European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00015.22M.1018.000
Spruch:
1. Die außerordentliche Revision gegen die Entscheidung im Verfahren AZ 4 Cg 11/21i des Erstgerichts wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
2. Im Übrigen, also hinsichtlich des Verfahrens AZ 4 Cg 103/18i des Erstgerichts, wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Klägerin und Widerbeklagte (künftig: Klägerin) verkaufte der Beklagten und Widerklägerin (künftig: Beklagte) eine in ihrem Eigentum stehende Liegenschaft samt Wohnhaus um 630.000 EUR. Wenige Tage nach Übergabe der Liegenschaft am 21. Jänner 2018 rügte die Beklagte diverse (Bau-)Mängel und teilte der Klägerin mit, die von ihr bereits in die Wege geleitete Überweisung des Kaufpreises gestoppt zu haben. Daraufhin erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag, was die Beklagte zunächst nicht akzeptieren wollte. Als es nach dem (erstmaligen) Befüllen des Innenpools zu einem Wasseraustritt und einer Durchfeuchtung des Kellers kam, erklärte sie jedoch am 13. November 2018 ihrerseits, vom Kaufvertrag zurückzutreten.
[2] Die Klägerin begehrt für die Zeit der Nutzung der Liegenschaft ein Benutzungsentgelt von der Beklagten.
[3] Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren und wendet Gegenforderungen ein, weil ihr die Klägerin bewusst Mängel verschwiegen und gegenteilige Zusagen gemacht habe. Diese und weitere Schäden macht sie überdies mit einer auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten gestützten Widerklage geltend, mit der sie auch die Feststellung der Haftung der Klägerin für künftige Schäden anstrebt.
[4] Das Erstgericht erkannte im zweiten Rechtsgang – zum ersten, nur die Klage betreffenden Rechtsgang siehe die Vorentscheidung zu 10 Ob 38/20s – die Klageforderung im Verfahren über die Klage mit 19.046,21 EUR als zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die Beklagte darauf aufbauend zur Zahlung von 19.046,21 EUR sA. Das Widerklagebegehren wies es ab.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung mit der Maßgabe, dass die Klageforderung (im Verfahren über die Klage) mit 21.607,31 EUR und die Gegenforderung mit 2.561,10 EUR zu Recht bestehe, sodass der Klägerin ein Beitrag von 19.046,21 EUR sA zugesprochen wurde. Die Revision ließ es jeweils nicht zu.
[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass im Verfahren über das Klagebegehren (AZ 4 Cg 103/18i des Erstgerichts) die Gegenforderungen in Höhe der Klageforderung als zu Recht bestehend erkannt werden und dem Widerklagebegehren im Verfahren AZ 4 Cg 11/21i des Erstgerichts stattgegeben wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungs‑ und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Dazu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[7] Vorauszuschicken ist, dass Verfahren durch ihre Verbindung nicht ihre Selbständigkeit verlieren (vgl RIS‑Justiz RS0037271 [T5, T13]). Die Verbindung der Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hat daher auch auf die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen das gemeinsame Urteil keinen Einfluss. Die Statthaftigkeit der Revision ist – unabhängig davon, ob die Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0037252 [T11]) – für jedes einzelne Verfahren gesondert zu prüfen (RS0037252; RS0036717; RS0037173). Das gilt auch bei der Verbindung von Klage und Widerklage (RS0037252 [T10]; RS0036717 [T18]), woran nichts ändert, dass das Berufungsgericht eine gemeinsame Entscheidung über verbundene Rechtssachen getroffen hat (1 Ob 65/20w mwN).
Zum Verfahren AZ 4 Cg 11/21i des Erstgerichts
[8] Im Verfahren über die Widerklage übersteigt der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts nach dessen Bewertungsausspruch (insgesamt) 30.000 EUR. In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte allerdings keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[9] 1. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
[10] 1.1. Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963). Anderes gilt nur, wenn das Berufungsverfahren selbst mängelbehaftet ist, weil sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge nicht befasst (RS0042963 [T9]; RS0040597 [T4]) oder diese mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T28]; RS0043086 [T5]). In Bezug auf die unterlassenen Zeugenbeweise liegt beides nicht vor. Zum Antrag auf Einvernahme des Zeugen R* lässt die Beklagte überdies außer Betracht, dass er vom Erstgericht wegen Verspätung zurückgewiesen wurde, was sie in der Berufung nicht bemängelt hat.
[11] 1.2. Der Vorwurf der Beklagten, das Berufungsgericht habe sie mit seiner Ansicht überrascht, die Anträge, der Klägerin die Vorlage sämtlicher Rechnungen über Sanierungsmaßnahmen samt der dazu mit der Versicherung geführten Korrespondenz aufzutragen, würden unzulässige Erkundungsbeweise darstellen, ist nicht näher zu prüfen, weil die Beklagte darzulegen gehabt hätte, welches anderes oder zusätzliches Vorbringen sie aufgrund der nicht beachteten Rechtsansicht erstattet hätte. Dem vermeintlichen Verfahrensmangel fehlt es somit schon an der Relevanz (RS0037095 [T4]). Bereits ihrem erstinstanzlichen Vorbringen lässt sich entnehmen, dass sie damit den Nachweis erbringen wollte, „dass Baumängel vorliegen und die Klägerin von diesen wusste“.
[12] Auf Grundlage dieses Vorbringens ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beweisanträge seien (vor allem inhaltlich) unzureichend determiniert und keiner konkreten Beweisaufnahme zugänglich (vgl RS0039880; RS0039973), vertretbar. Eine „unhaltbare rechtliche Begründung“, die bei Fehlen jeglichen Beurteilungsspielraums allenfalls als Mangel des Berufungsverfahrens releviert werden könnte (RS0042963 [T63]), zeigt die Beklagte nicht auf.
[13] 1.3. Die von der Beklagten als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angesprochene Frage, ob das in erster Instanz eingeholte Sachverständigengutachten erschöpfend war oder zu ergänzen gewesen wäre, fällt in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0043163; RS0113643).
[14] 1.4. Die Behauptung, das Berufungsgericht habe an ihre Beweisrüge einen zu strengen Maßstab angelegt und sich daher zu Unrecht nicht mit ihr befasst, widerspricht dem Akteninhalt. Als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtete das Berufungsgericht nämlich nur die Bekämpfung der „Sätze 2., 3. und 4.“ der von ihm unter Punkt 1.1. des Berufungsurteils behandelten Feststellungen. Mit dem in der Revision inhaltlich allein thematisierten „Satz 1“ hat es sich hingegen ausführlich auseinandergesetzt.
[15] 2. In ihrer Rechtsrüge geht die Beklagte richtig davon aus, dass zwischen den (potentiellen) Vertragspartnern schon mit der Kontaktaufnahme verschiedene Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten entstehen (RS0053240), deren schuldhafte – also bereits fahrlässige – Verletzung schadenersatzpflichtig machen kann (RS0014885 ua). Ebenso hat nach der aus § 874 ABGB abgeleiteten ständigen Rechtsprechung derjenige, der den Irrtum eines anderen zumindest fahrlässig veranlasste, diesem das negative Vertragsinteresse, also den durch die Irreführung und das dadurch veranlasste Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags verursachten Schaden zu ersetzen (RS0014882; RS0016294).
[16] 2.1. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Mit seiner darauf aufbauenden Ansicht, der Klägerin sei kein Verschulden anzulasten, weil sie weder ihr bekanntermaßen Unrichtiges zugesagt, noch etwas bewusst verschwiegen habe, beschäftigt sich die Beklagte nicht. Sie meint vielmehr nur, die Klägerin habe sie durch gezielt unterlassene Aufklärungen und das Erteilen falscher Auskünfte wissentlich geschädigt. Das lässt sich aber weder aus dem festgestellten Sachverhalt ableiten noch klärt die Beklagte darüber auf, auf welche tatsächliche Grundlage sich ihre Auffassung stützt.
[17] Offensichtlich vertritt sie den Standpunkt, dass ihr Begehren nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im ersten Rechtsgang, wonach der im Kaufvertrag vereinbarte Gewährleistungsverzicht auf die Schadenersatzansprüche der Beklagten keinen Einfluss hat (10 Ob 38/20s Rz 38), auch auf Gewährleistung gestützt werden könne und es nicht auf ein Verschulden ankomme. Eine derartige Aussage lässt sich der zitierten Passage zu 10 Ob 38/20s allerdings nicht entnehmen. Zwar können aus der Verletzung von (vorvertraglichen) Aufklärungspflichten neben Gewährleistungsansprüchen auch Schadenersatzansprüche resultieren. Die daran anknüpfenden Rechtsfolgen und deren Voraussetzungen unterscheiden sich jedoch grundlegend. Es ist nicht dasselbe, ob die Herstellung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung oder der Ersatz des (Vertrauens‑)Schadens verlangt wird.
[18] 2.2. Soweit die Beklagte noch § 1298 ABGB ins Treffen führt und Fragen der Beweislastverteilung anspricht, kommt es darauf nicht an, weil die rechtlichen Schlüsse des Berufungsgerichts auf – wenn auch teilweise dislozierten – positiven Feststellungen aufbauen (RS0039939 [T23, T26]; RS0039872). Auf die umstrittene Frage, ob § 1298 ABGB im Rahmen der culpa in contrahendo zur Anwendung gelangt (vgl Karner in KBB6 § 1298 Rz 3), muss daher nicht eingegangen werden.
[19] 3. Die außerordentliche Revision ist insoweit zurückzuweisen.
Zum Verfahren AZ 4 Cg 103/18i des Erstgerichts
[20] Im Verfahren über die Klageverpflichtete das Erstgericht die Beklagte nach Feststellung des Bestehens der Klageforderung mit 19.046,21 EUR und des Nichtbestehens der (restlichen) Gegenforderungen zur Zahlung eines Betrags von 19.046,21 EUR sA. Die Beklagte beantragte in ihrer Berufung im Ergebnis, die Klage infolge Aufrechnung mit den ihrer Ansicht nach zu Recht bestehenden Gegenforderungen abzuweisen. Der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts überstieg damit zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR.
[21] Da das Berufungsgericht die Revision nicht für zulässig erklärte, kann die Beklagte insoweit nur einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass das Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde (§ 508 Abs 1 ZPO). Dieser Antrag, verbunden mit dem ordentlichen Rechtsmittel, ist beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz zur Behandlung gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliche Revision“ bezeichnet und an den Obersten Gerichtshof gerichtet wird; dieser darf darüber nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig ist (RS0109623).
[22] Soweit er das Verfahren AZ 4 Cg 103/18i betrifft, wird das Erstgericht den Rechtsmittelschriftsatz der Beklagten somit zunächst dem Berufungsgericht vorzulegen haben. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T5, T8]; RS0109501 [T12]).
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