OGH 9ObA102/22y

OGH9ObA102/22y19.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Michor (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, 8020 Graz, Göstinger Straße 26, 2. Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Steiermark, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, und 3. Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark, 8021 Graz, Eggenberger Straße 3, alle vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Ing. A*, und 2. R*, beide vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen 269.554,81 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 15.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Parteien und der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juli 2022, GZ 7 Ra 4/22w‑90, mit dem der Berufung der klagenden Parteien und der zweitbeklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. September 2021, GZ 32 Cga 116/19f‑79, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00102.22Y.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Umfang der Abweisung des gegen die erstbeklagte Partei gerichteten Feststellungsbegehrens (Spruchpunkt 2.) des Ersturteils) aufgehoben und dem Erstgericht insgesamt die Entscheidung über das gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Leistungs‑ und Feststellungsbegehren nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die auf das Verfahren gegen die erstbeklagte Partei entfallenden Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 13. 10. 2016 ereignete sich auf dem Betriebsgelände des landwirtschaftlichen Betriebs des Erstbeklagten ein Arbeitsunfall, bei dem der Versicherte der Klägerinnen, T* (in der Folge kurz: Versicherter), schwere Verletzungen erlitt.

[2] Der Zweitbeklagte ist gelernter Schlosser sowie ausgebildeter Werkmeister für Maschinenbau und war als Vorarbeiter im Betrieb des Erstbeklagten für das interne Bauwesen, Reparaturarbeiten, Maschinen und Gebäude zuständig.

[3] Auf dem Betriebsgelände des Erstbeklagten befindet sich ein Weinkeller, der in den Hang hineingebaut ist und ein leicht schräges, befahrbares Gründach aufweist. Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Weinkeller noch nicht fertiggestellt und das Dach aufgrund von Hangrutschungen bis zur Mauerkante, an der keine Absturzsicherung bestand, mit nassem Erdreich überdeckt.

[4] Im Zuge der Fertigstellungsarbeiten, mit deren Planung drei Monate vor dem Unfall begonnen worden war, sollte eine Attika auf dem Dach des Weinkellers errichtet werden. Da dafür zunächst das Erdreich auf dem Dach entfernt werden musste, mietete der Zweitbeklagte einen Minibagger der Marke Y* samt (jeweils nicht in der Liste des Herstellers des Minibaggers für zulässiges Zubehör gelistetem) Grabenräumlöffel und Schnellwechselsystem an. Die Arbeiten sollten von seinem ebenfalls im Betrieb arbeitenden Sohn C* und den üblicherweise dem Kellermeister zugeteilten Mitarbeitern, nämlich R* und dem Versicherten durchgeführt werden.

[5] Der * 1996 geborene Versicherte hat eine fünfjährige landwirtschaftliche Schule in Slowenien am 24. 6. 2016 mit Matura abgeschlossen. Er hatte unter anderem eine Ausbildung über die sichere Verwendung eines Traktors und die Wartung landwirtschaftlicher Maschinen für die Bodenbearbeitung erhalten. Dass er auch eine Ausbildung zum Fahren eines Baggers absolviert hatte, kann nicht festgestellt werden. Seit 15. 7. 2016 war er als Maschinist/Traktorfahrer im Betrieb des Erstbeklagten beschäftigt. Auf die Frage des Zweitbeklagten, ob er Bagger fahren könne, antwortete der Versicherte, er sei bereits „ein paar Mal bei Verwandten“ mit einem Bagger gefahren, wobei es sich dabei mehr um ein Ausprobieren gehandelt habe.

[6] Am Unfallstag fuhr der Versicherte auf Anweisung des Zweitbeklagten den nicht mit dem standardmäßigen Hochlöffel, sondern dem Schnellwechselsystem und voluminöseren Grabenräumlöffel ausgestatteten Bagger auf das Dach des Weinkellers, während der Zweitbeklagte zunächst neben dem Bagger ging. Dann setzte sich der Zweitbeklagte in den Bagger und demonstrierte, wie man diesen bedient und schaufelte Erdreich in Scheibtruhen. Dabei führte er vor, dass der Ausleger über die Südseite, also so, dass der Löffel nicht über das Dach hinausragt, zu drehen ist. Eine schriftliche Betriebsanweisung für den Bagger legte er nicht vor. Die befüllten Scheibtruhen wurden vom Versicherten und R* zum nordöstlichen Eck des Daches gebracht und in den darunter abgestellten LKW entleert. Anschließend wies der Zweitbeklagte den Versicherten an, sich in den Bagger zu setzen und die Scheibtruhen zu befüllen. Diese wurden in der Folge von C* und R* entleert.

[7] Da dem Zweitbeklagten diese Arbeitsweise in der Folge zu beschwerlich erschien, veranlasste er seinen Sohn, einen Weingartenkleintraktor der Marke V* samt Kippmulde zu besorgen. Er änderte seine Anweisung dahin ab, dass der Versicherte nun das Erdreich mit dem Bagger in die Kippmulde des Weingartenkleintraktors schaufeln, C* als Fahrer des Traktors mit der befüllten Kippmulde zur Dachkante am nordöstlichen Eck fahren und reversieren sollte, sodass die Kippmulde über das Dach hinausragte. Danach sollte C* die Kippmulde mechanisch auslösen, sodass die Erde in den LKW gekippt wird. Beim ersten Vorgang ging der Zweitbeklagte neben dem Weingartenkleintraktor her. R* wurde angewiesen, mit der Schaufel die Feinarbeit zu erledigen. Der Zweitbeklagte beobachtete einige Minuten lang den Ablauf, wobei die Arbeitsschritte dabei zwei bis drei Mal durchlaufen wurden. Anschließend verließ er die Baustelle.

[8] Noch vor der Mittagspause entfernte sich auch C* von der Baustelle. Der Versicherte übernahm daraufhin sowohl die Bedienung des Baggers als auch die Bedienung des Weingartenkleintraktors.

[9] Vor der Mittagspause kam der Zweitbeklagte wieder zur Baustelle. Er wies den Versicherten an, den aufgetragenen Ablauf fortzusetzen, solange genügend Platz für diesen Arbeitsvorgang vorhanden sei. Danach solle er nur noch den Minibagger verwenden.

[10] Als für den Weingartenkleintraktor nicht mehr genügend Platz war, stellte der Versicherte diesen weg und schaufelte die Erde auf östlicher Seite des Minibaggers zu einem Erdhügel, wobei sich die Raupen des Minibaggers parallel zur Dachkante befanden (Querausleger). Dieser Zwischenschritt diente für ihn der Sicherheit, weil er befürchtete, beim direkten Befüllen des LKW mit dem Minibagger umzukippen. Als der Erdhügel groß genug war, fuhr er zur nordöstlichen Ecke des Daches, wobei die Raupen des Minibaggers nun normal zur Dachvorderkante standen (Längsausleger). Aus dieser Position schaufelte er die Erde vom Erdhaufen in den LKW. Nachdem der Erdhaufen abgetragen war, fuhr er wieder zurück und wiederholte den Vorgang.

[11] Als der Zweitbeklagte etwas später erneut zur Baustelle kam, fragte er den Versicherten, warum er diesen Erdhügel gebildet habe. Er erklärte dem Versicherten, dass er sich den Zwischenschritt ersparen und die Erde nach dem Aufnehmen direkt in den LKW kippen könne, weil er ja bereits sehr nahe am LKW stehe. Danach entfernte sich der Zweitbeklagte erneut von der Baustelle.

[12] Der Versicherte ignorierte zunächst diese Anweisung und fuhr mit seiner Variante, also mit dem Zwischenschritt der Bildung des Erdhaufens und Umpositionierung des Minibaggers fort, bis der Zweitbeklagte wiederum zur Baustelle kam. Der Zweitbeklagte sprach den Versicherten erneut darauf an, warum er noch immer diesen Zwischenschritt mache. Der Versicherte meinte, dass es für ihn die sicherere Arbeitsweise wäre. Daraufhin gab der Zweitbeklagte dem Versicherten die strikte Anweisung, die mit dem Minibagger aufgenommene Erde direkt in den LKW zu leeren. Er solle dies ab sofort so machen, sonst „könne er nach Hause gehen, sie müssten heute noch fertig werden“. Danach entfernte sich der Zweitbeklagte erneut von der Baustelle.

[13] Anschließend führte der Versicherte die Arbeit wie angeordnet etwa zwei bis drei Mal aus. Beim Schwenken des maximal ausgefahrenen Auslegers mit dem voluminöseren und mit nasser Erde gefüllten Grabenräumlöffel über den LKW wurde die rechte der parallel zur Vorderkante des Daches positionierten Raupen des Minibaggers schwerer belastet als die linke, sodass es aufgrund dieser Schrägstellung zu einer Schwerpunktverlagerung kam. Bei einem der Abladevorgänge löste sich beim Öffnen des Löffels die nasse Erde nicht aus dem Löffel. Um die Erde aus dem Löffel zu bekommen, bewegte der Versicherte den Löffel auf und ab. Dabei kam der Bagger endgültig aus dem Gleichgewicht und kippte sechs Meter in die Tiefe. Dabei erlitt der Versicherte schwere Verletzungen.

[14] Die Ursachen dieses Arbeitsunfalls lagen in der massiven Mehrbelastung des Baggers durch die Montage des Schnellwechselsystems und des Grabenräumlöffels, die Schrägstellung des Baggers durch Einsinken der rechten Raupe und die dadurch bedingte Schwerpunktverlagerung in Richtung Absturzkante, die Verringerung in der gesamten Tragfähigkeit des Baggers durch die Positionierung des Planierschilds im rechten Winkel zur Absturzkante sowie durch die zusätzlichen dynamischen Kräfte infolge des schnellen Auf- und Abbewegens des Grabenräumlöffels.

[15] Als (taugliche Arbeitnehmerschutz‑)Maßnahmen wären das Anbringen einer Absturzsicherung direkt an der Absturzkante in Form von stabilen Abgrenzungen durch Brustwehren aus Holz oder Metallrohr oder durch gespannte Seile bzw Ketten in Betracht gekommen, sodass sich der Versicherte nicht bis zur Absturzkante bewegen hätte können, weil vorher das Rückhaltesystem gegriffen hätte. Weiters wäre das Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung des Fahrers eine taugliche Schutzmaßnahme gewesen. Bei Verwendung der Bedienungsanleitung des Minibaggers als Unterweisungsunterlage wäre ersichtlich gewesen, dass der Grabenräumlöffel unter diesen Bedingungen nicht hätte verwendet werden dürfen. Das durch die Umrüstung massiv geänderte Traglastverhalten des Baggers, das letztlich auch der primäre Unfallfaktor war, wurde den am Arbeitsablauf beteiligten Arbeitnehmern nicht erklärt. Eine Kante von ca 10–20 cm war an der Absturzstelle nicht vorhanden und wäre auch kein profundes Mittel gewesen, den Traktor aufzuhalten.

[16] Der vom Zweitbeklagten angeordnete Arbeitsvorgang war als gefährlich einzustufen. Die Durchführung von Arbeiten an einer Absturzstelle ohne Sicherungsmaßnahmen entspricht nicht den Arbeitnehmerschutzbestimmungen. Das Schwenken des Auslegerarms des Grabenräumlöffels über die Absturzkante, um das Erdreich direkt auf den LKW zu befördern, war nicht zulässig. Der Unfall hätte auch verhindert werden können, wenn der auf dem LKW aufgebaute Ladekran verwendet worden wäre, um die Erde vom Kellerdach herunterzuheben. Dazu hätte man den LKW weiter weg stellen müssen, um mit dem ausfahrbaren Knickarm die Erde direkt aufnehmen zu können.

[17] Der Zweitbeklagte war aufgrund seiner Ausbildung als Werkmeister für Maschinenbau grundsätzlich eine geeignete Aufsichtsperson. Er hätte die Baustelle aber nur dann verlassen dürfen, wenn er einen anderen auf der Baustelle geeigneten Arbeitnehmer als Aufsichtsperson bestellt hätte, der dann auf die Durchführung und Einhaltung der zum Schutz der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen achten hätte müssen.

[18] Die Kläger begehren von den Beklagten den Regress der von ihnen an den Versicherten aufgrund des Arbeitsunfalls erbrachten Sozialversicherungsleistungen (Erstklägerin: 102.923,58 EUR; Zweitklägerin: 21.990,94 EUR; Drittklägerin: 115.435,38 EUR) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für sämtliche künftige Pflichtleistungen, welche sie aufgrund des Arbeitsunfalls an den Versicherten zu erbringen hätten. Die Beklagten hätten grob fahrlässig Arbeitnehmerschutzvorschriften verletzt. Insbesondere hätten sie für die gefahrengeneigte Tätigkeit jedwede Sicherheitsmaßnahmen unterlassen, keine schriftliche Ermittlung und Beurteilung der Gefahren durchgeführt, keine schriftliche Betriebsanweisung erstellt und völlig falsche Arbeitsanweisungen gegeben. Der Erstbeklagte habe für das Verhalten des Zweitbeklagten als Repräsentant einzustehen. Zudem hafte der Erstbeklagte aus eigenem Organisationsverschulden insbesondere deshalb, weil er keine konkrete Vorbereitung des Arbeitseinsatzes (Evaluierung, Schriftlichkeit) vorgenommen, trotz der gefahrengeneigten Tätigkeit keine Sicherheitsmaßnahmen gesetzt, die Arbeitnehmer über die Gefahren nicht informiert und unterwiesen, keine schriftliche Betriebsanweisung erstellt und mit dem Verletzten besprochen und nicht für die dauernde Anwesenheit einer geeigneten Aufsichtsperson vor Ort gesorgt habe. Dem Erstbeklagten sei ein grobes (Organisations‑)Verschulden anzulasten, weil er es gänzlich unterlassen habe, eine Struktur, die auf die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und deren Kontrolle gerichtet ist, einzurichten.

[19] Die Beklagten bestritten und beantragten Klagsabweisung. Sie wandten ein, dass der mit der Durchführung der Arbeiten vom Erstbeklagten beauftragte Zweitbeklagte richtige Arbeitsanweisungen gegeben habe. Der Versicherte habe den letztlich zum Unfall führenden Arbeitsvorgang eigenmächtig und entgegen der Unterweisung des Zweitbeklagten vorgenommen. Die Beklagten treffe daher kein Verschulden am Arbeitsunfall, weil das pflichtwidrige Verhalten des Versicherten nicht vorhersehbar gewesen sei. Jedenfalls treffe den Versicherten ein erhebliches (überwiegendes) Mitverschulden, weil er die Anordnungen des Zweitbeklagten über den Arbeitsablauf und seine eigenen erlernten Kenntnisse in Maschinenkunde und Fahrzeugkunde missachtet habe. Aufgrund des überwiegenden Verschuldens des Versicherten seien allfällige Verstöße der Beklagten gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht grob fahrlässig erfolgt. § 334 Abs 3 ASVG sei überdies verfassungswidrig.

[20] Mit Teil- und Zwischenurteil vom 27. 9. 2021, berichtigt mit den Beschlüssen vom 14. 1. 2022 und 11. 4. 2022, stellte das Erstgericht die Haftung des Zweitbeklagten für sämtliche von den Klägerinnen aufgrund des Unfalls des Versicherten vom 13. 10. 2016 zu erbringenden Pflichtleistungen dem Grunde nach fest und wies das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Erstbeklagte zur ungeteilten Hand mit dem Zweitbeklagten für sämtliche künftige Pflichtleistungen hafte, ab. Der Zweitbeklagte habe grob fahrlässig zahlreiche Arbeitnehmerschutzvorschriften verletzt. Den Erstbeklagten treffe keine Haftung, weil er nicht selbst gehandelt, sondern sich für die Angelegenheiten des innerbetrieblichen Bauwesens des Zweitbeklagten als Vorarbeiter bedient habe. Dieser sei aufgrund seiner Ausbildung dafür auch geeignet gewesen.

[21] Im Detail führte das Erstgericht zu den von den Klägerinnen behaupteten Verletzungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften durch die Beklagten aus:

1. Zur Arbeitsplatzevaluierung und Planung der Bauarbeiten:

[22] Gemäß § 99 Abs 1 Steiermärkische Landarbeitsordnung 1981 (STLAO 2001) seien Dienstgeber verpflichtet, die für die Sicherheit und Gesundheit der Dienstnehmer bestehenden Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen. Dabei seien die Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß § 102 STLAO 2001 anzuwenden sowie insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätte, 2. die Gestaltung und der Einsatz von Arbeitsmitteln, 3. die Verwendung von Arbeitsstoffen, 4. die Gestaltung der Arbeitsplätze, 5. die Gestaltung der Arbeitsverfahren und Arbeitsvorgänge und deren Zusammenwirken, 6. die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und die Art der Tätigkeiten, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe sowie der Arbeitsorganisation und 7. der Stand der Ausbildung und Unterweisung der Dienstnehmer. Gemäß Abs 8 leg cit seien bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren und Festlegung der Maßnahmen erforderlichenfalls geeignete Fachleute heranzuziehen. Die Ergebnisse seien gemäß § 100 STLAO 2001 schriftlich festzuhalten (Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente).

[23] Im vorliegenden Fall sei bereits drei Monate zuvor mit den Planungen der Arbeiten am Dach begonnen worden. Dabei sei jedoch verabsäumt worden, mögliche Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen. Dabei wären vor allem die verwendeten Arbeitsmittel, Minibagger und Weingartenkleintraktor, die genaue Ausgestaltung des Arbeitsverlaufs von Anfang bis zum Ende, die Auswahl von geeigneten Arbeitnehmern inklusive deren Ausbildungsstand zu berücksichtigen gewesen. Nötigenfalls hätte auch eine Sicherheitsfachkraft zur Planung hinzugezogen werden können. Vor diesem Hintergrund liege eine Verletzung dieser Arbeitnehmerschutzvorschriften vor.

2. Zum Erfordernis einer schriftlichen Betriebsanweisung:

[24] Gemäß § 23 Abs 2 Satz 1 Arbeitsmittelverordnung (AM‑VO) seien für die Benützung von selbstfahrenden Arbeitsmitteln unter Berücksichtigung der betrieblichen Gegebenheiten schriftliche Betriebsanweisungen zu erstellen. Da die Arbeiten mit einem Minibagger und einem Weingartenkleintraktor verrichtet worden seien, hätten für beide Geräte schriftliche Betriebsanweisungen erstellt werden müssen. Beim Minibagger wäre dabei vor allem auf das Aufnehmen, Bewegen und Absetzen von Lasten einzugehen gewesen. Des Weiteren hätte auch die Betriebsanleitung des Minibaggers herangezogen werden müssen. Beim Studium dieser Betriebsanleitung hätte man erkennen können, dass der verwendete Grabenräumlöffel samt Schnellwechselsystem nicht vom Hersteller zugelassen sei, und dass durch die Masse und Volumenunterschiede der Löffel die Belastungen in Querauslegerstellung für den Minibagger zu hoch gewesen wären. Auch für Verwendung des Weingartenkleintraktors wäre eine solche schriftliche Betriebsanweisung unter besonderer Berücksichtigung des Be- und Entladens anzufertigen gewesen. Da die Beklagten zugestanden hätten, dass es keine schriftlichen Betriebsanweisungen gegeben habe, sei ihnen auch die Verletzung dieser Vorschriften anzulasten.

3. Zum Nichtvorliegen einer Fahrbewilligung:

[25] Gemäß § 33 Abs 1 und 2 Arbeitsmittelverordnung – AMVOLuFw dürften mit dem Führen von Kränen und mit dem Lenken eines selbstfahrenden Arbeitsmittels iSd § 23 dieser VO nur Arbeitnehmer beschäftigt werden, die über eine schriftliche Fahrbewilligung des Arbeitgebers verfügten. Die Fahrbewilligung dürfe erst nach einer auf das betreffende Arbeitsmittel abgestimmten besonderen Unterweisung der Arbeitnehmer erteilt werden. Eine solche Fahrbewilligung sei hier nicht erteilt worden.

4. Zu den Arbeiten mit Erdbaumaschinen:

[26] Gemäß § 52 Abs 1 Bauarbeiterschutzverordnung (BauVOLuFw) müssten Erdbaumaschinen von Baugruben, Schächten, Gräben, Bruch-, Gruben-, Halden- und Böschungsrändern so weit entfernt bleiben, dass keine Absturzgefahr bestehe. Die Aufsichtsperson habe entsprechend der Tragfähigkeit des Untergrundes den erforderlichen Abstand von der Absturzkante festzulegen. An ortsfesten Kippstellen dürften Erdbaumaschinen nur betrieben werden, wenn fest eingebaute Einrichtungen an der Kippstelle das Abrollen oder Abstürzen der Maschine verhinderten.

[27] Vor diesem Hintergrund sei das Arbeiten an der Absturzkante mit dem Minibagger in dieser Form nicht zulässig gewesen, weil es keine Einrichtung an der Kippstelle gegeben habe, die das Abrollen oder Abstürzen verhindern hätte können.

5. Zur Unterweisung:

[28] Gemäß § 109 STLAO 2001 (Anmerkung des Senats: vgl § 107) idF LGBl 39/2002 seien Dienstgeber verpflichtet, für eine ausreichende Unterweisung der Dienstnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz während der Arbeitszeit zu sorgen. Die Unterweisung müsse nachweislich erfolgen und auf den Arbeitsplatz und den Aufgabenbereich des Dienstnehmers ausgerichtet sein. Für die Unterweisung seien erforderlichenfalls geeignete Fachkräfte heranzuziehen. Eine Unterweisung müsse jedenfalls vor Aufnahme der Tätigkeit und bei Einführung oder Änderung von Arbeitsmitteln oder Arbeitsverfahren erfolgen. Die Unterweisung müsse an die Entwicklung der Gefahrenmomente und an die Entstehung neuer Gefahren angepasst werden und auch die bei absehbaren Betriebsstörungen zu treffenden Maßnahmen umfassen. Die Unterweisung müsse dem Erfahrungsstand der Dienstnehmer angepasst sein und in verständlicher Form erfolgen. Dienstgeber hätten sich zu vergewissern, dass die Dienstnehmer die Unterweisung verstanden haben.

[29] Gemäß § 5 AMVOLuFw müssten Arbeitgeber dafür sorgen, dass, wenn die Verwendung eines Arbeitsmittels mit einer Gefahr für Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern verbunden ist, alle Arbeitnehmer, die diese Arbeitsmittel verwenden, eine angemessene Unterweisung iSd § 109 STLAO (Anmerkung des Senats: nunmehr § 14 ASchG) erhalten. Nach § 5 Abs 2 leg cit müsse die Unterweisung vor der erstmaligen Verwendung von Arbeitsmitteln zumindest beinhalten: 1. Inbetriebnahme, Verwendung, 2. gegebenenfalls Auf- und Abbau, 3. Beseitigen von Störungen im Arbeitsablauf der Arbeitsmittel, 4. erforderlichenfalls Rüsten der Arbeitsmittel, 5. für den jeweiligen Verwendungszweck vorgesehene Schutzeinrichtungen, 6. notwendige Schutzmaßnahmen. Nach Abs 3 leg cit könne die Unterweisung nach Abs 2 Z 1 entfallen, soweit die zu unterweisenden Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Ausbildung oder ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit ausreichende Kenntnisse über die Arbeitsweise und Verwendung der jeweiligen Arbeitsmittel erworben hätten. Abs 6 leg cit lege fest, dassbei Unterweisungen Betriebsanleitungen der Hersteller und innerbetriebliche Betriebsanweisungen zu berücksichtigen seien. Diese Unterlagen seien den Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen.

[30] Im vorliegenden Fall habe der Zweitbeklagte dem Versicherten gezeigt, wie der Minibagger funktioniere. Auch die Arbeitsschritte des Ausbaggerns der Erde und das Entladen in die Kippmulde habe er vorgezeigt. Der Zweitbeklagte habe zwar dann noch für einige Zeit die Arbeiten beobachtet, sich aber später entfernt. Erseidaherden Verpflichtungen nach § 5 AMVOLuFw nur teilweise nachgekommen. Bei der Vorführung der Bedienung des Minibaggers habe er es zudem unterlassen, die Betriebsanleitung des Minibaggers zu Hilfe zu nehmen. Er habe den Versicherten auch nicht dahin unterwiesen, dass ein nicht vom Hersteller genehmigter und schwererer Löffel montiert gewesen sei und sich daher das Traglastverhalten des Minibaggers geändert habe. Dies stelle die primäre Unfallursache dar. Der Zweitbeklagte habe damit nicht alle Aspekte bei der Unterweisung beachtet und zudemdie Unterweisungen auch nicht nachweislich erteilt.

6. Zur Nichteignung des Versichertenfür die Bedienung des Minibaggers:

[31] Gemäß § 5 Abs 1 BauVOLuFw dürften mit der selbstständigen Ausführung von Arbeiten, die mit besonderen Gefahren verbunden seien, nur Arbeitnehmer beschäftigt werden, die mit diesen Arbeiten vertraut, körperlich und fachlich geeignet sowie besonders unterwiesen worden seien. Sofern solche Arbeiten von einem Arbeitnehmer allein ausgeführt würden, müsse eine wirksame Überwachung dieses Arbeitnehmers sichergestellt sein. […] Nach Abs 2 leg cit dürften zum Lenken und Führen von motorisch angetriebenen Fahrzeugen, wie Baggern, Planierraupen, -radladern oder Motorkarren, nur Arbeitnehmer herangezogen werden, die die hiefür notwendige Eignung oder Ausbildung nachweisen.

[32] Der Versicherte habe zwar vorher bei Verwandten bereits einen Bagger bedient. Dies sei jedoch keinesfalls mit einer Berufserfahrung oder fachlichen Geeignetheit zu vergleichen. Ein kurzzeitiges Ausprobieren einer Maschine bei ungefährlichen Verhältnissen sei zweifellos zu wenig, um von Geeignetheit zu sprechen. Auch das unfallfreie Entladen des Minibaggers vom Anhänger und Hinauffahren auf das Dach sei per se nicht genügend Erfahrung. Hätte der Versicherte über genügend Erfahrung verfügt, so hätte er auch um die verschiedenen Traglastverhalten in Quer- oder Längsausrichtung gewusst. Auch wäre es ihm dann aufgefallen, dass ein anderer, nicht zugelassener Löffel verwendet wurde.

7. Zur benötigten Aufsicht und Koordination der Baustelle:

[33] Gemäß § 4 Abs 1 BauVOLuFw dürften Bauarbeiten nur unter Aufsicht einer geeigneten Aufsichtsperson, mit der erforderlichen Sorgfalt und nach fachmännischen Grundsätzen durchgeführt werden. Als Aufsichtsperson könne der Arbeitgeber oder eine von ihm bevollmächtigte, mit entsprechenden Befugnissen ausgestattete, Person tätig sein. Als Aufsichtsperson sei nur geeignet, wer 1. die für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Erfahrungen in allen Fragen besitze, die mit den in Betracht kommenden Arbeiten vom Standpunkt der Sicherheit zusammenhängen, 2. Kenntnisse über die in Betracht kommenden Arbeitnehmerschutzvorschriften besitze und, 3. die Gewähr für eine gewissenhafte Durchführung der übertragenen Aufgaben biete. Wenn die Aufsichtsperson auf der Baustelle nicht ständig anwesend sein könne, sei ein auf der Baustelle beschäftigter Arbeitnehmer zu bestellen, der in Abwesenheit der Aufsichtsperson auf die Durchführung und Einhaltung der zum Schutz der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu achten habe (Abs 2 leg cit).

[34] Der Zweitbeklagte sei als Vorarbeiter mit der Kontrolle und Koordinierung vom Erstbeklagten beauftragt gewesen. Da die landesgesetzlichen Bestimmungen keine Spezifikationen vorschreiben würden, welche Vorgaben er in seiner Rolle als Aufsichtsperson aufweisen müsse, sei hilfsweise die bundesgesetzliche Vorschrift des § 4 Abs 3 BauV heranzuziehen, wonach die erforderlichen Kenntnisse in geeigneter Form nachzuweisen seien, zB durch ein Zeugnis über die erfolgreiche Ablegung einer Meisterprüfung. Der Zweitbeklagte verfüge über eine Ausbildung als Werkmeister. Auch innerbetrieblich sei er für Bauarbeiten zuständig. Demnach sei er eine geeignete Aufsichtsperson iSd § 4 Abs 1 BauVOLuFw. Der Zweitbeklagte hätte jedoch als Aufsichtsperson die Baustelle nur verlassen dürfen, wenn er einen geeigneten Arbeitnehmer zur Aufsicht bestellt hätte. Da niemand der anderen Mitarbeiter eine geeignete Aufsichtsperson wäre und auch keine bestellt worden sei, liege auch hier ein Verstoß vor. Der Zweitbeklagte hätte daher nie die Baustelle verlassen dürfen. Die mehrmalige Anwesenheit für jeweils lediglich ein paar Minuten, um neue Anweisungen zu geben, sei somit in keinem Fall ausreichend.

8. Zur unsachgemäßen Verwendung des Weingartenkleintraktors:

[35] Im Lichte der Arbeitnehmerschutzbestimmungen sei auch der Entleervorgang mit der Kippmulde des Weingartenkleintraktors unzulässig gewesen. Das rückwärts Heranfahren an die Absturzkante des Daches ohne Vorliegen irgendeiner Absturzschutzeinrichtung sei höchst gefährlich. Auch wenn man dem Vorbringen der Beklagten folgen würde, wonach eine 10 bis 20 cm hohe Betonkante als Schutzvorrichtung gegeben gewesen sei, so sei dies keine „Schutzeinrichtung“. Denn eine solche Kante wäre niemals in der Lage, den Traktor vor einem Absturz zu bewahren. Vielmehr wäre der Traktor über die Absturzkante des Daches hinaus abgestürzt, wenn der Fahrer zu schnell reversiert hätte, bei der Kupplung abgerutscht wäre oder beim geringsten Aufmerksamkeitsfehler die Kante übersehen hätte.

[36] Das Berufungsgericht gab den gegen diese Entscheidung erhobenen Berufungen der Klägerinnen und des Zweitbeklagten nicht Folge. Zur Berufung der Klägerinnen führte es aus, dass der Dienstgeber (bzw der ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellte) selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben müsse, um dem Sozialversicherungsträger gegenüber nach § 334 ASVG ersatzpflichtig zu werden. Eine Haftung des Dienstgebers für fremdes, wenn auch grobes Verschulden (Repräsentantenhaftung) sei nicht nur nach dem Wortlaut des § 334 ASVG, sondern auch nach dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit der Regelung des § 333 ASVG ausgeschlossen. Der gegenständliche Arbeitsunfall sei auf die Verletzung von zahlreichen Schutzgesetzen durch den Zweitbeklagten zurückzuführen. Den Erstbeklagten treffe zwar als Arbeitgeber die Verpflichtung, für die Gesundheit und den Gesundheitsschutz seiner Arbeitnehmer zu sorgen und die entsprechenden Maßnahmen zur Verhütung von arbeitsbedingten Gefahren auch durch Information und Unterweisung sowie Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel zu treffen (vgl § 3 ASchG, § 14 ASchG). Ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden, das einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der erforderlichen Sorgfalt erfordere, sei dem Erstbeklagten aber aufgrund der konkreten Umstände nicht vorzuwerfen. Dafür hätte es der Erstbeklagte verabsäumen müssen, ex ante ganz einfache und naheliegende Überlegungen anzustellen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Welche „sonstigen Maßnahmen“ konkret der Erstbeklagte hätte veranlassen müssen, um „eine gesetzeskonforme Ermittlung und Beurteilung der Gefahren, gesetzeskonforme Unterweisungen und anderes mehr“ zu ermöglichen, hätten die Klägerinnen nicht näher vorgebracht. Soweit sie betonen, es hätte jegliche innerbetriebliche Organisation gefehlt, die es ermöglicht hätte, gesetzeskonform unter Einhaltung und Kontrolle von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu arbeiten, würden sie von den Feststellungen des Erstgerichts abweichen.

[37] Zur Berufung des Zweitbeklagten führte das Berufungsgericht aus, dass dieser durch seine zahlreichen und schwerwiegenden Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften (die das Erstgericht unter Bezugnahme auf die bezughabenden Gesetzesstellen angeführt habe) grob fahrlässig den Arbeitsunfall verschuldet habe und daher den Klägerinnen infolge seiner Leitungsfunktion und Weisungsbefugnis gegenüber dem Verletzten gemäß § 334 Abs 1 ASVG hafte. Bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit des Handelns des Zweitbeklagten falle besonders ins Gewicht, dass dieser trotz Bestehens einer großen Gefahrenlage einfache Überlegungen nicht angestellt habe. Er habe die im Zuge der anstehenden Arbeiten auftretenden Gefahren nicht evaluiert und keine Maßnahmen zu deren Verhütung festgelegt sowie keine klaren Anweisungen über die der Situation angepassten Arbeitsmethode gegeben und auch keine konkreten, tauglichen Sicherungsmaßnahmen durchgeführt. Als zuständiger Vorarbeiter sei er für die Planung und Organisation der Fertigstellungsarbeiten im Bereich des Weinkellers zuständig gewesen, wofür er auch ausreichend Zeit gehabt habe. Er habe den Versicherten, der erst wenige Monate zuvor die Schule abgeschlossen gehabt habe und im Betrieb des Erstbeklagten für andere Arbeiten dem Kellermeister unterstellt gewesen sei, auf dem mit nassem Erdreich bedeckten Dach mit einem mit ungeeigneter Betriebsausstattung (Schnellwechselsystem und Grabenräumlöffel) versehenen Bagger und später auch einem Weingartentraktor arbeiten lassen. Den Ablauf des konkreten Arbeitsvorgangs und seine diesbezüglichen Anweisungen habe er ad hoc zweimal geändert, wobei er nach einer kurzen Einweisung und Vorzeigen des Ablaufs die Baustelle verlassen habe. Als der über keine ausreichende Berufserfahrung oder Fachkenntnisse für die Bedienung des vorhandenen Geräts unter den gegebenen Bedingungen verfügende Versicherte ihn später auf das Risiko eines Absturzes hingewiesen und die Arbeit in einem leicht veränderten, ihm sicherer erscheinenden Ablauf fortführen habe wollen, habe er diesen mit der Bemerkung, sonst könne er „nach Hause gehen“ ausdrücklich angewiesen, wie vorgegeben weiterzumachen. Der vom Zweitbeklagten vorgegebene Arbeitsvorgang auf dem schrägen Dach auf nassem Untergrund in etwa sechs Meter Höhe sei gefährlich und aus arbeitnehmerschutzrechtlicher Sicht absolut unzulässig gewesen. Eine Evaluierung, eine konkrete Unterweisung des Versicherten in Bezug auf den unzulässig ausgestatteten Bagger, eine Absturzsicherung an der Kippstelle oder eine auf der Baustelle ständig anwesende geeignete Aufsichtsperson habe es nicht gegeben. Tatsächlich habe sich das vom Versicherten befürchtete Risiko verwirklicht und dieser sei mit dem Bagger abgestürzt, vor allem bedingt durch die massive Mehrbelastung des Baggers aufgrund der Montage des Schnellwechselsystems und voluminöseren Grabenräumlöffels, die Schrägstellung des Baggers durch Einsinken der rechten Raupe und dadurch erfolgte Schwerpunktverlagerung in Richtung Absturzkante, die Verringerung der gesamten Tragfähigkeit des Baggers durch die Positionierung des Planierschilds im rechten Winkel zur Absturzkante und die zusätzlichen dynamischen Kräfte durch das Auf- und Abbewegen des Grabenräumlöffels. Dass der Zweitbeklagte damit gegen die zum Unfallszeitpunkt bestehenden Schutzvorschriften der §§ 99 Abs 1, 100, 102, 109 STLAO, §§ 5, 23 AMVOLuFw, §§ 4, 5, 52 BauVOLuFw verstoßen habe, sei im Berufungsverfahren nicht weiter strittig. Diese objektiven Sorgfaltsverstöße des Zweitbeklagten seien ihm auch subjektiv vorwerfbar, weil es ihm jedenfalls zumutbar gewesen wäre, die letztlich verwirklichte Gefahr zu erkennen und das gesetzeskonforme Verhalten zu setzen. Richtig sei, dass ein allfälliges Mitverschulden des Versicherten bei der Beurteilung, ob der Arbeitsunfall durch eine grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers verursacht worden sei, mitzuberücksichtigen sei, auch wenn § 334 Abs 3 ASVG bestimmt, dass durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung des Arbeitgebers gemäß § 334 Abs 1 ASVG weder aufgehoben noch gemindert werde. Ein (das Verschulden des Zweitbeklagten minderndes) Mitverschulden des Versicherten liege hier aber nicht vor, insbesondere unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass dieser als Berufsanfänger trotz seines Hinweises auf das Risiko eines Absturzes im Zuge des vorgegebenen Arbeitsvorgangs unter Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und mit dem Hinweis auf den bestehenden Zeitdruck zur Fortsetzung der Arbeit angewiesen worden sei. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 334 Abs 3 ASVG stelle sich mangels Mitverschuldens des Versicherten nicht.

[38] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zugelassen.

[39] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich dieaußerordentlichen Revisionen der Klägerinnen und des Zweitbeklagten. Die Klägerinnen machen die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe. Der Zweitbeklagte beantragt unter Ausführung der Revisionsgründe der Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung. Hilfsweise stellen beide Revisionswerber einen Aufhebungsantrag.

[40] Die Klägerinnen erachten die Revision zum einen für zulässig, weil zur Frage, ob ein Unternehmer als natürliche Person entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen für das iSd § 334 ASVG grob fahrlässige Verhalten seiner Repräsentanten einzustehen habe, keine Rechtsprechung vorliege und zum anderen, weil das Berufungsgericht gegen die ständige Rechtsprechung verstoßen habe, nach der das Vorhandensein einer auf die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften gerichteten Organisation in die Verantwortung des Arbeitgebers falle. Der Zweitbeklagte sieht die Zulässigkeit seiner Revision in einer krassen Fehlbeurteilung der groben Fahrlässigkeit seines Verhaltens durch das Berufungsgericht.

[41] Der Erstbeklagte beantragt in seiner vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerinnen mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[42] Die Revision der Klägerinnen ist zulässig und auch berechtigt, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts zum (fehlenden) (Organisations‑)Verschulden des Erstbeklagten korrekturbedürftig ist.

[43] Die Revision des Zweitbeklagten ist nicht zulässig.

I. Zur außerordentlichen Revision der Klägerinnen:

[44] 1. Nach § 334 Abs 1 ASVG hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellter, wenn er den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, den Trägern der Sozialversicherung alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen.

[45] 2.1. Für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist primär der Arbeitgeber verantwortlich (RS0111032 [T1]). Er ist grundsätzlich Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften (2 Ob 115/13w Pkt 1.2.; RS0052197 [T11]). Die öffentlich‑rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften, die als öffentlich‑rechtliche Arbeitsrechtsnormen dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung dienen, und sich grundsätzlich an den Arbeitgeber richten, geben die Rahmenbedingungen und die Mindestanforderungen für die Schutzmaßnahmen vor (RS0084412 [T6, T7]; Lechner-Thomann in Novak/Lechner-Thomann, ASchG § 3 Rz 2). Jeder Arbeitsunfall, der sich im Betrieb des Arbeitgebers ereignet, und jede Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften sind, unfallversicherungs-rechtlich betrachtet, im weitesten Sinn der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen (RS0111032 [T3]). Es liegt daher im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, seinen Betrieb so zu organisieren, dass es zu keinen Gefahren für die in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliederten Arbeitnehmer kommt (RS0111032). Letztlich verfügt nämlich nur der Arbeitgeber über jene innerbetrieblichen Befugnisse, um die Maßnahmen, die aus der Sicht des Arbeitnehmerschutzes erforderlich sind, durch Anordnung umzusetzen (Nöstlinger, ArbeitnehmerInnenschutz2 44).

[46] 2.2. In diesem Sinne normiert auch der die allgemeinen Pflichten des Arbeitgebers regelnde § 3 ASchG bzw der diesem entsprechende und im vorliegenden Fall zur Anwendung gelangende § 98a STLAO 2001 (das ASchG gelangt nach der Ausnahme des § 1 Abs 2 Z 3 auf Arbeitnehmer in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben nicht zur Anwendung), dass Arbeitgeber verpflichtet sind, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit betreffen, zu sorgen. Arbeitgeber haben die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit sowie der Integrität und Würde (bzw in § 98a STLAO 2001 „der Sittlichkeit“) erforderlichen Maßnahmen zu treffen einschließlich der Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, zur Information und zur Unterweisung sowie der Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel.

[47] 3.1. Dieser grundsätzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Betrieb zu sorgen, wird der Arbeitgeber aber nicht schon etwa durch das Zur-Verfügung-Stellen von entsprechenden Sicherheitsausrüstungen oder der bloßen Erteilung der notwendigen Anweisungen, sondern erst dann gerecht, wenn er (auch) ein wirksames innerbetriebliches Kontrollsystem – zur Überprüfung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften – einrichtet und auch tatsächliche entsprechende Kontrollhandlungen folgen (Schneeberger in Heider/Schneeberger, ArbeitnehmerInnenschutzgesetz7 § 3 ASchG Rz 3 mwN; Nöstlinger, ArbeitnehmerInnenschutz2 44). Für ein wirksames Kontrollsystem reicht es etwa nicht, dass auf einzelnen Baustellen Bauleiter bzw Vorarbeiter und Poliere mit der Überwachung der Einhaltung an Ort und Stelle verantwortlich sind bzw vom verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen mindestens wöchentliche Kontrollen durchgeführt werden. Auch die bloße Erteilung von Anordnungen (Weisungen) und Schulungen ist nicht ausreichend. Für die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems ist es vielmehr erforderlich, dass der Arbeitgeber aufzeigt, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen hat, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt. Der Arbeitgeber hat auch dafür Sorge zu tragen, dass der Anordnungsbefugte Maßnahmen vorsieht, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden (Schneeberger in Heider/Schneeberger, ArbeitnehmerInnenschutzgesetz7 § 3 ASchG Rz 3 mwN).

[48] 3.2. Dass der Erstbeklagte im vorliegenden Fall die Arbeiten am Dach des Weinkellers im Sinne der ihn treffenden Arbeitnehmerschutzvorschriften organisiert und einentsprechendes Kontrollsystem zur Überwachung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften eingerichtet hat, lässt sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen und hat dies der Erstbeklagte auch nicht behauptet. Für die Einhaltung der dem Erstbeklagten obliegenden Arbeitnehmerschutzvorschriften reicht es aber keineswegs aus, dass er den Zweitbeklagten bloß mit der Durchführung der gegenständlichen Arbeiten beauftragt und er ihn zum „Aufseher“ bestellt hat, der dann für die Durchführung der Planung, der Organisation und der Abwicklung der Fertigstellungsarbeiten alleinverantwortlich sein sollte. Der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzbestimmungen kann sich seiner Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht dadurch entledigen, dass er sich eines Aufsehers im Betrieb bedient, den er mit der Durchführung (Planung, Organisation und Abwicklung) bestimmter Arbeiten betraut. Eine derartige Übertragung der rechtlichen Verantwortlichkeit (in dem Sinne, dass sie zu einer Befreiung des Arbeitgebers von ebendieser Verantwortlichkeit führt) ist gesetzlich nicht vorgesehen und entspräche auch nicht der Konzeption der die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für einzelne Bereiche konkretisierenden Arbeitnehmerschutzbestimmungen (vgl RS0021660). Insofern trifft zwar den Zweitbeklagten die Durchführungsverantwortung, die Gesamtverantwortung bleibt aber beim Erstbeklagten. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, bei den im konkreten Fall vorliegenden Verletzungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften handle es sich allein um – überdies nur diesem zuzurechnende – „Unterlassungen des Zweitbeklagten“, ist daher nicht zu folgen.

[49] 4.1. Der Erstbeklagte hat hier mehrfach seine – explizit ihn als Arbeitgeber treffenden – Verpflichtungen aus dem Arbeitnehmerschutz, wie die Revision der Klägerinnen zutreffend aufzeigt, verletzt. Auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts in seiner rechtlichen Beurteilung, die zum Teil dem Tatsachenbereich zuzuordnen sind (dislozierte Feststellungen; RS0043110 [T2]), wird verwiesen. Die wesentlichsten Pflichtverletzungen des Erstbeklagten sind folgende: Zunächst hat es der Erstbeklagte unterlassen, vor Erteilung des Auftrags zur Durchführung der gegenständlichen, erkennbar gefährlichen Arbeiten an den Zweitbeklagten eine Ermittlung und Beurteilung der Gefahren gemäß § 99 Abs 1 STLAO 2001 durchzuführen und anschließend geeignete Maßnahmen zum Schutz seiner Arbeitnehmer zu ergreifen. Die Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren und die durchzuführenden Maßnahmen zur Gefahrenverhütung hätte der Erstbeklagte schriftlich in einem sogenannten Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument festhalten müssen (§ 100 STLAO 2001). Gemäß § 23 Abs 2 Satz 1 AMVOLuFw hätte er für die Benützung des Minibaggers und des Kleintraktors jeweils eine schriftliche Betriebsanweisung unter Verwendung der jeweiligen Betriebsanleitung erstellen müssen. Hätte der Erstbeklagte vor Erteilung des Arbeitsauftrags an den Zweitbeklagten eine Gefahrenevaluierung durchgeführt und unter Verwendung der Betriebsanleitung des Minibaggers eine entsprechende Betriebsanweisung erstellt, hätte er erkennen können (und auch müssen), dass der geplante Arbeitsvorgang unter Benutzung des Minibaggers in der gegenständlichen vorgenommenen Art und Weise, insbesondere ohne Anbringung jeglicher Absturzsicherung (vgl §§ 8, 9, 22 BauVOLuFw) nicht zulässig gewesen wäre. Auch hat es der Erstbeklagte verabsäumt, die mit den Arbeiten betrauten Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Gefährlichkeit der beauftragten Arbeiten zu unterweisen (vgl § 109 STLAO 2001, § 5 AMVOLuFw). Der konkrete Inhalt einer derartigen Unterweisung liegt im ausschließlichen Verantwortungsbereich des Arbeitgebers (vgl Schneeberger in Heider/Schneeberger, ArbeitnehmerInnenschutzgesetz7 § 14 ASchG Rz 1). Der Erstbeklagte hätte dafür Sorge tragen müssen, dass der Versicherte vom Zweitbeklagten nicht mit dem Einsatz des Minibaggers betraut wird, weil dem Verletzten die notwendige Fachkenntnis und Berufserfahrung (vgl § 5 BauVOLuFw) fehlten und er diesem auch keine Fahrbewilligung iSd § 33 Abs 1 und 2 AMVOLuFw erteilt hatte.

[50] 4.2. Zusammengefasst hat der Erstbeklagte seine ihn als Arbeitgeber treffenden Pflichten aus dem Arbeitnehmerschutz nicht nur dadurch verletzt, dass er kein wirksames Kontrollsystem im Betrieb für die gegenständlichen Arbeiten eingerichtet hat, sondern auch dadurch, dass er zahlreiche konkrete an ihn als Arbeitgeber adressierte Arbeitnehmerschutzvorschriften außer Acht gelassen hat. Davon konnte er sich, wie bereits erwähnt, nicht einfach dadurch befreien, dass er die gesamte Organisation und Abwicklung der Arbeiten dem Zweitbeklagten überantwortete, ohne sich selbst um die Einhaltung der ihn treffenden Arbeitnehmerschutzvorschriften zu kümmern und die (auch daraus resultierenden) offenkundig gebotenen Vorkehrungen zu treffen. Insofern hat der Erstbeklagte die nicht an einen anderen Arbeitnehmer delegierbare Organisationsverantwortung zu tragen (vgl Atria in Sonntag, ASVG13 §§ 333–335 Rz 61; 8 ObA 90/13p).

[51] 5. Die in der Revision aufgeworfene Frage, ob der Erstbeklagte als Repräsentant für die Verfehlungen des Zweitbeklagten einzustehen hat, braucht daher nicht mehr beantwortet zu werden.

[52] 6.1.1. Es bleibt daher zu prüfen, ob dem Erstbeklagten ein grob fahrlässiges Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Nach ständiger Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit iSd § 334 Abs 1 ASVG dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iSd § 1324 ABGB gleichzusetzen (RS0030510). Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht (Pflicht zur Unfallverhütung) vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar war (RS0030644). Nicht jede Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften bedeutet für sich allein aber bereits das Vorliegen grober Fahrlässigkeit (RS0052197; RS0026555). Andererseits kann aber auch schon ein einmaliger Verstoß gegen Schutzvorschriften grobe Fahrlässigkeit bewirken, wenn ein Schadenseintritt nach den gegebenen Umständen des Einzelfalls als wahrscheinlich voraussehbar ist (RS0030622). Bei der Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades ist nicht der Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern der Schwere des Sorgfaltsverstoßes und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besondere Bedeutung beizumessen (RS0085332; RS0031127 [T22]). Bei der Einschätzung der Schwere des Sorgfaltsverstoßes kommt es insbesondere auch auf die Gefährlichkeit der Situation an (RS0022698). Grobe Fahrlässigkeit wird von der Rechtsprechung im Wesentlichen dann bejaht, wenn der Arbeitgeber als Adressat der Arbeitnehmerschutzvorschriften nach objektiver Betrachtungsweise ex ante ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (RS0052197 [T7, T8]; RS0085228; RS0030644 [T34]). Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein (RS0030272).

[53] 6.1.2. Auch grob fahrlässiges Organisationsverschulden erfordert einen objektiv und auch subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss also auch in diesem Zusammenhang in einem ungewöhnlich hohen Maß verletzt werden. Dasjenige muss unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall eigentlich jedem hätte einleuchten müssen. Voraussetzung dafür ist in der Regel das Bewusstsein der Gefährlichkeit des eigenen Verhaltens. Nicht jeder Organisationsfehler ist aber als typischerweise grob fahrlässig zu qualifizieren (RS0110748).

[54] 6.1.3. Bei der Beurteilung des Verschuldensgrades sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu prüfen (RS0026555; RS0089215).

[55] 6.2. Unter Beachtung all dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind die konkreten, mehrfachen gravierenden Verstöße des Erstbeklagten gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften als grob fahrlässig zu qualifizieren. Zum einen hat er es im Vorfeld des Arbeitsauftrags gänzlich unterlassen, eine Gefahrenevaluierung sowie arbeits- und gerätebezogene Risikoanalyse durchzuführen und geeignete Maßnahmen zum Schutz seiner Arbeitnehmer zu ergreifen, obwohl es ihm bekannt sein musste, dass die notwendigen Arbeiten mit einem Fahrzeug auf dem Dach des Weinkellers wegen der Gefahr eines Absturzes ein hohes Gefährdungspotential aufwiesen. Schon durch diese Unterlassungen (verstärkt durch seine anderen Sorgfaltspflichtverletzungen) hat der Erstbeklagte außergewöhnlich und auffallend seine Pflichten zur Unfallverhütung verletzt (vgl 8 ObA 34/22s Rz 12). Zum anderen hat er es gänzlich unterlassen, ein innerbetriebliches Kontrollsystem zur Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften einzurichten. Seine objektiven Sorgfaltsverstöße sind ihm auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb ihm die Einhaltung grundlegender und für die Sicherheit seiner Arbeitnehmer bestehender Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht leicht möglich gewesen wäre.

[56] 6.3. Auch der Erstbeklagte haftet daher als Arbeitgeber gemäß § 334 Abs 1 ASVG den Klägerinnen als Träger der Sozialversicherung grundsätzlich für allegesetzlich zu gewährenden Leistungen. In Spruchpunkt 2. seines Teil‑ und Zwischenurteils hat das Erstgericht das diesbezügliche Feststellungsbegehren abgewiesen. Über das Leistungsbegehren gegenüber dem Erstbeklagten hat es nicht entschieden. Der Revision der Klägerinnen war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang der Abweisung des gegen den Erstbeklagten gerichteten Feststellungsbegehrens (Spruchpunkt 2.) des Ersturteils) aufzuheben und dem Erstgericht die Entscheidung über das gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Leistungs‑ und Feststellungsbegehren nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Einer Stattgabe des gegen den Erstbeklagten gerichteten Feststellungsbegehrens durch den Obersten Gerichtshof steht entgegen, dass nicht feststeht, dass die Klägerinnen auch künftig Pflichtleistungen an den Kläger zu erbringen haben werden.

[57] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

II. Zur außerordentlichen Revision des Zweitbeklagten:

[58] 1. Wegen ihrer Einzelfallbezogenheit kann die Beurteilung des Verschuldensgrades regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0105331; RS0052197 [T12]; RS0087606 [T8]). Eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung, die dem Berufungsgericht bei Anwendung der oben dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung unterlaufen wäre, vermag die außerordentliche Revision des Zweitbeklagten nicht aufzuzeigen.

[59] 2. Die außerordentliche Revision argumentiert auch damit, dass ein Eigenverschulden des Versicherten berücksichtigt hätte werden müssen, was dazu geführt hätte, dass das Verschulden des Zweitbeklagten nur als leicht fahrlässig zu beurteilen gewesen wäre. Richtig ist, dass, auch wenn § 334 Abs 3 ASVG bestimmt, dass durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung des Arbeitgebers gemäß § 334 Abs 1 ASVG weder aufgehoben noch gemindert wird, ein allfälliges Mitverschulden des Versicherten bei der Beurteilung, ob der Arbeitsunfall durch eine grobe Fahrlässigkeit des Arbeitgebers verursacht wurde, mitzuberücksichtigen ist (RS0085538). Wenn das Berufungsgericht aber aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls ein Eigenverschulden des Versicherten verneint hat, so ist dies nach der Lage des Falls nicht zu beanstanden.

[60] 3. Die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 334 Abs 3 ASVG stellt sich daher im konkreten Fall nicht.

[61] 4. Die geltend gemachte Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die – wie der Revisionswerber vorbringt – aufgrund der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und des rechtlichen Gehörs in Verbindung mit der Einmaligkeit des Rechtsmittels nunmehr erstmals geltend gemacht werden könne, liegt nicht vor. Mit den Berichtigungsbeschlüssen des Erstgerichts wurde gemäß § 419 ZPO der Spruch der Entscheidung des Ersturteils nur dem wahren Willen des Erstgerichts angepasst (vgl RS0041418).

[62] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Zweitbeklagten zurückzuweisen.

Stichworte