OGH 8ObA90/13p

OGH8ObA90/13p28.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, 8021 Graz, Göstingerstraße 26, vertreten durch Dr. Peter Schaden, Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. M***** GmbH, *****, 2. Ing. H***** K*****, 3. E***** S*****, alle vertreten durch Dr. Helmut Fetz, Rechtsanwalt in Leoben, wegen 188.760,40 EUR sA und Feststellung (Interesse 20.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Oktober 2013, GZ 7 Ra 36/13p‑55, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird gemäß § 2 ASGG, § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Beklagten zeigen keine offene Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung auf.

Die Rechtsansicht, dass der von der Erstbeklagten eingesetzte, für die gesamte Organisation der Betriebsstätte verantwortliche Zweitbeklagte als weisungs‑ und entscheidungsbefugter Betriebsleiter genauso zum Personenkreis des § 333 Abs 4 iVm § 335 Abs 1 ASVG zählt wie der in seinem Bereich mit der Umsetzung der Sicherheitsanweisungen beauftragte, gegenüber den Schichtleitern anordnungs- und weisungsbefugte Drittbeklagte als Produktionsleiter, ist vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Es ist nach der herrschenden Rechtsprechung nicht erforderlich, dass ein „bevollmächtigter Vertreter“ iSd § 333 Abs 4 ASVG mit umfassenden betrieblichen Leitungsbefugnissen ausgestattet ist. Wesentlich für das Haftungsprivileg ist, dass ihm Aufgaben als Gehilfen des Arbeitgebers bei Erfüllung von Pflichten gegenüber den Arbeitnehmern im Bereich der Arbeitssicherheit übertragen wurden und er insoweit mit Weisungsbefugnis ausgestattet ist ( Neumayr in Schwimann 3 VII § 333 ASVG Rz 67 mwN; vgl zur externen Sicherheitsfachkraft 2 Ob 174/11v).

Die Erstbeklagte hat als juristische Person nach § 335 Abs 1 ASVG gegenüber den Trägern der Sozialversicherung für vorsätzliche oder grob fahrlässige Schadensverursachung durch Mitglieder des geschäftsführenden Organs einzustehen.

Die in der Revision relevierte Rechtsfrage, ob § 335 Abs 1 ASVG eine planwidrige Regelungslücke aufweist, weil auch Machthaber des Arbeitgebers, die deliktsrechtlich als dessen Organ gelten, einzubeziehen wären (vgl Neumayr in Schwimann ABGB³ VII § 335 Rz 1), kann hier dahingestellt bleiben.

Grundsätzlich ist der von seinen Organwaltern repräsentierte Arbeitgeber zur Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften samt allen dafür erforderlichen Vorkehrungen verpflichtet. Unterlassen die Organe, wie hier, offenkundig gebotene Vorkehrungen, sodass es zu einem Schadensfall kommt, liegt ein Organisationsmangel vor.

Die Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist regelmäßig eine solche des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0026555). Beide Vorinstanzen sind hier jedenfalls vertretbar von einem grob fahrlässigen Organisationsverschulden (auch) der Organe der Gesamtrechtsvorgängerin der Erstbeklagten ausgegangen, das sie sich als juristische Person anrechnen lassen muss. Fest steht, dass der Vorstand der Erstbeklagten nach einer Häufung von Arbeitsunfällen, den Zweitbeklagten zwar im Oktober 2000 damit beauftragt hat, „das Problem der Arbeitsunfälle zu beseitigen“, danach aber zwei Jahre lang bis zum gegenständlichen Unfall nichts mehr unternommen hat, obwohl ihm in der Folge kein Bericht über eine Erfüllung der Vorgaben der Sicherheitsfachkraft und des Arbeitsinspektorats, insbesondere nicht einmal eine Risiko- und Gefahrenanalyse, vorgelegt wurde.

Die Beurteilung des Verschuldensgrads der Organe der Rechtsvorgängerin der Erstbeklagten wird in der Revision, die lediglich mit Fragen der Auslegung des § 335 Abs 1 ASVG argumentiert, nicht mehr bekämpft. Dies ist auch sachgerecht, weil allgemeine Sicherheitsinstruktionen im Fall eines bereits Jahre vor dem Unfall offenkundigen groben Missstands nicht ausreichend waren, sondern unverzüglich für eine Evaluierung der Gefahrenquellen und deren Absicherung zu sorgen gewesen wäre (vgl 9 ObA 52/09a).

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