, die den Eid geschworen haben. Es ist nicht klar, ob er an der Seite von Umarow gestorben ist.Einige Beobachter äußerten Zweifel, ob das tschetschenische Jamaat noch existiert oder nicht. Das Jamaat scheint aber weiterzubestehen und verfügt nun über größere Freiheiten, weil bisher ein Gutteil seiner Aktivitäten auf den Schutz von Doku Umarow konzentriert war. Dessen Bruder, Ahmad Umarow, bestätigte in einer Audiobotschaft, dass Khamzat der Emir von Tschetschenien bleibt. Ein Bombenanschlag am 3. April 2014 auf ein Militärfahrzeug bezeugt, dass die Rebellen in Tschetschenien nicht "neutralisiert" wurden. (Jamestown Foundation, Rebels Continue to Operate in Chechnya Despite Doku Umarov's Death; Eurasia Daily Monitor, Vol. 11, 68, 10.4.2014)

2.2.1. Das Vorgehen der Rebellen

In den ersten Jahren des zweiten Krieges kämpften ganze Armeedivisionen und Brigaden russischer Truppen gegen die Rebellen. Nachdem es den föderalen Truppen gelungen war, große Kampfverbände zu besiegen, gingen die Auseinandersetzungen in einen Guerillakrieg über. In den ersten Monaten des zweiten Tschetschenienkrieges waren die russischen Truppen, die sich vor allem auf die als Hochburgen der Rebellen geltenden südlichen Regionen der Republik konzentrierten, beinahe täglich Bombenanschlägen und Angriffen durch Heckenschützen ausgesetzt. Die Stärke und Kräfte der Kämpfer nahmen ab 2002 und deutlich mit 2004 ab, die Häufigkeit militärischer Aktionen ging zurück. Nachdem viele hochrangige Kommandeure der ersten Generation liquidiert worden waren, - nämlich im März 2002 Ibn al-Chattab, im Jänner 2003 Ruslan Gelajew, im März 2005 Aslan Maschadow, im Juni 2006 Abdul-Chalim Sadulajew und im Juli 2006 Schamil Bassajew - verlor die Rebellenbewegung in Tschetschenien insgesamt an Schlagkraft. Die jüngsten Anschläge im russischen Kernland - jener auf den Zug Newski-Express im November 2009 und die Moskauer U-Bahn im März 2010 - gingen Bekennerschreiben zufolge zwar ebenfalls auf das Konto nordkaukasischer Rebellen, allerdings vermutlich nicht tschetschenischer.

Heutzutage teilt sich die Rebellenbewegung in Tschetschenien in kleine, extrem mobile und unabhängige Gruppen von Kämpfern, die sich im gesamten Nordkaukasus praktisch mehr oder weniger frei bewegen können.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 16)

2.2.2. Neuerliche Gewalt durch Rebellengruppen

Als Gründe für den neuerlichen Gewaltausbruch werden nicht nur religiöser Extremismus und ethnischer Separatismus genannt. Auch die autoritäre Politik Kadyrows und die durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte begangenen Menschenrechtsverletzungen werden als Auslöser genannt. Wie bereits erwähnt werden Armut und die schlechte wirtschaftliche Lage sowie die weit verbreitete Korruption und Clanwirtschaft ebenso dafür verantwortlich gemacht, den Zulauf aus der tschetschenischen Bevölkerung zur Widerstandsbewegung nicht abreißen zu lassen.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14-18)

Am 19.10.2010 drangen Terroristen sogar bis zum schwer bewachten Parlament in Grosny vor. Aus bisher ungeklärten Gründen gelang es drei Terroristen die Sperre vor dem Parlamentsgebäude zu passieren. Einer der Angreifer sprengte sich davor in die Luft, zwei Untergrundkämpfer drangen in das Gebäude ein, lieferten sich im Erdgeschoss ein Feuergefecht mit den tschetschenischen Sicherheitskräften und sprengten sich dann selbst in die Luft. Außer den Terroristen wurden bei dem Überfall drei Personen getötet, darunter zwei Polizisten und ein tschetschenischer Zivilist. 17 Personen, darunter sechs Polizisten und elf Zivilisten, wurden verletzt. Mit dem Überfall zeigten die Separatisten, dass sie auch in Tschetschenien, wo es in den letzten Jahren weit weniger Anschläge gegeben hatte, als in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, noch handlungsfähig sind.

(Eurasisches Magazin: Der Terror in Tschetschenien ist zurück vom 06.12.2010)

Am 6. Juli 2010 forderte Putin im südrussischen Kislowodsk eine Amnestie für die Untergrundkämpfer im Nordkaukasus. Damit bewies er, dass man mit allen Mitteln Frieden erreichen will.

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 5)

Am 3.7.2013 hat Doku Umarov - der selbsternannte Emir des Kaukasus Emirats - die von ihm ausgerufene "Waffenruhe" zurückgenommen und damit gedroht, die Olympischen Winterspiele im Februar 2014 in Sotschi zu attackieren.

Bei zwei Selbstmordanschlägen auf einen Linienbus und im Bahnhof von Wolgograd (ehemals Stalingrad) waren am Sonntag (29.12.2013) und am Montag (30.12.2013) insgesamt mindestens 34 Menschen getötet und 72 Menschen verletzt worden. Moskau verdächtigt tschetschenische Islamisten, die damit gedroht haben, die Olympischen Winterspiele (7. bis 23. Februar) im knapp 700 Kilometer südwestlich gelegenen Sotschi attackieren zu wollen.

Nach den tödlichen Anschlägen in Wolgograd hat der russische Präsident Wladimir Putin verschärfte Anstrengungen für die Sicherheit der Olympischen Winterspiele in Sotschi angekündigt. Russland werde "entschieden und unnachgiebig den Kampf gegen Terroristen bis zu deren vollständiger Ausradierung fortsetzen", sagte Putin am Dienstag in seiner Neujahrsansprache laut Interfax.

(Quelle(n): Geopolitical Monitor (22.12.2013): Assessing the Terrorist Threat to the Sochi Olympics, http://www.geopoliticalmonitor.com/assessing-the-terrorist-threat-against-the-sochi-olympics-4897/ ;

Zugriff 2.1.2014, Der Standard (1.1.2014): Putin in Wolgograd:

"Widerliche Verbrechen",

http://derstandard.at/1388514289560/Putin-besucht-nach-Anschlaegen-Wolgograd ;

Zugriff 2.1.2014, ORF.at (31.12.2013): Sorge um Sicherheit in Sotschi, http://orf.at/stories/2212300/2212298/ ; Zugriff 2.1.2014)

Ein föderales Gesetz vom 2.11.2013 (Nr. 302-FZ) ermöglicht eine "Wertabschöpfung" bei Verwandten und Angehörigen hinsichtlich Vermögenszuwächse durch terroristische Tätigkeit.

2.3.1. Menschenrechte allgemein

Russland befindet sich seit dem Ende der Sowjetunion in einem umfassenden und schwierigen Transformationsprozess. Formal garantiert Russland in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten. Menschenrechtler kritisieren jedoch Mängel bei der praktischen Umsetzung der verbrieften Rechte. Repressive Traditionen und ein Mangel an Erfahrungen mit Rechtsstaatlichkeit verbinden sich mit einem teilweise immer noch fehlenden Bewusstsein für individuelle Rechte und Freiheiten. Hinzu kommen Mängel bei der Unabhängigkeit der Judikative und die verbreitete Korruption. Seit Mai 2012 werden ein wachsender staatlicher Druck auf die kritische Zivilgesellschaft und einzelne Akteure beobachtet. Bei der Terrorismusbekämpfung, insbesondere im Nordkaukasus, sind auch autoritäre Einschränkungen der Grundrechte zu beobachten. Trotz einiger Reformbemühungen unter dem damaligen Präsidenten Medwedew, namentlich im Strafvollzugsbereich, bestehen bei der Menschenrechtslage im Land in einigen Bereichen erhebliche Defizite fort.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , 6.2.2013)

Die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen 2011 betrafen Verstöße gegen demokratische Prozesse, die Justizverwaltung und den Rechtsstaat, sowie die Meinungsäußerungsfreiheit. Weitere beobachtete Probleme umfassten physische Misshandlung von Wehrdienern durch Militärs; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; weit verbreitete Korruption auf allen Ebenen der Staatsführung und im Gesetzesvollzug; Gewalt gegen Frauen und Kinder; xenophobische Angriffe und Hassverbrechen; gesellschaftliche Diskriminierung, Schikane und Angriffe auf religiöse und ethnische Minderheiten und Immigranten; gesellschaftliche und behördliche Einschüchterung der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaftern; Diskriminierung von Homosexuellen; und Einschränkungen der Arbeiterrechte.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

2.3.2. Die Menschenrechtslage in Tschetschenien

Die Regierung von Ramsan Kadyrow in Tschetschenien verletzt weiterhin Grundfreiheiten, ist in Kollektivbestrafungen von Familien vermeintlicher Rebellen involviert und fördert insgesamt eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung. Der tschetschenische Ombudsmann Nurdi Nukhazhiyev zeigte sich der wichtigsten NRO in der Region, Memorial, gegenüber unkooperativ. Die Behörden weigerten sich gelegentlich mit NRO, die ihre Aktivitäten kritisierten, zusammenzuarbeiten. Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter waren Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

Wie berichtet wird, wird Folter sowohl von lokalen Behördenorganen als auch von föderalen Kräften angewendet.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia)

Es werden weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit den "anti-terroristischen" Operationen der Regierung berichtet. Anwälte, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen berichten über Entführungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, "Verschwindenlassen" und widerrechtliche Tötungen. Der russische Ombudsmann hat mehrfach über Verstöße im Nordkaukasus berichtet, ebenso wie der Menschenrechtskommissar des Europarates. Solche Berichte scheinen vor Ort aber wenige Auswirkungen zu haben.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Übrigen bezweifelt der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ernsthaft, ob der tschetschenische Ombudsmann seine Rolle als unabhängige Institution zum Schutz der Menschenrechte in der Republik versteht.

(Council of Europe-Parliamentary Assembly (5.3.2012): The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1331036948_edoc12882.pdf ; Zugriff 9.12.2013)

Berichten zufolge verübten Beamte mit Polizeibefugnissen nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. In einigen Fällen wurden Opponenten und Kritiker Kadyrows in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland durch Auftragsmörder getötet (darunter Mord an Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

(Amnesty International: Jahresbericht 2012 [Beobachtungszeitraum 2011], 24.5.2012, ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

In Teilen des Nordkaukasus kommt es weiterhin zu Entführungen, illegalen Festnahmen und Folter von Verdächtigen.

Menschenrechtsverletzungen werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt. Mehrere Opponenten und Kritiker des Oberhauptes Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, wurden in Tschetschenien und anderen Gebieten der Russischen Föderation, aber auch im Ausland, durch Auftragsmörder getötet (darunter Umar Israilow in Wien im Jänner 2009). Keiner dieser Mordfälle konnte bislang vollständig aufgeklärt werden.

Seit 2002 sind in Tschetschenien über 2.000 Personen entführt worden, von denen über die Hälfte bis zum heutigen Tage verschwunden bleibt. Auch heute noch wird von Fällen illegaler Festnahmen und Folter von Verdächtigen berichtet. Menschenrechtsverletzungen durch föderale oder tschetschenische Sicherheitskräfte werden in den seltensten Fällen strafrechtlich verfolgt.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungskräften, Aufständischen, islamistischen Militanten und kriminellen Kräften zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, wie außergerichtlichen Tötungen, Folter, körperlichem Missbrauch und politisch motivierten Entführungen führte.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow bei der Unterdrückung größerer Rebellenaktivitäten in seinem Einflussbereich wird begleitet von zahlreichen Berichten über außergerichtliche Hinrichtungen und Kollektivbestrafungen.

(Freedom House: Freedom in the World 2012 - Russia, März 2012)

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Wiederholte Äußerungen von Präsident Medwedew und anderen Funktionsträgern deuten darauf hin, dass Recht und Gesetz hinreichend eingehalten und die Menschenrechte respektiert werden sollen. Die Urteile des EGMR werden von Russland nicht vollständig umgesetzt. 2011 wurden in Tschetschenien 20 Fälle registriert, in denen Personen entführt wurden, verschwanden oder gesetzwidrig verhaftet wurden (2010: 6). Memorial dokumentierte zwischen Jänner und September 2011 elf Fälle von Entführungen lokaler Einwohner durch Sicherheitskräfte. Opfer weigern sich aus Angst vor behördlicher Vergeltung zusehends über Verstöße zu sprechen. In einem Brief an eine russische NRO im März 2011 sagten die föderalen Behörden, dass die tschetschenische Polizei Untersuchungen von Entführungen sabotierten und manchmal die Täter deckten. In einem Schreiben an die NGO "Interregionales Komitee gegen Folter" bestätigte ein hochrangiger tschetschenischer Staatsanwalt, dass die Ermittlungen zu den Fällen von Verschwindenlassen in Tschetschenien ineffektiv seien. Vertreter russischer und internationaler NRO zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Schariah-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen.

(Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/ , Zugriff 3.12.2012, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, Amnesty International: Jahresbericht 2012 24.5.2012; Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 15)

2.3.3. Religionsfreiheit

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist. Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen.

(BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen um seine Herrschaft zu rechtfertigen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und wies das Tragen einer Hidschab in öffentlichen Gebäuden an.

(U.S. Commission on International Religious Freedom (30.4.2013):

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom,

http://www.uscirf.gov/images/2013 USCIRF Annual Report (2).pdf; Zugriff 9.12.2013, Department of State (20.5.2013): 2012 International Religious Freedom Report - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/247446/371031_de.html ; Zugriff 9.12.2013)

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht.

Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten, und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition rechtzufertigenden Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht.

(BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland: Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus)

2.3.4. Menschenrechtsaktivisten und Gegner Kadyrows:

Seit 2009 wurde eine zunehmende Zahl von Menschenrechtsverteidigern aus dem Nordkaukasus drangsaliert, geschlagen, entführt und getötet. Auch der tschetschenische Präsident Ramzan Kadyrow beschuldigte am 3. Juli 2010 in einem Fernsehinterview Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, vom Ausland bezahlt zu sein, und bezeichnete sie als "Verräter, welche "die Idee des Mutterlands verkauft" hätten, zudem als "Feinde des Volkes, Feinde des Gesetzes, Feinde des Staates".

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 14-15)

Einer der zuletzt bekannt gewordenen Fälle betrifft den kritischen politischen Journalisten der Tageszeitung "Kommersant" Oleg Kaschin, der am 06.11.2010 vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 9)

Die Verfolgung von Familienmitgliedern und Unterstützern von Widerstandskämpfern ist in der Russischen Föderation eine der Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus im Nordkaukasus. Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es dadurch Rebellen Lebensmittel, Kleidung oder Schlafstätten zur Verfügung zu stellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug.

In deutsch- und englischsprachigen Medien und Berichten von russischen und anderen Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen finden sich keine Hinweise, dass in den letzten Jahren oder derzeitig, Personen, die den Widerstand in den Jahren vor der letzten offiziellen Amnestie 2006 unterstützt oder selbst gekämpft und eine Amnestie in Anspruch genommen haben, oder die mit einer solchen Person verwandt sind, nunmehr allein deshalb verfolgt würden. Betroffen sind hauptsächlich Unterstützer und Familienmitglieder gegenwärtig aktiver Widerstandskämpfer. Um unbehelligt leben zu können müssen sich amnestierte Kämpfer und Unterstützer und deren Familien Ramsan Kadyrow gegenüber sicherlich weiterhin loyal zeigen. Ein Austritt aus den lokalen Sicherheitskräften, in denen viele der Amnestierten nunmehr arbeiten (müssen) wird nur bedingt möglich sein.

Obwohl eine strafrechtliche Verfolgung von Unterstützern des Widerstandskampfes möglich ist, greifen die tschetschenischen Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den Terrorismus weiterhin auf Mittel ohne rechtliche Grundlage zurück. Einerseits gibt es vereinzelte Berichte, dass Unterstützer ohne jegliches Verfahren für ihre vermeintliche Hilfeleistung "bestraft" werden. Andererseits finden sich zahlreiche Berichte über Formen der Kollektivbestrafung von Familienmitgliedern (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer. Betroffen ist vorwiegend der engere Familienkreis, also Eltern, Onkeln, Cousins und Ehefrauen. Die tschetschenischen Behörden gehen aufgrund der traditionell sehr engen Familienbande davon aus, dass Familien ihre im Wald lebenden Angehörigen unterstützen, vor allem aber davon, dass diese Familien im Stande sind, ihre Angehörigen zu einer Rückkehr aus dem Wald zu bewegen. Die Verfolgung beginnt mit dem Einsatz von Druckmitteln wie der Streichung von Sozialbeihilfen, und führt bis zur Niederbrennung der Wohnhäuser der betroffenen Familien. Offizielle Beschwerden oder Anzeigen hiergegen sind kaum möglich.

(BAA/Staatendokumentation: Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien, 20.4.2011)

2012 wurden ab Jahresbeginn bis September rund 40 Personen festgenommen, um auf die Rebellen Druck auszuüben. Die meisten der Verhafteten sind Frauen, die beschuldigt werden, den Rebellen Nahrung gekauft oder Unterkunft gegeben zu haben. Die offiziellen Statistiken können jedoch nicht für bare Münze genommen werden. Tschetschenische Exekutiv- und Sicherheitsbehörden unter der de-facto Kontrolle von Ramsan Kadyrow wenden gegenüber Verwandten und mutmaßlichen Unterstützern vermeintlicher Rebellen Kollektivstrafen an. Das Niederbrennen von Häusern vermeintlicher Rebellen, ein Mechanismus der Kollektivbestrafung, der seit 2008 angewandt wird, ging Berichten zufolge weiter. Im Juli 2011 berichtete Caucasian Knot über mehrere Häuser, die niedergebrannt wurden, die Familien junger Leute gehörten, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten. Im April 2012 wurde Rechtsaktivisten von Bewohnern des Dorfes Komsomolskoye/Bezirk Gudermes berichtet, dass Personen in Uniform die Häuser von den Eltern und Großeltern eines wenige Tage zuvor getöteten Rebellen niedergebrannt hatten. Kadyrow und andere tschetschenische Beamten haben bei mehreren Gelegenheiten ausgesagt, dass Angehörige von Aufständischen für ihre Rebellen-Verwandten zur Verantwortung gezogen werden müssen.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 176, 27.9.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, Human Rights Watch: World Report 2012, 22.1.2012, The Jamestown Foundation: North Caucasus Weekly -- Volume 13, Issue 10, 18.5.2012 / Caucasian Knot: Chechnya: houses of relatives of Bantaev, killed in special operation, burnt down, locals say, 5.5.2012, http://www.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/20948/ , Zugriff 3.12.2012)

Familien sehen sich weiterhin Vergeltungsmaßnahmen für angebliche Vergehen von Familienmitgliedern gegenüber. Kadyrow führte seine Anti-Widerstandsstrategie der kollektiven Bestrafung gegen Familienmitglieder von verdächtigen Aufständischen weiter, einschließlich des Anzündens ihrer Häuser.

Menschenrechtsgruppen beschwerten sich, dass Sicherheitskräfte unter dem Kommando Kadyrows eine bedeutende Rolle bei Entführungen spielten, entweder auf eigene Initiative oder in gemeinsamen Operationen mit föderalen Kräften. Darunter fielen Entführungen von Familienmitgliedern von Rebellenkommandanten und -kämpfern.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Es kann von niemandem mit Sicherheit gesagt werden, wie viele Rebellen heutzutage in Tschetschenien aktiv sind. Rekrutierung findet konstant statt. Rebellen und jene die aktive Rebellen unterstützen sind Hauptziel der tschetschenischen Behörden, während ehemalige tschetschenische Rebellen für die Behörden von weniger Interesse sein dürften. Aktive Rebellen werden für gewöhnlich während Sonderoperationen getötet, während Unterstützer festgenommen werden. Bei der Befragung von Personen, die der Zusammenarbeit mit Rebellen bezichtigt werden, soll es zu Folter kommen. In einer Reihe von Fällen wurden Personen für verschiedenartige Unterstützung der Rebellen zu Haftstrafen verurteilt.

(Landinfo: Tsjetsjenia: Tsjetsjenske myndigheters reaksjoner mot opprørere og personer som bistår opprørere, 26.10.2012, http://www.landinfo.no/asset/2200/1/2200_1.pdf , Zugriff 3.12.2012)

2.3.5. Sicherheitsbehörden

In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden oft zusammenfassend als Kadyrowzy bezeichnet, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte bestehen aus einem "relativ undurchsichtigen Geflecht von verschiedenen Einheiten", wie in einer Analyse der Staatendokumentation festgehalten wurde. Davon konnte man sich während des Forschungsaufenthalts überzeugen: Die zahlreichen in den Straßen der Hauptstadt Grosny zu sehenden Sicherheitskräfte tragen eine Vielzahl an verschiedenen Uniformen. Viele bewaffnete Männer in schwarzer oder Camouflage-Kleidung tragen keinerlei Abzeichen, die erkennen lassen würden, ob oder zu welcher polizeilichen oder militärischen Einheit sie gehören. Vereinzelt sieht man in den Straßen Grosnys auch Männer in Zivil, die eine Handfeuerwaffe im Gürtel tragen.

(Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation (12.2011): Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien)

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg).

Tschetschenische Kommandoeinheiten werden von russischen Eliteeinheiten wie z.B. ALFA (eine spezielle Eliteeinheit des FSB) für den Einsatz in bergigen Gebieten und Wäldern trainiert. Das Trainingslager für tschetschenische Spezialeinheiten befindet sich im Dorf Tsenteroi im Kurchaloi Distrikt. Aus dem Bericht der Jamestown Foundation geht hervor, dass der Major und seine Auszubildenden nicht-russische khakifarbene Uniform ohne jegliches Abzeichen einer bestimmten Behörde trugen.

(Jamestown Foundation (6.12.2013): Eurasia Daily Monitor Volume 10 Issue 219. Training of Chechen special forces causes controversy in Moscow)

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte führt nach wie vor häufig zu Menschenrechtsverletzungen. Bewaffnete Gruppen überfielen erneut Angehörige der Sicherheitskräfte, örtliche Staatsbedienstete und Zivilpersonen. Angriffe bewaffneter Gruppen wurden aus dem gesamten Nordkaukasus gemeldet. Im gesamten Nordkaukasus gab es 2012 weiterhin regelmäßig Sicherheitseinsätze der Polizeikräfte. Dabei kam es Berichten zufolge häufig zu Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen, rechtswidriger Inhaftierung, Folter und anderen Misshandlungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen.

Die Behörden verstießen systematisch gegen ihre Verpflichtung, bei Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte umgehend unparteiische und wirksame Ermittlungen einzuleiten, die Verantwortlichen zu identifizieren und sie vor Gericht zu stellen. In einigen Fällen wurden zwar Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen, meistens konnte im Zuge der Ermittlungen jedoch entweder kein Täter identifiziert werden oder es fanden sich keine Beweise für die Beteiligung von Staatsbediensteten oder man kam zu dem Schluss, es habe sich um keinen Verstoß seitens der Polizeikräfte gehandelt. Nur in Ausnahmefällen wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Polizeibeamte wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Folter- und Misshandlungsvorwürfen ergriffen. Kein einziger Fall von Verschwindenlassen oder außergerichtlicher Hinrichtung wurde aufgeklärt und kein mutmaßlicher Täter aus den Reihen der Ordnungskräfte vor Gericht gestellt.

(Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Report 2013 - Zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/248036/374230_de.html ; Zugriff 9.12.2013).

2.3.6. Haftbedingungen

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Übergriffe von Wärtern auf Gefangene kamen weiterhin vor, ebenso wie Übergriffe von Gefangenen untereinander.

Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Den Ärzten mangelt es im Allgemeinen an geeigneter Qualifizierung, Medikamente sind begrenzt verfügbar und Geräte sind alt. Spezialisten sind in den Haftanstalten nicht verfügbar, oftmals war nur eine Krankenschwester eingestellt.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012, U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, )

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich in den letzten zehn Jahren langsam, aber kontinuierlich verbessert. Allerdings entsprechen die Haftbedingungen im Hinblick auf Verpflegung und medizinische Versorgung der Häftlinge sowie hygienische Einrichtungen nicht immer allgemein anerkannten Mindeststandards. Gerade in Jugendhaftanstalten und in Untersuchungsgefängnissen sind die Haftbedingungen besonders harsch.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Ein Vertreter einer NRO gab 2011 an, dass die Anwendung von Folter in Tschetschenien in den letzten Jahren anstieg. Gewöhnlich umfasst diese Folter starke Schläge und im Falle längerer Haftzeiten auch Elektroschocks, so dass bei einer Entlassung keine physischen Zeichen sichtbar sind. Memorial gab an, dass die Mehrheit der Personen, die in Haft sind oder von den tschetschenischen Behörden befragt werden, physischen Misshandlungen wie starken Schlägen, Verbrennungen, Ausreißen von Nägeln und Elektroschocks ausgesetzt ist.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Physische Misshandlung von verdächtigen Personen durch die Polizei würde systematisch und üblicherweise in den ersten Tagen nach einer Festnahme erfolgen. Im Kaukasus würde Folter Berichten zufolge von lokalen, aber auch von föderalen Strafverfolgungsbehörden angewandt. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass unter anderem Elektroschocks sehr häufig angewendet werden, da sie am ehesten keine Spuren hinterlassen würden. Im Nordkaukasus existierten weiterhin inoffizielle Gefängnisse.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013

3. Versorgungslage

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 deutlich verbessert - ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die Staatsausgaben in Tschetschenien sind pro Einwohner doppelt so hoch wie im Durchschnitt des südlichen Föderalen Bezirks. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleibt Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Kadyrow möchte eine Art "Dubai des Kaukasus"(Uwe Halbach) aus Tschetschenien machen. Sowohl in die soziale, als auch in die technische Infrastruktur wurde investiert: In den Bau und die Renovierung von Wohnungen, medizinischen Einrichtungen, Schulen, Kaufhäusern, Straßen, Kanalisation, Stromversorgung u. ä. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU-Kommission findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali, statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Der Wiederaufbau geht unter hohem Einsatz staatlicher Mittel rasch voran, die Arbeitslosigkeit bleibt aber nach wie vor ein schweres Problem. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten; sie konstatieren keine humanitäre Notlage, immer noch aber erhebliche Entwicklungsprobleme. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen Bedingungen statt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5; Amnesty International, Annual Report 2012)

Trotz der Bemühungen die notwendige Infrastruktur zu verbessern, haben die meisten gewöhnlichen Bürger keinen Nutzen aus den Wiederaufbaubemühungen in Tschetschenien gezogen. Für den Wiederaufbau wurden ausländische Arbeiter und Firmen herangezogen; Fabriken und andere Initiativen, die Arbeitsplätze in größerem Umfang schaffen könnten, wurden nicht wiederhergestellt. Deshalb sind viele gewöhnliche Bürger weiterhin von Sozialbeihilfen als Haupteinkommensquelle abhängig. Die Lebensqualität ist weiterhin schlecht, es besteht ein Mangel an leistbarem Wohnraum und medizinischen Einrichtungen, sowie eingeschränkter Zugang zu Wasser, Sanitäranlagen und anderen Betriebsmitteln und eine ungeeignete Transportinfrastruktur. Wo Bildung verfügbar ist, sind die Standards niedrig.

Dennoch gibt es Grund für Optimismus. Laut Aleksandr Khloponin [Bevollmächtigter Vertreter des Präsidenten im Föderationskreis Nordkaukasus] dauerte es mehr als zehn Jahre, um die Sicherheitslage in Tschetschenien zu verbessern, die Infrastruktur und Wohnraum wieder aufzubauen, vermisste Personen zu suchen, ethnische Gruppen zusammenzubringen und vieles anderes. Um diese Bemühungen weiterführen zu können, wurde 2010 eine "Strategie für die sozioökonomische Entwicklung des Föderationskreises Nordkaukasus bis 2025" beschlossen. Diese sieht für die kommenden Jahre größere Investitionen in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung, Baumaterialien, Tourismus, Industrieanlagen und Logistik vor. Jedoch wird es noch mehr Zeit brauchen, um die Situation für jedermann zu verbessern. Die Arbeitslosigkeit anzupacken ist sowohl für die föderale als auch die regionale Regierung die erste Priorität. In Tschetschenien ist die Arbeitslosigkeit von 45% 2010 auf 30% im August 2011 gesunken.

(Council of Europe - Parliamentary Assembly: The situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region, 5.3.2012)

Im Zusammenhang mit der Versorgungslage muss einmal mehr auf die hohe Korruption in der tschetschenischen Gesellschaft hingewiesen werden.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.1. Wohnsituation

Laut Beurteilung des tschetschenischen Eigentumsministeriums sowie des Wohnungsministeriums ist das Privateigentum anderer für Tschetschenen unantastbar. Aus diesem Grunde werden Häuser von Tschetschenen, die ausgereist sind, nicht von anderen Personen oder vom Staat in Besitz genommen. Es wurde in den diesbezüglichen Stellungnahmen sogar soweit ausgeholt, dass Häuser so lange leer stehen würden, bis der Besitzer zurückkäme.

(Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 23-24)

Wohnraum bleibt ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (man geht davon aus, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen gleich wieder als Schmiergelder gezahlt werden müssen).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Die auf dem Land lebenden Tschetschenen leben nicht schlecht. Sie nutzen das fruchtbare Land zum Gartenanbau und halten sich ein bis zwei Nutztiere. Die Großfamilien wohnen in "Mehrgenerationenhäusern", d.h. auf einem Areal hinter hohen Mauern mit mehreren Häusern und Anbauten. Innerhalb der Großfamilie stehen alle füreinander ein. Der enge Zusammenhalt gewährleistet die Versorgung mit Nahrungsmittel.

Nächstgrößere Familienstrukturen sind die "Tejps" (Clans). Einer der bekanntesten ist der Benoi-Tejp, dem auch Ramsam Kadyrow angehört.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

3.2. Nahrungsversorgung

Hinsichtlich der Verfügbarkeit und der Kosten von Grundnahrungsmitteln ist auf die Mentalität des tschetschenischen Volkes zu verweisen, diese hat es laut Einschätzung des tschetschenischen Landwirtschaftsministeriums ermöglicht, dass die Menschen selbst während der beiden Kriege genug zu essen hatten. Laut Beurteilung des Landwirtschaftsministeriums gibt es aufgrund der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung der tschetschenischen Bevölkerung auch heutzutage keine Familie in Tschetschenien, die sich nicht die Lebensmittel kaufen kann, welche sie benötigt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

23)

Das Notfall- und Rehabilitationsprogramm im Nordkaukasus soll für die Ernährungssicherheit und Ernährung durch "Empowerment" gefährdeter Bevölkerungsgruppen sorgen. Diese Ziele sollen dadurch erreicht werden, indem man die landwirtschaftliche und die auf Viehzucht basierende Produktion wieder aufnimmt und gleichzeitig verstärkt neue Kenntnisse über Ernährung und Klein-Farmbetriebe anwendet.

Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) nahm am Inter-Agency-Transitional-Arbeitsplan für den Nordkaukasus 2007 teil, der die Durchführung von Aktivitäten zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und Stärkung ländlicher Existenzmöglichkeiten in der Region beabsichtigt. Insbesondere gehören zu den wichtigsten Zielen der FAO im Bereich der Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Produktion die Wiedereingliederung von sozial benachteiligten Gruppen, die Bereitstellung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln für Einkommen schaffende Maßnahmen, der Wiederaufbau der wichtigen landwirtschaftlichen Infrastruktur, die Gewährung von Dienstleistungen sowie die Stärkung der institutionellen Kapazitäten in der Landwirtschaft.

(Homepage der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation), Zugriff am 11. Jänner 2011,

http://www.fao.org/countries/55528/en/rus/ )

3.3. Arbeitslosigkeit und soziale Lage

Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN waren 2008 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Der Durchschnittsgehalt lag in Tschetschenien laut Bundesstatistikdienst Ende 2011 bei RUB 13.919 RUB und somit über jenem der nordkaukasischen Nachbarrepubliken. Die durchschnittlichen monatlichen Lebenshaltungskosten in Grosny betragen laut statistischen Angaben der Russischen Föderation vom Dezember 2011 pro Person ca. 6.559 RUB (ca. 158 EUR).

Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16, IOM: Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012, BAMF: IOM Individualanfrage ZC7, 18.01.2012)

Die offizielle Arbeitslosenrate ist in den letzten Jahren gesunken, ist aber nach wie vor ein großes Problem. Die inoffizielle Arbeitslosenrate wird weit höher geschätzt, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung dürfte aber im informellen Sektor Einkommen schöpfen, bzw. aus landwirtschaftlichem Eigenanbau konsumieren. Unterstützung aus der Familie hat in der Republik große Tradition. Wenngleich Korruption auch im Bereich der Sozialbeihilfen bestehen dürfte, so sind in der Tschetschenischen Republik grundsätzlich dieselben föderalen sozialen Unterstützungen wie in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Zudem gibt es Sozialbeihilfen auf Ebene der Republik, wie beispielsweise finanzielle Unterstützung zur Gründung eines Kleinunternehmens oder Finanzhilfen für Behinderte.

Putin rief dazu auf, die Wirtschaft der Nordkaukasus-Region anzukurbeln. Um den Rückstand gegenüber anderen Regionen aufzuholen, brauche der Nordkaukasus laut Aussagen Putins rund zehn Prozent Wirtschaftswachstum jährlich und sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit äußerst wichtig. Innerhalb von zehn Jahren sollen laut Putin mindestens 400.000 neue Arbeitsplätze im Nordkaukasus entstehen. Beim Wiederaufbau gibt es bereits Erfolge zu verzeichnen. In den vergangenen zwei Jahren sind in Tschetschenien beispielsweise 53 Schulen und 35 medizinische Einrichtungen in Betrieb genommen worden, deren Bau der Staat finanziert hat.

Im Rahmen eines seit 2008 laufenden Programms werden Personen unterstützt, die sich selbst einen Arbeitsplatz schaffen:

Arbeitslose, die einen kleinen Betrieb eröffnen, werden mit einer einmaligen Zahlung von 58.000 Rubel gefördert. Stellt man Arbeiter ein, erhält man für jeden Angestellten wiederum 58.000 Rubel. Insgesamt wurde das Programm bislang von 5.481 Personen in Anspruch genommen, 3.498 davon kamen aus dem ländlichen Raum. Zudem gibt es ein Programm zur Weiterbildung oder Umschulung - das "Programm für zusätzliche Maßnahmen für die Entwicklung von Arbeitsstellen". Hier werden für Personen, die sich weiterbilden wollen, Stipendien in der Höhe von 850 Rubel pro Monat vergeben. Diese Maßnahmen sollen zusätzlich die Arbeitslosenrate senken, um die soziale und wirtschaftliche Stabilität der Bevölkerung zu fördern. Zur Unterstützung von Arbeitslosen wurde in Stawropol ein Ressourcen-Zentrum errichtet, wo verfügbare Arbeitsstellen bestimmt und die Daten der Arbeitslosen im Nordkaukasus gesammelt werden. Die Bewohner des Nordkaukasus können sich dort melden und um Arbeitsplätze in anderen Regionen der Russischen Föderation ansuchen.

Für Alte und Invalide gibt es auch Unterstützung in Form von Lebensmittelhilfe. In jeder Region der Republik gibt es mittlerweile lokale Zentren, die sich mit diesen Fragen vor Ort beschäftigen. Diese Stellen suchen auch selbst bedürftige Personen, die sich nicht von selbst bei ihnen melden. Hierbei handelt es sich vor allem um alte und invalide Menschen. Diese Zentren machen auch ein Monitoring, wer was in welchem Umfang benötigt. Gemäß der Notwenigkeit werden dann finanzielle Hilfe, ärztliche Versorgung und materielle Unterstützung zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es stationäre Einrichtungen für Personen, die in vollem Umfang versorgt und gepflegt werden müssen (z. B. Altenheime).

(Informationszentrum Asyl & Migration: Russische Föderation, Länderinformation und Pressespiegel zur Menschenrechtslage und politischen Entwicklung, Lage im Nordkaukasus vom September 2010, Seite 4, Bericht der Staatendokumentation zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 5, 6, 37, 38)

3.4. Medizinische Versorgungssituation

Medizinische Grundversorgung ist in Tschetschenien flächendeckend gewährleistet. Spezialisierte Kliniken sind nur in der Hauptstadt Grosny verfügbar, was aber in Anbetracht der Größe der Republik (ungefähr der Steiermark) zu verstehen ist. Grundsätzlich ist medizinische Versorgung kostenlos, auf die allseits verbreitete Korruption muss aber auch hier hingewiesen werden. Für Behandlungen, die in Tschetschenien nicht verfügbar sind, besteht die Möglichkeit, zur Behandlung nach Stawropol (Distanz zu Grosny ca. 450 km), nach Moskau oder in andere russische Städte zu reisen.

(BAA Staatendokumentation: Bericht zum Forschungsaufenthalt Russland 2011, Dezember 2011)

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

Es gibt derzeit nach Auskunft des Gesundheitsministers insgesamt rund 368 medizinische Einrichtungen, wie (Rajon- und Republiks‑)Krankenhäuser und Polykliniken. Die Polykliniken sind Ambulanzen, in denen (Vorsorge‑)Untersuchungen und ambulante Behandlungen durchgeführt werden. Der Auskunft des Gesundheitsministeriums zufolge gibt es in jeder Siedlung der Republik medizinische Einrichtungen. Es gibt drei Krankenhäuser für psychisch Kranke sowie weitere Krankenhäuser, die sich mit Personen, welche an der Schwelle zu psychischen Krankheiten stehen, beschäftigen. Es gibt unter anderem 22 Rajons- und 32 Republikseinrichtungen für medizinische Behandlung und Prophylaxe in der Republik sowie in Grosny allein weitere 26 medizinische Einrichtungen

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

48)

Diverse Erkrankungen wie Hepatitis C, Coronare Herzkrankheiten, Posttraumatische Belastungsstörungen und sogar DES-Stent-Implantationen etc. können laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in der Russischen Föderation (und in der Tschetschenischen Republik) behandelt und nachversorgt werden. In Tschetschenien ist die Versorgung mit medizinischen Spezialisten noch immer unzureichend und komplizierte Fälle werden für die Behandlung und Nachsorge von ihren örtlichen Kliniken in die nächsten Städte (Krasnodar, Rostov-on-Don, Machatschkala) überwiesen.

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 10.08.2010, Seite 2)

Es gibt außerdem eine Vereinbarung mit China zur Behandlung von Kindern mit Geburtsfehlern und wurden in diesem Rahmen bereits einige Behandlungen durchgeführt.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite

46)

Das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der RF legt fest, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der RF, unabhängig von der Meldeadresse, gewährleistet ist.

Allerdings gibt es Einschränkungen bei der freien Wahl der Klinik und des Arztes. Ein Wechsel der Klinik, bei der man sich als Patient angemeldet hat, ist nur einmal im Jahr möglich, ebenso ein Wechsel des Arztes. Außerdem kann ein Arzt einen Patienten wegen Überlastung ablehnen.

(IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation Juni 2011; Antwort der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

3.4.1. Psychologische Bertreuung in Tschetschenien

Der Nichtregierungsorganisation Vesta zufolge können psychische Erkrankungen beispielsweise in dem Republiksambulatorium für Neuropsychologie (Grosny), in dem Republikskrankenhaus "Samaschkin" (Zakan-Jurt im Bezirk Atschchoi-Martan) und im Darbachin-Republikskrankenhaus (Braguny im Bezirk Gudermes) behandelt werden. Auch Internationale und Nichtregierungsorganisationen sind im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig.

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, medizinische Versorgung vom 30.11.2009, Seite 9)

UNICEF entwickelte in Tschetschenien ein neues Programm, um Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern und ihren Familien zu behandeln. In einer ersten Phase wurden 14 psychosoziale Rehabilitierungszentren in sieben tschetschenischen Bezirken eröffnet. UNICEF arbeitete mit lokalen Behörden und NRO zusammen, um passende Räumlichkeiten zu finden, Psychologen und andere Mitarbeiter auszubilden, und Studien über die Auswirkungen des Konfliktes auf Kinder durchzuführen. 50 lokale Kinderfachkräfte wurden mit Hilfe von Psychotherapeuten aus Israel und St. Petersburg ausgebildet. Zur Koordinierung des Programms wurde ein psychosoziales Führungskomitee mit den tschetschenischen Behörden eingerichtet. Der Psychosoziale Aktionsplan 2008-2012 soll ein Schlüsselinstrument zur Linderung der Konfliktauswirkungen auf Kinder werden.

(UNICEF: Russian Federation - Projects in the North Caucasus - Psycho-social recovery, ohne Datum, http://eng.unicef.ru/program_unicef/north_caucasus/recovery/ , Zugriff 1.6.2011)

Mit Stand März 2008 wurden 19 solcher von UNICEF unterstützten psychosozialen Zentren in Tschetschenien betrieben, im Jänner 2009 waren es bereits 29. Für 2009 war die Errichtung 17 weiterer Zentren geplant. In den Zentren wurden neben Psychologen auch jugendliche Freiwillige sowie Praktikanten von den tschetschenischen Universitäten beschäftigt.

(UNICEF: Russian Federation - Newsline - Help for children psychologically affected by war in Chechnya, 04.03.2008, http://www.unicef.org/infobycountry/russia_43075.html , Zugriff 1.6.2011 / UNICEF New Zealand: UNICEF will open 17 new psychosocial recovery centres in Chechnya, 11.02.2009 http://www.unicef.org.nz/article/680/UNICEFwillopen

17newpsychosocialrecoverycentresinChechnya.html, Zugriff 1.6.2011)

Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist in Tschetschenien ambulant und stationär durch Psychiater behandelbar.

(SOS International (via MedCOI): BMA 4433, 31.10.2012)

3.5. Rückkehrer

3.5.1. Derzeitige Situation von Rückkehrern

Eine Rückkehr von Tschetschenen in die Russische Föderation ist möglich, die meisten tschetschenischen Rückkehrer aus dem Ausland kehren in die Tschetschenische Republik zurück. Da in der Russischen Föderation Bewegungsfreiheit gilt, können sich aber ethnische Tschetschenen auch in jedem anderen Teil Russlands niederlassen.

Laut einem Vertreter der Internetzeitschrift "Kaukasischer Knoten" können Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung ist für viele (auch im Fall von Kompensationszahlungen) unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit ist um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten werden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, werden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. Manchmal werden Rückkehrer gezwungen, für staatliche Behörden zu spionieren. Eine allgemein gültige Aussage über die Gefährdung von Personen nach ihrer Rückkehr nach Tschetschenien kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall und von der individuellen Situation des Rückkehrers abhängt.

(ÖB Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, Stand September 2012)

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Ebenso liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor, ob Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren.

Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert.

Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

Von einer NGO in Tschetschenien, die freiwillige Rückkehrer betreut, wurde mitgeteilt, dass freiwillige Rückkehrer bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert seien. Es sei weder ein besonders Prozedere für Rückkehrer noch Befragungen vorgesehen. Rückkehrer müssten auch bei der Neuausstellung von Dokumenten keine besonderen Fragen beantworten, viele seien ohnehin noch im Besitz ihres russischen Inlandspasses. Sogar wenn ein Heimreisezertifikat vorgelegt werde, würde dies nicht zu Problemen führen, da den Behörden die Situation in diesem Fall ohnehin klar wäre. Nichtsdestotrotz wurde mitgeteilt, dass es Einzelfälle gab, wo freiwillige Rückkehrer mit Heimreisezertifikaten bei Ankunft am Flughafen Moskau für einige Stunden angehalten wurden. Es sei ein Fall bekannt, wo ein freiwilliger Rückkehrer angeblich als ehemaliger Widerstandskämpfer "mitgenommen worden sei".

Zur Wohnungssituation wurde mitgeteilt, dass Rückkehrer in der Regel bei Verwandten unterkommen.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation).

Seit 01.07.2010 implementiert IOM das Projekt "Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden in die Russische Föderation / Republik Tschetschenien", das vom Österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Europäischen Rückkehrfonds kofinanziert wird. Im Rahmen des Projekts werden Russische Staatsangehörige aus der Republik Tschetschenien, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren möchten, nicht nur bei der Rückkehr, sondern auch bei ihrer Reintegration im Herkunftsland unterstützt.

Die Projektteilnehmer/innen erhalten nach ihrer Rückkehr Unterstützung von der lokalen Partnerorganisation (NGO Vesta), die soziale, rechtliche und wirtschaftliche Beratung zur Verfügung stellt und sie bei der Auswahl ihrer individuellen Reintegrationsmaßnahmen (z.B. Weiterbildungskurse, Geschäftsgründung, Erwerb von Werkzeug oder Materialien, etc.) unterstützt. Die Reintegrationsmaßnahmen erfolgen in Form von Sachleistungen im Wert von bis zu max. EUR 2.000 (pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen); im Fall von Kleingeschäftsgründungen, die eine Registrierung erfordern, ist eine zusätzliche Unterstützung von bis zu EUR 1.000 in Form von Sachleistungen möglich. Zusätzlich werden die Rückkehrer/innen bei der Deckung der Lebenserhaltungskosten während der ersten sechs Monate nach der Rückkehr mit EUR 500,- pro Fall unterstützt.

Die Reintegrationsunterstützung kann z.B. für die folgenden Maßnahmen genutzt werden:

• Berufsausbildung: z.B. Computer- oder Sprachkurse, Buchhaltung, Reparatur von Haushaltsgeräten, Reparatur von Mobiltelefonen, Mechaniker/in, Holzarbeiter/in, Friseurbetrieb, Nagelpflege, Näharbeit, etc.

• Ankauf von für die Ausübung eines Berufes benötigtem Werkzeug und geeigneter Ausrüstung

• Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (z.B. in der Landwirtschaft, Milchwirtschaft, Ackerbau, Viehhaltung, Schweißer/in, Schneider/in, Zimmerer/in, kleine Geschäfte, Schönheitssalons, Werkstätten, Internet-Cafes, etc.). Die Unterstützung in Form von Sachleistungen wird unter anderem für den Ankauf von Ausrüstungsgegenständen, die für die Aufnahme des Betriebs nötig sind, sowie bei Bedarf für Geschäftsplanungs- und -managementstrainings verwendet.

• Organisation von Kinderbetreuung und medizinischer Versorgung für RückkehrerInnen mit besonderen Bedürfnissen.

(IOM - International Organisation of Migration (o.D.): Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration von Rückkehrenden in die Russische Föderation / Republik Tschetschenien. Laufzeit: 01.07.2010 bis 30.06.2014,

http://www.iomvienna.at/de/?option=com_content&view=article&id=545:unterstuetzung-der-freiwilligen-rueckkehr-und-reintegration-von-rueckkehrenden-in-die-russische-foederation-republik-tschetschenien&catid=92:unterstuetzte-freiwillige-rueckkehr-aus-oesterreich&Itemid=143&lang=de ; Zugriff 12.12.2013)

Mit Unterstützung von IOM sind in den letzten Jahren zahlreiche Personen (2010 waren es 606, 2011 waren es 528 und 2012 waren es insgesamt 525) von Österreich in die Russische Föderation zurückgekehrt. 2012 sind 381 Personen nach Grosny mit Hilfe von IOM zurückgekehrt. Der endgültige Rückkehrort ist IOM allerdings nicht immer bekannt.

(Beantwortung einer Anfrage des AsylGH an IOM Wien vom 20.03.2013)

Dem BMI-Verbindungsbeamten der ÖB Moskau liegt eine - nicht offizielle - Information vor, wonach Rücküberstellte von Charterflügen und in Einzelfällen solche von Linienmaschinen von Beamten des Föderalen Migrationsdienstes einen Fragebogen erhalten. Das Ausfüllen des Fragebogens beruht auf Freiwilligkeit. U.a. wird darin die Frage gestellt, wo man in der RF wohnhaft ist, aber auch, warum man in das Land, aus welchem man ausgewiesen wurde, überhaupt eingereist ist, warum man nicht mehr im Besitz seiner eigentlichen Reisedokumente ist, bzw. auch, ob man im Land, aus dem man ausgewiesen wurde, "ordentlich" behandelt worden ist.

Nach Auskunft des Vertrauensanwalts kann, wenn ein Haftbefehlt aufrecht ist, eine Person in Untersuchungshaft genommen werden. U-Haft kann vor allem dann verhängt werden, wenn Fluchtgefahr besteht. U-Haft wird zunächst für zwei Monate verhängt und kann dann um jeweils zwei Monate verlängert werden. Während der Untersuchungshaft gibt es auch Haftprüfungstermine, wo u.a. auch geprüft wird, ob noch Fluchtgefahr besteht.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Rückkehr nach Russland, Tschetschenien vom 15.01.2013

3.5.2. Frauen als Rückkehrer

Frauen, die nach Tschetschenien zurückkehren, können mit sozialen Beihilfen im Rahmen der Gesetzgebung der Russischen Föderation rechnen. Sozialhilfe und staatliche Zuwendungen stellen neben offiziellen Arbeitslöhnen und Einkommen aus semi-formellen, privaten oder unregelmäßigen Beschäftigungsformen eine wichtige Einkommensquelle für tschetschenische Haushalte dar. Dies gilt insbesondere für die sozial schwächsten sozialen Gruppen, zu denen unter anderem Familien ohne Männer gehören. Neben der auf föderaler Ebene geregelten Sozialversicherung (Renten, Krankenversicherung, Mutterschutz, Arbeitslosigkeit) bestehen auch regional implementierte, beitragsfreie Sozialhilfeprogramme, beispielsweise Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe oder Beihilfen für Invalide. Im Rahmen dieser beitragsfreien regionalen Programme besteht auch eines für Familienmitglieder von Kriegsveteranen und verstorbenen Soldaten.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 04.04.2010, Seite 19)

3.5.3. Unbegleitete Minderjährige als Rückkehrer

Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können in einem Kinderheim unter-gebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen. Wie der damalige Präsident Medwedew im Herbst 2010 selbst einräumte, sind die Zustände in solchen Heimen nicht selten schlecht.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 24)

3.5.4 Flüchtlinge/Binnenvertriebene innerhalb und außerhalb Tschetscheniens

Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge/ Binnenvertriebenen innerhalb und außerhalb Tschetscheniens, wiewohl ihre Zahl rückläufig ist. Laut Dänischem Flüchtlingsrat (DRC) leben allein in Tschetschenien und Inguschetien derzeit noch bis zu 5.000 Flüchtlinge in akuter Not. Die Binnenvertriebenen leben in Übergangsunterkünften, aber auch in Privatwohnungen oder bei Verwandten. Auf Drängen der russischen Seite hat UNHCR seine Mission zur Unterstützung von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen im Nordkaukasus 2011 beendet, sieht jedoch weiterhin erheblichen Handlungsbedarf auch in Tschetschenien. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben).

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

4. Frauen und Kinder

4.1. Allgemeine Stellung der Frauen

Gemäß Art. 19 Abs. 3 der Verfassung haben "Mann und Frau die gleichen Rechte und Freiheiten und die gleichen Möglichkeiten zu deren Realisierung". Die Anzahl von Frauen in Führungspositionen entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt.

Ein großes Problem ist häusliche Gewalt.

Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass jährlich etwa 14.000 Frauen von ihren Partnern oder einem Angehörigen getötet werden. Als Hauptursachen hierfür gelten Alkoholismus, ein traditionell geprägtes Rollenverständnis und beengte Wohnverhältnisse. Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuw eilen offenbar auch gar nicht nach.

Schutzmöglichkeiten für Frauen gibt es in Russland kaum: Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit und Soziales gibt es landesweit nur 23 staatliche Frauenhäuser.

Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Hauptopfergruppen. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel.

(Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 6.7.2012)

Frauen haben Schwierigkeiten, an politische Macht zu gelangen. Frauen haben 13% der Sitze in der Duma inne und weniger als 5% im Föderationsrat. Nur drei von 26 Kabinettsmitgliedern sind Frauen. Häusliche Gewalt ist weiterhin ein ernsthaftes Problem, die Polizei ist bei der Intervention in innerfamiliäre Angelegenheiten oft nachlässig.

(Freedom House: Freedom in the World 2013 - Russia, Jänner 2013)

Kriegsbedingt kam es in den letzten beiden Jahrzehnten zu Änderungen der Rolle der Frau in Tschetschenien. Viele Frauen fanden sich, nachdem sich ihre Männer in den Krieg begeben hatten, plötzlich in der Rolle der alleinigen Familienernährer(innen) wieder. Die Übernahme ehemals typisch männlicher Aufgaben stärkte die Rolle der Frauen in der tschetschenischen Gesellschaft, in diesem Zusammenhang wirkte auch das sowjetische Frauenbild, das von großer Gleichheit von Mann und Frau ausgeht, weiter. Dieses Phänomen wollen einige Teile der Gesellschaft, etwa Politiker und religiöse Autoritäten, nunmehr wieder rückgängig machen.

Im Zuge der letzten beiden Kriege kam es zum Verfall einiger Traditionen, andere gingen gänzlich verloren, oder werden nun in geänderter Form ausgeübt. Zu beobachten ist jedenfalls, dass es derzeit zu einem Wiederaufleben von Traditionen kommt, was unter anderem auf den Influx der ländlichen und eher traditionsbewussten Bevölkerung in der Hauptstadt Grosny zurückzuführen ist. Haupttriebkraft dieses Wiederauflebens ist jedoch die von Ramzan Kadyrow aktiv geförderte Rückbesinnung auf islamische und tschetschenische Traditionen, die zu einer moralischen Stärkung der Gesellschaft führen und einem Sittenverfall entgegenwirken soll. Inhaltlich nähert sich Kadyrow in seinem Frauenbild aber immer mehr den sog. Wahabiten als dem traditionellen tschetschenischen Islam("Macho-Islam"Uwe Halbach) Für Frauen äußert sich die Rückbesinnung auf tschetschenische/islamische Traditionen darin, dass die meisten von ihnen in der Öffentlichkeit nunmehr eine Kopfbedeckung tragen, obgleich hierzu keine (gesetzliche) Verpflichtung besteht. Zum Teil werden heute Kleidungsvorschriften propagiert, die es seit Jahrzehnten in Tschetschenien nicht mehr gegeben hat. Es wird auch von Paintball-Überfällen auf "westlich" gekleidete Frauen berichtet. Von einem gesellschaftlichen Druck sich an solche Kleiderordnungen zu halten kann ausgegangen werden. Des Weiteren wird Polygamie in den letzten Jahren verstärkt ausgeübt, diese wird in der Gesellschaft als "normal" betrachtet. Auch Ehrenmorde kommen verstärkt vor, wobei es sich hier eher um Einzelfälle handelt. Wie Beispiele zeigen ist vielfach unklar, wann es sich bei einem Mord an einer Frau tatsächlich um einen Ehrenmord handelt. Problematisch ist, dass aus Traditionsgründen oder durch Sicherheitskräfte begangene Verbrechen oft nicht angezeigt oder verfolgt werden.

Dies trifft auch auf die Tradition des (ehemals eher als Rollenspiel zu betrachtenden) Brautraubes zu, der heutzutage, durch Mitglieder der Kadyrowzy ausgeübt, gelegentlich zu tatsächlichen Entführungen und Zwangsheiraten führen kann. Aber auch Vergewaltigungen und Tötungen junger Frauen durch Kadyrowzy kommen vor. Häusliche und sexuelle Gewalt sind weiterhin Tabuthemen in der tschetschenischen Gesellschaft und werden gemeinhin gemäß den Traditionen gelöst, können jedoch bei den Behörden angezeigt werden. Ob Behören dabei Hilfe gewähren, ist jedoch mehr als fraglich. Bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes "gehören" seine Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Auch hier besteht in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden dürften.

Die in Tschetschenien derzeit bewusst betriebene Wiederbelebung der Traditionen führt jedenfalls zu gewissen Ambivalenzen. So stellt etwa die stattfindende Einmischung politischer, behördlicher oder religiöser Autoritäten in Bereiche wie Kleiderordnung eine Verlagerung von Angelegenheiten vom privaten in den öffentlichen Bereich dar, was einen Widerspruch zur tschetschenischen Gewohnheit bedeutet: Das Aufzwingen von Verhaltensnormen durch Außenstehende ist nach Auffassung vieler TschetschenInnen gegen ihre Kultur, da dies eine nicht übliche Einmischung in Familien- bzw. Klanangelegenheiten darstellt. Die lokalen tschetschenischen Traditionen und der "korrekte" islamische Lebensstil scheinen in der von Kadyrow geforderten Form einem freien und liberalen Lebensstil für Frauen entgegenzustehen. Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass jede Tschetschenin gezwungen ist, sich zu verschleiern, dass Tschetscheninnen im Scheidungsfall prinzipiell die Kinder entzogen werden oder dass säkulare Frauen gemeinhin aus Gründen der "Ehre" ermordet werden. Ebenso wenig kann jedoch davon ausgegangen werden, dass alle Frauen im heutigen Tschetschenien frei und selbstbestimmt leben können. Die Rechte und Freiheiten der Tschetscheninnen werden derzeit immer mehr eingeschränkt. Der auf Frauen ausgeübte Druck, sich "angemessen" zu verhalten, wird größer und stärker. Ob und inwieweit eine tschetschenische Frau Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch nimmt, hängt, ebenso wie etwa Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, Kleidung, oder Vorgehen bei "unehrenhaftem Verhalten", stark von ihrer individuellen Situation ab: von ihrer Erziehung, ihren sozialen Netzwerken, vor allem also von ihrer Familie bzw. jener ihres Ehemannes, von deren Modernität, Traditionalität und Religiosität. Swetlana Gannuschkina (MEMORIAL) betont, dass Frauen ohne Mann derzeit in Tschetschenien nicht leben könnten. Die Revitalisierung der Traditionen wird nur von Teilen der Bevölkerung gutgeheißen, viele Tschetschenen - nicht nur Frauen, sondern auch Männer - stehen ihr durchaus kritisch gegenüber. Andererseits ist es für Frauen, die im westlichen Ausland gelebt haben und die dortigen Sitten übernommen haben, sehr schwer sich wieder in Tschetschenien zu Recht zu finden.

Jedenfalls werden durch die Rückbesinnung auf "Tschetschenische Traditionen" die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vergrößert und die Vulnerabilität von Frauen und Mädchen gegenüber häuslicher und sexueller Gewalt erhöht.

(COI Workshop "Frauen in Tschetschenien" am 17.02.2012; Amnesty International, Annual Report 2012)

Es gab 2011 keine weiteren Berichte über Angriffe auf Mädchen und Frauen, die keine Kopftücher tragen wollten. Jedoch können jene, die dies verweigern, nicht im öffentlichen Dienst arbeiten oder Schulen und Universitäten besuchen (Human Rights Watch: World Report 2012, 22.01.2012)

In Tschetschenien hat der Druck auf Frauen erheblich zugenommen, sich gemäß den vom dortigen Regime als islamisch propagierten Sitten zu verhalten und zu kleiden. Russische Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Diskriminierungen, die nicht zuletzt im Widerspruch zur russischen Verfassung und anderen geltenden Gesetzen stehen.

(Auswärtiges Amt (10.6.2013): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Seite 13)

Auf Frauen wird Druck ausgeübt, Kopftücher im öffentlichen Raum zu tragen. In den meisten öffentlichen Gebäuden müssen Frauen Kopftücher tragen.

Ramsan Kadyrow hat sich öffentlich für Ehrenmorde ausgesprochen. In einigen Teilen des Nordkaukasus sind Frauen mit Brautentführung, Polygamie und erzwungenem Beachten islamischer Kleidungsvorschriften konfrontiert.

(Human Rights Watch (31.1.2013): Human Rights Watch: World Report 2013 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/237036/359908_de.html ; Zugriff 24.10.2013, U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 24.10.2013)

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, jedoch setzte die Regierung dieses Verbot nicht durchgängig um. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützten und gelegentlich halfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, waren Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Gemäß dem Föderalen Statistikdienst wurden 2011 bis November den Behörden 4.462 Vergewaltigungsfälle gemeldet (2010: 4.907). Jedoch meldeten Frauen Vergewaltigungen durch Personen, die ihnen bekannt waren, eher nicht. Zudem berichteten NRO zufolge viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden.

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein großes Problem. Das Innenministerium hat Aufzeichnungen von mehr als 4 Millionen Tätern häuslicher Gewalt. Das Duma-Komitee zu Sozialer Verteidigung berichtete, dass es 2010 21.400 Morde gab, zwei Drittel davon waren Frauen, die in häuslichen Auseinandersetzungen starben, das sind um 50% mehr als noch 2002. Das Innenministerium berichtete, dass mindestens 34.000 Frauen jedes Jahr Opfer häuslicher Gewalt würden. Jedoch ist es aufgrund der Zurückhaltung der Opfer, über Fälle häuslicher Gewalt zu berichten, unmöglich verlässliche statistische Informationen zu erhalten. Offizielle Telefonverzeichnisse enthielten keine Informationen über Krisenzentren oder Frauenhäuser. Gemäß dem Moskauer "Anna National Center for the Prevention of Violence" gibt es lediglich rund 25 Frauenhäuser in ganz Russland, mit Betten für insgesamt etwa 200 Frauen.

Es gibt keine rechtliche Definition von häuslicher Gewalt. Föderale Gesetze verbieten tätliche Angriffe, Körperverletzung, Drohungen und Morde, aber die meisten Fälle häuslicher Gewalt fallen nicht unter die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Gemäß NRO ist die Polizei oft nicht willens, Beschwerden über häusliche Gewalt aufzunehmen und entmutigte Opfer oftmals, diese einzubringen. Laut dem "Zentrum zur Unterstützung von Frauen" waren selbst unter Exekutivbeamten viele Täter häuslicher Gewalt.

Physische und sexuelle Gewalt gegenüber Frauen verbreitet sich immer stärker in der Region.

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

Grundsätzlich garantiert die Verfassung der Russischen Föderation Männern und Frauen dieselben Rechte. Dennoch sind Frauen von Diskriminierung v. a. am Arbeitsmarkt betroffen. Von einer gesellschaftlichen Diskriminierung alleinstehender Frauen und Mütter kann zumindest in Kernrussland nicht ausgegangen werden. Ein ernstes Problem in Russland stellt jedoch häusliche Gewalt dar. Dieses wird von Polizei und Sozialbehörden oft als interne Familienangelegenheit abgetan. Es gibt in der Russischen Föderation keine föderale Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt. Die Handlungsmöglichkeiten der Polizei sind begrenzt. Eine Bestrafung der Aggressoren ist bei Körperverletzung, Rowdytum oder sonstigen gewalttätigen Übergriffen möglich. Obgleich die Zahl der Frauenhäuser in der Russischen Föderation zunimmt, ist deren Zahl noch gering (derzeit ca. 25 mit insgesamt 200 Betten). In Tschetschenien gibt es keine Frauenhäuser. Nachdem die gesetzlichen Regelungen den Opfern von häuslicher Gewalt nur teilweise Schutz bieten, fliehen Opfer von häuslicher Gewalt meist zu Freunden oder Bekannten, oder finden sich mit der Situation ab. Ein weit verbreitetes Problem, für das es ebenfalls keine gesetzliche Regelung gibt, ist sexuelle Belästigung. Die Situation im Nordkaukasus unterscheidet sich maßgeblich von der in anderen Teilen Russland.

(Österreichische Botschaft Moskau: Asylländerbericht Russische Föderation, September 2012)

Von der Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde angegeben, dass sich eine Frau zum Beispiel bei einer gewalttätigen Brautentführung, durchaus an die staatlichen Organe wenden könnte und auch Hilfe bekommen könnte, es sei aber bisher kein solcher Fall bekannt.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.2. Wirtschaftliche Lage der Frauen

Die wirtschaftliche Lage von Frauen ist in Tschetschenien sicherlich schwierig. In Tschetschenien herrschen zwar insgesamt eine hohe offizielle Arbeitslosenrate und eine schlechte wirtschaftliche Lage, es ist jedoch unter Frauen vergleichsmäßig eine nicht unbeträchtliche wirtschaftliche Aktivität zu beobachten. Eine gewisse wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen scheint schon in der Vorkriegszeit bestanden zu haben. Obgleich in Tschetschenien zahlreiche alleinstehende und alleinerziehende Frauen leben und diese in der Gesellschaft auch als "normal" betrachtet werden, hängen alleinstehende Frauen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien sicherlich stark von der Unterstützung ihrer (Groß‑)Familie ab. Soziale Unterstützungsleistungen bestehen, außer Acht gelassen werden darf aber nicht, dass Korruption in der gesamten Russischen Föderation, und noch viel mehr in der Republik Tschetschenien weit verbreitet ist. Dieses Otkat genannte Bestechungsgeld ist vermutlich auch für die Auszahlung staatlicher Unterstützungsleistungen zu entrichten. Die Entwicklungen der letzten Jahre weisen einerseits darauf hin, dass Tschetscheninnen - vor allem wirtschaftlich betrachtet - ihre Rolle in der Gesellschaft stärken konnten. Einige Quellen verweisen auf die Modernität und Selbstständigkeit der heutigen tschetschenischen Frau. Es muss jedoch wiederholt darauf hingewiesen werden, dass die Möglichkeiten einer Frau nach wie vor stark von ihrem sozialen Umfeld abhängen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene werden Tschetscheninnen insgesamt zunehmend in die traditionelle Rolle der Hausfrau und Mutter zurückgedrängt. Die kadyrowsche (Re‑) Islamisierungspolitik bedeutet eine Diskriminierung von Frauen in der ohnehin männlich dominierten Kultur. Hinzugefügt werden muss, dass diese Politik Kadyrows nicht ausschließlich auf Frauen, sondern auf die gesamte tschetschenische Bevölkerung Auswirkungen hat. Die Entwicklung der Lage und Rolle der Frau in der heutigen tschetschenischen Gesellschaft stellt sich somit durchaus widersprüchlich dar. Weitere diesbezügliche Entwicklungen - etwa ob die Anzahl an berufstätigen Frauen in den nächsten Jahren zurückgeht - bleiben zu beobachten.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4 bis 6)

Das Sozialversorgungssystem der RF ist vielfältig und beinhaltet verschiede Formen von finanziellen Unterstützungsleistungen, Dienstleistungen und Vergünstigungen. Diese variieren zum Teil von Region zu Region. Es ist stark von den Umständen im Einzelfall abhängig, auf welche dieser Leistungen und Vergünstigungen eine bestimmte Person Anspruch hat.

Zum Beispiel gibt es anlässlich der Geburt eines Kindes bzw. zu dessen Pflege in der Russischen Föderation ein Geburtengeld und ein monatliches Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von 11/2 Jahren. Das Geburtengeld beträgt in Russland/in Tschetschenien 2013 ca. EUR 327,-, das Kinderbetreuungsgeld ca. 62,- EUR für das erste Kind und ca. EUR 122,- für jedes weitere Kind. Das Existenzminimum in der Republik Tschetschenien lag Ende 2012 bei etwa 170 EUR pro Kopf (127 EUR für Pensionisten, 164 EUR für Kinder, 185 EUR für arbeitsfähige Personen)xxi. Für bedürftige Bürger, das heißt für Familien deren pro Kopf Einkommen geringer als ca. EUR 38,- ist, gibt es eine soziale Unterstützung in Höhe von 2,50 EUR für die Dauer von 6 Monaten.

Nach Einschätzung von verschiedenen Mitarbeitern von internationalen NGOs im Nordkaukasus sind die Sozialleistungen nicht ausreichend, damit eine alleinstehenden Frau mit Kindern allein davon leben könnte, andererseits wurde bestätigt, dass sich in Tschetschenien wohl immer ein Verwandter finden würden, der bereit sei die Familie mit Wohnraum als auch finanziell zu unterstützten.

Von einer Vertreterin einer tschetschenischen NGO wurde mitgeteilt, dass das System von Alimentenzahlungen in Russland/Tschetschenien im Fall einer Scheidung noch nicht besonders ausgereift ist. Im Fall des Todes des Ehemanns würden der Ehefrau ebenso wie jedem Kind jedoch eine Rente "aufgrund des Verlusts des Versorgers" zustehen, die durchaus ein vernünftiges Einkommen darstelle.

(ÖB Moskau, Anfragebeantwortung zu Frauen, Obsorge, Schutz durch Staatliche Behörden, Arbeitsmöglichkeiten vom 10.05.2013)

4.3. Soziale Lage der Kinder

Die soziale Lage der Kinder und Jugendlichen in Russland hat sich - auch aufgrund besserer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - seit den 90er Jahren kontinuierlich verbessert. Das VN-Kinderhilfswerk UNICEF weist darauf hin, dass es in ganz Russland derzeit zwischen 20.000 und 100.000 "Straßenkinder" gebe. In den letzten Jahren ist ein Rückgang der Zahl der Straßenkinder zu verzeichnen. Nach aktuellen, laut Einschätzung der Botschaft glaubhaften, Schätzungen von UNICEF gibt es in Russland mehr als 730.000 Kinder ohne elterliche Fürsorge, von denen 180.000 Kinder in staatlichen Einrichtungen wohnen. Die öffentliche materielle Fürsorge für diese Kinder ist unzureichend. Über Zwangsarbeit von Kindern in Russland ist dem Auswärtigen Amt nichts bekannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 18)

In Tschetschenien "gehören" bei Scheidungen bzw. im Falle des Todes eines Mannes dessen Kinder den Bräuchen folgend ihm bzw. seiner Familie. Es besteht jedoch in der Praxis die Möglichkeit für Frauen, sich an Gerichte zu wenden, die im Normalfall zu Gunsten der Frau entscheiden.

(Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Seite 4-5)

Grundsätzlich gilt in Tschetschenien die allgemeine Schulpflicht. Bis auf wenige Ausnahmen besuchen alle Kinder die Schulen. Es fehlt jedoch an Schulmaterialien, häufig können keine warmen Mahlzeiten ausgegeben werden, die Klassen sind zu groß, weil immer noch viele Schulgebäude zerstört sind. Im Moment werden jedoch zahlreiche Schulen renoviert.

(Gesellschaft für bedrohte Völker: Die Menschenrechtslage in den Nordkaukasusrepubliken, Juni 2010, Seite 14)

Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der VN entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16)

5. Wehrdienst in Tschetschenien bzw. von Tschetschenen:

Die Bestimmungen über die Wehrpflicht, den Wehrdienst sowie den alternativen Zivildienst gelten für das gesamte Gebiet der Russischen Föderation und somit auch für Tschetschenien. Wenn ein wehrpflichtiger Mann in Tschetschenien wohnt, wird er dort einberufen und leistet dort seinen Wehrdienst ab, sofern er tatsächlich einberufen wird. Grundsätzlich dient eine gewisse Anzahl von in Tschetschenien wohnhaften wehrpflichtigen Tschetschenen in Bataillonen, die Ramzan Kadyrow unterstehen. Konflikte zwischen tschetschenischen Wehrdienstleistenden und Offizieren ebenso wie Unterdrückung und Vorurteile der Offiziere, von denen eine Großzahl im Ersten und/oder Zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft haben, gegenüber Wehrdienst leistende Tschetschenen sind häufig zu beobachten.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7349 vom 12.8.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, ACCORD Anfragebeantwortung a-7387 vom 01.10.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

Aus Tschetschenien werden ca. seit Beginn der neunziger Jahre keine Wehrpflichtigen mehr in die russische Armee aufgenommen. Einberufungen finden zwar statt (zuletzt Kadyrow-Erlass vom April 2010), beschränken sich aber auf Registrierung der tschetschenischen Wehrpflichtigen und Tauglichkeitsuntersuchungen. Aus dem Kontingent der Wehrpflichtigen werden jedoch offenbar regelmäßig Freiwillige ausgewählt und auf Vertragsbasis in Verbände der Armee in Tschetschenien aufgenommen. Grundsätzlich gilt, dass russische Wehrpflichtige in Tschetschenien nicht eingesetzt werden sollen, sondern nur Freiwillige.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Seit 2001 haben nur wenige tschetschenische Wehrpflichtige ihren Dienst in zwei rein tschetschenischen Bataillonen abgeleistet, die gegen die Untergrundgruppen eingesetzt wurden. Diese Bataillone sind inzwischen aufgelöst.

(The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 128, 6.7.2012, Russland Aktuell: Wehrpflicht gilt nicht für Tschetschenen, 22.7.2011,

http://www.aktuell.ru/russland/panorama/kapitulation_wehrpflicht_gilt_nicht_fuer_tschetschenien_3342.html , Zugriff 3.12.2012)

5.1. Dauer und Art des Wehrdienstes

Die Bedingungen des Wehrdienstes sind hart. Die allgemeine Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 28 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert zwölf Monate und Angaben über Wehrdienst bzw. Wehrersatzdienst werden im Wehrregister vermerkt. Die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften kann als zumindest problematisch bezeichnet werden, da es nach wie vor zu Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige kommt. Der durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit auf zwölf Monate (2007 noch zunächst 24, dann 18 Monate, seit der Einberufung vom 01.4.2008 zwölf Monate) erhoffte positive Effekt auf die Menschenrechtslage (d.h. Abbau von Frustration durch kürzere Dienstzeit und Abbau interner Machtstrukturen unter den Wehrpflichtigen) hat sich (noch) nicht deutlich bemerkbar gemacht.

(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, vom 07.03.2011, Seite 15, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

5.2. Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung:

Wenn ein wehrpflichtiger Mann in der Russischen Föderation gemeldet ist, ist er laut geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuberufen und hat er im für seine Meldeadresse zuständigen Militärkommissariat zu erscheinen. Bei jeder Einberufung versuchen sich mehrere tausend Jungmänner im Einberufungsalter ihrer Wehrpflicht zu entziehen, indem sie ihren Wohnort wechseln oder sich im Ausland aufhalten. Wehrpflichtige, die aus dem Ausland in die Russische Föderation zurückkehren, sind verpflichtet, sich innerhalb von zwei Wochen nach der Einreise beim zuständigen Wehramt (Kommandantur) zwecks Aktualisierung der Eintragungen im Wehrregister zu melden (Art. 10 des Föderalen Gesetzes über Militärpflicht und Militärdienst). Wehrpflichtige, die sich der Militärpflicht entzogen haben, können aufgrund des Art. 328 des Russischen Strafgesetzbuches strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wobei die (zusätzliche) Ableistung des Militärdienstes nach Überschreitung des Wehrpflichtalters von 27 Jahren nicht vorgesehen ist. In der Praxis ist die strafrechtliche Verfolgung der Wehrdienstentziehung nicht sehr wahrscheinlich, zumal die Gerichte in solchen Angelegenheiten nur mit großem Widerwillen ein Verfahren einleiten. Soweit es überhaupt zu einer Bestrafung kommt, so werden diese Handlungen in der Regel als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße belegt und zwar ohne Einleitung eines gerichtlichen Strafverfahrens. So wurden 2008 lediglich 91 Männer wegen Wehrdienstverweigerung mit einer - in den allgemeinen Vollzugsanstalten zu verbüßenden - Haftstrafe nach Durchführung eines gerichtlichen Strafverfahrens bestraft, während im selben Zeitraum rund 15.000 Personen mit einer Geldbuße - ohne Einleitung eines Strafverfahrens - in der Höhe bis zu 200.000 Rubel (ca. 4.700 Euro) wegen Wehrdienstverweigerung belegt worden sind. In diesem Zusammenhang wurde in den russischen Medien im September 2010 verbreitet, dass nach Feststellung der Moskauer Behörden in Moskau ca. 40.000 junge Männer, die den Wehrdienst verweigern, leben würden, nach der Frühlingsmusterung (01.10.2010 bis 31.04.2010) aber lediglich gegen zwei Personen ein Strafverfahren wegen Wehrdienstverweigerung eingeleitet worden sei.

(Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010).

5.3. Wehrersatzdienst

Zentrale Bestimmungen im föderalen Gesetz über den alternativen Zivildienst vom 28. Juni 2002 inklusive der Änderungen vom 22. August 2004, vom 31. Dezember 2005, vom 6. Juli 2006 und vom 9. März 2010 besagen, dass wehrfähige Männer ein Recht auf Ersatz des Militärdienstes durch alternativen Zivildienst haben, wenn der Militärdienst ihren Überzeugungen oder Glaubensvorstellungen widerspreche oder wenn der Wehrfähige einer kleinen Volksgruppe mit traditioneller Lebensweise zugehörig sei. In der Praxis hat der Wehrersatzdienst, der in der Russischen Föderation derzeit 21 Monate beträgt, bisher noch keine größere Bedeutung erlangt, zumal zurzeit in der gesamten Russischen Föderation lediglich 880 Zivildienstleistende registriert sind. Das Wehrkommissariat billigt etwa zwei Drittel der eingereichten Anträge, jedoch haben seit der Einführung des Gesetzes erst 4.328 Männer einen Antrag auf alternativen Zivildienst gestellt. Jeder zehnte wurde auf einer Baustelle eingesetzt. Über die Hälfte leistete den alternativen Zivildienst in einem sozialen Beruf ab. Bei erwarteten eineinhalb Jahren mühseliger Tätigkeit auf dem Bau, in Krankenhäusern, Altenheimen und Hospizen entscheiden sich viele junge Russen ohne langes Überlegen für den einjährigen Wehrdienst. Als Ursache für das weitgehend fehlende Interesse der Wehrpflichtigen an der Leistung des Ersatzdienstes wird vor allem die Länge des Ersatzdienstes genannt, die fast doppelt so lang ist wie die Dauer des Militärdienstes, sowie die schlechten Arbeitsbedingungen und der um ein mehrfaches niedrigere Sold im Vergleich zu der materiellen Vergütung der Militärdienstleistenden. Außerdem widerspricht die Leistung eines Wehrersatzdienstes der tschetschenischen Tradition.

(Accord Anfragebeantwortung a-7371 vom 07.09.2010, Rechtsgutachten Dr. Siegfried Lammich vom 11.10.2010)

6. Innerstaatliche Relokationsmöglichkeit

Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.6.2013, Seite 24)

Die Kontrollposten der russischen Armee in Grosny gibt es nicht mehr.

(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg)

Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NRO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Ethnische Tschetschenen und Angehörige anderer nordkaukasischer Nationalitäten können in der Russischen Föderation (Kernrussland) von Diskriminierung am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche sowie vor Gericht betroffen sein.

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Grundsätzlich ist die Bewegungsfreiheit innerhalb Russlands gesetzlich gewährleistet, Bürger können ihren Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen. Jedoch sind Bürger der Russischen Föderation gesetzlich verpflichtet, sowohl ihren vorübergehenden gegenwärtigen Aufenthaltsort, als auch ihren dauerhaften Wohnsitz den zuständigen Stellen des Innenministeriums zu melden. Der Registrierungsprozess stellt sich in der ganzen Russischen Föderation gleich dar. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum, eine Arbeitsstelle oder der Bezug von Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere hinsichtlich temporärer Registrierungen. Um sich temporär zu registrieren, muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, das persönliche Erscheinen beim UFMS ist keine Voraussetzung mehr. Obwohl das Gesetz festschreibt, dass eine temporäre Registrierung ein Jahr Gültigkeit besitzt, stellen manche lokale Behörden vorübergehende Registrierungen lediglich für einen Zeitraum von drei Monaten aus.

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden, bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch die Vorlage einer Zug- oder Busfahrkarte. Die Behörden haben laut FMS sogar ein eigenes Verfahren, um die Identität von Personen, die nicht im Besitz von Identitätsdokumenten sind, festzustellen. Der Name der zu registrierenden Person wird in derartigen Fällen in Datenbanken gesucht und es erfolgen Einvernahmen der jeweiligen Person sowie von ihren in der Russischen Föderation aufhältigen Verwandten. Sobald die Identität der Person festgestellt wurde, werden die erforderlichen Unterlagen ausgestellt.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten.

Vor allem Kaukasier und Einwanderer aus Zentralasien sind in Russland mit ethnischen Diskriminierungen und einem grassierenden Rassismus konfrontiert. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden statt, haben aber an Intensität abgenommen.

Laut Auskunft des Auswärtigen Amtes sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit von aus anderen Staaten zurückgeführten Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahegelegt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u.a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 35 und 36; Fragenbeantwortung der ÖB in Moskau vom 13.04.2012)

Tschetschenen verheimlichen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Der Föderale Migrationsdienst (FMS) bestätigte in diesem Zusammenhang, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen (Registrierungen für einen nicht länger als 90 Tage dauernden Zeitraum). Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bzw. an die jeweiligen territorialen Behörden (UFMS) schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird, und muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen.

(Bericht zum Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation, Russische Föderation - Republik Tschetschenien, Dezember 2011, Seite 6, 14-15, 58)

Viele regionale Regierungen schränken das Recht durch Regelungen für die Registrierung des Wohnsitzes, die an Sowjetzeiten erinnerten, ein.

(U.S. Department of State (19.4.2013): Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/245202/368649_de.html ; Zugriff 25.10.2013)

Laut Auskunft des Föderalen Migrationsdienstes (FMS) bestehen für Tschetschenen keine Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder hinsichtlich der Ausstellung von innerstaatlichen Reisepässen oder anderen offiziellen Dokumenten. Auch laut Einschätzung eines Anwalts der Memorial Migration & Rights Programme and Civic Assistance Committee (CAC) haben Tschetschenen bei einer Registrierung in St. Petersburg nicht mehr Probleme als andere russische Bürger. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Ihr Lebensstandard hängt stark davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Eine Vertreterin von House of Peace and Non-Violence, verwies darauf, dass viele Tschetschenen in St. Petersburg keinerlei dauerhafte oder vorübergehende Registrierung besitzen. Diese Personen besorgen sich immer wieder neue Zug- oder Bus-Tickets, um damit darzulegen, dass sie sich nicht länger als 90 Tage in St. Petersburg befinden.

Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes hält fest, dass Tschetschenen im Allgemeinen die gleichen Rechte besitzen wie alle anderen Gruppen in der Russischen Föderation, dies gilt hinsichtlich Beschäftigung, Wohnungsbeschaffung, Gesundheitsvorsorge sowie Pensionsansprüche. Die tschetschenische Bevölkerung außerhalb von Tschetschenien pflegt sehr enge Beziehungen zueinander, versucht nahe beisammen zu leben und sich gegenseitig zu unterstützen. Laut seiner Einschätzung sind Tschetschenen sowie einige andere Gruppen außerhalb des Nordkaukasus gelegentlich mit Anfeindungen lokaler Gemeinschaften konfrontiert.

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar, da sie den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt ermöglicht. Grundsätzlich hat man in der Russischen Föderation am Ort der Registrierung Zugang zur medizinischen Versorgung, medizinische Notfallhilfe wird jedoch in der russischen Verfassung garantiert und völlig unabhängig von Registrierung und Aufenthaltsort jedem Menschen, unabhängig von dessen Staatsbürgerschaft, gewährt. Die ethnische Zugehörigkeit würde auch nach Auskunft von IOM an Dänemark beim Zugang zur medizinischen Versorgung keine Rolle spielen.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Diesbezüglich ist auch auf die Änderungen im Gesundheitswesen der Russischen Föderation zu verweisen und hervorzuheben, dass das Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation festschreibt, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation, unabhängig von der Meldeadresse, gewährt wird. (Schreiben der österreichischen Botschaft in Moskau an den Asylgerichtshof vom 13.04.2012, IOM Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2012)

Laut SOVA gibt es keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen.

Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten.

(Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

IOM Russland erklärte, dass die Russische Föderation eine föderale Struktur hat und falls eine verdächtige Person von einer Verwaltungseinheit ausgeforscht wird, könnte nach dieser Person in der gesamten Russischen Föderation behördlich gesucht werden. Ob eine bundesweite Suche nach einer Person durch die Behörden eingeleitet wird, hängt davon ab, aufgrund welchen Verdachts die jeweilige Person ausfindig gemacht werden soll. Falls der Fall irgendwie im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus steht, ist es sehr wahrscheinlich, dass die tschetschenischen Behörden eine bundesweite Suche nach dem Verdächtigten einleiten.

Khamzat Gerikhanov (Chechen Social and Cultural Association) erklärte, es sei üblich, dass tschetschenische Rebellen aus benachbarten Republiken im Nordkaukasus zurückgeschickt werden, um (strafrechtlicher) Verfolgung in Tschetschenien ausgesetzt zu sein. Ein Vertreter des föderalen Ombudsmannes erklärte demgegenüber, dass ihm keine Fälle bekannt wären, in denen russische Behörden auf Anfrage der tschetschenischen Behörden Tschetschenen verhaftet und zwecks Strafverfolgung zurück nach Tschetschenien überstellt hätten. Zumindest würden tschetschenische Behörden das russische föderale Justizwesen jedoch bei der Suche nach einer Person, die unter Verdacht steht, Mitglieder illegaler bewaffneter Gruppierungen zu unterstützen, in Anspruch nehmen. Die Entscheidung, ob eine Anfrage von tschetschenischen Behörden zu Recht besteht, trifft dabei die Bundesbehörde. Khamzat Gerikhanov gab weiters an, dass Unterstützer oder Verwandte von Anhängern der illegalen bewaffneten Gruppen, die in eine andere Region der Russischen Föderation gezogen sind, aufgefunden werden, falls nach diesen Personen offiziell auf Bundesebene gesucht wird. Wenn jemand illegale bewaffnete Gruppen zum ersten Mal oder schon vor vielen Jahren mit Nahrung, Unterkunft oder Transport unterstützt hat und sich in der Folge außerhalb von Tschetschenien niederlässt, würden die tschetschenischen Behörden keine bundesweite Suche nach diesen Personen einleiten oder große Anstrengungen unternehmen, um derartige Personen wieder zurück nach Tschetschenien zu überstellen.

Der föderale Ombudsmann hat nach eigenen Angaben noch keine Beschwerden über Belästigungen bzw. Bedrohungen von Tschetschenen durch andere Tschetschenen erhalten, die in der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus wohnhaft sind. In dieser Hinsicht ist die Unterscheidung zwischen "high profile persons" und "low profile persons" wichtig. Personen, die von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden, könnten Bedrohungen durch andere Tschetschenen ausgesetzt sein. Sogenannte "high profile persons" sind der Gefahr von Racheakten durch Mitglieder von Kadyrows Geheimdienst in der Russischen Föderation als auch im Ausland ausgesetzt. Demgegenüber werden "low profile persons", die nicht offiziell gegen Kadyrow eingestellt sind, in der Regel nicht belangt.

Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden.

Bereits das Bekanntwerden kleinster kritischer Äußerungen betreffend die Regierung Kadyrows würde jedoch zu einer Rüge durch die tschetschenischen Behörden führen. Ekaterina Sokiryanskaya von Memorial in St. Petersburg gab in diesem Zusammenhang an, dass in den meisten Fällen tschetschenische Behörden nach einer Person nicht offiziell suchen, sondern in der Lage sind, (inoffiziell) Personen in der Russischen Föderation und in vielen europäischen Ländern ausfindig zu machen und gegebenenfalls auch zu töten.

(Danish Immigration Service: Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, 11.10.2011)

Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Was die Sicherheit von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation betrifft, so kann eine Beurteilung der Gefährdung nur im Einzelfall erfolgen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Tschetschenen, die in Tschetschenien keine Probleme hatten und etwa nur zur Arbeitssuche in einen anderen Teil der Russischen Föderation kommen (diese haben möglicherweise mit Diskriminierung und Anfeindungen aufgrund der weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit in Russland zu kämpfen) und Tschetschenen, die in Tschetschenien tatsächlich verfolgt werden (diese sind gegebenenfalls auch in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht sicher).

(ÖB Moskau (9.2013): Asylländerbericht Russische Föderation)

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann.

(Analyse der Staatendokumentation vom 20.4.2011 - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien)

Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden.

(Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf ; Zugriff 25.10.2013)

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Ansiedlung von Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich ist. Den wesentlichsten Punkt stellt die Frage dar, ob diese Personen von Kadyrow als Außenseiter oder Gegner seiner Regierung bzw. als Rivale seines Clans betrachtet werden und kann man diesbezüglich eine Unterscheidung in "high profile persons" und "low profile persons" treffen. Angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung, die jedoch in den letzten Jahren wesentlich vereinfacht wurde, spielen überdies ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle.

7. Situation gemischt ethnischer bzw. gemischt religiöser Ehen

Wenn auch die Trennung der Volksgruppen relativ strikt ist, kommen gemischte Ehen auch in Tschetschenien vor. Gemischt-ethnische Ehen werden in der Regel von den (tschetschenischen) Eltern nicht gutgeheißen, wobei es viel schlimmer ist, wenn ein tschetschenisches Mädchen einen Angehörigen einer anderen Volksgruppe heiratet, weil dadurch der "Stammbaum unterbrochen werde", was eine "schwere Sünde" darstellt. Bis zur russischen Besetzung sind Mischehen zwischen Volkszugehörigen verschiedener Völker des Kaukasus durchaus üblich gewesen und es gibt keine Berichte darüber, dass die Angehörigen gemischt-ethnischer bzw. gemischt-religiöser Ehen in Tschetschenien und in angrenzenden Kaukasusrepubliken von staatlicher Seite oder von Privaten gezielt verfolgt werden.

(ACCORD Anfragebeantwortung a-7409-1 vom 21. Oktober 2010)

8. Lage in den Nachbarrepubliken im Nordkaukasus:

Der Tschetschenienkonflikt hatte in den zurückliegenden Jahren auch auf die Nachbarrepubliken im Nordkaukasus übergegriffen und die gesamte Region destabilisiert. Die Häufigkeit bewaffneter Auseinandersetzungen nimmt insbesondere in Inguschetien und Dagestan weiterhin zu. Die gesamte Region ist wirtschaftlich und sozial eine der am stärksten benachteiligten in der Russischen Föderation. Sie leidet in ganz besonderem Maße unter Korruption, ethnischen Spannungen und der Machtausübung durch einzelne Clans.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25)

Bei den Gewaltakteuren ist ein Ideologiewandel vom Ethno-Nationalismus zum islamischen Fundamentalismus zu beobachten.

Ist zwar grundsätzlich der gesamte Nordkaukasus davon betroffen, konzentriert sich die Gewalt hauptsächlich auf Dagestan. Im Jahr 2012 und bis August 2013 kamen bei Anschlägen und Gewaltakten in der gesamten Region knapp 1.000 Menschen ums Leben, etwa 800 wurden verletzt. Mehr als die Hälfte aller Opfer wurde in Dagestan registriert.

In der Region operieren militante salafistische Muslim-Bruderschaften (Jamaate), wobei die Gruppen lokal organisiert sind und weitgehend autonom handeln.

Zurückzuführen ist die wachsende Sympathie innerhalb der Bevölkerung des Nordkaukasus für gewaltsame Formen des Widerstandes auf die Rücksichtslosigkeit der russischen Sicherheitsorgane im "Kampf gegen den Terrorismus.

Die Gewalt im Nordkaukasus ist auch vor allem Ausdruck der anhaltenden sozio-ökonomischen und politischen Krise im Nordkaukasus. Die Region leidet seit langem unter Armut, Korruption und Vetternwirtschaft und liegen die Einkommen deutlich unter dem russlandweiten Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 bis 30 %, in Inguschetien sogar bei 50 %.

(http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54672/nordkaukasus vom 06.01.2014)

8.1. Blutrache in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan:

Im Kaukasus gab es lange keine Staaten im traditionellen Sinn des Wortes. Von den einheimischen Völkern gingen keine Staatsbildungen aus, die enge lokale und ethnische Grenzen überschritten haben. Die Macht staatlicher Stellen beschränkte sich gewöhnlich auf den Sitz des Herrschers. Die bergigen Regionen blieben davon weitgehend unberührt. Das nicht Vorhandensein eines Staates impliziert die Abwesenheit von staatlicher Macht und Gesetzen, das einzige Gesetz, das die gegenseitigen Beziehungen regelte, war für lange Zeit das Adat, das sogenannte Gewohnheitsrecht.

Die Tradition der Blutrache stellt einen Teil des Gewohnheitsrechts dar. Wenn der eigentliche Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, so wird sein engster Verwandter zum Ziel der Rache. Das Adat erlaubt nicht, dass die Rache durch irgendeine Regierungseinrichtung ausgeübt wird. Nur das Opfer oder seine Familie dürfen am Täter oder wenn dieser nicht direkt bestraft werden kann, an seiner Familie Rache nehmen. Frauen, Kinder und Alte sind von der Blutrache ausgenommen. Obwohl die Blutrache oft als brutal und grausam betrachtet wird, gilt sie in de facto in Anarchie lebenden Gesellschaften als notwendiger Mechanismus um das Chaos zu verhindern. Während der Sowjetherrschaft wurde versucht die Blutrache sowie das gesamte Adat auszumerzen. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts kommt es jedoch zu einem Wiederaufleben des Gewohnheitsrechts und zwar vor allem wegen der Korruption und der Machtlosigkeit der Regierung zusammen mit dem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Staatssicherheit und die Justiz. Auch der kriegsbedingte Zusammenbruch staatlicher Strukturen und die "Fremdherrschaft" des russischen Staates führten zu einem Anstieg der Blutrache.

Jedoch ist man heute, wie die Einrichtung der Versöhnungskommission zeigt, daran interessiert, diese alten Bräuche wieder zurückzudrängen, um die entstehende Gewaltspirale, die bei einem relativ kleinen Volk wie den Tschetschenen auf lange Sicht durchaus für das Überleben der Gruppe bedrohliche Ausmaße annehmen kann, zu unterbrechen.

(Analyse der Staatendokumentation, Blutrache in Tschetschenien vom 05.11.2009)

8.2. Inguschetien:

Inguschetien ist mit seinen etwa 3.600 km2 die kleinste der Nordkaukasusrepubliken. Die Mehrheit der rund 410.000 Bewohner sind Inguschen. Sie gehören überwiegend dem sunnitischen Islam an. Außerdem leben Russen und Tschetschenen in Inguschetien. Etwa 20% der Einwohner sind ethnische Tschetschenen. Die ehemalige Hauptstadt Nasran ist die wichtigste Stadt, seit 2003 ist jedoch Magas die offizielle Hauptstadt. Inguschetien ist seit 1992 eine autonome Republik innerhalb der Russischen Föderation. Amtssprachen sind Inguschetisch und Russisch. Zwischen Inguschetien und Nordossetien kam es zwischen 1992 und 1993 zu einem Konflikt um ein Grenzgebiet, welches seit 1944 Ossetien gehört, auf das die Inguschen jedoch seit ihrer Rückkehr aus Zentralasien Anspruch erheben.

Im Dezember 2001 trat Präsident Ruslan Auschew von seinem Amt zurück. Als Nachfolger wurde im April 2002 der Geheimdienstgeneral Murat Zjazikow gewählt. Dies führte zu einer grundlegend anderen Haltung gegenüber dem Tschetschenienkrieg. Insbesondere kam es zu einem härteren Vorgehen gegenüber tschetschenischen Kämpfern. Dies führte letztlich zu einer gewissen Eskalation in Inguschetien.

(http://de.wikipedia.org/wiki/Inguschetien , Zugriff 09.01.2012, Junus-Bek Jewkurow,

http://de.wikipedia.org/wiki/Junus-bek_Bamatgirejewitsch_Jewkurow , Zugriff 11.01.2011)

Mit der Bestimmung von Junus-Bek Jewkurow im Oktober 2008 zum Nachfolger des entlassenen Präsidenten Zjazikow kam es aber zu einer innergesellschaftlichen Entspannung. Präsident Jewkurow, der auch Generalmajor der Russischen Armee ist, hat Oppositionsvertreter in die Regierung integriert und die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Konfliktlösungsansätze betont. Präsident Medwedew hat ihn dabei demonstrativ unterstützt. Von internationalen Organisationen (u.a. den Vereinten Nationen) wird die Sicherheitslage in Inguschetien als schlechter als in Tschetschenien eingestuft. Der Konflikt dauert unvermindert seit 2004 an und hat sich seit Sommer 2007 nochmals deutlich verschärft. Es kommt immer wieder zu Angriffen gegen die Sicherheitskräfte und staatliche Funktionsträger mit Toten und Verletzten sowie zu einer Häufung von Terroranschlägen. Die Sicherheitssituation scheint sich jedoch im ersten Halbjahr 2012 signifikant gebessert zu haben. Lokale Behörden können die Lage in der Region (Korruption, Überfälle von Rebellen, Willkür föderaler Sicherheitskräfte) augenscheinlich nicht kontrollieren. Das unverhältnismäßige und unterschiedslose Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die in Inguschetien operierenden Rebellen, das häufig die Zivilbevölkerung trifft, war einer der Hauptgründe für das Entstehen der inguschetischen Opposition.

Präsident Jewkurow hat wiederholt betont, dass die Probleme der Republik nur im Dialog zwischen Gesellschaft und Staatsorganen gelöst werden könnten. Für die schlechte sozioökonomische Lage in der Republik seien die Schwäche und der Vertrauensverlust der Staatsorgane und die Korruption ursächlich. Gleichwohl ist es seit Amtsantritt Jewkurows nicht zu einem Rückgang der Rebellenaktivität gekommen, auch wenden die Sicherheitskräfte weiterhin mitunter brutale Methoden an, bis hin zu extralegalen Tötungen im Vorgehen gegen vermeintliche Rebellen. Der Haltung Jewkurows ist es möglicherweise geschuldet, dass die Anzahl der Entführungen in Inguschetien im Jahr 2009 stark zurückging - laut Memorial auf 13 gegenüber 31 im Vorjahr 2008. 2010 wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen jedoch erneut mindestens zwölf Entführungen registriert, wobei davon sieben Personen ohne erneutes Lebenszeichen verschwunden sein sollen. Für die zweite Hälfte 2010 ist die Zahl der Terroranschläge in Inguschetien etwas zurückgegangen. Jewkurow selbst stellte Ende 2010 jedoch fest, dass es bezüglich der Rebellenaktivitäten keine Entwarnung geben könnte. Am 10.06.2009 wurde die Vizechefin des inguschetischen Obersten Gerichtshofs, Asa Gasgirejewa, bei einem Anschlag erschossen - 18 Monate, nachdem ihr Amtsvorgänger erschossen worden war.

Der inguschetische Präsident Jewkurow nannte in einer Stellungnahme das "rechtswidrige Verhalten der Sicherheitskräfte" und "Korruption" als Hauptgründe für die schwierige Lage in Inguschetien. Am 13.06.09 wurde der ehemalige inguschetische Innenminister Baschir Auschew in Nasran ermordet. Am 22.06.09 wurde Präsident Jewkurow bei einem Anschlag auf seinen Konvoi schwer verletzt. Am 25.10.2009 wurde der führende Oppositionspolitiker Makscharip Auschew in Kabardino-Balkarien bei der Rückfahrt nach Inguschetien erschossen. Seit 2006 kam es in Inguschetien wiederholt auch zu gezielten Übergriffen gegen russischstämmige Bewohner (Tötung russischer Familien in ihrem häuslichen Umfeld; Übergriffe an der Arbeitsstelle), deren Zahl durch ein gezieltes Regierungsprogramm wieder erhöht werden sollte.

Ausgehend von hohem Niveau, verzeichnet Inguschetien seit 2009 einen Rückgang bei der Zahl von Gewaltakten mit extremistischem Hintergrund. Die Lage bleibt jedoch volatil und gilt weiterhin als sehr schwierig. Lt. NRO "Kawkaski Usel" waren 2012 163 Konfliktopfer zu beklagen (2011: 108), darunter 79 Tote (2011: 70). Der Anstieg der Opferzahlen 2011/2012 fiel jedoch gegenüber dem Rückgang 2010/2011 (2010: 326 Opfer, darunter 134 Tote) gering aus.

Die gewisse Beruhigung, die in Inguschetien eingetreten ist, wird auch auf das vergleichsweise dialogorientierte Wirken des Republikoberhaupts, Junus-Bek Jewkurow, zurückgeführt.

Sorge bereitet nach wie vor die prekäre Wirtschaftslage. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach Schätzungen der VN ähnlich wie in Tschetschenien bis zu 80%. Es wird befürchtet, dass Inguschetien erneut stärker in Gewalt abrutschen könnte, wenn sich auf mittlere Sicht keine Fortschritte bei der Wirtschaftsentwicklung einstellen. Diese bleiben aus, da neben der weiterhin schwierigen Sicherheitssituation auch in Inguschetien die rechtlichen Rah-menbedingungen nicht hinreichend gut sind und Korruption ein großes Problem darstellt.

Nach einem Bericht der Gesundheitsministerin Inguschetiens vom Februar 2009 befinden sich in Inguschetien immer noch 24.000 offiziell registrierte Flüchtlinge (überwiegend aus Tschetschenien und Nord-Ossetien). Dies belaste den Gesundheitssektor, der selbst für die einheimische Bevölkerung nicht ausreichend sei, zusätzlich. Im Vergleich zu der gesamten Russischen Föderation sei die Krankheitsrate sowie die Infektionsrate in Inguschetien doppelt so hoch. Im Bericht der Gesundheitsministerin wurden in diesem Zusammenhang insbesondere Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Krebs sowie verschiedene Traumata und Verletzungen, die auf Explosionen und Feuerwaffen zurückzuführen sind, genannt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 26 und 27 sowie vom 10.06.2013, Seite 17; Amnesty International, Annual Report 2012)

8.3. Dagestan:

Dagestan ist mit rund 50.300 km² und 3 Millionen Einwohnern die größte der Nordkaukasusrepubliken der Russischen Föderation. Die Hauptstadt ist Machatschkala. Die Sprachen mehrerer Völker sind in der Verfassung verankert. Die meisten Einwohner Dagestans sind Muslime.

Präsident XXXX, der Dagestan seit dem Ende der Sowjetunion geführt hatte, wurde im Februar 2006 von Mukhu Aliyev abgelöst. 2010 wurde Aliyev wiederum durch XXXX Sohn XXXX als Präsident Dagestans abgelöst.

(BBC News, Regions and Territories: Dagestan, Stand Dezember 2007, Dagestan, http://de.wikipedia.org/wiki/Dagestan , Zugriff 09.01.2012, XXXX, http://de.wikipedia.org/wiki/XXXX , Zugriff 09.01.2012

Angesteckt durch die Konflikte in Tschetschenien, hat sich die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und bleibt sehr angespannt. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität führen zu anhaltender Gewalt und Gegengewalt. Die beinahe täglichen Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Die Behörden reagieren darauf mit harter Repression.

Laut NRO "Kawkaski Usel" waren 2012 in Dagestan mindestens 683 Opfer der Konflikte zu beklagen, darunter 410 Tote.

Im Januar 2013 wurde der seit 2010 als Republikoberhaupt amtierende XXXX von Ramasan Abdulatipow abgelöst. Unter XXXX hatte es vorsichtige Anzeichen gegeben, dass seine Administration stärker auf Dialog zur Bewältigung der Konflikte setzen will. Es wurden erste Mechanismen und Programme entwickelt, die zu einer Wiedereingliederung von Rebellen in die Gesellschaft führen sollen. Stärker propagiert wird ein gemäßigter Islam als Gegenstück zum Fundamentalismus der Extremisten. Als Grund für die Abberufung XXXX gilt sein Unvermögen, die unruhige Republik zu befrieden und damit auch die Gefährdung für die vom 7.-23.2.2014 in der Region stattfindenden olympischen Winterspiele zu verringern. Es ist fraglich, ob sein Nachfolger imstande ist, eine grundlegende Verbesserung der Lage in Dagestan herbeizuführen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, Seite 16 und 17)

In Dagestan verschwinden regelmäßig Personen; die NRO "Mütter Dagestans für die Menschenrechte" hat für die ersten acht Monate 2009 25 Entführungsfälle dokumentiert. Von öffentlicher Seite gibt es glaubhafte Schilderungen, dass kaum Hilfe bei der Suche nach diesen Personen geleistet wurde. Diese Übergriffe sind willkürlich, nicht gegen spezielle Bevölkerungsgruppen gerichtet. Problematisch ist die Tätigkeit tschetschenischer Sicherheitsorgane in Dagestan, die dort ohne Abstimmung mit den örtlichen Behörden Festnahmen durchführen. Dies hat wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dagestanischen Sicherheitsorganen geführt. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat ein früher in der Region nicht vertretenes fundamentalistisches Verständnis des Islams zahlreiche Anhänger gefunden. Die staatlichen Behörden setzen die Mitglieder derartiger Gemeinden mit Extremisten oder potentiellen Terroristen gleich und erfassen sie in Listen. Mitunter müssen sich diese Personen regelmäßig bei der Miliz melden und sind erheblichem Druck ausgesetzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 25 und 26)

Anfang Mai 2011 ernannte Umarow persönlich Ibragimkhalil Daudow (Amir Salikh), einen 50-jährigen Afghanistan-Veteranen, zum neuen Anführer des dagestanischen Untergrundes. In Dagestan sind gemäß Schätzungen des Central Asia-Caucasus Analyst ungefähr 2500 Männer aktiv. Das ist mindestens die Hälfte aller bewaffneten Widerstandskämpfer im Nordkaukasus. Nach dem Tod Daudows Anfang Februar 2012 kämpfen mehrere Rivalen um seine Nachfolge.

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 9; Dt. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation Russische Föderation Mai 2012)

Im Mai 2013 wurde die rechte Hand Umarows, Dschamaleil Mutalijew, getötet.

(http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54672/nordkaukasus vom 06.01.2014)

9. Weitere Erkenntnisse über asyl- und abschiebungsrelevante Vorgänge

9.1. Echtheit von Dokumenten

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente, welche die betreffenden Staatsangehörigen mit sich führen (insbesondere Reisedokumente), sind nicht selten mit unrichtigem Inhalt ausgestellt. Rund 20% der bei der Botschaft zur Echtheitsüberprüfung vorgelegten Dokumente sind Fälschungen. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle oder Gerichtsurteile. Asylsuchende aus der Russischen Föderation, insbesondere aus den russischen Kaukasusrepubliken, führen mitunter gefälschte Dokumente (z.B. unzutreffende Haftbefehle) oder unwahre Zeitungsmeldungen mit sich, mit denen staatliche Repressionsmaßnahmen dokumentiert werden sollen. Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wieder aufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört wurden.

9.2. Ausreisekontrollen und Ausreisewege

Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden an den Außengrenzen entsprechen in der Regel internationalem Standard. Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen mit besonderer Aufmerksamkeit u. a. bei Ein- und Ausreisen überwachen und dunkelhäutige Personen aus dem Kaukasus häufig zu Dokumentenüberprüfungen herausgeholt werden.

Reisende müssen ihren Inlandspass vorweisen, wenn sie Fahrkarten oder Flugtickets kaufen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 10.06.2013, S25, Seite 38-39; U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2012 - Russia )

2. Beweiswürdigung:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Die Identität der Beschwerdeführerin steht mangels identitätsbezeugender Dokumente (mit Lichtbild) nicht zweifelsfrei fest. Dass die Beschwerdeführerin aus der Russischen Föderation, konkret aus Tschetschenien, stammt, hat bereits die belangte Behörde angenommen und es haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht keine diesbezüglichen Zweifel ergeben. Die Zugehörigkeit zur oben genannten Kernfamilie ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin.

Die Feststellungen zur Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin beruhen auf der seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholten und im Akt einliegenden aktuellen Strafregisteranfrage.

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für die erkennende Einzelrichterin kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation zugrunde gelegt werden konnten. Hinsichtlich der auf näher genannten Länderberichten gestützten Bedenken in Bezug auf die zukünftige Lebenssituation der Beschwerdeführerin und einer möglichen Gefährdungslage als angeblich alleinstehende Frau wird auf die nachstehenden beweiswürdigenden Ausführungen verwiesen. Gemäß Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts hat sich zudem die konkrete Situation im Heimatland seit Erstellung der oben wiedergegebenen Berichte jedenfalls nicht zum Nachteil für die Beschwerdeführerin verändert. Da in diesem Zusammenhang im gesamten Beschwerdeverfahren auch keine die konkrete Rückkehrsituation der Beschwerdeführerin und ihrer minderjährigen Tochter einbeziehenden schlüssigen gegenteiligen Hinweise hervorgekommen sind, besteht für die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichts kein Grund, an der Richtigkeit der Beurteilung, dass keine Gefährdung vorliegt, zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, ihrer Situation in Österreich und ihren Verwandten im Herkunftsstaat ergeben sich aus den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt und den diesbezüglich glaubhaften Ausführungen der Beschwerdeführerin und hinsichtlich ihrer Tochter in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und im weiteren Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie aus dem aktuellen Auszug aus dem Grundversorgungssystem bzw. der folgenden Beweiswürdigung.

Bezüglich der geltend gemachten Fluchtgründe und ihrer Glaubhaftigkeit ist vorerst auf die folgende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; 25.11.1999, 98/20/0357, uva.).

Dabei steht die Vernehmung des Beschwerdeführers als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Die erkennende Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Beschwerdeführer gleichbleibende, substantiierte Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und mit den Tatsachen oder allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen.

Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens, in niederschriftlichen Einvernahmen, unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).

Die erkennende Einzelrichterin kam nach gesamtheitlicher Würdigung und im Besonderen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dem Schluss, dass die Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Ausreisegrundes im Wesentlichen glaubhaft sind. Vorweg ist festzuhalten, dass die erkennende Einzelrichterin insbesondere aufgrund des persönlichen Eindruckes im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung den Ausführungen der Beschwerdeführerin teilweise Glaubwürdigkeit zuerkennt.

Aufgrund des persönlichen Eindruckes vor der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts wurde als glaubhaft festgestellt, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin im April 2010 verstorben war, dieser war nach Angaben der Beschwerdeführerin kein Widerstandskämpfer. Überdies wurde aufgrund der diesbezüglich ebenfalls glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin festgestellt, dass ihr Sohn XXXX, der im Oktober XXXX geboren ist, nach wie vor im Herkunftsstaat aufhältig ist. Die Beschwerdeführerin hatte für sich und ihre Tochter als Grund für ihre Ausreise behauptet, ihr Sohn XXXX hätte sich vor einer Verfolgung gefürchtet, deshalb sei auch die Ausreise der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter, nicht jedoch ihres Sohnes aus dem Herkunftsstaat erfolgt. Aufgrund der grundsätzlich gleichlautenden Angaben der Beschwerdeführerin konnte ihren Angaben auch dahingehend Glaubwürdigkeit zuerkannt werden, dass ihr Sohn mehrere Male einen Mann transportiert hatte, der im Lebensmittelgeschäft der Beschwerdeführerin Lebensmittel gekauft hatte. Als entscheidenden Vorfall, der zu ihrer Ausreise geführt haben soll, hatte die Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt jedoch lediglich völlig vage angegeben, ihr Sohn hatte zuletzt zwei Männer transportiert, welche bewaffnet und bärtig gewesen wären, und ihr Sohn habe hinsichtlich der Beschwerdeführerin angedeutet, dies könnte Schwierigkeiten bedeuten. Die weiteren Angaben hinsichtlich der Zeit vor ihrer Ausreise stützte die Beschwerdeführerin jedoch nicht mehr auf eigene Wahrnehmungen. Ihr sei von Nachbarn (bzw. von einer Verkäuferin) nahegelegt worden, dass sie nach einem Besuch in einer Polyklinik im Oktober 2011 nicht mehr nach Hause zurückkehren sollte, weil die Polizei dort wäre und nach ihrem Sohn suchen würde, dieser sei jedoch von der Polizei nicht aufgefunden worden und im Anschluss verschwunden, weil er vermutlich ebenfalls über den Besuch der Polizei informiert worden wäre.

Somit schildert die Beschwerdeführerin für die erkennende Richterin völlig unnachvollziehbar, sie hätte ihr Heimatland, wo sie einen Lebensmittelladen besessen hatte und wo nach wie vor zahlreiche Verwandte von ihr leben, ohne eine weitere Kontaktaufnahme mit ihrem Sohn verlassen, einzig weil sie mutmaßte, die Männer, welche ihr Sohn transportiert hatte, könnten möglicherweise Widerstandskämpfer gewesen sein und es könnte deshalb möglicherweise auch für die Beschwerdeführerin und ihre Tochter im Herkunftsstaat auch eine Gefahr drohen. Diesbezüglich ist jedoch klar hervorzuheben, dass der behauptete Ausreisegrund der Beschwerdeführerin in keiner Weise konkretisiert werden konnte und sich in Summe auf eine mögliche Verfolgung ihres Sohnes im Herkunftsstaat stützt, welche jedoch auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, weil der Sohn der Beschwerdeführerin laut Ausführungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerdeverhandlung nach wie vor keinen Kontakt mit Personen der Behörden im Herkunftsstaat behabt hätte. Anhaltspunkte für eine Suche nach der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter bzw. gar einer Verfolgung der beiden konnte die Beschwerdeführerin jedoch in keiner Weise glaubhaft darlegen.

Befragt vor dem Bundesasylamt, weshalb man ihren Sohn verschwinden lassen sollte, gab die Beschwerdeführerin völlig allgemein und vage an, es gebe bei ihnen immer wieder derartige Vorfälle. Wenn man jemanden in Verdacht habe, mit den Widerstandskämpfern etwas zu tun zu haben, passiere so etwas laut Einschätzung der Beschwerdeführerin immer wieder. Die Beschwerdeführerin räumte jedoch vor dem Bundesasylamt auch ein, dass keine anderen Maßnahmen gegen ihre Familie ergriffen worden wären und es sei das erste Mal der Fall gewesen, dass die Polizei zu ihnen gekommen sei.

Im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland mutmaßte die Beschwerdeführerin, sie würde sicherlich festgenommen werden, weil sie ja zu ihrer Wohnung zurückkehren müsste und es komme immer wieder vor, dass Personen spurlos verschwinden. Aufgrund dieser völlig vagen und allgemeinen Mutmaßungen konnte jedoch auch das Bundesverwaltungsgericht nicht feststellen, dass die Beschwerdeführerin und ihre Tochter im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt wären.

Der Vollständigkeit halber ist noch darauf zu verweisen, dass die Beschwerdeführerin auf Nachfrage in der Beschwerdeverhandlung zunächst das Auftreten des Einvernahmeleiters beim BFA bemängelt hatte, sie hatte jedoch auf Nachfrage bestätigt, dass sie dennoch im Zuge ihres Asylverfahrens immer die Wahrheit angegeben hatte, somit war auf diese Behauptungen nicht mehr weiter einzugehen.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung verneinte die Beschwerdeführerin die Frage, ob ihr Sohn im aktuellen letzten Telefonat von den beschriebenen Männern, die er transportiert hatte, irgendetwas erzählt hätte. Sie verwies darauf, dass ihr Sohn schon lange nicht mehr über diese Männer gesprochen hatte, weil er diese gar nicht kenne. Auf nochmalige Nachfrage im Rahmen der Beschwerdeverhandlung, wann ihr Sohn zuletzt über diese Männer gesprochen hätte, gab die Beschwerdeführerin lediglich an, dies sei schon lange her gewesen. Da diese Männer jedoch angeblich der Grund für die behauptete Verfolgung ihres Sohnes sein sollen, und in der Folge den Grund für die Furcht und Ausreise sowie für die Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter darstellen sollen, kann in keiner Weise nachvollzogen werden, weshalb der Sohn mit seiner Mutter (der Beschwerdeführerin) angeblich seit langer Zeit nicht mehr darüber gesprochen hatte. Auf Nachfrage hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerdeverhandlung ihre Rückkehrbefürchtung dahingehend gesteigert, dass sie im Rahmen der Beschwerdeverhandlung nunmehr auch behauptete, sie könnte auch in Verdacht geraten, dass sie ebenfalls involviert gewesen sei. Ihre Angaben erscheinen diesbezüglich wiederum als völlig vage Mutmaßungen, weil sie auf Nachfrage, ob die von ihrem Sohn transportierten Lebensmittel für Widerstandskämpfer waren, angab, darüber auch keine Kenntnis zu haben.

Völlig unglaubwürdig steigerte die Beschwerdeführerin - erst auf Vorhalt, dass auch ihre Brüder ohne Probleme weiterhin im Herkunftsstaat leben - ihre Angaben im Rahmen der Beschwerdeverhandlung dahingehend, dass ihre Brüder, welche im Herkunftsstaat leben, auch nach ihrem Sohn gefragt worden wären, sie wisse jedoch nicht, ob nunmehr noch jemand komme. Auf Vorhalt, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Asylverfahrens bisher noch nie derartige Angaben getätigt hatte, versuchte sie diese Steigerung des Vorbringens lediglich damit zu begründen, dass man sie bisher noch nie danach gefragt hatte. Sollten diese Handlungen bei der Beschwerdeführerin tatsächlich die subjektive Furcht einer ihr drohenden staatlichen Verfolgung hervorgerufen haben, so wäre jedoch zweifellos anzunehmen, dass sie diese Umstände so früh wie möglich eigenständig zur Sprache gebracht hätte. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht nämlich davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann, denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

Darüber hinaus ist auszuführen, dass man im gegenständlichen Fall auch zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin Glaubwürdigkeit zuerkannt hätte werden können. Im Falle der Beschwerdeführerin kann keine - von der Glaubwürdigkeit ihres Vorbringens unabhängige - Bedrohungssituation (lediglich) aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft zu ihrem in der Vergangenheit - im Detail im Oktober 2011 - im Zuge einer (vermeintlichen) Hausdurchsuchung gesuchten - Sohn erkannt werden. Der geschilderte Vorfall liegt mittlerweile mehr als drei Jahre zurück, es leben noch zahlreiche Verwandte, einschließlich des angeblich gesuchten Sohnes der Beschwerdeführerin, nach wie vor im Herkunftsstaat ? ohne von Problemen betroffen zu sein. Dies spricht ebenfalls gegen eine etwaige Verfolgungsgefahr aufgrund der bloßen Angehörigeneigenschaft.

Desweiteren ist anzumerken, dass die geschilderten Ereignisse ? unterstellt man diesen Glaubwürdigkeit ? nicht die für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr notwendige Eingriffsintensität, in dem Sinne, dass diese als eine massive Bedrohung der Lebensgrundlage der Beschwerdeführerin zu betrachten wären, erreichen (vgl. AsylGH 30.7.2012, A2 413.471-2/2012).

Dass der Sohn der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat von Behörden in der Vergangenheit gesucht wurde, wird nicht in Abrede gestellt, doch konnte aufgrund obiger Erwägungen eine damit in Zusammenhang stehende individuelle Gefährdungslage hinsichtlich der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter letztlich nicht erkannt werden. Für eine Asylgewährung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie ist es nicht einmal ausreichend, dass einzelnen Familienmitgliedern bereits Asyl gewährt wurde (was im gegenständlichem Fall nicht der Fall ist, da der Sohn nie den Herkunftsstaat verlassen hat, um einen Asylantrag zu stellen), sondern ist für jedes Familienmitglied eine individuelle Prüfung vorzunehmen, in der eine konkret das jeweilige Familienmitglied betreffende Verfolgungssituation glaubhaft gemacht werden muss (vgl. AsylGH 29.4.2011, E2 239.106/02008).

Hinsichtlich der Lage alleinstehender Frauen in Tschetschenien ist anzumerken, dass die Beschwerdeführerin bereits rund eineinhalb Jahre vor ihrer Ausreise als alleinstehende Frau im Herkunftsstaat gelebt hat und dabei auch einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit als Besitzerin eines Lebensmittelgeschäfts nachging. Ausgehend von der mangelnden Asylrelevanz des von ihr als Fluchtgrund vorgebrachten Sachverhaltes ist nicht ersichtlich, dass ihr dies nicht auch nach Rückkehr in den Herkunftsstaat weiterhin möglich sein wird.

Aufgrund der Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführerin geht die erkennende Einzelrichterin davon aus, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr über Unterkunftsmöglichkeiten (Haus sowie Verwandte) verfügen wird. Es kann im gegenständlichen Fall nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei ihr im Falle einer Rückkehr um eine alleinstehende Frau ohne soziales Beziehungsnetzwerk handelt. An dieser Stelle ist auch festzuhalten, dass es der Beschwerdeführerin bereits vor ihrer Ausreise gelungen ist, für sich zu sorgen. Überdies leben im Herkunftsstaat im Heimatdorf zahlreiche Verwandte, insbesondere ihre drei Brüder, welche gegebenenfalls aktiv zum Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin und ihrer minderjährigen Tochter beitragen können. Von einer alleinstehenden Frau ohne männliche Unterstützung kann folglich bei der Beschwerdeführerin nicht ausgegangen werden.

Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin sowie den in Vorlage gebrachten ärztlichen Unterlagen.

Die Beschwerdeführerin leidet an psychischen und physischen Erkrankungen. Bereits im angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin an Hepatitis C erkrankt ist und aufgrund dessen bereits im Heimatland medizinisch betreut worden war. Zusammen mit der Beschwerde wurden aktuelle Befunde hinsichtlich der Beschwerdeführerin übermittelt, wonach die Beschwerdeführerin insbesondere an Hepatitis C, Leberzirrhose und "Vertebrostenose lumbal" (eine Verminderung des Gesamtdurchmessers des Wirbelkanals) leidet. Aktuell vorgelegt wurde eine Ambulanzkarte eines Krankenhauses vom 23.10.2013, in der insbesondere festgehalten wurde, dass bei der Beschwerdeführerin "eine bekannte Leberzirrhose sowie Hepatitis C" vorliegt und die Behandlung in der Leberambulanz erfolgt. Weiters wurde insbesondere "Lymphödem bds." festgestellt. Ab Ende Juli 2014 bis Ende September 2014 hat sich die Beschwerdeführerin überdies einer Hepatitis-Therapie in Österreich unterzogen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gab die Beschwerdeführerin an, ihre Hepatitis-C-Erkrankung gelte jetzt als geheilt, aufgrund ihrer Leberzirrhose verwies sie auf einen Termin im Jänner 2015 und auf eine Therapie wegen "Problemen mit ihren angeschwollenen Beinen". Aus dem Befundbericht vom 04.06.2014 ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin ab 25.09.2014 in regelmäßiger fachärztlicher Behandlung aufgrund der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung" befindet. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung gab sie an, sie mache eine Psychotherapie, habe jedoch derzeit eine Pause eingelegt und nehme lediglich eine "Viertel Tablette", wenn sie nicht einschlafen kann. Eine Fortsetzung der Behandlungen ihrer Erkrankungen im Herkunftsstaat ist aufgrund der Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat möglich. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin an keiner außergewöhnlichen oder gar lebensbedrohlichen Krankheit leidet, die gegen eine Rücküberstellung in die Russische Föderation spricht.

Sollte die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr weiterhin medizinische Versorgung aufgrund physischer oder etwaiger psychischer Probleme bzw. Beschwerden benötigen, wird ihr diese - den Länderfeststellungen zur Medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation folgend - in ihrem Herkunftsland jedenfalls zuteil werden. Aus den Länderfeststellungen zur medizinischen Versorgung in Tschetschenien ergibt sich, dass in der Russischen Föderation, im konkreten Fall in Tschetschenien, eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Auch die erkennende Einzelrichterin kommt daher zu dem Schluss, dass die gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin nicht dazu führen, dass bei einer Rücküberstellung in die Russische Föderation eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 75 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 ist das AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die - wie im vorliegenden Fall - am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 idF BGBl. I 68/2013 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.

Gemäß § 75 Abs. 17 AsylG 2005 idF BGBl. I 68/2013 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Bundesasylamt anhängigen Verfahren ab 1.1.2014 vom Bundesamt zu Ende zu führen.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl. I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A)

Stellt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 29/2009 ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 122/2009, hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 122/2009, hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist; gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I 122/2009).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 38/2011, ist im Sinne dieses Bundesgesetzes Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Da den anderen Familienangehörigen der Kernfamilie (im gegenständlichen Fall: der Tochter der Beschwerdeführerin zu W162 1431661-1) mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag weder der Status der Asylberechtigten noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, konnte der Beschwerdeführerin weder der Status der Asylberechtigten noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen der Bestimmungen des Familienverfahrens (§ 34 Abs. 2 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 122/2009) gewährt werden.

Es bleibt daher zu prüfen, ob der Beschwerdeführerin aus eigenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiärer Schutz zuerkannt werden kann.

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183, 18.02.1999, 98/20/0468).

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs.1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs.2 leg.cit.)

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

Es sei weiters betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnimmt (VwGH vom 20.06.1990, Zl. 90/01/0041).

Die Beschwerdeführerin konnte somit keine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen, und diese ist auch im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt. Es ist folglich davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht besteht.

Weiters ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Unabhängigen Bundesasylsenates sowie des Asyl- und Verwaltungsgerichtshofes nicht von einer Gruppenverfolgung (generelle asylrelevante Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie) gesprochen werden kann (z.B. UBAS v. 24.01.2007, Zl. 254.119/0-VIII/22/04, UBAS v. 27.01.2007, Zl. 256.753/5E-VIII/22/05, u.v.a.m.; VwGH v. 19.12.2007, Zl. 2006/20/0771, VwGH v. 26.06.2008, Zl. 2006/20/0685, u.a.). In den Länderfeststellungen findet sich auch keine Deckung für die soziale Gruppe der minderjährigen tschetschenischen Frauen, die einer potentiellen Gefahr von Verfolgung bzw. Zwangsheirat ausgesetzt sind, wie in der Beschwerdeverhandlung zu konstruieren versucht wurde. Dabei verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es im Einzelfall sehr wohl eine entsprechende und zu berücksichtigende Bedrohung geben kann. Für die BF kann eine solche jedoch nicht erkannt werden.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführerin, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen mit erheblicher Intensität verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation, respektive Tschetschenien, sowie des Vorbringens der Beschwerdeführerin kann eine asylrelevante Verfolgung nicht erkannt werden.

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status' der subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status' des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status' des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die fluchtkausalen Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als nicht glaubhaft, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, 95/20/0380).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat die Beschwerdeführerin keine sie konkret bedrohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. für eine aktuelle drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe glaubhaft zu machen vermocht, weshalb auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation eine konkret gegen sie gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK kann im Falle der Beschwerdeführerin nicht erkannt werden. Es gibt weder einen Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation respektive Tschetschenien den in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 umschriebenen Gefahren ausgesetzt wäre, noch konnte festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin an einer lebensbedrohenden Krankheit leiden würde oder liegen Hinweise auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung der Beschwerdeführerin unzulässig machen könnten, vor. In der Russischen Föderation besteht auch nicht eine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Beschwerdeführerin hat auch keine auf ihre Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstände" glaubhaft machen können, die ein Abschiebungshindernis bilden könnten.

Bereits beweiswürdigend wurde dargelegt, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation respektive Tschetschenien in keine existenzbedrohende Situation geraten würde.

Zusammengefasst wird hier nochmals dargelegt, dass sich die wirtschaftliche Lage für die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr offensichtlich ausreichend gesichert darstellt. Die Beschwerdeführerin verfügt in Tschetschenien unverändert über zahlreiche Verwandte und hat ihren Lebensunterhalt durch ihre Arbeitstätigkeit im eigenen Lebensmittelgeschäft bestritten. Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichts ist zu dem Schluss gekommen, dass die Beschwerdeführerin - wie beweiswürdigend dargelegt - über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügt und davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter ein soziales Umfeld vorfinden würde, das sie im Bedarfsfall unterstützen würde. Hier war insbesondere auf herrschende tschetschenische Traditionen zu verweisen.

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes verkennt keineswegs, dass die wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat wahrscheinlich schlechter sein wird als in Österreich. Aus den getroffenen Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, dass der Schutzbereich des Art. 3 nicht tangiert ist (vgl. auch VwGH v. 16.07.2003, 2003/01/0059 betreffend des Nichterreichens der Schwelle des Art. 3 MRK auch bei prekärer Unterkunftssituation des Beschwerdeführers).

In diesem Zusammenhang wird auch auf die in den vorgehaltenen Länderfeststellungen konstatierte Gewährleistung der Grundversorgung in der Russischen Föderation und in Tschetschenien sowie auf die von der Rechtsprechung des Gerichtshofes für Menschenrechte (für die Unzumutbarkeit der Abschiebung von Fremden in ihren Herkunftsstaat) angenommene "hohe Schwelle" des Art. 3 EMRK hingewiesen (vgl. dazu zB VfGH 6.3.2008, B 2004/07 mwN).

Zum gesundheitlichen Zustand der Beschwerdeführerin wurde bereits beweiswürdigend ausgeführt, dass dieser einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht entgegensteht, zumal die Beschwerdeführerin an keiner schwerwiegenden bzw. lebensbedrohlichen Erkrankung leidet bzw. sich auch kein lebensnotwendiger bzw. exklusiv im Bundesgebiet verfügbarer Behandlungsbedarf ergeben hat. Dahingehend wird auf die umfassenden beweiswürdigenden Überlegungen verwiesen.

Ein Abschiebehindernis aufgrund gesundheitlicher Probleme liegt demnach nicht vor. Im Übrigen ist zu bemerken, dass gemäß den Länderberichten und dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien eine medizinische Grundversorgung gewährleistet ist und im Übrigen alle Erkrankungen - wie in Westeuropa - behandelt werden können.

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes übersieht nicht, dass das russische bzw. tschetschenische Gesundheitssystem österreichischen Standards nicht entsprechen mag. Dem Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung, wonach die Beschwerdeführerin an einer "derart schweren Erkrankung leidet, die in Tschetschenien nicht adäquat behandelt wurde" und ihre derzeitige Behandlungsmethode "selbst in Österreich nicht alltäglich" sei, kann folgendermaßen entgegengetreten werden: Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und jener des Verfassungsgerichtshofes hat - aus dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden; dies selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich und kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gäbe (siehe VfGH 6.3.2008, B 2400/07).

Eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung ergibt sich aufgrund adäquater Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat nicht. Eine allenfalls notwendige Behandlung kann im Herkunftsstaat durchgeführt werden.

Der Beschwerdeführerin ist es daher nicht gelungen darzulegen, dass sie im Falle ihrer Abschiebung in die Russische Föderation in eine "unmenschliche Lage" versetzt würde. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit. c StatusRL.

Eine andere generelle Sichtweise würde im Übrigen den exzeptionellen Ausnahmecharakter des Zuspruchs subsidiären Schutzes bei nichtstaatlicher Verfolgung in nicht vertretbarer Weise relativieren, als diesfalls wohl Personen, die an leicht behandelbaren Erkrankungen ohne akuten oder lebensbedrohlichen Verlauf leiden, wenn Sie in die Europäische Union einreisen, ein Schutzstatus zu gewähren wäre.

Somit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

3.4. Zu Spruchpunkt III. (Zurückverweisung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das BFA):

Die relevanten Übergangsbestimmungen des § 75 Abs. 19, 20 und 23 AsylG 2005 idgF lauten wie folgt:

"§ 75. (...)

(19) Alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren sind ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

(20) Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,

jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder

den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen.

(...)

(23) Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 erlassen wurden, bleiben binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. oder 3. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012."

Mit der vorliegenden Entscheidung wird die Einschätzung im angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes bestätigt.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Die Beschwerdeführerin steht mit keiner in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigten Person in einem familienähnlichen Naheverhältnis oder Abhängigkeitsverhältnis. In Österreich verfügt die Beschwerdeführerin über ein Familienleben lediglich zu ihrer mit ihr gemeinsam eingereisten Tochter (Beschwerdeführerin zu W162 1431661-1), hinsichtlich derer mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag gleichlautende Entscheidungen ergangen sind, somit deren Verfahren ebenfalls insoweit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wurde. Hinsichtlich der ebenfalls in Österreich aufhältigen Neffen der Beschwerdeführerin, mit denen sie nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, wurde eine besondere Beziehungsintensität oder ein Abhängigkeitsverhältnis nicht glaubhaft dargelegt.

Ist im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben zu verneinen, bleibt noch zu prüfen, ob mit der Ausweisung in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.4.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; uvm).

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251, uva.). Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190). Das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden ist bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen (VfGH 17.03.2005, G 78/04).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und Verfassungsgerichtshofes auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention², 194; Frank/ Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 2005³, S. 282ff).

Geht man in vorliegendem Fall in Übereinstimmung mit dem Bundesasylamt von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich aus, fällt die gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu Lasten der Beschwerdeführerin aus und stellt die Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK dar.

Ein Eingriff in das Privatleben des jeweils Betroffenen liegt im Falle einer Ausweisung fast immer vor. Lediglich bei kurzen Inlandsaufenthalten geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kein Eingriff in das Privatleben erfolgt.

Es kann - insbesondere im Hinblick auf die letztlich kurze Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich von rund drei Jahren - von keiner außergewöhnlichen Integration gesprochen werden. Die Beschwerdeführerin ist keinesfalls selbsterhaltungsfähig, sondern war in Österreich nicht erwerbstätig und hat (laut aktuellem im Akt einliegenden GVS-Auszug) nur von der öffentlichen Unterstützung gelebt. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter werden aufgrund der Erkrankung der Beschwerdeführerin an Leberzirrhose und Hepatitis C im Rahmen der Sonderbetreuung in einem Haus der Flüchtlingshilfe betreut. Die Beschwerdeführerin hat an Deutschkursen teilgenommen und arbeitet im Caritas Nachbarschaftshilfeprojekt mit. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung konnten von der erkennenden Einzelrichterin kaum vorhandene Deutschkenntnisse festgestellt werden. Die Tochter der Beschwerdeführerin besucht derzeit die vierte Klasse der Hauptschule mit gutem Erfolg in Österreich, hat bereits zahlreiche Freunde in Österreich und beherrscht die deutsche Sprache ausgezeichnet. Es kann von keiner Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden. Eine besondere Bindung zu Österreich hat sich im Verfahren ebenso wenig ergeben wie intensivere soziale Kontakte. Im Herkunftsstaat leben noch zahlreiche Verwandte, einschließlich ihres Sohnes, und Bekannte der Beschwerdeführerin samt deren Familien. Es leben zahlreiche Verwandte, insbesondere auch ihr Sohn und ihre Brüder, nach wie vor im Herkunftsstaat. Sie beherrscht die Sprache ihres Herkunftsstaates und hat dort auch eine Ausbildung zur Buchhalterin absolviert und im eigenen Lebensmittelgeschäft gearbeitet. Die unbescholtene Beschwerdeführerin ist zudem illegal eingereist. Die Dauer des bisherigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin ist nicht in einer den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerung begründet.

Die in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides angeordnete Ausweisung nach § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 gilt gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 idgF als aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Geltung als Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 FPG.

Es kann im gegenständlichen Fall - wie bereits ausgeführt - nicht davon ausgegangen werden, dass in dem die Beschwerdeführerin betreffenden Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 ist daher spruchgemäß das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Dieser unter Spruchpunkt III. des Spruchteiles A ergangene Spruch des Bundesverwaltungsgerichtes tritt an die Stelle der im Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides des Bundesasylamtes getroffenen Ausweisungsentscheidung.

Das BFA wird daher nach der nunmehr geltenden Rechtslage die Erlassung einer Rückkehrentscheidung neu zu prüfen haben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz BGBl. Nr. 10/1985 idF BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde oben bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung wurden auch in den gegenständlichen Beschwerden nicht vorgebracht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte