BVwG L507 2150259-1

BVwGL507 2150259-119.9.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L507.2150259.1.00

 

Spruch:

L507 2150259-1/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.02.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger arabischer Abstammung und moslemisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, stellte am 14.06.2015, nachdem er zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist, einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Hiezu wurde er am 17.06.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei brachte er vor, dass er in seinem Heimatort vom Islamischen Staat (IS) und den Schiiten mit dem Umbringen bedroht worden sei, weil er keiner der beiden Gruppierungen angehört habe.

 

2. Am 27.01.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen und brachte zusammengefasst vor, dass er Islamwissenschaften studiert habe und deshalb von IS aber auch von irakischen Milizen bedroht worden sei.

 

Der IS habe ihn bedroht, weil aufgrund seines Studiums von ihm erwartet worden sei, dass er sich dem IS anschließe. Der Beschwerdeführer sei jedoch gegen den IS gewesen und habe seinen Studienkollegen und Familienmitgliedern auch gesagt, dass diese sich nicht dem IS anschließen sollen. Darüber hinaus seien sieben bis acht Familienangehörige des Beschwerdeführers Mitglieder des irakischen Sicherheitsapparates. Der IS sei gegen die irakische Regierung und sehe daher alle Mitglieder des irakischen Sicherheitsapparates als Abtrünnige an, weshalb auch die gesamte Familie des Beschwerdeführers bedroht werde. Der Schwager des Beschwerdeführers sei entführt worden, weil er bei einer Regierungsstelle gearbeitet habe. Dem Beschwerdeführer habe aber auch sein Name Schwierigkeiten bereitet, zumal dieser eindeutig sunnitisch sei. Er habe deshalb Probleme bei Straßenkontrollen gehabt und sei von schiitischen Milizen vor seiner Ausreise festgenommen worden. Der Beschwerdeführer sei nicht ganz einen Tag in Gewahrsam gewesen, schwer beleidigt und dann an einem verlassenen Ort freigelassen worden. Es sei ihm auch gesagt worden, dass ein anderes Mal über ihn gerichtet werden würde, weshalb er gewusst habe, dass er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in Ruhe gelassen werden würde. Auch die Fakultät an der er studiert habe, sei rein sunnitisch und würden die Schiiten glauben, dass dort Zwistigkeiten zwischen den Religionen angezettelt werden würden. Nach seiner Festnahme habe er sich daher dazu entschlossen, den Irak zu verlassen.

 

3. Mit Bescheid des BFA vom 27.02.2017, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß

 

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß

 

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

 

Beweiswürdigend wurde vom BFA ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung durch den IS und durch schiitischen Milizen aufgrund von unplausiblen Angaben nicht glaubhaft darstellen habe können. Den Verfolgungshandlungen seitens der schiitischen Milizen fehle es auch an der erforderlichen Intensität. Zudem sei der Beschwerdeführer seitens des IS und aufgrund der Tätigkeiten seiner Familienmitglieder für die irakische Regierung keinen persönlich gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen. Weiters wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch keine Gefahren drohen, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Rückkehrentscheidung verletze nicht das Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen.

 

4. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 27.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt und gemäß

 

§ 52a Abs. 2 BFA-VG die Verpflichtung mitgeteilt, bis zum 13.03.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

 

5. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 01.03.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen mit Schriftsatz vom 13.03.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

 

Darin wurde moniert, dass seitens des BFA ein ausschließliches "Scheinverfahren" geführt worden sei und jegliche Ermittlungstätigkeiten zum wesentlichen Fluchtvorbringen unterlassen sowie in antizipierender Beweiswürdigung Feststellungen getroffen worden seien. Nach Wiedergabe der vom Beschwerdeführer dargelegten Fluchtgründe wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Irak in erheblichem Maße gefährdet sei. Die Verfolgung gehe zwar nicht vom irakischen Staat aus und komme es auch nicht darauf an, sondern, ob im Hinblick auf die bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender staatlicher Schutz bestehe. Im Irak seien die staatlichen Schutzmechanismen derzeit aber stark eingeschränkt, weshalb es den irakischen Behörden nicht möglich sei, für die grundlegenden Rechte und Freiheiten Sorge zu tragen. Hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde auf die Feststellungen im bekämpften Bescheid verwiesen, wonach die Sicherheitsalge im Irak nach wie vor schwierig sei und hätte dem Beschwerdeführer angesichts der prekären Sicherheitslage der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen.

 

6. Am 28.02.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen Zudem wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zum Irak ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen eingeräumt.

 

7. Mit Schriftsatz vom 12.03.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den ihm in der mündlichen Verhandlung ausgehändigten Länderfeststellungen zum Irak. Eingangs wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer mit den Länderinformationen grundsätzlich einverstanden sei. Bekräftigt wurde weiters, dass die Verfolgungsgefahr durch schiitische Milizen aktuell so wie bei der Ausreise des Beschwerdeführers sei und werde dies auch in den Länderfeststellungen bestätigt. Erwähnt wurde auch, dass der Beschwerdeführer an Hepatitis B leide und zwei Operation am Bein gehabt habe. Diese Operationen seien erfolgreich abgeschlossen, jedoch seien Kontrollen notwendig. Diese Kontrollen sowie die Heilung und Medikamente für Hepatitis B seien im Irak für den Beschwerdeführer schwer bzw. gar nicht erreichbar.

 

1. Sachverhalt

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er stammt aus XXXX im Gouvernement Sala ad-Din und besuchte dort die Grund- und Mittelschule sowie eine Höhere Schule. Im Jahr 2007 hat der Beschwerdeführer in XXXX das Bachelorstudium Islamwissenschaften begonnen zu studieren und schloss dieses im Jahr 2013 ab. Von 2010 bis 2013 studierte der Beschwerdeführer in Bagdad und war unter der Woche dort auch wohnhaft. Die Wochenenden verbrachte der Beschwerdeführer in XXXX . Im Jahr 2013 kehrte der Beschwerdeführer wieder nach XXXX zurück und hat sich dort bis zu seiner Ausreise Ende April 2015 aufgehalten.

 

Finanziert hat sich der Beschwerdeführer sein Studium durch Hilfsarbeiten in der Baubranche. Nach seiner Rückkehr nach XXXX im Jahr 2013 lebte der Beschwerdeführer von Gelegenheitsarbeiten und der finanziellen Unterstützung durch zwei seiner Brüder.

 

Im Irak sind nach wie vor die Mutter sowie drei Schwestern des Beschwerdeführers aufhältig. Eine Schwester sowie zwei Brüder des Beschwerdeführers leben in Österreich. Mit seinen in Österreich aufhältigen Geschwistern besteht kein gemeinsamer Wohnsitz und hat er zu diesen ab und zu Kontakt. Ein Bruder des Beschwerdeführers ist in der Türkei aufhältig. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben.

 

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Im April 2015 reiste der Beschwerdeführer legal in die Türkei, von wo aus er weiter bis nach Österreich gelangte und im Juni 2015 illegal einreiste.

 

Seit Juni 2015 hält sich der Beschwerdeführer durchgehend in Österreich auf, ist hier nicht berufstätig und lebt von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber. Er besuchte im Schuljahr 2017/2018 von 07.11.2017 bis 06.07.2018 die Übergangsklasse des Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium XXXX und ist ehrenamtlich für die Stadtgemeinde XXXX , für das Dekanat XXXX sowie seit März 2017 im XXXX tätig.

 

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschqualifizierungsmaßnahmen besucht und spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache. Am 06.12.2017 hat er einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Von XXXX hat der Beschwerdeführer an der achtstündigen "Erste Hilfe - Praxisorientierte Einführung" teilgenommen.

 

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 01.08.2016 am linken Sprunggelenk operiert, zumal er an einem Chrondoblastom bzw. an einer sekundär aneurysmatischen Knochenzyste gelitten hat. Nach dem stationären Aufenthalt im Krankenhaus von 31.07.2016 bis 04.08.2016 wurde der Beschwerdeführer nach einem komplikationslosen postoperativen Aufenthalt entlassen. Empfohlen wurde eine Verlaufskontrolle im Krankenhaus sowie Verbandwechsel und Nahtentfernung beim Hausarzt. Zudem leidet der Beschwerdeführer an Hepatitis B.

 

Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein und pflegt nachbarschaftliche Kontakte zu Österreichern.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung durch den IS, durch radikal islamische Milizen, durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in den Irak einer solchen ausgesetzt wäre.

 

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

 

1.2. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

 

1.2.1. Allgemeine politische Lage:

 

Gemäß der Verfassung ist Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine (nicht die) Hauptquelle der Gesetzgebung.

 

In Artikel 117 der Verfassung wird die Region Kurdistan-Irak mit ihren Institutionen als eine

 

Region Iraks anerkannt.

 

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnischreligiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). Entlang dieser Linien hat sich die Parteienlandschaft gebildet. Angehörige der religiösen Minderheiten, die traditionell besonders im arabisch-kurdischen Grenzgebiet siedelten, haben teilweise eine eigene ethnisch-religiöse Identität bewahrt, betrachten sich häufig aber auch als Kurden oder Araber.

 

Die vierten Parlamentswahlen fanden am 30. April 2014 statt. Die gegenwärtige Regierung ist eine "Regierung der nationalen Einheit", die alle maßgeblichen Parteien des Landes umfasst. Die Regierung steht weiterhin vor Herkulesaufgaben. Ein Teil des Landes (v. a. Teile der Provinz Ninawa) ist immer noch durch die Terrororganisation IS besetzt, die seit Ende 2015 mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft wird.

 

Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen: Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Derzeit existieren im gesamten Irak etwa 350 registrierte Nichtregierungsorganisationen (NROs) im Bereich Menschenrechte. Ein Gesetz zu NROs existiert seit 2010. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NROs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft; zahlreiche unter ihnen berichten glaubhaft von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NROs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NROs tätig sind. In Reaktion auf Beschwerden internationaler Partner hat die irakische Regierung das Registrierungsverfahren für ausländische NROs in Irak allerdings Mitte des Jahres2016 vereinfacht und beschleunigt.

 

Die Rolle der Sicherheitskräfte: Die irakischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige und über 100.000 Polizisten umfassen. Die irakischen Sicherheitskräfte sind nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, ohnehin gibt es kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Im Rahmen der Unterstützung des Iraks im Kampf gegen IS bildet Italien Polizeikräfte (hälftig lokale und Bundespolizei) fort. Deutschland finanziert ein Vorhaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zur Förderung einer bürgernahen lokalen Polizei.

 

Die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte erlaubt es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den von Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl a-Haq und Kata'ib Hisbollah, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Mit dem am 26.11.2016 verabschiedeten Gesetz über die Volksmobilisierung wurde der Versuch unternommen, einen Teil der Milizangehörigen in Strukturen unter dem formalen Oberbefehl des Premierministers zu überführen und einen Teil unter Zahlung eines Existenzminimums zu Demobilisieren. Der Ausgang dieses Experiments ist völlig offen.

 

Die irakische Armee verfügt nicht über ausreichende Fähigkeiten oder Ausrüstung, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Die Schmach des weitgehend kampflosen Rückzugs gegenüber den IS-Kräften bei deren Vormarsch 2014 sitzt jedoch tief und führte in Teilen der Truppe zu einer hohen Motivation bei der Rückeroberung besetzter Gebiete. Die Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung unterstützt, darunter auch bis zu 150 Soldaten der Bundeswehr im sog. "Kurdistan Training Coordination Center" (KTCC).

 

Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninawa (Mosul). Sie unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Die kurdischen Sicherheitskräfte bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch den beiden großen Parteien KDP und PUK (s.o.) in ihren jeweiligen Einflussgebieten.

 

Ca. 20.000 Angehörige privater Sicherheitsunternehmen sind in Irak tätig. Die größten Unternehmen haben sich in der "Private Security Companies Association of Iraq" (PSCAI) zusammengeschlossen. Viele werden inzwischen von der irakischen Regierung, Unternehmen und Organisationen als Personen- und Objektschützer eingesetzt. Sie genießen keine Immunität.

 

1.2.2. Staatliche Repressionen:

 

Staatliche Stellen sind nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Derzeit ist es staatlichen Stellen zudem nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen sowie den VN einher mit Repressionen, mitunter auch extralegalen Tötungen sowie Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession.

 

Politische Opposition: Belastbare Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der politischen Opposition durch staatliche Organe liegen nicht vor. Politische Aktivisten berichten von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nichtstaatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken. Einige sunnitische Politiker wurden unter dem Vorwurf von terroristischen Aktivitäten (oder der Beihilfe dazu) behindert, mussten fliehen oder wurden in absentia verurteilt. Das betraf u. a. den ehemaligen Vize-StP Al-Hashemi, ex-Finanzminister Issawi und den Abgeordneten Ahmad Al-Alwani. Die politische Atmosphäre im Land ist zudem durch ethnische Spannungen und Korruption belastet.

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit: Die Verfassung vom 15.10.2005 (Art. 38 C und 39) sieht die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung vor und stellt die nähere Ausgestaltung durch ein Gesetz in Aussicht, das es aber noch nicht gibt.

 

Art. 38 A und B der Verfassung garantieren die Freiheit der Meinungsäußerung, solange die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt wird. Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält u. a. mehrere Kategorien des Straftatbestands der "Diffamierung" aufrecht, die in ihrem Strafmaß z. T. unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig.

 

Religionsfreiheit: Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an: Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung, in Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung Iraks fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z. B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht. Die alten irakischen Personalausweise enthielten ein Feld zur Religionszugehörigkeit, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiöskonfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 stipuliert, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden.

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Yeziden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor. Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt.

 

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht.

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen oder noch stehen. Hier kommt es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Rund 300.000 Jesiden wurden 2014 aus ihrem Stammland um Sindschar vertrieben und mussten tagelang ohne Wasser und Lebensmittel im Gebirge ausharren, bis sie gerettet werden konnten. Mitte November 2015 wurde Sindschar von kurdischen Sicherheitskräften zurückerobert, eine unzureichende Sicherheitslage, große Zerstörungen und Rivalitäten verschiedener Peschmergagruppierungen und Milizen machen bislang eine Rückkehr der Bevölkerung unmöglich. In der Region Kurdistan-Irak wie auch in weiteren Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis: Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis vor. Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten.

 

Auch die Lage in der Region Kurdistan-Irak ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt. Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis. Haftbesuche sind, auch für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), grundsätzlich möglich.

 

Militärdienst: Es gibt keine Wehrpflicht. Nach der Auflösung der Sicherheitskräfte des Regimes von Saddam Hussein wurden bei den neuen irakischen Sicherheitskräften nur Personen ohne Verbindungen zum alten Regime eingestellt. Bei der Einstellung in den Polizeidienst werden teilweise Schiiten bevorzugt.

 

Geschlechtsspezifische Verfolgung: Irak war das erste Land im Mittleren Osten, welches Anfang 2014 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 (2000) zu Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedete. Die Region Kurdistan-Iraq hatte bereits 2013 eine Strategie zum Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verabschiedet.

 

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament (Region Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung nicht vertreten. Die geschätzte Erwerbsquote unter Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 %.

 

Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen werden noch immer in Ehen gezwungen, rund 20% der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren. Kinderheirat wie auch sexuelle Ausbeutung werden dadurch begünstigt, dass 10% der irakischen Frauen Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien sind.

 

Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken.

 

Der IS hat in den von der Terrororganisation kontrollierten Gebieten das nach Meinung der Terrororganisation ‚richtige' islamische Recht angewandt, was zu massiven Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen, Kinder und Homosexuelle geführt hat. Frauen dort sind Berichten zufolge Opfer von Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung (auch in Mehrehen) und werden in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. In Mosul herrscht Beobachtern zufolge für Frauen Verschleierungszwang (Niqab).

 

Nach Angaben der VN-Sonderbeauftragten gegen sexuelle Gewalt in Konflikten setzen der IS und andere Milizen sexuelle Gewalt systematisch als Mittel der Kriegsführung ein. Der

 

VN-Sicherheitsrat verurteilte am 28. August 2015 den Einsatz sexueller Gewalt in Syrien und Irak.

 

Die kurdische Regionalregierung hat ihre Anstrengungen zum Schutz der Frauen verstärkt. So wurden im Innenministerium vier Abteilungen zum Schutz von weiblichen Opfern von (familiärer) Gewalt sowie zwei staatliche Frauenhäuser eingerichtet. Zwei weitere werden von NROs betrieben. Vereinzelt werden Frauen "zum eigenen Schutz" inhaftiert. Im August 2011 trat das kurdische Gesetz gegen häusliche Gewalt in Kraft, in dem weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung von Frauen und andere Gewalt innerhalb der Familie unter Strafe gestellt werden.

 

Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden.

 

NROs berichten über Zwangsprostitution irakischer Mädchen und Frauen im Land und in der Nahost- und Golfregion. Im Zuge des IS-Vormarschs auf Sindschar sollen über 5.000 jesidische Frauen und Mädchen verschleppt worden sein, von denen Hunderte später als Trophäen an IS-Kämpfer gegeben oder nach Syrien verkauft wurden.

 

Viele Frauen und Mädchen sind auch durch Flucht und Verfolgung besonders gefährdet. Es gibt vermehrt Berichte, dass minderjährige Frauen in Flüchtlingslagern zur Heirat gezwungen werden. Dies geschieht entweder, um ihnen ein vermeintlich besseres Leben zu ermöglichen oder um ihre Familien finanziell zu unterstützen. Häufig werden die Ehen nach kurzer Zeit wieder annulliert, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen.

 

Repressionen durch nicht-staatliche Akteure: Neben die staatliche tritt die Repression durch nicht-staatliche Akteure, vor denen Regierung und Staat die Bürger nicht schützen können. Bereits seit 2013 hat das Erstarken der Terrorgruppe IS zur verstärkten Repression gegen die Zivilbevölkerung insbesondere in Ninawa geführt. Mit Ausbruch der Kämpfe in weiten Teilen Iraks seit Juni 2014 wurden auch schiitische Milizen mobilisiert, die Racheakte, einschließlich Vertreibungsaktionen, gegen sunnitische Iraker begehen. Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten. Im Zuge der Rückeroberung von Gebieten, die der IS im Jahr 2014 erobert hatte, kommt es auch zu Repressionen durch kurdische Peschmerga, schiitische und auch sunnitische Milizen (sowie, in geringerem Maße, weiterer Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten) besonders gegen Angehörige (anderer) sunnitischer Stämme, die der Kollaboration mit dem IS bezichtigt werden. Durch die staatliche Akzeptanz, tlw. Führung und Bezahlung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen.

 

1.2.3. Militante Opposition, Milizen, Terrorgruppen:

 

Sicherheitslage: Teile der nordwestlichen Provinzen sind nicht oder nur teilweise unter der Kontrolle der Zentralregierung. Seit Juni 2014 wird IS von verschiedenen irakischen wie internationalen Akteuren bekämpft, was bewaffnete Auseinandersetzungen in den Provinzen Anbar, Babil, Bagdad, Diyala, Ninawa, Salah al-Din und Kirkuk sowie auch an den Rändern der Region Kurdistan-Irak zur Folge hat. Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert.

 

Nach der Rückeroberung Mossuls Ende Juni 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider al-Abadi am 31. August 2017 mit Tal-Afar eine weitere Stadt als vom "Islamischen Staat" (IS) befreit (Al-Jazeera 31.8.2017).

 

Den "Staat", der die irakisch-syrische Grenze zum Teil aufgehoben hatte, gibt es nicht mehr. Die IS-Kontrollgebiete in Irak und in Syrien hängen nicht mehr zusammen. Die Hoffnung, dass der IS völlig zusammenbrechen würde, wenn er Mossul, die Hauptstadt seines "Kalifats", verliert, hat sich jedoch nicht erfüllt (Harrer 20.8.2017).

 

Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen: Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten.

 

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von (Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

 

Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Baath-Partei Saddam Husseins ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig auf Grund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Laut der VN-Mission haben viele von ihnen weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien. Mit Verabschiedung des Gesetzes zur Generalamnestie am 25. August 2016 durch das irakische Parlament besteht jedoch Aussicht auf eine Verbesserung der Situation. Vereinzelte Fälle von Entlassungen wurden bereits bekannt.

 

1.2.4. Diskriminierung ethnisch-religiöser Minderheiten:

 

Sunniten: Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es ihr weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Die Sunniten leben mehrheitlich in den am stärksten umkämpften Gebieten der Provinzen Anbar und Ninawa. Einige bekennen sich nicht mehr zu ihrer Konfession und versuchen dadurch, Benachteiligungen zu umgehen.

 

Kurden: Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der Region Kurdistan-Irak leben. Im Konflikt um die Zukunft von Kirkuk, aber auch in Mosul kommt es immer wieder zu Übergriffen und Anschlägen auf Kurden. Aus Gebieten, die durch kurdische Peschmerga vom IS zurückerobert wurden, wird teilweise berichtet, dass den vertriebenen sunnitischen und auch schiitischen arabischen Bewohnern eine Rückkehr nicht gestattet wird und Häuser von vermeintlichen IS-Kollaborateuren zerstört werden. Nach der Befreiung von Ortschaften aus den Händen der Terrormiliz IS kommt es teilweise im Nachgang zu Machtkämpfen um die Vorherrschaft im jeweiligen Gebiet; so wurde Sommer/Herbst 2016 über Zusammenstöße zwischen kurdischen Peschmerga und schiitischen Milizen in der Stadt Tuz Khurmatu berichtet.

 

Christen: Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 -bis 400.000 Christen in Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.). Die Situation der Christen (v. a. assyrische sowie mit Rom unierte chaldäische Christen) hat sich kirchlichen Quellen zufolge seit Ende der Diktatur 2003 stark verschlechtert. Viele Christen sehen für sich keine Zukunft in Irak. In den vergangenen Jahren sind daher hunderttausende irakische Christen ins Ausland geflohen. Es kommt immer wieder zu Angriffen auf Priester, Bombenanschläge auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Übergriffe auf von Christen geführte Lebensmittelhandlungen, in denen ggf. auch alkoholhaltige Getränke angeboten werden. Nach dem Vormarsch des IS auf Mosul und das umliegende christliche Kernland ergriffen im Sommer 2014 zehntausende Christen die Flucht in die Region Kurdistan-Irak und vereinzelt auch nach Bagdad. Viele warten dort darauf, dass die teilweise mittlerweile befreiten christlichen Städte um Mosul, wie Qaraqosch sicher genug für eine Rückkehr sind.

 

In der Region Kurdistan-Irak wie in angrenzenden Gebieten, die von der kurdischen Regionalregierung kontrolliert werden, haben seit 2003 viele christliche Flüchtlinge aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden. Sie leben derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als Binnenvertriebe zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk. Es gibt dort keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung. Die kurdische Regionalregierung fördert den Kirchenbau wie auch die Kirche als Institution mit staatlichen Ressourcen. Die umfangreichen Enteignungen von christlichem Besitz unter dem alten Regime sind jedoch nicht rückgängig gemacht worden.

 

Turkmenen: Die meisten der ca. 400.000 irakischen Turkmenen leben im Raum Kirkuk und im westlich von Mosul gelegenen Gebiet um Tal Afar. Im Distrikt Amerli in Salah al-Din wurden im August 2014 bis zu 20.000 schiitische Turkmenen von IS-Kräften eingeschlossen und belagert. Erst durch einen gemeinsamen Angriff von kurdischen Peschmerga, irakischen Sicherheitskräften und Milizen sowie durch amerikanische Luftunterstützung konnten sie befreit werden. Ende 2016 flüchteten tausende Turkmenen aus Tal Afar vor den Kampfhandlungen zur Rückeroberung der Stadt vom IS. Die Stadt Tal Afar wird von schiitischen und sunnitischen Turkmenen bewohnt. Ministerpräsident Abadi hat den schiitisch dominierten Kräften der Volksmobilisierung die Zusage abgerungen, nicht nach Tal Afar vorzustoßen, da sonst Racheakte der schiitischen Kräfte an den pauschal als

 

IS-Kollaborateure abgestempelten sunnitischen Turkmenen zu befürchten wären.

 

Jesiden: Die Zahl der monotheistisch-synkretistischen Jesiden in Irak liegt nach eigenen Angaben bei etwa 450.000 bis 500.000. Die Mehrzahl siedelte im Norden Iraks, v. a. im Gebiet um die Städte Sindschar (zwischen Tigris und syrischer Grenze), Schekhan (Provinz Ninawa) und in der Provinz Dohuk. Für die Extremisten des IS sind Jesiden "Ungläubige" (sog. "Teufelsanbeter"), die mit dem Tod bestraft werden können. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen an ihnen wurden bereits beschrieben. Viele Jesiden leben derzeit in Flüchtlingslagern, besonders in der Region Kurdistan-Irak, ein großer Teil trägt sich mit Auswanderungsplänen. Außerdem gibt es in der Stadt Dohuk, nahe des jesidischen Heiligtums Lalesh, sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben. Eine Rückkehr nach Sindschar war bis Ende 2016 kaum möglich, da sich nach der Befreiung aus den Händen des IS im Stadtgebiet verschiedene Milizen bekämpfen.

 

Mandäer: Von den vor allem im Südirak lebenden Mandäern/Sabäern befinden sich von ehemals ca. 60.000 nur noch höchstens 5.000 Personen in Irak. Die Mandäer werden von radikalislamistischen Kreisen als "Ungläubige" angesehen, gegen die Gewalt und Entführung - teilweise mit dem Ziel der Zwangsbekehrung - als legitim angesehen werden. Da sie traditionell oft als Goldschmiede arbeiten, sind sie häufig Opfer finanziell motivierter Entführungen mit z. T. tödlichem Ausgang.

 

Schabak: Die Schabak sind eine heterodoxe Glaubensgemeinschaft, die im 15. Jahrhundert aus dem heutigen Aserbaidschan in den Nordirak einwanderte und heute ca. 100.000 Personen umfasst. Sie siedeln in Mosul und in Dörfern in der Ninawa-Ebene östlich der Stadt und sehen sich selbst teilweise als Schiiten an. Sie verfügen über eine eigene Sprache. Auch die Schabak wurden wiederholt Opfer von gezielten Angriffen, bisher aber nur außerhalb der Region Kurdistan-Irak.

 

1.2.5. Ausweichmöglichkeiten:

 

Innerirakische Migration in die Region Kurdistan-Irak ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss zur Asayisch-Behörde des jeweiligen Bezirks gehen und sich anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Durch den Zustrom von Binnenvertriebenen ist die Region Kurdistan-Irak an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt. Mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge sind allein seit Anfang 2014 nach Kurdistan-Irak geflohen. Hinzu kommen mehr als 250.000 syrische Flüchtlinge. 2015 und 2016 sind weitere Flüchtlingslager entstanden. Auch wegen der eigenen Finanzkrise sieht sich die kurdische Regionalregierung nicht mehr in der Lage, weiter Flüchtlinge aufzunehmen.

 

Auch die Hauptstadt Bagdad (ca. 570.000) und in geringerem Maße der schiitisch geprägte Südirak (ca. 200.000) haben zahlreiche Binnenvertriebene aus umkämpften Gebieten aufgenommen. Aus Furcht vor der Infiltration von Terroristen sind die Grenzen von Bagdad, Kerbela und Babel für weitere Vertriebene fast vollständig geschlossen. Rückkehrer aus dem Ausland, die derzeit nicht in ihre noch vom IS kontrollierte Heimat zurückkehren können, haben daher kaum eine Möglichkeit, einen sicheren Aufnahmeplatz in Irak zu finden. Ausnahmen stellen ggf. Familienangehörige in nicht umkämpften Landesteilen dar.

 

1.2.6. Menschenrechtslage:

 

Es kommt weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren.

 

Schutz der Menschenrechte in der Verfassung: In der Verfassung vom 15.10.2005 sind wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung.

 

Irak hat alle wichtigen internationalen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, ratifiziert (25.01.1971). Es bestehen allerdings noch Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen, u. a. auch sogenannte Scharia-Vorbehalte.

 

Dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ist Irak nicht beigetreten. Der Ministerrat hat bereits im Dezember 2011 einen Nationalen Aktionsplan zum Schutz der Menschenrechte beschlossen, der 135 Empfehlungen des Menschenrechtsrats in einem Reformpaket aufgreifen soll.

 

Die bereits in der irakischen Verfassung (Art. 102) vorgesehene Einrichtung einer unabhängigen MR-Kommission erfolgte im April 2012 mit der Berufung der 11 Kommissionsmitglieder durch das irakische Parlament. Der Kommission fehlt es jedoch an einem administrativen Unterbau.

 

Folter: Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in

 

Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die VN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.

 

Nach glaubwürdigen Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige, z. B. durch Schläge mit Kabeln, Wasserschläuchen, Holzstöcken und Metallstangen, durch das Halten von Gefangenen in Stresspositionen über längere Zeiträume, tagelanges Fesseln und Verbinden der Augen sowie ausgedehnte Einzelhaft. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. Allerdings sind Bemühungen der kurdischen Regionalregierung erkennbar, die Haftbedingungen zu verbessern, systematische Folter abzustellen und internationale Standards einzuhalten. Das IKRK hat Zugang zu den Gefängnissen in der Region Kurdistan-Irak.

 

Todesstrafe: Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen US-Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung am 8. August 2004 unter Verweis auf die Ausnahmesituation in Irak aber wieder eingeführt.

 

Derweil werden vor allem gegen IS-Kämpfer, die in fragwürdigen Prozessen überführt wurden, zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (2015: mind. 26 Hinrichtungen; 2016: bisher mind. 71 Hinrichtungen und über 123 neue Todesurteile). Am 21.08.2016 veröffentlichte so etwa das Justizministerium eine Erklärung über die Vollstreckung der Todesstrafe an 36 Verurteilten, denen Beteiligung an der Ermordung von 1.700 Rekruten im Militärlager Speicher bei Tikrit im Juni 2014 vorgeworfen worden war. Laut Angaben von Amnesty International dauerten die Verfahren lediglich wenige Stunden, wobei die Aussagen unter Folter erzwungen wurden.

 

Problematisch sind zudem die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag u.a. auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art.

 

Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz. In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Hussein die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wieder eingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet.

 

Sonstige menschenrechtswidrige Handlungen: Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Eine festgenommene Person muss zwar innerhalb von 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden, doch diese Frist wird nicht immer eingehalten. Sie wird teilweise bis auf über 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden.

 

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert. Das auf Völkerrecht basierende Mandat der VN-Mission UNAMI, irakische Haftanstalten zu besuchen, konnte nicht umfassend wahrgenommen werden, da irakische Behörden UNAMI den Zugang zu verschiedenen Haftanstalten in mehreren Fällen verwehrten. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang. In den Haftanstalten der Region Kurdistan-Irak herrschen nach Informationen von UNAMI etwas bessere Bedingungen, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk.

 

1.2.7. Rückkehrfragen:

 

Europa - neben Schweden vor allem Deutschland - gilt als derzeit besonders erstrebenswerte Zielregion, wobei über die Lebensbedingungen in Europa idealisierte Vorstellungen verbreitet sind. Der Flüchtlingsstrom aus Irak in die Nachbarländer ist dagegen zurückgegangen. Hauptaufnahmeländer waren Syrien (nach früheren Schätzung der syrischen Regierung phasenweise ca. 1 bis 1,5 Mio.; belastbare Zahlen über evtl. Anschlussflucht aufgrund der Situation in Syrien liegen nicht vor) und Jordanien (bis zu 450.000) sowie in geringerem Umfang Iran, Ägypten, Libanon und die arabischen Golfstaaten.

 

Situation für Rückkehrerinnen und Rückkehrer: Derzeit stellt sich für Irak prioritär die Frage nach der Rückkehr der 3,11 Mio. Binnenflüchtlinge. Nach und nach kehrt ein Teil von ihnen, bis Dezember 2016 ca. 1,27 Mio., in befreite Gebiete zurück, viele werden jedoch davon abgeschreckt, dass schiitische Milizen sunnitische Rückkehrer, aber teilweise auch sunnitische Milizen Rückkehrer anderer sunnitischer Stämme an der Rückkehr hindern.

 

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak kurz- und mittelfristig verbessern wird.

 

Grundversorgung: Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des VN-Programms "Habitat" gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung in Irak denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die VN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze

 

(2 USD/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört.

 

Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen. Dann wird Strom aus privaten Generatoren erzeugt. Von Ende Juli 2015, als die Stromausfälle einen neuen Höhepunkt erreichten, bis August 2016 haben zeitweise jeden Freitag Tausende von Bürgern in der Hauptstadt und anderen großen Städten des Landes gegen das Versagen des Staates demonstriert. Seither hat sich die Zahl der Demonstranten reduziert. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Region Kurdistan-Irak erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unterunter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste.

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser.

 

Medizinische Versorgung: Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen.

 

Behandlung zurückgeführter Iraker: Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Darauf stellen auch die "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Irak" des UNHCR vom Mai 2012 ab. Während Rückführungen in die Region Kurdistan-Irak auch von Deutschland aus regelmäßig stattfinden, werden Abschiebungen nach Zentralirak aus Deutschland gar nicht und von anderen Staaten sehr verhalten durchgeführt. Schweden, Großbritannien und Australien führen vereinzelt Abschiebungen durch und planen dies auch für die Zukunft. Im September 2016 begann ein informeller Migrationsdialog zwischen EU-Mitgliedstaaten und dem irakischen Innenministerium, der auch das Thema Rückführungen umfassen soll.

 

Einreisekontrollen: Irakische Reisepässe, die nach dem 17.06.1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr nach Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.01.2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 01.01.2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 01.10.2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 -bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar.

 

Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3DBarcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen.

 

An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden.

 

Die Türkei erkennt grundsätzlich jedes Dokument, das zur Einreise in die Türkei berechtigt, auch für den Transit nach Irak an. Voraussetzung dafür ist aber ein gültiges Transitvisum, auch für Passersatzdokumente. Die türkische Regierung steht organisierten Rückführungsaktionen von irakischen Staatsangehörigen nach Irak via Türkei ablehnend gegenüber. Personen, die aus EU-Mitgliedstaaten in die Türkei eingereist sind und in ihren Reisedokumenten, z. B. in Flüchtlingsausweisen, Vermerke wie "nicht gültig für Irak" tragen, wird die Ausreise aus der Türkei Richtung Irak nicht gestattet. Im Übrigen ist die Einreise nach Irak aus der Türkei (Grenze zur Region Kurdistan-Irak bei Zakho) grundsätzlich mit allen gültigen Reisedokumenten möglich, sofern an das kurdische Grenzpersonal eine ‚‚Verwaltungsgebühr'' (ca. 50 USD) bezahlt wird. Es gibt Berichte, dass der Grenzübertritt an der türkisch-irakischen Grenze bei Ibrahim Khalil insbesondere auf irakischer Seite bisweilen willkürlich gehandhabt wird.

 

Abschiebewege: Es gibt inzwischen regelmäßige Linienflüge wichtiger Luftfahrtgesellschaften, u. a. aus Europa und Staaten des Nahen Ostens, nach Bagdad (Royal Jordanian, Middle East Airlines, Turkish Airlines) sowie nach Erbil (Lufthansa, Austrian Airlines, Turkish Airlines, Germania, Royal Jordanian, Middle East Airlines) und Sulaymaniya (Turkish Airlines, Germania).

 

Mitunter kehren Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) aus Deutschland über Amman freiwillig nach Irak zurück. Dies wird nach Angaben der IOM von der jordanischen Regierung unterstützt. Zudem werden in geringem Umfang straffällig gewordene Iraker, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, aus Deutschland dorthin zurückgeführt.

 

Die Rückkehr über Syrien ist wegen des dortigen Bürgerkriegs nicht zumutbar.

 

Über Kuwait sind irakische Staatsangehörige nur in sehr geringer Zahl nach Irak eingereist. Dabei nutzen sie in der Regel den Landweg über den Grenzposten zwischen Kuwait und Irak Richtung Basra. Sie müssen hierbei ein militärisches Sperrgebiet durchfahren; dazu ist eine Sondergenehmigung der kuwaitischen Regierung erforderlich. Die Grenze zwischen Irak und Kuwait ist ansonsten vollständig abgeriegelt. Kuwait schließt weiterhin aus, bei möglichen Rückführungen aus Deutschland behilflich zu sein. Die Rückkehr für Iraker aus westlichen Ländern über Saudi-Arabien ist derzeit ausgeschlossen. Die Grenze zwischen Saudi-Arabien und Irak ist geschlossen (z. B. nur der Grenzübergang Arar wird einmal jährlich ausschließlich für Mekka-Pilger nach Mekka geöffnet). Saudi-Arabien hat 2015 den Bau eines Grenzzauns entlang der gesamten Grenze abgeschlossen.

 

1.2.8. Echtheit der Dokumente / Zugang zu gefälschten Dokumenten:

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf, die der Deutschen Botschaft Bagdad durch das irakische Außenministerium per Verbalnote zwecks Überprüfung zugesandt wurden. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden.

 

Quellen:

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

* Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsakte des BFA, beinhaltend unter anderem die Niederschriften der Erstbefragung und der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA sowie den Beschwerdeschriftsatz samt Beschwerdeergänzung;

 

* Mündliche Verhandlung am 28.02.2018;

 

* Einsicht in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers;

 

* Einsicht in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.1. Zum Verfahrensgang:

 

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

 

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

 

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie hinsichtlich seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem vorgelegten Identitätsdokument.

 

Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen in diesen Punkten glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren.

 

Der Universitätsabschluss geht aus dem vorgelegten Zeugnis des XXXX und den diesbezüglich gleichlautenden Angaben des Beschwerdeführers hervor.

 

Der Besuch von Deutschqualifizierungsmaßnahmen sowie die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind den vorgelegten Teilnahmebestätigungen zu entnehmen und beruhen auf den persönlichen Wahrnehmungen des entscheidenden Richters in der mündlichen Verhandlung.

 

Der Gesundheitszustand sowie die bisherigen Behandlungen des Beschwerdeführers gehen aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen hervor.

 

Die Teilnahem am Werte- und Orientierungskurs am 06.12.2017 ist der Bestätigung des Österreichischen Integrationsfonds zu entnehmen.

 

Der Schulbesuch des Beschwerdeführers geht aus der Schulbesuchsbestätigung des Bundegymnasiums und Bundesrealgymnasiums vom 07.12.2017 und dem Schreiben des XXXX vom XXXX hervor.

 

Die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers gehen aus dem Schreiben des XXXX vom 23.02.2018, der Stadtgemeine XXXX vom 15.02.2018 sowie des Dekanat XXXX vom 22.02.2018 und 25.01.2017 hervor.

 

Die Teilnahme an der achtstündigen Erste-Hilfe praxisorientierten Einführung ist der Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX zu entnehmen.

 

Die sozialen Kontakte zu Nachbarn ist den vorgelegten Unterstützungsschreiben zu entnehmen.

 

Dass der Beschwerdeführer von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber lebt ist dem Betreuungsinformationssystem sowie den diesbezüglich gleichlautenden Angaben des Beschwerdeführers zu entnehmen.

 

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafrechtlich unbescholten geht aus der Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich hervor.

 

Dass mit den in Österreich aufhältigen Geschwistern kein gemeinsamer Wohnsitz besteht, geht aus dem Zentralen Melderegister hervor.

 

2.3. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

 

Der Beschwerdeführer legte zusammengefasst mehrere Ursachen für die dargelegten Ausreisegründe sowie mehrere Verfolger dar. Er behauptete, aufgrund seines Studiums der Islamwissenschaften, seiner Religionszugehörigkeit, seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem IS sowie aufgrund der Tätigkeit von Familienmitgliedern für die irakische Regierung sowohl vom Islamischen Staat, als auch von schiitsichen Milizen verfolgt worden zu sein.

 

Als konkrete Verfolgungshandlungen schilderte der Beschwerdeführer einerseits, dass er bei Straßenkontrollen mehrmals beschimpft und angespuckt worden sei und andererseits ca. fünfzehn Tage vor seiner Ausreise für ca. sechs Stunden von schiitischen Milizen angehalten, beschimpft und wieder freigelassen worden sei.

 

Ungeachtet der Frage der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens ist hier jedoch auf die mangelnde Eingriffsintensität von derlei Vorfällen zu verweisen.

 

Nach Artikel 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie des Europäischen Parlaments und Rates gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention Handlungen, die a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

So werden etwa nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch kurzfristige Inhaftierungen und Hausdurchsuchungen, die folgenlos bleiben, mangels Intensität nicht als asylrechtlich relevante Verfolgung angesehen (Feßl/Holzschuster AsylG 2005, Kommentar, E.63 zu § 3 unter Hinweis auf VwGH 14.10.1998, 98/01/0262; 12.05.1999, 98/01/0365 und E.71 zu § 3 AsylG unter Hinweis VwGH 21.04.1993, 92/01/1059 mwN; 21.02.1995, 94/20/0720, 19.12.1995, 95/20/0104; 10.10.1996, 95/20/0487). Auch Beschimpfungen, Bewerfen eines Hauses mit Steinen und verbale Drohungen begründen keine Verfolgung von asylrelevanter Intensität (EGMR, Rs 18670/03, BERISHA & HALJITI v. Mazedonien, 16.06.2005).

 

Auch aus der subjektiven Befürchtung des Asylwerbers, verhaftet oder verfolgt zu werden, ergibt sich, wenn objektiv keine Gefahr eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität zu erkennen ist, kein Asylgrund, zumal Ladungen, Nachfragen, selbst kurzfristige Inhaftierungen nicht als derart gravierend angesehen werden können, dass sie einen Verbleib im Heimatland unerträglich machen (VwGH vom 12.09.1996, Zl. 95/20/0285 oder Erkenntnis d. VwGH vom 31.03.1993, Zl. 92/01/0717).

 

Die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse (Beschimpfen und Anspucken bei Straßenkontrollen und einmalige sechsstündige Anhaltung ohne Folgen) erreichen daher weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit die Intensität einer asylrelevanten Verfolgungshandlung (vgl. VwGH RS 1, 25.01.2001, 2001/20/0011). Vgl. zur Intensität einer allenfalls asylrelevanten Verfolgung auch die Entscheidung des VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0238-4.

 

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes sind die vom Beschwerdeführer aufgezeigten und über einen längeren Zeitraum folgenlos gebliebenen Beschimpfungen sowie die einmalige kurzfristige Anhaltung - selbst bei deren Wahrunterstellung - gegenständlich nicht asylrelevant. Geringfügige körperliche Übergriffe (Augen verbunden und gefesselt) behauptete der Beschwerdeführer zwar bezüglich der von ihm genannten Anhaltungen, jedoch sind auch die diesbezüglichen Ausführungen nicht geeignet gewesen dem oben dargelegten rechtlichen Maßstab zu genügen.

 

Soweit der Beschwerdeführer auf die Entführung seines Schwagers aufgrund der Tätigkeit mehrerer Familienmitglieder für die irakische Regierung verweist und er ebenfalls davon ausgeht, dass er deshalb der Gefahr ausgesetzt sei, vom IS entführt zu werden, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus den vorgelegten Unterlagen der Polizeidirektion XXXX als Vorfallszeitpunkt der 28.05.2004 hervorgeht. Der Beschwerdeführer reiste aber erst im April 2015 aus dem Irak auf, was einem Zeitraum von fast elf Jahren entspricht, in dem es seitens des IS zu keinen konkreten Verfolgungshandlungen bzw. Entführungsversuchen gegenüber dem Beschwerdeführer gekommen ist, aus denen die begründete Annahme einer Bedrohung seiner Person durch den IS aufgrund der Tätigkeit seiner Familienmitglieder zu gewinnen gewesen wäre. Von daher kann auch kein Bezug zur Person des Beschwerdeführers hergestellt werden und führte der Beschwerdeführer vor dem BFA selbst aus, dass es ihm gegenüber aufgrund der Tätigkeit seiner Familienmitglieder keine persönlichen Bedrohungen gegeben habe (AS 63). Die rein subjektive Befürchtung des Beschwerdeführers, ihm könne womöglich Ähnliches zustoßen, vermag eine asylrelevante Gefährdung nicht aufzuzeigen.

 

Abgesehen von der Tätigkeit der Familienmitglieder für die irakische Regierung vermeinte der Beschwerdeführer auch, dass er aufgrund seiner ablehnenden Haltung gegenüber der IS-Ideologie, welche er auch im Bekannten-, Freundes- und Familienkreis verbreitet habe, gefährdet gewesen sei. Dahingehend brachte der Beschwerdeführer vor, dass mit dem Beginn seines Studiums im Jahr 2007 öffentlich Drohungen gegen die Studenten begonnen hätten, indem sie aufgefordert worden seien sich dem IS anzuschließen, ihre Interessen einzustellen und zu Hause zu bleiben. Der Beschwerdeführer bestätigte aber auch hier, dass es keine gegen ihn persönlich gerichtete Bedrohungen gegeben habe und diese an alle Mitglieder der Fakultät gerichtet worden seien.

 

Der Beschwerdeführer hat daher in einer Gesamtschau seitens des IS keine gegen ihn persönlich gerichteten aktuellen und konkreten Verfolgungshandlungen behauptet und somit auch keine zielgerichteten ethnisch motivierten existenzbedrohenden Gefährdungen vorgebracht.

 

Der Vollständigkeit halber sei hier auch angemerkt, dass der Beschwerdeführer selbst ausführte, dass bereits ab dem Jahr 2013 die Bedrohungen seitens des IS geringer geworden seien (AS 59), zumal die schiitischen Milizen die Kontrolle über XXXX wiederlangen konnten und ist notorischer Weise bekannt, dass es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogen. Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen ist, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen. Dessen Herrschaftsgebiet beschränkte sich in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mosul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mosul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mosul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mosul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mosul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mosul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit. Mittlerweile herrscht allgemeine Übereinstimmung dahingehend, dass der IS, als eine Organisation mit der Fähigkeit die Kontrolle über ein größeres Gebiet auszuüben, im Irak nicht mehr existent ist. Angesichts dessen gehen auch etwaige Befürchtungen bei einer Rückkehr von Angehörigen des IS bedroht zu werden, ins Leere, da der IS im Irak faktisch nicht mehr existent ist.

 

Soweit in der Beschwerde auf die Gefahr einer sogenannten Gruppenverfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft durch Angehörige schiitischer Milizen verwiesen wurde, stand dieser Darstellung schon das Faktum des bis dato von keinen maßgeblichen Beeinträchtigungen betroffenen Lebenswandels der nach wie vor in XXXX aufhältigen Angehörigen des Beschwerdeführers entgegen.

 

Darüber hinaus lässt sich auch aus den vom BVwG herangezogenen Berichten keine Gefahr einer sogenannten Gruppenverfolgung ableiten.

 

Aus den Feststellungen zur Lage im Irak geht im Hinblick auf die Lage der sunnitischen Minderheit hervor, dass in im Irak zahlreiche Sunniten leben und sunnitische Araber ca. 17 bis 22% der Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern ausmachen. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Dabei kommt es zu Vergeltungsmaßnahmen, Misshandlungen, willkürlichen Inhaftierungen, Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch wenn derartige Vorfälle wiederkehrend stattfinden, kann in Anbetracht der Anzahl der dokumentierten Vorfälle (welche etwa aus der Position von UNCHR zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016 ablesbar sind) noch nicht auf eine derartige Intensität solcher Übergriffe geschlossen werden, dass von einer systematischsten und zielgerichteten asylrelevanten Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak - immerhin mehrere Millionen Menschen - gesprochen werden kann.

 

Dazu tritt, dass im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten oder des Verteidigungsministers, auch von Sunniten bekleidet werden und diese auch im irakischen Parlament repräsentiert sind, was auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak allein auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur moslemisch-sunnitischen Religion spricht. Würde eine Gruppenverfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak tatsächlich stattfinden, wäre mit Sicherheit davon auszugehen, dass entsprechende eindeutige und aktuelle Quellen vorhanden wären. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass von schiitischen Milizen nach wie vor Menschenrechtsverletzungen ausgehen und auch eine nicht feststellbare Zahl von Übergriffen auf sunnitische Iraker stattfindet, welche über die vorstehend dargelegten Diskriminierungen hinausgehen. Ferner sind Übergriffe seitens Angehöriger der al-Haschd asch-Schabi bekannt, welche von den Verantwortlichen als Einzelfälle bezeichnet und die als Vergeltungsaktionen in Zusammenhang mit den Aktivitäten des Islamischen Staates angesehen werden. Diese nur entfernte Möglichkeit, Opfer eines religiös motivierten Übergriffes zu werden, genügt jedoch nicht zur Annahme einer Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074)

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass es der Beschwerdeführer nicht vermocht hat, glaubhaft zu machen, dass er tatsächlich in asylrelevanter Weise gefährdet war oder ist, noch, dass für ihn aus sonstigen Gründen tatsächlich eine aktuelle und persönliche asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung bestand oder besteht.

 

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

 

Die allgemeinen Feststellungen resultieren aus den behördlicherseits erhobenen Fakten aufgrund vorliegender Länderdokumentationsunterlagen. Die Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen wurde nicht in qualifizierter Form entgegengetreten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A):

 

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

 

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist.

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Eine gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde im gesamten Verfahren nicht glaubhaft gemacht.

 

Folglich war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß

 

§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen war.

 

3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

 

3.3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind.

 

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

 

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen, jungen Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Aus den vorgelegten ärztlichen Befunden geht auch nicht hervor, dass der Beschwerdeführer nicht arbeitsfähig sei und wurde dies seitens des Beschwerdeführers auch nicht behauptet. Der Beschwerdeführer verfügt darüber hinaus über ein abgeschlossenes Bachelorstudium der Islamwissenschaften und hat Berufserfahrung in der Baubranche. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.

 

Hinsichtlich einer allfälligen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Bagdad oder XXXX ist auszuführen, dass aus den Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden kann, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände in Samarra oder Bagdad ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer selbst hat ein substantiiertes Vorbringen dahingehend auch nicht erstattet.

 

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Ferner kann das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht des Aufenthaltes mehrerer Familienmitglieder in Bagdad (Mutter und Geschwister) nicht erkennen, weshalb gerade der Beschwerdeführer dort keine Existenzgrundlage vorfinden sollte.

 

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:

 

Am 01.08.2016 wurden beim Beschwerdeführer ein Chondroblastom bzw. eine sekundär aneurysmatische Knochenzyste (links) operativ entfernt. Entsprechend des Befundes von

 

XXXX vom 07.02.2018 ist das linke Sprunggelenk bis auf eine 2x3 cm großes Verdichtungsareal im Talus aktuell unauffällig, weshalb davon auszugehen ist, kein Behandlungsbedarf mehr besteht. Zudem leidet der Beschwerdeführer an Hepatitis B.

 

Den Feststellungen zur medizinischen Versorgungssituation ist zu entnehmen, dass diese zwar angespannt ist, Ärzte und das Krankenhauspersonal jedoch als qualifiziert gelten. Ferner besteht ein privater Gesundheitssektor, dessen Leistungen jedoch für ärmere Familien kostspielig sein können. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes ist in Anbetracht der grundsätzlich gegebenen medizinischen Versorgung im Irak davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr hinreichenden Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten sowie den notwendigen Medikamenten vorfindet.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Fremder darüber hinaus kein Recht, in einem Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Beim Beschwerdeführer vermag das Bundesverwaltungsgericht weder eine schwere Erkrankung zu erkennen, noch Suizidgefahr. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2017/18/0008 und 0009 mwN, EGMR U 13.12.2016, Paposhvili gegen Belgien, Nr. 41738/10). Eine solche drohende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers aufgrund einer bestehenden schweren Erkrankung wurde indes weder behauptet, noch sind Anhaltspunkte dafür im Verfahren hervorgekommen. Ferner ist die ihm empfohlene Medikation im Irak erhältlich und besteht dort auch Zugang zu psychiatrischer bzw. psychologischer Behandlung.

 

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.

 

Letztlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr in den Irak nicht substantiiert entgegengetreten ist und in weiterer Folge auch nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit der Beschwerdeführer durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

 

3.3.3. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

 

3.4.1. Gesetzliche Grundlagen:

 

Gemäß § 10 AsylG 2005 wird Folgendes normiert:

 

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

 

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

 

der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

 

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."

 

Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

 

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

 

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

der Grad der Integration,

 

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

 

ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

 

er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

 

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

 

Gemäß § 58 AsylG 2005, Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln, wird wie folgt normiert:

 

"§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Das Bundesamt hat einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. § 73 AVG gilt.

 

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

(4) Das Bundesamt hat den von Amts wegen erteilten Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 oder 57 auszufolgen, wenn der Spruchpunkt (Abs. 3) im verfahrensabschließenden Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Abs. 11 gilt.

 

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

 

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

 

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

 

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

(9) Ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach diesem Hauptstück ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige

 

sich in einem Verfahren nach dem NAG befindet,

 

bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt oder

 

gemäß § 95 FPG über einen Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten verfügt oder gemäß § 24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt ist

 

soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt. Dies gilt auch im Falle des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge.

 

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

 

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

 

das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

 

der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

 

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

 

(12) Aufenthaltstitel dürfen Drittstaatsangehörigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden. Aufenthaltstitel für unmündige Minderjährige dürfen nur an deren gesetzlichen Vertreter ausgefolgt werden. Anlässlich der Ausfolgung ist der Drittstaatsangehörige nachweislich über die befristete Gültigkeitsdauer, die Unzulässigkeit eines Zweckwechsels, die Nichtverlängerbarkeit der Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 56 und die anschließende Möglichkeit einen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen, zu belehren.

 

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

 

ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

 

die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

 

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

 

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

 

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, Einreisetitels oder der erlaubten visumfreien Einreise entgegengestanden wäre,

 

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

 

der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

 

das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

 

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

 

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

 

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

 

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

 

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde."

 

3.4.2. Es liegen keine Umstände vor, dass dem Beschwerdeführer allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

 

3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. "legitimate family" bzw. "famille légitime") oder einer unehelichen Familie ("illegitimate family" bzw. "famille naturelle"), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, Serife Yigit, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

 

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

 

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567;

21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99;

23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

 

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

 

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u. a., Zl. 26940/10).

 

Die Ausweisung eines Fremden, dessen Aufenthalt lediglich auf Grund der Stellung von einem oder mehreren Asylanträgen oder Anträgen aus humanitären Gründen besteht, und der weder ein niedergelassener Migrant noch sonst zum Aufenthalt im Aufenthaltsstaat berechtigt ist, stellt in Abwägung zum berechtigten öffentlichen Interesse einer wirksamen Einwanderungskontrolle keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben dieses Fremden dar, wenn dessen diesbezüglichen Anträge abgelehnt werden, zumal der Aufenthaltsstatus eines solchen Fremden während der ganzen Zeit des Verfahrens als unsicher gilt (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Zl. 21878/06).

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Asylantragstellers dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. the United Kingdom, 21878/06 bzgl. einer ugandischen Staatsangehörigen die 1998 einen Asylantrag im Vereinigten Königreich stellte) ist im Hinblick auf die Frage eines Eingriffes in das Privatleben maßgeblich zwischen niedergelassenen Zuwanderern, denen zumindest einmal ein Aufenthaltstitel erteilt wurde und Personen, die lediglich einen Asylantrag gestellt haben und deren Aufenthalt somit bis zur Entscheidung im Asylverfahren unsicher ist, zu unterscheiden (im Falle der Beschwerdeführerin Nnyanzi wurde die Abschiebung nicht als ein unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privatleben angesehen, da von einem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer effektiven Zuwanderungskontrolle ausgegangen wurde).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat, unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) auch in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

 

Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist zwar nicht ausschlaggebend, ob der Aufenthalt des Fremden zumindest vorübergehend rechtmäßig war (EGMR 16.09.2004, Ghiban / BRD; 07.10.2004, Dragan / BRD; 16.06.2005, Sisojeva u.a. / LV), bei der Abwägung jedoch in Betracht zu ziehen (vgl. VfGH 17.03.2005, G 78/04; EGMR 08.04.2008, Nnyazi / GB). Eine langjährige Integration ist zu relativieren, wenn der Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten, insbesondere etwa die Vortäuschung eines Asylgrundes (vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169), zurückzuführen ist (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168). Darüber hinaus sind auch noch Faktoren wie etwa Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, sowie der Grad der Integration welcher sich durch Intensität der Bindungen zu Verwandten und Freunden, Selbsterhaltungsfähigkeit, Schulausbildung bzw. Berufsausbildung, Teilnahme am sozialen Leben, Beschäftigung manifestiert, aber auch die Bindungen zum Herkunftsstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (VfGH 29.09.2007, B1150/07 unter Hinweis und Zitierung der EGMR-Judikatur).

 

Gemäß der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 07.10.2010, B 950/10 sind betreffend der Frage der Integration einer Familie in Österreich insbesondere die Aufenthaltsdauer der Familie in Österreich, ein mehrjährigen Schulbesuch von minderjährigen Kindern, gute Deutschkenntnisse und eine sehr gute gesellschaftliche Integration der gesamten Familie zu berücksichtigen.

 

Es ist weiters als wesentliches Merkmal zu berücksichtigen, wenn - anders als in Fällen, in denen die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basierte (vgl. zB VfGH 12.6.2010, U614/10) - die Integration der Beschwerdeführer während eines einzigen Asylverfahrens (dessen Dauer im durch den Verfassungsgerichtshof entschiedenen Fall sieben Jahre betrug), welches nicht durch eine schuldhafte Verzögerung durch den Beschwerdeführer und seine Familie geprägt war, erfolgte.

 

Bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter zur Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes ist immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls im Detail abzustellen. Eine Ausweisung hat daher immer dann zu unterbleiben, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

3.4.4. In Österreich leben zwei Brüder sowie eine Schwester des Beschwerdeführers. Mit diesen besteht kein gemeinsamer Haushalt und hat der Beschwerdeführer ab und zu Kontakt zu diesen.

 

Dazu ist auszuführen, dass als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, neben der Verwandtschaft jedoch noch weitere Umstände hinzutreten müssen. So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht.

 

In Anbetracht des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers kann von dieser besonderen Beziehungsintensität betreffend seiner in Österreich aufhältigen Geschwister nicht gesprochen werden, zumal er mit diesen in keinem gemeinsamen Haushalt lebt hat und kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis bzw. keine besondere emotionale bzw. soziale Bindung dargelegt wurde.

 

Angesichts dessen kann nicht von einer besonderen Beziehungsintensität zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Geschwistern ausgegangen werden, welches eine - im Lichte der Rechtsprechung des EGMR - ausreichende Beziehungsintensität begründen würde und im konkreten Einzelfall auch höher zu bewerten wäre, als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen.

 

Da somit im gegenständlichen Fall ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers zu verneinen ist, bleibt zu prüfen, ob mit der Ausweisung ein Eingriff in deren Privatleben einhergeht.

 

Der Beschwerdeführer reiste im Juni 2015 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des sohin drei Jahre und drei Monate dauernden Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich ist bereits dadurch abgeschwächt, dass der Beschwerdeführer seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte. Er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht in begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt im Übrigen ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031 mwN).

 

Der Beschwerdeführer hat hierorts keine Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen. Er hat insbesondere keine Erwerbstätigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt in Aussicht und ist zur Sicherstellung seines Auskommens auf Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer gemeinnützige Tätigkeiten ausführte, fällt bei der gegenständlichen Abwägungsentscheidung nicht besonders stark ins Gewicht, zumal hierdurch eine nachhaltige Integration im Arbeitsmarkt, welche auch künftig auf seine Selbsterhaltungsfähigkeit schließen ließe, aktuell nicht erkannt werden kann.

 

Der Beschwerdeführer spricht auf einfachem Niveau die deutsche Sprache und pflegt soziale Kontakte zu Nachbarn. Diesbezüglich ist auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

Vom Bundesverwaltungsgericht wird auch nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer im Schuljahr 2017/2018 einen Übergangslehrgang besuchte, jedoch wiegt die erst relativ kurze andauernde Ausbildung nicht dermaßen schwer, dass die Abwägungsentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers auszugehen hätte.

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Der Beschwerdeführer verbrachte andererseits den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat. Er wurde dort sozialisiert und besuchte dort die Schule. Der Beschwerdeführer war im Irak in der Baubranche tätig und hat Islamwissenschaften studiert. Im Irak halten sich nach wie vor die Mutter sowie drei Schwestern des Beschwerdeführers auf. Er spricht die Mehrheitssprache seiner Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau und deutet daher nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren.

 

Der sohin in Anbetracht der erst kurzen Zeit des Aufenthaltes in Österreich, der fehlenden beruflichen Integration sowie des geringen Spracherwerbs relativ schwachen Rechtsposition des Beschwerdeführers im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes gegenüber. Zwar ist ein Bemühen des Beschwerdeführers um Integration im Bundesgebiet feststellbar, dennoch ist relativierend darauf zu verweisen, dass ein erst drei Jahre und drei Monat dauernder faktischer Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt, welcher durch eine illegale Einreise herbeigeführt wurde und währenddessen sich der Beschwerdeführer - insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides - der Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein musste.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde daher zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt.

 

Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die belangte Behörde ist des Weiteren auch nach Abwägung aller dargelegten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers zu Recht davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG von Amts wegen nicht zu erteilen ist. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG getroffene Feststellung keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig wäre.

 

3.4.5. Die in Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides festgelegte Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Diesbezüglich finden sich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift.

 

Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Zu Spruchteil B)

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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