BVwG W270 2170642-1

BVwGW270 2170642-121.5.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W270.2170642.1.00

 

Spruch:

W270 2170642-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, Seilergasse 16, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") stellte am 01.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

2. Bei seiner am selbigen Tag stattgefundenen Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater als LKW-Fahrer für eine Erdölfirma gearbeitet habe und so verschiedene Unternehmen und ausländische Organisationen mit Erdöl beliefert habe. Die Taliban hätten den Vater des Beschwerdeführers deswegen mit dem Tod bedroht und diesen schlussendlich auch getötet. Drei Tage nach dessen Tod hätten die Taliban das Haus der Familie des Beschwerdeführers angegriffen, dabei seien seine Mutter und seine zwei Schwestern getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst sei mit seinen beiden jüngeren Brüdern zu deren Onkel mütterlicherseits geflohen. Dieser Onkel habe dann beschlossen, dass der Beschwerdeführer das Land verlassen müsse. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, von den Taliban ermordet zu werden.

 

3. Mit Schriftsatz vom 23.07.2016 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in welcher er bereits Vorbringen zu seinen Fluchtgründen erstattete sowie Beweismittel zur Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz und der Stadt Kabul vorgelegte.

 

4. Bei seiner Einvernahme am 03.08.2016 vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer zu den Gründen für seine Asylantragstellung befragt zusammengefasst an, dass der Vater des Beschwerdeführers bei einer Transportfirma namens " XXXX " gearbeitet und einen Stützpunkt der Franzosen mit Öl beliefert hätte. Deswegen sei er von den Taliban bedroht worden. Leute aus dem Dorf des Beschwerdeführers würden den Taliban Bericht erstatten und hätten diesen auch gesagt, dass der Beschwerdeführer ebenfalls für dieses Unternehmen, in welchem auch dessen Vater gearbeitet habe, tätig sei. Danach habe die Familie des Beschwerdeführers insgesamt drei Drohbriefe erhalten, in welchen der Beschwerdeführer auch namentlich erwähnt worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei beim Transport einer Lieferung der Amerikaner in der Provinz Maidan Wardak, im Distrikt Salar von den Taliban angegriffen und getötet worden. Drei Tage nachdem dessen Leichnam in das Heimatdorf des Beschwerdeführers gebracht worden sei, sei nachts auch das Haus seiner Familie angegriffen worden. Dabei sei die Mutter des Beschwerdeführers sowie dessen beiden Schwestern getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst und dessen beiden Brüder hätten zu diesem Zeitpunkt im Gästehaus geschlafen und seien in der Nacht zum Onkel mütterlicherseits " XXXX " geflohen. Der Onkel des Beschwerdeführers habe sich anschließend mit den Ältesten getroffen, um eine friedliche Lösung zu finden. Den Ältesten hätten die Taliban gesagt, dass die Familie des Beschwerdeführers mehrmals gewarnt worden sei und sie den Beschwerdeführer nicht in Ruhe lassen würden, weil dieser für das Transportunternehmen gearbeitet habe. Darüber hinaus hätten die Taliban angegeben, kein Problem mit den jüngeren Brüdern des Beschwerdeführers zu haben. Der Onkel teilte dem Beschwerdeführer mit, dass die Taliban diesen töten wollen würden und beschloss, dass der Beschwerdeführer das Land verlassen müsse.

 

5. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) mit Bescheid vom 01.09.2017 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III. und IV.).

 

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung bezogen auf seinen Heimatstaat Afghanistan nicht glaubhaft machen konnte. Der Beschwerdeführer sei ein junger gesunder Mann, der seinen Lebensunterhalt bei Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls sichern könne, was ihm auch zumutbar sei. Darüber hinaus könne er auf die finanzielle Unterstützung seiner nach wie vor in der Heimatprovinz lebenden Verwandten zurückgreifen.

 

6. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde insbesondere eine Rechtswidrigkeit des Bescheides moniert und Beweismittel zur Sicherheits- und Versorgungslage im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers sowie insbesondere betreffend die Stadt Kabul vorgelegt.

 

7. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

 

8. Am 04.02.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen, einer möglichen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sowie seinem Leben in Österreich einvernommen wurde und weitere Urkunden u.a. zur Integration vorlegte. Von Seiten des erkennenden Gerichtes wurden außerdem noch weitere länderkundliche und sonstige Informationen ins Verfahren eingeführt und dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen 14 Tagen eingeräumt.

 

9. Mit Schriftsatz vom 16.02.2019 erstattete der Beschwerdeführer die ausbedungene Stellungnahme. In dieser tätigte der Beschwerdeführer weitere Ausführungen zur Echtheit der Drohbriefe der Taliban sowie zu Jahreszahlen auf den Siegeln der Dorfältesten, wofür als Beweis auch die Einholung eines Gutachtens eines länderkundlichen Sachverständigen beantragt wurde. In Zuge dessen übermittelte er nochmals - den bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten - Ausdruck des Bestätigungsschreibens der Dorfältesten. Wiederholt wurde außerdem die Anregung, eine Vor-Ort-Recherche durchführen zu lassen, um die Echtheit der vorgelegten Bescheinigungen sowie deren inhaltliche Richtigkeit und die Richtigkeit des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers zu bestätigen.

 

10. Mit Schreiben vom 03.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt zu weiteren Beweisergebnissen betreffend die Lage im Herkunftsstaat Stellung zu nehmen. Davon machte er innerhalb der eingeräumten Frist keinen Gebrauch.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:

 

1.1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen " XXXX " und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde dort am XXXX in der Provinz Kapisa, im Distrikt Tagab, im Dorf " XXXX " geboren und ist dort auch aufgewachsen.

 

1.1.1.2. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Neben dieser hat er auch noch Kenntnisse der Sprachen Dari, Farsi und Deutsch.

 

1.1.1.3. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurde er wegen seiner Nationalität, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung oder seinem Bekenntnis zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen ihn gesetzt.

 

1.1.2. Volksgruppe und Religion:

 

Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

 

1.1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:

 

1.1.3.1. Die Eltern sowie die beiden Schwestern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben. Der jüngste Bruder des Beschwerdeführers, " XXXX " lebt nach wie vor in dessen Heimatdistrikt bei einem Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers namens " XXXX . Der andere Bruder des Beschwerdeführers, " XXXX ", wurde von Unbekannten entführt.

 

1.1.3.2. Die Familie des Beschwerdeführers verfügt im Heimatdorf über Felder, auf welchen Granatäpfel angebaut werden. Diese werden von einem Pächter bewirtschaftet.

 

1.1.3.3. Zu seinem Onkel mütterlicherseits steht der Beschwerdeführer regelmäßig in Kontakt.

 

1.1.4. Ausbildung und Berufserfahrung:

 

1.1.4.1. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan mindestens elf Jahre lang eine Schule besucht.

 

1.1.4.2. Während der Schulzeit hat der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft seiner Familie mitgearbeitet.

 

1.1.5. Gesundheitszustand:

 

Der Beschwerdeführer leidet an keinen Krankheiten oder Gebrechen und nimmt keine Medikamente ein.

 

1.1.6. Ausreise aus Afghanistan und Antragstellung in Österreich:

 

Der Beschwerdeführer reiste ungefähr Ende Jänner 2016 aus Afghanistan aus und stellte schließlich am 01.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

 

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde weder persönlich von den Taliban oder sonstigen Personen bedroht noch wurden oder sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen ihn gesetzt.

 

1.2.2. Weiters wurden weder die Brüder noch der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers von den Taliban persönlich bedroht oder sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen diese gesetzt.

 

1.2.3. Es kann außerdem nicht festgestellt werden, dass die Taliban für den Tod des Vaters des Beschwerdeführers verantwortlich sind.

 

1.2.4. Nicht festgestellt werden kann auch, wer für die Entführung des Bruders des Beschwerdeführers, " XXXX ", verantwortlich ist.

 

1.2.5. Nicht festgestellt werden kann, dass es sich bei den entfernten Verwandten des Beschwerdeführers - " XXXX " und " XXXX ", den Cousins väterlicherseits des Großvaters des Beschwerdeführers und deren Söhnen, " XXXX ", " XXXX ", " XXXX " und " XXXX " - um einflussreiche Personen handelt.

 

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

 

1.3.1. Der Beschwerdeführer lebt in einer Unterkunft in XXXX .

 

1.3.2. In Österreich leben weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige des Beschwerdeführers. Er selbst ist ledig.

 

1.3.3. Der Beschwerdeführer hat bereits mehrere Deutschkurse absolviert und so das Zertifikat für das Sprachniveau A2 erworben. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren. Derzeit besucht der Beschwerdeführer seit dem 02.10.2017 den Basisbildungskurs des XXXX im Rahmen des Bildungsprojektes " XXXX ". Ziel dieser Bildungsmaßnahme ist der Wechsel in einen Pflichtschulabschlusskurs.

 

1.3.4. Der Beschwerdeführer ist weder Mitglied in einem Verein noch betätigt er sich in einem solchen.

 

1.3.5. Seine österreichischen Kontaktpersonen sind seine Lehrerinnen, " XXXX ", " XXXX " und " XXXX ".

 

1.3.6. Sein soziales Umfeld beschreibt den Beschwerdeführer als zuverlässig, freundlich, hilfsbereit und respektvoll.

 

1.3.7. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Playstation oder Cricket.

 

1.3.8. Er ist in Österreich nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Ferner verfügt er über keine Einstellzusage.

 

1.3.9. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

 

1.4. Zur persönliche Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

1.4.1. Der Beschwerdeführer könnte bei Rückkehr nach Afghanistan in geringfügigem Ausmaß und vorübergehend von seiner - zum Teil - nach wie vor im Heimatstaat lebenden Familie finanziell unterstützt werden.

 

1.4.2. Für den Beschwerdeführer besteht überdies die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe zu beziehen:

 

Von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2019 implementiert die Internationale Organisation für Migration (IOM), Landesbüro für Österreich, das Projekt "RESTART II - Reintegrations-unterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran". Das Projekt wird durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert.

 

Im Rahmen des Projekts können Drittstaatsangehörige bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Islamische Republiken Afghanistan und Iran sowie bei ihrer nachhaltigen Reintegration im jeweiligen Herkunftsland unterstützt werden.

 

Das Projekt sieht die Teilnahme von 490 Personen vor. Pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen.

 

Die Maßnahmen, die die Rückkehrer/innen bei ihren Reintegrationsbemühungen unterstützen, werden gemeinsam mit den Teilnehmer/innen erarbeitet und sind auf deren individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt.

 

IOM setzt im Rahmen des Projekts folgende Maßnahmen um:

 

Rückkehrunterstützung

 

* Informationsgespräche vor der Abreise in Österreich;

 

* Möglichkeit der Erhebung der familiären Situation im Rückkehrland im Falle der Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen;

 

* Logistische Organisation der Reise (inklusive Kauf des Flugtickets);

 

* Unterstützung bei der Abreise am Flughafen Wien Schwechat;

 

* Empfang und Unterstützung bei der Ankunft sowie Organisation der Weiterreise zum endgültigen Zielort in Afghanistan und der Islamischen Republik Iran;

 

* Temporäre Unterkunft nach der Ankunft im Rückkehrland.

 

Reintegrationsunterstützung

 

* Beratung der Projektteilnehmer/innen nach der Rückkehr bezüglich ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, ihres Ausbildungs- und beruflichen Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation;

 

* Finanzielle Unterstützung in Form von Bargeld: EUR 500,- für jede/n Projektteilnehmer/in, um die dringendsten Bedürfnisse direkt nach der freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abzudecken;

 

* Unterstützung in Form von Sachleistungen wie

 

* Unterstützung bei Gründung von oder Beteiligung an einem Unternehmen (z.B. Kauf von Ausstattung, Waren);

 

* Aus- und Weiterbildung;

 

* Unterkunft;

 

* Unterstützung für Kinder;

 

* Medizinische Unterstützung

 

* Leitfaden zur Unternehmensgründung und Weitervermittlung zu kostenlosen Business Trainings.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

1.5.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

 

Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

 

Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren.

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.612 registrierten zivilen Opfer (440 Tote und 1.172 Verletzte). Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen.

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielten Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen. Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden.

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 [in Folge: "LIB"], Pkt. 3. "Sicherheitslage")

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Allgemeines

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene:

das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten:

Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation. Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen. Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet.

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt; er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an, aber auch ausländische Botschaften. Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätte. Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind.

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar.

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben.

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens.

 

(Auszüge aus dem LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

 

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

 

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

 

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")

 

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen.

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat. Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt.

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats.". Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt.

 

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen; dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt. Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen. Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden.

 

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei. Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich. Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf. Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020.

 

Reformen der ANDSF

 

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden. Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen.

 

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung.

 

Geheimdienstliche Tätigkeiten

 

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus. Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach. Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt.

 

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANAund ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich.

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert.

 

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren. Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind. Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben. Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern.

 

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorfältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen. Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen. Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel.

 

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden. Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw.

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3%.

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte. Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen.

 

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen. Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2%.

 

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen. Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere.

 

Resolute Support Mission (RS)

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll. Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes usw.

 

Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten. Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert. Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF.

 

(Auszug aus dem LIB, Pkt. 5. "Sicherheitsbehörden")

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden. Fehlende Regelungen zur Entschädigung von Folteropfern wurden im August 2017 durch ein entsprechendes Addendum ergänzt.

 

Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten. Personen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts festgenommen wurden, werden insbesondere während des ersten Verhörs gefoltert, um Geständnisse zu erhalten.

 

Im Zuge einer Befragung gaben für den Zeitraum 1.1.2015 - 31.12.2016 181 (39%) von 469 befragten Personen an, von den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) gefoltert worden zu sein. Auch 38 (45%) von 85 befragten Kinder gaben an im Berichtszeitraum Opfer von Folter oder Missbräuchen geworden zu sein. Die meisten Misshandlungen fanden unter der Obhut des National Directorate of Security (NDS) und der afghanischen Nationalpolizei statt (ANP).

 

Zwei Jahre nach der Verlautbarung des Nationalplans von 2015 zur Eliminierung der Folter durch die afghanische Regierung, hat diese einige dauerhafte Fortschritte gemacht, insbesondere auf der Gesetzesebene. Zahlreiche im Nationalplan eingegangene Hauptverpflichtungen wurden jedoch nur teilweise verwirklicht

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 6. "Folter und unmenschliche Behandlung durch den afghanischen Staat")

 

Binnenflüchtlinge

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen.

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya. Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt.

 

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden.

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an.

 

Flüchtlinge in Afghanistan

 

Die afghanischen Gesetze sehen keine Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor und es existiert kein staatliches System zum Schutz von Flüchtlingen aus anderen Ländern.

 

In Afghanistan leben pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Waziristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind.

42.262 dieser Flüchtlinge sind in der Provinz Khost registriert: Das Gulan-Flüchtlingslager in Khost beherbergt 13.167 pakistanische Flüchtlinge und der Rest lebt in anderen Distrikten der Provinz Khost. In der Provinz Paktika wurden 2016 35.949 pakistanische Flüchtlinge registriert. In den Provinzen Khost und Paktika wurden ca. 76.925 pakistanische Flüchtlinge aus Nord-Waziristan registriert und verifiziert. In den urbanen Zentren leben ungefähr 505 Asylwerber, die auf die Verabschiedung eines Asylgesetzes warten. Ihre lokale Integration ist aus rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und anderen Gründen derzeit unmöglich; auch bleiben die Umsiedlungsmöglichkeiten eingeschränkt.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 20.

"Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge")

 

1.5.2. Lage in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

 

Kapisa zählt zu den zentralen Provinzen Afghanistans. Die Provinz grenzt im Norden an Panjshir, im Westen an Parwan, im Süden an Kabul und im Osten an Laghman. Im Nordosten der Provinz befinden sich die Vorhügel des Hindukusch-Gebirges und breit bewaldete Gegenden, während der Südwesten felsiger und flacher ist. Die Provinz besteht aus folgenden Distrikten: Hesa Dovon/Hisa-e-Duwum-e-Kohestan, Kohistan, Hesa Aval Kohistan/Hisa-e-Awal-e-Kohestan, Koh Band/Kohband, Nijrab/Nejrab, Ala Sai/Alasay, Tag Ab/Tagab und die Provinzhauptstadt Mahmud-i-Raqi/Mahmud-e-Raqi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 455.574 geschätzt. In der Provinz leben Tadschiken, Ghilzai, Safi, Paschai und Nuristani.

 

In Kapisa stieg die Opium-Produktion im Jahr 2017 (+360 Hektar), wenngleich nicht so stark wie in der Provinz Nangarhar. Insgesamt wurden im selben Jahr in Kapisa drei Hektar an Opiumfeldern umgewidmet.

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Kapisa war eine der relativ friedlichen Provinzen in Nordostafghanistan, jedoch hat sich die Sicherheitslage in einigen abgelegenen Gebieten der Provinz in den letzten Jahren verschlechtert. Im Rahmen eines von Taliban geführten Aufstandes in Schlüsselprovinzen im Norden und Süden des Landes, versuchen regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen die Provinz Kapisa zu destabilisieren. Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv; ihre Aktivitäten sind:

gezielte Tötungen, Straßenbomben und koordinierte Angriffe auf Sicherheitskräfte, Regierungsbeamte und deren private Anlagen.

 

Speziell im Winter haben Sicherheitskräfte mit Unterstützung durch die Luftwaffe begonnen Nachtrazzien in unsicheren Gegenden von Kapisa durchzuführen.

 

In der Provinz Kapisa arbeiten auch Frauen für die afghanischen Sicherheitskräfte.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 83 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Kapisa 101 zivile Opfer (34 getötete Zivilisten und 67 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 19% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

In Kapisa leben Binnenflüchtlinge, die aus dem Distrikt Tagab aus Sicherheitsgründen flüchten mussten. Mitte März 2018 wurde von ca.

1.300 Personen berichtet, die aus verschiedenen Teilen des Landes (Kapisa, Laghman, Nuristan und Parwan) aufgrund anhaltenden gewaltsamen Konflikts in die Distrikte Mahmud-e-Raqi, Hisa-e-Awal-e-Kohestan und Hisa-e-Duwum-e-Kohestan der Provinz Kapisa geflüchtet sind.

 

Militärische Operationen in Kapisa

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien; dabei wurden unter anderem Anhänger der Taliban und des IS getötet und manchmal ihre Anführer.

 

Luftangriffe wurden durchgeführt; dabei wurden Taliban-Kommandanten getötet. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Kapisa

 

Talibanaufständische sind in abgelegenen und unruhigen Distrikten der Provinz aktiv.

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen - zu denen Taliban und IS zählen - sind in folgenden Distrikten aktiv: Tagab, Alasay und Najrab. In Tagab haben die Taliban 2016 ein Fernsehverbot ausgesprochen und 2017 Frauen aus dem Distrikt-Bazar verbannt. Afghanische Sicherheitskräfte betonten, dass sie im Distrikt-Bazaar von Tagab vor Ort wären und dass das Frauen-Verbot nicht implementiert werden würde bzw. weiterhin zurückgewiesen bleibe. Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kapisa keine IS-bezogenen Sicherheitsvorfälle registriert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 3.16. "Kapisa")

 

1.5.3. Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

 

Allgemeines

 

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Die Bevölkerung von Balkh ist heterogen, wobei Tadschiken und Paschtunen die größten Gruppen bilden, gefolgt von Usbeken, Hazara, Turkmenen, Arabern und Belutschen. Die Bevölkerung Mazar-e Sharifs wurde im Jahr 2017/2018 auf rund 428.000 geschätzt und zeichnet sich durch ihre ethnische und sprachliche Vielfalt aus.

 

Mazar-e Sharif ist als Wirtschaftszentrum des Nordens bekannt und zieht Wirtschaftsmigranten aus ländlichen Gebieten mit seinen Arbeitsmöglichkeiten und seiner relativen Sicherheit an. Als "regionaler Anziehungspunkt im Norden" nahm die Provinz Balkh Migranten vor allem aus den Nordprovinzen Samangan, Sar-e Pul, Jawzjan und Faryab auf. Laut Daten des IOM hatte die Provinz bis Juni 2018 109 845 Rückkehrer, was die fünftgrößte Zahl unter den afghanischen Provinzen war. Laut einer CSO-Umfrage von 2015 sind etwa 38% der Bevölkerung von Mazar-e Sharif Migranten, die überwiegend aus anderen afghanischen Provinzen stammen und nur 17 % Rückkehrer aus dem Ausland. Laut einer UNHCR-Feldstudie von 2018 war die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und anderen Ländern in Mazar-e Sharif sehr gering. Die meisten derjenigen, die aus dem Iran zurückkehrten, waren Berichten zufolge Studenten, die für einen kurzen Zeitraum zurückkehrten, um die notwendigen Unterlagen zu erhalten, und dann in den Iran zurückkehrten, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Der UNHCR dokumentierte 466 Flüchtlingsrückkehrer in die Provinz Balkh im Jahr 2018.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018" vom [in Folge:

"ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage"], abrufbar unter:

https://www.ecoi.net/en/document/2001546.html#alert , abgerufen am 10.04.2019, S. 6 und 13 und dem Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicator. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019 [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomie"], des European Asylum Support Office [in Folge:

"EASO"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf , abgerufen am 10.04.2019, Pkt. 1.1.3. und 1.2.3.)

 

Mazar-e Sharif gilt als regionaler Handelsplatz für Nordafghanistan und auch als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif war laut Analyst Foschini relativ stabiler als Herat oder Kabul. Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1 %), gefolgt von Managern/Berufstätigen/Technikern und Kaufleuten (20,9 %). Mazar-e Sharif ist auch eine der Städte in Afghanistan, in denen das Afghanistan New Market Development Project (ANMDP) durchgeführt wird. Das Projekt, das sich auf Herat, Kabul und Jalalabad erstreckt, unterstützt auch kleine und mittlere Unternehmen und Wirtschaftsverbände beim Zugang zu Dienstleistungen der Unternehmensentwicklung. Von seinem Start im Jahr 2013 bis September 2016 umfasste es 145 Organisationen in der Provinz Balkh, darunter eine lokale Pasteurisierungsfabrik in Mazar-e Sharif.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.2.1.)

 

Sicherheit

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 3.5. "Balkh")

 

Die UNAMA dokumentiert in seinem im Februar 2018 erschienenen Jahresbericht für das Jahr 2017 in der Provinz Balkh 129 zivile Opfer (52 Getötete und 77 Verletzte). Dies komme einem Rückgang von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleich. USBVs, Bodeneinsätze und Blindgänger bzw. Landminen seien bezüglich dieser Opferzahlen für die Provinz Balkh die häufigsten Arten von Vorfällen.

 

UNHCR gibt in einem Gespräch vom November 2018 zur Lage in Mazar-e Sharif und der Provinz Balkh an, dass die afghanischen Sicherheitskräfte stark an sogenannten Räumungsoperationen beteiligt seien. Derzeit richte sich die laufende Räumungsaktion gegen die Präsenz der regierungsfeindlichen Elemente in den nahe der Hauptstraße von Mazar-e Sharif liegenden Dörfern, die die einzige Verbindung zwischen der Stadt und den anderen Provinzen sei. Es gebe einen sich ändernden Trend in der üblichen Vorgehensweise der regierungsfeindlichen Elemente. In den Jahren 2016 und 2017 hätten sie diese Gebiete im Frühjahr und Sommer kontrolliert, hätten sich jedoch in der Regel im Winter wieder aus dem Distrikt Chimtal zurückgezogen. Nun würden sie ihr Möglichstes tun, um ihre Präsenz im zuvor dazugewonnenen Gebiet in der Nähe Mazar-e Sharifs beizubehalten. Es werde erwartet, dass es in der nördlichen Region zu einer Zunahme an Militäroperationen von afghanischen Sicherheitskräften und der von der NATO geführten Beratungs- und Unterstützungsmission Resolute Support Mission kommen werde.

 

SIGAR schätzt laut Quartalsbericht vom Oktober 2018 die Stabilität der Distrikte der Provinz Balkh mit Stand 31. Juli 2018 wie folgt ein: Die beiden Distrikte Chahar Bolak und Chimtal seien "umkämpft", alle übrigen befänden sich unter der "Kontrolle der afghanischen Regierung".

 

Für das Jahr 2018 wurden bislang unter anderem folgende Vorfälle dokumentiert: Laut einem Artikel der PAN seien am 24. Mai 2018 in Mazar-e Sharif bei einem Angriff bewaffneter Männer auf einen Polizeikonvoi zwei Personen (darunter ein Gefangener) getötet und sieben weitere Gefangene entführt worden (PAN, 25. Mai 2018); ACLED dokumentiert für diesen Vorfall nur eine getötete Person (ACLED, 12. November 2018). ACLED inkludiert einen weiteren Vorfall vom 22. Juli 2018 in seine Zahlen, bei dem Kämpfer der Taliban einen Polizei-Checkpoint in Mazar-e Sharif überrannt hätten. Dabei seien fünf Polizisten und ein Taliban-Mitglied getötet und neun weitere Polizisten verletzt worden (ACLED, 12. November 2018). PAN berichtet von einem Vorfall vom 1. September 2018, bei dem ein Imam in Mazar-e Sharif von bewaffneten Männern erschossen worden sei.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage"], S. 205f, 209,

222f)

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif, der 2013 eröffnet wurde, ist auch als Mazar Mawlana Jalaluddin Balkhi International Airport bekannt. Turkish Airlines bietet seit 2013 Direktflüge von und nach Istanbul von Mazar-e Sharif an. Der Flugplan von Kam Air listet 2017 internationale Flüge von Mazar-e Sharif nach Istanbul und Mashhad, entsprechend dem Online-Flugplan. Flüge nach Delhi und Dubai sind ebenfalls gelistet, jedoch mit dem Datum 2015. Im März 2017 führte Kam Air auch einen Dienst zwischen Herat und Mazar-e Sharif als über den Flug RQ-006 aktiv an.

 

Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 3.35. "Erreichbarkeit" und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.1.3.)

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif liegt 9 Kilometer östlich der Stadt im Distrikt Marmul.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], abrufbar unter:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , abgerufen am 10.04.2019, S. 102).

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Rückkehrer aus anderen Staaten

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt und war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten.

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung.

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird.

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben.

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden.

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können.

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen.

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 23. "Rückkehr")

 

Versorgung mit Lebensmitteln

 

Während die Ernährungslage in Mazar-e Sharif im Jänner 2010 und Jänner 2015 durch das Famine Early Warning Systems Network (FEWS-NET) als nur minimal bedroht eingestuft wurde, befand sich die Stadt im Februar 2018 in einer Zone, in welcher FEWS-NET die Lage als angespannt einstuft. D.h. auch mit humanitärer Hilfe verfügt mindestens einer von fünf Haushalten in einem als angespannt eingestuften Gebiet über eine minimal ausreichende Ernährungslage. Allerdings können grundlegende Ausgaben für andere Güter als Lebensmittel nur auf Kosten zukünftiger Einkommensgrundlagen getätigt werden

 

(Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, S. 4f und 41ff und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 6.3.)

 

Die Dürre wirkte sich negativ auf die Erträge 2017/2018 von regenwassergespeisten Weizen und die ländlichen Bedingungen aus. Überschwemmungen aufgrund starker Regenfälle in Badghis, Farah, Herat, Helmand, Kandahar, Khost und Zabul führten zur Vertreibung von über 35.000 Menschen und zur lokalen Zerstörung von Infrastruktur, Bewässerungskanälen und Anbaugebieten.

 

(Aktuelle Beobachtung des FEWS-NET zu besonderer Besorgnis hervorrufenden Gegenden ("Areas of Highest Concern"):

http://fews.net/ , abgerufen am 10.04.2019)

 

Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan aus dem Jahr 2018:

 

1. Wie wirkt sich diese Dürre auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Hinblick auf die Wasserversorgung sowie auf die Versorgung mit Lebensmitteln in den Städten Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und Herat (Hauptstadt der Provinz Herat) aus?

 

Den Quellen ist zu entnehmen, dass es im Umland von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt. Über die Situation in Mazar-e-Sharif selbst wird nicht berichtet. Zur Wasserversorgung in der Provinz Herat konnte ein Bericht gefunden werden, demzufolge Zahlungen an die Wasserversorgungsanstalt in der Höhe von 208 Mio. Afghanis ausstehen. Aufgrund der ausstehenden Zahlungen musste die Wasseranstalt Infrastrukturprojekte verschieben. Über die konkrete Versorgungslage in Herat-Stadt wurde nicht berichtet.

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte in Afghanistan dieses Jahr deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

 

2. Gibt es bedingt durch diese Dürre in den Provinzen Balkh und Herat eine Landflucht in die Provinzhauptstädte?

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass von Mai bis Mitte August rund 12.000 Familien, unter anderem aufgrund der Dürre, aus den Provinzen Badghis und Ghor nach Herat-Stadt geflohen sind. Zur Lage in Mazar-e-Sharif wurde nichts berichtet.

 

3. Falls ja,

 

a. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Möglichkeit der Wohnraumbeschaffung für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Gemäß den Quellen handelt es sich bei den Personen, welche vor der Dürre nach Herat-Stadt geflohen sind, um Personen, die ihren gesamten Besitz verloren haben. Sie leben in behelfsmäßigen Zelten in den armen Gegenden am westlichen Stadtrand von Herat. Über den Wohnungsmarkt, oder auch Versuche dieser Personen, erschwinglichen Wohnraum in Herat-Stadt zu finden, konnten keine Berichte gefunden werden.

 

b. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Der Quelle kann entnommen werden, dass die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt lagen. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

4. Gibt es staatliche oder internationale Hilfsmaßnahmen für die in den Dürregebieten lebenden Personen?

 

Gemäß mehreren Berichten gibt es insbesondere von internationaler Seite Hilfe für die von der Dürre betroffenen Personen. Das Humanitarian Country Team (HCT) der UN hat den Humanitarian Response Plan (HRP) für 2018 aufgrund der anhaltenden Dürre aktualisiert. Dementsprechend benötigt Afghanistan in diesem Jahr rund 547 Mio. Dollar an Hilfsgeldern, wobei Ende Juli rund ein Drittel dieses Plans finanziert war. Bislang hat OCHA an die von der Dürre betroffene Bevölkerung unter anderem Trinkwasser und Nahrungsmittel verteilt. Weiters erhielten Betroffene auch Geld, über welches sie selbst verfügen können. In jenen Zentren, in denen sich von der Dürre Geflohene ansiedelten (Herat-Stadt, Qala-e-Naw und Chaghcharan) wurden unter anderem auch Zelte verteilt.

 

Das World Food Programme (WFP) gab Ende Juli an, über 400.000 Personen in den von der Dürre betroffenen Provinzen Badghis, Faryab, Ghor, Herat und Jowzjan mit Nahrungsmittelsoforthilfe unterstützen zu wollen. Australien sagte eine Zahlung von 3,6 Mio. Dollar an das WFP zu. Auf Betreiben der WHO sind in Herat mobile Gesundheitsteams im Einsatz.

 

Die afghanische Regierung verteilte in Chaghcharan, Provinz Ghor, Getreide an 155.000 Familien.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.09.2018, "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre")

 

In einem im November 2018 geführten Gespräch ergänzt Carter auf die Frage, ob Vertriebene, Rückkehrende und generell mittellose Menschen in Mazar-e Sharif Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser hätten, dass es seines Wissens nach in Mazar-e Sharif keine Ernährungssicherheitsprogramme für längerfristig Vertriebene gebe. Es gebe in Mazar-e Sharif keine Wasserlieferungen mit Lastwagen ("water trucking"), allerdings hätten die Menschen meist Zugang zu Wasser aus Bohrlöchern, was keine sichere Quelle für Trinkwasser sei. Die Wege zu den Bohrlöchern könnten zudem recht lang sein. Zugang zu Trink- und Badewasser sei aber generell gegeben.

 

In einem Gespräch zur Lage in Mazar-e Sharif führt UNHCR im November 2018 an, dass es für neu ankommende Binnenvertriebene eine Art Ernährungssicherungssystem gebe. Abhängig von der konkreten Situation dauere es jedoch manchmal Wochen oder sogar Monate bis Soforthilfe geleistet werde. Abgesehen von UNHCRs Programm für Personen mit besonderen Bedürfnissen ("Persons with Specific Needs", PSN) gebe es von anderen Organisationen kein generelles Programm als Reaktion auf die Bedürfnisse der am meisten vulnerablen RückkehrerInnen. Im Fall von Naturkatastrophen gebe es auch staatliche Hilfe. Sowohl Rückkehrer als auch aus Europa Abgeschobene würden häufig Geld als Unterstützung zur Integration erhalten. In der Regel gebe es aber keine weiterführenden Hilfsprogramme ("follow-up assistance programmes"). Die gewährte Hilfe sollte für die ersten 2 oder 3 Monate nach der Ankunft in Afghanistan reichen.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, Pkt. 2.1.3.)

 

Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif

 

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 besitzt die Mehrheit der Einwohner in Mazar-e Sharif ihre Häuser während 24,5 % ihre Wohnungen mieten. Mehr als die Hälfte der Häuser in der Stadt sind aus Schlamm oder Erde mit Holzbalken gebaut, der Rest aus Kalk mit Ziegeln und Metall, Zement oder anderen Materialien. Die meisten haben Erdboden (70 %) oder Zement (26 %). Die Haushalte in Mazar-e Sharif werden mit Holz, Holzkohle oder Kohle beheizt. Der Strom ist in der Regel in der Stadt verfügbar (93 % der Haushalte haben Zugang). Die meisten Menschen haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), meist in Rohrleitungen oder aus den Brunnen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen. Laut IOM lagen die Mietkosten in Mazar-e Sharif im Jahr 2014 zwischen 150-250 USD für eine Dreizimmerwohnung in einem sicheren Bereich. Der Preis für eine ähnliche Wohnung betrug USD 40.000. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 haben etwa 94 % der Haushalte Zugang zum Handy, 91 % haben einen Fernseher, 51 % einen Kühlschrank, 28 % einen Computer, 20 % haben ein Auto, 20 % Zugang zum Internet.

 

Im Rahmen ihrer Displacement Tracking Matrix veröffentlicht die Internationale Organisation für Migration (IOM) im Juni 2017 einen Bericht, in dem unter anderem die Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrenden in der Provinz Balkh untersucht wurde. Laut diesem Bericht würden die Mietkosten in der Provinz Balkh 1500 bis 3000 Afghani (umgerechnet 22 bis 45 USD) betragen.

 

In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sog. "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen, die zudem einen wichtigen Treffpunkt und Schauplatz für Sozialisation darstellen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks, Februar 2018 [in Folge: "EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf , abgerufen am 10.04.2019, Pkt. 4.2. und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 9.5. sowie ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 72ff)

 

In Bezug auf den erwähnten seit 2016 bestehenden Mangel an humanitären Hilfsorganisationen, die Unterkünfte für Rückkehrende und Binnenvertriebene zur Verfügung stellen würden, teilte UNHCR in einem Gespräch im November 2018 mit, dass die Hilfe nicht ganz eingestellt worden sei. Man würde nun aber in einem kleineren Umfang arbeiten. UNHCR führe nach wie vor Schutzmaßnahmen durch, die sich an die am stärksten gefährdeten Menschen in der Region richten würden. Diese könnten sich sowohl an neu oder längerfristig Vertriebene und auch an Rückkehrende richten.

 

UNHCR betont, dass es wichtig sei, zwischen der Situation der Rückkehrenden, die an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren, und denen, die zum ersten Mal nach Mazar-e Sharif kommen würden, zu unterscheiden. Diejenigen, die aus Europa zurückkehren würden, hätten große Probleme, eine Unterkunft zu finden. Sie hätten häufig nicht genug Geld, um im Zentrum der Stadt zu leben. Außerdem würden ihnen oft die notwendigen Dokumente fehlen, um Land kaufen zu können. Ein weiteres Problem, sei ihre Wahrnehmung in der Gesellschaft. Einige Menschen hätten Angst vor den Rückkehrenden, andere würden glauben, die Rückkehrenden seien reich, was sie zu einem gängigen Ziel der Verfolgung mache. Die aus Europa Abgeschobenen seinen außerdem mit Verfolgung durch regierungsfeindliche Netzwerke in Mazar-e Sharif konfrontiert. Es scheine einen großen Unterschied zwischen der Situation von Rückkehrenden aus Pakistan oder dem Iran, die oft in größeren Gruppen ankommen würden, und der von Rückkehrenden aus Europa, die allein kommen würden, zu geben.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 75f)

 

Sanitäre Situation

 

Der Zugang zu Trinkwasser ist oft eine Herausforderung, vor allem in den Slums und Binnenvertriebenen-Siedlungen in Kabul. In Mazar-e Sharif haben die meisten Menschen Zugang zu verbesserten Wasserquellen und verbesserten Sanitäranlagen.

 

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 9.5., und dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 30)

 

Die 2016/17 durchgeführte Erhebung zu den Lebensbedingungen in Afghanistan habe laut der CSO ergeben, dass hinsichtlich der sanitären Grundversorgung 41,1 Prozent der Bevölkerung verbesserte Anlagen nutze, die nicht mit anderen Haushalten geteilt würden, während sich 52,9 Prozent entweder limitierte oder unverbesserte Sanitäranlagen teilweise mit anderen Haushalten teilen würden. Dies würde im Vergleich zur vorangegangen Studie 2013/14 eine starke Verbesserung darstellen. Innerhalb der urbanen Bevölkerung liege der Prozentsatz sogar bei 83,2 Prozent. In Übereinstimmung mit der Definition des gemeinsamen Monitoring Programms für Wasserversorgung und Hygiene (JMP, Joint Monitoring Programme for Water Supply and Sanitation) würden in der ALCS-Erhebung von 2016/17 verbesserte Sanitäranlagen abgedeckte Grubenlatrinen, belüftete verbesserte Latrinen, Toiletten mit Spülung, die an das Kanalnetz, einen Klärtank oder eine Grube angeschlossen sind, und Toilettenhäuschen umfassen.

 

Laut den 2018 von der afghanischen Statistikbehörde (NSIA, früher CSO) veröffentlichten Provinz-Profilen sei jener Bevölkerungsanteil der Provinz Balkh, der Zugang zu verbesserten Sanitäranlagen habe, von 8,2 Prozent im Jahr 2007/08 auf 17,5 Prozent im Jahr 2011/12, auf 22,3 Prozent im Jahr 2013/14 und auf 61,6 Prozent im Jahr 2016/17 gestiegen

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 82f, 90ff)

 

Arbeitsmarkt

 

Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif liegt bei etwa 590.000 Einwohnern und steht angesichts seiner "starken und relativ diversifizierten Volkswirtschaften, einschließlich eines robusten Bau-, Verarbeitungs- und Dienstleistungssektors", "unter erheblichem Urbanisierungsdruck". Die relativ friedliche Situation in der Provinz Balkh im ersten Jahrzehnt nach dem Übergang ermöglichte einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen "Wirtschaftsboom" nach 2004. Die Wirtschaftsleistung von Mazar-e Sharif hat viele Arbeitskräfte aus dem ländlichen Raum, aus benachbarten Bezirken, Provinzen und noch weiter entfernt angezogen. Eine Studie von Samuel Hall aus dem Jahr 2014 zur städtischen Armut ergab, dass die Stadt den mit Abstand größten Anteil an Wirtschaftsmigranten aller fünf Großstädte Afghanistans hatte. Durch die Anbindung an Zentralasien und die vorteilhafte zentrale Lage im Norden Afghanistans ist Mazar-e Sharif ein wichtiges Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist auch ein Industriezentrum mit einer großen Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen und mehreren großen Produktionsunternehmen. Im Vergleich zu anderen Großstädten hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Selbstständigen, gefolgt von Angestellten und Tagelöhnern. Nach Angaben der afghanischen Regierung ist die KMU-Industrie in Mazar-e Sharif gut entwickelt und bietet Qaraqul-Haut, Kunsthandwerk und Teppiche. Auch Bergbau, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse gewinnen an Bedeutung. Die boomende städtische Wirtschaft von Mazar-e Sharif hat vielen Haushalten eine Quelle nichtlandwirtschaftlichen Einkommens gebracht, die jedoch seit etwa 2013 deutlich zurückgegangen ist. Dies ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, vor allem auf den Rückgang der internationalen Finanzströme, der die Beschäftigung auf Militärstützpunkten und im Baugewerbe eingeschränkt hat. So verloren schätzungsweise 7.000 Menschen ihren Arbeitsplatz durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif. Auch hier hat die Unsicherheit aufgrund der politischen Instabilität in der Regierung der Nationalen Einheit die Wirtschaft von Mazar-e Sharif beeinflusst. Geschäftsleute nahmen eine abwartende Haltung ein. Das Geschäftsklima in der Provinz Balkh ist seit der zweiten Jahreshälfte 2015 weitgehend negativ, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsfaktoren Während es keine formalen Wirtschaftsstatistiken gibt, gab es laut Analyst Paul Fishstein klare Indikatoren, dass Bau, Investitionen und Handel in Mazar-e Sharif rückläufig waren, wobei Gelegenheitsarbeiter weniger Arbeit und stagnierende oder niedrigere Löhne fanden. Diejenigen, die zur Gelegenheitsarbeit nach Mazar-e Sharif kommen, sind gegenüber denjenigen, die besser bekannt sind und ihre Netzwerke besser nutzen, um Arbeit zu finden, benachteiligt. Im Jahr 2013 lag die Arbeitslosenquote der Provinzen über dem nationalen Durchschnitt, während die Unterbeschäftigungsquote darunter lag. Laut einer Studie von Mercy Corps und Samuel Hall aus dem Jahr 2011 ist der wichtigste Rekrutierungskanal in Mazar-e Sharif, wie in anderen Städten, das soziale Netzwerk: 85 % der Werktätigen gaben an, durch Freunde oder Familienangehörige rekrutiert worden zu sein, entweder als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer. Nur 7 % der Mitarbeiter gaben an, einen formellen Arbeitsvertrag zu haben. Dies unterstreicht den informellen Charakter der Arbeitsbeziehungen in Afghanistan. Sie bestätigt auch die Annahme, dass es sich bei den meisten Unternehmen um Familienunternehmen handelt, bei denen kein Vertrag als notwendig erachtet wird. Die Gehälter in Mazar-e Sharif liegen nahe am Durchschnitt anderer nördlicher Städte. Laut Afghanistan Rights Monitor: Baseline Report vom April 2016 wird hier einheitlich behauptet, dass der Zugang zur Beschäftigung durch Korruption und Vetternwirtschaft stark beeinträchtigt wird. Bestechung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung, auch wenn ein Kandidat über die erforderlichen Qualifikationen verfügt. Es wird behauptet, dass gewöhnliche Regierungspositionen für bis zu 60.000 Afghanen verkauft werden.

 

Der Zugang zu Beschäftigung für Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif

 

Nach Angaben der IOM arbeiten Binnenvertriebene und Rückkehrer in der Balkh-Provinz meist in der täglichen Lohnarbeit, wenn sie verfügbar ist. Nur wenige von ihnen arbeiten in der Landwirtschaft oder besitzen Vieh. Märkte und kleine Unternehmen in Mazar-e Sharif bieten Beschäftigungsmöglichkeiten, die jedoch oft nur vorübergehend sind. Das durchschnittliche Tageseinkommen für Rückkehrer und Binnenvertriebene liegt zwischen 50 und 100 AFS.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.3.1., der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, S. 33f sowie dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 140ff)

 

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit hoch. So wuchs in den Jahren 2016-2017 die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen.

 

Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

 

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, ungeregelten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Eine lokale Botschaft beschreibt, wie Tagelöhner von der Straße angeworben werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft" sowie dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.1.)

 

In einem Gespräch zur Lage in Mazar-e Sharif führt UNHCR im November 2018 an, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt in Mazar-e Sharif sehr beschränkt sei. Es gebe nur sehr begrenzt formale Arbeitsplätze. Da die Aufnahmegemeinden hier mit den gleichen Problemen konfrontiert seien und den Vorrang beanspruchen würden, sei es für Binnenvertriebene und manche Rückkehrende noch schwieriger, Zugang zu Arbeitsplätzen zu erhalten. Darüber hinaus fehle es Binnenvertriebenen und Rückkehrenden häufig an den notwendigen Fähigkeiten für die Arbeitsplätze, die in den Gebieten, in die sie vertrieben wurden, verfügbar seien. Ganz generell sei der Arbeitsmarkt in einem sehr unzuverlässigen Zustand. An einem Tag verdiene man Geld und am nächsten habe man wiederum keine Arbeit. Im Sommer gebe es in der Regel mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, aber durch die Dürre sei es auch im Sommer des Jahres 2018 in Mazar-e Sharif zu einem erhöhten Druck auf den Arbeitsmarkt gekommen.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht zur Versorgungs- und Sicherheitslage von Dezember 2018, S. 143 f)

 

Verdienstmöglichkeiten

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) veröffentlicht im November 2018 einen Datensatz, der neben den monatlichen Nahrungsmittelpreisen in Afghanistan auch den durchschnittlichen Tageslohn von ausgebildeten ("qualified labour") und nicht-ausgebildeten und nicht-landwirtschaftlichen Arbeitskräften ("non-qualified labour, non-agricultural") enthält. Für den Zeitraum von Jänner 2015 bis September 2018 beinhaltet der Datensatz monatliche Informationen für den Markt in Mazar-e Sharif. Den Daten zufolge sei der durchschnittliche Tageslohn einer ausgebildeten Arbeitskraft 2015 bei 618,75 Afghani und zwischen 2016 und 2018 konstant bei 600 Afghani gelegen. Der durchschnittliche Tageslohn einer unausgebildeten, nicht im landwirtschaftlichen Bereich tätigen Arbeitskraft sei 2015 und 2016 bei 246,88 bzw. 247,73 Afghani gelegen, 2017 auf 288,54 Afghani gestiegen und im laufenden Jahr 2018 auf 275,83 Afghani gesunken.

 

Die Höhe des Tageslohns einer ungebildeten Arbeitskraft habe im Jahr 2017 dem Preis für 5,8 kg Brot (oder 7,3 kg Reis oder 13,6 kg Weizen) entsprochen, während man 2018 für einen Tageslohn 5,5 kg Brot (oder 6,4 kg Reis oder 13,8 kg Weizen) kaufen könnte.

 

(Auszug aus dem ACCORD-Bericht Versorgungs- und Sicherheitslage, S. 163 f)

 

1.5.4. Meldesystem:

 

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan. Ebenso wenig gibt es "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen, jedoch verfügen die lokalen Gemeinschaften über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 19.1. "Meldewesen").

 

1.5.5. Bankensystem:

 

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, aber nicht alle Afghanen haben ein Bankkonto. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Das Vertrauen der Bevölkerung in Banken und Bankensysteme ist gering.

 

Für diejenigen, welche das Bankensystem nicht nutzen können oder wollen kann Geld durch ein informelles Überweisungssystem überwiesen werden ("Hawala"). Dabei handelt es sich um ein etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Geldüberweisungen, dem die Bevölkerung vertraut. Ein gewisser Prozentsatz der überwiesenen Summe wird als Gebühr einbehalten. Geld kann in alle Teile des Landes überwiesen werden, auch nach und von Nachbarstaaten, wie dem Iran und Pakistan.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.3.)

 

1.5.6. Medizinische Versorgung:

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht, allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Qualität der Kliniken variiert stark, da es praktisch keine Qualitätskontrollen gibt. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die vier häufigsten sind Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Mittlerweile existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Da die Kosten von Behandlung in privaten Kliniken vom Patienten selbst getragen werden müssen ist die Qualität der Behandlungen stark einkommensabhängig.

 

In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 22. "Medizinische Versorgung")

 

1.5.7. Potentielle Risiken für den Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

Zur mögliche Verfolgung durch die Taliban

 

Allgemeines zu Taliban-Risikoprofilen

 

Zielpersonen gezielter Tötungen oder Verwundungen durch Aufständische im Jahr 2016 umfassten nach UNAMA auch Stammesälteste, Justizangehörige, zivile Mitarbeiter der Regierung, als Regierungsspione verdächtigte Zivilisten, aber auch Zivilisten, welche sich Anordnungen der Aufständischen verweigerten. 2017 fügte UNAMA zu dieser Liste Zivilisten hinzu, bei welchen angenommen wird, dass sie Werten von regierungsfeindlichen Elementen ablehnend gegenüberstehen.

 

Dr. Antonio Giustozzi fasste die Ziele der Taliban als Einzelne zusammen, welche die Taliban als sich "fehlverhaltend" ansehen. Diese schließen viele der Einzelnen wie von UNAMA zuvor aufgezählt ein und zusätzlich fügt Giustozzi "Einzelne jeder Kategorie, welche von den Taliban als nützlich oder notwendig für deren Kriegserfolg gesehen werden und welche es verweigert haben zu kooperieren" hinzu.

 

Zum Beispiel sind die Taliban dafür bekannt, dass sie die Finger von Personen abschnitten, welche in den Wahlen 2014 teilnahmen und sie verfolgten außerdem Mitarbeiter der Unabhängigen Wahlkommission.

 

Nach dem Gelehrten Neamat Nojumi erstreckt sich die Verfolgung durch die Taliban über diejenigen hinaus, welche für die afghanische Regierung arbeiten. Die Einhaltung der afghanischen Verfassung von jemandem oder eine sozialliberale oder kulturelle Haltung kann eine Person auch ein legitimes Ziel werden lassen. Er erklärte, dass deshalb es die Taliban auch auf jene abgesehen hätten, welche an Wahlen teilnehmen oder welche sich für Frauenrechte einsetzen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017 [in Folge "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure"] abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_conflict.pdf , abgerufen am 10.04.2019, Pkt. 1.2. Einführungsabschnitt).

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Zivilisten zur Strafe und zur Warnung anderer Personen dafür getötet, dass sie die Regierung unterstützten. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen Berichten zufolge auch Drohnachrichten per SMS, über lokale Radiosender ausgestrahlte Mitteilungen, soziale Medien und shab nameha ("nächtliche Drohbriefe") ein, um Zivilisten vor einer Unterstützung der Regierung zu warnen. In Gebieten, in denen die regierungsfeindlichen Kräfte keine öffentliche Unterstützung gewinnen konnten, bedrängen sie Berichten zufolge lokale Gemeinschaften, schüchtern sie ein und verhängen Strafen gegen die örtliche Bevölkerung aufgrund ihrer Unterstützung der Regierung. Zivilisten, denen "Spionage" für die Regierung vorgeworfen wird, werden Berichten zufolge im Rahmen von Schnellverfahren in parallelen und illegalen Justizverfahren verurteilt, die durch die regierungsfeindlichen Kräfte eingerichtet wurden. Die Strafe für derartige vermeintliche "Straftaten" ist in der Regel die Hinrichtung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 [abrufbar unter:

http://www.refworld.org/country ,,,,AFG„5b8900109,0.html (abgerufen am 10.04.2019); in Folge: "UNHCR-Richtlinien"], Pkt. III.A.1.j)

 

Potentielle Zielpersonen der Taliban / Wichtigkeit für die Taliban

 

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

 

a) Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind; dazu gehören beispielsweise

 

a. Prof. Rabbani;

 

b. der starke Mann von Uruzgan, Jan Mohammad:

 

c. Gen. Daud.

 

b) Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen - alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

 

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

 

d) Personen, von denen angenommen wird, dass sie die Taliban für die Regierung ausspionieren oder Informationen über sie liefern;

 

e) Personen, die gegen die Shari'a (entsprechend der Auslegung der Taliban) und die Regeln der Taliban verstoßen;

 

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

 

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs - praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

 

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

 

i) Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

 

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

 

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

 

Diese Kategorien von Zielpersonen beinhalten eine Reihe von Gruppen, die sich nur schwer genau quantifizieren lassen, aber es dürften mit aller Wahrscheinlichkeit insgesamt mehr als eine Million Menschen sein (die Sicherheitskräfte sind zirka 400.000 bis 450.000 Mann stark, ferner hat die Regierung über 500.000 zivile Mitarbeiter, dazu kommen noch zehntausende von Auftragnehmern).

 

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich "fehlverhalten" die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen.

 

b) Regierungsmitarbeiter und Mitarbeiter westlicher Regierungen: Sie können einer Warnung oder Verurteilung vor Erhalt des letzten Drohbriefes entgehen, wenn sie Abgaben zahlen, Informationen liefern und ihre Kollegen für die Taliban ausspionieren, um deren Aktionen gegen die eigenen Arbeitgeber zu unterstützen oder zur Verbesserung der Organisation der Taliban beizutragen. Bekannte Einzelfälle sind:

 

I. Personal im Bildungswesen: können arbeiten, wenn ihre Bildungsbehörde oder Schule eine Vereinbarung mit den Taliban schließt, die Lehrpläne und Schulbücher ändert, für religiöse Fächer von den Taliban empfohlene Lehrer einstellt und den Taliban die Überwachung der Schule gestattet.

 

II. Personal im Gesundheitswesen: darf arbeiten, wenn es sich bereit erklärt, verletzte Taliban-Mitglieder zu behandeln.

 

  1. c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges: wie
  2. b) oben, sie haben aber auch die Option, zu den Taliban überzulaufen und Absichtserklärungen mit den Taliban zu unterzeichnen (als gesamte Einheit), in denen eine im gemeinsamen Interesse liegende Gegenleistung angeboten wird.

 

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung: wie b) oben

 

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs und im militärischen Zusammenhang stehende Unterstützungsleistungen, einschließlich der Mitarbeiter in den Unterkünften: wie b) oben

 

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung: wie b) oben

 

  1. i) Auftragnehmer, die für talibanfeindliche Länder tätig sind: wie
  2. b)

    oben

 

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten: wie b) oben

 

Die Taliban nennen als ihre wichtigsten Zielpersonen die Offiziere der nationalen Sicherheitsdienste (NDS), Dolmetscher bzw. alle, die für das/mit dem ausländischen Militär und Diplomaten arbeiten. So behaupten die Taliban beispielsweise, dass sie 2015 15 Dolmetscher in Kabul und den umliegenden Vororten getötet hätten und im Jahr 2016 bis Anfang Dezember 23; es bleibt unklar, ob die Taliban ihre Opfer auch zu Recht als Dolmetscher identifiziert haben. Die Taliban bauschen ihre Erfolge sicherlich auf, indem sie unzutreffende Opferzahlen angeben (insbesondere, wenn Bomben eingesetzt werden). Die meisten Angriffe fanden in den Vororten statt (2016 waren es 17). Die Taliban nehmen natürlich auch Ausländer ins Visier, insbesondere, wenn sie irgendwie an der Bekämpfung des Aufstandes beteiligt sind.

 

Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden.

 

Allerdings gibt es auch Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln zur Verfolgung von Zielpersonen. Die Mashhad Shura misst den Regierungskollaborateuren nur geringe Priorität zu, stattdessen konzentriert sie sich auf die Kollaborateure mit westlichen Regierungen, mit Daesh und auf Gegenspione sowie auf westliche Staatsangehörige. Die Rasool Shura kooperiert häufig taktisch mit den Sicherheitskräften der afghanischen Regierung und verfolgt die Regierungsmitarbeiter überhaupt nicht. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Jagd nach Eindringlingen von anderen Taliban-Gruppen. Ob aktive Angehörige der Sicherheitskräfte verfolgt werden, hängt auch von taktischen Erwägungen ab: die Mashhad Shura tut dies seit 2015 nicht mehr und in bestimmten Gebieten, in die sie erst kürzlich vorgedrungen sind, fahren die Taliban einen sanfteren Kurs, sie wirken auf die Familien ein, ihre Söhne aus den Sicherheitskräften herauszuholen, jedoch ohne Gewaltandrohung. Somit hängt das Maß der tatsächlichen proaktiven Verfolgung von Angehörigen der Sicherheitskräfte durch die Taliban von taktischen Erwägungen ab.

 

Ende 2016 gaben Taliban-Quellen an, dass fast 15.000 Personen auf ihrer nationalen schwarzen Liste stünden. Das lässt vermuten, dass die Taliban keinen Zugang zu den staatlichen Datenbanken über das Sicherheitspersonal oder Regierungsmitarbeiter haben, ansonsten wäre die Zahl wesentlich höher. Dies ist nicht überraschend, denn die Regierung selbst ist kaum in der Lage zuverlässig anzugeben, wer den Sicherheitskräften angehört bzw. für die Regierung arbeitet. Im Anfangsstadium des Krieges war es durchaus üblich, dass die Taliban Polizisten und Soldaten an Straßensperren abfingen, wenn sie im Urlaub waren und ihre Ausweise dabeihatten. Sehr schnell wurde es immer schwieriger, jemanden zu fangen, der dumm genug war, seinen Ausweis mit sich zu führen.

 

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Landinfo Bericht Afghanistan, Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne [Landinfo, Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation campaign - Report by Dr. Antonio Giustozzi for Landinfo, abrufbar unter https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf , abgerufen am 10.04.2019], Pkt. 4.)

 

Entkommen der Taliban-Verfolgung durch Bereuen

 

Nach Giustozzi bieten die Taliban bestimmten ins Visier geratenen Einzelnen, wie Regierungsmitarbeitern, Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte, angenommenen Kollaborateuren der Regierung oder ausländischen Militärkräften, wie auch Übersetzern die Möglichkeit, zu bereuen und sich zu erlösen.

 

In einer öffentlichen Stellungnahme der Taliban, zitiert von UNAMA, luden die Taliban Arbeiter der Invasoren und der Kabuler Verwaltung ein, von einer Amnestie Gebrauch zu machen "um sich und deren Familien von Schande und Schaden in dieser Welt zu schützen....um zu schützen deren Leben und Wohlstand". Nach Giustozzi ist diese Möglichkeit zu bereuen ein wesentlicher Aspekt der Verfolgungskampagne. Anand Gopal und Borhan Osman führten gemeinsam aus, dass wenn es nach Drohungen darum geht einen Job aufzugeben, man bei entsprechendem Verhalten weiterer Verfolgung entkommen kann.

 

(Auszug entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.4.1.)

 

Zum Entkommen einer möglichen Verfolgung als Zielperson durch Umzug in die Städte

 

Innerhalb der Städte, ausgenommen Kunduz bzw. in den Vororten von Kunduz, haben Aufständische nicht die Kapazität, Checkpoints einzurichten um Passagiere nach bestimmten Profilen zu durchsuchen. Allerdings greifen Aufständische regelmäßig zivile Objekte und Plätze in den Städten an, wo sie vermuten, dass sich bestimmte potentielle Ziele versammeln. Solche Angriffe umfassen Angriffe auf Justizgebäude, Regierungsgebäude, Botschaften und Konsulate, Medieneinrichtungen, Gebetseinrichtungen religiöser Minderheiten und Bankfilialen.

 

Nach dem Analysten Borhan Osman zielen Aufständische auf bestimmte Einzelne innerhalb der Städte durch Schüsse im Vorbeifahren ab, oftmals unter Einbeziehung von Motorrädern. Die Opfer dieser Schüsse haben oftmals nur ein "mittleres Profil" ("not very high profile"), führt Osman aus, und die Verfolgung zielt oft darauf ab, andere durch Drohungen abzuschrecken indem man die Reichweite zeigt. Opfer der Verfolgung schließen Personen wie Verkehrspolizei oder vermeintliche Spione oder Menschenrechtsaktivisten der mittleren Ebene ein; diese habe zuvor oftmals eine Todesdrohung erhalten. Zum Beispiel hat eine Anzahl gezielter Tötungen von Regierungsbeamten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte in Kandahar im Zeitraum 2016 bis 2017 stattgefunden, einschließlich Schüssen von Motorrädern und der Verwendung von Sprengmitteln. Gopal beobachtete, dass die Fähigkeiten der Taliban zum erfolgreichen Aufspüren, Durchdringen und Verfolgen von Einzelnen ist größer in den Städten, in welchen die Aufständischen eine Basis haben, wie Kandahar, Kunduz oder Khost, im Vergleich zu anderen Städten, wo es keine Präsenz gibt wie Herat oder Mazar-i Sharif. In Kabul, haben die Aufständischen eine Präsenz in der Stadt deren Mitglieder oft mit der steigenden kriminellen Szene der Stadt zusammenspielen. Allerdings ist deren Präsenz nicht so offensichtlich wie in Kandahar, Kunduz oder Khost. Obwohl es nicht leicht ist, finden gezielte Tötungen auch in der Stadt Kabul statt. Zum Beispiel wurden im April 2017 zwei Mitarbeiter des Anti-Corruption Criminal Justice Center und ein Mitarbeiter der Direktion für den Schutz von wichtigen Personen in der Stadt Kabul Opfer gezielter Tötungen.

 

Gezielte Tötungen finden in Kabul nach Giustozzi durch ein Zielteam von etwas mehr als 20 Personen statt und finden hauptsächlich entfernt vom Stadtzentrum statt, wo die Wohlhabenden und Mächtigen leben. Allerdings haben weder Osman noch Gopal irgendwelche Informationen über solche spezialisierten Teams gefunden.

 

Einzelne und deren Familien, welche Drohungen von den Taliban erhalten haben wegen deren vergangener oder gegenwärtiger Verbindungen zur Regierung oder einer anderen Einheit, auf welche es die Taliban abgesehen haben, ziehen oft in Städte um, aus Gründen der Sicherheit. Quellen berichten über Vorfälle, in welchen bestimmte Einzelne sich schon im Vorfeld von Vorgängen entschieden umzuziehen; z.B., ein Lehrer in einer Mädchenschule in Urusgan Tirin Kot zog nach Kabul um, in Vorwegnahme einer möglichen Kontrollerlangung der Stadt im September 2016. In Erwartung der Übernahme der Stadt Kunduz im Jahr 2015, die meisten Regierungsangehörigen flohen in Nachbarprovinzen und nach Kabul. Nach Giustozzi waren hauptsächlich Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise gezwungen sich in sichereren, unter Regierungskontrolle stehenden Gegenden niederzulassen, wenngleich auch dort einige Talibanverfolgungen stattfinden. Ein Analyst des Afghanistan Analysts Network hielt in einem Interview im Jahr 2016 mit dem kanadischen IRB fest, dass auch nach einem Umzug gesuchte Einzelne, welche von den Taliban gefunden und getötet werden können, abhängig vom politischen Klima und abhängig vom persönlichen Profil.

 

Nach zwei Quellen der kanadischen Einwanderungsbehörde IRB haben die Taliban durch Nutzung deren formalen Netzwerks lokaler Kommandanten und Schattengouverneure und deren informellen Netzwerks von Mullahs die Kapazität, einzelne auch nach Umsiedlung aufzuspüren. Faktoren, welche die Effizienz dieser Kommunikationsflüsse beeinflussen können die Beziehung zwischen dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der zentralen Führung, dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der Neuansiedlungsprovinz, der Grad der Taliban Aktivität in der Neuansiedlungsgegend, einschließlich von Checkpoints.

 

Nach Giustozzi besteht selbst nach einer Umsiedlung für gesuchte Einzelne das Risiko auf der Straße auf einem Taliban Checkpoint gefasst zu werden.

 

Nach mündlichen Quellen, welche vom IRB interviewt wurden sind die afghanischen Gruppen schon der Natur nach eng verbunden und Afghanen wissen, wenn ein Neuankömmling in deren Gemeinschaft ankommt oder durchreist. Einige Dinge haben Einfluss darauf, ob eine Person fähig ist ihren Hintergrund zu verbergen, wie lokale oder stammesbezogene Beziehungen zu Älteren und der Familie, regionale Akzentunterschiede, Nachnamen welche auf eine Herkunft hindeuten, religiöse Zugehörigkeit und Betrituale und eine höhere Ausbildung, welche den Einzelnen als Mitglied einer höheren sozialen Klasse identifizieren können. Nach einem Artikel über die Taliban im Digitalzeitalter sind diese familiären und gemeinschafsbezogenen Netzwerke erweitert um soziale Netzwerke. Durch die Kenntnis der eng verbundenen Gemeinschaften können die Taliban eine Person online verfolgen und sie zwingen, deren Job aufzugeben.

 

Wenn eine Umsiedlung in eine Taliban-kontrollierte Gegend stattfindet und jemand ankommt dessen Hintergrund unklar ist, so kann dies bereits Verdacht hervorrufen und Nachforschungen durch die Taliban in deren informellen Netzwerk auslösen. Es ist den Leuten grundsätzlich bewusst, was in deren Gegend passiert und Informationen können über weite Distanzen durch Stammesnetzwerke getragen werden, erklärte eine Quelle dem IRB.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.1.5.5.)

 

Zur Möglichkeit der Taliban, in großen Städten Personen aufzufinden und zu verfolgen

 

Einige mündliche im Jänner 2016 vom kanadischen IRB (Kanadische Asylbehörde, Anm.) interviewte Quellen führten aus, dass die Taliban ein Netzwerk von Informanten hätten und geheimdienstliche Informationssammlung in Städten betrieben, wenngleich es schwieriger wäre Menschen in städtischen Gebieten zu verfolgen. Gezielte Anschläge in Stadtzentren kommen vor. Einige sich kürzlich ereignete Beispiele in Kabul umfassen Schützen auf Motorrädern und ferngezündete Sprengladungen:

 

* Im Juni 2016 wurde ein Parlamentsabgeordneter getötet, als eine in einem Stromkasten vor seinem Haus platzierte Sprengladung detonierte, als er gerade nach Hause kam.

 

* Im Dezember 2016 griffen die Taliban in Kabul das Haus eines Parlamentsabgeordneten aus Helmand an. Drei Schützen töteten mehrere Familienmitglieder des Abgeordneten und verwundeten einige weitere, einschließlich den Abgeordneten.

 

* Im Dezember 2016, Schützen auf Motorrädern griffen das Haus des früheren Taliban-Offiziellen Mullah Abdul Salam Zaeef an und töteten seine Wache.

 

* Im Dezember 2016 zielte eine unter einer Brücke platzierte Bombe in der Dashti Barchi Gegend in Kabul auf einen Abgeordneten aus Bamiyan ab und verletzte neben Personen anderen den Abgeordneten und dessen Sohn.

 

In Kabul gibt es nach einem, primär auf Interviews mit Taliban-Quellen beruhenden, Bericht von für Landinfo aus 2017 zumindest 1500 Spione und Informanten der Taliban. Gemäß diesen Quellen haben verschiedene Netzwerke innerhalb der Taliban verschiedene Überwachungszuständigkeiten:

 

Das Haqqani Netzwerk sammelt Informationen für spezielle Operationen (großangelegte Angriffe of High Profiles), während die Peshawar Shura gesuchte Einzelne verfolgt. Die Peshawar Shura soll um die 500 Spione und Informanten in Kabul haben. Während die "High profile"-Angriffe im Stadtzentrum stattzufinden scheinen kommt es entfernt davon zu gezielten Tötungen, einschließlich solcher mit magnetischen Sprengladungen. Seit 2016 begannen die Taliban eine Kampagne gezielter Tötungen von Regierungsoffiziellen und ANSF Mitgliedern in Kandahar Stadt.

 

Im Zuge verschiedener Frontalangriffe auf Städte im Zeitraum 2015 bis 2016 versuchen die Taliban nach Giustozzi nunmehr die Städte in einer mehr untergeordneten Weise zu infiltrieren, dies jedoch in größerem Umfang als davor.

 

Nach Berichten kommen gezielte Tötungen durch die Taliban in größeren Städten vor, z.B. die Taliban töteten ihren Hauptgegner in der Provinz Urusgan, den Polizeichef und Stammesangehörigen des früheren Präsidenten Karzai Matiullah Khan in einem gezielten Selbstmordbombenanschlag in Kabul im Jahr 2015. Nach Abubakar Siddique, ist die Liste jener Personen, für welche die Taliban Ressourcen und Planungsarbeit einsetzen würden um diese in größeren Städten zu verfolgen auf ein paar Dutzend bis zu einhundert Personen beschränkt, als Maximum. Für Einzelne mit einem niedrigen Profil ("low profile individuals"), ist Abubakar Siddique der Ansicht, dass die Taliban nicht auf diese und deren Familienangehörige wahrscheinlich nicht nach deren Umsiedlung in eine Stadt abzielen werden. Sowohl Abubakar Siddique und Anand Gopal hoben hervor, dass davon Ausnahmen bestehen, wenn es um persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Auseinandersetzungen geht.

 

Nach einem von der COI Abteilung des kanadischen IRB interviewten Professors sind die Taliban Verfolgungskapazitäten vor allem dann erfolgreich, wenn auf einen sehr bekannten und gut positionierten Gegner abgezielt wird. Nach Giustozzi geht es hier um einen Grad der Kosteneffizienz: Auf ein Zielobjekt von geringerer Wichtigkeit für die Taliban, welches aber in einer für die Taliban leichter zu erreichen Gegend residiert könnte rascher abgezielt werden als auf ein High Profile-Zielobjekt, welches sich in einer Gegend aufhält, welche durch die Behörden schwer bewacht wird.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.4.3.)

 

Situation von Familienmitgliedern - Mögliche Gefahren für Angehörige

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen.

 

(Auszug aus den UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.1.k.)

 

Nach einem Bericht von Centre for Civilians in Conflict (CIVIC) sammeln die Taliban Informationen von lokalen Ältesten und der lokalen Bevölkerung um festzustellen, welche Familie Angehörige bei den ANSF hat. Sie drängen die Familie dann das Mitglied der ANSF zu überzeugen, dessen Position aufzugeben.

 

Quellen, welche vom kanadischen IRB interviewt wurden erklärten, dass Familienmitglieder unter Druck geraten können, Informationen über den Aufenthalt der gesuchten Person anzugeben. Familienmitglieder können auch in Abwesenheit der gesuchten Person bestraft werden oder es werden Familienmitglieder bedroht um auf die gesuchte Person Druck auszuüben, sich hinzugeben. Dies wird als ziemlich erfolgreiche Taktik beschrieben. Aufständische können auch Familienmitglieder bedrohen, um Personen zu zwingen, von deren öffentlichen Positionen zurückzutreten. Abubakar Siddique nennt diese Praxis "sehr häufig, speziell in ländlichen Gebieten".

 

Giustozzi sagt, dass wo auch immer die Taliban präsent seien, hätten diese Familienmitglieder bedrängt, um Mitglieder der ANSF zu zwingen, ihre Stellung aufzugeben. Und, obwohl nicht immer die Drohung von Gewalt ausgesprochen wurde, wurden manchmal Familienmitglieder exekutiert.

 

In einem speziellen Fall, töteten die Taliban acht Brüder eines Kommandanten der ALP in Baghlan im Jahr 2015. In einem anderen Fall in der Provinz Kunduz, zitiert in einem Artikel in der New York Times, war die Familie eines ANA-Soldaten gezwungen sich neu anzusiedeln, als deren Sohn es verweigerte, die Armee nach dem Erhalt von Drohungen zu verlassen. Nachdem sie gegangen waren, wurden deren Häuser entweder zerstört oder in eine Taliban-Basis umfunktioniert.

 

Es gibt auch Berichte, dass Familienangehörige von ANSF-Mitarbeitern, die an den Beerdigungen ihres verstorbenen Familienmitglieds teilnehmen, ins Visier genommen werden. Beispiele für solche Vorfälle sind:

 

* im Jahr 2016, als die warnten Taliban, dass all jene, die an der Beerdigung eines lokalen regierungsfreundlichen Milizkommandanten teilnahmen, nicht zurück ins Dorf in Faryab gelassen würden.

 

* im Januar 2015 zielte ein Selbstmordattentäter auf eine Beerdigung eines verstorbenen ALP-Kommandanten in Laghman, wobei 12 Teilnehmer getötet und 34 weitere verletzt wurden, darunter drei Kinder.

 

* im Dezember 2014 wurde die Beerdigung eines Sicherheitsoffiziers in Kapisa von einem Selbstmordattentäter angegriffen, bei dem neun Teilnehmer getötet und Dutzende verletzt wurden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.3.1.)

 

Die Taliban rekrutieren auch Familienangehörige gefallener Kämpfer, um getötete Kämpfer zu ersetzen. Den Talibanquellen des Wissenschaftlers Giustozzi zufolge ist dies "übliche Praxis". Borhan Osman äußerte dagegen, wie im Herkunftsländer-Bericht des EASO Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen zitiert, die Überzeugung, "die Taliban würden der Familie Achtung zollen und sie sogar nach dem Tod des Familienmitglieds finanziell unterstützen". Weitere und dies bestätigende Informationen waren nicht zu finden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.3.2.)

 

Drohbriefe der Taliban

 

1. Sind solche Drohbriefe überhaupt authentisch? Kann man diese in Afghanistan einfach kaufen, weil es sich hier offensichtlich um vorgefertigte Briefformulare handelt?

 

Daily Caller, eine US-amerikanische Onlinezeitung, berichtet, dass Afghanen in der Hoffnung sich nach Europa als Flüchtlinge einschleichen zu können, gefälschte Todesdrohbriefe - angeblich von den Taliban gesendet - kaufen. Todesdrohungen - übermittelt durch handgeschriebene Briefe - haben eine lange Tradition in der Region und wurden normalerweise jenen übermittelt, die mit den internationalen Kräften kollaborierten. Obwohl die Taliban diese Methoden größtenteils aufgegeben haben, haben Fälscher diese übernommen und verkaufen Briefe auf dem Briefpapier des islamischen Emirates für US$ 1.000 pro Stück.

 

Ein Fälscher, Mukhamil, gab an, dass aktuell nur 1 Prozent der Briefe ernsthafte Bedrohungen sind. Mukhamil entnimmt einfach ein Talibanlogo aus dem Internet, setzt es ins Dokument ein und behauptet dann, dass der Briefkäufer für die US arbeitet und ernsthaften Strafen ausgesetzt sein wird.

 

Die Associated Press - eine multinationale, profitfreie Nachrichtenagentur mit Sitz in New York City - berichtet, dass die handgeschriebenen Nachrichten auf dem Briefpapier des sogenannten islamischen Emirates traditionellerweise an jene gesendet wurden, die angeblich für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die US - geführten Truppen gearbeitet haben; es wurden deren "Verbrechen" aufgelistet und sie wurden gewarnt, dass die "militärische Kommission" über ihre Strafen entscheidet. Dieser Tage sagen die Taliban, dass sie diese Praxis aufgegeben haben, während jene, die die gefälschten Briefe verkaufen, ein riskantes Geschäft mit zehntausenden Afghanen betreiben, die nach Europa fliehen und darauf hoffen, um Asyl anzusuchen. Fälscher geben an, dass ein überzeugender Drohbrief bis zu US$ 1.000 kosten kann.

 

"Bis heute habe ich nur einen einzigen Typen gekannt, der einen ernsthaften Drohbrief von den Taliban erhalten hat. Der Rest ist gefälscht."

 

Selbst die Taliban, die in den letzten Monaten ihren 14-jährigen Aufstand verstärkt haben und in neue Gebiete eingedrungen sind, sagen, dass die meisten Drohbriefe gefälscht sind.

 

Der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid, sagt, dass, wenn ein Kämpfer vermutet, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften arbeitet, dessen Familie kontaktiert und gefordert wird, diese Tätigkeit einzustellen. "Wir senden keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil. Nur sehr selten verwenden wir das Telefon, wenn wir auf ernsthafte Probleme stoßen."

 

"All diese Talibandrohbriefe sind gefälscht." Weiters wird eine Liste von Personen angeführt, die fälschlicherweise behauptet hätten Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben. "Wir versuchen unserer Jugend eine gute Umgebung zu schaffen, um in ihrem Land bleiben zu können." Ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, National Directorate of Security, wies die Behauptung der Existenz diese Briefe ebenfalls zurück und sagte, dass es ganz klar war, dass viele Menschen diese kauften, um ihren Asylgrund zu stärken. Niemand wurde in Zusammenhang mit Fälschung verhaftet.

 

Auf der Website der deutschen Bildzeitung - einem Nachrichten- und Entertainment Portal - wird folgendes geschrieben (Bild (23.11.2015): Mit gefälschter Taliban-Drohung nach Europa, http://www.bild.de/politik/ausland/taliban/mit-gefaelschter-taliban-drohung-in-der-tasche-nach-europa-43512332.bild.html , Zugriff 28.7.2016):

 

In Afghanistan hat sich ein schwunghafter Handel mit gefälschten Drohbriefen der Taliban entwickelt. Manche Asylsuchende versuchen, so die Chance auf Anerkennung ihres Antrags in Europa zu erhöhen. Doch die Praxis hat sich auch bei hiesigen Behörden herumgesprochen.

 

Kabul - Einst waren Drohbriefe der Taliban für den Empfänger gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Heute werden gefälschte Drohbriefe an Afghanen verkauft, die sich in Europa ein neues Leben aufbauen wollen.

 

Die handgeschriebenen Botschaften auf dem Briefpapier des sogenannten Islamischen Emirats von Afghanistan wurden in der Vergangenheit an jene geschickt, die für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die internationalen Truppen im Land gearbeitet haben sollen. Darin wurden ihre "Verbrechen" aufgeführt, und es wurde angekündigt, dass eine "Militärkommission" über ihre Bestrafung entscheiden werde. Die Schreiben schlossen mit der Warnung, dass die Aufständischen keine Verantwortung für das übernähmen, was passieren werde. Inzwischen haben die Taliban diese Praxis nach eigenen Angaben weitgehend eingestellt. Doch diejenigen, die gefälschte Drohbriefe verkaufen, betreiben ein florierendes Geschäft: Denn Zehntausende Afghanen fliehen nach Europa, in der Hoffnung, dort Asyl zu erhalten. Fälscher sagen, ein überzeugender Drohbrief bringe umgerechnet an die 1000 Euro ein.

 

"Ich würde sagen, von den Drohbriefen, die Afghanen jetzt europäischen Behörden vorlegen, sind nur ein Prozent echt und 99 Prozent gefälscht", sagt der 35-jährige Muchamil, der 20 solcher Briefe hergestellt und verkauft hat. Er geht nach einem einfachen Schema vor:

 

Er beschuldigt den Käufer, für afghanische oder US-Truppen gearbeitet zu haben und fügt ein Taliban-Logo ein, das er von deren Webseite kopiert hat. "Bis heute kenne ich nur einen einzigen Typen, der wirklich einen Drohbrief von den Taliban bekommen hat. Alle anderen sind Fälschungen", sagt Muchamil.

 

An Kunden besteht kein Mangel. Die Arbeitslosenrate liegt bei 24 Prozent, und in weiten Teilen des Landes sind Taliban aktiv. Die Regierung in Kabul schätzt, dass bis Ende des Jahres 160 000 Afghanen ihr Land verlassen haben werden, vier Mal so viele wie 2013.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte es im Oktober als inakzeptabel bezeichnet, dass Afghanistan inzwischen auf Platz zwei der Liste der Herkunftsländer von Flüchtlingen stehe. Schließlich gebe es dort auch sicherere Landesteile.

 

Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge heißt es, die Briefe seien bekannt, es würden aber keine Statistiken darüber geführt.

 

Sprecherin Susanne Eikemeier erklärte, da es sich bei den Briefen nicht um amtliche Dokumente handele, komme ihnen nur ein begrenztes Gewicht zu. Solche Dokumente würden im Kontext der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Antragstellers bewertet. Sie könnten zwar auf eine Bedrohung durch die Taliban hindeuten, doch müsse der Bericht des Asylsuchenden insgesamt schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft sein.

 

Sogar die Taliban selbst, die ihren Aufstand in den vergangenen Monaten intensiviert und auf weitere Gebiete ausgedehnt haben, sagen, die meisten Drohbriefe seien gefälscht.

 

Wenn Kämpfer den Verdacht hätten, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften zusammenarbeite, würden dessen Angehörige kontaktiert, sagt Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid. "Wir schicken keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil", sagt er und zählt eine ganze Liste von Personen auf, die fälschlicherweise behauptet hätten, Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben.

 

Auch ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, des Nationalen Sicherheitsdirektorats, erklärt, viele Menschen kauften solche Briefe, um ihren Anspruch auf Asyl zu untermauern. Zu Festnahmen sei es bislang nicht gekommen. Die Regierung halte es für nicht der Mühe wert, die Fälscher oder die Käufer zu verfolgen. "Wir konzentrieren uns auf die Menschen, die echte Drohungen erhalten", sagt der Beamte, der anonym bleiben möchte.

 

Dass die Taliban eine reale Bedrohung darstellen, zeigt die vorübergehende Einnahme der Stadt Kundus Ende September durch die Extremisten. Nach UN-Schätzungen floh nach ihrer Machtübernahme etwa die Hälfte der 300 000 Einwohner.

 

Regierungstruppen vertrieben die Taliban in einer zweiwöchigen Militäraktion zwar wieder aus Kundus, doch sie kontrollieren weiter eine Reihe von Bezirken in verschiedenen Teilen des Landes. Furcht vor den Taliban ist ein wichtiger Faktor beim Exodus aus dem Land, auch wenn viele, die gehen, persönlich keine Drohungen erhalten haben.

 

Der 25-jährige Hasrat Gul schaffte es vor mehr als drei Jahren mit einem gefälschten Drohbrief der Taliban nach Italien. Das Schreiben habe ihm geholfen, gemeinsam mit seiner Frau und ihren drei Kindern Asyl zu erhalten, erklärt Gul. Für ihn habe es funktioniert, doch inzwischen sei in Europa bekannt, dass die meisten Schreiben gefälscht seien. "Heutzutage erkennen europäische Gerichte diese Briefe kaum noch an, denn es hat sich herumgesprochen, dass man sie in Afghanistan in Geschäften kaufen kann", sagt Gul.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 28.07.2016)

 

Gefälschte Drohbriefe

 

Nach Quellen können gefälschte Drohbriefe erlangt werden (Unabhängiger Analyst 09.01.2015; The Times 16.02.2013) oder speziell für eine Gebühr angefertigt werden. In ihrer für die dänische Asylbehörde gelieferten Information gab CPAU an, dass es sehr leicht ist einen Taliban Drohbrief zu erstellen und, aus verschiedenen Gründen, die Leute manchmal vorgeben Taliban zu sein, um Drohungen durch einen Drohbrief oder Text zu erzeugen (Dänemark, Mai 2012). Nach einem Artikel in The Times wurden Fälle berichtet, dass sogenannte "Schattendistriktsgouverneure" bezahlt wurden, um Drohbriefe für etwa 260 Pfund zu produzieren. "Weniger offizielle Briefe hergestellt von unternehmerischen Fälschern" können bis zu dreimal so viel kosten (The Times 16.02.2013). The Times berichtet, dass die Talibanführung in Antwort auf solche Briefe eine Untersuchung einleitete und die Autoren solcher Briefe warnte, dass sie unter dem Scharia-Recht für Urheberrechtsverstöße bestraft würden; mit härteren Strafdrohungen für Talibanaufständische selbst, welche bei der Fälschung erwischt würden.

 

Möglichkeit zur "Authentifizierung" von Drohbriefen

 

EASO führte eine Analyse durch wonach es unmöglich ist, unverzichtbare Merkmale eines echten Taliban Drohbriefs aufzuzählen oder zu definieren, wie solche aussehen sollten; ebenso, dass es sehr schwierig ist, zwischen einem echten und einem gefälschten Brief zu unterscheiden. Ebenso räumte ein unabhängiger Analyst ein, dass vorgeblich aus Afghanistan stammende Dokumente schwierig zu authentifizieren seien, sogar mit einem detaillierten Verständnis der spezifischen Geschichte des Einzelfalls des Dokuments. Nach dem Professor ist die "Authentifizierung" von Drohbriefen schwierig. Er hat Variationen in den Drohbriefen mit Taliban-Logos festgestellt, andere wiederum, welche professionelle gedruckt oder handgeschrieben sind. Er stellte allerdings fest, dass diese oft von einem religiösen Führer geschrieben werden, was ein guter Indikator der Authentizität ist.

 

Nach einem unabhängigen Analysten sind einige der typischen Probleme mit der Authentifizierung von afghanischen Dokumenten, einschließlich von Drohbriefen, deren schlechte Qualität der Dokumente, das Fehlen von Computer und verbundener IT/Hardware, die Leichtigkeit von Betrug und Fälschung, schwer leserliche handschriftliche Dokumente, unterschiedliche Arbeitstechniken, schlechte oder keine Aufzeichnungen, veraltete oder nicht existierende Stempel oder Zertifikate, zufällige Arten stationärer, unausgebildeter oder nur halbgebildeter Schreiber und eingeschränkte Koordination zwischen Abteilungen.

 

Nach einem Offiziellen der AIHRC sind Quellen der "Authentifizierung" eines Drohbriefs die Nachrichteneinheiten von Polizei und Armee und die Nationale Sicherheitsdirektion (NDS), welche nachprüfen müssten, ob der Unterzeichner des Briefs ein operierendes Mitglied der Taliban in der Gegend ist. Der Professor brachte zum Ausdruck, dass eine Authentizitätsprüfung auch die Konsultation von Dorfältesten für deren Meinung umfassen müsste, weil diese die Kenntnis über das Ziel und die involvierten Aspekte haben.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Immigration and Refugee Board of Canada, Afghanistan: Night letters [Shab Nameha, Shabnamah, Shabnameh], including appearance (2010-2015), abrufbar unter:

http://www.refworld.org/docid/54f02a6c4.html [abgerufen am 10.04.2019])

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts

 

Echte Dokumente unwahren Inhalts gibt es in erheblichem Umfang. Pässe und Personenstandsurkunden werden von afghanischen Ministerien und Behörden ohne adäquaten Nachweis ausgestellt. Ursachen sind ein nach Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts lückenhaftes Registerwesen, mangelnde administrative Qualifikation sowie weit verbreitete Korruption.

 

Zugang zu gefälschten Dokumenten

 

Unter den oben geschilderten Gesichtspunkten gibt es kaum Bedarf an gefälschten Dokumenten. Im Visumverfahren werden teilweise gefälschte Einladungen oder Arbeitsbescheinigungen vorgelegt. Durch die intensiven Kontrollen der Beamten an den internationalen Flughäfen in Kabul und Mazar-e Scharif werden dort inzwischen weniger gefälschte Reisedokumente vorgelegt.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.03.2014 sowie deren idente Formulierung in der Fassung vom 31.05.2018 des deutschen Auswärtigen Amtes)

 

Überfälle der Taliban auf Treibstofftransporte in der Provinz Maidan Wardak

 

Laut Landinfo bestanden die Rebellen 2014 aus lokalen und regionalen Taliban-Gruppen, Hezb-e Islami und internationalen Kampfgruppen. Die wichtigste Dschihad-Partei in den 1980er und 1990er Jahren war Hezb-e Islami und die meisten Taliban-Kämpfer in Wardak sind ehemalige Hezb-e Islami-Mitglieder. Im Juni 2015 berichtete das US-Verteidigungsministerium, dass Al Qaeda-Kämpfer, die durch eine pakistanische Militäroperation aus ihren sicheren Häfen in Waziristan gedrängt wurden, unter anderem im Frühjahr 2015 in Wardak auftauchten. Diese Verstärkungen führten im Sommer zu erneuten Kämpfen zwischen Taliban und Hezb-e Islami-Kämpfern im Bezirk Nirkh. Laut einem BBC-Bericht vom Oktober 2014 über das Tangital von Sayadabad steht dieses Gebiet fest unter der Kontrolle der Taliban. Die Taliban erheben Steuern, betreiben die Schulen und unterhalten ein rudimentäres Gerichtssystem. Chak, auch bekannt als Chak-e Wardak, galt in den letzten 13 Jahren als das aufständische Hauptquartier. Die Taliban hatten mehrere Kontrollposten im Bezirk eingerichtet und ein paralleles Justizsystem betrieben, bis es im Januar 2015 durch ANSF-Einsätze verdrängt wurde. Laut Landinfo haben die Taliban die Provinz seit 2008 erheblich destabilisiert, was dazu geführt hat, dass mehrere Gebiete für Regierungsbeamte unzugänglich geworden sind. Ab Herbst 2015 war es für die Provinzregierung schwierig, von Maydan Shahr, der Provinzhauptstadt, in eines der Bezirkszentren zu reisen. Laut UNHCR befand sich Wardak im September 2015 in einem Zustand permanenter Instabilität. Die Sicherheitslage im Sommer 2015 war durch mehrere Sicherheitsvorfälle, darunter IED-Angriffe und Explosionen, die sich gegen Streitkräfte und staatliche Institutionen richteten, angespannt. Ziviles Eigentum wurde zerstört, was laut UNHCR einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unterscheidung im humanitären Völkerrecht darstellt. In mehreren Distrikten, wie Chak, Sayadabad und Nirkh, wurde über die Ermordung von Zivilisten bei Konfrontationen zwischen AGEs und ANSF berichtet. Im August 2015 bezeichnete der Provinzgouverneur Daymirdad, Jaghatu, Nirkh, Chak und Jalrez als volatile Distrikte der Provinz. Er erklärte auch: "Obwohl Behsud ein relativ ruhiger Bezirk ist, gibt es dort beunruhigende Fragen der Rechtsstaatlichkeit". Diese Hazara-Distrikte standen de facto unter der Kontrolle der politischen Partei Hezb-e Wahdat. AREU erklärte jedoch, dass einige Hazara-Gebiete in der Provinz, ohne anzugeben, welche von der Taliban-Präsenz betroffen waren. Das US-Außenministerium erklärte auch, dass die Taliban im Jahr 2015 in ihrer so genannten "traditionellen Hochburg" Wardak aktiv blieben. Nachdem Jalrez in der vorangegangenen Berichtsperiode schwere Kämpfe erlebte, schuf die Regierung außerhalb der ALP im Rahmen der "National Uprising Support Strategy" im Jahr 2015 eine regierungsfreundliche Miliz. Der Provinzgouverneur sagte, dass das Sicherheitspersonal im August 2015 in Wardak 5.000 Personen umfasste, verglichen mit bis zu 1.500 Mitgliedern regierungsfeindlicher Gruppierungen. Er bedauerte auch, dass die Provinz kein unabhängiges Armeebataillon hatte. Die vier ANA-Bataillone in Wardak arbeiten unter der Gardezer Brigade. Seit Oktober 2008 erlebte die Provinz eine Reihe von lokalen Sicherheitsinitiativen. Die ALP war, wie frühere Initiativen, von ethnischen und politischen Problemen, unzureichenden Überprüfungsverfahren und Rechenschaftspflicht geprägt. Infolgedessen wurden im März 2012 258 ALP entlassen. Nach der gleichen Quelle scheint es eine Verbesserung zu geben, aber die Fragen der Korruption und Kriminalität unter der ALP erfordern noch viel Mühe, um sie zu beseitigen. Im Jahr 2014 wurde der ALP-Personalbestand aus haushaltspolitischen Gründen, so eine Quelle in Kabul, von 1.650 in sieben Distrikten auf 975 in fünf Distrikten reduziert.

 

Laut einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums vom April 2014 ist die ALP in den Distrikten Sayadabad, Chakh, Nirkh, Jalrez und Maydan Shahr tätig. Die International Crisis Group berichtete über missbräuchliches Verhalten von ALP und das völlige Fehlen von Beschwerdemechanismen und Rechenschaftspflicht, z.B. im Bezirk Chakh. Laut UNICEF und UNAMA gab es 2015 drei Vorfälle in Gesundheitseinrichtungen und zwischen 10 und 15 konfliktbezogene Vorfälle gegen Schulen.

 

Im Oktober 2015 behaupteten Regierungsbeamte, dass die Taliban das Chak-Distriktzentrum und mehrere Sicherheitsposten (wieder) einnehmen wollten, aber an einem Hinterhalt der ANSF scheiterten. Der ANSF behauptete, dass sie ein Dutzend AGEs getötet und 18 weitere im Kampf verletzt hat. Am 16. Oktober 2015, während eines Zusammenstoßes zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften im Bezirk Sayedabad, traf ein von den Taliban abgefeuerter Mörser auf die Autobahn Kabul-Ghazni, tötete zwei Zivilisten und verletzte neun weitere, während sie in Bussen unterwegs waren. Der Zusammenstoß beinhaltete schwere Waffen auf beiden Seiten und die Autobahn blieb mehr als einen Tag lang geschlossen. Im Dezember 2015 feuerte die ANA zwei explosive rückstoßfreie Gewehrkugeln ab, die eine Moschee im Bezirk Sayedabad erreichten, wobei neun Zivilisten, darunter vier Jungen, getötet und drei weitere verletzt wurden. Im Februar 2016 wurde ein Kind von einem Soldaten erschossen, der von seinem Sicherheitsposten an der Hauptstraße Kabul-Ghazni schoss. Im März 2016 wurde ein Ghazni-Richter getötet, als er mit seinem Fahrzeug über die gleiche Autobahn fuhr. Im Februar 2016 führten zwei getrennte ANSF-Einsätze in Nirkh zu Feuergefächten mit den Taliban. Laut Regierungsquellen wurden bei diesen Operationen zwei Kommandanten und ein Taliban-Kämpfer getötet. Regierungskräfte führten einige Tage später eine große Räumaktion im Bezirk durch, die zu schweren Kämpfen führte. Die Regierung behauptete, in der tagelangen Operation ein Dutzend Taliban-Kämpfer getötet zu haben. Sie behauptete, mehrere Dörfer gesäubert zu haben, die viele Jahre lang unter der Kontrolle der Taliban standen. Am 18. Februar 2016 führten die afghanischen Spezialkräfte und der IWF eine gemeinsame Operation im Gebiet Tanger-Sayedan im Bezirk Daymirdad durch und gingen in eine vom Schwedischen Komitee für Afghanistan finanzierte staatliche Gesundheitsklinik. Zwei Patienten und ein 15-jähriger Junge wurden bei einem Besuch in ein nahegelegenes Geschäft gebracht und kurzerhand hingerichtet. Später wurde dem IWF Mittäterschaft bei der Razzia vorgeworfen. Im Mai 2016 gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass es den ersten Kommandanten des islamischen Staates in Wardak bei einem Luftangriff getötet hatte. Im April 2016, während der Kämpfe als Folge eines Angriffs auf einen Konvoi afghanischer Sicherheitskräfte, wurden sechs Zivilisten im Bezirk Sayedabad im Kreuzfeuer verletzt. In ihrem Halbjahresbericht 2016 dokumentierte die UNAMA 12 Entführungen in der Provinz Wardak im ersten Halbjahr 2016. Nach Angaben des Institute for the Study of War (ISW) stehen ab Juni 2016 der größte Teil von Sayadabad, einschließlich des Bezirkszentrums, sowie Teile von Chak, Nirkh und Jalrez unter der Kontrolle der Taliban. Der Rest von Chak, Maydan Shahr und Teile von Jalrez gelten als "hochvertrauensvolle Taliban-Unterstützungszonen", während der Rest von Nirkh und eine kleine Strecke in Hesae Awale Behsud als "niedrigvertrauliche Taliban-Unterstützungszonen" gelten. Ebenfalls im August 2016 gab es Berichte über mehrere Taliban-Angriffe in der Provinz.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation, November 2016 [in Folge: "EASO-Bericht Sicherheitslage 2016"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Afghanistan_security_situation_2017.pdf , abgerufen am 10.04.2019, Pkt. 2.1.6.)

 

In einem kürzlich veröffentlichten Propagandavideo lieferten die Taliban umfangreiches Material über einen Hinterhalt auf einem afghanischen Logistikkonvoi in der östlichen Provinz Wardak. Der Hinterhalt bei Tageslicht zerstörte mehrere afghanische Fahrzeuge, und trotz der Tatsache, dass US-Hubschrauber in der Nähe waren, scheinen die Taliban während der Kämpfe nicht ins Visier genommen worden zu sein.

 

Das Video mit dem Titel "Caravan of Heroes 13", das am 28. August veröffentlicht wurde, wurde vom Manba al Jihad Studio produziert, dem Medienarm des Haqqqani-Netzwerks, der Taliban-Untergruppe, die eng mit Al Qaeda verbunden ist. Manba al Dschihad Studio ist "ein offizieller Medienflügel des Islamischen Emirats Afghanistan Commission for Cultural Affairs Audio and Visual Sector", wie es in der Begleiterklärung heißt, in der die Veröffentlichung des Videos angekündigt wird.

 

Das Datum des Angriffs wurde nicht angegeben, aber es scheint in den späten Frühjahrs- oder Sommermonaten stattgefunden zu haben. Sayyadabad war der Bezirk, in dem Taliban-Kämpfer im August 2011 einen US-Chinook-Hubschrauber abschossen und 31 US-amerikanische und sieben afghanische Spezialeinheiten töteten, darunter mehrere Mitglieder der Naval Special Warfare Development Group, die allgemein als SEAL Team 6 bezeichnet wird. Das Long War Journal der FDD hat Sayyadabad als von den Taliban kontrolliert bewertet, und das Video zeigt, warum.

 

Das Dorf wird eindeutig von den Taliban kontrolliert, und die Gruppe hat in der Vergangenheit Militärkonvois an genau dieser Stelle überfallen.

 

Bevor der Hinterhalt beginnt, fängt der Taliban-Kämpfer, der den Angriff aufzeichnete, zwei US-Blackhawk-Hubschrauber auf Video ein, während sie über den Konvoi fliegen. Die Taliban-Kämpfer, die sich im Freien versammeln, werden von den Blackhawks nicht abgeschreckt und starten kurz darauf ihren Hinterhalt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Kämpfe wird ein scheinbar militärisches Angriffsflugzeug gefilmt, das jedoch kein Feuer auf die Taliban eröffnet.

 

Der Hinterhalt der Taliban war zwar nicht sehr raffiniert, aber effektiv. Die Kämpfer eröffnen das Feuer auf den Konvoi mit Maschinengewehren und Sturmgewehren aus mehreren Positionen. Es scheint nicht, dass IEDs, RPGs, rückstoßfreie Gewehre oder andere schwere Waffen verwendet wurden, um den Konvoi ins Visier zu nehmen. Obwohl die Taliban von Orten feuerten, die Gebäude umfassten, schienen die Kämpfer die Dächer nicht zu nutzen, sondern feuerten vom Boden aus.

 

Doch die Taliban konnten bei dem Angriff mehrere Fahrzeuge erfolgreich zerstören. Zuerst trafen die Kämpfer einen Treibstofftanker, dann wurden mehrere Militärfahrzeuge getroffen. Am Ende des Segments brennen mehrere Fahrzeuge auf einem Teilstück der Straße. Am Ende der Szene gehen die Taliban-Kämpfer beiläufig weg.

 

Das Video zeigt ein großes Problem, mit dem die afghanischen Streitkräfte und die Koalitionstruppen im ganzen Land konfrontiert sind: Die Taliban haben gezeigt, dass sie den Kampf gegen die afghanischen Streitkräfte führen können, ohne Angst davor zu haben, von Luftfahrzeugen ins Visier genommen zu werden. Die Taliban sind oft in der Lage, Militärstützpunkte und Bezirkszentren zu überrennen und fast einen Tag lang in der Gegend zu verweilen, ohne ins Schussfeuer zu geraten.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung des Berichtes "Anatomy of a Taliban Ambush" von realcleardefense.com vom 02.09.2017, abrufbar unter:

https://www.realcleardefense.com/articles/2017/09/02/anatomy_of_a_taliban_ambush_112210.html , abgerufen am 02.05.2019)

 

SAYDEBAD, Afghanistan - Nicht weit von hier, direkt abseits der Autobahn, die einst das Prunkstück des Wiederaufbaus der Vereinigten Staaten in Afghanistan war, wurden drei amerikanische Soldaten und ihr afghanischer Dolmetscher vor sieben Wochen überfallen und getötet.

 

Die Soldaten - zwei von ihnen Mitglieder der Nationalgarde aus New York - starben, als ihre Fahrzeuge von Minen und raketengetriebenen Granaten getroffen wurden. Mindestens einer wurde verschleppt und in Stücke geschnitten, so die afghanischen und westlichen Beamten. Die Leiche wurde so stark verstümmelt, dass das Militär zunächst verkündete, dass es die Überreste von zwei Männern, nicht einem, in einem nahegelegenen Feld gefunden hatte.

 

Der Anschlag vom 26. Juni war nicht nur wegen seiner Brutalität bemerkenswert, sondern auch, weil er inmitten einer Reihe spektakulärer aufständischer Angriffe entlang der Straße stattfand, die die Unsicherheit der internationalen Bemühungen zur Sicherung Afghanistans sechs Jahre nach dem Eingreifen der Vereinigten Staaten, um die Taliban-Regierung zu vertreiben, deutlich gemacht haben.

 

Die Sicherheit in den Provinzen, in denen die Hauptstadt Kabul liegt, hat sich in den letzten Monaten rapide verschlechtert. Heute ist es so schlimm wie zu keiner Zeit seit Beginn des Krieges, denn Militante sind in neue Gebiete vorgestoßen und haben die Vorteile einer zunehmend lähmenden lokalen Regierung und Polizei sowie der dünn besetzten internationalen Militärpräsenz hier genutzt.

 

Dieser Bezirk liegt nur etwa 50 Meilen südlich von Kabul. Weiter südlich, jenseits der Stadt Salar, ist die Straße - auch bekannt als Highway 1 - noch gefährlicher, und darüber hinaus zu fahren bedeutet, Hinterhalte, Explosionen und mögliche Schlachtungen zu riskieren: Als sie vor einigen Jahren saniert wurde, war die Kabul-Kandahar-Autobahn ein Beweis für das Engagement Amerikas für den Aufbau eines neuen, demokratischen Afghanistan. Als kritische Arterie hält die Autobahn dieses Land buchstäblich zusammen.

 

Für den wackeligen afghanischen Staat verbindet er das Zentrum des Landes mit dem aufständischen Süden und bildet einen schwachen Faden, um die zunehmend gespaltenen ethnischen Hälften Afghanistans zu vereinen: Den aufständischen, von Paschtunen dominierten Süden mit dem stabileren, hauptsächlich tadschikisch, hazarisch und türkisch bevölkerten Norden.

 

Für die Vereinigten Staaten und die von der NATO geführten Truppen in Afghanistan ist es eine wichtige Versorgungsroute für die Kriegsanstrengungen, die die beiden größten ausländischen Militärstützpunkte des Landes, Bagram und Kandahar, sowie eine Reihe kleinerer Stützpunkte auf dem Weg verbindet.

 

Heute ist die Autobahn ein gefährliches Gehege von Minen und Angriffen von Aufständischen und Kriminellen, übersät mit Bombenkratern und gesprengten Brücken. Der Gouverneur der Provinz Ghazni stand am Dienstag bei einer Fahrt durch Salar unter Beschuss und zwei seiner Wachen wurden verletzt, sagten Beamte.

 

Die Aufständischen haben die Route zu einem Hauptziel gemacht, mit dem offensichtlichen Ziel, die afghanische Wirtschaft und Infrastruktur zu untergraben, sagte General Zaher Azimi, der afghanische Militärsprecher.

 

Die Straße ist in den letzten sechs Wochen zum Ort extremen Gemetzels geworden, der die Versorgungsleitungen für amerikanische und NATO-Streitkräfte unterbricht und die afghanischen Streitkräfte bindet. Einer der schlimmsten Angriffe ereignete sich am 24. Juni in Salar, als etwa 50 Tank- und Lebensmittelzüge, die Vorräte für das US-Militär transportieren, in einen Hinterhalt gerieten.

 

Der Konvoi wurde in Brand gesteckt. Sieben seiner Fahrer wurden herausgezogen und enthauptet, sagte Abdul Ghayur, der Kommandant der privaten Sicherheitskräfte, die die Fahrer lieferten. "Diejenigen, die die Kühltransporter fuhren", die vermutlich ausländischer aussahen, wurden ausgewählt, sagte er.

 

Diesem Angriff folgte zwei Tage später der Hinterhalt, der die drei Amerikaner und ihren afghanischen Dolmetscher weiter nördlich in der Nähe eines Dorfes namens Tangi tötete.

 

Bei einem der dreistesten Angriffe, am 6. Juli in Durrani, einem großen grünen Dorf, das von zerklüfteten Bergen flankiert ist, nahmen die Taliban Positionen direkt über der Straße ein und feuerten auf einen Konvoi von sieben Tankern. Die Explosion setzte die Geschäfte am Straßenrand und zivile Autos in Brand und tötete 22 Zivilisten, sagte Herr Hotak.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung des Berichtes "Insurgency's Scars Line Afghanistan's Main Road" der New York Times vom 13.08.2008, abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2008/08/14/world/asia/14highway.html , abgerufen am 10.04.2019)

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person:

 

2.1.1. Der Beschwerdeführer hat während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu seinem Namen, seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu seinen sonstigen persönlichen Umständen (insbesondere zu seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeiten; s. Pkt. II.1.1.1., II.1.1.2. und II.1.1.4.) stets gleiche und zusammenhängende Angaben gemacht. Die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu wurde von der bestellten Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer in nicht als unglaubwürdig zu erkennender Weise angegeben, dass er auch Kenntnisse in den Sprachen Dari, Farsi und Deutsch besitze.

 

2.1.2. Die Feststellungen zum Geburtsdatum sowie die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den konsistenten, im Rahmen der behördlichen Einvernahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Angaben sowie der im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Dokumente (s. Pkt. II.1.1.5., AS 58, 59 und 71 sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht [in Folge: "VHS"] S. 4).

 

2.1.3. Die Feststellungen zur familiären Herkunft des Beschwerdeführers sowie zu dessen derzeitiger Wohn-, Versorgungs- und Vermögenssituation ergeben sich aus den diesbezüglichen als glaubhaft zu beurteilenden Aussagen im Rahmen der behördlichen Einvernahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. Pkt. II.1.1.3., AS 59, 60 und 67 sowie VHS S. 19).

 

2.1.4. Die Feststellungen zur Ausreise aus Afghanistan sowie zur Antragstellung in Österreich (Pkt. II.1.1.6.) ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde, dem erkennenden Gericht sowie dem Verfahrensakt.

 

2.2. Zu den Feststellungen zum individuellen Fluchtvorbringen:

 

2.2.1. Hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses - s. dazu auch die in der rechtlichen Beurteilung dargestellten, der Rechtsprechung zu entnehmenden Grundsätze der Beweiswürdigung in Asylverfahren (s. Pkt. II.3.2. Abschnitt zur "Glaubhaftmachung") - hat der Asylwerber, um dieses glaubhaft zu machen, insbesondere die in seiner Sphäre gelegenen Umstände einigermaßen plausibel und genügend substantiiert zu schildern, weiters muss - wobei es darauf ankommt, ob Aussagen in unwesentlichen Details oder im Kern variieren - das Vorbringen, um glaubwürdig zu sein, in sich schlüssig sein. Von Bedeutung ist für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit auch, wann im Verfahren der Asylwerber bestimmte Angaben tätigt. Zu berücksichtigen ist schließlich immer auch die persönliche Glaubwürdigkeit des Asylwerbers an sich. Vor diesem Hintergrund ist betreffend den gegenständlichen Fall, auch nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnenen persönlichen Eindrucks, Folgendes zu erwägen:

 

2.2.2. Gegenständlich brachte der Beschwerdeführer zu seinem individuellen Fluchtvorbringen befragt im Wesentlichen vor, dass sein Vater für ein Transportunternehmen gearbeitet habe. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe sein Vater u.a. auch Sachen für französische und amerikanische Organisationen bzw. Stützpunkte sowie die Afghanische Nationalarmee transportiert, weswegen er auch von den Taliban bedroht und schließlich ermordet worden sei. Die Taliban hätten jedoch auch den Beschwerdeführer selbst bedroht, weil sie überzeugt gewesen seien, dass auch er bei diesem Transportunternehmen tätig gewesen sei und dabei für ausländische Truppen Transporte durchgeführt bzw. spioniert habe. Es habe auch drei Drohbriefe der Taliban gegeben, in denen der Beschwerdeführer namentlich erwähnt worden sei. Daneben bestünde außerdem eine Feindschaft mit entfernten Verwandten des Beschwerdeführers. Dieses Vorbringen hält das erkennende Gericht nach dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Ermittlungsschritten - insbesondere auch durch entsprechende Nachfragen zum vom Beschwerdeführer dargelegten Fluchtvorbringen - aus folgenden Erwägungen nicht für glaubwürdig:

 

2.2.3. Das den festgestellten Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmende Bild zeigt zwar ein mögliches Risiko durch regierungsfeindliche Kräfte für - im Falle des Beschwerdeführers ohnehin nur vermeintliche - Kollaborateure mit der afghanischen Regierung bzw. dem ausländischen Militär, allerdings beschreibt Giustozzi - eben zu dem in seinem Bericht dargestellten Profilen f) und g) -, dass der wesentliche Aspekt der Verfolgungskampagne der Taliban für diese Risikogruppe auf die Möglichkeit des Bereuens abstellt. Die Personen dieser Kategorien können einer "Verurteilung" insbesondere dann entgehen, wenn sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Zur möglichen Verfolgung durch die Taliban - Potentielle Zielpersonen der Taliban / Wichtigkeit für die Taliban").

 

Bei Annahme, dass die Taliban im Beschwerdeführer einen Spion sahen, kann in Anbetracht einer dem Beschwerdeführer ohnehin bloß möglichen Anzeige / Meldung über eine Wahrnehmung allgemeiner - für die Öffentlichkeit als solches erkennbare, d.h. nicht interne, bloß einem begrenzten Kreis zugänglichen - Aktivitäten der Taliban nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bereits als "Regierungsspion" - im Sinne des Profils d) - anzusehen ist (anders als etwa eine Person, welche etwa über innere Vorgänge der Organisation Informationen liefern).

 

Vor dem Hintergrund dieser Länderinformationen ist nun bei Gegenüberstellung mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers zu dem Grund für dessen Flucht Folgendes in Betracht zu ziehen:

 

2.2.4. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zum Grund für seine Flucht befragt an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil sein Vater für eine Erdölfirma als LKW-Fahrer gearbeitet und dabei verschiedene Unternehmen und ausländische Organisationen mit Erdöl beliefert habe. Sein Vater sei deswegen von den Taliban bedroht und schlussendlich getötet worden. Drei Tage nach dem Tod des Vaters sei das Haus der Familie von den Taliban angegriffen worden. Dabei seien die beiden Schwestern und die Mutter des Beschwerdeführers getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst und seine beiden jüngeren Brüder hätten zum Onkel mütterlicherseits flüchten können. Der Onkel habe dann beschlossen, dass der Beschwerdeführer das Land verlassen müsse (s. AS 15). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde der Beschwerdeführer mit seinen Angaben zu seinem Fluchtvorbringen in der Erstbefragung konfrontiert und ihm vorgehalten, dass er in dieser zwar dargelegt habe, dass sein Vater bedroht worden sei, jedoch zu keinem Zeitpunkt erwähnt habe, auch persönlich bedroht worden zu sein und Drohbriefe, in welchen er ja auch selbst namentlich erwähnt wurde, erhalten zu haben (s. VHS S. 10). Lediglich ausweichend führte der Beschwerdeführer dazu an, dass er bei der Erstbefragung nur kurz über seinen Fluchtgrund gesprochen habe, bei der belangten Behörde aber bereits detaillierter erzählt und angegeben habe, dass auch sein Leben in Gefahr gewesen sei (s. VHS S.10). Dazu ist zunächst anzumerken, dass der Beschwerdeführer eingangs in der mündlichen Verhandlung angab, dass er sowohl bei der Erstbefragung als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht den gleichen Dolmetscher gehabt und er diesen grundsätzlich gut verstanden habe. Jedoch "das und jenes" aufgrund des Akzentes des Dolmetschers auch nicht verstanden habe, es "im Großen und Ganzen" jedoch in Ordnung gewesen sei. Die Niederschriften seien dem Beschwerdeführer auch rückübersetzt worden, allerdings habe er aufgrund des Akzentes des Dolmetschers nicht alles ganz gut verstanden. Er wisse daher nicht, ob alles so protokolliert worden sei, wie er es angegeben habe. Auf Nachfrage des erkennenden Richters führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht glaube, dass in den Protokollen der bisherigen Einvernahmen "etwas falsch" sei (s. VHS S. 3). Diesbezüglich ist aber festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sowohl bei der Erstbefragung als auch bei der Einvernahme vor der belangten Behörde angab, dass ihm diese sowohl rückübersetzt wurden als auch, dass er "alles verstanden" habe bzw. den Dolmetscher sogar "sehr gut verstanden" habe (AS 16 und 64f). In der behördlichen Einvernahme legte der Beschwerdeführer sogar explizit dar, dass die Erstbefragung korrekt protokolliert und auch rückübersetz worden sei (s. AS 58). Aus diesen Ausführungen ergibt sich daher, dass der Beschwerdeführer jedenfalls Gelegenheit hatte, seinen Fluchtgrund - wenn auch kurz zusammengefasst - während der Erstbefragung auch wahrheitsgemäß zu schildern und es diesbezüglich jedenfalls nicht aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher zu Problemen gekommen ist.

 

In der mündlichen Verhandlung entstand für den erkennenden Richter der Eindruck, dass der Beschwerdeführer ein intelligenter junger Mann ist (zur evidenten Bedeutung des persönlichen Eindrucks s. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs vom 24.06.1999, Zl. 98/20/0435, oder vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505). Der Beschwerdeführer wurde am Anfang seiner Erstbefragung auch darüber aufgeklärt, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen und er wurde auf seine Mitwirkungspflichten sowie die nachteiligen Folgen von unwahren Aussagen aufmerksam gemacht.

 

Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Erstbefragung auch bereits 20 Jahre alt, gesund und verfügte über eine mindestens elfjährige Schulbildung in Afghanistan. Dass ein gesunder, vernunftbegabter, junger Mann, der seinen Herkunftsstaat aufgrund einer maßgeblichen, ihn persönlich betreffenden Bedrohung durch die Taliban, in vollem Bewusstsein der Konsequenzen, nicht von sich aus die wahren Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates - nämlich die nicht nur ausschließlich an seinen Vater, sondern auch eine an ihn persönlich gerichtete Bedrohung durch die Taliban - darlegt bzw. erwähnt, sondern ausschließlich die Bedrohung seines Vaters nennt, ist denklogisch nicht nachvollziehbar. Vielmehr ist zu erwarten, dass gerade ein Umstand wie eine Gefahr aufgrund einer Verdächtigung der Taliban, für ein Unternehmen, das Transporttätigkeiten für ausländische Organisationen und die afghanische Nationalarmee durchführt zu arbeiten bzw. aufgrund einer vermeintlichen Spionage sowie die deswegen erhaltenen Drohbriefe und eine dadurch bedingte Gefahr wegen - möglicher - Vergeltungsmaßnahmen dieser regierungsfeindlichen Gruppierung genannt werden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht i.d.Z. nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat (dazu etwa VfGH 27.06.2012, U98/12 und VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0334, m. w.N.). Doch geht auch der Formularvordruck davon aus, dass auf "ca." einer "halben" A4 Seite die "6W" (also: "Wer", "Wann", "Was", "Wo", "Wie" und "Wieso") abgedeckt werden. Jedenfalls normiert § 19 Abs. 1 leg. cit. kein (vollständiges) Beweisverwertungsverbot. Sowohl die belangte Behörde wie auch das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung - insbesondere, wie gegenständlich geschehen, nach fallbezogener Abklärung und mündlicher Verhandlung - in ihre Beurteilung, wenngleich nur in beschränktem Umfang, miteinbeziehen. Fallbezogen liegen auch keine Umstände vor, um von jeglicher, auch nur eingeschränkten Verwertung bei der Beweiswürdigung Abstand zu nehmen.

 

2.2.5. Auch die weiteren Schilderungen des Beschwerdeführers in der behördlichen Einvernahme sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zum vorgetragenen fluchtauslösenden Ereignis waren widersprüchlich, vage und unplausibel:

 

Eklatant widersprüchlich und klar erkennbar gesteigert stellt sich so die gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer dargestellte Bedrohungssituation im Herkunftsdistrikt dar: Brachte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde noch vor, dass er von den Taliban verdächtigt wurde, für ein Transportunternehmen, welches Transporte für ausländische (insbesondere französische und amerikanische) Organisationen und die Afghanische Nationalarmee durchführte zu arbeiten, legte er nun vor dem Bundesverwaltungsgericht jedoch dar, dass sowohl sein Vater als auch er selbst von den Taliban "als Spione" verdächtigt worden seien (s. AS 61 und VHS S. 8, 9 und 10).

 

Außerdem brachte er vor der belangten Behörde noch vor, dass ausschließlich die Taliban für den Tod seines Vaters und den Angriff auf das Haus der Familie, bei welchem die Mutter sowie die beiden Schwestern des Beschwerdeführers ums Leben kamen, verantwortlich waren. Vor dem erkennenden Gericht legte er hingegen dar, dass "entfernte Verwandte seines Vaters" mit all diesen Vorfällen zu tun hätten bzw. sogar als Auslöser dieser Vorfälle anzusehen seien. Es seien diese Verwandten gewesen, die den Vater des Beschwerdeführers - sowie auch den Beschwerdeführer selbst - bei den Taliban als Spion denunziert hätten (vgl. AS 61 und VHS S. 6 und 11). In weiterer Folge gab er jedoch auf Befragung des erkennenden Richters zum Bedrohungsgrund wiederum an, dass es sich im Dorf herumgesprochen habe, dass sein Vater auch als Spion beschuldigt werde. Die Dorfbewohner - und eben gerade nicht die entfernten Verwandten - hätten es so erzählt (s. VHS S. 10 und 11).

 

Deutlich erkennbar gesteigert - wenngleich ihm jedenfalls im Rahmen seiner Vernehmung vor der belangten Behörde ausreichend Gelegenheit dazu gegeben war diesen Umstand bereits vorzutragen - legte er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auch erstmals dar, dass "acht bis zehn hochrangige Mitglieder" der Taliban in einer Nacht im Heimatdorf des Beschwerdeführers getötet worden seien. Die entfernten Verwandten des Beschwerdeführers hätten am nächsten Tag den Taliban gesagt, dass der Vater des Beschwerdeführers dafür verantwortlich sei, weil dieser für die Franzosen arbeiten würde und deswegen gegen die Taliban spioniert hätte (s. VHS S. 6). Auch die Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers gründen nunmehr überwiegend darauf, dass die Taliban die Familie des Beschwerdeführers für die Tötung der hochrangigen Talibanmitglieder verantwortlich machen würden (s. VHS S. 8). Dem erkennenden Gericht erscheint es jedoch nicht nachvollziehbar, dass ein solches - die Bedrohung maßgeblich auslösendes, bzw. erhöhendes - Ereignis, von Seiten des Beschwerdeführers im bisherigen Verfahren mit keinem einzigen Wort Erwähnung fand. Vielmehr ist von einem gesunden, vernünftigen, jungen Mann zu erwarten, dass er gerade eine solche Situation bereits zu Beginn seines Asylverfahrens nennt, jedenfalls jedoch im Rahmen der Befragung durch die belangte Behörde.

 

Darüber hinaus erscheint auch die Bedrohung bzw. Feindschaft durch die - erstmals in der mündlichen Verhandlung genannten - entfernten Verwandten nicht glaubwürdig; Der erste Verdacht, dass auch diese entfernten Verwandten etwas mit den Vorfällen zu tun haben könnten, wäre den eigenen Ausführungen des Beschwerdeführers folgend nämlich bereits nach der Ermordung des Vaters aufgekommen. Konträr dazu gab er aber gleichzeitig auch an, dass er selbst nie etwas von dieser Feindschaft mit den Verwandten mitbekommen habe. All diese Informationen habe er vor rund acht Monaten von seinem Onkel mütterlicherseits während eines Telefonates erhalten (s. VHS S. 6, 7, 14 und 15). Auch gab der Beschwerdeführer im Einklang zu seinem Vorbringen, nichts von den Problemen mit den entfernten Verwandten mitbekommen zu haben, an, mit seinen Cousins im Heimatdorf immer spielen haben zu dürfen (s. VHS S. 17). Auch die anschließend vorgebrachte Unterstellung des Beschwerdeführers, dass die Cousins diese Feindschaft bereits beim gemeinsamen Spielen im Herzen getragen hätten (vgl. ebenfalls S. 17 der VHS) vermag das erkennende Gericht nicht von der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens zu überzeugen. Hinzukommend gründen sich diese Schilderungen des Beschwerdeführers ausschließlich auf Erzählungen seines Onkels, die er - wie bereits oben dargelegt - wiederum ausschließlich im Rahmen eines Telefonates erfahren habe und somit lediglich auf Hörensagen. Dabei übersieht das erkennende Gericht keinesfalls, dass eine Beweisführung durch Informationen vom Hörensagen dem österreichischen Verwaltungsverfahren nicht fremd ist (vgl. VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Doch sieht das Gericht den Beweiswert solcher Informationen dennoch als gering an.

 

Gleiches hat auch hinsichtlich des geltend gemachten Einflusses dieser Verwandten zu gelten. Der Beschwerdeführer legte diesbezüglich zu keinem Zeitpunkt substantiiert dar, worauf dieser Einfluss beruht, sondern gab nur - erkennbar vage - an, dass diese Verwandten zum einen "viel Macht hätten" und zum anderen "Beziehungen zu den Taliban". Die entfernten Verwandten würden im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers leben und seien eine "große Familie mit vielen Brüdern". Wenn sie Probleme mit jemanden hätten, würde derjenige vernichtet werden (VHS S. 13).

 

Auch der Umgang der Familie des Beschwerdeführers mit der Bedrohung durch die Taliban wurde vom Beschwerdeführer während des verwaltungsbehördlichen und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren in klar nachvollziehbarer Weise divergent geschildert:

 

So gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde noch an, dass sein Vater nach den mündlichen Bedrohungen durch die Taliban zu den Ältesten gegangen wäre und diese wiederum mit den Taliban gesprochen hätten. Dann hätte es weitere - mündliche - Drohungen gegeben, weshalb der Vater, der Onkel mütterlicherseits und ein Cousin des Beschwerdeführers gemeinsam mit den Ältesten zu den Taliban gegangen seien (s. AS 61). Die Familie des Beschwerdeführers habe dann die drei Drohbriefe erhalten. Nach dem Erhalt eines jeden Drohbriefes sei der Vater zu den Ältesten gegangen (vgl. AS 63). Nach dem Tod des Vaters sowie dem Angriff auf das Haus der Familie sei der Onkel mütterlicherseits nochmals zu den Ältesten gegangen und diese hätten wieder mit den Taliban gesprochen. Die Taliban hätten angegeben, dass es keine Probleme mit den jüngeren Brüdern gäbe. Da der Beschwerdeführer - aus Sicht der Taliban - jedoch ebenfalls für das Transportunternehmen gearbeitet habe, werde er nicht in Ruhe gelassen. Sein Onkel habe dem Beschwerdeführer außerdem mitgeteilt, dass die Taliban ihn - wie auch seinen Vater zuvor - töten wollen würden (vgl. AS 61).

 

Seinen eigenen Angaben vor der belangten Behörde widersprechend legte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht nunmehr aber dar, dass er bei Erhalt der Drohbriefe noch sehr jung gewesen sei und deswegen der Onkel mütterlicherseits mit den Dorfältesten hätte reden sollen. Seine Mutter sei damals noch am Leben gewesen und habe den Onkel gebeten, die Dorfältesten zu den Taliban zu schicken. Die Dorfältesten seien auch mehrmals gemeinsam mit seinem Onkel mütterlicherseits zu den Taliban gegangen und hätten diese gebeten, den Beschwerdeführer und dessen Familie in Ruhe zu lassen, weil diese keine Spione seien (s. VHS S. 15).

 

Selbst die ausschließlich im Rahmen der behördlichen Einvernahme vom Beschwerdeführer dargestellte Flucht aus dem Haus seiner Familie beim Angriff der Taliban wurde von diesem stark widersprüchlich angegeben. So legte er zuerst noch dar, dass er sich nach der Beerdigung seines Vaters gemeinsam mit seinen beiden jüngeren Brüdern im Gäste- bzw. Nebenhaus befunden habe und sie dann in der Nacht beim Angriff zu dritt zum Onkel mütterlicherseits geflüchtet wären (s. AS 61). Kurze Zeit später führte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde allerdings aus, dass auch sein Cousin bei ihm und seinen Brüdern gewesen sei. Sie seien zu viert zuerst zu entfernten Verwandten und von diesen erst anschließend nur zu dritt mit einem Auto zum Onkel mütterlicherseits geflohen. Der Cousin sei bei den Verwandten geblieben (s. AS 67). Nicht plausibel erscheint dem erkennenden Gericht diesbezüglich außerdem, dass der Beschwerdeführer und seine Brüder nach dem Ende der Trauerfeier für seinen Vater im Gäste- bzw. Nebenhaus geblieben seien, obwohl sie sich dort nur aufgrund der vielen Gäste aufgehalten hätten. Die Gäste seien, seinen eigenen Angaben folgend, nämlich bereits eine halbe Stunde vor dem Angriff der Taliban abgereist (s. AS 67).

 

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers folgend habe sich dieser auch nach dem Angriff der Taliban auf das Haus seiner Familie noch für ungefähr eine Woche bei seinem Onkel aufgehalten, bevor er schließlich schlepperunterstützt ausreiste (s. AS 62). In Anbetracht der vom Beschwerdeführer dargestellten, immanenten und hochgradigen Bedrohungssituation durch die Taliban und seiner Aussage, dass er diese auch oft gesehen habe, weil sie oft durch das Dorf gegangen seien (vgl. AS 65), erscheint es dem Bundesverwaltungsgericht nicht schlüssig, dass sich der Beschwerdeführer noch so lange bei seinem Onkel mütterlicherseits - zwischenfallsfrei - aufhalten konnte, bevor er schlussendlich aus Afghanistan ausreiste.

 

2.2.6. Zu den als Beweis für die von den Taliban ausgehende Bedrohung bzw. Gefährdung vom Beschwerdeführer vorgelegten, und nach dessen Behauptungen von den Taliban stammenden "Drohbriefen" ist festzuhalten, dass auch diese das erkennende Gericht - insbesondere bei Gegenüberstellung mit den bereits oben angeführten Erwägungen zu den Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen seines Asylverfahrens - nicht von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens betreffend eine Gefährdung wegen der Tätigkeit des Vaters oder im Hinblick auf einen angeblichen Verdacht der Taliban, dass der Beschwerdeführer ebenfalls für das Transportunternehmen arbeite bzw. spioniere, zu überzeugen vermögen:

 

So ist zunächst davon auszugehen, dass unechte und/oder unrichtige Schreiben nach den Feststellungen zur Lage in Afghanistan (s. oben Pkt. II.1.5.7. bzw. die Analyse des deutschen Auswärtigen Amts (mit Hinweisen auf die entsprechenden Jahre) schon grundsätzlich sehr einfach zu beschaffen sind. Auch zeigen die Informationen aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus dem Jahr 2016 einen schwunghaften Handel mit vermeintlich oder tatsächlich von den Taliban stammenden Schreiben zur Vorlage in Asylverfahren unrichtigen Inhalts auf. Inzwischen hätten es die Taliban weitgehend aufgegeben, solche Briefe zu schreiben. Dabei übersieht das erkennende Gericht nicht, dass bloß ein allgemeiner Verdacht nicht genügt, um im Verfahren vorgelegten Urkunden generell den Beweiswert abzusprechen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0356, Rz. 17, m. w.N.). Keinesfalls ist auch davon auszugehen - wie dies der Beschwerdeführer zu Recht auf S. 3 seiner Stellungnahme vom 16.02.2019 darlegt -, dass alle Drohbriefe der Taliban als unechte Fälschungen zu bezeichnen sind. Doch lassen im konkreten Einzelfall folgende Gründe das Bundesverwaltungsgericht an der Echtheit und / oder Richtigkeit dieser Urkunden zweifeln:

 

Nach den getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan ist es grundsätzlich keine besondere Herausforderung, unechte Dokumente jeglichen Inhalts zu erlangen (s. die Lageeinschätzung des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland). Auch dürften es die Taliban - entgegen früherer Praxis - weitgehend aufgegeben haben, mit Drohbriefen vorzugehen. Es ist bekannt, dass zahlreiche, als vermeintlich den Taliban zuzurechnende Drohschreiben unecht (bzw. unrichtig seien) und insbesondere für die Vorlage in Asylverfahren für Entgelt hergestellt werden (vgl. dazu die Ausführungen in der - jedenfalls für die zeitliche Betroffenheit des Beschwerdeführers auch relevante - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus 2016). Die nachvollziehbare, und als solches auch unbestritten gebliebene, Analyse der kanadischen Asylbehörde (des "IRB" s. oben Pkt. II.1.5.7. "Drohbriefe der Taliban") - auf welche vom Beschwerdeführer überdies in seiner Stellungnahme vom 16.02.2019 verwiesen wurde - wiederum zeigt auf, dass eine der wenigen Möglichkeit einer Art von Authentifizierung von solchen Briefen eine Ermittlung des Unterzeichners des Briefs ist. Ein Indiz für die Echtheit bzw. Richtigkeit ("Authentifizierung") könnte nach dieser Analyse sein, dass ein (bekannter) lokaler Taliban-Kommandant oder geistlicher Führer den Brief unterzeichnet hat. Auf den vom Beschwerdeführer vorgelegten Drohbriefen findet sich jedoch gerade keine Unterschrift. Der Beschwerdeführer selbst konnte dazu im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht lediglich ausweichend angeben, dass er nicht wisse, wer diese Briefe verfasst habe. Er habe sie jedenfalls in dieser Form bekommen und habe auch nicht gewusst, dass die Taliban einen eigenen Stempel hätten (s. VHS S. 13).

 

Auch konnte der Beschwerdeführer nicht stringent und schlüssig angeben, wo die Drohbriefe bei seiner Familie aufbewahrt worden seien, bzw. wann er diese an seinen Onkel übergeben habe. So gab er anfänglich in der behördlichen Einvernahme noch an, dass er diese seinem Onkel mütterlicherseits gegeben habe, nachdem er selbst angegriffen worden sei (s. AS 58). Später führte er jedoch konträr dazu aus, dass die Drohbriefe zu Hause aufbewahrt worden seien, glaublich in der Tasche der Mutter. Bevor das Haus angegriffen worden sei, habe er diese dem Onkel mütterlicherseits bereits übergeben (s. AS 64).

 

Unplausibel erscheint dem erkennenden Gericht hinsichtlich der Drohbriefe weiters, dass in allen Briefen der Beschwerdeführer als erstes angesprochen wird, obwohl der Vater bereits vor Erhalt der Drohbriefe mündlich bedroht worden sei und - zumindest der Aussage des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde folgend - auch das Gespräch mit den Taliban gesucht habe (s. AS 61). Wenig nachvollziehbar ist es für das Bundesverwaltungsgericht zudem, dass die Familie des Beschwerdeführers die Drohbriefe erst erhielt, nachdem die Dorfbewohner den Taliban erzählt hätten, dass auch der Beschwerdeführer für das Transportunternehmen arbeite (s. AS 61), arbeitete der Vater des Beschwerdeführers doch insgesamt für ungefähr drei bis dreieinhalb Jahre bei dem Transportunternehmen. Die Drohbriefe habe die Familie jedoch erst im letzten halben Jahr der Tätigkeit seines Vaters erhalten (s. VHS S. 11 und AS 63).

 

In weiterer Folge machte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht befragt zu den Drohbriefen immerzu die - erstmals vor dem erkennenden Gericht erwähnten - entfernten Verwandten seines Vaters dafür verantwortlich, weil diese den Taliban erzählt hätten, dass er - gemeint der Beschwerdeführer selbst - für ausländische Regierungen spioniere. Ihn selbst würde es auch wundern, dass er immer an erster Stelle genannt werde (s. VHS S. 13 und 14). Auch, dass die Drohbriefe allesamt von einer Tätigkeit für das Transportunternehmen und damit einhergehend für ausländische Organisationen sprechen und zu keinem Zeitpunkt von der vor dem Bundesverwaltungsgericht nunmehr vorgebrachten angeblichen Spionage konnte der Beschwerdeführer nicht schlüssig erklären, sondern argumentierte er auch hierbei wieder rein spekulativ mit den entfernten Verwandten (s. VHS S. 14f).

 

Bei Gesamtschau dieser Erwägungen zu den vorgelegten Schreiben kommt das erkennende Gericht jedenfalls zum Schluss, dass mehrere - allgemeinen wie auch fallspezifischen - Anhaltspunkte gegen eine Echtheit und/oder Richtigkeit der Urkunden sprechen. Der Urkundeninhalt veranlasst das Gericht somit nicht, trotz der bereits davor zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers getätigten Erwägungen, anderslautende Feststellungen zu treffen.

 

2.2.7. Nicht festgestellt werden kann außerdem, dass die Taliban für den Tod des Vaters des Beschwerdeführers verantwortlich seien:

 

So ist den festgestellten Länderinformationen (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Überfälle der Taliban auf Treibstofftransporte in der Provinz Maidan Wardak") keine Information dahingehend zu entnehmen, dass es in der Provinz Maidan Wardak im Distrikt Salar zu einem Angriff der Taliban auf einen Konvoi von ausländischen Organisationen oder der Afghanischen Nationalarmee (vgl. VHS S. 9 und 12) gekommen sei.

 

Zudem stellte sich auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, wie er vom Tod seines Vaters erfahren habe, als äußerst widersprüchlich dar. So brachte er anfänglich vor der belangten Behörde noch vor, dass er sich zu Hause befunden habe, als der Direktor des Unternehmens, in welchem sein Vater gearbeitet habe, angerufen habe. Dieser habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass sein Vater im Distrikt Salar getötet worden sei und sein Leichnam an diesem Tag nach Hause gebracht werde. Sein Onkel habe bei dem Direktor dieser Firma über die genauen Umstände des Todes des Vaters des Beschwerdeführers nachgefragt und die Details anschließend dem Beschwerdeführer weitererzählt (s. AS 62 und 63). Diametral dazu legte er vor dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung jedoch dar, dass der Leiter der Firma seines Vaters ihn angerufen und alles erzählt habe. Der Beschwerdeführer habe diesem nicht geglaubt und mit seinem Onkel mütterlicherseits darüber gesprochen. Dieser habe dann den Firmenchef angerufen und der Chef habe den Tod des Vaters des Beschwerdeführers nochmals bestätigt. Erst dem Onkel sei vom Chef erzählt worden, dass der Vater des Beschwerdeführers im Distrikt Salar getötet worden sei (s. VHS S. 12).

 

Selbst bei Wahrunterstellung, dass der Vater des Beschwerdeführers bei einem Angriff der Taliban auf einen Transport-Konvoi umgekommen ist, lässt sich aus der Darstellung dieses Vorfalles jedoch vielmehr ableiten, dass es sich dabei um einen rein willkürlichen Überfall gehandelt hat, der nicht gezielt gegen den Vater des Beschwerdeführers gerichtet war, sondern diesen bloß zufällig traf.

 

2.2.8. Soweit nunmehr in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seitens des Beschwerdeführers dargelegt wurde, dass vor ungefähr acht Monaten sein jüngerer Bruder, " XXXX ", entführt worden sei und diesbezüglich auch ein Bestätigungsschreiben der Dorfältesten vorgelegt wurde, ist dazu Folgendes zu erwägen:

 

Laut eigenem Vorbringen des Beschwerdeführers habe es sich bei den Entführern um bewaffnete Unbekannte gehandelt. Nicht bekannt ist dem Beschwerdeführer, ob es sich bei diesen um die Taliban oder private Feinde der Familie handle (VHS S. 5 und 6).

 

Gerade eine auch bereits zum Ausreisezeitpunkt des Beschwerdeführers bestehende Bedrohung durch private Feinde der Familie, welche zudem entfernte Verwandte seines Vaters sein sollen, hat der Beschwerdeführer jedoch vor der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht - wie bereits oben unter Pkt. II.2.2.5 ausgeführt - zu keinem Zeitpunkt dargelegt bzw. erscheint dies auch in Anbetracht der oben unter Pkt. II.2.2.5. dargelegten Überlegungen zu den massiven Widersprüchlichkeiten des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers wenig plausibel. Nicht denklogisch erscheint dem erkennenden Gericht diesbezüglich auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Entführer seinen Onkel mütterlicherseits einmal telefonisch kontaktiert hätten, jedoch weder Geld verlangt noch sonstige Forderungen gestellt hätten (s. VHS S. 6). Rein spekulativ stellte der Beschwerdeführer dazu die Vermutung auf, dass die Entführer vielleicht bezwecken wollen hätten, dass der Beschwerdeführer ins Heimatdorf zurückkehre (s. VHS S. 6). Auch diese Mutmaßung kann der Beschwerdeführer jedoch nicht näher substantiieren. Es habe sich lediglich nach der Entführung seines Bruders im Dorf herumgesprochen, dass die entfernten Verwandten etwas damit zu tun haben (s. VHS S. 7).

 

Hinsichtlich des diesbezüglich vorgelegten Schreibens des Ältestenrates ist zunächst auf die Erwägungen zur Echtheit, Richtigkeit sowie der generellen Möglichkeit derartige Dokumente in Afghanistan zu erlangen unter Pkt. II.2.2.6. zu verweisen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Dorfältesten in diesem Schreiben zwar festhalten, dass der angestrebte Zweck der Entführung sei, den Beschwerdeführer zu zwingen, in seine Heimat zurückzukehren. Auch diese Annahme des Ältestenrates stellt sich jedoch als reine Mutmaßung dar, wird in diesem Schreiben doch auch nicht dargelegt, wie sie zu dieser Schlussfolgerung gelangen (s. VHS S. 7). Allein die Tatsache, dass es sich um "Dorfälteste" handeln soll reicht dazu nicht aus.

 

Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der Entführung des Bruders des Beschwerdeführers um eine wahre Begebenheit handelt, lässt sich auch aus dieser Darstellung - wie auch hinsichtlich des Todes des Vaters des Beschwerdeführers - vielmehr ableiten, dass es sich um einen willkürlichen Übergriff gehandelt hat, der nicht gezielt gegen den Bruder des Beschwerdeführers gerichtet war, sondern diesen bloß zufällig getroffen hat. Auch ist aus der Entführung keine Intention dahingehend abzuleiten, dass der Beschwerdeführer gezwungen werden sollte, in den Herkunftsdistrikt zurückzukehren. Tätigten doch die Entführer gegenüber dem Onkel des Beschwerdeführers in dem Telefonat auch keine dahingehenden Aussagen (s. VHS S. 6).

 

2.2.9. Nicht zuletzt bleibt das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers - insbesondere vor dem Hintergrund seiner mehr als zehnjährigen Schulbildung und dass er bei all diesen geschilderten Ereignissen auch bereits volljährig war - in wesentlichen Aspekten oberflächlich: So konnte er zu keinem Zeitpunkt konkrete Datums- oder Zeitangaben tätigen und sein Vorbringen dadurch näher substantiieren. In seinem Vorbringen finden sich ausschließlich Angaben wie "als mein Vater für diese Firma gearbeitet hat, gab es einen Stützpunkt der Franzosen", "als die Franzosen weg waren", "danach erhielten wird drei Drohbriefe", "drei Tage nach dem Tod meines Vaters", "zu diesem Zeitpunkt" (s. AS 60 und 61). Auch den Todeszeitpunkt seines Vaters konnte der Beschwerdeführer nicht näher darlegen, sondern führte lediglich aus, dass die Ermordung kurz vor seiner Ausreise - ungefähr 10 Tage davor - stattgefunden habe (s. AS 62).

 

2.2.10. Aufgrund einer Gesamtbetrachtung all dieser Umstände hält das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen bzw. die Angaben zum fluchtauslösenden Ereignis nicht für glaubwürdig und es waren daher nach Durchführung der den § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen dazu entsprechend negative Feststellungen zu treffen (dazu u.a. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0060, Rz. 10). Zu den i. Z.m. mit dem Fluchtvorbringen vom Beschwerdeführer gestellten Beweisanträgen bzw. Anregungen zur Durchführung weiterer Ermittlungstätigkeiten im Herkunftsstaat siehe die Auseinandersetzung unten unter Pkt. II.3.2.4.).

 

2.3. Zu den Feststellungen zum Leben in Österreich:

 

2.3.1. Die Feststellungen zum Leben in Österreich (betreffend eigene Familienangehörige oder Verwandte in Österreich, Beziehungen zu anderen Österreichern und Afghanen, Erlernen der deutschen Sprache, Erwerbstätigkeiten, Lebensunterhalt, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie sonstige Aktivitäten) folgen aus den klar geäußerten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben zu den Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung sowie den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit sich das erkennende Gericht nicht zu zweifeln veranlasst sah (s. die der VHS angeschlossenen Beilagen ./2 bis ./4). Vom festgestellten erlangten Niveau der deutschen Sprache konnte der erkennende Richter sich in der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen.

 

2.3.2. Die Feststellung, wie er von seinem sozialen Umfeld wahrgenommen wird gründen auf der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Urkunde (s. die der VHS angeschlossene Beilage ./4). Auch bei diesen Urkunden sah sich das erkennende Gericht nicht veranlasst, an deren Echtheit und Richtigkeit zu zweifeln.

 

2.3.3. Die Feststellungen zur Unbescholtenheit ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Beschwerdeführers sowie einer Einsicht in das Strafregister.

 

2.4. Zu den Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

2.4.1. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in geringem Ausmaß durch seine Familie, insbesondere seinen Onkel mütterlicherseits, welcher nach wie vor im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers lebt, - übergangsweise und in geringem Umfang - finanziell unterstützt werden könne, ergibt sich aus den diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:

 

So gab er zwar erst auf die Frage des erkennenden Richters, ob seitens des Onkels des Beschwerdeführers eine Unterstützungsmöglichkeit gegeben sei an, dass dies nicht der Fall sei (s. VHS S. 13), legte im Anschluss jedoch dar, dass sein Onkel ihn vielleicht für ein oder zwei Jahre unterstützen könne (s. VHS S. 14). Soweit es um die Überweisung von Geldmitteln geht, gibt es in Afghanistan - d.h. sodann auch in der Stadt Mazar-e Sharif - ein funktionierendes Bankenwesen, einschließlich der Möglichkeit, etwa Western Union oder das "Hawala"-System zu nutzen (dazu oben Pkt. II.1.5.5.).

 

2.4.2. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützungen ergibt sich aus der Anfragebeantwortung "Sozialleistungen für Rückkehrer" der Staatendokumentation von Februar 2018. Die Informationen sind aktuell und schlüssig und blieben als solches vom Beschwerdeführer unbestritten.

 

2.5. Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

2.5.1. Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan (Pkt. II.1.5.1, allgemeine Sicherheits-, Grundversorgungs- und Wirtschaftslage, regierungsfeindliche Gruppierungen, Rechtsschutz und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Folter und unmenschliche Behandlung, Binnenflüchtlinge), zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif (Pkt. II.1.5.3.) - siehe aber auch nachstehend zu anderen herangezogenen Quellen -, im Hinblick auf die Erreichbarkeit von Österreich, Sicherheitslage und wirtschaftlicher Lage durch bzw. für Rückkehrer (einschließlich Arbeitsmarkt), zum Meldesystem (Pkt. II.1.5.4), sowie zur medizinischen Versorgung (Pkt. II.1.5.6.) sowie die Feststellungen zur Lage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.5.2.) stützen sich auf das im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuelle (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019), nachvollziehbare und schlüssige, von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellte Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht schon daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Einrichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diese Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde (s. deren S. 4ff), Vorbringen zur Sicherheitslage in seinem Heimatdistrikt erstattete, ist diesbezüglich festzuhalten, dass dieses ohnehin im Wesentlichen, den getroffenen - durchaus aktuelleren - Feststellungen entspricht.

 

2.5.2. Andererseits gründen die soeben genannten Feststellungen, insbesondere zum Bankensystem (Pkt. II.1.5.5.), auf den aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsberichten des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen "EASO" zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren mit Fokus auf die Städte Kabul, Mazar-e Sharif, und Herat von April 2019 sowie zu Netzwerken in Afghanistan von Jänner 2018. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Art. 4 lit. a und b der EU-Verordnung Nr. 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Überdies nennt die EU-Richtlinie 2013/32/EU (konkret: deren Art. 10 Abs. 3 lit. b) gerade die Berichte des Unterstützungsbüros als zu verwendende Informationsquelle. Die Berichte als solches blieben vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

2.5.3. Die Feststellungen betreffend die Situation in der Stadt Mazar-e Sharif und die dortige Sicherheitslage, die Versorgung mit Lebensmitteln, den Wohnungs- und Arbeitsmarkt, die sanitäre Situation und die Erreichbarkeit von Österreich beruhen (auch) auf den erwähnten Berichten von EASO zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, Sicherheitslage, Netzwerken, den auf andere Quellen dieser Organisation verweisenden EASO-Länderleitfaden Afghanistan sowie dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018", welcher - teilweise - auf die soeben genannten Berichte verweist und darauf aufbauend Schlussfolgerungen zieht. Des Weiteren beruhen die getroffenen Feststellungen auch auf den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Afghanistan "Versorgungslage Mazar-e Sharif im Zeitverlauf 2010-2018" vom 19.11.2018, und "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018. Die darin enthaltenen Informationen können widerspruchsfrei mit entsprechenden Angaben im LIB kombiniert werden.

 

Die in den in der Beschwerde zitierten Quellen dargestellten Tatsachen (s. deren S. 9ff) betreffend die allgemeine Sicherheitslage bzw. sozioökonomischen Rahmenbedingungen weichen von den getroffenen Feststellungen nicht ab, beziehen sich auf die Situation in der Stadt Kabul bzw. allgemein auf ganz Afghanistan oder sind bereits als veraltet anzusehen.

 

2.5.4. Die Feststellungen zur möglichen Verfolgung durch die Taliban, einschließlich zu möglichen Gefährdungen von Familienangehörigen beruhen auf den - in diesem Zusammenhang sämtlich unbestritten gebliebenen - UNHCR-Richtlinien, dem EASO-Bericht zur Verfolgung einzelner durch bewaffnete Akteure sowie auf einem unbestritten gebliebenen, nachvollziehbaren und schlüssigen Bericht von Landinfo, dem Pendant der norwegischen Regierung zur österreichischen Staatendokumentation. Ein entsprechender Beweiswert kommt diesem, aktuellen, Bericht mit länderkundlichen Informationen aus Sicht des erkennenden Gerichts schon deshalb zu, weil Landinfo - ebenso wie die österreichische Staatendokumentation - ihre Informationen u.a. nach den gemeinsamen EU Standards für die Verarbeitung von Herkunftsstaatsinformationen (verfügbar etwa unter http://www.refworld.org/docid/48493f7f2.html [abgerufen am 26.07.2018] ermittelt und evaluiert).

 

2.5.5. Die Feststellungen hinsichtlich der Taliban-Drohbriefe beruhen auf der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 28.07.2016, dem Informationsblatt der kanadischen Einwanderungsbehörde zu "Night letters" aus 2015, sowie den Berichten des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31.03.2014 und vom 31.05.2018.

 

Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus in seiner Stellungnahme vom 16.02.2019 (s. deren S. 2) auf den Bericht des UNHCR zu Afghanistan Conflict-Induced Internal Displacement Monthly Update von April 2015 verweist, ist diesbezüglich festzuhalten, dass in diesem Bericht hinsichtlich der Drohbriefe der Taliban ausschließlich auf die Provinz Maidan Wardak Bezug genommen wird, nicht jedoch auf die Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Kapisa. Hinsichtlich des ebenfalls in dieser Stellungnahme zum Beweis der Echtheit der Drohbriefe genannten EASO, Country of Origin Information Report, Insurgent Strategies Intimidation and Targeted Violence Against Afghans von Dezember 2012 ist festzuhalten, dass die in diesem festgehaltene Berichtslage nicht jenen Zeitraum widerspiegelt, in welcher der Beschwerdeführer die vermeintlichen Drohbriefe erhalten habe. Allerdings zeigt auch dieser Bericht auf, dass die Drohbriefe grundsätzlich ein Kommunikationsmittel der Taliban darstellen können, gefälschte Drohbriefe jedoch in Afghanistan sehr einfach erworben werden können.

 

Das erkennende Gericht sieht sich daher aufgrund dieses Vorbringens nicht veranlasst, zusätzliche oder anderslautende Feststellungen zu treffen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde

 

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz)

 

3.1. Rechtsgrundlagen:

 

3.1.1. "Flüchtling" i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge: "GFK") ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

3.1.2. Die §§ 3 und 11 AsylG 2005 lauten samt Überschrift:

 

"Status des Asylberechtigten

 

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat."

 

"Innerstaatliche Fluchtalternative

 

§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

3.1.3. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 i.V.m. Z 11 AsylG 2005 ist "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung i.S.d. Art. 9 der EU-Richtlinie 2011/95/EU (in Folge: "Statusrichtlinie").

 

Gemäß Art. 9 Abs. 1 Statusrichtlinie muss eine Handlung um als "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten,

 

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in Folge: "EMRK") keine Abweichung zulässig ist, oder

 

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

3.1.4. Als "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 leg. cit. können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

 

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

 

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

 

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

 

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

 

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 leg. cit. fallen, und

 

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

 

3.1.5. § 18 Abs. 1 und 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) [...]

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

3.1.6. Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.

 

3.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Bei der Beurteilung, ob eine asylrelevante Verfolgung als glaubhaft gemacht zu betrachten ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.2.2. Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, m.w.N.). 3.2.3. Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

3.2.3. Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, m.w.N.).

 

3.2.4. Die Gefahr der Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

3.2.5. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

3.2.6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt -asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

3.2.7. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz. 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (vgl. VwGH 26.01.1996, 95/02/0289; zur Plausibilität s. VwGH 29.06.2000, 2000/01/0093; zu gehäuften und eklatanten Widersprüchen oder fehlendem Allgemein- und Detailwissen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.01.2001, Zl. 2000/20/0544, und vom 22.02.2001, Zl. 2000/20/0461). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz. 3.2. m.w.N.). Die Asylbehörden haben in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108, Rz. III.4., m.w.N.).

 

3.2.8. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Zur möglichen Verfolgungshandlungen durch die Taliban:

 

3.2.1.1. Nach den getroffenen Feststellungen gab es in Afghanistan keine persönlich gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Statusrichtlinie durch die Taliban. Insbesondere konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Taliban mit der Familie - dem Onkel - des Beschwerdeführers in Kontakt traten bzw. den Bruder des Beschwerdeführers entführten, um den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Erfahrung zu bringen bzw. sonstige Informationen zu dessen Verbleib zu erlangen (s. oben Pkt. II.1.2.1, 1.2.2. und 1.2.4.). Auch das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben des Ältestenrates führt diesbezüglich - wie bereits unter Pkt. II.2.2.8. erläutert - zu keinen anderen Feststellungen. Zwar kommt es auf eine konkrete Vorverfolgungshandlung bei der Beurteilung einer möglichen aktuellen Gefahr von Verfolgungshandlungen nicht an (dazu das bereits erwähnte Erkenntnis VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212). Es ist jedoch in Erinnerung zu rufen, dass eine Verfolgungsgefahr nur dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Eine solche Wahrscheinlichkeit liegt gegenständlich nicht vor: Nach den festgestellten Länderinformationen besteht zwar für - wenn auch im Fall des Beschwerdeführers nur vermeintliche - Kollaborateure der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs ein grundsätzliches Risiko. Allerdings ist es schon in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe - insbesondere eben die Bedrohung durch die Taliban - nicht glaubhaft vorbringen konnte, als nicht gegeben anzusehen.

 

3.2.1.2. Selbst bei Wahrunterstellung der vom Beschwerdeführer getätigten Angaben ist den Länderberichten jedoch auch zu entnehmen, dass die Taliban einer einem Risikoprofil wie dem Beschwerdeführer zuzuordnenden Personen - im Gegensatz zu anderen Zielpersonen - die Möglichkeit einräumen, durch Bereuen und damit einhergehende mit der Einstellung ihrer Tätigkeit möglichen Verfolgungshandlungen zu entgehen (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Entkommen der Taliban-Verfolgung durch Bereuen"). Auch aus den Angaben in den Drohbriefen - der einzigen konkret an den Beschwerdeführer gerichteten Nachricht der Taliban (bei den Gesprächen mit den Taliban über die Dorfältesten ging es um den Vater des Beschwerdeführers) - ist im Lichte der Länderinformationen noch nicht zu schließen, dass ein solches Bereuen nicht möglich wäre.

 

3.2.1.3. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat konnte der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft machen.

 

3.2.1.4. Selbst wenn man allerdings annehmen würde, dass die Taliban den Beschwerdeführer wirklich verdächtigt hätten, mit der Regierung bzw. dem ausländischen Militär zu kollaborieren, und daraus im Heimatort eine aktuelle Verfolgungsgefahr sieht, steht dem Beschwerdeführern mit der Stadt Mazar-e Sharif - alternativ zur angenommene Rückkehr in den Herkunftsdistrikt im Lichte des § 3 AsylG 2005 - eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen:

 

Zunächst ist festzuhalten, dass nach den Länderinformationen die Stadt Mazar-e Sharif jedenfalls als unter der Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist und nicht von einem dortigen aktiven Konflikt zwischen der Regierung und regierungsfeindlichen Elementen ausgegangen werden muss (Pkt. II.1.5.3.).

 

Weiters ist den festgestellten Länderberichten (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Mögliche Verfolgung durch die Taliban") zu entnehmen, dass die Taliban zwar grundsätzlich - insbesondere durch deren existierendes Spionagenetzwerk - die Mittel hätten, den Beschwerdeführer auch in großen Städten aufzufinden und zu verfolgen. Auch seien nach Giustozzi in dem für Landinfo verfassten Bericht die Taliban, wenngleich diese Information nur von diesen selbst stammt, von keiner weiteren Quelle bestätigt wird und sohin eingeschränkt zu werten ist, in der Lage in Erfahrung zu bringen, wer das Land betritt. Davon ist allerdings die Frage zu trennen, ob gerade für den Beschwerdeführer auch am gegenständlich angenommenen Rückkehrort in den Heimatstaat eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefährdungslage einer Verfolgung durch die Taliban zu prognostizieren wäre (s. dazu insbesondere VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0366, Rz. 8 unter Hinweis auch auf die Ausführungen der UNHCR-Richtlinien aus 2016, wobei anzumerken ist, dass sich die - was sich bei Gegenüberstellung der verfügbaren englischen Sprachfassungen zeigt - diesbezüglichen Ausführungen in den aktuellen UNHCR-Richtlinien gleichgeblieben sind, sowie auch VwGH 21.03.2018, Ra 2018/18/0032, Rz. 11. Die beiden Entscheidungen zugrundeliegende Länderberichtslage - vornehmlich eben jene der UNHCR-Richtlinien 2016 - kann i.d.Z. als weiterhin von Relevanz betrachtet werden). Zwar könnte man aus der deutschen Sprachfassung der UNHCR-Richtlinien schließen, dass in Bezug auf eine Gruppierung wie die Taliban keine innerstaatliche Fluchtalternative möglich wäre. Dies ergibt sich jedoch in dieser Form weder aus der englischen ("may not be possible" noch aus der russischen Sprachfassung "?????", ("könnte") der Richtlinien. Vielmehr tragen die UNHCR-Richtlinien aus Sicht des erkennenden Gerichts bei einer Gruppierung wie den Taliban eine - auch im Folgenden vorgenommene - genauere Prüfung auf, als etwa im Hinblick auf andere Gruppierungen in Afghanistan.

 

Die Schlussfolgerungen seitens des EASO betreffend die Relevanz einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind differenzierter: Sie schließen aus aktuellen Länderinformationen bei einer angenommenen aktuellen Gefährdungslage aufgrund der Taliban bei Rückkehr durch die Taliban, dass insbesondere die individuellen Umstände des Antragstellers, die Fähigkeit der Taliban, Personen in den Städten zu verfolgen und zu zielen, die Art und Weise, wie der Antragsteller von den Taliban wahrgenommen wird (s. dazu die nachstehenden Erwägungen bezogen auf den Beschwerdeführer) und ob eine persönliche Feindschaft auf dem Spiel steht oder nicht, usw. berücksichtigt werden muss. Überhaupt könne das Profil des Antragstellers ihn zu einem vorrangigen Ziel für aufständische Gruppen machen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Akteur der Verfolgung oder des schweren Schadens versucht, den Antragsteller am potenziellen Standort zu finden (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 100).

 

Stellt man vor dem Hintergrund dieser Erwägungen sowie insbesondere Gesamtschau der Leitlinien des EASO wie des UNHCR die individuellen Umstände des Beschwerdeführers entsprechenden gegenständlich festgestellten Länderinformationen gegenüber, so zeigt sich folgendes Bild:

 

Zunächst stellen sich nach den Länderinformationen größere Städte in Afghanistan im Hinblick auf das Entkommen vor (neuerlicher) Verfolgung grundsätzlich sicherer dar, weil Aufständische wie die Taliban dort, mit Ausnahme in der Stadt Kunduz, nicht in der Lage sind, Checkpoints zur Kontrolle von Personen einzurichten. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufsuchens und Verfolgens durch die Taliban bzw. vergleichbarer regierungsfeindlicher Elemente ist in Mazar-e Sharif und Herat mangels einer entsprechenden Verankerung bzw. Präsenz der Taliban weit geringer als dies im Vergleich dazu in den Städten Khost und Kunduz mit entsprechend starker Verankerung der Taliban der Fall wäre (vgl. den EASO-Bericht Verfolgung Einzelner auf S. 27). Die festgestellte Länderberichtslage betreffend die Gefahr für Kollaborateure der afghanischen Regierung bzw. des ausländischen Militärs (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Taliban: Potentielle Zielpersonen der Taliban/ Wichtigkeit für die Taliban") zeigt jedenfalls in dem daraus abzuleitenden Gesamtbild nicht auf, dass grundsätzlich eine (erhöhte) Gefahr für die besagten Kollaborateure - anders als dies etwa bei echten Spionen oder Dolmetschern zu den ausländischen Truppen der Fall ist - besteht.

 

Der Beschwerdeführer brachte vor, von den Taliban verdächtigt worden zu sein, für ein Transportunternehmen, welches u.a. Transporte für französische und amerikanische Organisationen sowie die Afghanische Nationalarmee ausführte, zu arbeiten bzw. für dieses zu spionieren. Sein Vater, welcher tatsächlich für dieses Unternehmen gearbeitet habe, sei deswegen auch von den Taliban ermordet worden. Auch die Mutter und die beiden Schwestern des Beschwerdeführers seien bei einem Angriff der Taliban auf das Haus der Familie umgekommen. Jedoch konnte weder festgestellt werden, dass die Taliban für den Tod des Vaters des Beschwerdeführers verantwortlich waren noch, dass die Brüder oder der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers auch noch nach dessen Ausreise durch die Taliban bedroht wurden. Sein Bruder " XXXX " sei zwar entführt worden, jedoch konnte, den Aussagen des Beschwerdeführers folgend, nicht festgestellt werden, wer für die Entführung verantwortlich war. Sein Onkel mütterlicherseits und auch sein jüngster Bruder leben nach wie vor im Heimatdistrikt. Eine Bedrohung bzw. Verfolgung außerhalb seines Heimatortes, insbesondere in der Stadt Mazar- e Sharif, wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert vorgebracht.

 

Nach Mazar-e Sharif selbst könnte der Beschwerdeführer auch von Österreich aus sicher reisen und würden so insbesondere keine Gefahr laufen, bei einem - z.B. am Weg errichteten - Checkpoint der Taliban kontrolliert zu werden.

 

3.2.1.5. Aus der Gesamtschau aller oben genannten Umstände und dem daraus abzuleitenden Bild folgt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen - auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien sowie der Leitlinien des EASO betreffend die Relevanz einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bei Verfolgung durch regierungsfeindliche Elemente sowie der darin aufgezeigten Erforderlichkeit, dass der angenommene Neuansiedlungsort dauerhaft und nicht nur vorübergehenden Schutz bietet - keine maßgeblich wahrscheinliche (und nicht bloß entfernt mögliche) Gefährdung durch Verfolgungshandlungen durch die Taliban bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. insbesondere bei einer angenommenen Neuansiedelung in der Stadt Mazar- e Sharif bzw. wurde eine solche auch nicht glaubhaft gemacht.

 

3.2.1.6. Zu den im gegenständlichen Fall gegeben, sonstigen Voraussetzungen der Stadt Mazar-e Sharif als Ort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative i.S.d. § 11 AsylG 2005 siehe die Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.

 

3.2.2. Mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers als Angehöriger seines Vaters bzw. als Mitglied der sozialen Gruppe seiner Familie:

 

3.2.2.1. Aus den getroffenen Feststellungen folgt auch keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefahr von Verfolgungshandlungen gegen die Familie des Beschwerdeführers:

 

3.2.2.2. So konnten nach Durchführung dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechender Ermittlungstätigkeiten vor dem Hintergrund des vom Beschwerdeführer getätigten Vorbringens bei Gegenüberstellung mit den getroffenen Länderfeststellungen keine Feststellungen über gegen seinen Vater gesetzte Handlungen oder Maßnahmen von Seiten der Taliban getroffen werden. Vielmehr geht aus den Darstellungen des Beschwerdeführers - wie unter Pkt. II.2.2. dargestellt - hervor, dass - bei Wahrunterstellung - der Angriff der Taliban auf den Transportkonvoi seinen Vater nur zufällig getroffen hat.

 

3.2.2.3. Auch zeigen die festgestellten Länderinformationen in ihrem Gesamtbild keine besonders erhöhte bzw. zwingende Gefahr der Verfolgung von Familienangehörigen von Personen auf, welche unter ein Risikoprofil fallen (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Zur möglichen Verfolgung durch die Taliban" - "Situation von Familienmitgliedern - Mögliche Gefahren für Angehörige"). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Risikoprofil des Vaters wiederum (wenn man ihn als Unterstützer ausländischer Streitkräfte ansieht) ein nur mittelmäßiges (verglichen etwa zu einem Angehörigen von Streitkräften selbst, einem Dolmetscher oder Menschenrechtsaktivisten).

 

3.2.2.4. Aufgrund dieses Tatsachensubstrats finden sich für das Bundesverwaltungsgericht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (und nicht bloß der entfernten Möglichkeit) Verfolgungshandlungen aufgrund der Zugehörigkeit zu seiner Familie - insbesondere seinem Vater - ausgesetzt sein wird. Damit liegt jedoch auch keine wohlbegründete Furcht vor solchen Handlungen vor.

 

3.2.2.5. Überdies lassen sich die die Erwägungen unter Pkt. 3.2.1.4. f betreffend eine i.S.d. § 11 AsylG 2005 offenstehende innerstaatlichen Fluchtalternative - so man doch von einer aktuelle Gefahr von Verfolgungshandlungen aufgrund der Angehörigeneigenschaft ausginge - auch auf die unter diesem Punkt angestellten Erwägungen übertragen.

 

3.2.3. Sonstige mögliche asylrelevante Gründe:

 

3.2.3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Umstand, dass im Heimatland des Revisionswerbers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404, Rz. 7 m.w.N.). Auch eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Überhaupt rechtfertigen wirtschaftliche Gründe nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn dem Beschwerdeführer der völlige Verlust seiner Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

3.2.3.2. Eine Asylrelevanz im Hinblick auf sonstige Gründe ist aus dem festgestellten Sachverhalt bzw. dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich: Während einer kriegerischen Situation als solches keine Asylrelevanz zukommt hätte der Beschwerdeführer bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat jedenfalls auch eine Existenzgrundlage (s. dazu die weitergehenden Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.).

 

3.2.4. Ergebnis:

 

3.2.4.1. Insgesamt ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen - insbesondere, aber nicht ausschließlich bei Berücksichtigung der gegenständlich als möglich angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative (s. auch nachstehenden Absatz) -, eine ihm bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, die Intensität von Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 erreichende Gefahr glaubhaft zu machen. Dies trifft auch bei Vornahme einer Gesamtbetrachtung zu.

 

3.2.4.2. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass - die übrigen Voraussetzungen liegen vor (s. Pkt. II.3.4.2.) - auch im Verfahren nach Durchführung dem § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechender Ermittlungsschritte keine Anhaltspunkte hervorgekommen wären, dass dem Beschwerdeführer am angenommenen Neuansiedlungsort aus anderen Gründen Verfolgungshandlungen i.S.d. Art. 9 Statusrichtlinie drohen würden.

 

3.2.4.3. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit unbegründet.

 

3.2.5. Zum gestellten Beweisantrag bzw. zur Anregung auf Durchführung einer Vor-Ort-Recherche betreffend die Gegenprüfung des Inhalts von vorgelegten Urkunden:

 

3.2.5.1. Gleichzeitig mit der Vorlage eines Bestätigungsschreibens von "Dorfältesten" beantragte der Beschwerdeführer - bzw. "regte" dies zumindest an - im Rahmen der mündlichen Verhandlung (s. VHS S. 20) und nochmals in der Stellungnahme vom 16.02.2019 (s. deren S. 2) die Bestellung eines länderkundlichen Sachverständigen gemäß § 52 Abs. 2 AVG, zum Beweis dafür, dass es sich bei dem vorgelegten Bestätigungsschreiben (Beilage ./1 zur VHS bzw. Anlage ./1 und ./2 der Stellungnahme vom 16.02.2019) um eine echte und richtige Urkunde handelt, sowie hinsichtlich der Feststellung der Richtigkeit des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Fluchtgeschichte. Als mögliche durchführende Stellen für Recherchen in Afghanistan wurden bestimmte Einzelpersonen, Vertrauensanwälte der Österreichischen Botschaft in Pakistan sowie die Staatendokumentation genannt.

 

3.2.5.2. § 18 AsylG 2005 legt den Asylbehörden und dem Gericht die Verpflichtung auf, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen (vgl. etwa VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0082). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist es einem österreichischen Gericht nicht erlaubt, hoheitliche Ermittlungstätigkeiten im Herkunftsstaat eines Antragstellers durchzuführen. Davon zu unterscheiden sind jedoch zulässige allgemein gehaltene Auskünfte, die von den Asylbehörden im Wege österreichischer Vertretungsbehörden im Heimatland eines Asylwerbers eingeholt werden, zumal sie keine hoheitliche Tätigkeit im fremden Staat mit sich bringen. An solchen Erhebungen im Rahmen der Amtshilfe sind die Asylbehörden bzw. Gerichte nicht gehindert (etwa VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0220, m. w.N.). Ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat besteht jedoch nicht. Die Beurteilung der Erforderlichkeit im Sinn des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 derartiger Erhebungen im Herkunftsstaat obliegt der ermittelnden Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 04.09.2018, Ra 2018/01/0355, m.w.N.). Dabei soll die Staatendokumentation soll nach ihrem gesetzlichen Auftrag nicht Ermittlungen dahingehend anstellen, ob sich bestimmte, vom Asylwerber behauptete Ereignisse, die für ihn fluchtauslösend gewesen sein sollen, tatsächlich ereignet haben, soweit es sich dabei nicht um solche handelt, die die Situation im Herkunftsstaat allgemein betreffen (vgl. VwGH 20.03.2019, Ra 2019/20/0056, m.w.N.). Doch auch eine mögliche Recherchetätigkeit durch andere Personen oder Stellen hält das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen nicht für erforderlich:

 

So standen dem Bundesverwaltungsgericht aktuelle Informationen sowohl zu Schreiben der Taliban wie auch zu Vorgängen mit den Taliban insgesamt zur Verfügung, aufgrund welcher ergänzt um Einvernahmen des Beschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachvollziehbare Erwägungen zu den fallbezogen zu treffenden Feststellungen angestellt werden konnten. Im Lichte der Auseinandersetzung mit den Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und die daraus abzuleitende, offensichtliche Unglaubwürdigkeit (s. dazu unter Pkt. II.2.2.) kommt es sodann jedoch nicht mehr auf die Einholung von Erkundigungen vor Ort - etwa durch einen länderkundlichen Sachverständigen - an, ob dessen Angaben- insbesondere in der Stellungnahme vom 16.02.2019 - betreffend die von den Dorfältesten verwendeten Siegeln der Wahrheit entsprechen oder nicht.

 

3.2.5.3. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers wurden - dies insbesondere betreffend eine mögliche Gefährdungssituation durch die Taliban, zur Sicherheitslage sowie den sozioökonomischen Rahmenbedingungen am angenommenen Ort einer innerstaatlichen Fluchtalternativen - umfangreiche Feststellungen basierend auf Länderinformationen der Staatendokumentation, des EASO und UNHCR getroffen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Bestellung eines nichtamtlichen, länderkundlichen Sachverständigen nicht als erforderlich (s. i.d.Z. auch die Entscheidung VwGH 22.10.2018, Ra 2018/20/0446).

 

3.2.5.4. Dem Beweisantrag bzw. der Anregung auf Vor-Ort-Recherchen zu den Behauptungen des Beschwerdeführers brauchte somit nicht nachgekommen zu werden.

 

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Abweisung des Antrags auf Zuerkennung subsidiären Schutzes)

 

3.3. Rechtsgrundlagen:

 

3.3.1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist. Nach Art. 2 Abs. 2 leg. cit. wird eine Tötung nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

 

a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

 

b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

 

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

3.3.2. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

 

3.3.3. § 8 Abs. 1 bis 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht."

 

3.3.4. Art. 15 Statusrichtlinie lautet samt Überschrift:

 

"Ernsthafter Schaden

 

Als ernsthafter Schaden gilt

 

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

 

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

 

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts."

 

3.4. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. Bei der Beurteilung, ob einem Antragsteller der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH hat ein Drittstaatsangehöriger nur dann Anspruch auf subsidiären Schutz, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, eine der drei in Art. 15 der Richtlinie definierten Arten eines ernsthaften Schadens zu erleiden (vgl. EuGH 24.02.2018, Rs. C-353/16 , MP, Rz. 28, m.w.N.). Der EuGH weist darauf hin, dass zwar das durch Art. 3 EMRK garantierte Grundrecht zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, deren Einhaltung der Gerichtshof sichert, und dass für die Auslegung seiner Reichweite in der Gemeinschaftsrechtsordnung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Berücksichtigung findet, dass es aber Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie ist, der im Wesentlichen Art. 3 EMRK entspricht. Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie hingegen ist eine Vorschrift, deren Inhalt sich von dem des Art. 3 EMRK unterscheidet und die daher, unbeschadet der Wahrung der durch die EMRK gewährleisteten Grundrechte, autonom auszulegen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, Rs. C-465/07 , Elgafaji, Rz. 28). § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist unionsrechtskonform so auszulegen, dass die Zuerkennung subsidiären Schutzes eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat oder eine Verursachung durch Akteure voraussetzt, jedoch nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

3.4.3. Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c Statusrichtlinie und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, Rz 24, unter Hinweis auf die Urteile des EuGH vom 07.02.2009, Rs. C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, Rs. C-85/12 , Diakite).

 

3.4.4. Folgende, grundsätzliche Rechtsprechung des Verfassungs- wie des Verwaltungsgerichtshofs ist jedoch auch bei einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 aus Sicht des erkennenden Gerichts auch im Lichte des erwähnten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs vom 06.11.2018 weiterhin von Relevanz:

 

Bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt ist zunächst die Heimatregion des Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen (vgl. VfGH 13.09.2013, U370/2012). Im Hinblick auf die Prüfung subsidiären Schutzes hat der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation durch konkrete, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH 02.08.2000, 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). Notorische Entwicklungen im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, auch wenn sie "bloß" für die Entscheidung nach § 8 AsylG 2005 von Relevanz sind, müssen von Amts wegen berücksichtigt werden (VwGH 29.1.2002, 2001/01/0030). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates bei der Frage der Zuerkennung subsidiären Schutzes entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. etwa VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

3.4.6. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. Zur Situation in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt des Beschwerdeführers:

 

3.4.1.1. Der Beschwerdeführer stammt aus der afghanischen Provinz Kapisa und dort aus dem Distrikt Tagab. Die zu dieser Provinz festgestellten Länderinformationen zeigen (oben Pkt. II.1.5.2.), dass die Provinz zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans zählt, jedoch hat sich die Sicherheitslage in einigen abgelegenen Gebieten der Provinz in den letzten Jahren verschlechtert. So sind regierungsfeindliche Gruppierungen - zu denen Taliban und IS zählen - u.a. auch im Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers aktiv. Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 83 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften.

 

3.4.1.2. Aufgrund einer aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts unverändert anzusehenden Lage kommt das EASO zum Schluss, dass die "willkürliche Gewalt" in der Provinz Kapisa ein solches Niveau erreicht hat, dass ein in die Provinz zurückgekehrter Zivilist einem tatsächlichen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 lit. c Statusrichtlinie zu erleiden dann ausgesetzt sein kann, wenn Umstände, welche in der persönlichen Sphäre des Zivilisten gelegen sind, hinzutreten. (s. EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 84).

 

3.4.1.3. Obwohl der Beschwerdeführer mehrere Jahre nicht mehr in seiner Heimatprovinz gelebt hat, stünde diesem aufgrund des Kontaktes zu seiner Familie - insbesondere seinem Onkel - bei Rückkehr grundsätzlich eine - jedenfalls vorübergehende - Unterkunft zur Verfügung. Gegenständlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer aus dem Distrikt Tagab stammt, in welchem den Länderinformationen folgend regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und wo es auch zu regelmäßigen Zusammenstößen zwischen diesen und den Sicherheitskräften kommt. Somit ist bei Rückkehr des Beschwerdeführers dennoch von einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens i.S.d. Art. 15 lit. c Statusrichtlinie auszugehen. Von einer entsprechend ausreichenden staatlichen Schutzfähigkeit im Herkunftsdistrikt kann in Anbetracht der den Länderinformationen zu entnehmenden Zustände des Sicherheits- und Justizapparats grundsätzlich nicht ausgegangen werden (s. dazu oben Pkt. II.1.5.1. "Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan" sowie "Sicherheitsbehörden in Afghanistan" bzw. auch die grundsätzliche Vermutung im EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 96).

 

3.4.1.5. Damit stünde dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes betreffend den Herkunftsstaat Afghanistan zu. Allerdings steht ihm fallbezogen in diesem Staat mit der Stadt Mazar-e Sharif eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen. Dazu im Folgenden im Einzelnen:

 

3.4.2. Zu einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative:

 

3.4.2.1. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist gemäß § 11 AsylG 2005 bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen zu bejahen:

 

(i) Einem Asylwerber muss in einem Teil seines Herkunftsstaats vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden können.

 

Schutz ist gewährleistet, wenn

 

(i) a) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und

 

(i) b) die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(ii) Dem Asylwerber muss der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebiets zugemutet werden können.

 

3.4.2.2. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

3.4.2.3. Bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind, insbesondere im Hinblick auf den Herkunftsstaat Afghanistan folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.4.2.4. Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

3.4.2.5. Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass ein Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

3.4.2.6. Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459).

 

3.4.2.7. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr unter anderem innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit (zuletzt etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118 m.w.N.).

 

3.4.2.8. Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, ausgesprochen, dass mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können muss, dass der Asylwerber in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere unter Hinweis auf die Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4 sowie der Statusrichtlinie auch festgehalten, dass die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative danach zu beurteilen ist, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann.

 

3.4.2.9. Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und seiner persönlichen Umstände steht dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Dazu im Folgenden im Einzelnen:

 

Ad (i) a)

 

3.4.2.10. Wie oben unter Pkt. II.3.2. zu den getroffenen Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erwogen, hat dieser bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. die Stadt Mazar-e Sharif keine ihm drohende asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daraus folgt, dass auch keine "wohlbegründete Furcht" nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegt.

 

Ad (i) b)

 

Zur Sicherheitslage und Erreichbarkeit in bzw. der Stadt Mazar-e Sharif als Ort der möglichen Neuansiedlung

 

3.4.2.11. Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft ist zunächst festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen (Pkt. II.1.5.3. "Lage in der Stadt Mazar-e Sharif" "Sicherheit") jedenfalls als unter Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist. Auch ergibt sich daraus nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre.

 

Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den ruhigen Provinzen in Nordafghanistans mit im Jahr 2017 neun zivilen Opfern auf 100.000 Einwohnern. Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Aus dem erwähnten Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge bzw. sonstige sicherheitsrelevante Vorfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter ("high-profile"-Ziele) wie insbesondere Regierungseinrichtungen oder Armeestützpunkte, in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch begründet aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Vorfall ausgelöst durch regierungsfeindliche Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für den Beschwerdeführer noch keine stichhaltigen Gründe dafür, dass allein durch seine Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich die Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein: Die in Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereigneten sich hauptsächlich im Nahebereich der dargestellten "high-profile"-Ziele. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten und auch bei Berücksichtigung bestimmter, üblicherweise zu erwartender Bewegungen des Beschwerdeführers nach seiner Neuansiedlung (insbesondere der Weg zu Orten des Einkaufs von Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu [möglichen, zukünftigen] Arbeitsstätten oder medizinischen Einrichtungen) nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass von einem bereits erreichten Gewaltausmaß, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der Beschwerdeführer tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Mazar-e Sharif Opfer eines Gewaltaktes werden würde, gesprochen werden muss. Dies insbesondere, wenn man dabei die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl von Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüberstellt.

 

Auch das EASO geht (vgl. dazu EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 99) vor dem Hintergrund von Art. 8 der Statusrichtlinie - und unter Bezugnahme auf eine nach wie vor als aktuell anzusehende Länderberichtslage (was sich insbesondere aus der oben unter Pkt. II.1.5.3.festgestellten, auf noch aktuelleren Berichten fußenden Lage vor Ort erschließt) - grundsätzlich davon aus, dass das Ausmaß der willkürlichen Gewalt in Mazar-e Sharif nicht ein so hohes Niveau erreicht, dass ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einem tatsächlichen Risiko eines schweren Schadens ausgesetzt wäre.

 

3.4.2.12. Besondere, sich also von der übrigen Bevölkerung unterscheidende Gefährdungsmomente betreffend den Beschwerdeführer, wonach dieser in Kombination mit der Sicherheitslage (bzw. deren Erreichbarkeit) in der Stadt Mazar-e Sharif einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre, wurden von diesem weder substantiiert vorgebracht, noch sind solche sonst im Verfahren hervorgekommen. Insbesondere ist auch nicht hervorgekommen, dass sich der Beschwerdeführer bei Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif häufig an den oben angegebenen - mit höherer Wahrscheinlichkeit von Anschlägen regierungsfeindlicher Elemente betroffenen - Orten aufhalten werde.

 

3.4.2.13. Der Beschwerdeführer könnte Mazar-e Sharif über den Luftweg aufgrund des vorhandenen, internationalen Flughafens praktikabel, sicher und legal erreichen: Der Flughafen liegt zwar etwa acht Kilometer außerhalb des Stadtgebiets, jedoch wirft die Fahrt vom Flughafen in die Stadt während der Tageszeit keine Bedenken im Hinblick auf ein reales Risiko eines ernsthaften Schadens für den Beschwerdeführer im Lichte von Art. 15 Statusrichtlinie auf (s. EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 102, unter Hinweis auf Länderinformationen, welche als ausreichend aktuell anzusehen sind).

 

Zur möglichen Zuerkennung subsidiären Schutzes aus sonstigen Gründen

 

3.4.2.14. Auch sonstige, auf die Stadt Mazar-e Sharif als Zielort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bezogene Gründe für die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigten sind fallbezogen nicht ersichtlich. Insbesondere ist in Ansehung des nicht glaubhaft gemachten Fluchtvorbringens i.Z.m. einer Verfolgung durch die Taliban (s. die Erwägungen dazu oben unter Pkt. II.2.2.) und der Sicherheitslage am angenommenen Ort der Rückkehr, der Stadt Mazar-e Sharif, welche jedenfalls unter Kontrolle der Regierung steht und nicht umkämpft ist auf kein - auch reales - Risiko für einen ernsthaften Schaden durch einen Akteur i.S.d. Art. 15 lit. b Statusrichtlinie zu schließen.

 

Ad ii)

 

3.4.2.15. Angesichts der Feststellungen zu seiner Person, seinem bisherigen Lebensweg bzw. der festgestellten allgemeinen Lage vor Ort kann dem Beschwerdeführer eine Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif zugemutet werden Dazu sind eingangs folgende allgemeine Leitlinien bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu beachten:

 

3.4.2.16. Nach den rechtlich unverbindlichen UNHCR-Richtlinien, welchen aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besondere Beachtung zu schenken ist (s. etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118), hängt die Beantwortung der Frage, ob einem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren ab. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden (vgl. Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4 "Interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative" vom 23.07.2003, Rz. 23 ff). Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens wird in den erwähnten Richtlinien an der genannten Stelle u.a. ausgeführt, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

3.4.2.17. Der UNHCR erachtet eine innerstaatliche Fluchtalternative an einem anderen Ort spezifisch in Afghanistan als dem Herkunftsort nur dann als zumutbar, wenn der Einzelne Zugang zu (i) Unterkünften, (ii) grundlegenden Dienstleistungen wie sanitäre Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Existenzgrundlagen oder bewährte und nachhaltige Unterstützung hat, um den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Darüber hinaus hält der UNHCR eine innerstaatliche Fluchtalternative nur dann für angemessen, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetz von Mitgliedern ihrer (Groß‑)Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im Bereich der zukünftigen Umsiedlung hat, die als bereit und in der Lage beurteilt wurden, den Antragsteller in der Praxis wirklich zu unterstützen. Der UNHCR ist - und darauf weisen die Beschwerdeführer in ihren Stellungnahmen vom 10.10.2018 ausdrücklich hin - der Ansicht, dass die einzige Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung alleinstehende Männer und Ehepaare im erwerbsfähigen Alter ohne identifizierte spezifische Vulnerabilitäten sind. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die über die notwendige Infrastruktur und die Möglichkeit verfügen, die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu befriedigen, und die unter wirksamer staatlicher Kontrolle stehen (UNHCR-Richtlinien, S. 110).

 

3.4.2.18. Zur Vorgängerversion der UNHCR-Richtlinien aus dem Jahr 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es auf einen "gesicherten" Zugang zu den erwähnten Kriterien dabei allerdings nicht ankommt (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, Rz. 23). Diese Rechtsprechungslinie ist - auch in Anbetracht des dahingehend weiterhin unveränderten Wortlauts der Richtlinien (s. auf S. 110 sowie S. 86 der Richtlinien aus dem Jahr 2016) - aus Sicht des erkennenden Gerichts weiterhin beachtlich.

 

3.4.2.19. Mit Ausnahme der Stadt Kabul behalten - wenngleich auch auf aktuelle Vorkommnisse etwa einer Dürresituation u.a. in der Provinz Balkh und überhaupt die hohe in die größeren Städte einströmende Zahl an Rückkehrern bzw. Binnenvertriebenen hingewiesen wird - auch die am 30.08.2018 vom UNHCR publizierten Richtlinien zu Afghanistan die Sichtweise zu den Voraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative grundsätzlich bei: Eine Fluchtalternative wird für andere urbane und semi-urbane Gebiete bzw. größere Städte nicht - bereits als Grundsatz - ausgeschlossen, jedoch weist der UNHCR auf einige bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigende - allgemeine - Umstände hin bzw. wirft bestimmte Probleme auf (vgl. i.d.Z auch VfGH 30.11.2018, E 3870/2018, Rz. 3.4., sowie VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rz. 25). Zu diesen Umständen bzw. Problemen gehören vor allem die hohe Anzahl an einströmenden Binnenflüchtlingen und Rückkehrern, eine Dürresituation im Westen Afghanistans, auf ein steigendes Armutsniveau wie auch darauf hin, dass ein Großteil der städtischen Bevölkerung in Unterkünften lebt, welche nach der Definition von UN-Habitat als "Slum" bzw. "informelle Siedlung" einzustufen sind (vgl. unter Pkt. C.3 der UNHCR-Richtlinien).

 

3.4.2.20. Aus Sicht des EASO (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 109) - und dessen auf (auch der Aktualität und Umfang nach den den UNHCR-Richtlinien zugrundeliegenden Länderinformationen weitgehend - eine Abweichung ist etwa im Hinblick auf die Berücksichtigung der aktuellen Dürresituation für das Bundesverwaltungsgericht erkennbar - entsprechenden, s. insbesondere die in den FN 679 ff der UNHCR-Richtlinien zitierten Berichte / Quellen gegenüber den Quellen, auf welchen die EASO-Berichte Sozioökonomie und Netzwerke beruhen) einer als ausreichend aktuell und vollständig erhobenen Länderberichtslage basierenden Schlussfolgerungen nehmen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. b EU-Asylverfahrensrichtlinie bzw. Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie eine den Richtlinien des UNHCR vergleichbare Stellung ein (vgl. dazu das erwähnte Erkenntnis des vom 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, Rz. 22) - ist eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Masar-e-Sharif, Herat und Kabul für alleinstehende Männer, welche zuvor in Afghanistan gelebt haben, grundsätzlich als zumutbar zu erachten, auch wenn es in dem Neuansiedlungsgebiet kein Unterstützungsnetzwerk gibt. So brächte die Situation der Neuansiedlung gewisse Härten mit sich, allerdings zieht das EASO den Schluss, dass derartige Personen in der Lage sind, deren Grundbedürfnisse, Unterkunft und Hygiene sicherzustellen; dies sofern nicht aus deren persönlichen Umständen auf zusätzliche Vulnerabilitäten zu schließen ist. Die folgenden Umstände sind nach dem EASO dabei jeweils im Einzelfall in Betracht zu ziehen: Alter, Geschlecht, Familienstand, Gesundheitszustand, sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, Kenntnisse der lokalen Bedingungen, Unterstützungsnetzwerk und Religion.

 

3.4.2.21. Soweit von Relevanz kann verfügbare Reintegrationsunterstützung auch als zusätzlicher Faktor berücksichtigt werden, der vorübergehend zur Reintegration in Afghanistan beiträgt (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 105).

 

3.4.2.22. Im Hinblick auf die allgemeinen Gegebenheiten am Ort der innerstaatlichen Fluchtalternative ist vor dem Hintergrund der erwähnten Indizien gegenständlich Folgendes zu erwägen:

 

3.4.2.23. Bereits oben unter Pkt. II.3.2.1. wurde vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichtslage festgehalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif vollkommen unter Kontrolle der afghanischen Regierung steht.

 

3.4.2.24. In der Stadt Mazar-e Sharif stehen nach den Länderinformationen ausreichend (einfache) Unterkünfte zur Verfügung. Insbesondere kann - wie dies Landinfo im EASO-Bericht Netzwerke aufzeigte - anstelle einer ganzen Wohnung ein einzelnes (und damit gegenüber einem ganzen Apartment deutlich günstigeres) Zimmer gemietet werden, z.B. vorübergehend in einem "Teehaus" ("tea house"). Es ist zu berücksichtigen, dass nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine einzelne Person eine ganze Wohnung für sich mieten müsste. So könnte auch eine Wohnung von mehreren Personen/Rückkehren, jedenfalls für eine Übergangszeit, geteilt werden, was die Mietkosten (erheblich) senken würde. Auch wenn ein Großteil der Unterkünfte in Mazar-e Sharif - in welchen also auch die bereits ansässige Bevölkerung zum Großteil lebt - aufgrund des Fehlens zumindest einer der folgenden Voraussetzungen: (i) Zugang zu behandeltem Wasser, (ii) Zugang zu behandeltem Abwasser, (iii) ausreichend Wohnraum (keine Überfüllung), (iv) bauliche Qualität der Gebäude und (v) Rechtssicherheit nach der seit 2003 geltenden, auf internationaler Ebene akkordierten Definition als "Slum" oder "informelle Siedlung" zu qualifizieren sind (s. dazu etwa UN-Habitat, Global Report on Human Settlements, 2003, abrufbar unter:

https://unhabitat.org/books/the-challenge-of-slums-global-report-on-human-settlements-2003/ [abgerufen am 02.05.2019], S. 12), so ist vor dem Hintergrund der Feststellungen zu Situation in der Stadt Mazar-e Sharif (s. oben Pkt. II.1.5.3. "Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif") dennoch davon auszugehen, dass auch außerhalb von - nicht mehr als zumutbar anzusehenden - Elendsvierteln eine Unterkunft gefunden werden kann, welche einem Standard entspricht, wie er eben auch der dort bereits lebenden Bevölkerung zur Verfügung steht bzw. von dieser genutzt wird.

 

3.4.2.25. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich zu sanitärer Infrastruktur, sind in der Stadt Mazar-e Sharif gegeben. Diese ist nach der festgestellten Berichtslage auch als eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans anzusehen. Die Lage vor Ort wird derzeit allerdings nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen - s. dazu auch die Hinweise des UNHCR auf S. 111 - durch eine derzeit auch die Provinz Balkh betreffende Trockenperiode (Dürre) in relevantem Ausmaß beeinträchtigt. So ist laut Einschätzung des "Famine Early Warning Systems Network" ("FEWS NET") aus Februar 2018 die Situation in Mazar-e Sharif betreffend die Ernährungslage als "angespannt" (engl. "stressed") einzustufen. Nach der Prognose des FEWS-NET wird dieser Zustand jedenfalls bis Mai 2019 anhalten. Die Einstufung bedeutet, dass selbst mit humanitärer Hilfe zumindest einer von fünf Haushalten in einem als angespannt eingestuften Gebiet über eine minimal ausreichende Ernährungslage verfügt (s. das Klassifikationshandbuch von FEWS-NET, S. 32, abrufbar unter:

http://fews.net/sites/default/files/uploads/IPC-Manual-2-Interactive.pdf , abgerufen am 02.05.2019).

 

Aktuell beobachtet das FEWS-NET, dass es aufgrund nunmehr starker Regenfälle zu Überschwemmungen kommt. Dies jedoch in den Gebieten Badghis, Farah, Herat, Helmand, Kandahar, Khost und Zabul, was zur Vertreibung von über 35.000 Menschen und zur lokalen Zerstörung von Infrastruktur, Bewässerungskanälen und Anbaugebieten. Hinweise darauf, dass sich die Lage in der Stadt Mazar-e Sharif bzw. der Provinz Balkh ähnlich darstellt, gibt es nicht (s. unter fews.net "Observations"). In der - den getroffenen Feststellungen zur Lage vor Ort zugrunde gelegten - Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus September 2018 wird überdies darauf hingewiesen, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im "Umland" von Mazar-e Sharif kommt. Darüber, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif selbst keine ausreichende Wasser- oder Lebensmittelversorgung gäbe, ist den aktuellen Berichten jedoch nicht zu bzw. - was sich aus der von ACCORD zusammengestellten Berichtslage ergibt - ist die Trinkwasserversorgung soweit gegeben. Jedenfalls wird auch über entsprechende - teilweise auch international unterstützte - staatliche Reaktionen und Hilfsmaßnahmen berichtet. Aufgrund der Dürre soll es zu geringeren Getreideernten kommen, die Getreidepreise liegen jedoch aufgrund guter Ernten im Iran und in Pakistan in Mazar-e Sharif aber dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Und auch die Löhne in Mazar-e Sharif liegen trotz der Dürre im Mai 2018 um 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt. Auch die festgestellten Informationen des UNHCR von Ende 2018 zeigen auf, dass die Lebensmittelversorgung grundsätzlich in der Stadt Mazar-e Sharif gesichert ist.

 

3.4.2.26. Es ist dabei bzw. somit nicht zu übersehen, dass nach den festgestellten Informationen die wirtschaftliche Lage sowie Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in der Stadt Mazar-e Sharif bzw. aber auch der Provinz Balkh - insbesondere auch aufgrund der großen Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer, welche einströmen - jedenfalls als insbesondere im Hinblick auf die Wohnressourcen als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit auch dort hoch ist. Ebenso kann die im Vorabsatz abgehandelte aktuelle Trockenheit bzw. Dürre, nunmehr allenfalls - wohl in vergleichbarer Weise auch die Überschwemmungen - zu einem weiteren Einströmen führen. Gleichzeit ist jedoch aus den getroffenen Feststellungen zu schließen, dass die Stadt Mazar-e Sharif das Wirtschaftszentrum des Norden des Landes ist und eine höhere Industrialisierung als andere Städte in Afghanistan aufweist. Zudem hat Mazar-e Sharif grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen. Auch liegen die Löhne für Gelegenheitsarbeiten dort klar über dem Fünfjahresdurchschnitt (s. oben die auf Grundlage einer ganz aktuellen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation getroffenen Feststellungen unter Pkt. II.1.5.3. "Versorgung mit Lebensmitteln").

 

3.4.2.27. Es ist auch möglich, in der Stadt Mazar-e Sharif eine medizinische Einrichtung bei Bedarf in Anspruch zu nehmen: Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass in Mazar-e Sharif sowohl Zugang zu medizinischen Einrichtungen als auch zu Medikamenten besteht. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste umsonst an, Medikamente sind zumindest in privaten Apotheken verfügbar. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den öffentlichen Krankenhäusern umsonst.

 

3.4.2.28. Insgesamt ist festzuhalten, dass die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer auch in der Stadt Mazar-e Sharif sicherlich schwierig sind. Ein - wenngleich mit nicht unerheblichen Hürden verbundener - Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ist in der Stadt Mazar-e Sharif jedoch gegeben. Zwar fallen - nach der festgestellten, auf dem EASO-Bericht Sozioökonomie beruhenden Länderinformationen - auch dort ein Drittel der Haushalte unter die städtische Armut ("urban poor"), d.h. nur rund 30 USD pro Person pro Haushalt. Es ist nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass insgesamt nicht die Grundlage bzw. (Lebens-) Bedingungen an sich für die - in weiterer Folge, wie nachstehend auch erwogen, dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen abhängig - Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines angemessenen Lebensstandards ("adequate living standard") grundsätzlich vorhanden wären (s. dazu auch EASO-Länderleitfaden Afghanistan S. 104 f bzw. S. 110 der UNHCR-Richtlinien).

 

Auch die vergangene, angespannte Dürresituation und die daraus fachlich prognostizierten, zuvor behandelten Wirkungen veranlasst für sich allein genommen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif nicht zur Schlussfolgerung, dass damit jegliche Neuansiedlung - insbesondere auch für Personengruppe ohne besondere Vulnerabilitäten - derzeit unmöglich wäre. So ist nur bei rund 20 Prozent aller auch im Distrikt Mazar-e Sharif der Provinz Balkh existierenden Haushalte von einer Situation auszugehen, in welcher Personen neben der Sicherstellung der angemessenen Lebensmittelversorgung nicht auch noch in der Lage sind weitere erforderliche, nicht auf Lebensmittel bezogene Ausgaben zu tätigen. Danach muss in der Provinz Balkh jedoch ein Großteil (4/5) der übrigen Haushalte - zumindest - zur Sicherstellung der Erfüllung von Lebensmittel und Nicht-Lebensmittelbedürfnissen das Leben nicht atypisch ändern oder wäre dahingehend von irgendwelchen humanitären Unterstützungsleistungen abhängig (s. im Umkehrschluss die Definition des FEWS-NET für die Stufe 1 - "Minimal" im dem oben dazu zitierten Handbuch des FEWS-NET).

 

3.4.2.29. Die allgemeinen Rahmenbedingungen schließen somit die Zumutbarkeit einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif als solches (noch) nicht aus. Zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers ist nun Folgendes in Betracht zu ziehen:

 

3.4.2.30. Beim Beschwerdeführer handelt es sich nach den zu seiner Person getroffenen Feststellungen um einen gesunden, mobilen, alleinstehenden, jungen arbeits- und leistungsfähigen Mann. Er verfügt zwar in der Stadt Mazar-e Sharif über kein - in Afghanistan nach der festgestellten Länderberichtslage grundsätzlich bzw. auch für Rückkehrer sehr bedeutsames - soziales Netzwerk. Er spricht jedoch die beiden Landessprachen, Paschtu und Dari. Daneben spricht er auch noch Farsi und Deutsch. Er verfügt außerdem über eine elfjährige Schulausbildung in Afghanistan sowie über Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer wuchs selbst auch in Afghanistan auf und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in diesem Land. Er ist somit mit den dortigen örtlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut. Sein Onkel mütterlicherseits, zu welchem der Beschwerdeführer auch in Kontakt steht, sowie der jüngste Bruder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in seinem Heimatdistrikt in Afghanistan. Es ist auch davon auszugehen, dass ihn sein Onkel bei einer Rückkehr nach Afghanistan in geringem Ausmaß finanziell unterstützen könnte (s. dazu oben bei Pkt. II.2.4.).

 

3.4.2.31. Überdies bietet der afghanische Staat seit Dezember 2016 Unterstützungsleistungen für Rückkehrer aus Europa im Rahmen eines mehrdimensionalen Ansatzes ("whole of community") an. Schließlich kann der Beschwerdeführer daneben - auch finanzielle - Rückkehrhilfe seiner Familie sowie aus besonderen Programmen in Kooperation mit der IOM in Anspruch nehmen (s. dazu oben bei Pkt. II.1.4.). Damit sollte, dies hält auch UNHCR nach der Anfragebeantwortung von ACCORD fest, jedenfalls die Grundversorgung für die ersten Monate am Neuansiedlungsort - dies nun auch unter Berücksichtigung der mit der Dürreperiode verbundenen Implikationen (Auswirkungen auf Nahrungsmittelpreise, zusätzlicher Druck auf die zur Schaffung einer neuen Lebensgrundlage erforderlichen Ressourcen durch zusätzliches Einströmen von Binnenvertriebenen) - gesichert sein.

 

3.4.2.32. Der Beschwerdeführer gehört auch keinem Personenkreis mit besonderen Bedürfnissen (z.B. Menschen mit schweren Erkrankungen oder Familien mit kleinen Kindern) an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger, also etwa in Folge einer schweren Erkrankung oder aufgrund des fortgeschrittenen Alters, darstellt als die übrige Bevölkerung in der Stadt Mazar-e Sharif, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann.

 

3.4.2.33. Die Volksgruppe der Paschtunen bzw. die sunnitischen Muslime stellen einen der größten Bevölkerungsanteile in Mazar-e Sharif dar. Dieser Volksgruppe bzw. Glaubensrichtung gehört der Beschwerdeführer an.

 

3.4.2.34. Der Beschwerdeführer kann durch die Inanspruchnahme der bereits erwähnten, verfügbaren Rückkehrhilfe sowie der möglichen familiären Unterstützung jedenfalls übergangsweise, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu einer einfachen Unterkunft, möglicherweise auch wie vom EASO hervorgehoben in einem "Teehaus" das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er am Neuansiedlungsort ebenso - zumindest anfänglich - nach den Länderfeststellungen durch auch in der Stadt Mazar-e Sharif verfügbaren Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Dies zeigt insbesondere die - wobei dann für die erste Zeit noch die in Anspruch zu nehmende Rückkehrunterstützung bzw. eine Unterstützung der eigenen Familie in Anspruch genommen werden kann - Verdienstmöglichkeit auch einer ungebildeten Arbeitskraft mit den zu aus den getroffenen, aktuellen Länderinformationen abzuleitenden bzw. zu erwartenden Preisen für Grundnahrungsmittel und Unterkunft vor Ort.

 

3.4.2.35. In Anbetracht des festgestellten Tatsachensubstrats zu den allgemeinen Gegebenheiten in Afghanistan, der Stadt Mazar-e Sharif nach aktueller Länderberichtslage im Besonderen und den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers kann gegenständlich davon ausgegangen werden, dass dieser anfangs und auch während einer gewissen Übergangsphase zwar mit - schon in Anbetracht der oben behandelten Rahmenbedingungen am Arbeits- und Wohnungsmarkts bzw. der allgemein angespannten Ressourcensituation, wenngleich durch die Rückkehrunterstützung bzw. weitere Unterstützungsmöglichkeiten zumindest in gewissem Umfang abgefederte - Schwierigkeiten konfrontiert sein wird Fuß zu fassen (insbesondere in Bezug auf die Erlangung einer Erwerbstätigkeit). Gleichzeitig ist zu prognostizieren, dass jedoch auch die Voraussetzungen vorliegen, danach ein mit anderen in der Stadt Mazar-e Sharif lebenden Afghanen vergleichbares (d.h. relativ normales) Leben ohne unbillige Härten bzw. mit einer mehr als bloß das Existenzminimum ermöglichenden Perspektive zu führen (s. dazu insbesondere das bereits erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.01.2018, Zl. Ra 2018/18/0001, mit Hinweis auch auf die bereits zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs vom 12.12.2017).

 

3.4.2.36. Insgesamt ist daher im gegenständlichen Fall - insbesondere auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen aufgrund einer im Grundsatz nach wie vor unveränderten Länderberichtslage relevanten allgemeinen Erwägungen und Schlussfolgerungen der UNHCR-Richtlinien sowie des EASO-Länderleitfadens Afghanistan - gemäß § 11 AsylG 2005 von einer mit der Stadt Mazar-e Sharif vorhandenen, - trotz fehlendem örtlichen (sozialen bzw. familiären) Netzwerks jedoch bei Berücksichtigung verfügbarer Rückkehrhilfen und in Anbetracht von Ausbildung und bisheriger (auch in Afghanistan selbst erlangter) Berufserfahrung - noch zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer auszugehen bzw. liegen für das Bundesverwaltungsgericht keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass er am Neuansiedlungsort in eine ausweglose, oder in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie insbesondere Nahrung und Unterkunft), in eine sogar lebensbedrohende Situation geraten würde.

 

3.4.3. Ergebnis:

 

3.4.3.1. Bei Gesamtbetrachtung aller im gegenständlichen Fall zu berücksichtigenden Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat bzw. bei Neuansiedlung an dem als nach den von § 11 AsylG 2005 geforderten Voraussetzungen - insbesondere im Hinblick auf die Freiheit von Gefahr und Risiko für Leib und Leben, die Möglichkeit der Ausübung der grundlegenden Menschenrechte bzw. auch des wirtschaftlichen Überlebens - mögliche innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Ort, der Stadt Mazar-e Sharif, kein ernsthafter Schaden droht seitens eines Akteurs oder infolge willkürlicher Gewalt droht.

 

3.4.3.2. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheids (Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise)

 

3.5. Rechtsgrundlagen:

 

3.5.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.5.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

3.5.3. Die §§ 55, 57 und 58 AsylG 2005 lauten:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

[...]

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

 

3.5.4. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

3.5.5. Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

[...]

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

[...]

 

§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

[...]

 

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

 

3.6. Zum Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz":

 

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet. Ein Anspruch auf die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" liegt daher in Bezug auf den Beschwerdeführer nicht vor.

 

3.7. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sowie einem Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung" oder eine "Aufenthaltsberechtigung plus":

 

3.7.1. Im Hinblick auf die Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.7.2. Ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 m.w.N.).

 

3.7.3. Es besteht ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. Das verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen (etwa VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034).

 

3.7.4. Das "Privatleben" ist nach der Rechtsprechung des EGMR ein weit gefasster Begriff, der nicht vollständig definiert werden kann und kann "mehrere Aspekte der physischen und sozialen Identität der Person umfassen (vgl. EGMR 16.12.1992, Niemietz v. Germany, Appl. 136170/88, Rz. 29; 29.04.2002, Pretty v. The United Kingdom, Appl. 2346/02, Rz. 61; 28.01.2003, Peck v. Großbritannien, Appl. 44647/98, Rz. 57 f.; 04.12.2008, Marper v. The United Kingdom, Appl. 30562/04 und 30566/04, Rz. 66).

 

Die EMRK garantiert aus Sicht des EGMR nicht das Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Ein Eingriff in das Privat- oder Familienleben einer Person verstößt jedoch gegen Art. 8 EMRK, es sei denn, er kann nach Absatz 2 des genannten Artikels als in Einklang mit der Rechtsordnung zur Erreichung der eines oder mehrere der darin aufgeführten legitimen Ziele bzw. als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" zur Erreichung dieser Ziele gerechtfertigt werden. Die zu beachtenden einschlägigen Kriterien für die Beurteilung, ob ein Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich ist, sind die folgenden: (i) die Art und Schwere einer vom Antragsteller begangenen Straftat und die seit der Begehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Antragstellers in diesem Zeitraum, (ii) die Aufenthaltsdauer im Staat, aus welchem er ausgewiesen werden soll, (iii) die Nationalitäten der verschiedenen betroffenen Personen, (iv) die familiäre Situation des Antragstellers, wie z.B. die Dauer der Ehe, und andere Faktoren, die die Wirksamkeit des Familienlebens eines Paares zum Ausdruck bringen, (v) ob der Ehepartner von einer Straftat zum Zeitpunkt des Eingehens einer Familienbeziehung wusste, (vi) ob es Kinder der Ehe gibt und wenn ja, ihr Alter, und (vii) die Schwere der Schwierigkeiten, auf die der Ehegatte in dem Land, in das der Antragsteller ausgewiesen werden soll, stoßen kann, (viii) das Wohl von Kindern, insbesondere die Intensität der Schwierigkeiten, auf die Kinder des Antragstellers in dem Land, in das der Antragsteller ausgewiesen werden soll, stoßen können; und (ix) die Wertigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Bestimmungsland (vgl. EGMR 25.07.2017, Krasniqi v. Austria, Appl. 41697/12, Rz. 46).

 

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 m.w.N.). Andererseits hat das Wissen um einen unsicheren Aufenthaltsstatus vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann (vgl. VwGH 24.01.2013, 2012/21/0212).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu. Das darf jedoch nicht als "Automatismus", wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verstanden werden, weil in außergewöhnlichen Konstellationen die Integration auch bei einer unter fünfjährigen Aufenthaltsdauer die öffentlichen Interessen überwiegen kann (30.07.2015, Ra 2014/22/0055).

 

Bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ist unter dem Gesichtspunkt von Bindungen zum Heimatstaat auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Schwierigkeiten eines Antragstellers beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188). Zu berücksichtigen können jedoch etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen sein (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

 

Unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens ist auch von Bedeutung, welche Verhältnisse konkret bei ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgefunden werden (VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0038). Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, welche nicht die von Art. 3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen, sind an Art. 8 EMRK zu messen (VfGH 21.09.2015, E 332/2015, unter Hinweis auf die Entscheidung EGMR 13.05.2008, Juhnke, Appl. 52.515/99).

 

3.7.4. Die sohin vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses daran, dass der Beschwerdeführer Österreich nach negativer Erledigung seines Antrags auf internationalen Schutz wieder verlässt mit dessen privaten Interessen an einem Verbleib ergibt Folgendes:

 

3.7.5. Für den Beschwerdeführer spricht gegenständlich, dass er in Österreich bereits zahlreiche integrativen Maßnahmen gesetzt hat: So hat er bereits mehrere Deutschkurse absolviert und so das Zertifikat für das Sprachniveau A2 erworben. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren. Derzeit besucht der Beschwerdeführer seit dem 02.10.2017 den Basisbildungskurs des XXXX im Rahmen des Bildungsprojektes " XXXX ". Ziel dieser Bildungsmaßnahme ist der Wechsel in einen Pflichtschulabschlusskurs.

 

Auch spricht für den Beschwerdeführer, dass er unbescholten ist.

 

3.7.6. Dem steht jedoch gegenüber, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige hat. Er ist weder Mitglied in einem Verein, noch betätigt er sich in einem solchen. Er lebt von der staatlichen Grundversorgung und verfügt über keine Einstellzusage. Bei den im Vorabsatz genannten, bereits erbrachten und ohne Zweifel äußerst anerkennenswerten integrativen Leistungen musste sich der Beschwerdeführer immer seines bloß vorläufigen und unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Er verfügt weiters über Bindungen nach Afghanistan, weil er dort einen Großteil seines bisherigen Lebens verbrachte und auch noch ein Teil seiner Familie dort lebt. Auch kann er sich dort - s. oben die umfangreichen Erwägungen unter Pkt. II.3.4.2. - nach Rückkehr eine Existenz an einem Neuansiedlungsort aufbauen. Auch bestehen danach im Hinblick auf den als möglich angenommenen Rückkehrort bzw. Neuansiedlungsort in Afghanistan keine Bedenken im Hinblick auf die physische Integrität oder Unversehrtheit des Beschwerdeführers. Schließlich ist fallbezogen maßgeblich, dass sich der Beschwerdeführer insgesamt gerade erst etwas über drei Jahre in Österreich aufhält.

 

3.7.7. Wägt man die zuvor unter Pkt. II.3.7.6. und II.3.7.7. behandelten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich in einer Gesamtbetrachtung mit dem besonders bedeutsamen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen ab, so überwiegt für das erkennende Gericht fallbezogen das Letztere. Eine außergewöhnliche Konstellation, welche nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch bei einem Aufenthalt von unter fünf Jahren für ein anderslautendes Ergebnis sprechen würde, ist nicht ersichtlich. Der durch die Ausweisung des Beschwerdeführers allenfalls verursachte Eingriff in sein Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.8. Zur Zulässigkeit der Abschiebung:

 

3.8.1. Vor dem Hintergrund von Art. 2 und 3 EMRK hat der Verwaltungsgerichtshof spezifisch zu Afghanistan ausgesprochen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung der erwähnten Bestimmung notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Diese Darlegung obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person. Diese hat durch geeignete Beweise gewichtige Gründe für eine Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, m.w.N. und Hinweisen insbesondere auch auf Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR). Auch in jüngeren Erkenntnissen hat der Verwaltungsgerichtshof an den Leitlinien dieser Rechtsprechung festgehalten (vgl. dazu insbesondere VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 20.09.2017, Ra 2017/19/0205, Ra 2017/19/0190 und Ra 2016/19/0209; 18.10.2017, Ra 2017/19/0420; 05.12.2017, Ra 2017/01/0236).

 

Im Lichte des festgestellten Tatsachensubstrats wie auch unter Berücksichtigung der Erwägungen oben unter Pkt. II.3.4.2. bzw. II.3.7.7. f bestehen hinsichtlich einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Stadt Mazar-e Sharif auch keine Bedenken dahingehend, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan im Lichte von § 50 FPG - insbesondere wegen einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK - unzulässig wäre.

 

3.9. Zur Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Der Beschwerdeführer hat keine besonderen Umstände, die er bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, vorgebracht. Die im angefochtenen Bescheid gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise wurde daher von der belangten Behörde korrekt festgelegt.

 

3.10. Ergebnis:

 

3.10.1. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war dem Beschwerdeführer nach den obigen Erwägungen schon von Amts wegen nicht zuzuerkennen. Ebenso war die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht geboten. Da gegenständlich die Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren, war auch eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Mangels eines hervorgekommenen Verstoßes gegen das Refoulementverbot ist auch nicht zu erkennen, dass die Abschiebung unzulässig wäre.

 

3.10.2. Die Ausreisefrist wurde rechtsrichtig festgelegt.

 

3.10.3. Auch die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s. dazu die oben unter A wiedergegebenen Entscheidungen) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs oder des EuGH; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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